Die Tür in eine andere Welt

Himmel und Erde
Montag bis Freitag, 9.15 Uhr (NDR 1 Niedersachsen)
17. bis 21. Oktober 2016: „Die Tür in eine andere Welt“
Von Marianne Gorka aus Hildesheim
Leuchtende Insekten in einer Höhle oder die Rückkehr von Fußballer Mario Götze
nach Dortmund. Jede dieser Geschichten birgt in sich eine Tür zur Welt der Bibel.
Marianne Gorka, Landespastorin für Posaunenarbeit am Michaeliskloster
Hildesheim, spürt sie auf und lässt ihre Hörer hin- und herreisen.
Redaktion: Oliver Vorwald
Evangelische Kirche im NDR
Redaktion Hannover
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Montag, 17. Oktober 2016 - Meister der Tausend Sprünge
Steineditschen, flache Kiesel springen über das Wasser! Seit diesem Jahr ist das alte
Kinderspiel Wettkampfsport. In Waabe bei Eckernförde an der Ostsee wurde
erstmals die „Ditsch-Weltmeisterschaft“ ausgetragen. Gekürt wurde der „Meister der
tausend Sprünge“. Einer der Teilnehmer erzählte hinterher stolz: "Ich habe bei einem
Wurf zwölf Hüpfer geschafft!“ Offenbar hat er den Bogen raus. Mit dem richtigen
steinigen Hoffnungsträger ist ihm ein großer Wurf gelungen. Aber blöd, der ist ja nun
weg. Im dunklen Meer versunken. Ich selber hätte bei diesem Wettkampf keine
Chance. Das steht schon mal fest. Wann immer ich das mit dem Steine-Ditschen
probiert habe, machte es genau einmal: plumps. Wie der „Hoppe, hoppe Reiter“ oder
wie beim Weitsprung bei den Bundesjugendspielen: plumps. Ich kann das einfach
nicht mit den großen Sprüngen.
Einer, der nie den Wunsch hatte, große Sprünge zu machen, war Daniel, königlicher
Berater am Königshof in Babel. Es ist die Zeit der Babylonischen Gefangenschaft.
Während die Mächtigen seiner Zeit ständig auf dem Sprung sind, Reichtum und
Länder zu erobern, will Daniel nur eins: Gott die Treue halten. Beim König Darius
kommt er damit gut an. Das ruft allerdings Neider auf den Plan. Sie stellen ihm eine
Falle. Daniel muss sich entscheiden: Gott oder der König. Daniel bleibt standhaft in
seiner Treue zu Gott. Zur Strafe landet er dafür in der Löwengrube. Plumps. Und was
tut Daniel? Er betet. Und wie durch ein Wunder bleiben die Löwen friedlich. Daniel
bleibt unversehrt, so dass er am nächsten Morgen heile aus der Grube gezogen
werden kann. „Gott hat seinen Engel gesandt, der den Löwen den Rachen
zugehalten hat!“ jubelt er.
Mir macht das Mut. Bei Gott braucht man nämlich kein „Meister der tausend
Sprünge“ zu werden, um heil und erfolgreich zu sein. Selbst wenn ich übel
„aufditsche“ im Leben. Gott lässt mich nicht in der Dunkelheit versinken: Ich springe
und lande doch zuletzt in seiner helfenden Hand. Daniel ist dafür ein
Hoffnungsträger, der mir das einmal mehr nahe bringt: Vertrauen auf Gott wird
belohnt.
Dienstag, 18. Oktober 2016 - Zupfgeigenhansel
Wie viele Straßen muss ein Mensch eigentlich ablaufen, bevor man ihn einen
Menschen nennen kann? Über wie viele Meere muss eine weiße Taube fliegen,
bevor sie endlich im Sand rasten darf? Die Antwort, mein Freund, sie weht im Wind.
The answer is blowing in the wind. 53 Jahre ist er jetzt alt, dieser Song von Bob
Dylan. Ich höre ihn öfter, wenn Tagungsgruppen bei uns im Innenhof des
Michaelisklosters sitzen. Irgendwer hat immer eine Gitarre dabei. Und dann singen
sie. Hinter ihnen die Michaeliskirche. „Engelsburg“ wird sie gern genannt, nach ihrem
Namensgeber, dem Erzengel Michael. Während sie da so singen, wird mir klar: Die
Strophen von „Blowin In The Wind“ sind noch immer aktuell. Man sehe sich nur die
Nachrichten und Statistiken an: 230 Millionen Kinder leben im Krieg. Jedes zehnte
Kind auf dieser Welt wohnt in einer Umgebung, die von bewaffneten Konflikten
geprägt ist. Wie große Berge von Geld gibt man aus für Bomben, Raketen und Tod,
sang Bob Dylan vor 53 Jahren. Er könnte diese Frage heute genauso stellen. Die
Flüchtlinge aus aller Herren Länder fordern unsere Gesellschaft. Wo Menschen
unterkommen, sind sie oft Vorbehalten ausgesetzt.
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Da frage ich mich mit Bob Dylan: Wie viele Meere muss ein Mensch überqueren,
bevor er endlich rasten und ausruhen kann? Sollen denn all diese Fragen tatsächlich
nur in den Wind gesprochen sein? Dann aber sehe ich auf die Kirche. Mehr als 1.000
Jahre alt. Ein offenes Denkmal. Welt-Erbe. Ihr Anblick bewegt mich. Denk mal, hier
können Menschen finden, was sie suchen. Vielleicht gibt es nicht auf alles Antworten.
Vielleicht stellen sich in ihrem Raum aber auch viel weniger Fragen. Bei allem
Unfrieden, hier mag ich wieder an Frieden glauben. In dieser Kirche fühle ich mich
dem sehr nah, der mir beim Suchen hilft und meinem windigen Leben Antwort gibt.
Der meine stürmischen Fragen aushält und mir verspricht: Es geht auch anders.
Nicht nur hier in Michaelis, der „Engelsburg“. Auch draußen, in der Welt mit ihren
Winden.
Mittwoch, 19. Oktober 2016 - Und über mir der Himmel
Tief in der Höhle leuchtet ein ganzer Sternenhimmel. Hunderte von Lichtpunkten
glimmen an der Decke. In Neuseeland gibt es das. Da klammern sich Insekten an
Felsspalten oder Gesteinsvorsprünge und imitieren die Milchstraße. Biolumineszenz,
heißt dieses Phänomen. Einige Lebewesen nutzen die Biolumineszenz bei der
Partnersuche, andere um damit Beute anzulocken. Und eine Sorte strahlt Licht aus,
um damit Feinde abzuschrecken. Biolumineszenz. Es gibt übrigens viele Ideen,
leuchtende Organismen praktisch zu nutzen. Lumineszierende Bäume etwa könnten
in Zukunft Straßenlaternen ersetzen. Leuchtende Bakterien könnte man als
Indikatoren im Umweltschutz einsetzen. Es gibt nämlich Kleinstlebewesen, die hören
auf zu leuchten, wenn sie mit bestimmten Stoffen oder Giften in Berührung kommen.
Biolumineszenz. Wie das Phänomen entstanden ist, darüber streiten sich noch die
Experten. Vielleicht vor Milliarden Jahren, vermutlich zufällig, so funktioniert Evolution
eben. Klar ist, dass dem Phänomen in der Natur ein einheitliches Prinzip zugrunde
liegt: Der Leuchtstoff wird im Rahmen eines biochemischen Prozesses im Körper
hergestellt. Kommt diese Flüssigkeit dann mit Sauerstoff in Berührung, oxidiert sie.
Licht entsteht also da, wo etwas an die Luft kommt. Vielleicht ist es das, was die
Bibel meint, wenn vom Licht die Rede ist? Ihr seid das Licht der Welt! Lasst euer
Licht leuchten. Vielleicht sollen wir all unsere Ideen und Gedanken - die ja ebenfalls
im Rahmen biochemischer Prozesse in uns entstehen -an die Luft bringen? Nicht
bloß so für mich hindenken, herumspinnen, sondern mich einbringen, es der
Wirklichkeit aussetzen. Und das was gut ist, wird dann zu leuchten beginnen. Um
andere Menschen herbeizuholen, Böses abzuschrecken, anderen den Weg nach
Hause zu leuchten. Biolumineszenz als meine Aufgabe und meine Begabung von
Gott. Er selbst ist dafür unsere größte Licht-Quelle. Mit seiner Hilfe kommt Licht und
Luft ins Dunkel und Menschen können wieder strahlen.
Donnerstag, 20. Oktober 2016 - Wer wird denn gleich in die Luft gehen?
Roland Töpfer braucht einen neuen Job. Er ist Student an der Dresdner
Kunstakademie. Kurz vor dem 17. Juni 1953 geht er nach „West-Berlin“. Arbeit findet
er bei einer Filmfirma, die gerade eine Figur für die Werbung kreieren soll. Der Chef
will eine Figur haben, die die Probleme des Alltags erlebt. Jeder sollte sich leicht mit
ihr identifizieren können. Ein Durchschnittstyp aus der Mitte der Gesellschaft. Roland
Töpfer soll diese Figur zeichnen. Ein paar dicke Bleistiftstriche, markante Nase,
irgendwie italienisch, so entsteht aus nur wenigen Zeichenstrichen Bruno, die wohl
bekannteste Werbefigur der deutschen Geschichte.
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Bruno macht Werbung für eine Zigarettenmarke. Und zwar überaus erfolgreich, denn
ihm passiert, was wir alle kennen: Bruno verbrennt sich die Finger am Herd, lässt
sich an Bushaltestellen nass spritzen, verliert sein Portemonnaie, klemmt sich in
Drehtüren ein, vergießt Milch, bläst mit einem Ventilator seine Akten durcheinander,
rutscht auf frisch gebohnerten Treppen aus…Danach schimpft er laut vor sich hin
und fliegt wütend in die Höhe. Aber, aber: „Wer wird denn gleich in die Luft gehen?“
Natürlich. Rauchen ist ungesund. Aber die Frage der Werbung ist gut. Vielleicht
deshalb wird sie in den 1950er Jahren zu einem geflügelten Wort in der
Bundesrepublik. „Wer wird denn gleich in die Luft gehen“. Darin steckt ein guter Rat.
Ruhe bewahren, sich zurück nehmen. Wer sich zu viel ärgert, macht den Ärger nur
doppelt so groß. Aber es ist manchmal gar nicht so einfach. Unangenehme
Zeitgenossen, der „ganz normale Wahnsinn des Alltags“, Stress und Pannen können
einen ja zur Weißglut treiben. Doch da lässt sich von der Werbefigur Bruno einiges
lernen. Nein, in keinem Fall der Zigarettenkonsum. Ich meine seinen Humor. Damit
wäre schon viel gewonnen. Humor die Zwillingsschwester des Glaubens. Wer über
den Alltag und die Pannen lachen kann, der ist dem Himmel schon einen großen
Schritt näher gekommen … ohne dafür in die Luft gehen zu müssen.
Freitag, 21. Oktober 2016 - Junge, fahr nie wieder hinaus
Im Sommer spielten sie in Dortmund gerade mal wieder das Gleichnis vom
verlorenen Sohn nach. Mit dem offensiven Mittelfeldspieler Mario Götze in der
Hauptrolle. Götze ist wieder "zu Hause". Zu Hause, da ist es bekanntlich am
Schönsten. Da gibt es kein Fremdeln, da freuen sich die Leute, einen
wiederzusehen. "Gut siehste aus, Junge! Bissken mager vielleicht:" Auch in
Dortmund hielten sie es also mit dem bekannten Lied der Equals und sagten sich:
Götze, "Baby, Come Back!" Dieser Titel ist übrigens in diesem Jahr genau 50 Jahre
alt.
Was ist denn „Zuhause“ für Sie? Wo ist der Ort, an den Sie zurückkommen dürfen,
egal, was war? Vielleicht dort, wo du schon mit dem Bonanza-Fahrrad rumgekurvt
bist und deine Rollschuhe Spuren in den Asphalt gefurcht haben? Wo man Grünkohl
mit Pinkel kennt und sich nix dabei denkt? Der Ort, wo man das Meer rauschen hört
oder die Elbe, die Weser, die Oker? Ich merke jedenfalls: Schon wenn ich an
manches in meiner Kindheit denke, spüre ich dieses Gefühl von Heimat. Wie eine
Sehnsucht und ich erinnere mich an die Musik der Eltern, ihren „Heimatsender“, an
den Geschmack der Eier von Omas glücklichen Hühnern, den Geruch im Hausflur,
den hinteren Winkel im Schrank, wo die Keksdose versteckt ist.
Im Gegenteil zur erinnerten Heimat ist die wirkliche aber anfällig für Veränderungen.
Es gibt nämlich keinen Stillstand im Leben. Das Leben bedeutet Wechsel. Heimat ist
daher eher der Traum von einem Ort ohne Zeit. Mag sein, aber ich wünsche doch
jedem, dass für ihn ein Ort, an den er jederzeit zurückkommen kann, kein Traum ist.
Und noch mehr, dass es Menschen gibt, die dich an die Botschaft glauben lassen,
die hinter dem Gleichnis vom verlorenen Sohn steht: Auch wenn du lange weg warst
oder gar auf Abwege geraten bist, du bist kein verlorener Sohn, keine verlorene
Tochter, bei uns nicht und erst recht bei Gott nicht. Denn auch bei ihm sind wir
herzlich willkommen. Baby, come back, gut siehste aus, bissken mager vielleicht.
Komm, ich mach uns was zu essen.
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