Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring in

10
Emotionsregulation und emotionsfokussiertes
Prozessmonitoring in der Suchttherapie
Judith Patzig und Günter Schiepek
10.1
Der therapeutische Prozess in
der Suchttherapie
Die Forschung zu therapeutischen Veränderungsprozessen bei Patienten mit Substanzmissbrauch und Abhängigkeiten fokussierte bislang überwiegend auf Variablen wie die Art des Substanzmissbrauchs, die Dauer der Abhängigkeit, auf
Risikofaktoren sowie auf Prädiktoren des Therapieerfolgs. Zudem wurden Behandlungsansätze und -modalitäten untersucht, die Therapieeffekte verbessern
und/oder eine Chronifizierung verhindern sollten. Ähnlich wie in anderen Indikationsbereichen gibt es aber auch in der Suchttherapie kaum Hinweise auf die eindeutige Überlegenheit eines bestimmten psychotherapeutischen Ansatzes. Die Befunde zu common factors und zum Dodo-Bird-Effekt (»Everyone has won und all
must have prices«, Duncan et al. 2010) scheinen sich auch hier zu bestätigen. Wenig klare Befunde und Evidenzen gibt es zudem für die Passung zwischen Art und
Intensität der Behandlung und Patientenmerkmalen (Berglund et al. 2003). Außen
vor blieb die Betrachtung individueller Veränderungsprozesse, um die es unter
spezieller Berücksichtigung der Emotionsregulation in diesem Beitrag gehen wird.
Der psychotherapeutische Veränderungsprozess konstituiert sich aus einer
Wechselwirkung zahlreicher Variablen, die sich auf die Person des Patienten
(z. B. Ausmaß und Dauer der Suchterkrankung, Therapiemotivation, Grad der
kognitiven Beeinträchtigung, Kompetenzen und Ressourcen, usw.), auf sein familiäres, berufliches und sonstiges soziales Umfeld, auf die Persönlichkeit und
Kompetenzen des Therapeuten, auf die Qualität und Stabilität der Therapiebeziehung, auf das Therapieverfahren und das Behandlungssetting sowie auf zahlreiche andere Aspekte beziehen. Einen Überblick über die in der Psychotherapie
relevanten so genannten »Wirkfaktoren« geben Standardwerke wie Bergin and
Garfield’s Handbook of Psychotherapy and Behavior Change (Lambert 2004,
2013) oder The Heart and Soul of Change (Duncan et al. 2010) sowie das Generic Model der Psychotherapie nach Orlinsky et al. (2004). Aus der nichtlinearen Wechselwirkung dieser Faktoren resultiert eine Dynamik, die durch organisierte Komplexität und begrenzte Vorhersehbarkeit (beides in Kombination
bezeichnet man als deterministisches Chaos) gekennzeichnet ist und zudem Abfolgen von Ordnungsübergängen durchläuft (Haken und Schiepek 2006; Schiepek et al. im Druck; Strunk et al. in diesem Band). Das System der therapierelevanten Faktoren ist eingebettet in ein therapeutisches Setting, welches für einen
chaotischen und von Destabilisierungen geprägten Veränderungsprozess die not124
10 Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring
wendigen stabilen Rand- und Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt. Vor diesem Hintergrund kann Psychotherapie als ein »[. . .] prozessuales Schaffen von
Bedingungen für die Möglichkeit von Ordnungs-Ordnungsübergängen zwischen
Kognitions-Emotions-Verhaltens-Mustern eines bio-psycho-sozialen Systems in
einem professionellen Kontext« (Haken und Schiepek 2006, S. 327) verstanden
werden. Inzwischen liegen verschiedene empirische Befunde vor, die diese Sichtweise von Psychotherapie als nichtlinearen Selbstorganisationsprozess stützen.
Sie beziehen sich
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auf das Auftreten von chaotischen Dynamiken auf unterschiedlichen Zeitskalen der Therapie (Haken und Schiepek 2006; Kowalik et al. 1997; Schiepek
et al. 1997; Strunk und Schiepek 2006),
auf diskontinuierliche Veränderungen (vgl. hierzu die ständig wachsende Befundlage zu so genannten sudden gains und early rapid responses, z. B. Stiles
et al. 2003; Stulz et al. 2007),
auf die Bedeutung von kritischen Instabilitäten für den Behandlungserfolg
(Haken und Schiepek 2006) sowie
auf die sensitive Abhängigkeit des Prozesses von minimalen Unterschieden in
den Ausgangsbedingungen (so genannter »Schmetterlingseffekt«, Strunk und
Schiepek 2014; Strunk et al. in diesem Band).
Ordnungsübergänge sollten eine auf süchtiges Verhalten eingeengte Potenziallandschaft soweit verändern, dass andere und alternative Kognitions-EmotionsVerhaltens-Muster entstehen, womit sich die Freiheitsgrade des Systems erhöhen
und sich anstelle des rigiden und stabilen Problemverhaltens neue Möglichkeiten
ergeben (c Abb. 10.1). Hierbei steht die Destabilisierung der ich-syntonen Wahrnehmung des süchtigen Verhaltens im Vordergrund: Patienten nehmen sich trotz
Abb. 10.1: Veränderung einer Potenziallandschaft. Das Potenzialtal links illustriert einen
Sucht-Attraktor mit umfassendem Einzugsbereich (Bassin), hoher Stabilität
und nur minimal ausgeprägten Alternativen. Rechts eine Potenziallandschaft
mit mehreren gleichwertigen Tälern, zwischen denen das Systemverhalten,
das man sich als Kugel in dieser Landschaft vorstellen kann, hin- und her
rollen kann.
125
II Prozessmonitoring und therapeutisches Feedback
lebensbedrohlicher Zustände nicht als krank wahr. Entsprechende Verdrängungs- und Abspaltungsprozesse bewahren das Suchtverhalten einschließlich der
damit verbundenen Kognitions-Emotions-Muster und der Schutzfunktionen des
Selbst vor Veränderung (Madert 1984). Diese existenzielle Ambivalenz der Sucht
beschreiben Lüdecke et al. (2010, S. 146) als ein »[. . .] Gefangensein in einem
Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt, in dem sich der Abhängige hin und hergerissen fühlt zwischen den angenehmen und unangenehmen Folgen des Konsums, zwischen Weitermachen und Aufhören, zwischen Abhängigkeit und einem
grundlegenden Autonomiebestreben«.
Das Bewusstwerden der Abhängigkeit als Folge einer existenziellen Inkongruenz, eines Nicht-Erfüllens persönlicher und zwischenmenschlicher Bedürfnisse
(Madert 1984; Rost 1987; Lüdecke et al. 2010) kann beim Patienten eine massive Krise (Destabilisierung) auslösen und zu intensiven Scham- und Schuldgefühlen führen (Tretter 2012). Die Fähigkeit zur Emotionsregulation stößt in solchen
Situationen an Grenzen, zumal genau im Bereich der Affektregulation bei den Patienten oft Defizite bestehen. Somit können derartige Krisen kaum oder nur eingeschränkt bewältigt werden, mit der Folge von umfassender Vermeidung, eingeschränkter Realitätsprüfung und Realitätskonfrontation sowie der Verdrängung
von Problemen psychischer, gesundheitlicher, familiärer, sozialer und beruflicher
Art. Sucht wirkt als stabiler, einengender Attraktor, dessen »Sogwirkung« unter
anderem durch die dopaminerg vermittelte, emotional positive Wirkungserwartung des Suchtverhaltens zustande kommt (zur System-Neurophysiologie und
Transmitterdynamik der Sucht s. Tretter und Grüsser-Sinopoli 2011).
Am Beginn der Suchttherapie steht in den meisten Therapieansätzen die Suchtmittelabstinenz. Um Abstinenz attraktiv zu machen und als neuen Attraktor der
Lebensführung zu etablieren, sollte dieser jedoch nicht nur durch einen Verzicht
auf das Suchtmittel gekennzeichnet sein, sondern durch die Attraktivität einer
alternativen Lebensführung (Madert 1984). Dies bedeutet, neue und emotional
positiv besetzte Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster aufzubauen oder KEVMuster aus früheren Lebensphasen ohne Suchtmittelkonsum zu reaktivieren, entsprechende Ressourcen und Kompetenzen zu stärken sowie entsprechende soziale Netzwerke aufzubauen.
Übergänge zwischen Sucht und Abstinenz sind meist von kritischen Instabilitäten auf physischer und psychischer Ebene geprägt. Oftmals kommen mehrere
solcher Übergänge in beide Richtungen vor, da mit Rückfällen zu rechnen ist und
diese den Veränderungsweg ausmachen. In der Regel führt die körperliche Entgiftung zu einer Auseinandersetzung mit suchtspezifischen Kognitions-EmotionsVerhaltens-Mustern wie z. B. Selbstbewertungen, Verhaltenspräferenzen, aber
auch Vermeidungstendenzen, Ängsten, Misserfolgserwartungen und Kompetenzbeeinträchtigungen. Abstinenz schafft die Voraussetzung für eine Konfrontation
mit Inkongruenzen und defizitären Anteilen der Lebensführung und ist damit
auch eine Chance für persönliche Weiterentwicklung und ein Wiederbeleben vernachlässigter menschlicher Beziehungen (Rost 2013).
Kritisch instabile Phasen der Therapie können mit Methoden des Real-TimeMonitorings sichtbar gemacht werden (c Abb. 10.2). In der Fachklinik Hirtenstein (Bolsterlang bei Oberstorf im Allgäu) wird seit mehreren Jahren hierfür das
126
10 Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring
Abb. 10.2: Kritische Instabilitäten im Therapieverlauf können in Komplexitäts-ResonanzDiagrammen sichtbar gemacht werden. Die vertikalen Strukturen machen
deutlich, in welchen Bereichen des persönlichen Erlebens kritische Instabilitäten synchronisiert auftreten. Oben: Für alle Items (im KRD entspricht jede
Zeile einem Item des jeweils benutzten Prozessfragebogens mit täglichen Einschätzungen) wird in Graustufen eingezeichnet (die Graustufen entsprechen
unterschiedlichen Signifikanzschwellen), wo die dynamische Komplexität eine
statistisch signifikante Schwelle überschreitet. Unten: Farb-KRD – hier wird
die Ausprägung der dynamischen Komplexität pro Item (jedes Item entspricht
einer Zeile) direkt in Farbe dargestellt.
Synergetische Navigationssystem (SNS) eingesetzt (Schiepek und Aichhorn 2013;
Aas und Schiepek in diesem Band). Bei 90 % von 43 männlichen Patienten, die
127
II Prozessmonitoring und therapeutisches Feedback
im Rahmen einer Alkohol-Entwöhnungsbehandlung mit Hilfe des SNS tägliche
Selbsteinschätzungen auf einem suchtspezifischen Prozessfragebogen (Patzig und
Schiepek 2011) durchführten, war eine erste kritische Instabilität spätestens in
der zweiten oder dritten Therapiewoche zu erkennen, bei einem kleineren Teil
(10 %) dagegen manifestierte sich die erste Destabilisierung erst später (Patzig
2013). Dies entspricht den Befunden der Sudden-gains-Literatur, die über substanzielle Veränderungen bereits in frühen Phasen der Psychotherapie berichtet
(Kelly et al. 2005; Stiles et al 2003; Tang und DeRubeis 1999).
In den Komplexitäts-Resonanz-Diagrammen wird in vielen Fällen eine Synchronisation der kritischen Instabilität über mehrere mit einem entsprechenden
Prozessfragebogen erfasste Erlebens- und Verhaltensbereiche (Items) erkennbar. Im weiteren Verlauf hingegen reduziert sich die Komplexität in praktisch
allen Items deutlich. Die Systeme stabilisieren sich zusehends. Insbesondere in
den Items zur Einschätzung der therapeutischen Beziehung zeigt sich wenig Bewegung und damit auch eine sehr geringe dynamische Komplexität (dieser Kennwert ist erklärt in Schiepek und Strunk 2010). Das Niveau der konstanten, variationsarmen Einschätzung der Therapiebeziehung liegt in den meisten Fällen sehr
hoch, d. h., die Beziehung wird positiv, hilfreich und unterstützend wahrgenommen, was häufig als Idealisierung zu interpretieren ist (c Abb. 10.3).
Abb. 10.3: Verlauf beziehungsspezifischer Items im Therapie-Prozessbogen Sucht (TPB-S,
Patzig und Schiepek 2011).
10.2
Die therapeutische Beziehung
Ein bemerkenswertes und replizierbares Muster besteht in Suchttherapien darin,
dass negative Emotionen wie Ärger, Schuld, Trauer, Scham oder Angst konstant
128
10 Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring
gering eingeschätzt werden, wohingegen das Selbstwertgefühl und die gefühlte
Selbstwirksamkeit im Hinblick auf ein abstinentes Leben oft in oberen Skalenbereichen rangieren (c Abb. 10.4). Man könnte in dieser Selbstwahrnehmung ein
charakteristisches KEV-Muster der Sucht erkennen, das in einer Vermeidung von
interpersonellen Konflikten, im Wunsch nach zuverlässigen und stabilen Beziehungen, in einer Verdrängung und Unterbewertung negativer Emotionen sowie
in einer unkritischen Selbstwahrnehmung von möglichen Rückfallgefahren besteht. Madert (1984) bezeichnet solche Muster als »Größenphantasien«, deren
psychische Funktion in einer Vermeidung von Minderwertigkeitsgefühlen und
Gefühlen des ›Nicht-geliebt-Seins‹ liegen könnte.
Die Qualität der therapeutischen Beziehung hat – wie in zahlreichen Studien und Meta-Analysen gezeigt wurde (z. B. Miller et al. 2002) – einen erheblichen Impact auf den Therapieeffekt. Dabei kommt es vor allem darauf an,
wie der Patient selbst die Therapie- und Arbeitsbeziehung wahrnimmt. In der
Suchttherapie konnte beispielsweise ein Zusammenhang zwischen verringerten
Alkoholkonsum-Tagen nach Abschluss einer stationären Therapie einerseits
und der Wahrnehmung des Therapeuten durch den Patienten gefunden werden.
Patienten mit ausgeprägter Ängstlichkeit und manifester Angst erlebten ihre
Therapeuten als weniger rücksichtsvoll, empathisch und Anteil nehmend als
Patienten mit geringerem Angst-Level (Ritter et al. 2002). Auch Patienten mit
bereits ausgeprägteren Alkohol-Folgeschäden und stärkerer Abhängigkeitsproblematik nahmen die therapeutische Beziehung als weniger rücksichtsvoll und
Abb. 10.4: Verläufe der Items (a) »Scham«, (b) »Angst«, (c) »Freude« und (d) »Selbstwertgefühl«, oben ein charakteristischer Verlauf eines Suchtpatienten, unten
der Verlauf eines Patienten mit der Diagnose »rezidivierende Depression«.
Grundlage: Tägliche Selbsteinschätzungen auf dem Therapie-Prozessbogen
mit Hilfe des Synergetischen Navigationssystems (SNS).
129
II Prozessmonitoring und therapeutisches Feedback
empathisch wahr, zudem als weniger professionell und effektiv (Ritter et al.
2002).
Für die professionelle Gestaltung von Therapiebeziehungen bedarf es nicht
nur der Empathie, sondern spezifischer Konzepte, welche die Bindungs-, Motivations- und Störungsdynamik der Patienten berücksichtigen (vgl. die Beiträge
von Caspar, Gumz und Sammet in diesem Band). Betrachtet man Alkoholabhängigkeit als Beziehungsstörung, so befindet sich die Beziehungsgestaltung in dem
oben angesprochenen Ambivalenzkonflikt zwischen Autonomie und Selbstwertschutz einerseits und Akzeptanz von Abhängigkeit und Lebensproblemen andererseits. Dabei steht der Therapeut – wenn er nicht eine konsequent ressourcenorientierte Haltung einnimmt – meist in dem Dilemma »[. . .] die diagnostisch
›wahren‹ Verhältnisse herausfinden [zu wollen], der Patient [dagegen] möchte
sie verbergen, weil ansonsten für ihn eine Welt zusammenbricht« (Tretter 2012,
S. 81).
Um dem Patienten eine korrigierende Beziehungserfahrung im Sinne einer
konstanten Objekt-Beziehung (Rost 1987) zu ermöglichen, steht die Zuverlässigkeit des Therapeuten im Vordergrund. Erfahrbar und bearbeitbar sollte auf der
Basis therapeutischer Zuverlässigkeit dabei zunächst der Unterschied zwischen
realistischen interpersonellen Beziehungen und einem Suchtmittel werden: Anders als das Suchtmittel steht der Therapeut zwar nicht jederzeit zur Verfügung,
ist aber zu vereinbarten Zeitpunkten positiv zugewandt, unterstützend, empathisch und – ganz anders als das Suchtmittel – auch konfrontierend und realitätsbezogen. Wird der Therapeut als Ersatz für das Suchtmittel wahrgenommen,
kommt es nicht selten zur Stagnation im therapeutischen Prozess (Rost 1987;
Sonnenmoser 2003; Lüdecke et al. 2010). Der Patient verbleibt in einer idealisierenden Haltung zum Therapeuten und vermeidet Konfrontationen, Diskrepanzen und Konflikte auf Kosten eigener Bedürfnisse, um weiterhin Unterstützung
für fehlende Ich-Funktionen zu erhalten.
Die therapeutische Beziehung ist die Basis und zugleich das Erfahrungsfeld
(bzw. die »Bühne«, vgl. Kronberger in diesem Band) für die Bearbeitung suchtspezifischer Interaktionsdynamiken, wie eben die Erwartung eines unbegrenzt
zur Verfügung stehenden Therapeuten, Abgabe von Verantwortung, Verleugnung von Problemen, Ausdruck von Ärger über organisatorische Angelegenheiten im Sinne einer Projektion, Langeweile, Suche nach Schuldigen trotz eigener
Versäumnisse sowie Regression in kindliche Verhaltensweisen, insbesondere im
(erneuten) Rauschzustand.
Wesentlich für ein professionelles Arbeitsbündnis sind zudem Klarheit und
Logik bei der Informationsvermittlung, eine gute Vorbereitung der Sitzungen
und die vom Therapeuten vermittelte Zuversicht (Ritter et al. 2002). Ebenso bedarf es eines konstruktiven Umgangs mit Ärger (z. B. bei Vertragsverletzungen,
Rückfällen oder »Nicht-Veränderung«) sowie einer vom Therapeuten gelebten
Selbstakzeptanz (Madert 1984). Nur dann kann die Therapiebeziehung eine geeignete Kontextualisierung und Unterstützung für den Einsatz spezifischer Therapietechniken liefern (Reinecker 1999).
Eine spezielle Gesprächsführungstechnik ist das Motivational Interviewing
nach Miller und Rollnick (1991, 1999), dessen Ziel der Aufbau und die Förde130
10 Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring
rung von Veränderungsmotivation des Patienten ist. Ohne intrinsische Motivation zu einer veränderten Lebensführung ist kaum mit einem Verzicht auf das
Suchtmittel zu rechnen. Im Rahmen der Motivationsförderung wird man versuchen, Ambivalenzen zu nutzen und die therapeutische Beziehung nicht durch Konfrontation zu gefährden. Wegen der ungünstigen Bindungserfahrungen der meisten Patienten muss die Therapiebeziehung meist ohne stabile Objektkonstanz und
Bindungssicherheit auskommen. Nach Madert (1984) wird der Patient seine autonome, bindungsvermeidende Selbstwahrnehmung aufrechterhalten wollen. Diese
bestehe darin, die Situation und Gefühle fest im Griff zu haben, unabhängig zu
sein (d. h. nicht verletzlich für Verlust), respektiert zu sein und Ansehen zu haben.
10.3
Rückfälle
Rückfälle im Therapieverlauf gehen fast immer mit starken Emotionen einher
(c Abb. 10.5). Der Patient wird erneut mit seinem ›Süchtig-Sein‹ sowie mit seiner
Ambivalenz zwischen Konsum und Abhängigkeit einerseits und dem Bewusstwerden einer Inkongruenz bezüglich Selbstwert und sozialer Anerkennung (z. B.
Abb. 10.5: Ein Rückfall in den Suchtmittelkonsum ist ein markantes Ereignis in einer Therapie. Im SNS-basierten Prozessmonitoring ist an diesem Beispiel erkennbar,
dass der Faktor »Therapeutische Fortschritte/Zuversicht/Selbstwirksamkeit«
des Therapie-Prozessbogens (TPB, tägliche Einschätzungen) von Beginn der
Therapie an steigt und sich stabilisiert hat, bevor das Rückfallereignis stattfindet. Es ist als Einbruch dieses Faktors erkennbar. Gleichzeitig weist der Faktor
»Beschwerden und Problembelastung« eine lokale Spitze auf. Bemerkenswert
ist der konstante und »erstarrte« Verlauf ohne jede Dynamik nach dem Rückfall bis zum Ende der Therapie.
131
II Prozessmonitoring und therapeutisches Feedback
geliebt werden) andererseits konfrontiert (Madert 1984). Ein Rückfall bedeutet
einen Kontrollverlust sowohl hinsichtlich des Suchtmittelkonsums als auch der
Bewältigung von negativen Gefühlen und Beziehungserfahrungen. Patienten, in
deren Biographie negative und defizitäre Bindungserfahrungen prägend waren,
verfügen oft über keine ausreichenden emotionalen Selbstregulationskompetenzen. Negative Emotionen haben daher ein starkes Bedrohungspotenzial, weshalb
sie kaum wahrgenommen werden (dürfen), wie an den reduzierten und verflachten Emotionszeitreihen im SNS erkennbar (c Abb. 10.4). Rückfälle können zu
emotional überflutenden Ereignissen mit ›retraumatisierendem‹ Charakter werden (Lüdecke et al. 2010).
Wie mehrfach nachgewiesen, sind emotionale und kognitive Dynamiken
nichtlineare Prozesse (Strunk et al. in diesem Band). Ein Aspekt im Verhalten
nichtlinearer komplexer Systeme (wie die mentalen und neuronalen Vorgänge
des Menschen) ist ihre Chaosfähigkeit: Kleinste Unterschiede in den Ausgangsbedingungen oder minimale Schwankungen im Prozess, die durch systeminterne
Schwankungen oder durch externen Input zustande kommen können, führen
zu veränderten Systemprozessen (Strunk und Schiepek 2006, 2014). Ein weiteres Merkmal solcher Systeme besteht darin, dass sie in ihrer Entwicklung Ordnungsübergänge durchlaufen, die von kritischen Instabilitäten eingeleitet und
vorbereitet werden (Haken und Schiepek 2006). Ähnlich wie suizidale Krisen
(Schiepek et al. 2011) sind Rückfälle somit schwer vorhersehbar und – da sie keinem erkennbaren Input-Output- oder Ursache-Wirkungs-Mechanismus folgen –
auch schwer verstehbar, ja nicht einmal retrospektiv eindeutig erklärbar. Hinzu
kommt, dass negative Gefühle ein Bedrohungspotenzial darstellen (Körkel und
Schindler 2003), gleichzeitig aber abgespalten werden und kaum wahrnehmbar
bzw. bewusstseinsfähig sind. Das macht ihren Beitrag zur individuellen Psychodynamik der Sucht für den Betroffen ziemlich obskur. Im Sinne der Salutogenese
ist ein Rückfall damit nicht nur ein Stressereignis, sondern auch der Verständlichkeit der Lebensführung (als ein wesentlicher Teil des Kohärenzsinns, Antonovsky und Franke 1997) abträglich und ein Rückschlag für den therapeutisch gewünschten Aufbau des Selbstwirksamkeitserlebens.
10.4
Emotionen und Emotionsregulation
Psychodynamisch kommt negativen Emotionen in der Ätiologie, bei der Aufrechterhaltung und in der Therapie der Sucht eine bedeutende Rolle zu. Bereits
betont wurde, dass negative Emotionen auch an Rückfällen beteiligt sind, ohne
dass dies bewusst erkannt oder verarbeitet werden könnte (Körkel und Schindler 2003). Im SNS-basierten Real-Time-Monitoring des Therapieverlaufs weisen viele Patienten ein charakteristisches Muster auf, das durch einen verflachten
und reduzierten Verlauf negativer Emotionen geprägt ist (c Abb. 10.4). Negative
Emotionen bewegen sich konstant – offenbar mit Ausnahme von Rückfallperio132
10 Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring
den – auf geringem Intensitätsniveau. Dieses Muster könnte auf eine fehlende
Affektdifferenzierung hinweisen und Alkoholismus als Affektregulationsstörung
ausweisen (Schlebusch et al. 2006). Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen
haben nur einen begrenzten Zugang zu negativen Gefühlen, bewerten negative
Emotionen als nicht relevant und verfügen offenbar auch über keine Sprache
für diese Gefühlszustände. Diese fehlende Emotionsdifferenzierung (Rost 1987)
hat zur Konsequenz, dass intensiv erlebte Situationen im Kontrast zum Normalfall zwar sehr heftig wahrgenommen werden (Schwarz-Weiß-Muster, »Alles oder
Nichts«-Dynamik), aber sehr schell wieder zurückreguliert werden (c Abb. 10.4
und c Abb. 10.5). Von verschiedenen Autoren werden diese Affektdynamik und
die eventuell zugrunde liegenden Abwehrmechanismen wie Verleugnung, Verdrängung und Projektion (Madert 1984) als ätiologische Komponenten, aber
auch als Folgen süchtigen Verhaltens angesehen (z. B. Tretter 2012).
Das Konstrukt der Emotionsregulation bezeichnet die Art und Weise, wie Menschen ihre emotionalen Erfahrungen (Regulation nach innen) und ihren Gefühlsausdruck (Regulation nach außen) in unterschiedlichen Situationen (wozu natürlich auch Stresssituationen gehören) mit Hilfe unterschiedlicher Strategien wie
Re-Appraisal, Re-Framing, Verdrängung, Katharsis, gezielte Selbstdarstellung,
Situationsmanagement, etc. modifizieren, regulieren und kontrollieren (Gross
2002; Fox et al. 2008). Ein Vergleich zwischen alkoholabhängigen Patienten und
social drinkers verweist auf jeweils unterschiedliche Mechanismen der Emotionsregulation. In einer Studie von Fox et al. (2008) erwies sich die Impulskontrolle
ebenso wie die Bewusstheit der Gefühlswahrnehmung (awareness) bei abhängigen Patienten in der ersten Abstinenzwoche vergleichsweise reduziert. Nach
fünf Wochen Therapie zeigten sich signifikante Verbesserungen in den Dimensionen awareness und Klarheit der Emotionswahrnehmung. Eine eingeschränkte
Impulskontrolle bestand jedoch bei den Patienten weiterhin, was (unter anderem
aufgrund fehlender Fähigkeiten zur Ärgerregulation) mit einem erhöhten Rückfallrisiko einherging.
Die spezifische Form der Emotionsregulation und -wahrnehmung insbesondere negativer Gefühle erinnert an das psychosomatische Konzept der Alexithymie. Dieses facettenreiche Konstrukt beinhaltet
●
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Schwierigkeiten, Gefühle zu identifizieren und zu kommunizieren,
Schwierigkeiten, verschiedene Emotionen zu differenzieren,
Schwierigkeiten, verschiedene (somatische) Erscheinungen und Wahrnehmungsaspekte emotionaler Erregung zu differenzieren,
eine verringerte Phantasie- und Imaginationsfähigkeit sowie
einen external orientierten Coping-Stil (Sifneos 1973).
DeRick und Vanheule (2006) untersuchten Alexithymie in Verbindung mit elterlicher Bindung. Ein vermeidendes Bindungsmuster sowie das Fehlen väterlicher Wärme waren dabei für kognitive Alexithymie prädiktiv (zur Relevanz
früher Bindungserfahrungen für spätere psychische Krankheit und Gesundheit
s. Buchheim 2011). Alkoholabhängige Patienten mit unsicherem Bindungsmuster zeigen ausgeprägte Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu kommunizieren, wobei
133
II Prozessmonitoring und therapeutisches Feedback
der Alkoholkonsum kompensierende Funktionen einer defizitären emotionalen
Selbstregulation übernimmt. In einer Meta-Analyse (Thorberg et al. 2009) wurden 45–67 % der in den einbezogenen Studien untersuchten alkoholabhängigen Patienten (90 % davon männliche Patienten) als alexithym identifiziert, was
die Hypothese von Abhängigkeitserkrankungen als Bindungs- und Affektregulationsstörungen (Flores 2004; Schlebusch et al. 2006) stützt.
Ein wesentlicher Mechanismus der Alexithymie könnte darin bestehen, dass
alkoholabhängige Personen negative Emotionen einschließlich deren Bedrohungspotenzial durchaus wahrnehmen, ja sogar intensiv wahrnehmen, jedoch
Schwierigkeiten mit deren Regulation und Bewältigung haben. Sie setzen daher
kognitive und Verhaltensstrategien ein, die diese Emotionen unter der Wahrnehmungsschwelle halten (Verleugnung, Abspaltung, etc.) und sie als irrelevant bewerten (Thorberg et al. 2009). Hierzu passt der eklatante Unterschied
in der Bewertung positiver und negativer Emotionen. Das Erleben von Freude
und Selbstwertgefühl zeigt in den täglichen Selbsteinschätzungen vieler Patienten
übereinstimmende und intensive Ausprägungen (c Abb. 10.4). Auch Thorberg
et al. (2009) fanden bei Suchtpatienten eine differenzierte Wahrnehmung positiver Emotionen, wobei in der Wahrnehmung positiver Emotionen kein Unterschied zwischen alexithymen und nicht alexithymen alkoholabhängigen Personen zu erkennen war.
Neben der Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung positiver und negativer
Emotionen fällt in unseren Verlaufsdaten eine weitere Diskrepanz auf, nämlich
die zwischen extrem reduzierter Selbstwahrnehmung negativer Emotionen und
der gleichzeitigen Selbsteinschätzung, mit diesen Gefühlen umgehen, sich damit
auseinandersetzen und sie wahrnehmen zu können (c Abb. 10.6). Es besteht offenbar eine Form erweiterter Alexithymie und reduzierter awareness, die zu einer
unrealistischen Wahrnehmung der eigenen Wahrnehmungs- und Copingprozesse
führt. Beides könnten interessante Ansatzpunkte für therapeutische Veränderungen sein, was einmal mehr den Sinn von prozessualen Selbsteinschätzungen und
Therapie-Feedbacksystemen unterstreicht (Schiepek und Aichhorn 2013; Schiepek et al. 2013).
Abb. 10.6: Beispiel für die Bewertung der Emotionswahrnehmung (a), des EmotionsCopings (b) und der Fähigkeit, sich mit Emotionen (auch negativen Emotionen) auseinandersetzen zu können (c) bei einem männlichen Patienten
mit chronischer Alkoholabhängigkeit im Therapieverlauf (67 Tage). 0 = sehr
gering, 6 = sehr ausgeprägt bzw. sehr gut gelingend.
134
10 Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring
10.5
Therapiefeedback in der Suchttherapie
In den letzten Jahren weisen zunehmend mehr Autoren auf die Sinnhaftigkeit und
den Nutzen eines regelmäßigen Prozess-Feedbacks über den Therapieverlauf hin
(z. B. Anker et al. 2009; Lambert 2010; Schiepek und Aichhorn 2013; Sparks und
Duncan 2010). Ein solches engmaschiges Feedback erlaubt es,
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sich abzeichnende Verschlechterungen oder Stagnationen im Therapieverlauf
rechtzeitig zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern,
Therapien zu optimieren, d. h., die Therapieergebnisse (Outcome) zu verbessern,
die Bedürfnisse, Emotionen und Beurteilungen der Patienten zeitnah zu deren
Auftreten zu erfassen,
Therapien individualisiert und maßgeschneidert zu gestalten,
das therapeutische Vorgehen (z. B. die eingesetzten Behandlungstechniken)
zeitlich und psychologisch optimal zu platzieren.
Ein differenziertes Prozess-Feedback erweist sich speziell in der Suchttherapie als
hilfreich, da hier zu der Neigung von Therapeuten, Therapieerfolge zu überschätzen und negative Entwicklungen nicht (rechtzeitig) zu erkennen (Lambert et al.
2002, 2005), hinzu kommt, dass Suchtpatienten ihre Therapeuten eher dann als
kompetent erleben, wenn sie während der Therapie geringere Folgen und Beeinträchtigungen durch den Alkoholkonsum erleben (Ritter et al. 2002) und im
Sinne eines Autonomieschutzes ihre Abhängigkeit verleugnen. Dies kann die Divergenz zwischen Patienten- und Therapeutenwahrnehmung vergrößern und negative Entwicklungen verschleiern, mit entsprechend ungünstigen Wirkungen auf
den Therapieverlauf.
Whipple et al. (2003) konnten beispielsweise zeigen, dass Therapeuten, die
während der Therapie mit Hilfe von Feedbacksystemen kontinuierlich Informationen über die Entwicklung der Therapiebeziehung und der Therapieergebnisse erhielten, im Therapieprozess engagierter waren und sich intensiver um die
Therapiebeziehung bemühten als Therapeuten ohne solches Feedback – mit entsprechend positiven Effekten auf die Symptomverbesserung der Patienten. Miller et al. (2005) konnten in der nach unserem Wissen bisher einzigen vergleichbaren Studie im Bereich der Suchttherapie den Befund eines signifikant positiven
Effekts von Real-Time-Monitoring auf das Therapieergebnis bestätigen.
Unsere eigenen Befunde zum Einsatz des Synergetischen Navigationssystems
(SNS) an einer Fachklinik für Suchtrehabilitation5 bestätigen die Effekte des Therapiefeedbacks ebenfalls. In einer prospektiven Studie wurden per Zufall 43 Patienten einer Versuchsbedingung (mit Feedback) und 53 Patienten einer Kontrollbedingung zugewiesen. In beiden Fällen handelte es sich um männliche Patienten
5 Fachklinik Hirtenstein im Allgäu; Träger: Katholischer Männerfürsorgeverein München; Klinikleitung im Untersuchungszeitraum von 2009 bis 2012: Dr. Rupert Müller
135
II Prozessmonitoring und therapeutisches Feedback
Estimated Marginal Means of MEASURE_1
Gruppe
Estimated Marginal Means
3,1
Interventionsgruppe
Kontrollgruppe
3
2,9
2,8
KG
2,7
FG
2,6
1
2
ekf
Abb. 10.7: Veränderung der Emotionalen Kompetenz (EFK) der Feedback-Gruppe (FG)
und der Kontrollgruppe (KG).
mit chronischer Alkoholabhängigkeit (aktuell abstinent, F10.2). Ausschlusskriterien stellten eine akute Psychose, Suizidalität sowie HIV-Infektion dar. Weder im Alter (Feedback-Gruppe/FG: 49,1 Jahre; Kontrollgruppe/KG: 45,2 Jahre
Durchschnittsalter; n.s.) noch im BDI (FG: 13,09; KG: 13,43; n.s.) und im SCL90-R Gesamtscore (FG: 56,93; KG: 58,19; n.s.) wiesen die beiden Gruppen zu
Therapiebeginn signifikante Unterschiede auf. Die 43 Patienten der FeedbackGruppe füllten den im SNS integrierten Therapie-Prozessbogen Sucht (TPB-S)
täglich aus (Selbsteinschätzung jeweils am Ende des Tages) und beteiligten sich
im Abstand von jeweils drei Wochen an SNS-basierten Feedbackgesprächen zum
Therapieverlauf. Der TPB-S enthält 44 Items zu den Subskalen »Therapeutische
Fortschritte/Selbstwirksamkeit«, »Beschwerden und Problembelastung«, »therapeutische Beziehung«, »Beziehung zu den Mitpatienten«, »Emotionen«, »Emotionswahrnehmung« und »Suchtbewältigung«. Die Kontrollpersonen durchliefen mit Ausnahme des Therapiefeedbacks das identische Behandlungsprogramm
der Klinik (treatment as usual).
Es zeigte sich, dass die Patienten der Feedback-Gruppe im Vergleich zu den Patienten der Kontrollgruppe eine deutlichere Steigerung ihrer emotionalen Kompetenz aufwiesen. Im »Emotionale Kompetenz-Fragebogen« (Rindermann 2009)
verbesserten sich die Feedback-Patienten von 2,6 auf 3,1, die Kontrollpatienten
von 2,8 auf 3,0 (c Abb. 10.7). Dieser Interaktionseffekt (Zeitpunkt × Gruppe) ist
annähernd signifikant (p = 0,059). Der EKF erfasst Aspekte wie Erkennen eigener
Gefühle und der Gefühle anderer, Emotionsregulation und Emotionsausdruck.
Die Reduktion von prä nach post im BDI-II und im SCL 90-R fiel für die Feed136
10 Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring
back-Gruppe leicht deutlicher aus, erreichte aber nicht das Signifikanzniveau. Bemerkenswert ist, dass sich von den 10 Rückfällen während des Untersuchungszeitraums 7 in der Kontrollgruppe und nur 3 in der Feedback-Gruppe ereigneten.
Man muss allerdings sehen, dass diese Rückfälle vergleichweise seltenere Ereignisse sind: bei 86 Patienten trat kein Rückfall auf.
Die Ergebnisse sind vielversprechend, doch müssen sich weitere Forschungen
der Frage widmen, wie das Prozessmonitoring in die suchtspezifischen Therapiekonzepte integrierbar ist, wie SNS-basierte Therapiegespräche für Suchtpatienten optimal gestaltet werden können und wie auch individualisierte Prozessfragebögen nutzbar sind (vgl. Fartacek et al. sowie Matschi und Schiepek in diesem
Band). Das integrative Konzept des Synergetischen Prozessmanagements beinhaltet diese Möglichkeiten (Schiepek et al. 2013), wobei im Bereich der Suchttherapie die Emotionswahrnehmung und Emotionsregulation einen speziellen Schwerpunkt bilden sollten.
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