Hausärzte nur noch Erfüllungsgehilfen für Geriater?

Zimmerm
Forum Politik
Hausärzte nur noch
Erfüllungsgehilfen für Geriater?
ZIMMERMANN
RECHNET AB
Mit neuen EBM-Ziffern zur spezialisierten geriatrischen Diagnostik macht die
KBV ein verführerisches Angebot für Hausärzte. Aber Vorsicht! Dies könnte
sich als „Lizenz zum Gelddrucken“ auf Kosten der Hausärzte entpuppen – und
diese zu Erfüllungsgehilfen degradieren.
Dr. Gerd W. Zimmermann
ist seit 1979 als niederge­
lassener Allgemeinarzt in
Hofheim/Taunus tätig
und ebenso lange Mitglied
im Deutschen Hausärzte­
verband. Er ist unser
Gebührenordnungsexperte und schreibt
regelmäßig für Sie.
Am 1. Juli 2016 werden neue Ziffern zur spezialisierten geriatrischen Diagnostik in den
EBM aufgenommen. Gleichzeitig tritt eine
„Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach Paragraf 135 Abs. 2 SGB V zur
spezialisierten geriatrischen Diagnostik“ in
Kraft. Sie regelt, wer die neuen Leistungen
erbringen und abrechnen kann.
Was ist neu?
Künftig gibt es zwei „Abrechnungswege“ für
geriatrische Leistungen. Der erste tangiert
Hausärzte direkt. Neben den weiter berechnungsfähigen Leistungen nach den Nrn.
03360 EBM (Hausärztlich-geriatrisches
Basisassessment, 122 Punkte, 2 x im Krankheitsfall) und 03362 EBM (Hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex, 159 Punkte,
Abb. 1: Geriatrische
1 x/Quartal), können Hausärzte die LeistunAbrechnungs­
gen nach den
positionen
▪▪ Nrn. 30980 EBM (Abklärung, bevor Geriater Nr. 30984 erbringen,
EBM
Legende
Punkte
1 x im Krankheitsfall, 194 Punkte)
Hausärztlich-geriatrisches
03360
122
und
Basisassessment
Hausärztlich-geriatrischer
▪
▪
30988 EBM (Zuschlag zu Nr.
03362
159
Betreuungskomplex
03362 bei Umsetzung TherapieWeiterführendes geriatrisches
30984
882
Assessment
plan nach Nr. 30984, 1 x im KrankZuschlag 30984 je weitere
30985
325
heitsfall, 65 Punkte) erbringen
30 Minuten, bis zweimal
Zuschlag 30985 je weitere
und berechnen.
30986
234
30 Minuten, bis zweimal
Die Nr. 30984 EBM, auf die in beiden
Abklärung vor Durchführung
30980
194
der Nr. 30984 EBM
Fällen verwiesen wird, steht für
Zuschlag Nr. 03362 nach
ein weiterführendes geriatrisches
30988 vorheriger Durchführung der
65
Nr. 30984 EBM
Assessment. Es kann einmal im
Die Nrn. 30984 bis 30986 EBM erfordern einen
Krankheitsfall (Jahr/vier Quartale)
Qualifikationsnachweis (s. Abb. 2).
berechnet werden.
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Wer kann welche Leistungen
berechnen?
Dieses weiterführende geriatrische Assessment können nur Ärzte berechnen, die einen
besonderen Qualifikationsnachweis nach
der genannten QS-Vereinbarung besitzen
(s. Abb. 2). Alternativ ist eine Abrechnung
möglich, wenn eine Berechtigung zum Führen der Facharztbezeichnung im Gebiet Innere Medizin, Allgemeinmedizin (Hausarzt)
oder Physikalische und Rehabilitative Medizin besteht und die Behandlung von 100
Patienten im Jahr vor der Antragstellung
nachgewiesen werden kann. Die Patienten
müssen folgende Kriterien erfüllen:
▪▪ ein höheres Lebensalter (ab 71 Jahren),
▪▪ das Vorliegen von mindestens zwei der
nachfolgenden geriatrischen Syndrome
oder mindestens ein nachfolgendes geriatrisches Syndrom und eine Pflegestufe:
Multifaktoriell bedingte Mobilitätsstörung einschließlich Fallneigung und Altersschwindel, komplexe Beeinträchtigung
kognitiver, emotionaler oder verhaltensbezogener Art, Frailty-Syndrom (Kombinationen von unbeabsichtigtem Gewichtsverlust, körperlicher und/oder geistiger
Erschöpfung, muskulärer Schwäche, verringerter Ganggeschwindigkeit und verminderter körperlicher Aktivität), Dysphagie, Inkontinenz(en), therapierefraktäres
chronisches Schmerzsyndrom.
Zusätzlich muss eine besondere geriatrische
Qualifikation mit einem Umfang von 160
Stunden erworben werden. Ärzte müssen
Der Hausarzt 10/2016
Foto: Kzenon - Fotolia
ann
über mindestens fünf Jahre vertragsärztliche
Berufserfahrung verfügen. Und: Sie müssen
nachweisen, dass sie zwölf Monate in einer
medizinisch-geriatrischen Einrichtung tätig
waren – unter der Anleitung eines Geriaters
oder eines anderen Arztes, der die fachlichen
Genehmigungsvoraussetzungen unter abgeschlossener Ableistung der 12-monatigen
Tätigkeit erfüllt.
Der Nachweis gilt auch als erbracht, wenn
der Arzt eine mindestens sechsmonatige Tätigkeit belegen kann und er sich verpflichtet,
in den folgenden vier Jahren nach Genehmigungserhalt die restliche Zeit zu absolvieren.
Dieser alternative Qualifikationsnachweis
kann auch durch eine Übergangsregelung
erworben werden: So können Ärzte die
Abrechnungsgenehmigung auch erhalten,
▪▪ wenn sie bereits vor Inkrafttreten der
QS-Vereinbarung mindestens ein Jahr an
einem regionalen Strukturvertrag oder
einem Vertrag zur besonderen Versorgung
– der auch spezialisierte geriatrische Diagnostikleistungen zum Inhalt hat – teilgenommen haben,
▪▪ 20 Fortbildungspunkte zu geriatriespezifischen Themen innerhalb von zwei Jahren
vor Antragstellung nachweisen können.
Den Antrag müssen sie aber innerhalb von
sechs Monaten nach Inkrafttreten der QSVereinbarung stellen.
Bei dem zusätzlichen Assessment handelt es
sich um eine rein diagnostische Leistung, die
einen Zeitaufwand von mindestens 60 Minuten zum Gegenstand haben muss. Wird
die Zeitvorgabe überschritten, können Ärzte
Der Hausarzt 10/2016
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weitere Zuschlagspositionen abrechnen. Je
weitere 30 Minuten sind das die Nrn. 30985
und 30986 EBM (beide bis zu 2 x im Krankheitsfall). Maximal werden also 180 Minuten
vergütet und höchstens 2.000 Punkte. Dies
entspräche einem Honorar von 208,70 Euro.
Laut KBV sollen alle genannten neuen GOP
extrabudgetär vergütet werden. Diese Summe würde also voll ausgezahlt.
Neben den genannten Vertragsärzten (mit
Zusatzqualifikation) können geriatrische
Institutsambulanzen (GIA) die Leistungen
abrechnen. GIA sind teils als stationäre Einrichtungen an Kliniken angesiedelt. Sofern
Um die Betreuung von
geriatrischen Patienten
abzurechnen, gibt es für
Hausärzte künftig zwei
Wege.
Abb. 2: Nötiger Qualifikationsnachweis (für Nrn. 30984-30986 EBM)
Fachliche Befähigung gilt als belegt, wenn folgende Anforderungen erfüllt werden:
▪▪ Berechtigung zum Führen der Facharztbezeichnung im Gebiet „Innere Medizin“,
„Allgemeinmedizin (Hausarzt)“, „Neurologie“, „Psychiatrie und Psychotherapie“
mit der Schwerpunktbezeichnung „Geriatrie“ oder
▪▪ Berechtigung zum Führen der Facharztbezeichnung „Innere Medizin und Geriatrie“
oder
▪▪ Berechtigung zum Führen der Zusatzbezeichnung „Geriatrie“ oder
▪▪ Berechtigung zum Führen der Facharztbezeichnung im Gebiet „Innere Medizin“, „Allgemeinmedizin“, „Nervenheilkunde“, „Neurologie“, „Psychiatrie und Psychotherapie“
oder „Physikalische und Rehabilitative Medizin“ mit der fakultativen Weiterbildung
„Klinische Geriatrie“ bei Ärzten, die auf der Grundlage einer früheren (Muster-)Weiterbildungsordnung (vor 2003) ihre Weiterbildung absolviert haben.
Quelle: KBV
es in einer Region nicht ausreichend Vertragsärzte mit der geforderten Qualifikation
gibt, müssen solche Einrichtungen künftig
außerhalb der Bedarfsplanung zusätzlich
zugelassen werden.
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Hintergrund der Neuregelung ist, dass Hausärzte die
Möglichkeit haben sollen,
zusätzlich zu ihren eigenen
geriatrischen Leistungen
Zusatzinformationen durch
Geriater oder GIA einzuholen. Da diese nur diagnostische Leistungen erbringen
dürfen, muss es zu einem Dialog zwischen Hausarzt und
Geriater/GIA kommen. Als
Honorar dafür sind die neuen Leistungen für Hausärzte
(30980, 30985) vorgesehen.
Im Grunde genommen ergeben sich für Hausärzte daher
zwei Wege, künftig geriatrische Patienten zu behandeln:
▪▪ Entweder, man erbringt die
nötigen Leistungen weiter in der eigenen Praxis
(Abrechnung unverändert
nach den Nrn. 03360 und
03362). Die Vergütung ist
hier aber budgetiert, da die
Kassen für diese Leistungen extrabudgetär nur eine
begrenzte Geldmenge zur
Verfügung stellen. Hinzu
kommt, dass einige KVen,
zum Beispiel Hessen, diese
Leistungen als Qualitätszuschlag (QZV) vergüten
und damit zulassen, dass
insgesamt unverbrauchte
Geldmittel über den Rückfluss ins Regelleistungsvolumen (RLV) auch für andere Leistungen verwendet
werden können.
▪▪ Alternativ kann man künftig ein sicheres extrabudgetäres Zusatzhonorar erwirtschaften, wenn man
mit einer spezialisierten
Praxis oder einer GIA zu18
Abb. 3: Fallbeispiel
72-Jähriger, Diabetes mel. Typ II
Erstkontakt:
EBM
Leistungsbeschreibung
03040
Grundpauschale (wird automatisch
zugesetzt)
15,03
03004
Versichertenpauschale (VP)
16,38
03220
03360
30980
SUMME
SUMME
Euro
Chronikerpauschale (1 Kontakt)
Geriatrisches Basisassessment
Überweisung an Geriater
vorher
nachher
13,57
12,73
20,24
72,64
92,88
Folgekontakt:
EBM
Leistungsbeschreibung
Euro
03230
Beratung (z. B. Pflegepersonal)
9,39
03221
Chronikerpauschale (2 Kontakte)
4,17
03362
16,59
30988
3,78
Geriatrischer Betreuungskomplex
Zuschlag zu Nr. 03362 nach Überweisung an Geriater
SUMME vorher
SUMME nachher
SUMME gesamt vorher
SUMME gesamt nachher
63,33
70,11
135,97
162,99
Finanzielle Folgen für die Abrechnung bei geriatrischen Patienten ab 1. Juli
sammenarbeitet. Wie sich
der Unterschied finanziell
auswirkt, zeigt Abb. 3.
Bei der Neurung handelt es sich zweifelsohne um
ein finanziell „verführerisches“ Angebot. Das für
Hausärzte erzielbare Mehrhonorar mit den neuen
Leistungen beträgt 27,02
Euro pro Jahr/geriatrischen
Patient. Voraussetzung ist,
dass man mit einer spezialisierten Praxis oder GIA
kooperiert und Patienten in
jährlichem Abstand dort zur
ergänzenden geriatrischen
Diagnostik vorstellt. Die
Frage ist dabei aber zunächst,
ob es für das Selbstverständnis des Hausarztes zweckmäßig ist, das zu tun? Allein die
momentanen Bestrebungen
auf KBV-Ebene, die Geriatrie
als eigenständiges Fach von
der hausärztlichen Kompetenz abzugrenzen, sind
gefährlich!
Hier wird ein Markt für
Leistungen geschaffen, die
eigentlich nicht notwendig
sind, weil Geriatrie ein Teil
der hausärztlichen Tätigkeit
ist, die man überhaupt nicht
abspalten kann. Mit der
Schaffung dieser neuen
spezialisierten geriatrischen
Leistungen wird aber ein
Sachverhalt etabliert, den
wir mit diesen neuen Leistungen gewissermaßen bestätigen sollen. Man braucht
uns noch, damit wir diesen
Teil unserer urhausärztlichen Leistung per Delega-
tion abgeben. Danach wird
man uns das vermutlich
ganz abnehmen, wie schon
an anderer Stelle bei den sogenannten K.O.-Leistungen.
Vorsicht!
Hausärzte sollten sich daher
gut überlegen – so verführerisch dieses Angebot sein
mag – ob man es wirklich
annimmt. Dabei sollte man
auch beachten, dass man hier
erneut versucht, uns zu Erfüllungsgehilfen zu machen.
Die geriatrische Praxis oder
die GIA machen selbst nur
Diagnostik und geben uns
Therapieempfehlungen, die
wir für ein Honorar von 6,78
Euro (Nr. 30988 EBM) umsetzen sollen. Dieses Geld reicht
mit Sicherheit nicht aus, um
etwa das Regressrisiko abzudecken, das uns durch diese
neue Konstruktion aufgebürdet wird.
Wir kennen das doch aus anderen Bereichen: Der Orthopäde, der Neurologe verordnet keine Krankengymnastik, Logopädie oder Ergotherapie. Das machen wir und
das werden wir künftig vermehrt auf „Empfehlung“
der Geriatrie-Spezialisten
machen müssen. Besonders
delikat ist in diesem Zusammenhang, dass die neue QSVereinbarung vorsieht, dass
die „Speziellen Geriater“ mit
kooperierenden Berufsgruppen wie Physio-, Ergotherapeuten und Logopäden
zusammenarbeiten müssen.
So etwas nennt man üblicherweise eine „Lizenz zum
Gelddrucken“ – allerdings zu
unseren Lasten!
Der Hausarzt 10/2016
Foto: pressmaster - Fotolia
Zusammenspiel
Hausarzt und Geriater