Cultural Fit - talent

Cultural Fit –
Softskill schlägt Hardskill, aber wie?!
Von Tobias Mengis
Seit Jahrzehnten zieren Begriffe wie «Soft
Skills» oder «Persönlichkeit» worthülsenartig
die Stelleninserate in Zeitungen und Onlineportalen. Der Cultural Fit wird also schon lange
angestrebt. In der Rekrutierungsarbeit wirft das
aber methodische Fragen auf. Wie wird evaluiert, ob denn nun eine Person unternehmenskulturell die richtige Wahl darstellt? Und wie
gewährleistet man nachweislich den Match
zwischen Bewerber und Kultur?
Nach nur einem Monat entliess Apple-CEO Tim
Cook seinen Chefverkäufer John Browet. Nach
einem langwierigen und kostenintensiven Hiringprozess kam es trotzdem zu einer Fehlbesetzung. Begründet wurde der schnelle Entscheid mit dem mangelnden Culture Fit. Browet
habe nicht zur Kultur von Apple gepasst. Es
erstaunt, dass selbst Unternehmen wie Apple in
strategisch wichtigen Neubesetzungen den
Cultural Fit nicht schaffen. Ist es demnach unmöglich, mit herkömmlichen Analysetools einen Cultural Match zu finden?
Oberflächlicher Einheitsbrei
«Cutural Fit is the glue that holds an organisation together» schreibt Katie Bouton, Gründerin
eines etablierten Executive-Search-Unterneh6
mens in der Harvard Business Review. Auch Sie
verweist auf den grossen finanziellen Schaden,
den ein Fehler beim Recruiting bei fehlender
kultureller Übereinstimmung verursachen kann.
Bouton empfiehlt als Lösungsvorschlag einen
kargen Fragenkatalog, der als Cultural-Fit-Indikator zugrunde gelegt werden soll.
Viele Unternehmen fragen sich zu Recht ob
sich im Vorfeld nachhaltig belegen lässt, dass
ein Mitarbeiter zu einem Unternehmen passt.
Kann das ein allgemeiner Fragenkatalog objektiv analysieren? Lauren Rivera, Professorin an
der Northwestern University, Kellogg School of
Management, führte hierzu mehrere Interviews
mit Personalentscheidern. Ihre wenig überraschende Erkenntnis: Die Bewertung seitens
eines Personalverantwortlichen, ob ein Talent
zur Unternehmenskultur passt ober nicht, ist
höchst subjektiv. Gefragt wurde etwa nach
Lieblingsrestaurants und Hobbys. Ist die Restaurantwahl gepaart mit Sympathie ein Cultural
Fit? Wohl eher nicht. Eine Übereinstimmung mit
den Vorlieben des Personalers sind kein Garant, dass es auch im Team harmoniert. Der
HR-Manager dupliziert und diversifiziert nur
sich selbst. Dieser Ansatz ist wenig zukunftsträchtig. Zudem besteht die Gefahr, dass dieser
oberflächliche Ansatz nach dem GleichheitsRecruiting Guide 2016
prinzip innovationshemmende Nebeneffekte
aufweist. Der frische Wind weicht dem Einheitsbrei.
Peer-Recruiting als Lösungsansatz
Auch Christoph Athanas vom Beratungsunternehmen MetaHR hat 2016 in einer umfangreichen Cultural-Fit-Studie, die auch die
Schweiz abdeckt, herausgefunden, dass 80
Prozent der Unternehmen das Thema als sehr
wichtig einstufen, aber die Mehrzahl der Unternehmen noch keine oder nur eine unsystematische Form der Bearbeitung aufweisen. Aber
wie kann man dann einen umfassenden Cultural Fit gewährleisten?
Peer-Recruiting scheint ein vielversprechender Lösungsansatz darzustellen. Sipgate,
ein innovatives IT-Unternehmen, hat den klassischen Rekrutierungsprozess abgelöst und
setzt auf Peer-Recruiting. Die Personalverantwortung wurde vom Chef auf die Mitarbeiter
übertragen. Dieses Modell war für das Unternehmen nur eine logische Massnahme, die aus
der Scrum-Methode hergeleitet nun auch die
Strukturen des HR beeinflusst. Auf das Recruiting bezogen stellt niemals nur eine einzige
Person einen neuen Kollegen ein, sondern immer ein Team. Das wirkt sich auch positiv auf
die Effizienz aus.
Bei Sipgate werden Bewerbungen innerhalb von 24 Stunden beantwortet. Und keinesfalls mit einem Standardtext. Laut Carina Visser
von Sipgate werden selbst Absagen aussagekräftig formuliert. Neben Dingen, die in der Bewerbung positiv aufgefallen sind, werden auch
konkrete Gründe für die Absage formuliert. Das
stärkt die Aussenwahrnehmung der Unternehmensmarke selbst in einem Absageprozess
positiv. Kernpunkt in diesem Peer-RecruitingProzess bildet wiederum der Cultural Fit. Dem
persönlichen Mindset des Bewerbers fällt eine
höhere Bedeutung zu als der fachlichen QualiRecruiting Guide 2016
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fikation. Ein kultureller Match hat daher mehr
Gewicht als Abschlusszeugnisse oder gute Noten. Für Sipgate ist es essenziell, dass sich ein
Bewerber mit der Kultur des Unternehmens
beschäftigt. Dabei werden nicht vornehmlich
Hobbys und Essgewohnheiten abgefragt, sondern auch Lern- bzw. Lesegewohnheiten und
das Wertesystem. Es werden Leute gesucht,
die lernen wollen, und keine, die irgendwo einen tollen Abschluss haben. Das alles mündet
in besseren Leistungen, höherer Arbeitszufriedenheit und Loyalität.
Um in Zukunft den Cultural Fit transparent
zu machen, braucht es neben neuen HR-Strategien und einem klaren Verständnis bzw. einer
Definition der eigenen Unternehmenskultur
neue Werkzeuge. Ein Ansatz verfolgt Christoph
Athanas mit dem Tool «Cultural Fit evaluator».
Die Software vergleicht Werte und arbeitskulturelle Präferenzen mit jenen einer Einzelperson. Damit können laut Athanas der Cultural
Fit gemessen, die Employer-Brand-Kommunikation kontrolliert und ein Kulturwandel unterstützt werden.
und HR-Experten zusammensetzt – hat die
Schwachstellen herkömmlicher Auswahlverfahren analysiert und ein innovatives Tool entwickelt. Softfactors basiert auf einem Kompetenzmodell, das den Cultural Fit detailliert
definieren lässt und dadurch das Matching
zwischen Kandidaten und Unternehmen verbessert. Softfactors-Mitgründer Reto Ruegger
ist überzeugt, dass das die Qualität im Rekrutierungsprozess massiv beeinflusst. Interessant
ist, dass auch in diesem Modell eine Absage für
nicht berücksichtigte Kandidaten einen positiven Mehrwert bietet. Denn jeder Kandidat erhält einen individuellen Feedback-Report inklusive Denk- und Kommunikations-Stil Analyse.
Die Zukunft wird zeigen, welche Methoden
zu einer objektivierbaren Einschätzung beitragen. Auch wenn viele Massnahmen noch zu
kurz greifen, der Faktor Kulturmatch wird in
erfolgreichen Rekrutierungsstrategien einen
essenziellen Part einnehmen. Schmerzliche
Fehlbesetzungen wie im Fall Apple werden
dann irgendwann der Vergangenheit angehören, denn um mit Peter Drucker zu schliessen:
«Culture eats strategy for breakfast».
Absagen mit Mehrwert
Aber auch in der Schweiz gibt es interessante
Ansätze. Softfactors – ein Softwarenunternehmen das sich aus Psychologen, Ingenieuren
Tobias Mengis ist Geschäfts- und Verkaufsleiter der jobindex
media ag, Herausgeberin von HR Today. Zuvor hat er als Country
Manager den kommerziellen Markteintritt von Experteer
koordiniert und für Tamedia als Verkaufsleiter die Onlinejobbörsen Jobwinner, Jobup und ALPHA vermarktet. Mengis ist Diplom
Betriebswirt und geprüfter HR-Manager.
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Recruiting Guide 2016