Vom Fachkräftemangel zum Arbeitskräftemangel von Tobias Mengis Des Öfteren wird für den «War for Talent» der demografische Wandel als Ursache aufgeführt. Beschäftigt man sich aber genauer mit den Fakten, wird schnell klar, dass die aktuelle Verknappung noch nichts mit diesem Wandel zu tun hat. Die grosse Verknappung steht noch bevor. Erst in 10 bis 20 Jahren wird sich der demografische Wandel auf den Arbeitsmarkt auswirken. Das bedeutet, dass heute zwar schon in zahlreichen Branchen ein Fachkräftemangel vorherrscht, aber das eigentliche Problem des Arbeitskräftemangels noch bevorsteht (siehe Grafik auf der folgenden Seite). Der demografische Wandel wird zu einer beträchtlichen Verringerung der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte führen. Das Schrumpfen des Arbeitskräftepotenzials wird sich in den nächsten Jahren langsam bemerkbar machen. Die Unternehmen werden mittelfristig von entscheidenden Veränderungen geprägt werden: das steigende Durchschnittsalter und die grössere Altersspanne der Mitarbeiter. Insgesamt wird der zukünftige Arbeitsmarkt von älteren Arbeitnehmern dominiert. Die Entwicklung stellt Unternehmen, das Recruiting und damit das ganze HR vor immense Herausforderungen. Mit dem Wandel der Arbeitsgesellschaft gehen enorme Veränderungen der Anforderungen an das HR einher. Eine zentrale Rolle spielt das Überprüfen und Weiterentwickeln der in den Unternehmen vorherrschenden Strukturen und Denkmuster bezüglich der Beschäftigung älterer Mitarbeiter. Personal wird zum Engpass, 6 Rekrutierung, Bindung, Weiterentwicklung und Nutzung des Potenzials entscheiden über die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Längere Lebensarbeitszeit Globalisierung und ein rasanter technischer Wandel setzen einen kontinuierlichen Weiterbildungsprozess voraus. Lebenslanges Lernen wird in Zeiten des demografischen Wandels immer wichtiger. Personalentwicklung ist eine notwendige Voraussetzung zur langfristigen Sicherung und Innovationskraft von Unternehmen. Vor dem Hintergrund der alternden Mitarbeiter wird die Personalentwicklung vor besondere Herausforderungen gestellt. Weiterbildungsangebote für ältere Beschäftigte sind bisher nicht im Fokus der Personalentwicklung gestanden. Dies wird sich in den nächsten Jahren ändern müssen. Als positiver Nebeneffekt wird das Unternehmen länger von dem erworbenen Wissen profitieren: Die Lebensarbeitszeit wird sich definitiv verlängern. Knacknuss Wissenstransfer Die Bewahrung von erfolgskritischem Wissen ist eine weitere Knacknuss, die im Zuge der Altersheterogenität geknackt werden muss. Unternehmen, die es schaffen, eine altersübergreifende Kultur des Wissenstransfers zu etablieren, profitieren im doppelten Sinne: Ältere Mitarbeiter bringen Erfahrung und langjähriges Branchenwissen ein, während diese wiederum von den technologischen Fertigkeiten der Jüngeren Vorteile ziehen können. Eine weitere Recruiting Guide 2015 Anzahl Personen in 1000 Massnahme für die Bindung älterer Menschen im Unternehmen ist die Ausrichtung auf individuelle Bedürfnisse. Besonders die Gestaltung der Arbeitszeit bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten. Im Hinblick auf die Veränderung des Leistungsvermögens und der familiären Lebensumstände können flexible Arbeitszeitmodelle (Teilzeit, Jobsharing, Homeoffice) hilfreich sein. Gesundheitsmanagement Auch das Thema des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) rückt weiter in den Vordergrund. Ziel des BGM ist, die Belastungen der Beschäftigten zu optimieren und die persönlichen Ressourcen zu stärken. Durch gute Arbeitsbedingungen und Lebensqualität am Quelle: Bundesamt für Statistik BFS Arbeitsplatz werden auf der einen Seite die Gesundheit und die Motivation nachhaltig gefördert und auf der anderen Seite die Produktivität, Produkte- und Dienstleistungsqualität sowie Innovationsfähigkeit eines Unternehmens erhöht. Das Recruiting wird sich neuen Herausforderungen stellen müssen. Der vorherrschende Fachkräftemangel ist nur ein kleiner Vorgeschmack darauf, was noch bevorsteht. Der Bedarf an Arbeitskräften wird sich zukünftig nicht mehr ausschliesslich durch junge Menschen decken lassen. Die Berücksichtigung älterer Bewerber wird dementsprechend wichtiger werden. Tobias Mengis ist seit 2014 Geschäfts- und Verkaufsleiter der jobindex media ag, Herausgeberin von HR Today. Zuvor hat er als Country Manager den Markteintritt von experteer.ch koordiniert und mehrere Jahre für Tamedia als Verkaufsleiter die Onlinejobbörsen jobwinner.ch, jobup und alpha.ch vermarktet. Mengis ist Diplom-Betriebswirt und geprüfter HR-Manager. Recruiting Guide 2015 7
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