SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des HandelsAusschusses im Europa-Parlament, gab heute,
27.10.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
„CETA-Gipfel: ja oder nein?“.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
27.10.2016
CETA: "Zweiter Weckruf nach Brexit"
Baden-Baden: Nach der Absage des EU-Kanada-Gipfels zum CETA-Abkommen ruft der SPDEuropapolitiker Bernd Lange dazu auf, zunächst die innereuropäischen Probleme zu klären:
Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament sagte im SWR-Tagesgespräch,
jetzt habe man noch einen zweiten Weckruf nach dem Brexit. Es bleibe am Ende der Woche
eher eine Chance für die EU, so Lange.
"Blamage würde ich vielleicht nicht so scharf sagen, aber es zeigt nochmal, dass wir in Europa
sehr scharf nachdenken müssen, wie wir alle einbeziehen, wie unsere Entscheidungsprozesse
sind und wie wir gemeinsam wieder auf einen vernünftigen Konsens kommen können und
damit auch international stärker handlungsfähig werden."
Es sei ein grundsätzliches Problem, so Lange, nicht nur der EU-Handelspolitik, dass immer
mehr Nationalismus und Regionalismus die Diskussion bestimme. Solange das der Fall sei,
werde man auch nicht mehr international handlungsfähig sein: "Wir müssen wegkommen von
den nationalen Egoismen und die grassieren in der Tat deswegen, weil wir so viele
rechtspopulistische Strömungen haben".
Rückblicken sagte Lange, es seien viele Fehler bei CETA gemacht worden, die alte EUKommission habe hinter verschlossenen Türen verhandelt, das gehe nicht. Lange forderte für
eine künftige gemeinsame EU-Handelspolitik: "großer gesellschaftlicher Dialog und klare
Entscheidungsmechanismen".
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Gediehn: Die kanadische Regierung hält trotz dieser Absage für den Gipfel heute ja an
CETA fest. Ist das Abkommen mit den Kanadiern noch zu retten?
Lange: Ich denke mal, das liegt, um das bildlich zu beschreiben, im Kühlschrank und die
Europäer gucken, welche Soßen und welche belgische Pommes Frites dazu passen und wie
das angerichtet werden muss. Und insofern, dieses Bild zeigt, es ist wirklich eine
innereuropäische Diskussion die im Moment die Probleme hervorrufen und das muss geklärt
werden und dann kann man weiter nach vorne gehen.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Gediehn: Bleiben wir beim Bild im Kühlschrank. Das da etwas, was eigentlich schon heiß
serviert werden sollte, jetzt weggestellt wird, ist das eine Blamage für die EU?
Lange: Blamage würde ich vielleicht nicht so scharf sagen. Aber es zeigt nochmal, dass wir in
Europa sehr stark darüber nachdenken müssen, wie wir alle einbeziehen, wie unsere
Entscheidungsprozesse sind und wie wir gemeinsam wieder auf einen vernünftigen Konsens
kommen können und damit ja auch international stärker handlungsfähig werden.
Gediehn: Sie haben Anfang der Woche schon gesagt, möglicherweise in weiser
Voraussicht, die EU sei nicht mehr fähig zum gesellschaftlichen Kompromiss und
brauche eine grundsätzliche Neuausrichtung. Wie muss die denn aussehen im Bezug auf
eine gemeinsame Handels- und Wirtschaftspolitik?
Lange: Ja, wir haben in der Tat ja das Problem und das ist nicht nur ein Problem der
Handelspolitik, sondern insgesamt, dass immer mehr Nationalismus und Regionalismus die
Diskussionen bestimmen. Und so lange das der Fall ist, werden wir auch nicht mehr
international handlungsfähig sein. Also wir müssen wegkommen von den nationalen Egoismen
und die grassieren in der Tat auch deswegen, weil wir so viele rechtspopulistische Strömungen
haben, die damit ja spielen. Nein wir müssen ganz bewusst sagen, wir können nur gemeinsam
nach vorne kommen und, das ist eine Aufgabe von Politik in Europa, aber vor allen Dingen
auch in den Nationalstaaten.
Gediehn: Das heißt aber, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie sehen da nicht nur ein
Misstrauen gegen Handelsabkommen, dass sich da jetzt Bahn gebrochen hat, sondern
ein grundsätzlicheres auch gegen die Europäische Union als Ganzes?
Lange: Genau. Wir haben viele Ängste, Befürchtungen bei den Menschen, Kontrollverluste
gegenüber Globalisierung, Digitalisierung, der Macht der Banken, der Konzerne. Politik muss
wieder klar sagen, wir können gestalten und zwar können wir das nur, gemeinsam in Europa
und nicht Europa ist das Problem, sondern der Nationalismus in den Nationalstaaten.
Gediehn: Schauen wir trotzdem noch einmal konkret auf das aktuelle Problem, auf CETA.
Der Sprecher der kanadischen Handelsministerin hat gesagt, Kanada ist weiter bereit
dieses Abkommen zu unterzeichnen, sobald Europa bereit ist. Aber, nicht nur angesichts
der Probleme in Belgien, sondern auch des grundsätzlichen Protestes, ist denn Europa,
sind die EU–Bürger tatsächlich bereit dazu?
Lange: Da sind natürlich viele Fehler gemacht worden. Die alte EU-Kommission hat den
‚Striemel‘, hinter verschlossenen Türen was ‘Auszukaspern‘ weiter gefahren, das geht nicht.
Moderne Handelsabkommen, die Regeln setzen wollen, die handeln mit Standards, mit
Verbraucherschutzstandards, mit Arbeitnehmerrechten und sowas kann man nicht diskutieren
hinter verschlossenen Türen. Da brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Diskus unter
Einbeziehung aller Kräfte und das muss dann gebündelt werden in einen
Entscheidungsprozess. Was jetzt passiert ist, das im letzten Moment noch eine
Regionalregierung um die Ecke gekommen ist, das kann auch nicht Gegenstand eines
vernünftigen Ablaufs sein. Also, großer gesellschaftlicher Dialog und klare
Entscheidungsmechanismen.
Gediehn: Trotzdem müssen wir ja am Ende des Tages feststellen, die Wallonen haben
eins erreicht, auch die Brüsseler, alle in der EU reden, diskutieren über CETA, über
mögliche Vor- und Nachteile. Das müsste doch eigentlich Standard sein.
Lange: Das müsste Standard sein und ich denke in vielen Bereichen, gerade in der
Bundespolitik, ist das ja dann auch passiert. Aber so ein gesellschaftlicher Diskus, der muss
überall geführt werden und da, wie gesagt, sind auch natürlich die Nationalregierungen
gefordert. Man kann das überhaupt gar nicht alles von Brüssel aus steuern, will man auch gar
nicht, sondern das muss von unten, „bottom up“, wie das so schön heißt, wachsen.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Gediehn: Kann denn da ganz konkret eine Chance für mehr Bürgerbeteiligung in der EU
entstehen. Müsste das jetzt nicht zügig kommen und wer ist da gefragt?
Lange: Wie gesagt: Ja, es muss mehr über europäische Politik diskutiert werden. Bloß, ich sage
mal, Europa, das sind wir alle. Da sind alle gefordert, diesen Diskussionsprozess zu führen und
natürlich auch die Frage in den Parlamenten, dass bevor europäische Projekte fast
unterschriftsreif sind, dass in den Parlamenten im Vorfeld, genau wie bei nationalen
Gesetzgebungen oder Gesetzgebungen auf Länderebene in den Parlamenten diskutiert wird.
Gediehn: Bleibt am Ende unterm Strich, mit der Bitte um eine kurze Antwort, am Ende
dieses Tages, dieser Woche die Blamage oder die Chance für die EU?
Lange: Ich würde eher sagen, die Chance. Jetzt haben wir noch einen zweiten Weckruf nach
dem Brexit und jetzt müssen wir wirklich anpacken.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)