MEDIZIN ORIGINALARBEIT Interprofessionelles Medikationsmanagement bei multimorbiden Patienten Eine Cluster-randomisierte Studie (WestGem-Studie) Juliane Köberlein-Neu, Hugo Mennemann, Stefanie Hamacher, Isabel Waltering, Ulrich Jaehde, Corinna Schaffert, Olaf Rose ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Medikationsanalysen und Medikationsmanagement sind international zunehmend etablierte Instrumente zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Beide basieren auf Methoden der pharmazeutischen Betreuung und haben sich jüngst zu einem interdisziplinären Ansatz entwickelt. Die vorliegende Studie untersucht die Wirksamkeit eines krankheits- und professionsübergreifenden Medikationsmanagements, das die gesamte Lebenssituation multimorbider Patienten berücksichtigt. Methode: Im Rahmen des Medikationsmanagements wurden die eingenommenen Arzneimittel, deren Lagerung, das Einnahmeverhalten der Patienten sowie Probleme mit der Pharmakotherapie erfasst. Der Interventionsansatz wurde in einer Cluster-randomisierten kontrollierten Studie mit „stepped wedge“-Design über einen Zeitraum von 15 Monaten evaluiert. Als primärer Zielparameter diente die Arzneimitteltherapiequalität, gemessen mit dem Medication Appropriateness Index (MAI). Für die Wirksamkeitsanalyse wurde ein gemischtes Modell verwendet. Ergebnisse: Insgesamt wurden 162 Patienten in die Studie eingeschlossen. Die „intention-to-treat“-Analyse umfasste 142 Patienten (53,3 % Frauen; Durchschnittsalter: 76,8 ± 6,3 Jahre). Der durchschnittliche MAI-Summenscore verringerte sich von der Kontrollphase (29,21; 95-%-KI: [26,09; 32,33]) zur Interventionsphase (22,27 [19,00; 25,54]) statistisch signifikant (p ≤ 0,001) mit einer Effektstärke (Cohen’s d) von –0,24 [–0,36; –0,13]. Die Anzahl arzneimittelbezogener Probleme konnte ebenfalls reduziert werden. Schlussfolgerung: Die professionsübergreifende Zusammenarbeit konnte die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöhen. Der interprofessionelle Blick ermöglichte es, arzneimittelbezogene Probleme zu verringern und hausärztlich schwer zugängliche Problemfelder in die Therapie mit einfließen zu lassen. ►Zitierweise Köberlein-Neu J, Mennemann H, Hamacher S, Waltering I, Jaehde U, Schaffert C, Rose O: Interprofessional medication management in patients with multiple morbidities—a cluster-randomized trial (the WestGem study). Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 741–8. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0741 Bergisches Kompetenzzentrum für Gesundheitsökonomik und Versorgungsforschung, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft, Bergische Universität Wuppertal: Prof. Dr. rer. medic. Köberlein-Neu, Corinna Schaffert Fachbereich Sozialwesen, Fachhochschule Münster: Prof. Dr. phil. Mennemann Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie, Universität zu Köln: Stefanie Hamacher Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Isabel Waltering, Pharm.D Pharmazeutisches Institut, Klinische Pharmazie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: Prof. Dr. rer. nat. Jaehde Pharmazeutisches Institut, Klinische Pharmazie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: Olaf Rose, Pharm.D. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 D as Medikationsmanagement ist international zunehmend ein etabliertes Instrument zur Erhöhung der Therapiequalität und Arzneimittelsicherheit (1). Es wird insbesondere bei Patienten mit komplexer Polymedikation, mehreren Behandlern und einer hohen Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von arzneimittelbezogenen Problemen (ABP; international: „drug-related problems“) eingesetzt (2, 3). Als solche werden Ereignisse oder Umstände bei der Arzneimitteltherapie verstanden, die tatsächlich oder potenziell das Erreichen angestrebter Therapieziele verhindern (4). Das Medikationsmanagement basiert auf Methoden der pharmazeutischen Betreuung und hat sich in den letzten Jahren zu einem patientenorientierten Ansatz entwickelt, welcher strukturell unterschiedlich umgesetzt wird (zum Beispiel ausschließlich ärztlich begleitet oder unter zusätzlicher Begleitung eines Apothekers) (5–9). In Deutschland wird von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zwischen einer punktuellen Medikationsanalyse (gemäß Definition der Pharmaceutical Care Network Europe, [PCNE]) (eGrafik 1) und einem Medikationsmanagement mit longitudinaler Patientenbetreuung unterschieden (10–12). Systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen auf Basis kontrollierter Studien beschreiben für die ambulante Versorgung eine Wirksamkeit des Medikationsmanagements, insbesondere hinsichtlich der Verbesserung der Arzneimitteltherapiequalität und -sicherheit sowie der Veränderung verschiedener klinischer Parameter (13–18). Instrumente zur Messung der Arzneimitteltherapiequalität, wie der Medication Appropriateness Index (MAI), ermöglichen eine standardisierte Bewertung der Gesamttherapie (19–22). Aussagen zur Wirksamkeit des Medikationsmanagements können auf Basis dieser Ergebnisse für den deutschen Versorgungskontext indes nur bedingt getroffen werden. Ein aktueller systematischer Review von Viswanathan et al. verweist auf die hohe Varianz der erzielten Ergebnisse, die durch die Interventionszusammensetzung und die strukturelle Verankerung zustande kommt (18). Resultate von in Deutschland initiierten Interventionsstudien zur Arzt-Apotheker-Zusammenarbeit stehen nach unserem Wissen für das ambulante Versorgungssetting derzeit noch aus. 741 MEDIZIN Vor diesem Hintergrund wurde die Studie „Westphalian study on a medication therapy management and home care based intervention under gender specific aspects in elderly multimorbid patients“ (WestGem) als interdisziplinäres Projekt durchgeführt. Im Zentrum stand die Evaluation der Wirksamkeit eines interprofessionellen Medikationsmanagements im ambulanten Versorgungssetting. Als primäre Hypothese erwarteten die Autoren, dass die Teilnahme am Medikationsmanagement zu einer Veränderung der Qualität der Arzneimitteltherapie führen würde. Methode Studiendesign Der Wirksamkeitsnachweis erfolgte im Rahmen einer kontrollierten Cluster-randomisierten Studie mit „stepped wedge“-Design. Im Vergleich zur sonst üblichen Parallelgruppenstruktur sieht dieses Design vor, dass jedes Cluster in der Kontrollgruppe startet und die Intervention zeitversetzt (das heißt in Steps) in die Cluster eingeführt wird. In der WestGem-Studie wurden die teilnehmenden Hausarztpraxen (Cluster) durch einen unabhängigen Biometriker randomisiert drei (Wechsel-)Kohorten zugeteilt. Nach einer Kontrollphase wechselten die Kohorten mit einem Zeitversatz von jeweils drei Monaten in die Interventionsphase. Die Kohortenzugehörigkeit wurde erst zum Wechselzeitpunkt bekanntgegeben. Patienten wurden während der Kontrollphase nach den Prinzipien der Regelversorgung behandelt; in der Interventionsphase nahmen sie zusätzlich am Medikationsmanagement teil. Die Interventionsphase betrug in Abhängigkeit vom Wechselzeitpunkt zwischen sechs und zwölf Monaten, gefolgt von einer bis zu drei Monate umfassenden Follow-up-Phase. Die Datenerhebungen erfolgten zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses (T0), am Ende der Rekrutierungsphase (T1), nach 3 (T2), 6 (T3), 9 (T4), 12 (T5) und nach 15 Monaten (T6). Die Studie wurde im „Current controlled trials“-Register aufgenommen (ISRCTN41595373). Die Ethikkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe (AKZ2013–292-f-s) übernahm eine befürwortende Beratung. Eine detaillierte Beschreibung der WestGem-Studie findet sich im publizierten Studienprotokoll (23). Intervention Die Gesamtintervention setzte sich aus zwei ineinandergreifenden Handlungssträngen zusammen, welche die Regelversorgung ergänzten: 1. ein Medikationsmanagement und 2. eine Betreuung durch die Pflege- und Wohnberatung (PuW) unter Anwendung des Handlungskonzeptes „Case Management“ gemäß der Deutschen Gesellschaft für Case und Care Management (24). Für das Medikationsmanagement leitete der Hausarzt zunächst ihm bekannte Informationen zum Patienten an die PuW weiter (eTabelle 3). Diese vereinbarte einen Hausbesuch, nahm ein Assessment der vorgefundenen Patientensituation auf – unter anderem: eingenommene 742 Arzneimittel, Einnahmeverhalten, Lagerung, berichtete Probleme mit der Arzneimitteltherapie – und übermittelte dieses gemeinsam mit den hausärztlich bereitgestellten Informationen an den Apotheker, der eine umfassende Medikationsanalyse gemäß PCNE-Stufe 3 durchführte. Berücksichtigt wurden dabei die eingenommene Medikation, die vom Arzt dokumentierte Medikation, vorliegende Labordaten, Diagnosedaten sowie die im Patienteninterview gewonnenen Einblicke in die persönliche Situation. Die Analyseergebnisse wurden in einem Empfehlungsschreiben zusammengefasst und an die PuW weitergeleitet, die Informationen zur häuslichen Situation ergänzte und an den Hausarzt sendete. Die Umsetzung der Empfehlungen lag im hausärztlichen Verantwortungsbereich. Beispiele solcher Konsile und Detailinformationen zum zweiten Handlungsstrang können über die Autoren bezogen werden. Setting und Studienpopulation Die Studie wurde in zwei Regionen in Westfalen-Lippe durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden alle Hausarztpraxen der Regionen zur Studienteilnahme eingeladen. Anschließend fand von September bis Dezember 2013 die Rekrutierung der Patienten statt (eKasten 1). Eingeschlossen wurden Patienten, die nachfolgend genannten Ein- und Ausschlusskriterien entsprachen und ihr Einverständnis zur Studienteilnahme schriftlich erklärten: Einschlusskriterien ● Alter ≥ 65 Jahre ● mindestens drei chronische Erkrankungen aus zwei verschiedenen Organsystemen ● mindestens eine kardiovaskuläre Erkrankung ● mindestens ein Arztbesuch in jedem der letzten drei Quartale ● fünf und mehr Dauermedikationen (> 3 Monate) mit systemischen Effekten ● Fähigkeit, gegebenenfalls mit Unterstützung Fragebögen zu beantworten Ausschlusskriterien ● Lebenserwartung von weniger als zwölf Monaten (beurteilt nach Ermessen des behandelnden Hausarztes) ● Teilnahme an einer anderen klinischen Studie Endpunkte der Studie Primärer Endpunkt der Studie und Zielparameter für das Medikationsmanagement war die Qualität der Arzneimitteltherapie, gemessen anhand des MAI-Scores (eKasten 2). Dieser erlaubt mit zehn Kriterien eine standardisierte Beurteilung der Medikation (25–27). Sekundäre Endpunkte bildeten die Anzahl an arzneimittelbezogenen Problemen (ABP), potenziell inadäquate Arzneimittel (PIM), die Lebensqualität der Patienten, die Alltagskompetenz sowie die Gangsicherheit und Sturzneigung. Als Endpunkt zur Bewertung von Interventionskomponente 2 wurde die erreichte soziale Unterstützung gemessen (Ergebnisse nicht dargestellt) (28). Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 MEDIZIN TABELLE 1 Soziodemografische und klinische Merkmale des „intention to treat“-Patientenkollektivs gesamt und separat nach Wechselzeitpunkt betrachtet Gesamt Kohorte 1 Start der Intervention nach Abschluss der Rekrutierung Kohorte 2 Start der Intervention nach drei Monaten Kohorte 3 Start der Intervention nach sechs Monaten N = 142 n=5 n = 40 n = 43 männlich 66 (46,5) 31 (52,5) 10 (25) 25 (58,1) weiblich 76 (53,3) 28 (47,5) 30 (75) 18 (41,9) 76,8 ± 6,3 76,4 ± 6,1 78,5 ± 6,2 75,5 ± 5,4 4 (2,9) 2 (3,4) 2 (5,9) 0 (0) verheiratet 82 (60,3) 38 (64,4) 12 (35,3) 32 (74,4) geschieden 8 (5,8) 1 (1,7) 5 (14,7) 2 (4,6) verwitwet 42 (31) 18 (30,5) 15 (44,1) 9 (21) Anzahl der Erkrankungen [M ± SD] 12,7 ± 5,7 12,61 ± 6,1 12,3 ± 4,6 13,2 ± 6,3 CIRS-G Severity Index [M ± SD] 1,63 ± 0,4 1,75 ± 0,5 1,7 ± 0,3 1,4 ± 0,3 65,2 ± 27,4 70,1 ± 29,9 55,1 ± 24,3 67,9 ± 24,9 essenzielle Hypertonie (I10) 109 (76,8) 52 (88,1) 27 (67,5) 30 (69,8) Störungen des Lipidstoffwechsels (E78) 77 (54,2) 32 (54,2) 23 (57,5) 22 (51,2) chronische ischämische Herzkrankheit (I25) 57 (40,1) 23 (39,0) 12 (30,0) 22 (51,2) Diabetes mellitus Typ 2 (E11) 50 (35,2) 31 (52,5) 10 (25,0) 9 (20,9) Vorhofflattern und -flimmern (I48) 29 (20,4) 14 (23,7) 6 (15,0) 9 (20,9) 9,4 ± 3,1 10,3 ± 3,6 9 ± 2,8 8,8 ± 2,4 37 (26,1) 16 (27,1) 12 (30,0) 9 (20,9) 6 (4,2) 2 (3,4) -- 4 (9,3) Geschlecht [n (%)] Alter (Jahre) M ± SD Familienstand [n (%)] ledig Krankheitsschwere glomäruläre Filtrationsrate in mL/min* M ± SD chronische Erkrankungen [n (%)] Anzahl der vom HA dokumentierten Arzneimittel M ± SD Anteil potenziell inadäquater Arzneimittel gemäß PRISCUS-Liste [n (%)] Anteil der Patienten mit einer VO Anteil der Patienten mit mehr als einer VO HA, Hausarzt; N, Gesamtanzahl in Stichprobe; n, Anzahl in Untergruppen; M, Mittelwert; SD, Standardabweichung; VO, Verordnung *mittels Cockcroft-Gault-Formel berechnet, ohne Korrektur des Körpergewichtes Datenerhebung und Messinstrumente Die Datenerhebung erfolgte über verschiedene Dokumentationsmedien (Detailbeschreibung siehe [23]). Für die im Ergebnisteil dargelegten Endpunkte findet sich eine Zusammenstellung der Dokumentationsgrundlagen und -instrumente in eTabelle 1. Stichprobenkalkulation und statistische Analyse Die Fallzahlschätzung erfolgte gemäß Woertman et al. (29). Basierend auf einer Power von 1–β = 80 %, einem zweiseitigen Signifikanzniveau von α = 5 %, einer Effektstärke von Cohens d = 0,25 und nach Festlegung aller benötigten Größen (ICC = 0,05; weitere siehe [23]) sollten 240 Patienten eingeschlossen werden. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 Die Auswertung der Endpunkte basierte auf der „intention-to-treat“-Population. Es erfolgte zunächst eine deskriptive Datenauswertung mit Darstellung der Ergebnisse als Mittelwert und Standardabweichung. Für die Wirksamkeitsanalyse des Medikationsmanagements wurde ein gemischtes Modell erstellt und zum Signifikanzniveau 5 % ausgewertet. Zur Bestimmung des reinen Interventionseffektes wurde eine Modellspezifikation durch Berücksichtigung sogenannter Kontraste durchgeführt, welche die mittlere Veränderung des MAI-Scores zwischen Kontrollund Interventionsphase zu bestimmten Zeitpunkten bewertet (eKasten 3). Diese Ergebnisse werden als „mittlere Differenz im Kontrast“ mit 95-%-Konfidenzintervall sowie als Effektstärke (Cohen’s d) dargestellt. Alle sekundären 743 MEDIZIN T0, Baseline-Erhebung zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses; T1, Erhebung zum Ende der Rekrutierungszeit; T2, 3 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T3, 6 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T4, 9 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T5, 12 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; 60 0 5 T6, 15 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit 55 Dokumentationszeitpunkte: GRAFIK MAI-Summenscore pro Patient 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Entwicklung des Medication Appropriateness Index-Scores über die Studienlaufzeit, getrennt nach Wechselgruppen T0 T1 T2 T3 T4 Dokumentationszeitpunkt Interventionsstart nach T1 Interventionsstart nach T3 Endpunkte wurden analog zum primären Endpunkt ausgewertet. Für Letzteren wurden ergänzende Sensitivitätsanalysen durchgeführt (eKasten 3). Das Signifikanzniveau aller nichtkonfirmatorischen Tests betrug 5 % beziehungsweise war als explorativ zu verstehen. Die statistische Analyse erfolgte mit SPSS Statistics 23 (IBM Corp., Armonk, NY, USA) und STATA 14 (StataCorp., College Station, Texas, USA). Ergebnisse Charakteristika der Studienpopulation Von 70 eingeladenen Hausärzten antworteten 13 auf die Anfrage, 12 wurden in die Studie eingeschlossen und randomisiert den drei Studienkohorten (K1: Start nach Ende der Rekrutierungszeit, K2: Start nach drei Monaten und K3: Start nach sechs Monaten) zugeordnet. Ausgehend von 856 potenziellen Studienpatienten wurden 480 auf eine Studienteilnahme angesprochen (eKasten 1), 162 Patienten unterzeichneten die Teilnahmeerklärung (4–24 je Praxis). Die ITT-Population umfasste 142 Patienten. Das CONSORT Flow-Chart in eGrafik 2 gibt einen Überblick über den Patientenfluss im Verlauf der Studie. Das durchschnittliche Alter des ITT-Kollektivs betrug 76,7 ± 6,5 Jahre und umfasste 76 (53,5 %) Frauen. 33,6 % der Studienteilnehmer lebten zum Zeitpunkt der Studie allein. Tabelle 1 beschreibt wesentliche soziodemografische und klinische Merkmale. Arzneimitteltherapie zur Baseline Beim Abgleich der hausärztlichen Dokumentation mit dem Einnahmeverhalten der Patienten zeigten sich zur Baseline Abweichungen bei 4,8 ± 3,5 Arzneimit- 744 T5 T6 Interventionsstart nach T2 teln pro Patient in Form einer anderen Dosis als der verordneten, einem geänderten Einnahmeverhalten oder der Weiterverwendung bereits abgesetzter Arzneimittel. 60,3 % der von Abweichungen betroffenen Arzneimittel fehlten in der hausärztlichen Dokumentation und resultierten aus Fremd- oder Selbstmedikation. Insgesamt betrug die Anzahl der hausärztlich dokumentierten Arzneimittel 9,4 ± 3,5, die Zahl der eingenommenen 10,5 ± 3,6. Die Anzahl arzneimittelbezogener Probleme (ABP) lag zur Baseline im Mittel bei 7,3 ± 3,4 pro Patient. Häufigste Ursache für das Auftreten eines ABP war die Wahl der Arzneimittelsubstanz (49,8 %) (eTabelle 2). Die Zahl der pro Patient festgestellten Interaktionseffekte belief sich im Mittel auf 5,5 ± 3,9, wovon 26,8 % der Interaktionen als „klinisch relevant“ und 32,7 % als „klinisch teilweise relevant“ einzustufen waren. Primärer Endpunkt Die Analyse des Medication Appropriateness Index (MAI) zeigte, dass sich der Baseline-Score bei Patienten der Kohorte 1 von durchschnittlich 30,15 ± 24,14 auf 14,09 ± 14,80 Punkte nach 15 Monaten, bei Kohorte 2 von 43,27 ± 30,39 auf 24,47 ± 16,17 Punkte und bei Kohorte 3 von 26,07 ± 17,33 auf 18,44 ± 14,67 Punkte reduzierte (Grafik). Anzahl und Anteil der als unangemessen eingestuften Verordnungen je MAI-Kriterium fasst Tabelle 2 zusammen. Die Score-Werte unterschieden sich zwischen Kontrollund erster Interventionsphase statistisch signifikant im Mittel um −4,51 Einheiten (95-%-KI: [–6,66; –2,36], p < 0,001; Effektstärke d = −0,24, [–0,36; –0,13]). Die Durchführung einer weiteren Medikationsanalyse reduzierDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 MEDIZIN TABELLE 2 Anzahl und Anteil der unangemessenen Verschreibungen, aufgeschlüsselt nach Domänen des Medication Appropriateness Index(MAI)-Scores Betrachtete Domäne des MAI-Scores Gesamt Kohorte 1: Interventionsstart nach Ende der Rekrutierungszeit Kohorte 2: Interventionsstart nach 3 Monaten Kohorte 3: Interventionsstart nach 6 Monaten Baseline (N = 1 261) nach 15 Mon. (N = 1 283) Baseline (n = 582) nach 15 Mon. (n = 585) Baseline (n = 312) nach 15 Mon. (n = 311) Baseline (n = 367) nach 15 Mon. (n = 387) n (%) n (%) n (%) n (%) n (%) n (%) n (%) n (%) 1. Indikation für den Arzneistoff nicht vorhanden 197 (15,6) 96 (7,5) 87 (14,9) 30 (5,1) 61 (19,6) 34 (10,9) 49 (13,4) 32 (8,3) 2. Arzneistoff bei der Indikation nicht effektiv 261 (20,7) 131 (10,2) 102 (17,5) 39 (6,7) 88 (28,2) 45 (14,5) 71 (19,3) 47 (12,1) 3. Dosierung nicht korrekt 353 (28,0) 203 (15,8) 133 (22,9) 63 (10,8) 124 (39,7) 70 (22,5) 96 (26,2) 70 (18,1) 4. Applikationsweg nicht korrekt 358 (28,4) 201 (15,7) 138 (23,7) 61 (10,4) 117 (37,5) 71 (22,8) 103 (28,1) 69 (17,8) 5. Applikationsweg nicht praktikabel 322 (25,5) 154 (12,0) 132 (22,7) 42 (7,2) 99 (31,7) 57 (18,3) 91 (24,8) 55 (14,2) 6. Klinisch relevante AZMWechselwirkungen 251 (19,9) 170 (13,3) 118 (20,3) 74 (12,6) 71 (22,8) 45 (14,5) 62 (16,9) 51 (13,2) 7. Klinisch relevante Wechselwirkungen mit Begleiterkrankung 87 (6,9) 52 (4,1) 32 (5,5) 18 (3,1) 33 (10,6) 17 (5,5) 22 (6,0) 17 (4,4) 8. Doppelverordnung 82 (6,5) 43 (3,4) 40 (6,9) 20 (3,4) 29 (9,3) 13 (4,2) 13 (3,5) 10 (2,6) 218 (17,3) 114 (8,9) 84 (14,4) 28 (4,8) 77 (24,7) 43 (13,8) 57 (15,5) 43 (11,1) 118 (9,4) 86 (6,7) 46 (7,9) 32 (5,5) 39 (12,5) 27 (8,7) 33 (9,0) 27 (7,0) 9. Dauer der Anwendung nicht angemessen 10. Arzneimittel nicht kosteneffektiv Die Berechnung des MAI-Scores erfolgte gemäß der in den Arbeiten von Hanlon et al. 1992 (27) und Samsa et al.1994 (25) beschriebenen Vorgehensweise. Die Tabelle gibt die Anzahl und den Anteil der Arzneimittel wieder, welche in den einzelnen Domänen des MAI-Scores als unangemessen beurteilt wurden. AZM, Arzneimittel; N, Gesamtanzahl in Stichprobe; n, Anzahl in Untergruppen; Mon., Monate te den durchschnittlichen MAI-Score im Vergleich zu Patienten mit einem Assessment zusätzlich um −0,99 Einheiten [−3,96; 1,97], p = 0,510; d = −0,04, [−0,17; 0,08]). Sensitivitätsanalysen (Tabelle 3) ergaben, dass die Veränderung des durchschnittlichen MAI-Scores vor allem durch die verbesserte Qualität der verordneten Medikation und nicht durch eine geänderte Arzneimittelanzahl entstand. Sekundäre Endpunkte Die Anzahl der arzneimittelbezogenen Probleme verringerte sich (−0,45, [−0,81; −0,09]; p = 0,014; d = −0,13, [−0,23; −0,03]). Die zweite Medikationsanalyse zeigte keine zusätzliche Reduktion. Je nach Ursachenkategorie wurden bis zu 60 % der ABPs gelöst (eTabelle 1). Bezüglich der weiteren Endpunkte konnte kein Einfluss des Medikationsmanagements nachgewiesen werden (Tabelle 3). Diskussion Ergebnisse im Kontext der Literatur In der Studie konnte ein statistisch signifikanter Effekt der Intervention auf die Qualität der Arzneimitteltherapie nachgewiesen werden, die Anzahl arzneimittelbezogener Probleme reduzierte sich ebenfalls. Beide Aspekte gelten als Indikatoren zur Beurteilung der Arzneimitteltherapiesicherheit (30). Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 Nach unserem Wissen ist die Studie die erste publizierte Untersuchung, die für Deutschland Erkenntnisse zur Wirksamkeit eines krankheitsübergreifenden interprofessionellen Medikationsmanagements im ambulanten Versorgungssetting generiert. Eine Studie von Wolf et al. (2015) konnte für den stationären psychiatrischen Versorgungsbereich sowie die ambulante Nachbetreuung ebenfalls positive Effekte eines Medikationsmanagements auf die berichteten Parameter zeigen (30). Die Untersuchung von Henrichsmann und Hempel (2015) an Parkinson-Patienten verweist auf eine Verbesserung der Krankheitssymptomatik (31). Internationale Studien zeigen gleiche Effektrichtungen, aber unterschiedliche Effektstärken, welche zum Teil auf eine krankheitsspezifische Fokussierung des Medikationsmanagements zurückzuführen sind (9, 18, 32). Darüber hinaus nahmen in unserer Studie die Art und Anzahl der umgesetzten pharmazeutischen Empfehlungen Einfluss auf die beobachtete Veränderung der Arzneimitteltherapiequalität. Die Prozessevaluation ergab eine durchschnittliche Umsetzungsrate der pharmazeutischen Vorschläge von 54,9 %; die Rate erhöhte sich, je länger Arzt und Apotheker zusammenarbeiteten (33). Die identifizierte ABP-Anzahl entspricht der Größenordnung vergleichbarer Studien (34, 35). Allerdings basieren die einbezogenen ABPs auf 745 MEDIZIN TABELLE 3 Ergebnisse der „intention-to-treat“-Analyse für die primären und sekundären Endpunkte Studienphase mittlere Differenz im Kontrast [95-%-KI] Effektstärke*1 im Kontrast [95-%-KI] –4,51*2 [–6,66; –2,36] –0,24 [–0,36; –0,13] –0,99 [–3,99; 1,97] –0,04 [–0,17; 0,08] primäres Zielkriterium MAI-Summenscore pro Patient MAI-Summenscore pro Patient Kontrollphase Interventionsphase 1 29,21 [26,09; 32,33] 22,27 [19,00; 25,54] Interventionsphase 1 Interventionsphase 2 22,27 [19,00; 25,54] 19,08 [15,47; 22,69] sekundäre Zielkriterien Kontrollphase Interventionsphase 1 Anzahl der ABPs pro Patient 6,98 [6,27; 7,66] 5,87 [5,23; 6,54] –0,45*3 [–0,81; –0,09] –0,13 [–0,23; –0,03] Anzahl der Verordneten PIMs 0,39 [0,34; 0,44] 0,32 [0,26; 0,38] –0,04 [–0,09; 0,01] –0,08 [–0,19; 0,03] SF-12 – körperliche Summenskala 38,47 [37,45; 39,49] 38,26 [37,17; 39,34] –0,25 [–1,65; 1,15] –0,02 [–0,16; 0,11] SF-12 – psychische Summenskala 46,30 [45,04; 47,57] 46,06 [44,76; 47,36] –0,96 [–2,74; 0,82] –0,07 [–0,20; 0,06] ADL (gemäß Barthel-Index) 94,83 [93,75; 95,91] 94,99 [93,84; 96,14] 0,46 [–0,90; 1,82] 0,04 [–0,08; 0,16] 6,64 [6,50; 6,78] 6,40 [6,24; 6,55] –0,20 [–0,43; –0,02] –0,12 [–0,26; 0,01] 22,20 [21,10; 23,30] 21,66 [20,55; 22,78] –0,37 [–1,13; 0,40] –0,06 [–0,18; 0,06] Mittlerer MAI-Score pro Patient und Arzneimittel 3,01 [2,71; 3,30] 2,30 [2,00; 2,61] –0,48*2 [–0,67; –0,29] –0,27 [–0,38; –0,16] Anzahl verordneter Arzneimittel pro Patient 9,77 [9,51; 10,04] 9,83 [9,54; 10,12] 0,09 [–0,18; 0,36] 0,04 [–0,07; 0,15] iADL (nach Lawton und Brody) Mobilitätstest nach Tinetti Sensitivitätsanalyse MAI-Score*4 Wenn nicht anders gekennzeichnet, entspricht die Darstellung M [95-%-KI]. Die aufgeführten Ergebnisse entsprechen einem gemischten Modell mit einer besonderen Modellspezifikation, mit welcher der reine Effekt des Medikationsmanagements deutlich wird. Dargestellt sind für den primären Zielparameter die Effekte der ersten Interventionsphase (das heißt Effekte einer erstmaligen Umstellung auf die Intervention) sowie die Effekte, welche durch eine zweite Medikationsanalyse (Interventionsphase 2) zusätzlich erreicht wurden. Für alle sekundären Endpunkte sind ausschließlich die Ergebnisse aus der Kontrollphase und der Interventionsphase 1 dargestellt. ABP, arzneimittelbezogene Probleme; ADL, Aktivitäten des täglichen Lebens; iADL, .instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens; KI, Konfidenzintervall; MAI, Medication Appropriateness Index *1entspricht Cohen’s d; *2statistisch signifikant mit p ≤ 0,001; *3p = 0,014; *4Beschreibung der Sensitivitätsanalyse siehe eKasten 3 der reinen Arztdokumentation, um Kontroll- und erste Interventionsphase auf gleicher Datengrundlage zu beurteilen. Die erreichte Verbesserung in der Angemessenheit der Medikation ist als wichtiger Schritt hin zu einer höheren Arzneimitteltherapiesicherheit zu bewerten, auch wenn derzeit noch unklar ist, ab wann im vorliegenden Setting von einer relevanten klinischen Verbesserung auszugehen ist. Die aktuelle Literatur stellt diesbezüglich noch keine klare Evidenz bereit (18, 19, 21, 32). In Sekundäranalysen der Studiendaten untersuchen wir daher, welche Änderung im MAI-Score zu einer klinisch signifikanten Verbesserung patientenrelevanter Endpunkte führt. Stärken und Schwächen Es konnte ein detaillierter Datensatz für 142 multimorbide Patienten mit Polymedikation aufgebaut werden, welcher genaue Einblicke in die gesamte Lebens- und Versorgungssituation der Patienten eröffnet. Das verwendete „stepped wedge“-Design ermöglichte zudem eine umfangreiche Prozessevaluation. Allerdings umfasst die Studie eine regionale Gelegenheitsstichprobe, welche 746 Arztpraxen einschließt, die zur Teilnahme bereit waren. Ein Selektionseffekt (zum Beispiel bestimmte Verordnungsprofile, Schwerpunktpraxen) kann daher nicht ausgeschlossen werden. Dies lassen auch die Unterschiede in der Patientenstruktur der Praxen vermuten. Eine durch den Arzt vorgenommene Patientenselektion ist hingegen unwahrscheinlich, da die einzuschließenden Studienteilnehmer per Zufallsstichprobe aus der Gesamtheit aller in einer Praxis relevanten Patienten gezogen wurden. Eine weitere Schwäche ist die geringe Fallzahl der Studie. Trotz des betriebenen Rekrutierungsaufwandes konnte der geplante Umfang von 240 Patienten nicht erreicht werden. Hierzu hätte es einer längeren Rekrutierungszeit bedurft, welche durch die begrenzte Laufzeit des Förderprogramms nicht gegeben war. Vor allem für die Evaluation der patientenrelevanten Endpunkte war die Fallzahl nicht adäquat. Als weitere Limitation unserer Studie ist das Vorgehen bei der Bestimmung des MAI zu nennen. Die Apotheker waren bei der Berechnung des Scores gegenüber der Kohortenzugehörigkeit der Patienten verblindet, jedoch teilweise in die Erstellung der Medikationsanalysen involviert. Sie können somit nicht als vollständig unabhängig Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 MEDIZIN betrachtet werden. Ebenso muss bei der Interpretation des MAI beachtet werden, dass dieser aus Gründen der Vergleichbarkeit zwischen Kontroll- und Interventionsphase auf der ärztlichen Dokumentation fußt und nicht die tatsächlich vom Patienten eingenommene Medikation beurteilte. Dadurch war die Bewertung einzelner Kriterien (Tabelle 2) nur eingeschränkt möglich. Mit Blick auf die Übertragbarkeit von Intervention und Ergebnis in die Versorgungspraxis ist zu berücksichtigen, dass die mitwirkenden Apotheker im besonderen Maße für die Medikationsanalysen qualifiziert waren (zum Beispiel aufgrund eines PharmD-Studiums). Ebenso einschränkend wirkt die Beteiligung der PuW am Medikationsmanagementprozess. Die PuW führte das Brown-Bag-Review (die Sichtung sämtlicher vom Patienten zusammengetragenen Medikamentenpackungen) im Auftrag der Apotheker durch und übernahm damit eine originär beim Apotheker zu verankernde Tätigkeit. Notwendig wurde dies, da sich bei direktem Patientenkontakt wettbewerbstechnische Vorteile für die Apotheker ergeben hätten, was den Bestimmungen des Förderprogramms entgegenstand. KERNAUSSAGEN ● Medikationsmanagement ist ein international zunehmend etablierter interprofessioneller und patientenorientierter Service. ● In unserer Studie konnten wir einen statistisch signifikanten Einfluss des interprofessionellen Medikationsmanagements auf die Qualität der Arzneimitteltherapie, gemessen mit dem Medication Appropriateness Index (MAI), nachweisen. ● Die Anzahl der arzneimittelbezogenen Probleme (ABP) wurde durch die Intervention reduziert. ● Es wurde eine profunde Diskrepanz zwischen der verordneten und der vom Patienten angewendeten Medikation festgestellt. ● Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass ein interprofessionelles Medikationsmanagement auch in Deutschland die Arzneimitteltherapiesicherheit in der ambulanten Versorgung verbessert. Schlussfolgerung Das interprofessionelle Medikationsmanagement hat sich im ambulanten Versorgungsbereich als wirksam in der Verbesserung der Qualität der Arzneimitteltherapie von älteren, multimorbiden Patienten mit Polymedikation erwiesen. Zudem konnte die Zahl arzneimittelbezogener Probleme gesenkt werden. In größeren Folgestudien sollten nun Anpassungen der Intervention an die Versorgungspraxis erfolgen. Eigene Sekundäranalysen haben zum Beispiel gezeigt, dass nicht alle Patienten von einer Teilnahme am Medikationsmanagement im gleichen Maße profitieren (33). In Anbetracht des Ressourcenaufwandes, welcher mit einer interdisziplinären Betreuung von Patienten verbunden ist, könnten daher Kriterien für die Auswahl geeigneter Patienten formuliert werden. Beispielsweise waren die Anzahl der eingenommenen Arzneimittel sowie die Abweichungen zwischen der hausärztlich verordneten/initiierten und der tatsächlich eingenommenen Medikation signifikante Einflussfaktoren für das individuelle Ansprechen auf das Medikationsmanagement. Studien mit längerer Beobachtungsdauer sollten darüber hinaus den Einfluss eines Medikationsmanagements auf patientenrelevante Endpunkte untersuchen. Danksagung Die Studie wurde im Rahmen der Ziel-2-Förderreihe „IuK & Gender med.NRW“ vom Land Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union gefördert. Die Förderer waren nicht an der wissenschaftlichen Auswertung der Daten beteiligt und hatten keinen Einfluss auf die Erstellung des Manuskripts und die Entscheidung der Einreichung zur Publikation. Die Autoren danken Kathrin Czarnecki für die Hilfe bei der Projektkoordination, Anna Ghukasyan, Dominik Tosciak, Maxim Tomachevski, Yvonne Winkler, Karolina Beifus und Vera Weinsheimer für die Eingabe der Erhebungsbögen sowie Moritz Felsch und Lena Herich für die biometrische Unterstützung. Ganz besonderer Dank gebührt dem Pharmazeuten-Team mit Carina John, Pharm.D., Dr. Marcus Lautenschläger, Damaris Mertens-Keller, Pharm.D. und Ina Richling, Pharm.D., den Pflege- und Wohnberatungen sowie Hausarztpraxen, welche die Intervention mit viel Enthusiasmus gelebt haben. Die Autoren danken zudem Prof. Dr. Falk Hoffmann (Oldenburg) für die kritische Überarbeitung des Manuskripts mit zahlreichen wertvollen Anregungen. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 Interessenkonflikt Pharm.D Rose erhielt Erstattung von Teilnahmegebühren für Kongresse, Reisekosten und Übernachtungen sowie Honorare für die Vorbereitung von wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen von Bayer, Boehringer Ingelheim, Medac, MSD und Omnicell. Pharm.D Waltering bekam Vortragshonorare von Medac, MSD und HRA-Pharma. Prof. Köberlein-Neu, Prof. Mennemann, Stefanie Hamacher, Corinna Schaffert, und Prof. Jaehde, erklären, dass kein Interessenkonflike besteht. Manuskriptdaten eingereicht: 24. 3. 2016, revidierte Fassung angenommen: 22. 8. 2016 LITERATUR 1. Bulajeva A, Labberton L, Leikola S, et al.: Medication review practices in European countries. Res Social Adm Pharm 2014; 10: 731–40. 2. Steinman MA, Hanlon JT: Managing medications in clinically complex elders: „There’s got to be a happy medium“. JAMA 2010; 304: 1592–601. 3. 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Juliane Köberlein-Neu Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Wirtschaftswissenschaft, BKG Rainer-Gruenter-Straße 21, 42119 Wuppertal [email protected] Zitierweise Köberlein-Neu J, Mennemann H, Hamacher S, Waltering I, Jaehde U, Schaffert C, Rose O: Interprofessional medication management in patients with multiple morbidities—a cluster-randomized trial (the WestGem study). Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 741–8. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0741 @ The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de Zusatzmaterial Mit „e“ gekennzeichnete Literatur: www.aerzteblatt.de/lit4416 oder über QR-Code eKästen, eTabellen, eGrafiken: www.aerzteblatt.de/16m0741 oder über QR-Code Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 MEDIZIN Zusatzmaterial zu: Interprofessionelles Medikationsmanagement bei multimorbiden Patienten Eine Cluster-randomisierte Studie (WestGem-Studie) Juliane Köberlein-Neu, Hugo Mennemann, Stefanie Hamacher, Isabel Waltering, Ulrich Jaehde, Corinna Schaffert, Olaf Rose Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 741–8. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0741 eLITERATUR e1. Lawton MP, Brody EM: Assessment of older people: self-maintaining and instrumental activities of daily living. Gerontologist 1969; 9: 179–86. e2. Tinetti ME: Performance-oriented assessment of mobility problems in elderly patients. J Am Geriatr Soc 1986; 34: 119–26. e3. Ahrens W, Bellach B, Jöckel K: Messung soziodemographischer Merkmale in der Epidemiologie. München: Urban & Vogel 1998. e4. Hudon C, Fortin M, Soubhi H: Abbreviated guidelines for scoring the Cumulative Illness Rating Scale (CIRS) in family practice. J Clin Epidemiol 2007; 60: 212. e5. Schaeffner ES, Ebert N, Delanaye P, et al.: Two novel equations to estimate kidney function in persons aged 70 years or older. Ann Intern Med 2012; 157: 471–81. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 | Zusatzmaterial I MEDIZIN eKASTEN 1 eKASTEN 2 Detaillierte Erläuterung der Arzt- und Patientenrekrutierung Berechnung des MAI-Scores Für die Rekrutierung der teilnehmenden Praxen wurden zwischen März und August 2013 alle Hausärzte der beiden Regionen schriftlich über die geplante Studie informiert und zur Teilnahme eingeladen. Die Auswahl der Studienpraxen erfolgte damit nicht zufällig, sondern sie basierte auf der freiwilligen Entscheidung der Praxisinhaber. Die Rekrutierung der Patienten erfolgte von September bis Dezember 2013. Um ein mögliches Selektionsbias bei der Rekrutierung zu vermeiden beziehungsweise zu reduzieren, wurde bei der Auswahl der Studienpatienten zweistufig vorgegangen: 1) Jede teilnehmende Praxis stellte durch das Praxispersonal eine Liste aller Patienten zusammen, die den Ein- und Ausschlusskriterien entsprachen. Ausnahme war dabei das Einschlusskriterium „unterschriebene Teilnahmeerklärung“, das erst im zweiten Rekrutierungsschritt relevant wurde. Die Patientenliste wurde pseudonymisiert und an einen unabhängigen Statistiker übergeben. Dieser zog auf der Basis der Praxislisten eine je 40 Patienten umfassende Zufallsstichprobe und sendete sie in Form einer Rekrutierungsliste an den teilnehmenden Hausarzt. 2) Die so ausgewählten potenziellen Teilnehmer erhielten anschließend vom Hausarzt eine Studieneinladung inklusive Informationen und einer Einverständniserklärung. Darüber hinaus wurden in einem persönlichen Gespräch die Inhalte der zugesandten Unterlagen besprochen und bei Einwilligung zur Teilnahme die unterschriebene Erklärung eingeholt. Stimmten nach Ansprache aller Patienten einer Rekrutierungsliste weniger als 20 zu (vgl. Fallzahlschätzung), so wurde aus dem ursprünglichen Teilnehmerpool der Praxisliste eine erneute Stichprobe gezogen und weitere Studieneinladungen wurden versendet. II Der MAI-Score wurde zur Bestimmung des primären Zielparameters ausgewählt, da er eine umfassende und valide Beurteilung der Angemessenheit der Medikation gewährleistet. Der Score sieht die Bewertung jedes vom Patienten eingenommenen Arzneimittels durch 10 Kriterien vor (Tabelle 2). Diese wurden mit Hilfe von Bewertungsanweisungen und Beispielen operationalisiert und auf einer 3 Punkte umfassenden Skala (1 – angemessen, 2 – marginal angemessen, 3 – unangemessen) beurteilt. Anschließend wurden die Bewertungen dichotomisiert und die Kriterien gewichtet. Kriterien, die für ein Arzneimittel als angemessen oder marginal angemessen eingeschätzt wurden, erhielten den Wert „0“. Als „unangemessen“ beurteilte Kriterien wurden mit „1“ kodiert (27). Sie wurden anschließend entsprechend der Publikation von Samsa et al. (1994) gewichtet (25): Der MAI-Summenscore pro Arzneimittel berechnete sich durch Aufaddieren der je Kriterium erzielten Werte. Jedes Arzneimittel konnte so zu einem Score von bis zu 18 Punkten gelangen, wobei mit steigender Punktzahl ein zunehmender Grad an Unangemessenheit ausgedrückt wurde. Pro Patient wurde zudem ein Gesamtscore durch Aufsummierung der je Arzneimittel erzeugten Scores gebildet (25, 27). Um mit dem MAI-Score die Angemessenheit der Arzneimitteltherapie valide und verlässlich bestimmen zu können, müssen umfangreiche klinische Informationen zum Patienten vorliegen, zum Beispiel zur Verordnungshistorie (26). Durch den Informationsaustausch zwischen Hausarzt, Pflege- und Wohnberatung sowie Apotheker konnte dies in der WestGem-Studie gewährleistet werden. Jeweils zwei Apotheker bewerteten den MAI-Score eines Patienten. Sie waren gegenüber der Kohortenzugehörigkeit der Patienten verblindet. Bewertungsgrundlage bildete die ärztliche Dokumentation. Eine Bestimmung auf der Basis der beim Patienten im häuslichen Umfeld vorgefundenen Medikation – welche die tatsächlich eingenommenen Arzneimittel eher abgebildet hätte – war hierbei nicht sinnvoll, da die Informationen zur tatsächlichen Medikation nur für die Interventionsphase vorlagen. Der Vergleich zur Kontrollgruppe wäre damit nicht möglich gewesen. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 | Zusatzmaterial MEDIZIN eKASTEN 3 Weiterführende Beschreibungen zur Auswertung der Endpunkte Zuordnung zur Kontroll- und Interventionsphase Das Medikationsmanagement der WestGem-Studie umfasste sowohl die Professionsebene, das heißt die Beziehung zwischen Arzt und Apotheker, als auch die Patientenebene, das heißt die Interaktion zwischen Arzt und Patient. Dieser mehrstufige, komplexe Charakter hätte dazu führen können, dass sich der Treatment-Effekt in der Interventionsphase erst mit großen Verzögerungen zeigte. Um diesen Aspekt bei der Zuordnung der Patienten zur Interventions- und Kontrollphase zu berücksichtigen, wurden die Studienteilnehmer nicht bereits zum Zeitpunkt des Wechsels von der Kontroll- in die Interventionsphase, sondern erst zum übernächsten Dokumentationszeitpunkt der Interventionsphase zugeordnet. Es ist nicht auszuschließen, dass einige Patienten dadurch bereits Treatment-Effekte zeigten, obwohl sie noch der Kontrollphase zugehörten. Diese Verzerrung kann jedoch vernachlässigt werden, da sie zu einer Unterschätzung des Interventionseffektes führen würde. Weiterführende Erläuterungen zum gemischten Modell Für die Wirksamkeitsanalyse des Medikationsmanagements wurde ein gemischtes Modell erstellt mit dem MAI-Summenscore der Dokumentationszeitpunkte 2 bis 7 als abhängige Variablen. Neben dem MAI-Baseline-Wert gingen die Dokumentationszeitpunkte, der Behandlungsstatus (Kontrollphase/Interventionsphase mit einer Medikationsanalyse/Interventionsphase mit zwei Medikationsanalysen) sowie die Interaktion zwischen Dokumentationszeitpunkt und Behandlungsstatus als feste Effekte ein. Die Praxiszugehörigkeit wurde als zufälliger Effekt berücksichtigt. Die Zeitabhängigkeit des MAIScores aufgrund der wiederholten Messungen wurde mittels einer „heterogenous first-order autoregressive“-Kovarianzstruktur modelliert. Um den reinen Effekt der Intervention, das heißt den Wechsel von der Kontroll- in die Interventionsphase sowie von der Interventionsphase mit einem Assessment in die Interventionsphase mit zweitem Assessment bewerten zu können, wurden nur die Zeitpunkte im gemischten Modell berücksichtigt, zu denen für die jeweiligen Vergleichsphasen Scores vorlagen. Das gemischte Modell wurde daher um sogenannte Kontraste erweitert, die den MAIScore zu den entsprechenden Zeitpunkten vergleichen: ● Kontrast 1 für den Vergleich der Kontrollphase versus Interventionsphase 1, also den grundsätzlichen Wechsel in die Intervention und das damit verbundene erste Assessment: Dokumentation 4 und 5 ● Kontrast 2 für den Vergleich der Interventionsphase 1 mit der Interventionsphase 2, also den Übergang in die Interventionsphase 2, welcher durch ein zweites Assessment erfolgt: Dokumentation 6 und 7 (Sensitivitätsanalyse). Erläuterungen zur Sensitivitätsanalyse Das gemischte Modell des primären Endpunktes berücksichtigt als abhängige Variable den pro Patient gebildeten MAI-Summenscore, das heißt die MAI-Scores der einzelnen Arzneimittel wurden, wie in eKasten 2 dargelegt, aufsummiert. Somit kann die Angemessenheit der Gesamttherapie abgebildet werden. Bedingt durch diese Summenbildung ist die Höhe des MAI-Scores zum einen abhängig von der Angemessenheit jedes einzelnen Arzneimittels, zum anderen wird sie durch die Anzahl der Arzneimittel bestimmt. Ebenso verhält es sich mit der Entwicklung des MAI-Summenscores pro Patient über die Studienlaufzeit, der entweder durch eine Reduktion in der Anzahl der Arzneimittel, durch Veränderungen der Angemessenheit der verordneten Medikation oder durch das Zusammenspiel beider Faktoren zustande kommt. Da in der Hauptanalyse zwischen den beschriebenen Effekten nicht differenziert wurde, erfolgte unterstützend eine Sensitivitätsanalyse, die im gemischten Modell als abhängige Variable den mittleren MAI-Score je Patient berücksichtigte. Das heißt, die Einzelbewertungen je Arzneimittel wurden für den Gesamtscore eines Patienten nicht aufsummiert, sondern es wurde der mittlere MAI-Score je Patient und Arzneimittel gebildet. Alle übrigen Spezifikationen des Modells wurden beibehalten. Zudem wurde geprüft, ob sich die Anzahl der Arzneimittel signifikant reduziert hatte. Hierdurch war es möglich abzuschätzen, ob die beobachtete Entwicklung des MAI-Scores lediglich durch eine Reduktion oder Zunahme der Arzneimittel bestimmt worden war oder ob sich zusätzlich die Angemessenheit der einzelnen Arzneimittel durch die Intervention verändert hatte. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 | Zusatzmaterial III MEDIZIN Definition einer Medikationsanalyse (nach Pharmaceutical Care Network Europe) (12) eGRAFIK 1 Stufe 3 Stufe 2 Stufe 1 Medikationsdaten (z. B. aus der Apotheke) IV Medikationsdaten + Patienteninterview Medikationsdaten + Patienteninterview + Arztdaten Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 | Zusatzmaterial MEDIZIN eGRAFIK 2 EINSCHLUSS zur Studie eingeladene Ärzte: – 70 Ärzte wurden angeschrieben; 13 Ärzte antworteten ausgeschlossen: Gründe: krankheitsbedingter Ausfall (1 Praxis) ANALYSE FOLLOW-UP ALLOKATION randomisiert: 12 Ärzte zu Kohorte 1 zugewiesen (Medikationsmanagement nach T1): 4 Ärzte; mittlere Anzahl der Patienten = 17; Spannweite = 13–19; Studienteilnehmer in Kohorte 1: 66 Patienten zu Kohorte 2 zugewiesen (Medikationsmanagement ab T2): 4 Ärzte; mittlere Anzahl der Patienten = 13; Spannweite = 6–24; Studienteilnehmer in Kohorte 2: 49 Patienten primärer Zielparameter MAI: T0/1: 59 Patienten T2: 55 Patienten T3: 55 Patienten T4: 56 Patienten T5: 56 Patienten T6: 54 Patienten primärer Zielparameter MAI: T0/1: 40 Patienten T2: 40 Patienten T3: 35 Patienten T4: 35 Patienten T5: 34 Patienten T6: 32 Patienten Abbruchgründe gemäß Abbruchbogen: 1 Patient an Vorerkrankung gestorben; 4 Patienten auf eigenen Wunsch ohne Interventionsbezug Abbruchgründe gemäß Abbruchbogen: 2 Patienten an Vorerkrankung gestorben; 6 Patienten auf eigenen Wunsch ohne Interventionsbezug Auswertungskollektiv: 59 Pat. „intention-to-treat“-Kollektiv 56 Pat. Per-Protocol-Kollektiv Auswertungskollektiv: 40 Pat. „intention-to-treat“-Kollektiv 35 Pat. Per-Protocol-Kollektiv zu Kohorte 3 zugewiesen (Medikationsmanagement ab T3): 4 Ärzte; mittlere Anzahl der Patienten = 12; Spannweite = 4–20; Studienteilnehmer in Kohorte 3: 47 Patienten primärer Zielparameter MAI: T0/1: 43 Patienten T2: 43 Patienten T3: 43 Patienten T4: 43 Patienten T5: 43 Patienten T6: 43 Patienten Auswertungskollektiv: 43 Pat. „intention-to-treat“-Kollektiv 43 Pat. Per-Protocol-Kollektiv CONSORT-Flow-Chart MAI, Medication Appropiateness Index; Pat., Patienten; T, Dokumentationszeitpunkt Erläuterung der Dokumentationszeitpunkte: T0, Baseline-Erhebung zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses; T1, Erhebung zum Ende der Rekrutierungszeit; T2, 3 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T3, 6 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T4, 9 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T5, 12 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T6, 15 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit Erläuterungen zu Abbruch auf „eigenen Wunsch ohne Interventionsbezug“ gemäß Abbruchbogen: Umzug ins Pflegeheim/zu Kindern und damit Arztwechsel; Änderung der Familiensituation (z. B. Tod des Ehepartners) und keine Zeit für Studie; längere stationäre Aufenthalte inklusive Reha. Aus den im Abbruchbogen aufgeführten Gründen konnte kein Interventionsbezug hergestellt werden. Definition des „intention-to-treat“(ITT)-Kollektivs: Alle randomisierten Patienten, deren Einverständniserklärung vorliegt, die alle Ein- und Ausschlusskriterien erfüllen und für die mindestens der Baseline-MAI-Score erhoben wurde, werden in das ITT-Kollektiv aufgenommen. Alle Patienten in diesem Kollektiv werden in der Gruppe ausgewertet, der sie per Randomisierung zugeteilt wurden. Definition des Per-Protocol(PP)-Kollektivs: Alle Patienten des ITT-Set, die gemäß des per Randomisierung zugeteilten Clusters das Medikationsmanagement erhalten haben und für die neben dem Baseline-MAI-Score mindestens zwei weitere MAI-Scorewerte nach dem Wechsel von der Kontroll- in die Interventionsgruppe erhoben wurden. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 | Zusatzmaterial V MEDIZIN eTABELLE 1 Beschreibung der Gesamtintervention Medikationsmanagement (Erst- und Folge-Assessment) Teilschritte der Intervention I. Datenübermittlung an die Pflege- und Wohnberatung Inhalt Beteiligte Professionen (Qualifikation) unter anderem Patientencharakteristika, Diagnosen, verordnete und bekannte Medikation, vom Patienten beurteilte Lebensqualität (SF-12), Sturzgefahr (Tinetti), Unverträglichkeiten und Allergien Hausarzt (praktischer Arzt/Facharzt für Allgemeinmedizin/ Internist) II. Besuch des Patienten im häuslichen Umfeld vom Patienten tatsächlich eingenommene Arzneimittel, Einnahmemodalitäten, verordnender Arzt bzw. ob Selbstmedikation (gemäß Patientenangabe), Aufbewahrungsort/Lagerung der Arzneimittel, Patientenwissen über die eingenommenen Arzneimittel, Therapiemotivation Zeitlicher Umfang für Patientengespräch zur Medikation: – Erst-Assessment: 30–45 min – Folge-Assessment (siehe VII.): 15–30 min 3 Pflege- und Wohnberater (Dipl.-Sozialpädagoge, Gerontologe, Pflegewissenschaftler) III. Datenübermittlung an Apotheker (anonymisiert) hausärztliche Informationen, Informationen aus Brown-Bag-Review (bzw. Home Medicines Review) und Assessment-Ergebnisse der Pflege- und Wohnberatung 3 Pflege- und Wohnberater (Dipl.-Sozialpädagoge, Gerontologe, Pflegewissenschaftler) IV. Medikationsanalyse Medikationsanalyse: Arzneimittelinteraktionen, Kontraindikationen, Angemessenheit bzgl. Therapieziel, Doppelverordnungen, potenziell inadäquate Arzneimittel etc. Zeitlicher Umfang für Medikationsanalyse und Erstellung des Empfehlungsschreibens in Abhängigkeit vom Komplexitätsgrad: – Erst-Assessment: 1–4 Stunden – Folge-Assessment (siehe VII.): 1– 3 Stunden 6 Apotheker als Hauptbegutachter (5 Pharm.D) 2 Apotheker als Reviewer (1 Pharm.D) V. Übermittlung der Empfehlungen ggf. ergänzt durch die Pflege- und Wohnberatung (z. B. bezüglich Empfehlungen über die benötigter Hilfsmittel) Pflege- und Wohnberatung an den Hausarzt 3 Pflege- und Wohnberater (Dipl.-Sozialpädagoge, Gerontologe, Pflegewissenschaftler) VI. Rückmeldung des Hausarztes Arzt gibt Rückmeldung zur Umsetzung der Empfehlungen (Bewertung jeder Empfehlung): a. Empfehlung wurde abgelehnt, weil sie für medizinisch falsch gehalten wird, b. Empfehlung wurde aus anderen Gründen abgelehnt, c. Empfehlung wurde aus Kosten-/Budgetgründen abgelehnt, d. Empfehlung wurde angenommen, e. Empfehlung wurde teilweise übernommen Hausarzt (praktischer Arzt/Facharzt für Allgemeinmedizin/ Internist) VII. Folge-Assessment (nach sechs Monaten) Siehe Erst-Assessment Die entwickelte Intervention umfasst Prozesse des international eingesetzten Medikationsmanagements, die unterschiedlichen Beratungsleistungen der Pflege- und Wohnberatung sowie die medizinische Expertise des behandelnden Hausarztes. Dargestellt sind die Teilschritte für das Medikationsmanagement. Detailbeschreibungen zum Case-Management der Pflege- und Wohnberatung können über die Autoren bezogen werden. Die Pflege- und Wohnberatung führte im Rahmen der Studie das Brown-Bag-Review (beziehungsweise Home Medicines Review, da Gespräch im häuslichen Umfeld des Patienten) für die Apotheker durch. Die Übernahme dieser normalerweise dem Apotheker zugeordneten Aufgabe, unabhängig davon, ob als Brown-Bag- oder Home-Medicines-Review durchgeführt, war aufgrund der Bestimmungen des Förderprogramms notwendig. Ein persönlicher Kontakt zwischen Apotheker und Patient war nicht möglich. Um zu gewährleisten, dass ein vom Apotheker durchgeführtes Review und die Erhebungen der Pflege- und Wohnberatung zu vergleichbaren Ergebnissen führten, wurde im Vorfeld der Studie ein standardisiertes Erhebungsinstrument inklusive Schulungsmaterial entwickelt und im Zuge eines Pretests an 10 Patienten erprobt. Ein (telefonischer) Direktkontakt zwischen Arzt und Apotheker zur Detailabsprache war jederzeit gegeben. VI Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 | Zusatzmaterial MEDIZIN eTABELLE 2 Dokumentationsgrundlagen und -instrumente der dargestellten Endpunkte Endpunkt Erhebungsinstrument Dokumentation oder Bewertungsgrundlage Dokumentierende/ berechnende Person Dokumentationszeitpunkt T0 T1 T2 T3 T4 T5 T6 Arzneimitteltherapiequalität Medication Appropriateness Index (MAI) (27) Patientenakte (verordnete Arzneimittel) Doku: Hausarzt Berechnung: Apotheker x x x x x x x Arzneimittelbezogene Probleme Klassifikation gemäß PCNE Version 6.2 (36) Patientenakte (verordnete Arzneimittel) Doku: Hausarzt Berechnung: Apotheker x x x x x x x Arzneimittelinteraktionen ABDA-Datenbank Stand 02/2015; zusätzliche Bewertung im Kontext des individuellen Falls*1 Patientenakte (verordnete Arzneimittel) Doku: Hausarzt Berechnung: Apotheker x x x x x x x Abgleich verordnete vs. eingenommene Arzneimittel im Vorhaben entwickelte standardisierte Instrumente Patientenakte, Brown-Bag-Review Doku: Hausarzt; PuW Berechnung: Apotheker x x*2 x*2 x*2 x*2 x potenziell inadäquate Arzneimittel nach PRISCUS (37) Patientenakte (verordnete Arzneimittel) Doku: Hausarzt Berechnung: Apotheker x x x x x x Lebensqualität SF-12 (38); EuroQoL (EQ-5D) (39)*3 Telefoninterview Doku: Patient/ Interviewer x x x x x x Alltagskompetenz ADL (40), iADL (e1) Telefoninterview Doku: Patient/ Interviewer x x x x x x Gangsicherheit und Sturzneigung Mobilitätstest nach Tinetti (e2) ärztlicher CRF Doku: Hausarzt x x x x x x soziale Situation*3 Erfassung der sozialen Situati- Telefoninterview on (SoS) nach Nikolaus (28) Doku: Patient/ Interviewer x x x x x x soziodemografische Daten Fragebatterien aus dem Sozioökonomischen Panel (e3) ärztlicher CRF, Telefoninterview Doku: Hausarzt, Patient/Interviewer x Erkrankungen ICD-10 Patientenakte Doku: Hausarzt x x x x x x x Krankheitsschwere CIRS-G (Cumulative Illness Rating Scale – German) (e4) ärztlicher CRF Doku: Arzt x x x x x x x glomeruläre Filtrationsrate Cockcroft-Gault-Formel (e5) Patientenakte Doku: Hausarzt Berechnung: Apotheker x x x x x x x x x x T0, Baseline-Erhebung zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses; T1, Erhebung zum Ende der Rekrutierungszeit; T2, 3 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T3, 6 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T4, 9 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T5, 12 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; T6, 15 Monate nach Ende der Rekrutierungszeit; ABDA, Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände; ADL, Aktivitäten des täglichen Lebens; iADL, .instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens; CRF, Case Report Form; Doku, Dokumentation; PuW, Pflege und Wohnberatung *1 Zunächst wurde eine Interaktionsprüfung mit der ABDA-Datenbank durchgeführt. Diese unterteilt in 8 Schweregrade (von „keine Maßnahmen erforderlich“ bis „kontraindiziert“). Ob und in welchem Maße eine Interaktion in der Therapie relevant war, wurde nach pharmakotherapeutischer Abwägung durch die Pharmazeuten entschieden. So erfasst die ABDA-Datenbank beispielsweise die Interaktionen nur pärchenweise. Wirken aber mehr als 2 Wirkstoffe auf gleiche Cytochrom-P450-Isoenzyme oder Organsysteme ein, so wurde die Relevanz in der Interaktion hochgestuft. Ebenso flossen patientenindividuelle Parameter wie Laborwerte, Diagnosen und soziologische Informationen mit in die Bewertung der Relevanz ein. Zu jeder Interaktion wurden dann mögliche und sinnvolle Maßnahmen vorgeschlagen, gegebenenfalls wurden passende Alternativwirkstoffe genannt, die aus Sicht der Interaktion unproblematischer waren und dem therapeutisch Gewollten möglichst nahekamen. Für die Auswertung der Interaktionen wurde in „relevant“, „teilweise relevant“ und „ nicht relevant“ unterschieden. „Relevant“ in diesem Sinne war eine Interaktion, bei der nach pharmazeutischer Beurteilung konkreter Handlungsbedarf bestand. Als „teilweise relevant“ wurden Interaktionen eingestuft, wenn bestimmte Risikofaktoren (z. B. Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz) Maßnahmen sinnvoll machten. „Nicht relevant“ waren Interaktionen, die lediglich einer Überwachung bedurften. 2 * Nach Baseline erhobene Werte liegen kohortenspezifisch zum jeweiligen Wechselzeitpunkt (Erst-Assessment) und zum Zeitpunkt des Folge-Assessments (6 Monate nach Erst-Assessment) vor. 3 * Ergebnisse nicht dargestellt. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 | Zusatzmaterial VII MEDIZIN eTABELLE 3 Ursachen für das Auftreten/die Feststellung von arzneimittelbezogenen Problemen Ursachenkategorie mit Beispielen nach Pharmaceutical Care Network Europe (PCNE) Gesamt Kohorte 1: Interventionsstart nach Ende der Rekrutierungszeit Kohorte 2: Interventionsstart nach 3 Monaten Kohorte 3: Interventionsstart nach 6 Monaten Baseline (N = 1 588) gelöste ABPs Baseline (n = 688) gelöste ABPs Baseline (n = 425) gelöste ABPs Baseline (n = 475) gelöste ABPs N (%) % n (%) % n (%) % n (%) % 1. Substanzauswahl (ungeeigneter Arzneistoff, ungeeignete Kombination, zu viele Wirkstoffe für die Indikation) 791 (49,8) 26,0 323 (46,9) 38,7 216 (50,8) 27,8 252 (53,1) 8,3 2. galenische Form (ungeeignete galenische Form) 6 (0,4) 0 2 (0,3) 0 3 (0,7) 0 1 (0,2) 0 3. Dosisauswahl (Dosis zu niedrig/zu hoch/nicht häufig genug) 312 (19,6) 30,1 134 (19,5) 44,0 82 (19,3) 18,3 96 (20,2) 20,8 4. Behandlungsdauer (Behandlungsdauer zu kurz/lang) 25 (1,6) 32,0 13 (1,9) 46,2 6 (1,4) 33,3 6 (1,3) 0 5. Anwendungsprobleme (Zeitpunkt nicht angemessen, AZM zu häufig/ selten eingenommen, falsches AZM eingenommen) 320 (20,2) 27,2 135 (19,6) 45,2 88 (20,7) 18,2 97 (20,4) 10,3 6. Logistik ( AZM nicht lieferbar, falsches AZM dispensiert) 10 (0,6) 60,0 8 (1,2) 62,5 2 (0,5) 50,0 0 – 0 7. Patient (vergisst Einnahme, Aufbewahrung nicht angemessen) 21 (1,3) 28,6 13 (1,9) 46,2 3 (0,7) 0 5 (1,1) 0 8. andere Ursache 103 (6,5) 33,0 60 (8,7) 56,7 25 (5,9) 0 18 (3,8) 0 ABP, arzneimittelbezogene Probleme; AZM, Arzneimittel; N, Gesamtanzahl in Stichprobe; n, Anzahl in Untergruppen VIII Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 44 | 4. November 2016 | Zusatzmaterial
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