Tätowierungen und mögliche gesundheitliche Folgen

MEDIZIN
EDITORIAL
Tätowierungen und mögliche
gesundheitliche Folgen
Wolfgang Bäumler
Editorial
zu den Beiträgen:
„Risiken
für bakterielle
Infektionen
nach
Tätowierungen“
von Ralf Dieckmann
et al. und
„Vom Tattoostudio in
die Notaufnahme“
von Sven Jungmann
et al.
auf den folgenden
Seiten
S
eit Jahrtausenden lassen sich Menschen tätowieren, wobei Tätowierungen in den verschiedenen Kulturen und Ländern dieser Erde einen sehr
unterschiedlichen Stellenwert haben. In den letzten
Jahrzehnten hat sich in großen Teilen der westlichen
Welt ein Wandel vollzogen, und die negative Einstellung gegenüber dem Tätowieren hat sich deutlich abgeschwächt. Vorreiter für diesen Trend sind
besonders tätowierte Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen wie Schauspieler, Musiker und
Sportler. Mögliche medizinische Konsequenzen wie
Infektionen aufgrund bakterieller Kontaminationen
oder allergische Reaktionen werden allerdings öffentlich nur selten wahrgenommen. Aus diesem
Grund widmen sich zwei Publikationen dieser Ausgabe dem Thema.
Tätowierungsfarben und
Mikroorganismen
Tätowierungsfarben sind manchmal mikrobiell
kontaminiert. Die Autoren Dieckmann et al. (1) haben eine systematische Literaturrecherche zu klinischen Infektionen infolge von Tätowierungen
durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten eine erheblich
Belastung der Tätowierungsfarben mit unterschiedlichen Bakterien. Darunter befanden sich Staphylokokken, Streptokokken und Pseudomonaden, und
das trotz des üblichen Einsatzes von Konservierungsmittel wie Paraben, Formaldehyd, Phenol oder
Methylisothiazolinon (2). Oftmals bleibt aber unklar, ob die Infektionen durch Kontamination der
Tätowierungsfarben, durch unhygienisches Arbeiten im Tätowierungsstudio (zum Beispiel unzureichende Desinfektion der Haut) oder durch unhygienisches Verhalten der tätowierten Personen nach
dem Tätowieren ausgelöst werden. Auf Seiten der
Behörden wird bereits diskutiert, die öfter benutzten, offenstehenden Behälter der Tätowierungsfarben durch Einmal-Behälter zu ersetzen, um eine
mögliche Kontamination mit Mikroorganismen zu
unterbinden.
Klinik und
Poliklinik für
Dermatologie,
Regensburg:
Prof. Dr. rer. nat.
Bäumler
Tätowierungsfarben
und allergische Reaktionen
In einer Arbeit von Jungmann et al. (3) wird eine
schwere systemische Reaktion beschrieben, die etwa
fünf Stunden nach einer Tätowierung aufgetreten ist.
Es begann mit einer Schwellung im Bereich der Tä-
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 40 | 7. Oktober 2016
towierung und endete in der Notaufnahme mit einer
systemischen Anaphylaxie, Schweregrad III. Solch
schwere Verläufe sind bis jetzt in der medizinischen
Fachliteratur eher selten beschrieben. Deutlich häufiger aber und ebenfalls stark beeinträchtigend sind
Reaktionen im Bereich der tätowierten Haut, auch
mit Streureaktionen, die insbesondere in Arealen mit
roten Tätowierungsfarben auftreten. Die Therapie
solcher Lokalreaktionen ist häufig langwierig und
nicht immer zielführend. In einigen Fällen bleibt nur
die Exzision (4).
Tätowierungsstudios
und -farben
Tätowiert wird meistens in Tätowierungsstudios.
Die Tätowierungsfarben stammen entweder von spezialisierten Händlern oder werden über das Internet
bezogen. Elektrische Tätowierungsmaschinen befördern mit vibrierenden, spitzen Nadeln die Tätowierungsfarben in die Haut, etwa 2,5 mg pro Quadratzentimeter Haut (5). Ein Teil verbleibt in der Dermis
und bildet die farbige Tätowierung, ein anderer Teil
wird über das Blutgefäßsystem oder das Lymphsystem aus der Haut abtransportiert, landet dadurch
auch in anderen Organen oder wird sogar wieder
ausgeschieden. Gefärbte Lymphknoten in der Nähe
von Tätowierungen sind ein seit längerer Zeit bekanntes Phänomen (6). Welche Organe darüber hinaus betroffen sein könnten, ist derzeit nicht untersucht.
Analysen und Umfragen haben ergeben, dass die
Tätowierer für farbige Tätowierungen meistens moderne Industriepigmente verwenden (7), welche einen brillanten Farbkontrast besitzen und wasserunlöslich sind. Beide Eigenschaften sind für eine haltbare, professionelle Tätowierung von entscheidender Bedeutung.
Die Tätowierer erhalten in der Regel die Tätowierungsfarben als fertig gemischte Suspensionen. Diese enthalten in der Hauptsache das farbgebende Pigment, allerdings auch eine Vielzahl weiterer Stoffe,
denn es gibt für die Herstellung der Tätowierungsfarben keine international gültigen Standards, sie
sind keine Medizinprodukte, Kosmetikprodukte
oder Arzneimittel. In Tätowierungsfarben befinden
sich unterschiedliche Ausgangsstoffe und Verunreinigungen der verwendeten industriellen Pigmente,
Spaltprodukte, Lösungsmittel, Emulgatoren, Binder,
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Antischaummittel (zum Beispiel Polydimethylsiloxan), Konservierungsmittel (beispielsweise Parabene, Phenol, Methylisothiazolinon), Metalle (zum
Beispiel Nickel, Kobalt, Chrom) sowie Verunreinigungen wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe oder Phthalate. Tätowierungsfarben sind
auch immer wieder mit verschiedenen Mikroorganismen kontaminiert.
In einem kürzlich veröffentlichtem Dokument des
Joint Research Centers (JRC) der Europäischen Union ist zu lesen, dass Tätowierungsfarben bis zu 100
verschiedene Einzelsubstanzen enthalten können
(2). Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass Tätowierungen immer wieder gesundheitliche Probleme verursachen können.
Die Häufigkeit gesundheitlicher Probleme
Wie häufig gesundheitliche Probleme in Zusammenhang mit Tätowierungen auftreten, ist derzeit
völlig unklar. Mit Ausnahme von wenigen Studien
und Umfragen fehlen aussagekräftige epidemiologische Untersuchungen (8, 9). In Anbetracht der hohen Anzahl von tätowierten Menschen ist das ein
nicht haltbarer Zustand. In Europa haben etwa 12 %
der Gesamtbevölkerung mindestens eine Tätowierung (2), in den USA sind es sogar 24 % (10). Für
Produkte, die dem Verbraucher gefährlich werden
könnten, gibt es zwar innerhalb der Europäischen
Union RAPEX (Rapid Alert System for Non-Food
Dangerous Products), wobei es bis zum Jahr 2016
zum Thema Tätowierungen nur 136 Eintragungen
gab (2).
Verbraucherschutz
Die Europäische Kommission hat sich zum Thema
Verbraucherschutz bei Tätowierungen geäußert (2)
und so Rahmenbedingungen für die Politik vorgegeben. Derzeit ist aber unklar, wann und in welchem Umfang die längst identifizierten Probleme
mit Tätowierungen mittels geeigneter gesetzlicher
Regeln auf europäischer Ebene angegangen werden.
Das gilt insbesondere für allergene Substanzen
und die Einhaltung von Hygienemaßnahmen, aber
auch für die Vermeidung von toxischen und karzinogenen Stoffen in Tätowierungsfarben. Zumindest
haben einige Nationalstaaten gesetzliche Regelungen für Tätowierungsfarben auf Basis von Resolutionen des Council of Europe (ResAP[2003]2, ResAP[2008]1) erlassen. Darunter befindet sich auch
die Tätowiermittelverordnung in Deutschland, die
allerdings erst im Jahr 2009 in Kraft getreten ist und
bezüglich der Inhaltstoffe von Tätowierungsfarben
nur eine Negativliste darstellt. Neuere Entwicklungen zum Thema werden unter Einbindung der European Chemicals Agency anlässlich des Kongresses
der European Society of Tattoo Pigment Research
(ESTP) 2017 in Anwesenheit von Medizinern, Tätowierern und Herstellern von Tätowierungsfarben
diskutiert.
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Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
LITERATUR
1. Dieckmann R, Boone I, Brockmann SO, Hammerl JA, Kolb-Mäurer
A, Goebeler M, Luch A, Al Dahouk S: The risk of bacterial infection
after tattooing—a systematic review of the literature. Dtsch Arztebl
Int 2016; 113: 665–71.
2. Joint Research Centre: Safety of tattoos and permanent make-up –
final report. https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-andtechnical-research-reports/safety-tattoos-and-permanent-makefinal-report. (last accessed on 22 September 2016).
3. Jungmann S, Laux P, Bauer TT, Jungnickel H, Schönfeld N, Luch A:
From the tattoo studio to the emergency room. Dtsch Arztebl Int
2016; 113: 672–5.
4. Serup J, Carlsen KH, Sepehri M: Tattoo complaints and complications: Diagnosis and clinical spectrum. Curr Probl Dermatol 2015;
48: 48–60.
5. Engel E, Santarelli F, Vasold R, et al.: Modern tattoos cause high
concentrations of hazardous pigments in skin. Contact Dermatitis
2008; 58: 228–33.
6. Laux P, Tralau T, Tentschert J, et al.: A medical-toxicological view of
tattooing. Lancet 2016; 387: 395–402.
7. Baumler W, Eibler ET, Hohenleutner U, Sens B, Sauer J, Landthaler
M: Q-switch laser and tattoo pigments: First results of the chemical
and photophysical analysis of 41 compounds. Lasers Surg Med
2000; 26: 13–21.
8. Kluger N: Self-reported tattoo reactions in a cohort of 448 french
tattooists. Int J Dermatol 2016; 55: 764–8.
9. Klugl I, Hiller KA, Landthaler M, Baumler W: Incidence of health
problems associated with tattooed skin: A nation-wide survey in
german-speaking countries. Dermatology 2010; 221: 43–50.
10. Laumann AE, Derick AJ: Tattoos and body piercings in the United
States: A national data set. J Am Acad Dermatol 2006; 55:
413–21.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Bäumler
Klinik und Poliklinik für Dermatologie
Universitätsklinikum Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93053 Regensburg
[email protected]
Zitierweise
Baeumler W: The possible health consequences of tattoos.
Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 663–4. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0663
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Die englische Ausgabe: Deutsches
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