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DIE JÄGERINNEN
R o l a n d
R e c k
Wenn Diana zur Flinte greift
WEILER BEI BERG. Ist es eine Finte oder eine besonders raffinierte
Camouflage? Dass sich die Jägerinnen im Kreis Ravensburg ausgerechnet im „Gasthof Waldfrieden“ in Weiler bei Berg um den Stammtisch
versammeln? Unten im Ort gibt es noch den „Hirsch“, der röhrt direkt
an der Straße, der „Waldfrieden“ versteckt sich am Hang, man muss
ihn suchen.
Jagende Frauen sind im Tann noch immer seltene Lebewesen. Aber hier im „Waldfrieden“ sitzen
gleich ein Dutzend zusammen unter reichlich toten Tieren, die ausgestopft die Wände zieren. Aus
der Ecke balzt ein Birkhahn von vergangenen Zeiten. Kein Wunder: der Wirt und seine Gattin gehen ebenfalls auf die Pirsch. Folglich gibt es auch
Wildsuppe aus eigener Jagd mit hausgemachten
Seelen, die legendär sind. „Seelenwirtschaft“
heißt der „Waldfrieden“ deshalb auch. Viel Gefühl
an einem Ort. Und um viel Gefühl geht es auch bei
der Jagd, erfahre ich.
im Spätherbst und Winter Treibjagden nicht nur
auf Wildschweine – das finden alle gut –, sondern
auch auf Rehwild, weil die niedlichen Tiere dem
Waldnachwuchs besonders zusetzen.
Von dieser Art der Jagd halten die Jägerinnen im
„Waldfrieden“ gar nichts. So viel sei gewagt zu sagen. Doch die Skepsis der Frauenrunde gegenüber
dem neugierigen Eindringling ist spürbar. Schließlich hat er sich selbst eingeladen mit der Begründung, er wolle wissen, warum Frauen jagen und
ob sie anders jagen als Männer. Und hätte er sich
nicht als Waidgenosse ausgeben können, der die-
Kleine Übungseinheit im „Waldfrieden“. Jägerinnen pflegen die Tradition, gingen damit aber „unverkrampfter“ um als Männer, meint Josefine Köberle, die Wirtin und Obfrau der Berger Jagdhornbläserinnen (Bildmitte).
Foto: Reck
Sicherlich, denn die Jagd ist nur noch Leidenschaft, seit es dabei nicht mehr um das Überleben
der Sippe geht. Und das ist in unseren Gefilden
schon sehr lange her, dass erfolglose Jäger den
Hungertod starben. Der Streit um die Jagd und
auch der unter den Jägern ist deshalb schon lange ein Luxusproblem. Man braucht sie überhaupt
nicht, schimpfen die Tierschützer. Man braucht
sie sehr wohl als Regulativ, behaupten die Jäger,
aber bitte nicht zu viel Beute machen, mahnen
die einen, doch, sagen die anderen, Jagd ist Handwerk zum Schutz und zur Verjüngung des Waldes und keine Gefühlsduselei. Jagd muss effektiv
sein, fordert die Försterfraktion und veranstaltet
se Leidenschaft mit der Muttermilch eingesaugt
hat, hätte er den „Waldfrieden“ womöglich nie
betreten.
Und damit hätte er auch nicht erfahren, dass es
in Berg landauf, landab die einzige rein weibliche
Waldhornbläsergruppe gibt, die frisch-auf im
„Waldfrieden“ eine musikalische Kostprobe abliefert – zum Gefallen der übrigen Gäste. Es ist also
so, dass die Damen sehr wohl aufzutreten wissen,
um ihrer Zunft Ehre zu machen, aber dem Journalisten trauen sie nicht so recht über die Spur.
Jäger, so behauptet der Deutsche Jagdschutz Verband (DJV), sind (ähnlich den politischen Grünen,
mit denen der DJV sonst wenig gemein hat) in der
Mitte der Gesellschaft angekommen. Die jüngste Statistik soll es belegen. Jagd ist kein Privileg
mehr wie einst, als nur der Adel die Büchse führte, und auch der Geldadel besetzt nur noch eine
kleine Nische, vielmehr kommen die Lodenträger
aus allen Branchen und Berufen und frönen in
ihrer Freizeit ihrer Leidenschaft. Es ist ein Hobby,
was Jäger aber ungern als solches bezeichnen.
Man möchte sich nicht gemein machen mit den
vielen anderen Naturnutzern, über die man sich
häufig genug ärgert, wenn sie einem die Pirsch
versauen. Doch vor allen Dingen pochen die Jäger
in Unterscheidung zu den vielen, die Wald und
Flur betreten, darauf, Naturschützer zu sein. Aber
auch von dieser Seite droht Ungemach, weil die
Naturschützer den blinden Fleck der Jäger aufs
Korn nehmen, indem sie darauf hinweisen, dass
Jagd zuallererst den Egoismus befriedigt – was
von alters her auch Sinn macht, ging es dabei
doch ums Fressen.
All das ist aber an diesem Abend im „Waldfrieden“
kein Thema, wer will kann sich Wildsuppe oder
Wurstsalat bestellen und zum Nachtisch Käsekuchen. Bernadette Rüber ist Obfrau der Jägerinnen
im Kreis Ravensburg und will mit dem erst zum
zweiten Mal stattfindenden Stammtisch die jagenden Frauen zum zwanglosen Beisammensein
animieren. Dazu sind Stammtische da. Früher Ort
männlicher Selbstvergewisserung zeigt es sich,
dass Frauen inzwischen nicht nur vermehrt Rathäuser erobern, sondern neben Stammtischen
auch Hochsitze besetzen. 120 Frauen seien es und
damit stellten die Jägerinnen zehn Prozent der
Mitgliedschaft in der Kreisjägervereinigung, erklärt Bernadette Rüber. Damit liegt der Kreis Ravensburg deutlich über dem Bundesdurchschnitt
mit nur sieben Prozent. Doch auch dort sieht die
grüne Zukunft weiblicher aus, denn, so teilt der
DJV mit, in den Vorbereitungskursen zum „grünen
Abitur“ büffeln 20 Prozent Frauen.
Diana, die Jagdgöttin der Römer, ist als Garantin
des Jagdglücks weit älter als der Heilige Hubertus dies als Schutzpatron der Jäger ist, dessen
Bekehrung der Legende nach im 8. Jahrhundert
stattfand, als dem wilden Jäger ein Hirsch mit
einem Kruzifix zwischen dem Geweih erschien,
woraufhin dieser von seinem blutigen Handwerk
abließ und fürderhin Bischof wurde. Die Ambivalenz dieses Heiligen, dessen am 3. November mit
Hubertusmessen gedacht wird und dessen Bekehrung und Abkehr von der Jagd als Achtung vor
dem Schöpfer im Geschöpf von Jägern als Waidgerechtigkeit interpretiert wird, diese Ambivalenz
zwischen Abkehr und Verehrung findet sich auch
bei der römischen Göttin Diana wieder, die in der
griechischen Götterwelt Artemis hieß. Die göttliche Schönheit verwandelte nämlich Aktaion, einen lüsternen Göttling, der jagend sie beim Baden
überrascht, in einen Hirsch, woraufhin dieser von
seinen eigenen Hunden gehetzt und zerfleischt
wird. War Diana in der Mythologie noch die Göttin der Gebärenden und damit von Beruf quasi
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DIE JÄGERINNEN
Zielübung. Schießen will gelernt sein - auch für Jägerinnen eine Notwendigkeit.
Foto: © ifritzmax/fotolia.com
Den Rehböcken gilt die besondere Aufmerksamkeit der Jäger. Foto: DJV/Rolfes
Bad Waldsee. Frauen können sich wundern, wenn
bei Männern offensichtlich der Verstand aussetzt,
wenn Wildsauen im Treiben sind. „Jagdfieber“,
das beim Anblick von Wild, das der Jäger ins Visier nimmt, seinen Puls rasen lässt, kennen Frauen
sehr wohl auch, aber „Schussneid“ sei bei ihnen
nicht vorhanden, behauptet Marianne Bulander
(50), die mit ihrem Mann in Fronhofen nicht nur
ein Geschäft umtreibt, sondern seit zwei Jahren
mit ihm auch die Pachtjagd teilt, nachdem sie zuvor schon jahrelang als Treiberin und Hundeführerin für den jagdlichen Erfolg der Herren diente.
Es ist nicht selten der Anstoß aus der unmittelbaren persönlichen Umgebung, der Frauen zum
Jagdschein greifen lässt. Oder auch der Hund, den
frau nicht nur Gassi führen, sondern seiner Natur
entsprechend als Jagdkumpan einsetzen möchte.
Oder eben die Jagdmusik, die begeistert und Frauen animiert, sich mit Wildkrankheiten – schwierig
– und Schießzeug – lästig – auseinanderzusetzen,
um nicht nur als Bläserinnen, sondern auch als Jägerinnen dazu zu gehören.
Worauf die Jagdhornbläserinnen im „Waldfrieden“
allerdings Wert legen, ist, dass nicht sie in einem
Akt feministischer Willkür die Männer ausschlossen, sondern die Waidgenossen wohl „kalte Füße“
gekriegt haben, als sie in die Minderzahl gerieten
und einer nach dem anderen das Jagdhorn an den
Nagel hängte. Die Jägerinnen von Berg können’s
auch ohne. Hallali!
Hebamme, wurde sie im Mittelalter als Helferin
der Hexen diffamiert. Frauen als Sündenböcke
sind offenbar ein wiederkehrendes Phänomen.
Auch dem Jäger, der daneben schießt, „ist Diana
nicht hold“. Da schießen sie doch lieber selber!
Beim Schießen, also Beute machen, sehen die
versammelten Jägerinnen im „Waldfrieden“ denn
auch den wesentlichen Unterschied zu ihren Jagdgenossen. Sie würden „besonnener“ und „vorausdenkender“ ans Werk gehen, behauptet Andrea
Keimm-Lauter (50), die Friseurin jagt schon seit 26
Jahren und weiß, wie der Hase läuft. Auch Bernadette Rüber meint, Jägerinnen „sind besonnener
in der Art“, die 55-Jährige jagt seit 12 Jahren und
teilt sich mit ihrem Lebensgefährten ein Revier in
K a rt e l l v e rf a hr e n
Wald im Wandel - wohin?
FREIBURG. Die Universität Freiburg informiert darüber, dass das
Bundeskartellamt die staatliche Holzvermarktung und Betreuung von
Privat- und Kommunalwald ab einer Größe von 100 Hektar in BadenWürttemberg per Beschluss untersagt habe – mit der Begründung,
diese Praxis verzerre den Wettbewerb.
„Die dadurch angestoßene Neuorganisation der forstlichen Betreuung hat
bereits jetzt einen bedeutenden Wandel in der Organisationsstruktur und
im Zusammenspiel der forstpolitischen Akteure in Baden-Württemberg
eingeleitet“, berichten Prof. Dr. Daniela Kleinschmit und Dr. Andy
Selter von der Professur für Forst- und Umweltpolitik der Universität
Freiburg. Viele Akteure würden den Wandel als Verlust von Stabilität und
Sicherheit wahrnehmen, heißt es in der Pressemitteilung. Der Vorstoß des
Bundeskartellamts böte aber auch Handlungsspielräume für die informalen
Ziele aller Beteiligten: „Jeder dieser Akteure hat ein Interesse daran, den
Wandel für sich zu gestalten und zu vermeiden, als Verlierer von Macht und
Ressourcen aus dem Prozess hervorzugehen“, betont Kleinschmit. Dieses
Ringen könne aber auch unbeabsichtigte Folgen haben. „Beispielsweise
könnte sich die 100-Hektar-Grenze, unterhalb derer eine staatliche
Betreuung als zulässig erachtet wird, als Falle erweisen“, erklärt Selter.
„Waldbesitzende könnten aus forstwirtschaftlichen Zusammenschlüssen,
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deren wichtigstes Ziel es ist,
die Kooperation in den häufig
stark
zersplitterten
Waldeigentums s truk turen
zu stärken, austreten, um
weiterhin
das
staatliche
Dienstleistungsangebot
in Anspruch zu nehmen.
Dieser Effekt würde die
Zusammenschlüsse
deutlich schwächen und somit die
Chance zur Entwicklung größerer Eigenständigkeit zunichtemachen.“ Die Entscheidung
des Kartellamts bedeute eine
Herausforderung für die
Entwicklung eines institutionellen Rahmens, der ökologische,
soziale und ökonomische Leistungen von Wäldern durch innovative sowie
eigenständige Kooperationen zwischen privaten und staatlichen Akteuren
der Forstpolitik fördere.