Dr. Michael Jasch

Dr. Michael Jasch
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Autofahrer A schaltet bei einer nächtlichen
Fahrt das Fahrlicht nicht ein. Dadurch sieht
ihn der Radfahrer R nicht. R fährt deshalb
seitlich in A`s PKW und wird schwer verletzt.
-------------------A könnte sich ... strafbar gemacht haben,
indem er das Licht nicht einschaltete ...
oder
A könnte sich ... strafbar gemacht haben,
indem er mit dem unbeleuchteten Pkw im
Straßenverkehr fuhr ...
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Alternative 1
... strafbar gemacht haben, indem er mit dem
unbeleuchteten Pkw im Straßenverkehr fuhr ...
aktives Tun
Tätigkeitsdelikt § 229 StGB
Alternative 2
... strafbar gemacht haben, indem er das Licht
nicht einschaltete ...
Unterlassen
Unterlassungsdelikt
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a) Einfache Konstellationen
§ Tun = wer ein Geschehen durch Einsatz von Energie
in Gang setzt oder lenkt.
§ Unterlassen = wer den Dingen ihren Lauf läßt; nicht
eingreift.
b) schwieriger...: Fahrlässigkeit
§ Kriterium: wo liegt der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens ?
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c) schwieriger...: Abbruch von Rettungshandlungen
Bsp.: A rennt los, um für den verunglückten B einen
Rettungswagen zu rufen. Auf dem Weg zum
nächsten Telefon verläßt ihn die Lust und er kehrt
lieber in einer Kneipe ein.
Unterlassen = Abbruch, bevor Rettungshandlung den
Gefährdeten erreicht und ihm eine
Rettungsmöglichkeit eröffnet (wie hier).
Tun = nach diesem Zeitpunkt wird Rettung vereitelt.
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Bsp.: Ziegenhaarfall (RGSt 63, 211)
Fabrikant verursacht den Tod von Arbeitern durch
die Ausgabe nicht desinfizierter Ziegenhaare zur
Verarbeitung
Schwerpunkt aktives Tun (Ausgabe der Haare)
Fahrlässiges Begehungsdelikt § 222
Der Ziegenhaarfall zum Nachlesen: http://www.jurakopf.de/listeausbildungsrelevanter-urteile/strafrecht/rgst-63-211-ziegenhaarfall/
- (Ebenso hier im Ausgangsfall 1 nach hM: aktives Tun)
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echte
Unterlassungsdelikte
stehen
ausdrückl.
im StGB
z.B.: § 323 c
unechte
Unterlassungsdelikte
kann jedes Erfolgsdelikt sein wenn
Pflicht zum Handeln
besteht (§ 13) - z.B.: §§
223, 13 (KV durch
Unterlassen)
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...also: Grundgedanke: Nur wenn man zum
Handeln verpflichtet ist !
Verpflichtung aus
speziellem
Strafgesetz
z.B.: § 323 c StGB
Unterlassene Hilfeleistung;
§ 138 (Nichtanzeige)
Garantenstellung
(§ 13 StGB)
„wenn er rechtl.
dafür einzustehen
hat“ (§ 13)
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I. TB
1. Objektiver TB
1.1 Eintritt TB-Erfolg (z.B.: Tod)
1.2 Unterlassen der Handlung, die
a) objektiv erforderlich war und
b) rechtlich geboten war (Garantenstellung)
1.3 Kausalität Unterlassen => Erfolg
1.4 Objektive Zurechnung des Erfolges
1.5 Gleichwertigkeitsklausel (§ 13 I letzter Halbsatz)
2. Subjektiver TB: Vorsatz
II. RW
III. Schuld
Lesetipp zur Vertiefung:http://www.str2.jura.unierlangen.de/lehre/WS200405/Materialien/AT/Skript_Unterlassen.pdf
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Der A und die B leben seit fünf Jahren in einer
studentischen Wohngemeinschaft mit 2
anderen Studenten zusammen. Seit einer
Woche leben A und B aber auch als Paar
zusammen.
Bei einem gemeinsamen Ausflug werden sie
völlig schuldlos in einen schweren Unfall
verwickelt. A, der am Steuer saß, verlässt den
Unfallort und lässt B schwer verletzt zurück. B
stirbt an ihren Verletzungen, hätte aber gerettet
werden können, wenn rechtzeitig ein Arzt
gerufen worden wäre. Strafbarkeit A ?
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A. Strafbarkeit A gem. §§ 212, 13
I. TB
1. Eintritt des Tatbestandserfolges
=> hier Tod (+), weil B verstarb.
2. Nichtvornahme gebotener Handlung
a) Objektiv zur Erfolgsabwendung geboten: Rettungsbemühungen !
b) Fraglich: War A rechtl. zum Handeln verpflichtet ?
=> Dies wäre der Fall, wenn er eine Garantenstellung inne gehabt hätte.
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Garantenstellungen
ergeben sich aus ...
1) Gesetz z.B.:
§ Ehegatten (§ 1353 BGB)
§ Eltern gegenüber Kindern (§§ 1626, 1631 BGB)
müssen gegen konkret bevorstehende
Straftaten v. Kindern einschreiten.
Nicht strafbar: Unterlassen bestimmter
Erziehungsmaßnahmen.
2) rechtl. fundierte, enge Verbundenheit
§ Verwandte gerader Linie
§ Geschwister, Verlobte
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3) andere Lebens- und Gefahrgemeinschaften
§ eheähnliche Lebensgemeinschaft
§Zusammenschluss von Bergsteigern, Seglern, usw.
§ enge, langjährige Geschäftsbeziehung (BGHSt 46, 196)
aber nur, wenn nach der Art die Gewähr für gegenseitige Hilfe und Fürsorge in sozialtypischen
Gefahrenlagen bieten soll !
NICHT:
§ Zufallsgruppe Trinkgemeinschaft
§Gruppe bei illegalem Grenzübertritt
§ Wohngemeinschaft an sich
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4) freiwillige Übernahme von Schutzpflichten
§ Baby-Sitter
§ Übernahme Krankenpflege, Arzt
§ Bergführer, Bademeister
Entscheidend: wird faktisch Schutz übernommen ?
Kriterium: sind im berechtigten Vertrauen darauf
andere Schutzmaßnahmen unterblieben / durften
unterbleiben ?
5) Amtsträger innerhalb Zuständigkeit
§ Aufsichtspflichtige Lehrer
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§ Polizeibeamte:
- wenn im Dienst, örtlich & sachl. zuständig: Pflicht zur
Verhinderung von Rechtsgutsverletzungen
außerhalb Dienst: Nur bei schweren Straftaten !
(BGHSt 38, 388; hM; str.)
§ Sozialarbeiter zum Schutz v. Kindern
§ Schulleiter zum Schutz von Schülern vor Lehrern
6) Beherrschung von Gefahrenquellen
§ Pflicht zur Sicherung für Grundstückseigentümer,
Kfz-Halter, Inhaber gefährlicher Betriebe, Halter
gefährl. Hunde u.v.a.
§ Vertrieb gefährlicher Produkte (z.B.: Toyota/Gaspedal)
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7) Ingerenz
= pflichtwidriges gefährdendes Vorverhalten.
Bsp. 1: Autofahrer verursacht schuldhaft Unfall, lässt verletztes
Opfer allein zurück.
§ Pflichtwidrigkeit muss Gefahr erhöht haben!
Bsp. 2: Beteiligung an Mißhandlungen führt zu Pflicht,
anschließ. Tötung durch einen Beteiligten zu verhindern (wenn
Gruppentat Gefahr erhöht hat).
§ Grundgedanke: wer durch Pflichtwidrigkeit für
Andere die nahe Gefahr eines Schadens verursacht, ist
zu deren Abwendung verpflichtet.
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BESCHÜTZERGARANTEN
ÜBERWACHUNGSGARANTEN
§ aus Gesetz
§ enger Verbundenheit
§ Lebens- / Gefahrge-
§ Beherrschung
meinschaft
§ freiwillige Übernahme
§ Amtsträger innerhalb
Zuständigkeit
Gefahrenquelle
- auch: Pflicht zur
Überwachung von
Personen
- Vertrieb gefährlicher
Produkte
§ Ingerenz (pflichtwidr.
gefährd. Vorverhalten)
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...zurück zu Fall 2:
Mögliche Garantenstellung des A
1) Aus Wohngemeinschaft ?
( - ) WG allein ist keine ausreichende Schutzgarantie
2) aus Beziehung („Paar“) zu der B ?
( - ) nichteheliche Lebensgemeinschaft erst
Garantenstellung, wenn gefestigt und auf Dauer angelegt.
Hier: Erst eine Woche
3) aus Ingerenz ?
( - ) A war „völlig schuldlos“ an dem Unfall.
=> §§ 212, 13 ( - )
II. § 323 c (Unterlassene Hilfeleistung) ( + )
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