In seinem neuen Buch beschäftigt sich der - Migros

38 | MM45, 7.11.2016 | MENSCHEN
Richard David Precht
«Jeder Fisch
hat Glück,
wenn er bei
mir landet»
In seinem neuen Buch beschäftigt sich der deutsche Philosoph
Richard David Precht mit unserem widersprüchlichen Umgang
mit Tieren. Ein Gespräch über kluge Kraken, verlogene Jäger
und kleine Katastrophen, die grosse Veränderungen auslösen.
Text: Ralf Kaminski Bilder: Bernd Hartung
MENSCHEN | MM45, 7.11.2016 | 39
Ist ein grosser Fan von
Kraken und anderen
Tieren: Philosoph Richard
David Precht.
Künstliches
Fleisch als
Alternative?
40 | MM45, 7.11.2016 | MENSCHEN
www.migmag.ch/
precht
Richard David Precht, wann haben Sie
zum letzten Mal Fleisch gegessen?
Vor ein paar Wochen, ein Stück für den Grill,
das ich in einem Laden in Düsseldorf kaufte,
bei dem ich weiss, woher sie es beziehen.
Wie häufig kommt das vor?
Gelegentlich, aber ich esse deutlich weniger
und viel bewusster Fleisch als früher. Und
an sich halte ich den Vegetarismus für die
konsequentere Lebensweise.
Was hält Sie davon ab?
Mir schmeckt Fleisch sehr gut, sodass ich es
mir nicht so schnell abgewöhnen kann. Ich
sehe es aber als langen, fliessenden Über­
gang in diese Richtung.
Die einfachste Form, einen Menschen
vom Fleischessen abzubringen, ist eine
Schlachthofbesichtigung, schreiben Sie in
Ihrem neuen Buch. Aber eigentlich weiss
man, unter welch schrecklichen Bedingungen das Fleisch meist hergestellt wird.
Nur sind wir sehr gut im Verdrängen. Was
an sich eine positive Sache ist. Stellen Sie
sich vor, Sie würden sich jede Minute ins
Bewusstsein rufen, was in dem Moment
Schlimmes passiert – da würden Sie ver­
zweifeln an der Welt. Nur: Die Massen­
tierhaltung müsste es nicht geben. Sie zu
verbieten, wäre deutlich einfacher, als den
Hunger in der Welt abzuschaffen. Wir könn­
ten den ethischen Standard umsetzen, den
die Gesellschaft in dieser Frage inzwischen
erreicht hat.
Aber wir tun es nicht.
Wer sollte es denn tun? Die Politiker? Aber
nicht nur kann man sich damit kaum pro­
filieren, man stellt sich auch gegen die mäch­
tige Lobby der Fleischindustrie. Ausser
warmer Worte und heisser Luft kommt
deshalb dazu von der Politik nicht viel. Zwar
steht seit 1986 im deutschen Tierschutz­
gesetz, dass wir Tiere als Mitgeschöpfe ach­
ten, aber anschliessend kommt ein Text, in
dem es nur darum geht, wie man Tiere am
besten tötet – völlig absurd.
Nun gibt es Leute, denen fällt es leichter
zu verdrängen als anderen. Wovon hängt
das ab?
Sensibilisierung – also wie sehr man sich mit
einem bestimmten Thema befasst. Würden
wir einen Schlachthofbesuch im siebten
Schuljahr für obligatorisch erklären,
würden ziemlich viele dieser Jugendlichen
danach wohl nie wieder Fleisch essen.
Sie finden, das sollte fest in den Lehrplan?
Man stelle sich all die empörten Eltern vor ...
nein, ich fürchte, das liesse sich nicht durch­
setzen. Aber man könnte vielleicht mal einen
Feldversuch dazu machen.
Sie erwähnen die Schweiz als positives
Beispiel beim Halten von Hühnern.
Was macht sie im Umgang mit Tieren
sonst noch besser?
Die Schweiz ist Deutschland beim Tier­
schutz insgesamt voraus. Er hat auch eine
stärkere politische Lobby. Ich vermute, dass
das mit dem höheren Wohlstand zu tun hat.
Die höchste Sensibilisierung in solchen
ethischen Fragen findet sich in Ländern
mit möglichst breitem Wohlstand.
Im Kanton Basel-Stadt läuft eine Initiative, die nicht-menschlichen Primaten das
Recht auf Leben und auf körperliche und
geistige Unversehrtheit garantieren
möchte. Was halten Sie davon?
Diese Idee kam erstmals in den 90er­Jahren
auf, und grundsätzlich finde ich das eine
gute Sache. Stark auswirken würde es sich
auf Tierversuche, wobei die mit Menschen­
affen in Europa ohnehin praktisch nicht
mehr gemacht werden. Aber es hätte wohl
auch Folgen für die Zoos. Viele Tierrechtler
finden, dass man Menschenaffen nicht im
Zoo halten sollte, ich bin da vorsichtiger.
Wenn es so gemacht wird wie im Zoo Leip­
zig, finde ich es in Ordnung. Dort befindet
sich derzeit wohl die beste Menschenaffen­
anlage der Welt, sie steht unter wissen­
schaftlicher Aufsicht und ist so riesig, dass
man die Tiere kaum sieht. Aber in den meis­
ten Zoos sieht es natürlich anders aus.
Meines Erachtens sollte man überall gross­
zügig ausgestattete Primatenhäuser bauen,
in denen auch die ethische Auseinanderset­
zung mit genau solchen Fragen stattfindet.
Für viele Tierarten, die in der Wildnis
keine Chance mehr haben, könnten Zoos
die letzte Zufluchtsstätte sein.
Das ist so. Aber da sagen die Tierrechtler:
Na, dann sterben sie halt aus. Mit der
Begründung, dass es einem Tier nichts
ausmacht auszusterben, es weiss davon ja
nichts, leidet also auch nicht darunter. Im
Zoo hingegen leidet es. Ich bin allerdings für
die Erhaltungszuchten in Zoos, insbesonde­
re bei Tieren, deren Lebensräume nicht
unrettbar verloren sind, sodass sie später
wieder ausgewildert werden können. Bei
den Tieren, deren Lebensräume wir zerstört
haben, ist der Entscheid schwieriger. Die
erhalten wir im Grunde nur noch, weil wir
diese Kronjuwelen der Schöpfung so hübsch
finden. Da bewegt man sich ethisch auf
dünnem Eis.
Es gibt noch andere kluge Tiere, etwa die
Kraken, über die Sie mehrmals bewundernd schreiben: Müsste man die nicht
ebenso gut behandeln wie Primaten?
Auf jeden Fall. Und da zeigt sich auch das
grosse Problem beim Menschenaffen­
Projekt: Wo ist die Grenze der rechtlichen
Bevorzugung? Im Moment liegt sie zwi­
schen Mensch und Schimpanse, künftig soll
sie also zwischen Orang­Utan und Gibbon
liegen. Aber auch das ist völlig willkürlich.
Besonders schlecht kommen in Ihrem
Buch die Jäger weg: «Menschen, die regelmässig töten müssen, um glücklich zu
sein, brauchen professionelle Hilfe.»
( lacht) Ist doch so, sehen Sie das anders?
Zur Person
Philosoph
und Publizist
Richard David
Precht (51) ist
Philosoph und Autor
zahlreicher Bücher
und Artikel. Zudem
moderiert er sechs­
mal im Jahr die
philosophische Sen­
dung «Precht» im
ZDF. Precht ist ge­
schieden, hat einen
13­jährigen Sohn und
lebt in Düsseldorf.
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Ist es nicht auch ein bisschen unfair? Der
Mensch hat schon immer Tiere gejagt, um
sie zu essen.
Klar, man kann argumentieren, dass Jagen
Teil des arttypischen Verhaltens des Men­
schen ist. Frauen vergewaltigen übrigens
auch. Wurde in unserer Kulturgeschichte
millionenfach gemacht, finden wir heute
aber nicht mehr so gut. Diese archaischen
Triebe möchten wir aus unserer Gesell­
schaft raushalten. Warum also sollte man
bei der Jagd eine Ausnahme machen? Die
Sache ist völlig klar: Da hat jemand Spass am
Töten. Die Jäger behaupten natürlich, es
gehe um Naturschutz. Aber ginge es darum,
müssten sie nicht schiessen. Sie könnten
bei der Winterfütterung Antibabypillen ins
Futter mischen, um die Geburtenrate zu
reduzieren, so wie das in afrikanischen
Nationalparks getan wird. Macht der Jäger
aber nicht, denn er will ja schiessen.
Aber Jäger sind ehrlicher als der Konsument im Laden. Sie töten, was sie essen.
Der Jäger kann tatsächlich argumentieren,
dass er, verglichen mit der Massentierhal­
tung, ethisch besser dasteht. Aber dass
andere Sachen noch übler sind, als das, was
man selbst tut, befreit einen nicht von der
moralischen Schuld. Bei grossen Jagden
liegen am Ende 50 tote Hirsche rum, die
werden nicht gegessen. Man nimmt ihnen
die Skalpe ab und nagelt sie an die Wand.
In starkem Kontrast dazu stehen die
Haustiere des Menschen, die gehegt und
gepflegt werden. Womit verdienen sie ihre
privilegierte Stellung?
Wir haben sie so gezüchtet, dass sie auf
unsere Bedürfnisse zugeschnitten sind. Sie
sind toll, kuschelig und somit Teil unseres
privaten Liebeskosmos. Ich persönlich habe
es nicht so mit Kuscheltieren, mich faszi­
niert eher die Andersartigkeit von Tieren,
also wenn sie autonom von uns funktio­
nieren wie Kraken oder Raubkatzen.
Sie hatten nie Haustiere?
Doch, sogar heute noch, ich habe Fische. Die
leben in einem tonnenschweren Aquarium
und wollen nicht gestreichelt werden.
Aufgewachsen bin ich mit Katzen.
Warum gerade Fische?
Neben Kraken sprechen Fische und Vögel
mich am meisten an, wohl auch wegen des
ganz anderen Mediums, in dem sie sich be­
wegen. Artgerechte Bedingungen für Vögel
kann ich nicht bieten, für Fische schon.
Jeder Fisch aus der Tierhandlung hat Glück,
wenn er bei mir landet. Ich habe zum Bei­
spiel Elefantenrüsselfische, die haben das
grösste Gehirn in Relation zum Körper­
gewicht – grösser als beim Menschen. Ich
frage mich, was die genau machen mit ihrer
Richard David Precht würde gerne die Rechte von Laboraffen vor Gericht einklagen.
überragenden Intelligenz. Aber vermutlich
fragen sie sich das auch über mich, denn sie
sehen mich ja immer nur hin und her gehen
und ab und zu mal Futter reinwerfen.
Was müsste passieren, damit sich die Lage
für Schlacht- und Versuchstiere bessert?
Wir müssten die Gesetze verschärfen.
In Deutschland werden pro Jahr 2800 Affen
für Tierversuche benutzt, fast alle für die
Hirnforschung – also nicht für lebensret­
tende Medikamente, sondern für Grund­
lagenforschung. Dabei sägt man dem Affen
den Schädel auf und legt ihm Drähte ins Ge­
hirn, natürlich nicht narkotisiert, sonst kann
man seine Reaktionen nicht messen. Ich wür­
de das im Interesse des Affen gern einklagen,
aber das lässt das Gesetz nicht zu. Da heisst
es, die Affen hätten mich nicht beauftragt.
Wären solche Klagen möglich, würde sich
die Lage dann ändern?
Ja, dann könnte man die Rechte der Tiere
gerichtlich einfordern. Das Problem ist na­
türlich: Wo endet das? Damit würde eine
Tür geöffnet, die es zum Beispiel ermögli­
chen würde, im Interesse von Maulwürfen
oder Insekten Dinge einzufordern, die das
Leben der Menschen ganz schön behindern
könnten. Man müsste so etwas also gesetz­
lich sehr genau definieren und eingrenzen.
Wie gross sind die Chancen, dass sich die
Dinge in Zukunft bessern?
Angenommen, Frieden und Wohlstand blei­
ben mindestens erhalten und wir geraten
nicht in Kriege oder andere grössere Kata­
strophen, wird sich da bestimmt etwas be­
wegen. Das war auch bei der Sklaverei und
den Frauenrechten so. Unter guten Lebensbedingungen schreitet die ethische Sensibilisierung weiter voran und wird sich
auch auf die Tiere ausdehnen. Aber es kann
dauern, bis es so weit ist. Auf der anderen
Seite passieren grosse kulturelle Verände­
rungen oft nicht graduell, sondern in Sprün­
gen, ausgelöst durch ein grosses Ereignis.
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima
beschloss Deutschland den Atomausstieg –
etwas, das kurz vorher noch undenkbar
schien. So kann es auch bei der Massentier­
haltung passieren, vielleicht im Nachgang
einer riesigen Tierseuche, wegen der viele
Menschen erkranken oder sterben.
Im Buch plädieren Sie für ein graduelles
Vorgehen: Es müssten nicht gleich alle
Veganer werden, nur schon weniger
Fleisch zu essen, habe eine positive
Wirkung. Aber Verzicht ist unpopulär.
Schon, aber in anderen Bereichen hat es
funktioniert. Zum Beispiel verzichten die
Leute weitgehend darauf, Abfall einfach auf
die Strasse zu werfen. Sie bemühen sich, ge­
sünder zu essen, weniger Alkohol zu trinken.
Und wenn man seltener Fleisch isst, freut
man sich viel mehr darauf. Ausserdem ist
der Fleischkonsum in Deutschland schon
seit 20 Jahren leicht rückläufig, der Trend
geht also bereits in die richtige Richtung.
Sie schreiben: Eine leidfreie Welt ist undenkbar – der Mensch kann nicht existieren, ohne anderem Leben Gewalt anzutun.
Ja, das ist das Schicksal unserer Existenz. Es
geht ja auch nicht darum, heilig zu werden.
Das Problem ist, dass wir die Dinge oft von
einem absurden Ende her denken. Also:
Wenn wir jetzt anfangen, den Tieren mehr
Rechte zu geben, wo hört das dann auf? Dass
wir alle mit einem Mundschutz rumlaufen,
um nicht aus Versehen ein Insekt zu ver­
schlucken? Dann lassen wir lieber alles so,
wie es ist. Aber das wäre ein Fehler. Wir
müssen uns ein paar sinnvolle, machbare
Nahziele setzen: Pelztierfarmen verbieten,
die Massentierhaltung nicht mehr zulassen,
im Namen von Laboraffen klagen können.
Damit wäre schon vieles gewonnen. MM
Richard David Precht: «Tiere denken – Vom Recht der
Tiere und den Grenzen des Menschen», Goldmann 2016,
bei Ex Libris für Fr. 25.50 (nur online erhältlich)