die bank - Ausgabe Oktober 2016

G 8790
einlagensicherung
Zwischen Risiko
und Haftung
nr.10
fl www.die-bank.de
ó
oktober 2016
die bank
ZEITSCHRIFT FÜR BANKPOLITIK UND PRAXIS
geschäftsmodelle
Hanseatic Bank
personal
Änderung der Institutsvergütungsverordnung
Euro 11,00
digitalisierung
Kundenhürden beim Onboarding
Inhalt 10.2016
fi
06
Interview: Der Finanzmarkt der
Zukunft
09
Regulierung: Kapitalmarktunion
auf der Kippe
Dennis Heuer
14
22
Finanzmarktintegration:
Regulatorische Bevorzugung
von Staatsanleihen
34
Finanzmarkt Trends
36
Einlagensicherung:
Im Spannungsfeld von Risiko
und Haftung
Markus Demary
26
Verbriefungsindustrie: Vorhang
auf – das Drama um den Brexit
Peter Scherer
18
FINANZMARKT
SONDERTEIL ZUM TSI CONGRESS
Verbriefung: Refinanzierung
von FinTechs
Dietmar Helms | Michael F. Spitz
30
Finanzierungsstrukturen:
Vielfältige Geschäftsmöglichkeiten für Banken
Arne Klüwer
GESCHÄFTSMODELLE
Islamic Banking
In Deutschland beschränkte sich der Markt
für islamkonforme Finanzprodukte bislang
auf eine absolute Minderheit. Zumeist entwickelte sich die Branche an den Bedürfnissen
der breiten Mehrheit der muslimischen Bevölkerung vorbei, zumal es hierzulande an
den Voraussetzungen für ein wettbewerbsfähiges Islamic Banking noch fehlt. Auch die
auf Muslime zugeschnittenen Filial- und Vertriebskonzepte einiger konventioneller Institute konnten nicht über den Mangel an für
Retail-Kunden geeigneten Produkten hinwegtäuschen. Anbieter aus muslimisch geprägten Staaten traten nur in Form von Repräsentanzen oder Niederlassungen auf, mittels derer sie zumindest die Drittstaateneinlagenvermittlung betreiben konnten. Mit der ersten islamkonformen Vollbank in Deutschland
kommt nun erstmals Bewegung in eine
Marktnische.
Y S. 53
Marktentwicklung: Kreditvergabe jenseits von Banken
Nick Wittek
Bernd Bretschneider | Christina Weymann
42
Ultraexpansive Geldpolitik:
Der umstrittene Kurs
der europäischen Zentralbank
Markus Gerhard
BANKING
BETRIEBSWIRTSCHAFT
IT & KOMMUNIKATION
46
Banking News
58
Betriebswirtschaft kompakt
72
IT & Kommunikation Trends
48
Top-Banken Global: Gewinne in
Europa legen gegen den Trend zu
60
Geschäftsmodelle: Spezialist für
Konsumentenkredite
74
Onboarding: Bankkunde werden:
Hürden in digitalen Zeiten
Birga Teske
53
Eli Hamacher
Geschäftsmodellanalyse: Islamic
Banking für den deutschen Markt?
66
Oliver Kruse | Jonas Wischermann
Reform der Insolvenzanfechtung:
Bankgeschäfte sind künftig
schwerer anfechtbar
Matthias Bitzer
78
Karsten Kiesel
56
Anweisungswesen: Jede zweite
Bank riskiert Revisionsmoniten
70
Andreas Richter | Ralf Heydebreck
Sparer trotzen Zinstief:
Geldvermögen der Deutschen übersteigt 5,3 Bio. €
Künstliche Intelligenz:
Kognitive Kollegen gestalten
die Bank von morgen
Olav Strand
80
CRM in Banken: Aus Kundensicht
fehlt noch die Modernität
Heike Jochims | Marc Jochims
Bernd Sprenger
RUBRIKEN & SERVICE
Editorial 03
Personalien 94
Bücher 95
Impressum 97
BERUF & KARRIERE
AUS DER BANKENAUFSICHT
www.eba.europa.eu Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA)
konsultiert noch bis zum 26. Oktober 2016 einen Entwurf für neue Leitlinien zur Kreditrisikomanagement-Praxis und die Bilanzierung von erwarteten
Verlusten (Expected Credit Losses). Die geplante EBA-Regularie basiert auf
den vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) im Dezember 2015
publizierten Prinzipien für das Kreditrisikomanagement (BCBS 350). Die
Leitlinien sollen grundsätzlich von allen Banken beachtet werden, die ein
Expected-Loss-Modell anwenden. Für diejenigen Institute, die kein Expected-Loss-Modell zum Einsatz bringen, soll die zuständige Aufsichtsbehörde
prüfen, ob diese die EBA-Leitlinien hinsichtlich der KreditrisikomangementPraxis zu beachten haben. Dadurch könnten zumindest Teile der neuen
Kreditrisiko-Prinzipien auch für HGB-Institute gelten, sofern die nationale
Bankenaufsicht dies als erforderlich ansieht. Grundsätzlich soll BCBS 350
allerdings in Abhängigkeit der Größe, internen Struktur und Komplexität der
Geschäfte eines Instituts angewandt werden. Eine Defintion der EBA, ab
wann eine Bank groß oder komplex ist, steht jedoch noch aus. Die geplante EBA-Regularie enthält u. a. acht Prinzipien zur Risikomanagement-Praxis
und der Bilanzierung erwarteter Verluste. Die Prinzipien sollen auch im Rahmen des SREP-Prozesses Berücksichtigung finden, d. h. etwaige Defizite im
Risikomanagement werden mit Kapitalzuschlägen sanktioniert.
84
Beruf & Karriere aktuell
86
Regulierung: Vergütungsregulierung
im ungebrochenen Fokus
Matthias Merkelbach | Martin von Hören
90
Management:
Ein leistungsstabilisierender Faktor
Hartmut Volk
92
At the top ” Klaus Vehns:
Der Tech-Banker
Jonas Dowen
Der Finanzmarkt der Zukunft
INTERVIEW mit Dr. Hartmut Bechtold, Chef der True Sale International GmbH, über die Entwicklung des
Verbriefungsmarkts, die Folgen des Brexit und die regulatorischen Änderungen durch die Kapitalmarktunion.
diebank: Herr Dr. Bechtold, wie bewerten
Sie die Entwicklung des Verbriefungsmarkts in den vergangenen Jahren? Und
welches Potenzial sehen Sie für Verbriefungstransaktionen in Deutschland?
Bechtold: Der deutsche Verbriefungsmarkt
hat in den vergangenen Jahren vor allem bei
der Verbriefung von Autofinanzierungen sowie in der Working-Capital-Finanzierung
der deutschen Wirtschaft, der Verbriefung
von Handels- und Leasingfinanzierung, sein
Potenzial unter Beweis gestellt. Zählt man
beides zusammen, so kommt man für 2015
auf etwa 30 Mrd. € Finanzierungsbeitrag.
Hinzu kommen noch etwa 30 Mrd. € an einbehaltenen Verbriefungstransaktionen, die
für reine EZB-Refinanzierungszwecke getätigt wurden, sodass sich insgesamt der
deutsche Verbriefungsmarkt bei den Neuemissionen deutlich vor den Pfandbrief geschoben haben dürfte, zumal dieser 2015
überwiegend in dem Ankaufprogramm der
EZB landete. Was das Potenzial angeht, so ist
bei den Auto-ABS sicher mehr als das doppelte Volumen von 2015 möglich – was etwa
30 bis 40 Mrd. € wären. Und auch bei den
Handels- und Leasingforderungen dürfte
mittelfristig eine Verdreifachung der jetzigen Zahlen zu erreichen sein. Aber es kommt
auf die entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen für Originatoren und Investoren an. Hier gibt es noch viel zu tun.
diebank: Mit Asset Based Finance und
angrenzenden Assetklassen eröffnet sich
für das klassische Verbriefungssegment
eine ganz neue Dimension. Handelt es
sich dabei nur um eine Randerscheinung
oder um den Finanzierungsmarkt der
Zukunft?
6 diebank 10.2016
Bechtold: Es ist der Finanzmarkt der Zukunft. Investoren suchen sichere Anlagen.
Bislang läuft der Großteil der Ersparnisse
der privaten Haushalte in Europa in die
Staatsanleihen, was aber nicht primär auf
deren vermeintlicher Sicherheit beruht,
sondern wesentlich regulatorisch getrieben
ist, d. h. auf die Nullanrechnung bei der Eigenkapitalunterlegung von Banken und
Versicherungen sowie auf die weiteren regulatorischen Ausnahmetatbestände in der
Liquidity Coverage Ratio, der Großkreditbehandlung usw. zurückzuführen ist. Alle Formen von Asset-Based-Finance-Finanzierungen, wozu auch die Verbriefungen gehören,
bieten aber eine Sicherheit, die über die Einzelbonität eines Schuldners hinausgeht. Natürlich gilt es dabei auch, sich den Forderungspool und die Transaktionsstruktur immer genau anzuschauen.
diebank: In diesem Jahr wurde erstmals in
Europa eine sogenannte „Peer-to-Peer“Verbriefung (P2P) des britischen Kreditplattformbetreibers Funding Circle am
ABS-Primärmarkt emittiert. Die Kreditvermittlungsplattformen sind ein relativ neues
Phänomen, aber zumindest zahlenmäßig in
der EU mit über 500 Anbietern schon etabliert. Die langfristige Feuertaufe dieses
Geschäftsmodells steht allerdings noch
aus. Sind P2P-Verbriefungen mehr Chance
oder mehr Risiko?
Bechtold: Wohl beides. Während die Verbriefungen von europäischen Banken und Leasinggesellschaften in den letzten fünfzehn
Jahren über die Subprime- und Eurokrise hinweg ihre Qualität unter Beweis stellen konnten, fehlen entsprechende Erfahrungen für
den jungen Markt der P2P-Verbriefungen
noch. Umso aufmerksamer sollten sich alle
Beteiligten diesem Markt nähern, um sein
großes Potenzial nicht zu verspielen.
diebank: Das Projekt einer europäischen
Kapitalmarktunion hat bislang noch keine
vorzeigbaren Ergebnisse gebracht, obwohl
die Fundamente schon 2019 stehen sollen.
Das negative Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens (Brexit) hat das
Vorhaben nun zusätzlich verkompliziert. Ungelöst ist bislang auch die Harmonisierung
des Insolvenzrechts und Fragen der Bilanzierung mittelgroßer und kleiner Unternehmen. Wo soll angesichts der Vielzahl von
Problemen zuerst angesetzt werden?
Bechtold: Kontinentaleuropa hängt in der
Wirtschaftsfinanzierung wesentlich am
Bankkredit. Dies hat viele Ursachen: Keine
großen Pensionsfonds, Risikoaversion der
Privathaushalte, regulatorische Einschränkungen für Versicherungsanlagen, aber
auch eine hohe Dominanz von Unternehmen, die für den Kapitalmarkt entweder zu
klein sind oder von ihrer internen Governance als Familienunternehmen nicht kompatibel sind. Es wird Generationen brauchen, um dies zu ändern. Von daher kann
man die EU-Überlegungen nur begrüßen,
den Bankkredit enger mit dem Kapitalmarkt zu vernetzen. Und ein sehr geeigne-
tes Instrument dafür ist die Verbriefung.
Ebenso hilft dabei das Instrument der Verbriefung von Handels- und Leasingforderungen. Und es macht auch Sinn, das Vertrauen in das Instrument der Verbriefung
bei allen Beteiligten weiter zu stärken,
durch eine Regulierung, die zu einer gewissen Standardisierung, Transparenz und einem Level Playing Field mit anderen Anlageformen beiträgt. Von daher ist das Ansinnen der Kommission nur zu begrüßen, bei
ihrem Kapitalmarktprojekt mit einer verbesserten Verbriefungsregulierung einzusteigen. Jedoch klaffen Ziel und Umsetzung
himmelweit auseinander. Mit ihren aktuellen Regulierungsvorschlägen würden EUKommission und EU-Parlament – sollten sie
denn so kommen – dem Markt völlig den
Garaus machen. Man kann über die Qualität
derartiger Entwürfe nur den Kopf schütteln.
Es reicht nicht, Visionen zu formulieren,
man muss auch machbare und klare Umsetzungspläne haben. Und man fragt sich natürlich auch, wie denn die EU die wesentlich
komplizierteren Rechtsfragen des Zivil- und
Insolvenzrechts mittelfristig anpacken will,
wenn man sich schon bei dem überschaubaren und einfach zu regelnden Bereich einer Verbriefungsregulierung bislang so
schwer tut.
diebank: Ziel der Kapitalmarktunion ist es,
die Unternehmen unabhängiger von Bankkrediten zu machen, das Finanzsystem stabiler zu gestalten und grenzüberschreitende
Investitionen zu erleichtern. Der Markt für
Verbriefungen, die ein wichtiges Kapitalmarktinstrument sind, könnte hier eine zentrale Funktion übernehmen. Doch die Europäer trauen diesem Instrument nicht,
Vorurteile sind weit verbreitet. In den USA
dagegen brummt dieser Markt schon wieder,
obwohl dort die Ursprünge des Misstrauens
gegenüber Verbriefungen zu finden sind.
Was ist das eigentliche Problem?
Bechtold: Das tiefere Problem in Europa
scheint mir zu sein, dass die Ursachen der
Finanzkrise von Politik und politischer Öffentlichkeit nie richtig aufgearbeitet wur-
Lenker und Ideengeber
Dr. Hartmut Bechtold ist seit ihrer Gründung
Anfang 2004 Geschäftsführer der True Sale
International GmbH, eine von deutschen Banken gegründete Finanzorganisation zur Förderung des deutschen Verbriefungsmarktes. Zuvor war Bechtold mehrere Jahre lang
Zentralbereichsleiter Privat- und Geschäftskunden sowie Vertriebsleiter bei der SEB AG.
Neben seiner Banklaufbahn war er in der
Wirtschaftsberatung, Wissenschaft und Industrie tätig. Bechtold studierte Betriebs- und
Volkswirtschaftslehre an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und promovierte mit einer von der Universität und DIHK Frankfurt
ausgezeichneten, volkswirtschaftlichen Arbeit
zur Wirtschaftsgeschichte. Der passionierte
Fahrradfahrer hält auch bei der TSI den Lenker fest in der Hand und wirkt als Ideengeber,
Interessenvertreter und Fachexperte.
fi
INTERVIEW
den. Man hat stattdessen einfache, wohlfeile Erklärungen herangezogen und nach
mehr Regulierung gerufen, ohne überhaupt
eine klare Analyse der Malaise voranzustellen. So kommt es, dass wir Jahre danach viele neue Regulierungsinstitutionen geschaffen, zehntausende von Seiten neuer Regulierungstexte verabschiedet haben, aber immer noch über Kernthemen wie Unterkapitalisierung von Banken reden. An keinem
Thema kann man das Problem so gut aufzeigen wie an der Verbriefung. Obgleich europäische Verbriefungen sich über zwei Finanzkrisen hinweg bewährten und man auf
diesen Erfahrungen in einer Regulierung
hätte aufbauen können, führen wir heute
noch Diskussionen, die in vielen Punkten
eher an Kafka als an eine rationale Politik
der dringend notwendigen Kapitalmarktintegration erinnern.
diebank: Die EU-Kommission will die Verbriefungsmärkte durch gemeinsame Standards wiederbeleben. Die geplanten Verbriefungsvorschriften könnten helfen, dem
Stigma entgegenzuwirken und das Vertrauen in die Verbriefungsmärkte wieder zu
stärken. Ein Teil der Initiative besteht darin, Regeln für einfache, transparente und
standardisierte Verbriefungen (simple,
transparent and standardised securitisa-
tions; STS) zu definieren, die nach 2017
überall in Europa emittiert und gehandelt
werden können. Es wird das Label „einfache Verbriefung“ geschaffen. Der Originator, der Sponsor und die Zweckgesellschaft
dürfen das Label nutzen, wenn die Verbriefung eine Reihe von Anforderungen erfüllt
und sie der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) gemeldet wurde. Wo
ist der Programmierfehler?
Bechtold: Europa hat 28 Länder mit 28 unterschiedlichen Rechtssystemen und kreditpolitischen Gepflogenheiten. Und es gibt für
institutionelle Investoren Banken und Leasinggesellschaften sicherlich über 60 nationale und zudem noch einige europäische
Regulierungsbehörden. Vor diesem Hintergrund bleiben die STS-Kriterien in den vorliegenden Entwürfen notwendigerweise sehr
allgemein. Zudem widersprechen manche
noch trotz ihrer Unbestimmtheit dem Machbaren. Die vorliegenden STS-Verordnungen
sehen vor, dass der Originator einer Verbriefungstransaktion ohne jede Möglichkeit der
Abstimmung seiner Interpretation mit einer
verantwortlichen Aufsichtsbehörde oder der
Möglichkeit einer rechtlich bindenden Überprüfung durch eine anerkannte Zertifizierungsstelle verbindlich gegenüber der ESMA
erklären muss, dass er alle Kriterien einhält.
Umgekehrt sehen die Verordnungsentwürfe
10.2016 diebank 7
aber vor, dass jede der über sechzig europäischen Aufsichtsbehörden im Nachhinein
anzweifeln kann, ob alle Kriterien eingehalten wurden, was einen schwierigen Vermittlungsprozess zwischen allen europäischen
Aufsichtsbehörden in Gang setzen würde, an
dessen Ende eine Geldbuße von bis zu zehn
Prozent des Umsatzes der betreffenden Bank
sowie strafrechtliche Konsequenzen für deren Vorstände stehen könnten. Dieser Prozess kann nicht funktionieren.
diebank: Das EU-Label leidet an unspezifischen Kriterien, sodass Finanzakteure auf
das Label „STS-Verbriefung“ lieber ganz
verzichten dürften. Könnte nicht besser die
Qualitätsmarke „Deutscher Verbriefungsstandard“ als Gütesiegel fungieren?
Bechtold: Der „Deutsche Verbriefungsstandard“, der im Rahmen der TSI erarbeitet wurde und seit 2004 vergeben wird, hat frühzeitig
den Weg gezeigt für einen europäischen Qualitätsstandard. Die dahinterliegende Idee war
sicherlich auch wegweisend für den Gedanken einer STS-Regulierung. Der Markt kann
ohne eine STS-Regulierung leben, obgleich
ich mir sicherlich einen praktikablen europäischen Regulierungsrahmen wünschen würde, der Sicherheit und Vertrauen weiter
stärkt. Unsere Marke jedoch wird so oder so
ihre Bedeutung behalten, da sie wesentlich
spezifischer auf deutsche Gegebenheiten eingehen kann als ein europäischer Standard.
8 diebank 10.2016
diebank: Warum will die Kommission wichtige Teile aus dem ABS-Universum, wie z. B.
synthetische Verbriefungen, nicht in die geplante STS-Kategorie aufnehmen?
Bechtold: Kommission und Parlament haben große Vorbehalte gegen synthetische
Verbriefungen. Das Instrument ist in der Finanzkrise in Verruf geraten, da es zu rein
spekulativen Zwecken ohne irgendwelchen
realwirtschaftlichen Nutzen missbraucht
wurde. Solcher Missbrauch ließe sich aber
relativ einfach ausschließen. Und da gerade
Kredite an Mittelständler und Unternehmen
sich aufgrund der Produktausgestaltungen
sowie Vorbehalten der Kreditnehmer gegen
einen True Sale weniger gut in eine TrueSale-Verbriefung einbringen lassen, wäre
hier die synthetische Verbriefung das geeignete Instrument, sofern man den Kapitalmarkt nutzen will, um die Unternehmensfinanzierung in Europa zu verbessern. Es
muss in der STS-Regulierung lediglich sichergestellt werden, dass nur wirkliche Absicherungsgeschäfte von einer STS-Aufnahme synthetischer Verbriefungen erfasst
würden. Dafür gibt es aber hinreichend gute Vorschläge und Beispiele, so etwa die Promise/Provide-Transaktionen der KfW.
diebank: An Marktakteuren mangelt es
nicht, die hinsichtlich des Kommissionsvorschlags Verbesserungspotenziale aufgezeigt
haben und die – zumindest teilweise – auch
Anklang fanden. Vor allem im EU-Parlament
bestehen jedoch kontroverse Positionen, die
eine Klärung der regulatorischen Anforderungen an Verbriefungen entgegenstehen.
Für viele Marktakteure bedeutet dies eine
permanente Unsicherheit. Kapitalmärkte
hassen Unsicherheit. Wird die Regulierung
zum unkalkulierbaren Risiko?
Bechtold: Ja, ich glaube dieses Stadium ist
längst erreicht. Teile der Regulierung gefährden eher die Finanzmarktstabilität als
sie zu fördern. Investoren entscheiden nicht
mehr aufgrund von Risikoerwägungen oder
Portfoliogesichtspunkten, sondern schauen
auf die Regulierung. Indem die Regulierung
aber das Level Playing Field zwischen verschiedenen Finanzmarktinstrumenten und
Anlageformen vernachlässigt und über vielfältige Stellschrauben wie z. B. Eigenkapitalunterlegung, Anrechnung auf Liquiditätsratios usw. Emittenten und Investoren
in bestimmte Anlageformen drängt, begünstigt sie Herdenverhalten, wirkt der Diversifikation entgegen und schafft Risikokonzentrationen. Man schaue nur auf die Märkte
von Staatsanleihen und Covered Bonds. Es
ist dringend geboten, im Interesse der Finanzmarktstabilität ein Level Playing Field
wieder herzustellen. Und der richtige Ansatz dafür wäre eine STS-Verbriefungsregulierung, die Verbriefungen auch bei den Eigenkapitalunterlegungen sowie LCR-Anforderungen den anderen Verbriefungen mit
vergleichbaren Investments gleichstellt.
diebank: Herr Dr. Bechtold, haben Sie
vielen Dank für dieses Interview.
Dr. Hartmut Bechtold und Monika Beye von der TSI
im Gespräch mit Stefan Hirschmann (v. r. n. l.).
Fotos: Bernd Schaller.
Kapitalmarktunion
auf der Kippe?
REGULIERUNG Während der Schwerpunkt der europäischen Finanzmarktregulierung in den letzten Jahren auf dem Bankensektor lag, wendete sich die EU-Kommission nun auch dem Kapitalmarkt
zu. Durch eine stärkere Integration der europäischen Kapitalmärkte will sie die Finanzierungsbedingungen im Binnenmarkt verbessern, um Wachstum und Beschäftigung in Europa zu fördern. Aber
könnte die Kapitalmarktunion letztlich doch am Brexit und dem Abtritt des renommierten britischen
Finanzmarktkommissars Jonathan Hill scheitern? Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über
den bisherigen Stand zur Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion und einen Ausblick auf
die möglichen Auswirkungen des Brexit auf das europäische Großprojekt. Dennis Heuer
Keywords: Europa, Verbriefung,
Kapitalmarkt
Die Kapitalmarktunion (Capital Markets
Union – CMU) ist eine Initiative der EUKommission zur Schaffung eines echten
Kapitalbinnenmarkts für alle 28 EU-Mitgliedstaaten. Das Ziel, eine europäische
Kapitalmarktunion zu schaffen, wurde
am 16. Juli 2014 von Jean-Claude Juncker
in seinen politischen Leitlinien ausgegeben. Mit der Umsetzung wurde der Kommissar Jonathan Hill betraut. Dieser war
zuvor nicht im Bereich Finanzaufsicht,
sondern als Unternehmer und Lobbyist
für den Bankensektor tätig. Zudem war
er Berater von Sir John Major in dessen
Zeit als Prime Minister. Vor seiner Ernennung zum EU-Kommissar galt er als EUund Regulierungskritiker sowie als einflussreicher Akteur in der Conservative
Party. Unter Hills Federführung hat die
Kommission am 28. Februar 2015 ein
Grünbuch vorgelegt, das von gesonderten
Konsultationen zu hochwertigen Verbriefungen und zur Überarbeitung der Prospekt-Richtlinie begleitet wurde.
Die anschließende
Konsultationsphase wurde am 13. Mai
2015 abgeschlossen. Seitdem hat die Kommission über 700 Stellungnahmen ausgewertet und bei der Ausarbeitung eines Aktionsplans berücksichtigt. Dieser Aktionsplan wurde schließlich am 30. September
2015 vorgelegt, begleitet von einem Legislativvorschlag zu Kreditverbriefungen, einer Novelle der Delegierten Rechtsakte zu
Solvency II, einer öffentlichen Anhörung
zu Risikokapital und Fonds für soziales
Unternehmertum, einer öffentlichen Anhörung zu gedeckten Schuldverschreibungen sowie einer Sondierung zum EURechtsrahmen für Finanzdienstleistungen. Die Kommission wird 2017 das Erreichte bewerten und die Prioritäten überprüfen. Bis 2019 soll die Kapitalmarktunion verwirklicht sein.
Erfordernis einer europäischen
Kapitalmarktunion
Das Erfordernis einer Kapitalmarktunion
wird mit
Blick auf
die ge-
genwärtigen Herausforderungen der europäischen Kapitalmärkte deutlich. Zunächst hängt die europäische Wirtschaftsfinanzierung nach wie vor stark vom Bankensektor ab, während die europäischen
Kapitalmärkte nur eine untergeordnete
Rolle spielen. In Europa sind 76 Prozent
der Wirtschaftsfinanzierung bankbasiert,
in den USA nur 27 Prozent. Die europäischen Aktienmärkte sind
nicht einmal
halb so groß
wie die der
USA, und die
europäischen
Anleihemärkte machen sogar weniger
als ein
Drittel
des US-Pendants aus. Die dominierende Rolle des
europäischen Bankensektors
spiegelt sich auch in den rechtlichen und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen wider. Dies zeigt sich beispielsweise an der steuerlichen Diskrimi10.2016 diebank 9
nierung von Eigenkapital gegenüber
Fremdkapital (durch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinsausgaben) und der
weitgreifenden staatlichen bzw. supranationalen Aufsicht des Bankensektors. Die
einseitige Fokussierung auf den Bankensektor („bank-bias“) ist dabei sowohl aus
volkswirtschaftlicher, als auch politischer
Sicht nicht ideal. Eine aktuelle empirische Studie der EZB kommt zu dem Ergebnis, dass die systemischen Risiken einer bankbasierten Wirtschaftsfinanzierung höher sind als die einer kapitalmarktbasierten – bei tendenziell niedrigerem Wirtschaftswachstum. Zudem hat
die europäische Finanzmarktkrise bewiesen, dass eine überproportionale Abhängigkeit vom Bankensektor die europäische Volkswirtschaft über Jahre hinweg
lähmen kann, während der US-Markt von
diesen Auswirkungen weitestgehend verschont blieb. Aufgrund der einseitigen
Fokussierung auf den Bankensektor in
der Eurozone und der unheilvollen Rolle
der Banken bei der Staatsfinanzierung
kämpft die Politik seit Jahren darum, den
noch immer angeschlagenen Bankenmarkt zur Finanzierung neuer Projekte
zu bewegen. Trotzdem ist seit 2008 die
Neukreditvergabe im europäischen
Durchschnitt um 40 Prozent zurückgegangen. Dies liegt zum einen an der großen Ungewissheit im Markt, zum anderen an den regulatorischen Erfordernissen. Banken mussten in den letzten Jahren ihre Eigenkapitalpuffer erheblich aufstocken, was dazu führte, dass weniger
und zudem weit überwiegend nur sehr
sichere Projekte finanziert wurden. Der
Zugang zu Finanzmitteln gestaltete sich
dadurch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die meist ein schlechteres Risikoprofil als größere Unternehmen
aufweisen, weitaus schwieriger.1 Dabei
machen KMU 99,8 Prozent aller Unternehmen in Europa aus, erwirtschaften
58 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung und stellen etwa 67 Prozent
der Arbeitsplätze im privaten Sektor.
10 diebank 10.2016
Trotzdem erhielten 2013 rund 35 Prozent
der KMU in der Eurozone nicht die gesamte Finanzierung, um die sie ihre Banken gebeten hatten. Dies ist im Hinblick
auf deren Stellenwert in der Eurozone besonders problematisch.
Trotz dieser Unterfinanzierung durch
den Kreditmarkt wendeten sich europäische KMU nicht dem Kapitalmarkt zu.
Dies liegt zum einen daran, dass sie den
Anforderungen des Kapitalmarkts nicht
gerecht werden konnten (z. B. aufgrund
hoher Transaktionskosten). Zum anderen
wollen sich insbesondere familiengeführte Unternehmen nicht den Transparenzund Offenlegungsanforderungen des Kapitalmarkts unterwerfen. Daher bestehen
meistens langjährige Kontakte zu lokalen Banken
und insbesondere den Sparkassen, die
aufg r und
ihrer Nähe
und den
langjährigen
Geschäftsbeziehungen zu
den Unternehmen
auch qualitative Informationen berücksichtigen können
(z. B. Managementkompetenzen). Hieraus erwächst vielerorts ein ausgeprägtes
Vertrauensverhältnis, das der Bank ebenfalls als Sicherheit dienen kann („relationship-lending“).
Die europäischen Kapitalmärkte sind
darüber hinaus nach wie vor fragmentiert und überwiegend national ausgerichtet. Während die Kapitalisierung der
Aktienmärkte 2013 im Vereinigten Königreich 121 Prozent des BIP entsprach,
waren es in Deutschland 51 Prozent, in
Lettland sogar nur 4 Prozent. Schließlich
ist seit der Finanzmarktkrise das Vertrauen in die Finanzmärkte und Finanzinstitute erheblich zurückgegangen. Dies
führte zu einem erheblichen Rückgang
der Liquidität im Markt und beeinträch-
tigte unter anderem den Verbriefungsmarkt substantiell. Insbesondere durch
die Schaffung der Bankenunion konnte
verloren gegangenes Vertrauen zwar teilweise wieder zurückgewonnen werden,
durch immer neue Krisen ist die Unsicherheit jedoch wieder zurückgekehrt
(z. B. durch die „Flüchtlingskrise“ oder
den Brexit).
Der US-Kapitalmarkt als Vorbild für
Europa
Die Kommission begründet das Erfordernis einer europäischen Kapitalmarktunion zudem anhand eines Vergleichs mit
den USA. Inwieweit die USA jedoch als
Vorbild für Europa dienen können, erscheint aufgrund
einiger Systemunterschiede fraglich. Unterschiede bestehen insbesondere bei der Altersvorsorge. Durch die kapitalgedeckte Altersvorsorge in den USA fließen weite Teile der Einkommen dem Kapitalmarkt zu. Diese Mittel fehlen dem europäischen Kapitalmarkt.
Zwar
wird zunehmend auch in Europa die Bedeutung der
kapitalgedeckten Altersvorsorge erkannt (Stichwort: umgekehrte Alterspyramide). An der strukturellen Ausrichtung auf die Umlagefinanzierung ändert dies gegenwärtig
jedoch wenig.
Unterschiede bestehen weiterhin in
der Struktur des Hypothekenmarkts.
Während Hypotheken in Europa weitestgehend kreditfinanziert sind, überwiegt in den USA eine Finanzierung
mittels Anleihen.
Aufgrund dieser Unterschiede kann
keine einfache Kopie des US-Kapitalmarkts angestrebt werden. Es kommt vielmehr auf eine Verknüpfung von Kapitalund Kreditmarkt an. Hierfür bieten sich
etwa Schuldscheindarlehen, Kreditfonds
und Verbriefungen an, bei denen die traditionelle Beziehung zwischen Unternehmen und Bank gewahrt bleibt. Gleichzeitig ermöglichen solche Kapitalmarktinstrumente den Banken, über die Kapitalmarktnutzung Bilanz, Eigenkapital und
Finanzierungskennziffern zu entlasten,
um so aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen gerecht zu werden.
Initiative der EU-Kommission
Zur Umsetzung der europäischen Kapitalmarktunion veröffentlichte die EUKommission ein Grünbuch und einen Aktionsplan. Das Grünbuch verweist zum
einen auf eine Reihe bereits bestehender
Maßnahmen (etwa die Rechtsvorschriften über Märkte für Finanzinstrumente
MiFID II und MiFIR, Marktmissbrauch
MAD II und MAR, Verwalter alternativer
Investmentfonds AIFM-Richtlinie, europäische Marktinfrastrukturen EMIR und
Zentralverwahrer CSD-VO). Zum anderen
wurden kurzfristige, mittelfristige und
langfristige Maßnahmen für verschiedene Bereiche festgelegt und in einem Aktionsplan mit einer zeitlichen Dimension
versehen. Dabei wird ein Großteil der im
Grünbuch angekündigten Maßnahmen auch im Aktionsplan weiterverfolgt. Vorerst zurückgestuft hat
die Kommission einheitliche EURegeln zu Kreditinformationen
über KMU, Privatplatzierungen und zum
Crowdfunding. In
der öffentlichen Konsultation ist klargeworden, dass diese Bereiche entweder
eher lokalen Charakter haben oder sehr
länderspezifisch geregelt sind.
Insgesamt sollen Anleger und Unternehmen mit Finanzierungsbedarf wirksamer und kostengünstiger zusammengebracht werden, und zwar sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch grenzübergreifend.
Brexit als Bremse der Kapitalmarktunion?
Die Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion wird ganz überwiegend
positiv gesehen, jedoch bleibt die weitere
Umsetzung im Rahmen der Brexit-Debatte fraglich. Mit London als Finanzzentrum Europas stellt das Vereinigte Königreich unter den Mitgliedstaaten naturgemäß die stärkste treibende Kraft für eine
europäische Regelung des Finanzsektors
dar. Darüber hinaus war es der renommierte britische Finanzmarktkommissar
Jonathan Hill, dessen Bemühungen die
Idee einer Kapitalmarktunion zu einem
handfesten Plan werden ließen. Anlässlich des Brexit-Votums am 23. Juni 2016
entschied sich Jonathan Hill jedoch, sein
Amt als Kapitalmarktkommissar nicht
länger fortzuführen und trat zurück.
Der Verlust Hills als größter Verfechter
der Kapitalmarktunion legt bereits die
Vermutung nahe, dass das Brexit-Votum
für das Fortkommen der Kapitalmarktunion nicht folgenlos bleibt, jedenfalls aber
dem politischen Momentum der Kapitalmarktunion schwer zusetzen könnte. Gemäß den EU-Verträgen
müsste die britische Regierung nach Jonathan Hills Abtritt einen Nachfolger nominieren. Da dies bisher nicht geschah,
übernahm der Lette Valdis Dombrovskis
zunächst interimistisch die Aufgaben
Hills. Dombrovskis war bisher als Vizepräsident für den Euro und den sozialen
Dialog tätig und übernimmt fortan zusätzlich die operative Leitung der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion.
Wenngleich sich Dombrovskis jetzt mit
einem erheblichen Aufgabenpensum konfrontiert sieht, kann er sich doch am Aktionsplan orientieren, der bereits die
nächsten Schritte bis 2018 skizziert. Die
bereits bestehenden Strukturen und die
kaum bis nicht veränderte personelle Besetzung unterhalb des Kommissars sollten Dombrovskis weiterhin eine funktionierende Infrastruktur und gute Unterstützung bieten. Entsprechend sind durch
die personelle Veränderung nur geringe
Abweichungen der bisherigen Vorgehensweise unter Jonathan Hill zu erwarten.
Allerdings ist zu bedenken, dass ohne
das Vereinigte Königreich ein großer Treiber für die Kapitalmarktunion fehlen
wird. Im Wesentlichen haben bislang das
Vereinigte Königreich, Frankreich und
Deutschland die Entwicklung einer europaweiten Regelung des Finanzsektors bestimmt. Andere Mitgliedstaaten, die über
einen ausgeprägten nationalen Finanzmarkt verfügen (z. B. die Niederlande,
Schweden, Belgien), haben in der Vergangenheit kaum nennenswerte eigene Initiativen eingebracht, sondern sahen ihre
Interessen bisher durch die Beiträge des
Vereinigten Königreichs repräsentiert.
Frankreich und Deutschland verfügen zudem über ein bankorientiertes Finanzsystem und verstehen die Kapitalmärkte
eher als Ergänzung ihrer bereits weit entwickelten Kreditmärkte. Bezüglich der
Unterstützung und Finanzierung von
KMU ist Deutschland vorwiegend auf seine öffentlich-rechtlichen Banken, also
Sparkassen, Landes- und Förderbanken,
10.2016 diebank 11
fokussiert. Auch Frankreich verfügt über
einen vergleichsweise traditionellen Finanzsektor und bringt dem internationalen Finanzmarkt noch immer wenig Vertrauen entgegen. Unter den maßgebenden Mitgliedstaaten verfügt einzig das
Vereinigte Königreich über ein stark
marktbasiertes Finanzsystem und bereichert die Kapitalmarktunion um einen
dem internationalen Finanzmarkt gegenüber offenen Einfluss. Entfiele dieser Einfluss des Vereinigten Königreichs infolge
des Brexit, würde sich die weitere Entwicklung der Kapitalmarktunion vermutlich insgesamt konservativer gestalten
als unter der Federführung der Briten.
Brexit als Chance für eine effektive
Kapitalmarktunion?
Insoweit besteht zwar das Risiko, dass der
Brexit das Großprojekt Kapitalmarktunion bremst, dies ist aber nicht die zwingende Konsequenz. Denn das Brexit-Votum
könnte die Etablierung der Kapitalmarktunion unter Umständen auch beschleunigen. Die jetzige Ausgangslage legt nahe,
dass die Briten zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit Londons als Finanzmetropole Europas, zukünftig auf eine liberalere Regulierung setzen werden, um auf internationale Anleger und Emittenten aufgrund geringerer regulatorischer Anforderungen weiterhin attraktiv zu wirken.
Auf der anderen Seite bietet der Brexit
den EU-Mitgliedstaaten die Chance, im
Hinblick auf die weitere Entwicklung der
Kapitalmarktunion ein neues Selbstverständnis zu entwickeln. Die restlichen
Mitgliedstaaten – einschließlich jener, die
sich bisher nur in geringem Umfang eingebracht haben – sind fortan gehalten,
unabhängig von dem Vereinigten Königreich eigenständig eine attraktive und effektive Kapitalmarktunion zu begründen,
um die durch den Brexit hervorgerufene
Unsicherheit gegenüber dem Standort
London für sich zu nutzen und einen starken Kapitalmarkt innerhalb der EU aufzubauen.
12 diebank 10.2016
Zudem wird durch den Brexit eine wesentliche Bremse für eine effektive Kapitalmarktunion womöglich erst gelöst.
Grundvoraussetzung für eine effektive
Kapitalmarktunion ist die einheitliche
Umsetzung europäischer Vorgaben durch
die Mitgliedstaaten. Einen zentralen Kontrollmechanismus auf europäischer Ebene sollte es bislang jedoch nicht geben.
Stattdessen sollte die Aufsicht weiterhin
dezentral durch nationale Institutionen
der Mitgliedstaaten erfolgen. Der damit
einhergehende Nachteil liegt auf der
Hand. Bei dezentraler Aufsicht ist zu befürchten, dass vorwiegend nationale Interessen und nicht die Interessen der Kapitalmarktunion im Vordergrund stehen
und eine effektive Kapitalmarktunion
schon daher nicht effektiv gewährleistet
werden kann.
Allerdings würde die Einrichtung einer
zentralen Aufsichtsbehörde der EU oder
die Übertragung der Aufsicht auf eine bereits existierende Aufsichtsbehörde, z. B.
die European Securities and Markets Authority (ESMA), voraussetzen, dass die
Mitgliedstaaten weitere Kompetenzen an
die EU übertragen. Im Hinblick auf das
Brexit-Referendum wollten aber vor allem die Briten ein Leave-Vote seinerzeit
nicht zusätzlich durch eine weitere Kompetenzübertragung an die EU begünstigen. Diese Restriktionen dürften nun
aber der Vergangenheit angehören. Auch
in dieser Hinsicht ist der Brexit als Chance zu begreifen.
Als Chance – und nicht als Risiko –
könnte auch die personelle Umbesetzung
gesehen werden. So war Jonathan Hill als
zuständiger EU-Kommissar für Finanzstabilität und Finanzdienstleistungen
nicht unumstritten. Seine Berufung wurde im Europaparlament in der ersten Anhörung abgelehnt und erst nach weiterer
kritischer Anhörung bestätigt. Grund
hierfür ist Hills frühere Tätigkeit als Finanzlobbyist. Mit Auftraggebern wie der
City of London Corporation oder der britischen Großbank HSBC vertrat er oft-
mals die Interessen der Gegner einer
strengeren Kapitalmarktregulierung. Die
personelle Veränderung könnte nun dazu
führen, dass auch Pläne eines strenger
regulierten kontinentaleuropäischen Kapitalmarkts auf weniger Widerstand stoßen und ernsthaft diskutiert werden.
Ob die Chancen letztlich genutzt werden, hängt davon ab, wie die restlichen
Mitgliedstaaten ihre neue Verantwortung wahrnehmen und ob sie jene Maßnahmen durchsetzen, die für eine effektive Kapitalmarktunion erforderlich sind
(z. B. eine Zentralaufsicht oder Schritte
in diese Richtung). Maßgeblich ist, wie
sich der Brexit konkret vollziehen und
sich die anderen federführenden EU-Mitglieder positionieren werden. Premierministerin Theresa May hat inzwischen
eindeutig signalisiert, dass das Vereinigte Königreich aus der EU austreten wird,
doch das Wann und das Wie sind weiterhin fraglich. Vor allem das Wie ist hierbei
entscheidend.
Die Briten könnten sich komplett von
der EU und damit der Kapitalmarktunion
lösen und sich somit verstärkt auf ihren
nationalen Kapitalmarkt konzentrieren.
Dann gilt es, einen Konkurrenzkampf
zwischen den Finanzmärkten um Emittenten und das Kapital nationaler und internationaler Anleger zu verhindern und
eine synergetische Koexistenz der beiden
Märkte zu schaffen.
Hierbei kommt es darauf an, dass der
kontinentaleuropäische neben dem britischen Finanzmarkt seine eigene Marktidentität findet. Dabei ist davon auszugehen, dass London auch weiterhin das Finanzmarktzentrum Europas bleiben wird
und aufgrund seiner liberaleren Regulierung internationale Investoren und Emittenten, die auf geringe Kosten und praktikable Regularien setzen, anzieht. Auf
der anderen Seite bietet das EU-Projekt
Kapitalmarktunion dann insbesondere
europäischen Investoren und Emittenten
einen größeren, weniger fragmentierten
europäischen Marktplatz. Dadurch ergä-
ben sich zwei Märkte, die nebeneinander
koexistieren könnten.
Die Briten könnten sich aber auch einem ähnlichen Modell wie der Schweiz
und Norwegens verpflichten, über bilaterale Staatsverträge an Projekten der EU
mitzuwirken. Interessant in diesem Zusammenhang ist insbesondere, ob London Passporting-Rechte für die Erbringung von Finanzdienstleistungen in Kontinentaleuropa gewährt werden. Dann
wäre das Vereinigte Königreich weiterhin
Profiteur der Kapitalmarktunion, würde
sie also weiterhin fördern. Eine zentrale
Aufsichtsbehörde oder strengere Regulierungen des Finanzmarkts könnte sie
mangels Stimmrechten innerhalb der EU
jedoch nicht verhindern. Die Federführung in der Gestaltung der Kapitalmarktunion würde dann allein den Mitgliedstaaten obliegen.
Fazit
Der Brexit bietet für die Kapitalmarktunion Risiken und Chancen zugleich.
Der Austritt des Vereinigten Königreichs nimmt der Kapitalmarktunion einen wichtigen Auftrieb. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Brexit vollziehen
wird und insbesondere, ob die Briten
Passporting-Rechte erhalten werden. Für
die EU wird es wichtig sein, dass die restlichen Mitgliedstaaten fortan die Kapitalmarktunion eigenständiger und unabhängiger vorantreiben, um einen international wettbewerbsfähigen Kapitalmarkt in Europa zu schaffen und so das
Momentum der Kapitalmarktunion trotz
des Brexits weiter nutzen zu können.
Fest steht bislang nur, dass eine Kapitalmarktunion trotz des Brexit und der
Ungewissheit über seine Gestaltung
kommen wird. Fraglich bleibt nur, wel-
che Rolle die Briten im Rahmen dieser
Kapitalmarktunion spielen werden. ó
Autor: Dr. Dennis Heuer ist Rechtsanwalt und
Partner bei White & Case LLP in Frankfurt/Main.
Der Verfasser dankt für die Mithilfe den
wissenschaftlichen Mitarbeitern Thorsten Rohde
und Alexander Kreibich.
1 Die Kommission definiert KMUs als Unternehmen, die
weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen und einen
Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. € erwirtschaften
oder deren Jahresbilanzsumme höchstens 43 Mio. € beträgt. Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom
6. Mai2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen.
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10.2016 diebank 13
Vorhang auf – das Drama um
den Brexit
VERBRIEFUNGSINDUSTRIE Der 23. Juni 2016 als Tag des Brexit-Referendums im Vereinigten Königreich
(UK) wird für beide Seiten, UK und Europäische Union (EU), als schwarzer Tag in die Geschichte eingehen. Viele
Fragen sind jetzt erst einmal offen und hängen vom Gelingen oder Scheitern der Austrittsverhandlungen und
dem Inhalt des angestrebten Austrittsabkommens ab. Vor allem: Welche Auswirkungen wird der Brexit auf die
Verbriefungsindustrie haben – wirtschaftlich, vertrags- und aufsichtsrechtlich? Peter Scherer
Keywords: Dokumentation, Aufsichtsrecht, Vertragsrecht, ABS
Das Kunstwort „Brexit“ („Britain“ plus
„Exit“) bezeichnet den Ausstieg des UK
aus der EU. Rechtlich ist ein solcher geordneter Ausstieg eindeutig machbar, seit
2009 der Vertrag von Lissabon in Kraft
getreten ist und mit Art. 50 EU-Vertrag
(EUV) eine dies ermöglichende Vorschrift
geschaffen hat. Das Austrittsverfahren
läuft in vier Schritten ab, dessen wichtigster Teil der Abschluss eines Austrittsabkommens innerhalb von zwei Jahren ab
Mitteilung der Austrittsabsicht ist. Ohne
ein solches Abkommen erfolgt der Austritt nach dieser Frist automatisch.
Der Artikel 50 spricht in diesem Zusammenhang u. a. von der Regelung der künftigen Beziehungen des austretenden Staats
zur Rest-Union. Doch wie könnte eine solche Regelung aussehen? Mindestens fünf
verschiedene Modelle für die künftigen Beziehungen zwischen UK und Rest-EU wären vorstellbar: EWR-Mitgliedschaft, EFTAMitgliedschaft, Zollabkommen, einfache
Handelsbeziehungen unter dem Welthandelsabkommen WTO (d. h. DrittstaatenQualität) oder ein Special Deal. Schon um
kein Austrittssignal an andere Mitgliedsstaaten zu setzen, könnte sich die Rest-EU
auf einen solchen Deal kaum einlassen.
Für eine Besserstellung des UK gegenüber
14 diebank 10.2016
der Schweiz oder Norwegen gäbe es keinen
vernünftigen Grund, sie akzeptieren gerade jene Regeln, die das UK im Besonderen
ablehnt.
Noch ist völlig offen, ab wann, wie und
mit welchen konkreten Inhalten und Positionen die Verhandlungen über das Austrittsabkommen geführt werden. Wird es
mehr um Freihandel i. S. v. Zöllen gehen
oder werden Finanzdienstleistungen im
Zentrum stehen? Wird das UK die weitgehende Äquivalenz eigener mit den EU-Regeln für den Finanzsektor anstreben oder
liberalere Regeln im Wettbewerb mit der
EU anstreben, z. B. bei den Boni im Rahmen der Institutsvergütungsregeln? Wird
es zu Regelungen der Fragen des Internationalen Privatrechts und der Urteilsvollstreckungen, der grenzüberschreitenden
Sanierungs- und Insolvenzverfahren für
Finanzmarktteilnehmer und überhaupt
des Finanzaufsichtsrechts (insbesondere
im Hinblick auf das EU-Pass-System) kommen? Und wenn ja, in welchem Umfang?
Auswirkungen
Davon wird auch abhängen, wie es mit
der UK-Gesetzgebung weitergeht. Soweit
EU-Richtlinien in UK-Recht umgesetzt
sind, muss entschieden werden, ob diese
Vorschriften in Kraft bleiben, abgeändert
oder abgeschafft werden sollen. EU-Verordnungen wirken auch im UK direkt,
aber wenn der European Communities
Act 1972 abgeschafft wird, dann werden
auch sie abgeschafft. Dann muss entschieden sein, ob diese durch inhaltsgleiche neue UK-Regelungen, durch älteres
UK-Recht oder durch ganz neue Regelungen ersetzt werden sollen. Doch all das ist
Zukunftsmusik.
Man mag mit gewisser Sorge darauf blicken, dass derzeit rund drei Viertel aller
europäischen Kapitalmarktaktivitäten in
London erfolgen, und Verbriefungen haben
daran einen nicht unbeträchtlichen Anteil.
Letztere wurden von der Finanzmarktkrise
heftig und nachhaltig in Mitleidenschaft
gezogen, erholen sich davon erst langsam
und sind derzeit mithin ein „zartes Pflänzchen“. UK-Verbriefungen gehören zu den
Eckpfeilern des europäischen Verbriefungsmarkts, dürften aber in naher Zukunft nicht zu den Lokomotiven des
Markts gehören. Umgekehrt dürften kontinentaleuropäische Verbriefungen mit
vermeintlich besseren Perspektiven (z. B.
deutsche Auto-ABS oder niederländische
RMBS) von dieser Entwicklung profitieren.
Leider schwächt der Brexit aber die RestEU ebenfalls in nicht unbeträchtlichem
Maß. Auch politisch werden sich die Gewichte im Europäischen Ministerrat verschieben. Und so wird Deutschland – obgleich dann vermutlich noch stärkerer Nettozahler – an politischem Einfluss verlie-
ren, was am Ende auch zu einem Kostenfaktor (Stichwort Transferunion) für
Deutschland werden könnte.
Vertragsrecht
Bei so viel Dramatik in der möglichen,
wenn nicht gar wahrscheinlichen künftigen wirtschaftlichen Entwicklung und deren Einfluss auf die Verbriefungsmärkte
ist es wichtig, frühzeitig über mögliche
Konsequenzen für die Vertragsdokumentation solcher Transaktionen nachzudenken. Jetzt ist die Zeit für eine sorgfältige
und umfassende Due Diligence und Analyse existierender Dokumentationen. Zu
verschiedenen in Verbriefungen nicht untypischen Vertragsklauseln und Themen
lassen sich dazu vorab schon einmal einige Anmerkungen machen:
ó Rechtswahl: Es wird keine Brexit-bedingte plötzliche Revolution, könnte aber eine
stärker werdende Verschiebung geben,
weg vom englischen und hin zu anderen
Rechtsordnungen. Schon seit einigen Jahren gibt es diesen Trend, so hat die LMA
auch Muster unter deutschem Recht. Das
wird sich jetzt vermutlich weiter verstärken, und so könnte das deutsche Recht in
Zukunft eine stärkere Rolle spielen.
ó Gerichtsstand: Ähnliches wie zur
Rechtswahl lässt sich auch zur Wahl des
Gerichtsstands sagen. Empirisch dürfte
bei den Gründen für die Wahl englischer
Gerichte vieles unter Legendenbildung
subsumierbar sein. Der Brexit könnte an
der vermeintlichen Attraktivität englischer Gerichte etwas ändern, weil Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen
nicht mehr so klar sein könnten.
ó Internationales Privatrecht (IPR): Die
europäischen Verordnungen über das auf
vertragliche Schuldverhältnisse (Rom 1)
sowie über das auf außervertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
(Rom 2) und über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen in ihrer Neufassung
(Brüssel 1a) werden nach dem Brexit im
UK nicht mehr gelten. Diese drei Verordnungen erkennen in den meisten Fällen
die Rechtswahl bzw. die Wahl eines Gerichtsstands durch die Parteien an. Die
Rom 1- und Rom 2-Verordnungen akzeptieren die ausdrückliche Rechtswahl der
Parteien unabhängig davon, ob die Vertragsparteien in einem EU-Staat ansässig
sind oder nicht und unabhängig davon, ob
das Recht eines EU- oder eines anderen
Staats gewählt wurde. Das heißt, auch nach
einem Brexit sollten Gerichte in der EU die
Wahl englischen Rechts akzeptieren. Umgekehrt weisen englische Kanzleien derzeit bemüht darauf hin, dass auch englische Gerichte traditionell die Rechtswahl
der Parteien akzeptiert haben – nur bei
den außervertraglichen Schuldverhältnissen sei dies nicht so ganz klar. Die Brüssel
1a-Verordnung zur Gerichtsstandswahl
sieht ein Reziprozitätserfordernis innerhalb der EU für die Anerkennung von Urteilen vor. Ohne diese Verordnung im UK
ist es künftig unklar, ob englische Gerichte, auch wenn sie von den Parteien gewählt
wurden, zuständig sind, und ob ein entsprechendes englisches Urteil in der RestEU vollstreckbar wäre – und umgekehrt.
Viel wird davon abhängen, ob das UK dem
Lugano-Übereinkommen oder der Haager
Konvention über Gerichtsstandsvereinbarungen beitreten wird. Im Ergebnis wird
man daher in vielen Bereichen künftig
mehr Schiedsklauseln sehen, denn die
Anerkennung und Vollstreckung von
Schiedssprüchen unterliegt der New Yorker Konvention, der das UK im eigenen
Recht beigetreten ist und die Reziprozität
bei der Vollstreckung vorsieht. Dabei wird
es also auch nach dem Brexit bleiben.
ó Vertragsbeendigung / Parteiwechsel:
Brexit-bezogene Ereignisse können sich
auf beides auswirken, auf die Qualität von
Sicherheiten wie auf Parteien in einer
Verbriefungstransaktion, was wiederum
verschiedene vertragliche Folgen haben
kann – von der Nachbesicherung bis Kündigungen einzelner Parteien oder der
ganzen Transaktion. Daher bedarf es in
jedem Fall einer genauen Analyse der jeweiligen Transaktionsdokumentation.
Brexit-bedingt sinkende Werte bei den Sicherheiten in Verbriefungen könnten sowohl die Zahlungsströme als auch die Deckungswerte in RMBS-, CMBS- und
anderen Verbriefungen wie bei gedeckten
Schuldverschreibungen allgemein verringern. Ebenso könnte es bei den betreffenden Schuldnern schneller zu Krisen
kommen, was die Werthaltigkeit von Verbriefungen beeinträchtigen würde.
Wichtig in diesem Kontext ist auch die
Rolle von Ratings. Kommt es zu einem Rating-Downgrade, kann dies
(i) eine Nachbesicherungspflicht (also
die Pflicht zur Stellung von mehr und
/ oder neuen Kreditsicherheiten) auslösen oder bei einem Seller-Downgrade aus einem flexiblen einen
statischen Sicherheiten-Pool machen,
(ii) die Pflicht zur Auswechslung eines
nun zu schlecht gerateten Vertragspartners (Servicer, Account Bank,
Treuhänder, etc) schaffen oder gar
(iii) die Kündigung der Transaktion
ermöglichen.
Man kann nur hoffen, dass in allen Fällen
die Vertragsdokumentation hinreichend
klar und mechanisch ist, denn Treuhänder werden in aller Regel sehr zurückhaltend dabei sein, hier eigene Wertungen,
eigenes Ermessen (Discretion) auszuüben. Auch zu bedenken sind mögliche
Negativeffekte auf Transaktions-Ratings
durch die UK-Länderratingobergrenze
(Country Ceiling).
Aber nicht nur Transaktions-, Sicherheiten- oder Länderratings, sondern auch Unternehmensratings von an Verbriefungen
beteiligten Parteien könnten Brexit-bedingt absinken. Parteien könnten übrigens auch Rating-unabhängig auszuwechseln sein, z. B. wenn ihre Zulassung unter
EU-Recht (zum Beispiel der MiFID) wegfallen würden. Vertraglich würden sie
sonst gegen Zusicherungen und Gewährleistungen (Representations and Warran10.2016 diebank 15
ties) und / oder Funktionsanforderungen
in der Dokumentation sowie öffentlichrechtlich möglicherweise gegen regulatorische Lizenzanforderungen verstoßen.
ó Höhere Gewalt (Force Majeure): ForceMajeure-Klauseln enthalten gelegentlich
sehr individualisierte Regelungen dafür,
was unter sie fallen soll. Auch wenn der
Austritt eines Staats aus einer supranationalen Gemeinschaft nicht unbedingt das
erste ist, an das man bei „höherer Gewalt“
denkt, ist es doch keineswegs ausgeschlossen, dass dies im Einzelfall unter
eine solche Klausel fallen kann und deswegen individuell zu prüfen ist.
ó Wesentliche Verschlechterung der Verhältnisse (Material Adverse Change, MAC):
Im Prinzip gilt für MAC-Klauseln das Gleiche wie für Force-Majeure-Klauseln.
Schwierig ist, dabei zu sagen, wie Gerichte dann mit dem Argument umgehen würden, dass man eine solche Entwicklung
habe vorhersehen müssen.
ó Andere Nichterfüllungen (Events of Default): Wie zuvor beschrieben können Rating-Herabstufungen, Qualitätsabfälle bei
der Besicherung etc. und insbesondere
auch der Brexit-bedingte Wegfall von EUrechtlichen Lizenzen zu Kündigungenauslösenden Ereignissen werden. Das
betrifft auch Illegality- oder UnlawfulnessKlauseln, die im Einzelfall zu prüfen sein
werden.
ó Steuern: Auch im Steuer-Kontext werden
die individuellen Verbriefungs-Dokumentationen zu prüfen sein, entweder um das
eventuelle Auslösen von Kündigungsrechten wegen eines Steuerereignisses vorherzusehen oder z. B. durch Umstrukturierung zu vermeiden. Das betrifft
insbesondere jene Fälle, in denen die Parteien auf eine privilegierte Steuerbehandlung auf der Basis von Doppelbesteuerungsabkommen zwischen dem UK und
einem oder mehreren EU-Staaten bauen.
ó Risikofaktoren in Prospekten: In zahlreichen Prospekten für ABS (mit Bezug zum
UK) gab es bereits Risikofaktoren, deren
Wortlaut auf Unsicherheiten durch das Re16 diebank 10.2016
ferendum bzw. den künftigen Brexit und
daraus resultierende Risiken für die Verbriefungstransaktion hingewiesen hat.
Während manche im Markt das als
„Angstmacherei“ abqualifizieren, weisen
andere darauf hin, dass für die Prospektprüfung zuständige Aufsichtsbehörden
bereits solche Risikohinweise nachgefragt
haben. Wiederum kommt es wohl ganz
auf den Einzelfall an.
ó Börsennotierung (Listing): Noch haben
viele Wertpapier-Emittenten das UK als
ihren Heimatstaat für Zwecke der EU-Prospektrichtlinie und der EU-Transparenzrichtlinie sowie die London Stock Exchange für ihre Listings gewählt. Dabei ist
naturgemäß unklar, was das Austrittabkommen im Hinblick auf die EU-Pässe unter diesen Richtlinien regeln wird, und/
oder ob es zwecks Erhalt solcher EU-Pässe
zu umfangreicheren Abwanderungen aus
dem UK bzw. zur Verlagerung von Börsennotierungen kommen wird.
Aufsichtsrecht
Im Rahmen eines Brexit könnten sich die
aufsichtsrechtlichen Regimes für Verbriefungen im UK und in der Rest-EU auseinanderbewegen und so neue Strukturierungs- und Compliance-Herausforderungen zur Folge haben. Wenn das UK eine
solche Auseinanderentwicklung in diesem Bereich nicht will, würde es die bisherige EU- und EU-getriebene UK-Gesetzgebung in diesem Bereich zu erhalten und
deren künftige Veränderungen zu replizieren haben. Aber ob eine solche Äquivalenz der Regeln ausreichen wird, hängt
von den Ergebnissen der Austrittsverhandlungen ab. Ansonsten droht dem UK
der Drittstaaten-Status, das heißt eine den
USA vergleichbare Position im Hinblick
auf den Zugang zum Gemeinsamen Markt
mit EU / EWR.
All das gilt für eine Vielzahl von auch
für Verbriefungen bereits wichtigen Regelungen (CRR, Solvency 2, MiFID / MiFIR,
MAD 2 / MAR, BRRD, InsoV, ProspRili
u. v. m.) sowie künftigen Regelungen, wo-
bei bei einem Brexit die direkt anwendbaren EU-Verordnungen (z. B. CRR) wegfallen und die Zukunft der Umsetzungen von
EU-Richtlinien in nationales Recht (z. B.
Solvency 2) noch von UK-Regierung und
Parlament zu entscheiden wäre. Hinzu
kommt das Problem, dass zahlreiche Verweise auf europäische Behörden unter
Umständen ins Leere führen werden; hier
könnte eine äußerst umfängliche Einzelanalyse erforderlich werden.
Zu einigen Vorschriften noch etwas
mehr im Detail:
ó CRR: Die Regularien zur regulatorischen Eigenkapitalberechnung für Banken in der Kapitalanforderungsverordnung CRR enthalten auch zahlreiche
Vorschriften für Verbriefungen. Auch
wenn einzelne Regelungen nicht auf die
Baseler Eigenkapitalregeln zurückgehen
(namentlich der Originatoren-/SponsorenRisikoselbstbehalt, das UK diese also bei
Wegfall der CRR nicht im UK-Recht replizieren müsste, um auch weiterhin mit den
Baseler Regeln im Einklang zu bleiben),
ist eine starke Abweichung vom EU-Recht
insoweit doch unwahrscheinlich, da beim
Verkauf von Verbriefungspositionen an
Investoren im EU- / EWR-Gebiet diese ja
weiterhin an die CRR gebunden sind und
man auf diesen großen Markt beim Vertrieb wohl kaum verzichten will.
ó LCR: Auch die Regeln zur regulatorischen Liquiditätsberechnung von Banken
sind in der CRR enthalten, ebenso in einer
Delegierten Verordnung (DV) zur Liquidity Coverage Ratio (LCR). Letztere regelt
unter anderem die Kategorisierung anerkennungsfähiger Vermögenswerte als
hochliquide Aktiva (HQLA) zur Deckung
der Liquiditätsanforderungen. Dazu gehören auch bestimmte ABS und RMBS (Typ
2B-Verbriefungen), aber soweit die Referenzwerte solcher Transaktionen KMU-,
Automobil-, Verbraucherdarlehen- oder
Verbraucherkreditkarten - Forderungen
sind, müssen diese in der EU originiert
sein. Bei einem Brexit wären UK-ABS also
nicht mehr LCR-fähig. Allerdings sollen
die Typ 2B-Verbriefungsregeln im Rahmen des STS-Projekts ersetzt werden.
ó STS: Fraglich ist zur Zeit, ob die künftigen Regeln über qualitativ hochwertige
und deshalb priviligiert zu behandelnde
Verbriefungen (Simple, Transparent,
Standardised – STS) auch nach einem Brexit auf UK-ABS anwendbar sein werden.
Der ursprüngliche STS-Verordnungsentwurf sah nur vor, dass Originatoren,
Sponsoren und Kreditgeber regulierte
Einheiten sein müssen. Nun ist auch ein
EU-Bezug gefordert, zum Beispiel ein unter die MiFID fallendes Unternehmen.
Dann würden (post-Brexit) EU- / EWR-institutionelle Investoren vermutlich kaum
noch in UK-ABS investieren, da diese
nicht als STS qualifizieren würden und
ihr Erwerb unter den CRR-und LCR-Regeln zu teuer würde.
ó MiFID/ MiFIR: Durch einen Brexit würde das UK seine EU-Pass-Rechte unter der
Finanzmärkterichtlinie und -verordnung
verlieren und auch insoweit zum Drittstaat werden. Unter den derzeitigen MiFID-Regeln aber gibt es kein gemeinschaftliches Drittstaaten-Regime, sondern
jeder EU-/EWR-Staat hätte insoweit seine
eigenen nationalen Regeln. Das wird sich
mit der MiFID II ändern, die vermutlich
2018 die bisherigen Regeln ablösen soll.
Dann wird im Hinblick auf Drittstaaten
zwischen Retail- und professionellen Kunden unterschieden. In jedem Fall aber
wird es darauf ankommen, dass der Drittstaat äquivalente Aufsichts- und Geldwäsche-Regeln etc. vorweisen kann und eine
Kooperations- und Steuerregulierungsvereinbarung zwischen den betreffenden
Staaten besteht.
ó InsVO, WUD, BRRD: Die EU-Insolvenzverordnung (InsoV) würde nach einem
Brexit im UK nicht mehr gelten, was Auswirkungen auf die Behandlung der von
ihr erfassten Verbriefungsvehikel hätte.
Englische Kanzleien betonen in diesem
Zusammenhang gern, dass ähnliche Prinzipien und Regeln vielleicht auch unter
englischem Recht existieren.
Die UK-Umsetzungen der EU-Winding
Up-Richtlinie (WUD) über die Sanierung
und Liquidation von Banken ebenso wie
die der EU-Bankensanierungs- und -abwicklungsrichtlinie (BRRD) könnten nach
dem Brexit beibehalten, abgeändert oder
abgeschafft werden. Besonders bedeutsam mag in diesem Kontext Artikel 55
BRRD werden, wonach die EU-Mitgliedstaaten den Banken vorschreiben, dass
deren relevante Gläubiger eine mögliche
Gläubigerbeteiligung (Bail-In) für den Krisenfall der Bank vertraglich akzeptieren
müssen. Was im UK-Recht künftig gelten
wird, ist derzeit naturgemäß noch offen,
aber EU-/EWR-Banken werden auch in jedem Fall von UK-Gläubigern die Bail-InAkzeptanz vertraglich verlangen, auch in
englisch-rechtlichen Verträgen.
ó Gedeckte Schuldverschreibungen: Zahlreiche Banken und Building Societies im
UK haben Programme zur Ausgabe von
gedeckten Schuldverschreibungen (Covered Bonds) ob der Vorteilhaftigkeit für
Investoren so gestaltet, dass die Anforderungen der 4. EU-Investmentfondsrichtlinie (OGAW 4) eingehalten werden. Diese
aber verlangt, dass der Emittent solcher
gedeckten Schuldverschreibungen seinen
Sitz in der EU hat. Das wäre post-Brexit so
nicht mehr machbar.
ó Eurosystem: Eine besonders schwerwiegende Folge eines Brexit ist, dass dann
UK-Verbriefungen bei der EZB nicht mehr
als Sicherheit für die Refinanzierung von
Banken über das Eurosystem genutzt werden können. Um notenbankfähige Sicherheiten zu sein, müssen ABS von einem im
EU-/EWR-Raum ansässigen SPV emittiert, von einem dort ansässigen Originator originiert werden, Schuldner und
Gläubiger der verbrieften Vermögenswerte müssen ebenfalls im EU-/EWR-Raum
ansässig sein und die Sicherheiten sich
dort befinden und dem Recht eines solchen Staates unterliegen, ebenso der Erwerb der relevanten Vermögenswerte.
Wenn UK-ABS diese Voraussetzungen
nicht (mehr) erfüllen, können diese auch
nicht von der EZB im Rahmen ihres ABSAnkaufsprogramms unter ihrer Quantitative-Easing-Politik erworben werden, was
schwere Nachteile für die UK-Verbriefungsindustrie mit sich bringen dürfte.
Fazit
Der Vorhang zum „Drama Brexit“ ist gerade erst aufgegangen. Schon mangels
Klarheit über Beginn, Inhalt, Ablauf und
vor allem über das Ergebnis der Austrittsverhandlungen erfordert jede Prognose
über den Verlauf des Stücks – zum Beispiel
wie sich der Brexit auf Verbriefungstransaktionen und die Verbriefungsindustrie
auswirken wird – intensive Kristallkugelleserei. Am Ende könnte es sogar mit Bertolt Brecht heißen: „Der Vorhang zu und
alle Fragen offen.“ Wahrscheinlicher ist
freilich eine „Lösung“ per Austrittsabkommen. Aber auch dabei würden beide Seiten
vermutlich nichts zu beklatschen haben.
Die UK-Verbriefungsindustrie (wie der Rest
des Landes auch) dürfte wohl unter dem
Brexit stark, die Rest-EU aber mitleiden.
Schon heute ist es wichtig, sich über
mögliche Brexit-bezogene Probleme in
Verbriefungsdokumentationen klar zu
werden, d. h. eine sorgfältige und umfassende Due Diligence und Analyse existierender Dokumentationen durchzuführen
und gegebenenfalls Vorgaben für künftige
solche zu entwickeln.
Auch aufsichtsrechtlich werden sich im
Hinblick auf zahlreiche EU-Verordnungen
und -Richtlinien, aber auch im Hinblick
auf die EZB/Eurosystem-Regeln, viele
Strukturierungs- und Compliance-Herausforderungen stellen. Ob das UK und
die EU am Ende ein für sich befriedigendes oder wenigstens erträgliches Ergebnis erzielen werden, hängt vom Verlauf
und den Ergebnissen der Austrittsverhandlungen ab. Keine guten Aussichten,
auch nicht für das „zarte Pflänzchen“ europäische Verbriefungsmärkte.
ó
Autor: Peter Scherer, Rechtsanwalt und LL.M.
(IU), GSK Stockmann & Kollegen, Frankfurt am
Main.
10.2016 diebank 17
Vielfältige Geschäftsmöglichkeiten für Banken
FINANZIERUNGSSTRUKTUREN Supply Chain Finance setzt sich zunehmend als alternatives
Finanzierungskonzept zwischen Handelspartnern im B2B-Bereich durch. Gerade im internationalen Umfeld ist über die letzten Jahre hinweg ein regelrechter Trend hin zu Supply-Chain-FinanceProdukten zu beobachten. Arne Klüwer
Keywords: Supply Chain, Factoring-Varianten, Verbriefung
Supply-Chain-Finance-Produkte werden
zurzeit verstärkt im Markt besprochen.
Der Begriff ist nicht definiert und wird
unterschiedlich verstanden und verwendet. Die Produkte decken eine große
Bandbreite von Anwendungsgebieten und
Strukturen ab und bedienen dabei jeweils
unterschiedliche Bedürfnisse. Den ursprünglichen Kern bilden Factoringstrukturen und die klassische Verbriefung von
Handelsforderungen. Hinzugetreten sind
in den vergangenen Jahren Weiterentwicklungen der klassischen Factoringprodukte, insbesondere Reverse Factoring und Finetrading.
Die Produkte ähneln sich in weiten Teilen, richten sich aber an unterschiedliche
Zielgruppen. Besondere Bedeutung hat
dabei im deutschen Kontext immer noch
vor allem Factoring und, bei größeren Volumina, die Verbriefung von Handelsforderungen.
Factoring und Verbriefung
Supply-Chain-Finance-Produkte bringen
eine Reihe positiver Effekte für alle Beteiligten mit sich. Sie erlauben eine Optimierung des Working Capital und, abhängig
von der gewählten Struktur, angepasste
Zahlungsziele. Damit einhergehend sind
eine Finanzierungsfunktion und positive
18 diebank 10.2016
Liquiditätseffekte außerhalb klassischer
Kreditlinien sowie oftmals eine Stabilisierung der eigenen Lieferkette.
Reverse Factoring
Im Rahmen einer Factoring-Transaktion
verkauft der Inhaber einer Geldforderung
(der Factoring-Kunde) seine Forderung
gegen seinen Debitor (den Erwerber von
Waren oder Dienstleistungen) entgeltlich
an einen Factor und tritt damit die Forderung an diesen ab.
Entsprechend funktioniert die Grundstruktur einer Verbriefung von Handelsforderungen, wobei in diesen Strukturen
die Rolle des Factors von einer Zweckgesellschaft übernommen wird, die die jeweiligen Forderungen erwirbt und den
Ankauf über den Kapitalmarkt finanziert.
Factoring und die Verbriefung von Handelsforderungen werden von den jeweiligen Forderungsverkäufern in ihrer Funktion als Gläubiger (und Lieferanten) ihrer
Debitoren ausgehend strukturiert und
nicht von einem Unternehmen als Kunde
mit Blick auf seine eigenen Lieferanten.
Sie stellen die strukturelle und intellektuelle Ausgangsbasis für weitere im
Markt etablierte Supply-Chain-FinanceProdukte und -Strukturen dar, insbesondere für immer beliebtere Reverse-Factoring-Transaktionen.
Bei einer Reverse-Factoring-Transaktion organisiert der Debitor, dass seine Lie-
feranten ihre ihm gegenüber bestehenden Forderungen an einen Factor verkaufen. Dabei bestätigt und garantiert der
Debitor die von ihm geschuldete Zahlung
im Rahmen eines abstrakten Schuldanerkenntnisses gegenüber dem Factor.
Finetrading
Im Rahmen einer sogenannten Finetrading-Struktur verkaufen die partizipierenden Lieferanten des die Transaktion
veranlassenden Debitors (wie im Fall der
Reverse-Factoring-Struktur) ihre Waren
– und nicht ihre Forderungen – an eine
Zwischenhandelsgesellschaft und werden bei Lieferung bezahlt.
Die Zwischenhandelsgesellschaft verkauft die Waren an den Debitor weiter,
wobei sie hierbei an den wirtschaftlichen
Bedürfnissen der Parteien ausgerichtete
Zahlungsziele vereinbaren kann. Finetrading-Transaktionen sind mit Reverse-Factoring-Transaktionen insoweit vergleichbar, als ein Debitor diese für sich bezüglich eines Teils oder aller seiner Lieferanten veranlasst ” 1.
Unterschiede
Finetrading ist insoweit eine Weiterentwicklung von Reverse Factoring, als es
bestimmte Nachteile von Reverse-Factoring-Transaktionen überwindet – insbesondere die Nachteile aus den vielfach
branchenüblichen verlängerten Eigen-
tumsvorbehalten und den damit einhergehenden Wechselwirkungen zwischen
den Finanzierungsformen, die einem Unternehmen typischerweise zur Verfügung
stehen.
Einerseits muss bei Factoring- und Reverse-Factoring-Transaktionen das Sicherungsinteresse von Lieferanten berücksichtigt und auch vom Factor beachtet
werden, andererseits können Vereinbarungen zwischen dem Forderungsverkäufer und seinen sonstigen besicherten Kreditgebern die Umsetzung einer Transaktion verkomplizieren.
Risikomanagement durch Finetrading
In diesem Zusammenhang sind auch
Wechselwirkungen zwischen existierenden Finanzierungsverträgen (insbesondere besicherten syndizierten Finanzierungen) sowie Factoring-Vereinbarungen
und vergleichbaren Verbriefungen zu berücksichtigen. Selbst, wenn Kreditgeber
bereit sind, die ihnen sicherungshalber
übertragenen Handelsforderungen eines
Unternehmens für Factoring-/Verbriefungstransaktionen freizugeben (da im
Gegenzug Liquidität in das Unternehmen
des Forderungsverkäufers als Kreditnehmer fließt), verlangen die Kreditgeber einer syndizierten Finanzierung dann oft
Sicherheiten über sämtliche Bankkonten
eines Unternehmens und insbesondere
auch über den Kaufpreisauszahlungsanspruch des Forderungsverkäufers gegenüber der Factoringbank bzw. Verbriefungszweckgesellschaft.
Dies steht allerdings im Fall verlängerter Eigentumsvorbehalte von Lieferanten
im Widerspruch zur höchstrichterlichen
Rechtsprechung und führt zur Unwirksamkeit der Abtretung der Forderungen
an das Factoringunternehmen. Im Fall
der Unwirksamkeit der Abtretung gewährt das Factoringunternehmen wirtschaftlich gesehen einen unbesicherten
Kredit, anstelle eine Forderung anzukaufen. Diese Risiken werden durch Finetrading-Strukturen überwunden ” 2.
Praktische Vor- und Nachteile des
Factoring
Der Factoring-Kunde erreicht einen Liquiditätsvorteil durch den Erhalt des
Kaufpreises auf seine Forderung vor deren Fälligkeit und kann dadurch seine
eigenen Vor-Lieferanten schneller bezahlen. In der Regel kann ein Bilanzabgang
sowohl nach HGB und IFRS erreicht werden. Die sich aus dem Zusammenspiel
mit etwaigen verlängerten Eigentums-
vorbehalten der Lieferanten ergebenden
Unsicherheiten sind je nach Sektor besonders zu berücksichtigen, ebenso wie
die Kollision mit anderen Finanzierungsformen und bestehenden Sicherheiten
und vertraglichen Beschränkungen aus
existierenden Engagements. Dadurch bedingte Anforderungen an eine Due Diligence erhöhen den mit der Umsetzung
einer Transaktion verbundenen Aufwand. § 13c Umsatzsteuergesetz führt zu
1
Grundstruktur eines Reverse Factoring
Lieferant 1-n
Forderung
Reverse-Factoring-Kunde
Forderungsverkauf
abstraktes Schuldanerkenntnis/Garantie
der durch den Lieferanten verkauften Forderung
Forderungskäufer / Factor
2
Grundstruktur einer Finetrading-Finanzierung
Lieferant 1-n
rechtlicher Warenverkauf
Zwischenhandelsgesellschaft
physische
Warenlieferung
rechtlicher Weiterverkauf
Finetrading-Kunde
besicherte Finanzierung der
Zwischenhandelsgesellschaft
Finanzierer der
Zwischenhandelsgesellschaft
10.2016 diebank 19
einer Haftung des Factors für nicht beglichene Umsatzsteuerverbindlichkeiten
des Factoring-Kunden gegenüber dem Finanzamt.
Praktische Vor- und Nachteile des
Reverse Factoring
Die schnelle Bezahlung des Lieferanten
kann zu einer Verbesserung der Einkaufskonditionen führen. Die Umsetzung
der grundsätzlich einfachen Struktur ist
jedoch komplex und die Lieferanten eines
Kunden einer Reverse-Factoring-Transaktion müssen dazu bereit sein, dem Forderungsverkaufsprogramm beizutreten.
Dies ist für Unternehmen, die gegenüber
ihren Lieferanten eine gewisse Marktmacht mitbringen, weniger ein Thema als
für Unternehmen, die eine weniger starke
Position innehaben. Gleichzeitig muss
der Lieferant des Kunden als Verkäufer
der Forderung auch Inhaber der Forderung sein oder im Rahmen einer echten
Factoring-Transaktion darüber verfügen
können und der Kunde trägt das diesbezügliche Risiko seines Lieferanten über
seine Garantie mit.
Sollte der jeweilige Lieferant bereits an
einem Factoring- oder Verbriefungsprogramm teilnehmen, muss er die Forderungen, die Gegenstand der Reverse-FactoringTransaktion werden sollen, aus diesen Programmen ausnehmen. Dies erfordert zumindest administrativen Aufwand und
geht mit einer Reduzierung des Forderungsvolumens einher, das für etwaige
existierende Factoringprogramme des jeweiligen Lieferanten zur Verfügung steht.
Darüber hinaus sind auch die vom Institut der Wirtschaftsprüfer jüngst ergänzten Regelungen zu IDW RS HFA 9 bei
Abschluss einer Reverse-Factoring-Transaktion zu berücksichtigen. So sind unter
bestimmten Voraussetzungen für den
Kunden als bilanzierendes Unternehmen
die zuvor als Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung zu bilanzierenden Forderungen in bestimmten Konstellationen
und aufgrund des abstrakten Schuldan20 diebank 10.2016
erkenntnisses als Bank- / Finanzverbindlichkeiten einzuordnen (und treten so
umqualifiziert an deren Stelle). Dies kann
für den Kunden bezüglich seiner Finanzierungsverträge und vor dem Hintergrund der oftmals darin als Aufhänger
für weitere Regelungen enthaltenen Finanzkennzahlen zu unwillkommenen
Wechselwirkungen führen.
Wenngleich sich dieses Thema strukturell und durch eine richtige Vertragsgestaltung handhaben lassen kann, empfiehlt sich doch die Einbindung des Wirtschaftsprüfers bei Abschluss der Transaktion. Nicht zuletzt sollte eine ReverseFactoring-Transaktion auch steuerlich
nicht nur seitens des Forderungsverkäufers und -käufers genau geprüft werden,
sondern aufgrund der mit dem Auftrag
des Kunden an den Forderungskäufer
verbundenen Freistellungen auch vom
Kunden selbst. Besonders schwerwiegend können sich hier in der Praxis die
Regelungen zu § 13c Umsatzsteuergesetz
auswirken, da im Ergebnis oftmals nicht
nur der Forderungskäufer, sondern – aufgrund der Freistellungen in der Garantie
– der Kunde über eine solche Struktur indirekt für die Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Lieferanten gegenüber dem Finanzamt mithaftet.
Praktische Vor- und Nachteile des
Finetrading
Eine Finetrading-Transaktion zeichnet
sich besonders dadurch aus, dass Nachteile von Reverse-Factoring-Transaktionen bei vergleichbarem Effekt überwunden werden können. Auch hier wird der
Lieferant sofort bezahlt und kann dadurch
ggf. bessere Konditionen anbieten, ohne
dabei alle Nachteile einer Factoring- /Verbriefung- oder Reverse-Factoring-Transaktion in Kauf nehmen zu müssen.
Verkauft werden vom Lieferanten Waren, keine Forderungen. Daher entfallen
die Prüfung von Vorbehaltseigentum der
Vor-Lieferanten des Lieferanten ebenso
wie die in diesem Zusammenhang genann-
ten Erfordernisse hinsichtlich der Inhaberschaft der Forderung sowie der Gestaltung
der Verträge. Ebensowenig muss der Lieferant dazu bewogen werden, Forderungen,
die dieser ggf. sonst im Rahmen einer eigenen bestehenden Factoring- oder Verbriefungs-Transaktion verkaufen würde,
nun in die Reverse-Factoring-Transaktion
seines Kunden einzubringen.
Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist die
strukturell bessere Position des Finanzierers der Zwischenhandelsgesellschaft im
Vergleich zur Position des Finanzierers
des Forderungskäufers in einer Factoring-Transaktion / Forderungsverbriefung oder Reverse-Factoring-Transaktion.
Neben einer Sicherheit über Forderungen
erhält dieser Sicherheiten über Waren.
Die Zwischenhandelsgesellschaft wird
durch den Ankauf von Waren zum Handelsunternehmen und primären Vertragspartner der Lieferanten des Kunden.
Ebenso wie im Fall einer Reverse-Factoring-Transaktion ist daher die Ansprache
der in die Transaktion einzubindenden
Lieferanten des Kunden erforderlich. Allerdings wird lediglich der rechtliche
Käufer der Waren ausgetauscht, die Lieferbeziehungen bleiben ansonsten unverändert, und der Lieferant liefert weiterhin
direkt an den Kunden.
Im Rahmen des Weiterverkaufs der Waren von der Zwischenhandelsgesellschaft
an den Kunden tritt die Zwischenhandelsgesellschaft ihre Gewährleistungsansprüche aus ihrem Kaufvertrag mit den jeweiligen Lieferanten an diesen ab. Im Gegenzug werden Gewährleistungsansprüche
des Kunden gegenüber der Zwischenhandelsgesellschaft weitestgehend ausgeschlossen. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass ein vollständiger Ausschluss von Gewährleistungsansprüchen zivilrechtlich
selbst unter Kaufleuten nicht möglich ist.
Das bedeutet, dass die Zwischenhandelsgesellschaft immer ein gewisses Restrisiko hinsichtlich der Waren trägt. Dieses Risiko kann weitestgehend reduziert, aber
nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
fl Die schnelle Bezahlung des Lieferanten führt beim Factoring zu einer Verbesserung der Einkaufskonditionen.
Verbriefung von Supply-ChainFinance-Transaktionen
Supply-Chain-Transaktionen laufen typischerweise über eine Bank, können aber
auch über Verbriefungsstrukturen (re-)
finanziert werden. Typisch ist die Verbriefung von Forderungen, die ein Factoringunternehmen ankauft, sei es über
eine Reverse-Factoring-Transaktion oder
eine typische Factoring-Transaktion. In
den im Markt etablierten Strukturen verkauft das Factoringunternehmen, die
selbst angekauften Forderungen an eine
Verbriefungszweckgesellschaft, die den
Ankauf der Forderungen über den Kapitalmarkt (re-)finanziert, oft über sogenannte Asset-Backed Commercial-PaperProgramme, gegebenenfalls aber auch
über längerfristige Schuldverschreibungen, Schuldscheindarlehen oder ähnliche
Strukturen.
Bei einer Verbriefung von FinetradingTransaktionen kann die Zwischenhandelsgesellschaft den Ankauf der Waren
über einen Verkauf der Forderung gegenüber dem Kunden aus dem Weiterverkauf
der Ware über eine Verbriefungszweckgesellschaft (re-)finanzieren. Alternativ
kann die Finanzierung des Warenan-
kaufs auch durch von der Verbriefungszweckgesellschaft an die Zwischenhandelsgesellschaft bereitgestelltes Fremdkapital erfolgen, wobei die Forderungen
der Zwischenhandelsgesellschaft gegenüber dem Kunden der Verbriefungszweckgesellschaft als Sicherheit verpfändet oder sicherungshalber abgetreten
werden. Zusätzliche Sicherheiten bestellt
die Zwischenhandelsgesellschaft durch
eine Abtretung ihrer Rechte aus ihrem
verlängerten Eigentumsvorbehalt an den
Waren.
Besonders vorteilhaft bei der Verbriefung von Finetrading-Transaktionen ist in
allen Varianten, dass die Verbriefungszweckgesellschaft sicher sein kann, dass
die Zwischenhandelsgesellschaft Inhaberin der Waren und Forderungen ist, die
über die Verbriefungsstruktur verbrieft
werden, weil durch die Zwischenschaltung der Zwischenhandelsgesellschaft
jegliche Form von Eigentumsvorbehalt
der Lieferanten abgelöst wird. Der strukturellen Komplexität der Transaktion
steht ein erhöhtes Maß an rechtlicher Sicherheit gegenüber, insbesondere hinsichtlich der sonst starken Eigentumsvorbehalte der Vor-Lieferanten.
Fazit
Ob als Käufer oder Verkäufer von Waren
und Dienstleistungen: Unternehmenskunden können sich heutzutage aus einem
breiten Portfolio von Anbietern wählen,
die den Supply-Chain-Finance-Markt bedienen. Banken spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle als Anbieter
von Factoring- und Reverse-Factoring-Lösungen. Indes wird nicht jede der hier vorgestellten Lösungen von allen Dienstleistern im gleichen Umfang angeboten. Dabei hängt es auch von regionalen und sektoralen Präferenzen ab, welche Produktvarianten den Markt jeweils dominieren.
Supply-Chain-Finance-Strukturen werden sich weiter im Markt etablieren. Für
Banken bieten sich in diesem Kontext
vielfältige Geschäftsmöglichkeiten, u. a.
in der Rolle als Vermittler, Finanzier, Investor, Infrastrukturanbieter oder in einer Kombination dieser Rollen. Welche
Finanzierungsstrukturen in welchem
Umfang zum Tragen kommen, wird auch
wesentlich von der weiteren Entwicklung
im regulatorischen Umfeld abhängen. ó
Autor: Dr. Arne Klüwer, Rechtsanwalt und
Partner, Clifford Chance Deutschland LLP,
Frankfurt am Main.
10.2016 diebank 21
Regulatorische Bevorzugung
von Staatsanleihen
FINANZMARKTINTEGRATION Die Unternehmenskreditvergabe der europäischen Banken stagniert
seit Jahren, während die Banken ihre Engagements in Staatsanleihen trotz negativer Renditen ausweiten.
Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht die Kreditvergabe durch negative Einlagenzinsen und extreme Liquiditätsmaßnahmen zu beleben. Stattdessen führte die Geldpolitik aber nur zu einer noch höheren
Nachfrage nach Staatsanleihen und zu noch niedrigeren Renditen darauf. Diese Fehlentwicklung liegt in
der regulatorischen Bevorzugung von Staatsanleihen begründet und belastet in Verbindung mit der Niedrigzinspolitik die Profitabilität und den Eigenkapitalaufbau der Banken und darüber hinaus deren Kreditvergabe an Unternehmen. Markus Demary
Keywords: Investment,
Eigenkapital, Kreditvergabe
Seit mehr als 40 Jahren zeigt sich ein Abwärtstrend bei den Zinsen. Zuerst sanken
diese aufgrund sinkender Inflationsraten
und aufgrund demografischer Effekte. In
den letzten Jahren führten Krisenreaktionen, wie die Niedrigzinspolitiken der
Zentralbanken, sowie Kriseneffekte, wie
eine Flucht der Investoren in sichere Häfen, zu einem zusätzlichen Absinken der
Zinsen. Zwar werden die Zinsen nie wieder das Niveau der 1970er- oder auch der
1980er-Jahre erreichen. Es besteht aber
die Hoffnung, dass sie sich auf ein Niveau
von rund drei Prozent normalisieren
könnten, wenn die EZB aus ihrer Niedrigzinspolitik aussteigt. Groß ist diese Hoffnung allerdings nicht, denn anstelle eine
Zinswende zeigt sich aktuell eher eine
Fortführung des Abwärtstrends in den
nun negativen Zinsbereich.
Trotz negativer Renditen auf Staatsanleihen werden diese von den europäischen Banken stark nachgefragt. Gleichzeitig hat sich die Kreditvergabe an Unternehmen noch nicht erholt, obwohl diese rentierlicher als die Kreditvergabe an
Staaten wäre. Wie dieser Beitrag zeigen
22 diebank 10.2016
wird, führt die regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen gegenüber Unternehmenskrediten zu einer verzerrten
Anlageentscheidung der Banken, welche
durch die Niedrigzinspolitik noch verschärft wird. Das Resultat wird eine andauernde Niedrig- bzw. Negativzinsphase
mit stagnierender Kreditvergabe sein.
Stagnierende Kreditvergabe trotz
expansiver Geldpolitik
Die zwei letzten großen Bankenkrisen,
die durch das Platzen von Immobilienblasen in den USA, Irland und Spanien und
anschließend durch drohende Staatsinsolvenzen im Euroraum ausgelöst wurden, trafen die europäischen Banken hart.
Im Nachgang der Krisen wurden u. a. die
Mindestanforderungen an das Eigenkapital verschärft, sodass die Banken nicht
nur Eigenkapitalverluste aus den Krisen
ausgleichen, sondern auch zusätzliches
Eigenkapital aufbauen mussten.
Für die Erhöhung der regulatorischen
Eigenkapitalquote haben die Banken drei
Möglichkeiten. Zum einen können sie Aktien emittieren oder Gesellschafteranteile
erhöhen. Durch die beiden Krisen haben
die Aktienkurse der europäischen Banken allerdings stark gelitten, sodass die
Kapitalbeschaffung auf diesem Weg für
die meisten Banken nicht infrage kommt.
Der zweite mögliche Weg besteht in der
Einbehaltung von Gewinnen. Die Profitabilität der europäischen Banken hat aber
durch die Krisen ebenfalls gelitten und
hat für viele bisher nicht wieder zum Vorkrisendurchschnitt zurückgefunden. Die
dritte Möglichkeit der Rekapitalisierung
besteht in der Verringerung der Risikoaktiva, d. h. in einer restriktiven Kreditvergabe. Während die Risikogewichte für
Unternehmenskredite aber mit dem Kreditrisiko ansteigen, hat das Risikogewicht
für europäische Staatsanleihen den Wert
Null.
Die EZB hat Maßnahmen implementiert, um die Kreditvergabe wiederzubeleben. Ihre umfangreichen Liquiditätsmaßnahmen sind teilweise sogar mit
Konditionen an die Kreditvergabe verbunden. Zudem erhebt sie Negativzinsen
auf die Einlagen der Banken. Trotz dieser
massiven Maßnahmen konnte die EZB die
Kreditvergabe bisher nicht wiederbeleben, heizte aber die Nachfrage nach
Staatsanleihen an ” 1.
Dieser Effekt liegt darin begründet,
dass die EZB die Bankkreditvergabe nur
durch Senkung der Refinanzierungskos-
ten oder durch eine Zuführung von Zentralbankliquidität fördern kann. Tatsache
ist aber, dass nicht zu hohe Finanzierungskosten oder ein Mangel an Zentralbankliquidität die Kreditvergabe bremsen, sondern dass knappes Eigenkapital
den Engpassfaktor für die Kreditvergabe
darstellt. Hieran kann die EZB mit ihren
geldpolitischen Maßnahmen nichts ändern. Solange die Banken im Prozess des
Eigenkapitalaufbaus sind, wird die Kreditvergabe nur langsam steigen. Die EZB
kann diese Situation aber mit ihren Maßnahmen verschlimmern, denn die Niedrigzinspolitik führt in Kombination mit
der regulatorischen Bevorzugung von
Staatsanleihen zu einer Verzerrung der
Anlageentscheidungen der Banken.
Verzerrte Anlageentscheidung durch
Regulierung
Da der Eigenkapitalaufbau der Banken aktuell die Kreditvergabe begrenzt, muss die
Zentralbankliquidität auf einem anderen
Weg von den Banken angelegt werden.
Den Kreditinstituten bleibt nur die Wahl,
diese als Guthaben bei der EZB zu halten
oder diese Mittel in Staatsanleihen zu investieren. Da die europäische Bankenregulierung den Banken für den Erwerb von
Staatsanleihen keine Eigenkapitalunterlegung vorschreibt, stellen Staatsanleihen
ein Substitut zu den Guthaben bei der EZB
dar. Dies erklärt nun auch, warum die
Banken in Staatsanleihen mit negativer
Rendite investieren. Da sie auf Guthaben
bei der EZB einen Strafzins von -0,4 Prozent zahlen müssen, ist es für sie das kleinere Übel, in Staatsanleihen zu investieren, die weniger negativ rentieren.
Es sind aber nicht nur die Geldpolitik
und die fehlende Eigenkapitalunterlegungspflicht, die zu einer hohen Nachfrage nach Staatsanleihen führen. Um die Liquidity Coverage Ratio (LCR) zu erfüllen,
fragen Banken ebenfalls Staatsanleihen
nach, da diese in der Bankenregulierung
als liquider im Vergleich zu Unternehmensanleihen gelten.
Das Niedrigzinsumfeld erodiert das
Zinsergebnis der Banken
In Zeiten knappen Eigenkapitals vergeben die europäischen Banken nur vor-
sichtig Kredite an Unternehmen. Damit
entgehen den Banken aber die Zinseinnahmen aus der Kreditvergabe, wodurch
ihre gesamten Zinseinnahmen abhängiger von der Entwicklung der Renditen auf
Staatsanleihen werden.
Bei sinkenden Renditen auf Staatsanleihen sinken die Zinseinnahmen der
Banken stärker als ihre Zinsaufwendungen. Denn eine einzelne Bank kann den
Zins auf Kundeneinlagen nicht beliebig
senken, da sie sich mit anderen Banken
in einem starken Wettbewerb um Kundeneinlagen befindet. Den aktuell negativen EZB-Zins können die Banken somit
nur schwer an ihre Kunden weitergeben.
Ein sinkendes Zinsergebnis erodiert damit die Gewinne der Banken und erschwert ihnen den Eigenkapitalaufbau.
Negative Effekte auf die Kreditvergabe
Über ihren negativen Effekt auf die Gewinne der Banken belasten die Negativzinsen der EZB sowie die negativen Renditen auf Staatsanleihen die Kreditvergabe der europäischen Banken. Dies legen auch Ergebnisse des IW-Bankenmo10.2016 diebank 23
Rückführung ihrer Risikoaktiva erreicht
haben, durch den Bestand an notleidenden Krediten in ihren Bilanzen und eben
durch ihre Profitabilität.
Da die negativen Zinsen die Profitabilität belasten und damit den Eigenkapital-
nitors aus dem Jahr 2015 nahe. Bei den
80 größten Banken des Euroraums war
die Kreditvergabe vor allem durch drei
Einflussfaktoren bestimmt. Zum einen
durch die Erhöhung der Eigenkapitalquoten, welche viele Banken durch eine
1
Kreditvergabe an Unternehmen und Engagements der Banken in Staatsanleihen
Wachstumsraten, in Prozent pro Jahr
14,0
12,0
12,0
10,0
9,7
8,0
6,8
6,7
6,0
5,5
5,3
4,0
4,6
2,0
0,0
2004-2006
-2,0
2007-2009
-0,7
2010-2012
2013-2014
-0,2
2015-2016
-3,9
-4,0
-6,0
Staatsanleihen
Unternehmenskredite
aufbau der Banken behindern, reagieren
die Banken über eine noch stärkere Rückführung ihrer Risikoaktiva auf den Negativzins. Am stärksten ist hiervon die
Langfristkreditvergabe betroffen. Denn
die langfristige Kreditvergabe zu einem
Festzins ist bei dem aktuell sehr niedrigen Zinsniveau wenig profitabel.
Die regulatorische Bevorzugung von
Staatsanleihen ist nicht nur deshalb problematisch, weil sie die Anlageentscheidungen der Banken verzerrt und damit
die Vergabe von Krediten an Unternehmen belastet. Die Kombination aus Regulierung und Niedrigzinsumfeld kann
schnell in eine Abwärtsspirale führen. So
führt die künstlich hohe Nachfrage nach
Staatsanleihen zu noch stärker negativen
Renditen. Das senkt die Profitabilität der
Banken weiter und erschwert ihren Eigenkapitalaufbau, worauf die Banken mit
einer noch restriktiveren Kreditvergabe
reagieren werden. Dies führt dann wiederum zu einer höheren Nachfrage nach
Staatsanleihen und darüber zu noch niedrigeren Zinsen.
Quelle: Europäische Zentralbank, eigene Berechnung.
Bevorzugung von Staatsanleihen
erhöht die Risiken für Banken
2
Home Bias bei Staatsanleihen in den Bankbilanzen
Anteil des Werts der heimischen Staatsanleihen in Relation zum Wert des gesamten
Staatsanleihen-Portfolios in Prozent
Euro-Kern: AT, BE, DE, FI, FR, LU, NL — Euro-Peripherie: ES, GR, IE, IT, PT
100,0
90,0
80,0
70,0
60,0
50,0
40,0
9-
9
19
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
-6
01 002 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
Euro-Kern
Euro-Peripherie
-6
6
6
8-
9
19
00
20
20
Quelle: Europäische Zentralbank, eigene Berechnung.
24 diebank 10.2016
Die regulatorische Bevorzugung von
Staatsanleihen hat zudem einen negativen Einfluss auf die Stabilität der Banken,
denn sie macht sie anfälliger für Staatsschuldenkrisen. Die Schuldenquoten der
Staaten sind nur bei den ohnehin bonitätsstarken Staaten – wie beispielsweise
Deutschland – rückläufig. In den hochverschuldeten Ländern des Euroraums
hat ein Schuldenabbau bisher trotz niedriger staatlicher Finanzierungskosten
nicht stattgefunden.
Die Anfälligkeit der Banken für Staatsschuldenkrisen ist vor allem ein europäisches Phänomen. Das zeigt ein Vergleich
der Staatsschuldenkrisen von Griechenland und von Puerto Rico. Beide Länder
sind Teil einer Währungsunion, haben ein
ähnlich hohes BIP pro Kopf und eine ähnlich hohe Staatsschuldenquote. Während
die griechische Staatsschuldenkrise und
die damit verbundenen Schuldenschnitte
für die europäischen Banken problematisch waren, ist die Schuldenkrise Puerto
Ricos für die US-amerikanischen Banken
ebenso verkraftbar, wie die staatlichen Insolvenzen von Kalifornien und Detroit.
Der Grund liegt darin, dass die US-amerikanischen Banken keine Konzentrationsrisiken in ihren Staatsanleihen-Portfolien
aufweisen, sodass sich bei einer Schuldenkrise auffangbare Verluste über viele Banken verteilen und nicht große Verluste für
einige wenige Banken anfallen. Ein Grund
für die starke Diversifikation der US-amerikanischen Banken ist, dass diese in der
Vergangenheit gelernt haben, dass es keine Rettung einzelner Bundesstaaten geben wird.
Die Banken des Euroraums haben nun
aber begriffen, dass eine Rettung angeschlagener Staaten durchaus möglich ist.
Eigentlich wäre damit zu rechnen gewesen, dass die Lehre aus der europäischen
Staatsschuldenkrise eine stärkere geografische Diversifikation der Anleiheportfolien ist. Stattdessen haben die Banken ihre Engagements bezüglich den
Staatsschulden ihres Heimatstaats sogar
noch verstärkt ” 2.
Traditionell ist dieser Home Bias bei
den Banken der Peripherieländer stärker
ausgebaut als bei den Banken im Rest des
Euro-Raums. Dies mag teilweise auch auf
politischen Druck ihres Heimatstaats zurückzuführen sein. Der Home Bias ist im
Zug der europäischen Staatsschuldenkrise aber sowohl bei den Banken der Peripherieländer als auch bei denen im restlichen Euro-Raum angestiegen. Bei letzteren spiegelt sich eine Flucht in sichere
Häfen wider. So führt der Anstieg des
Home Bias zu einem Rückgang der Finanzmarktintegration und macht den Euro-Raum anfälliger gegenüber Bankenkrisen, die aus einer Staatsschuldenkrise resultieren.
Die starke Verbindung von Banken und
Staaten kann entweder dadurch gelockert
werden, dass Banken ihre Anleiheportfolien stärker geografisch diversifizieren,
oder aber dadurch, dass Banken weniger
stark an Staaten und mehr an Unternehmen verleihen. Beide Lösungswege machen eine Reform der Bankenregulierung
erforderlich. Förderlich für die Stabilität
des europäischen Bankensektors wäre,
dass Staatsanleihen genauso wie Unternehmensanleihen oder Unternehmenskredite in Relation zum Ausfallrisiko mit
Eigenkapital unterlegt werden müssten.
Die bisherige Bankenregulierung sieht
noch weiter verstärken. Zudem befördert
dies einen Teufelskreis. Denn die Niedrigzinsen belasten die Gewinne der Banken,
was deren Eigenkapitalaufbau und darüber deren Kreditvergabe beeinflusst. Bei
einer schleppenden Kreditvergabe kann
sich aber keine Normalisierung der Inflationsrate einstellen, sodass die EZB ihre
geldpolitischen Maßnahmen aufrechterhalten oder auch verstärken muss. Dies
führt wiederum zu einer noch höheren
Nachfrage nach Staatsanleihen, was deren Renditen weiter senkt.
fl Die regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen ist deshalb problematisch, weil sie die Anlageentscheidungen der Banken verzerrt
und damit die Vergabe von Krediten an Unternehmen belastet.
bei Unternehmenskrediten eine Großkreditbeschränkung vor, bei der eine Bank
maximal bis zur Höhe von 25 Prozent des
Eigenkapitals an einen einzelnen Schuldner verleihen darf. Diese Großkreditbeschränkung sollte auch für Staatsanleihen gelten, um Konzentrationsrisiken
einzudämmen.
Fazit
Ohne eine Reform der regulatorischen Behandlung von Staatsanleihen ist ein Ende
der Niedrigzinsphase nur schwer absehbar. Solange die Inflationsrate weit unterhalb des Inflationsziels der EZB von unter, aber nahe zwei Prozent liegt, wird
diese ihre Geldpolitik fortführen. Dabei
wird sie versuchen, über Negativzinsen
und Liquiditätsmaßnahmen die Kreditvergabe der Banken weiter anzustoßen.
Solange sich die Banken aber in einem
Prozess des Eigenkapitalaufbaus befinden, werden sie ihre Kreditvergabe nur
zögerlich ausweiten und stattdessen ihre
Engagements in Staatsanleihen ausbauen, die weniger stark negativ als der Einlagensatz der EZB rentieren. Diese künstlich hohe Nachfrage nach Staatsanleihen
wird das bisherige Niedrigzinsumfeld
Schnell wird eine Situation erreicht,
in der der EZB kaum noch zulässige Anleihen für ihr Kaufprogramm zur Verfügung stehen. Womöglich wird dann der
Ruf nach einer höheren Staatsverschuldung laut. Dies kann aber nicht die Lösung der bestehenden Probleme sein.
Eine Normalisierung von Zinsniveau, Inflationsrate und Wirtschaftswachstum
kann nur über eine Normalisierung der
Kreditvergabe an Unternehmen erreicht
werden. Dies setzt voraus, dass die Kreditvergabe an Unternehmen und Staaten
in der Bankenregulierung gleichgestellt
werden und dass die Eigenkapitalanforderungen sich ausschließlich an den
Ausfallrisiken der Engagements orientieren. Wichtig ist, dass die Regulierung
den Banken eine höhere Profitabilität erlaubt und so den Banken den Aufbau von
Eigenkapital erleichtert, was wiederum
unabdinglich für die Normalisierung der
Kreditvergabe ist.
ó
Autor: Dr. Markus Demary ist Senior Economist
im Kompetenzfeld Finanz- und Immobilienmärkte
im Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
10.2016 diebank 25
Refinanzierung von FinTechs
VERBRIEFUNG UND STRUCTURED FINANCE Nahezu alle FinTech-Unternehmen starten ihren Geschäftsbetrieb mit einer reinen Equity-Finanzierung und durchlaufen die klassischen Finanzierungsrunden.
Nur wenigen Start-ups gelingt es aber, rechtzeitig ein ertragreiches Geschäftsmodell zu betreiben, bevor
das Eigenkapital vollständig aufgebraucht ist. In jüngerer Zeit beteiligen sich nun auch vermehrt Banken
sowohl in der Seedphase als auch bei späteren Finanzierungsrunden am Eigenkapital von FinTechs. Der
vorliegende Beitrag untersucht, welche Möglichkeiten sich FinTech-Unternehmen aktuell zur mittel- und
längerfristigen Finanzierung bieten. Dietmar Helms | Michael F. Spitz
Keywords: Unternehmensfinanzierung, Digitalisierung
Eine klare Definition des Begriffs FinTech existiert bisher nicht. Als Kombination aus den Worten Financial Services
und Technology versteht man unter FinTechs gemeinhin junge Unternehmen,
die mithilfe technologiebasierter Systeme spezialisierte und besonders kundenorientierte Finanzdienstleistungen anbieten. Sie verbindet die Zielsetzung, mit
moderner Technologie und höherer Nutzerfreundlichkeit Bank- und Finanzdienstleistungen einschneidend zu verändern.
Die neuen Möglichkeiten, die Big Data,
Cloud-Technologie und Distributed
Ledger-Technologien bieten, sollen auf
Smartphones und anderen mobilen Geräten eine einfachere, intuitivere Bedienung sowie radikal schnellere Prozesse
ermöglichen. Damit enden die Gemeinsamkeiten aber auch: die Bandbreite der
einzelnen Geschäftsmodelle deckt sehr
unterschiedliche Bereiche ab, etwa die
Abwicklung von Zahlungsdienstleistungen (grenzüberschreitende Überweisungen, wie sie z. B. TransferWise erbringt),
Robo Advice (z. B. automatisierte, durch
Algorythmen gesteuerte Verwaltung eines Wertpapierdepots durch Unternehmen wie Ginmon), Kryptowährungen, Finanzierungen und Kreditvergabe an
26 diebank 10.2016
Konsumenten für den Erwerb von Immobilien und Unternehmen. Beschränken
sich einige FinTechs auf einzelne Service-Dienstleistungen (z. B. ein Video-basiertes Identifizierungsverfahren durch
die Unternehmen WebID und IDnow, die
die umständliche, zeitaufwendige Identifikation bei einer Kontoeröffnung durch
das Post-Identverfahren vereinfachen
und beschleunigen), treten andere FinTechs am Endkundenmarkt mit Full-Service-Dienstleistungen auf. So vielfältig
die Geschäftsmodelle der FinTechs sind,
so unterschiedlich stellt sich auch ihr Finanzierungsbedarf dar. Dieser Beitrag
beschränkt sich daher notwendigerweise
auf die FinTech-Unternehmen, für die
strukturierte Finanzierungen bzw. Verbriefungstransaktionen von besonderer
Bedeutung sind bzw. sein werden ” 1.
Start meist mit Eigenkapital
Praktisch alle FinTech-Unternehmen
starten ihren Geschäftsbetrieb mit einer
reinen Equity-Finanzierung und durchlaufen die klassischen Finanzierungsrunden. Die Gründungsphase (Seed) stützt
sich auf die Kapitalbeiträge der Gründungsgesellschafter. Daneben beteiligen
sich Bekannte und Familienangehörige
(Friends & Family) an dem jungen Unternehmen. Überzeugt die Geschäftsidee externe Kapitalgeber, z. B. im Rahmen eines
Gründerwettbewerbs, beteiligen sich viel-
leicht schon sehr früh sogenannte SeedInvestoren bzw. lokale Inkubatoren, die
dem Start-up damit bereits einen wichtigen Vertrauensbeweis für später folgende
Finanzierungsrunden aussprechen. Daneben gelingt es manchen Neugründungen, öffentliche Preis- bzw. Fördergelder
zur Finanzierung zu gewinnen. Die frühe
Anlaufphase ist für die Eigenkapitalgeber
mit einem hohen Risiko verbunden. Nur
wenigen Start-ups gelingt es, rechtzeitig
ein so ertragreiches Geschäftsmodell zu
betreiben, bevor das Eigenkapital vollständig verbraucht ist.
Die Suche nach Finanzierungsalternativen
Gelingt hingegen die Umsetzung der Geschäftsidee und der Aufbau eines für größere Investoren interessanten und nachgewiesenen Geschäftsmodells, beteiligen
sich in der darauffolgenden Wachstumsphase Venture-Capital-Investoren, die bei
dem inzwischen mittleren bis geringen
Geschäftsrisiko eine höhere Unternehmensbewertung akzeptieren. In jüngerer
Zeit beteiligen sich nun auch vermehrt
Banken sowohl in der Seedphase als auch
bei späteren Finanzierungsrunden am Eigenkapital von FinTechs. Zunächst standen sie deren Aufstreben skeptisch gegenüber; inzwischen haben viele größere
Bankinstitute eine Digitalisierungsstrategie entwickelt, die vor allem neue Denk-
anstöße zur Modernisierung von Geschäftsmodellen in den Fokus nehmen.
Auch in dieser etwas reiferen Phase gelingt es aber immer noch sehr wenigen
FinTechs, neben der reinen Eigenkapitalfinanzierung andere Finanzierungsalternativen zu erschließen, obwohl das Unternehmenswachstum mit stark zunehmendem Kapitalbedarf einhergeht: die Mitarbeiter- und Marketingkosten steigen. Für
einen klassischen Bankkredit sind die
Unternehmen oft noch zu jung; Banken
scheuen häufig das Ausfallrisiko, das mit
der geringen Historie verbunden ist. Allenfalls Venture-Debt-Finanzierer stehen
zur Verfügung, mit hochverzinsten Darlehen weitere Anschubfinanzierungen
bereitzustellen.
Besonders kritisch ist die rechtzeitige
Umstellung auf geeignete Fremdkapitalfinanzierungen für FinTechs, die OnlineDarlehen an Konsumenten und Kleinunternehmen vergeben bzw. vermitteln. Viele Plattformen beginnen mit dem Einwerben von Geld bei Privatinvestoren (sog.
Crowdlending bzw. Peer-To-Peer). In begrenztem Umfang mag dieses Geschäftsmodell als reine Vermittlungsplattform
ohne nennenswerten eigenen Kapitaleinsatz funktionieren, solange hinreichend
viele Crowdlending-Investoren angeworben können, deren Investments sich
durch die Kreditplattform an Darlehensnehmer vermitteln lassen. Bekannte Plattformen in Deutschland sind etwa Auxmoney, Lendico und FundingCircle, die dieses Geschäftsmodell praktizieren. Aber
bislang ist die Zahl dieser CrowdlendingInvestoren begrenzt und erlaubt der Plattform regelmäßig nicht, im angestrebten
Umfang das Volumen der ausgereichten
Kredite zu skalieren. Um die Kreditnachfrage zu erfüllen, bedienen sich die Plattformen in der Regel immer stärker auch
institutioneller Investoren.
Noch dringender ist der Zugang zu
Fremdkapital-Refinanzierungen für die
Balance Sheet Lender, wie z. B. das Hamburger Unternehmen Kreditech oder das
in London ansässige Iwoca, die selbst
Darlehen vergeben und nicht nur als Vermittler zwischen Investoren und Darlehensnehmern auftreten.
Verbriefung der Kreditforderung
In der anhaltenden Niedrigzinsphase finden sich jedoch zunehmend institutionelle Investoren und Family Offices, die
großvolumigere Anlagen über die etablierten Marketplace Lender tätigen. Der
vergleichsweise hohe Zinssatz, den die
Plattformen für die vermittelten Kredite
(abhängig von der Risikoklasse) verlangen, erlaubt ihnen, auch nach Abzug der
eintretenden Ausfälle von Kreditnehmern, eine interessante Zinsmarge zu
verdienen.
Aufgrund der Granularität der Portfolien und des standardisierten Geschäftsmodells der Plattformen bietet sich daneben die Verbriefung der Kreditforderung
von Zopa haben alle Newcomer ihre Kreditvergabe in einem günstigen wirtschaftlichen Marktumfeld begonnen.
Echte Belastungsproben während einer
Rezession bzw. Wirtschaftskrise sind
noch ausgeblieben. Daher ist noch nicht
hinreichend getestet worden, wie stabil
die Ausfallraten ihrer Kreditportfolien in
echten Stressszenarien sein werden.
Schlüsselfaktor für die erfolgreiche Entwicklung dieser Assetklasse ist vor allem
der Aufbau von Vertrauen in die Kreditvergabeprozesse. Diskussionen um Unregelmäßigkeiten bei einem US-Marktführer haben jedoch augenblicklich zu einer
Verunsicherung in diesem Marktsegment geführt. Strukturell erinnert das
Geschäftsmodell einiger Marktteilnehmer an die fatalen Entwicklungen im
Subprime-US-Hypothekenmarkt, der vor
zehn Jahren in eine weltweite Finanzkrise mündete: Auch die Marketplace Len-
fl Bislang ist die Zahl dieser Crowdlending-Investoren begrenzt und
erlaubt der Plattform nicht, im angestrebten Umfang das Volumen
der ausgereichten Kredite zu skalieren.
als Finanzierungsalternative an. Zunächst geschieht dies häufig durch nicht
öffentliche, privat platzierte Transaktionen. Öffentliche Verbriefungen sind hingegen im europäischen Kapitalmarkt –
anders als in den USA – noch rar: Nur
FundingCircle ist bislang mit einer öffentlichen, gerateten Verbriefungstransaktion in England an den Markt gegangen. Obgleich einige Verbriefungen in
Deutschland privat platziert wurden und
weitere in Vorbereitung sind, gab es bisher keine öffentlich angebotene Verbriefung. Bislang ist die Zahl der Investoren,
die in diese Verbriefungstransaktionen
investieren, noch überschaubar. Die Anlageklasse ist neu und die meisten durch
Marketplace Lender originierten Darlehen haben noch keinen vollständigen
Kreditzyklus durchlaufen. Mit Ausnahme
der werden nur durch „skin in the game“
einen Gleichlauf ihrer Interessen an einem raschen Geschäftswachstum mit
dem Sicherheitsbedürfnis ihrer Eigenund Fremdkapitalinvestoren erreichen.
Sollen sich die Fehler der Vergangenheit
nicht wiederholen, sind strukturell vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich. Diese können zum einen am Intensivierungsmodell ansetzen, etwa wenn
die Plattform ihre Vermittlungsprovision
ausschließlich bei Performing Loans verdient und nicht dazu verleitet, alleine umsatzgetrieben die Provisionen zu vergrößern. Zum anderen aber auch durch das
Erfordernis eines echten Risikoeinbehalts (Risk Retention), mit der die Plattform entsprechend den CRR-Regelungen
an den Ausfallrisiken unmittelbar beteiligt wird. Sollten die Marketplace Lender
10.2016 diebank 27
bei Verbriefungstransaktionen gezwungen werden, selbst einen Risikoeinbehalt
von fünf Prozent der verbrieften Portfolien zurückzubehalten, so wird dies insbesondere die rein vermittlungsbasierten
Geschäftsmodelle empfindlich treffen
und ihr Wachstum signifikant abbremsen. Bislang erlaubten die Risk-Retention-Regeln noch eine gewisse Flexibilität,
durch die auch Drittparteien anstelle der
Marketplace Lender den Risikoeinbehalt
übernehmen könnten. Was aus Investorensicht eigentlich ausreichend erschien,
um einen Interessengleichlauf sicherzustellen, soll nach den im Rahmen der sogenannten STS-Verbriefungen vorgelegten Entwürfen bald nicht mehr zulässig
sein. Sofern diese Regelungen in Kraft
treten, müssten die Marketplace Lender
schrittweise mit anwachsendem Kreditportfolio ihre eigene Kapitalausstattung
erhöhen, um den geforderten Selbstbehalt finanzieren zu können.
Verbriefungsähnliche SPV-Lösungen
Der Refinanzierungsbedarf der Marketplace Lender und die interessanten Renditen, die sich für institutionelle Kapitalanleger mit diesen Portfolien bieten, führte zuletzt dazu, dass sich Investoren selbst
Anlagevehikel geschaffen haben, um in
Marketplace-Plattformen direkt oder indirekt anzulegen. Strukturieren lassen sich
diese Plattformen alternativ als verbriefungsähnliche SPV-Lösungen oder als
Fondsstrukturen. So können beispielsweise für Pensionskassen und Versorgungswerke maßgeschneiderte Anlageprodukte
angeboten werden, die diesen unter den
geltenden regulatorischen Anforderungen den richtigen Rendite-Risikomix bieten. Es ist damit zu rechnen, dass auch die
großen Marketplace Lender, die sehr bald
als Frequent Issuer am Verbriefungsmarkt etabliert sein werden (wie dies in
den USA bereits zu sehen ist), alternativ
ebenfalls Refinanzierungen über diese
Fondsstrukturen abrufen werden, um
sich damit alternative und günstige Finanzierungsquellen zu erschließen.
Fazit und Ausblick
Kreditinstitute insbesondere disruptiv
eingreifen wollen, und wir sehen immer
häufiger wechselseitige Abhängigkeiten
und Partnerschaften.
In Europa konnten sich MarketplaceLending-Plattformen insbesondere in
Großbritannien sehr schnell entwickeln,
die anderen europäischen Länder haben
inzwischen teilweise nachgezogen. Die
Auswirkungen des EU-Referendums in
Großbritannien und die Verunsicherung
durch jüngste Unregelmäßigkeiten bei einem US-Anbieter in diesem Marktsegment müssen allerdings noch abgewartet
werden. Nicht zuletzt deshalb werden Investoren die Sicherheitsvorzüge von
Structured-Finance-Transaktionen und
Verbriefungen für ihre Investitionsentscheidungen in dieser Assetklasse verlangen. Kreditinstitute werden hier als
Dienstleister, Investor und zum Teil Initiator eine wichtige Rolle spielen.
ó
Verbriefung und Structured Finance stellen für die noch junge Assetklasse FinTech und insbesondere Marketplace-Lending-Plattformen einen wesentlichen Finanzierungs-Baustein für das Wachstum
ihrer Geschäftsmodelle dar. Vorbei
scheint die Zeit zu sein, in der FinTechs
in die Geschäftsmodelle der etablierten
Autoren: Dr. Dietmar Helms, Rechtsanwalt
bei Hogan Lovells International LLP und
Michael F. Spitz, Direktor, Corporates & Markets
bei Commerzbank AG in Frankfurt am Main.
1
Finanzierungsformen für digitale Finanzunternehmen
Gründung (Seed)
Anlauf (Start-up)
Hohes Risiko
Wachstum (Growth)
Mittleres/Geringes Risiko
Bewiesenes Geschäftsmodell
Verkauf (Exit)
Etabliertes Unternehmen
Friends & Family
Venture-Capital-Investoren
Kapitalintensive Phase mit wenig
Finanzierungsangebot
Kapitalmarkt
Seed-Investoren
Structured Finance
(Bank)-Kredite
Lokale Inkubatoren
Verbriefung
Preis-/Fördergelder
Quelle: IE.F/Roland Berger: Deutschland digital – Sieben Schritte in die Zukunft (2016).
28 diebank 10.2016
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10.2016 diebank 29
Kreditvergabe jenseits
von Banken
MARKTENTWICKLUNG UND ANWENDUNGSFELDER Die anhaltende Niedrigzinsphase
und die zunehmende Regulierung von Banken bieten Chancen für alternative Kreditgeber. Im
Vereinigten Königreich ist die Kreditvergabe über Fonds oder andere Investmentvehikel seit
langem etabliert. In Deutschland dagegen haben es Kreditfonds aufgrund des Bankenprivilegs
und der mangelnden Vertrautheit der Investoren mit der Anlage in Private Debt nach wie vor
schwer. Dieser Beitrag liefert einen Überblick über die aktuelle Entwicklung. Nick Wittek
Keywords: Finanzierung, alternative Anlagen, Asset Sourcing
Im Leveraged-Finance-Bereich konnten
sich Kreditfonds seit 2014 einen Marktanteil von 25 Prozent erarbeiten. Auch im
Bereich Immobilien- und Infrastrukturfinanzierung beginnen sie, sich zu etablieren. Am 12. Mai 2015 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(BaFin) ihre Verwaltungspraxis geändert,
sodass nun bestimmten regulierten Fonds
in begrenztem Umfang die Kreditvergabe
erlaubt ist.1 Der Gesetzgeber hat dies im
Rahmen des OGAV V Umsetzungsgesetzes,2 das zum 18. März 2016 in Kraft getreten ist, in Gesetzesform gegossen. Zudem wurde die Anlageverordnung angepasst, mit dem Ziel, die Anlage in Kreditfonds zu ermöglichen. Gleichzeitig ist
zum 1. Januar 2016 Solvency II in Kraft
getreten, womit sich die Möglichkeit der
Anlage in neue Anlageklassen (einschließlich Kreditfonds) eröffnet. Es stellt
sich die Frage wie der Markt auf diese
Veränderungen bisher reagiert hat?
Die Treiber
Aufgrund des derzeit bestehenden Niedringzinsumfelds sind institutionelle Investoren, d. h. Versicherungen, Pensionskassen und Versorgungswerke, verstärkt
30 diebank 10.2016
unter Anlagedruck. Infolge der hohen
Nachfrage und der massiven Markteingriffe der Zentralbanken sind Renditen
für erstklassige Anleihen abgeschmolzen
und haben zu hoher Volatilität an den Aktienmärkten geführt. Die Korrelation dieser beiden Asset-Klassen ist gestiegen, sodass die Vorteile der Diversifikation
schwinden. Institutionelle Investoren suchen daher verstärkt nach alternativen
Anlagen, die eine möglichst geringe oder
sogar negative Korrelation aufweisen.
Gleichzeitig inzentiviert Solvency II langlaufende Anlageformen und privilegiert
Debt-Investments gegenüber Aktien.
Auf der Bankenseite führen geänderte
Eigenkapitalanforderungen und Liquiditätsvorschriften dazu, dass sich Banken
auf bonitätsstarke Unternehmen sowie
Senior-Finanzierungen konzentrieren.
Dies führt zu Finanzierungslücken für
kleine und bonitätsschwächere Unternehmen sowie im Bereich der Mezzanine Finanzierungen.
Die Bankenregulatorik favorisiert kurzfristige Finanzierungen; Banken ziehen
sich daher aus dem Bereich der langfristigen Finanzierungen, wie sie insbesondere im Immobilien- und im Infrastrukturbereich üblich sind, zurück. Darlehensnehmer sehen sich – zum Teil gezwungenermaßen, aber auch um den Fi-
nanzierungsmix zu stärken und bankenunabhängiger zu werden – vermehrt
nach alternativen Finanzierungsformen
um. Hinzu kommt im M&A-Bereich die
Konkurrenz von strategischen Investoren
um potenzielle Targets, sodass sich zahlreiche Private Equity Fonds ein zweites
Standbein im Bereich der Private-Debt-Investments aufgebaut haben.
Marktentwicklung
In die skizzierten Lücken stoßen institutionelle Investoren vor. Sie engagieren
sich zunehmend sowohl direkt als Darlehensgeber, entweder allein oder als Teil
des Darlehenskonsortiums, als auch indirekt über Fonds und andere Investmentvehikel. Die größeren Marktteilnehmer
treten häufiger direkt als Darlehensgeber
auf und entwickeln eigene Fondsplattformen für indirekte Private-Debt-Investitionen mit getrennten Fonds für Unternehmens-, Immobilien- und Infrastrukturfinanzierungen. Dies geht einher mit dem
Aufbau von internem Know-how und Spezialisten für die jeweiligen Asset-Klassen.
Andere Marktteilnehmer, insbesondere
mittlere und kleinere Pensionskassen
und Versicherungen, sind eher als Teil
des Finanzierungskonsortiums zu finden
oder schließen sich mit Banken zu Kooperationen zusammen. So können instituti-
onelle Investoren auf das bestehende
Know-how der Banken für bestimmte Asset-Klassen, z. B. im Infrastrukturbereich,
zugreifen und sich den Zugang zum Darlehensmarkt erschließen. Im aktuellen
Umfeld sind für alle Asset-Klassen interessante Finanzierungsobjekte rar und das
Asset Sourcing ein Thema, insbesondere
für neue Marktteilnehmer.
Die Banken profitieren von der Kooperation, weil sie größere Volumina finanzieren können. Kleinere und mittlere Versicherungen bedienen sich auch gern eines standardisierten Plattformanbieters,
der verschiedene Asset Manager anbinden kann. Durch die Auswahl der Asset
Manager können sie auf lokale Marktkenntnis und Finanzierungsstrukturen
zugreifen. Dies ermöglicht ein Investment
auch außerhalb Deutschlands.
Marktentwicklungen in einzelnen
Asset-Klassen
Im übrigen sind die Marktentwicklungen
je nach Asset-Klasse unterschiedlich: Bei
Immobilienfinanzierungen macht sich die
Kreditvergabe jenseits der Banken am
stärksten bemerkbar. Die Investoren versprechen sich attraktive Spreads und
schätzen die geringe Korrelation mit anderen Anlageklassen sowie die mit der stabilen Wertentwicklung über alle Marktzyklen einhergehende risikoreduzierende
Wirkung. Zudem bieten Immobilienfinanzierungen gegenüber dem Direkterwerb
zahlreiche Vorteile. Direktinvestitionen
binden erfahrungsgemäß überproportional
viele Ressourcen für Ankauf, Instandhaltung, Vermietung und Management vor
Ort. Im Gegensatz dazu verbindet die Immobilienfinanzierung die Immobilie als bekannte Anlageklasse mit den Vorteilen von
stabilen und planbaren Zahlungsströmen.
Im Bereich der Unternehmensfinanzierung, insbesondere im Leverage Buy Out,
hat sich Private Debt nachhaltig etabliert.
So haben Erstversicherer derzeit zusammen rund 10 Mrd. € an Unternehmen verliehen. Ausweislich des Mid-Cap-Moni-
tors des Finanzierungsberaters Altium
haben die Kreditfonds ihre starke Marktstellung mit 25 Prozent Marktanteil in
Deutschland konsolidiert. Mit innovativen
Angeboten, die anscheinend den Nerv vieler PE-Häuser treffen, haben sie bei Darlehensnehmern Boden gut gemacht. Sie
dominieren vor allem bei Unitranche-Finanzierungen, bei der Senior und Mezzanine Debt in einer einzigen Darlehenstranche kombiniert angeboten werden.
Darlehensnehmer nutzen die Vorteile der
Kreditfonds. Die Dokumentation ist
schlanker, die Gesprächspartner sind flexibler und die Verhandlungen mit einem
Verhandlungspartner statt mit einem ganzen Konsortium schneller.
Konkurrenzfähigkeit deutscher Fonds
nach Änderung des KAGB?
Kreditfonds haben ihren Sitz regelmäßig
im Ausland. Die Mehrzahl der Asset Manager hat ihren Sitz im Vereinigten Königreich, wo Kreditfonds schon seit längerem
im Markt etabliert sind. Sie nutzen in der
Regel englische, irische oder Luxemburger
Fonds. Die deutsche Fondstruktur ist ihnen weniger vertraut. Hinzu kommen regulatorische Hürden in Deutschland, insbesondere die Erlaubnispflicht für die Kreditvergabe, aber auch die formalen Kriterien der Anlageverordnung und die bisherige Auslegung durch die BaFin, wonach
Anlagen in Kreditfonds nur zulässig waren, wenn diese nicht mehr als 30 Prozent
in unverbriefte Darlehen investierten.
Kreditvergabe durch geschlossene
Spezial-AIF erlaubt
Nach Anpassung des KAGB durch das
OGAV V Umsetzungsgesetz ist es nunmehr auch – aber auch nur – geschlossenen inländischen Spezial-AIF erlaubt,
Gelddarlehen zu gewähren. Dies jedoch
nur, wenn
1. der Darlehensnehmer kein Verbraucher ist,
2. eine Risikostreuung bzw. Darlehensnehmerkonzentration von maximal
20 Prozent des eingebrachten und
noch nicht eingeforderten zugesagten
Kapital pro Darlehensnehmer eingehalten wird und
3. der Fonds ein Leverage von maximal
30 Prozent hat. Offenen Spezialfonds
ist die Kreditgewährung nicht erlaubt.
Da eine AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft nach dem KAGB über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen muss, folgt daraus nach Ansicht der
BaFin, dass bei der Kreditvergabe die für
Banken im Rundschreiben 10/2012 (BA)
– Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) – festgelegten Vorgaben für das Kreditgeschäft zu beachten
sind. Dazu zählen z. B. die Anforderungen
an die Prozesse im Kreditgeschäft, Regelungen zur Kreditgewährung, Kreditweiterbearbeitung, Kreditbearbeitungskontrolle, Intensivbetreuung, Behandlung von
Problemkrediten, Risikovorsorge und Erstellung von Risikoberichten. Die MaRisk
befindet sich derzeit in Überarbeitung,
und es bleibt zu hoffen, dass auch die Vorgaben für Kreditfonds, die schließlich keine Bank sind, angepasst werden. Auf europäischer Ebene hat die ESMA Mitte April der Kommission die Entwicklung entsprechender Standards empfohlen3, und
es wäre zur Schaffung eines Level Playing
Fields sinnvoll, wenn die deutschen Anforderungen der MaRisk mit den europäischen Vorgaben harmonisiert werden.
Prolongation und Restrukturierung
von Darlehen
Der Gesetzgeber hat zudem klargestellt,
dass die Prolongation und Restrukturierung eines Darlehens, was je nach Sachverhalt ebenfalls erlaubnispflichtig sein
kann, nicht die Erlaubnispflicht auslöst.
Dies ist vor allem für offene Spezial-AIF
und offene Spezial-AIF mit festen Anlagebedingungen relevant, die nach dem
KAGB in unverbriefte Darlehensforderungen investieren dürfen. Denn der Erwerb
von bereits ausgereichten Darlehensforderungen war und ist nicht erlaubnis10.2016 diebank 31
pflichtig und daher auch für solche AIFs
zulässig. Allerdings war stets die Frage,
wie mit Prolongationen und Restrukturierungen umzugehen war. Für diese Fälle
ist diese Klarstellung eine lang erwartete
Erleichterung in der Praxis. Da die MaRisk nur für darlehensgewährende AIF
gelten, liegt es nahe, dass sie nicht für
Kreditfonds gelten, die ausgereichte Darlehen erwerben. Eine Klarstellung diesbezüglich wäre wünschenswert.
Ob diese Änderungen des KAGB zukünftig dazu führen werden, dass Kreditfonds auch in Deutschland ansässig sein
werden, bleibt, insbesondere vor dem
Hintergrund der Anwendung der MaRisk
auf darlehensgewährende Kreditfonds,
abzuwarten.
Erleichterungen für europäische
Kreditfonds
Vor diesem Hintergrund kommt einer weiteren Änderung durch das OGAV V Umsetzungsgesetz möglicherweise Bedeutung
zu. Es wurden zwei Ausnahmen im KWG
ergänzt. Danach gelten EU-Verwaltungsgesellschaften bzw. EU-Investmentvermögen, sofern sie als Bankgeschäfte nur die
kollektive Vermögensverwaltung, gegebenenfalls einschließlich der Gewährung
von Gelddarlehen betreiben, nicht als Kreditinstitut. Damit können EU-AIF-Verwaltungsgesellschaften und EU-Investmentvermögen im Rahmen der kollektiven Vermögensverwaltung grenzüberschreitend
erlaubnisfrei im Inland Gelddarlehen gewähren. Eine Einschränkung auf bestimmte Formen von AIFs (offen oder geschlossen) ist dem Wortlaut der Ausnahme nicht zu entnehmen. Da diese weder
als Kreditinstitut gelten noch dem Wortlaut nach in den Anwendungsbereich der
KAGB-Vorschriften über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation fallen, wären
die Vorschriften der MaRisk auch nicht
anwendbar. Vor diesem Hintergrund ist
die Schaffung eines Level Playing Fields
zwischen deutschen und europäischen
Kreditfonds sicherlich fraglich.
32 diebank 10.2016
Stellung von Kreditfonds mit Sitz im
Drittland
Die vorstehende Privilegierung gilt regelmäßig nicht für AIFs mit Sitz in einem
Drittland. Eine ausländische AIF-Verwaltungsgesellschaft kann sich nur dann auf
die Ausnahme berufen, wenn der betreffende AIF nach dem KAGB aufgrund einer
Vertriebsanzeige an Privatanleger vertrieben werden darf und es sich nicht um einen Vertrieb an professionelle Anleger
handelt. Ausweislich der Gesetzesbegründung dient diese Einschränkung unter anderem dem Schutz der inländischen Kreditnehmer, da bei ausländischen AIF-Verwaltungsgesellschaften nicht immer von
einer vergleichbaren Aufsicht ausgegangen werden kann.
Gerade diese ist aber – anders als bei
professionellen Anlegern – Voraussetzung für einen Vertrieb an Privatanleger.
Es stellt sich die Frage, ob diese Einschränkung sachgerecht ist. Der Schutz
der Anleger ist im Rahmen des Vertriebs
an professionelle Anleger ausreichend gewährleistet. Der Schutz der Kreditnehmer
wäre sachgerechter über eine Einschränkung der Darlehensvergabe an professionelle Darlehensnehmer zu erreichen.
Diese Einschränkung der Ausnahme ist
umso relevanter, wenn das Vereinigte Königreich nach dem Brexit gegebenenfalls
den Status eines Drittlands erhalten würde. Die dort ansässigen Kreditfonds würden dann nicht länger privilegiert und bedürften – anders als EU-Investmentvermögen – für eine Kreditvergabe in Deutschland der Erlaubnis nach dem KWG.
Anlageverordnung
Eine weitere Hürde für die Kreditvergabe
in Deutschland jenseits von Banken stellt
die Anlageverordnung dar. Diese galt bis
zur Einführung von Solvency II für die Kapitalanlagen aller Versicherungsunternehmen, Pensions- und Sterbekassen. Sie ließ
die Investition in Kreditfonds nur sehr eingeschränkt zu. Die Anlageverordnung war
zuletzt im März 2015 an das KAGB ange-
passt worden. Mit der Einführung von Solvency II müssen Unternehmen, die unter
das Versicherungsaufsichtsrecht fallen,
ihre Kapitalanlagen nach dem Grundsatz
der unternehmerischen Vorsicht anlegen,
für den zahlreiche qualitative Vorgaben
bestehen. Hierzu müssen diese Unternehmen einen internen Anlagekatalog erstellen, der die Anlageverordnung ersetzt.
Unter Solvency II ist die Anlage in Kreditfonds grundsätzlich möglich. Für Beteiligungen an Fonds gilt grundsätzlich ein
Look-Through-Ansatz. Die Durchschau
auf die zugrunde liegenden Vermögenswerte ermöglicht vor allem bei Immobilien- und Infrastrukturdarlehen, aber auch
bei Unternehmensdarlehen die Verwendung der für die zugrunde liegenden Vermögenswerte geltenden Stressfaktoren,
die bisweilen deutlich niedriger sein können als die andernfalls für Fondsbeteiligungen anfallenden 39 Prozent für Typ1-Aktien (EWR bzw. OECD notiert) bzw.
49 Prozent für sonstige, d. h. Typ-2-Aktien. Allerdings ist zu vermuten, dass viele
Unternehmen zunächst als internen Anlagekatalog die Anlageverordnung weiter
verwenden werden, sodass die bestehenden Beschränkungen fortbestehen.
Für alle anderen Unternehmen, d. h.
Pensionskassen, Sterbekassen und kleinere Versicherungsunternehmen, aber
auch für landesrechtlich regulierte Versorgungswerke und Zusatzversorgungskassen, gilt weiterhin die Anlageverordnung, die in nur leicht modifizierter Form
am 19. April 2016 in Kraft getreten ist.
Mit der Änderung der Anlageverordnung vom März 2015 sollte ausweislich
der Gesetzesbegründung auch die Anlage
in Kreditfonds nach KAGB oder in von
AIFMD-Managern verwalteten Kreditfonds eröffnet werden, die zu 100 Prozent
in unverbriefte Darlehensforderungen investieren. Unter der bis März 2015 geltenden Anlageverordnung war aufgrund des
Auslegungsschreibens der BaFin eine Anlage nur in Kreditfonds möglich, die bis zu
maximal 30 Prozent in unverbriefte Dar-
lehen investierten. Auch wenn das Rundschreiben formal noch nicht aufgehoben
wurde, lässt die Gesetzesbegründung der
Anlageverordnung darauf schließen, dass
Kreditfonds, die zu 100 Prozent in Darlehen investieren, unter der aktuellen Anlageverordnung zulässig sind. Das Auslegungsschreiben der BaFin zur neuen Anlageverordnung befindet sich ebenfalls in
Überarbeitung, und eine Klärung diesbezüglich wäre wünschenswert.
Fazit
Private Debt ist für institutionelle Investoren aufgrund der regulatorischen Vorgaben und des Niedrigzinsumfelds, aber
auch aufgrund des Risikoprofils und der
fehlenden Korrelation zu bestehenden
Anlagen ein attraktive Anlageklasse. Der
Trend, dass sich große Versicherer und
Pensionskassen als direkte Kreditgeber
positionieren, sowohl im Bereich der gewerblichen Immobilienfinanzierung als
auch bei Infrastrukturprojekten, hält an.
Daneben haben sich Kreditfonds als alternative Darlehensgeber jedenfalls im Leverage-Buyout-Bereich etabliert. Bei Immobilien- und Infrastrukturfinanzierungen
nimmt ihre Bedeutung zu.
Schwierig bleibt das Asset Sourcing für
alle Beteiligten. Ob die Erleichterungen
für deutsche geschlossene Spezial-AIF,
denen nunmehr eine Kreditvergabe unter
bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist,
den deutschen Kreditfonds konkurrenzfähig macht, bleibt abzuwarten. Die
gleichzeitige Privilegierung für europäische Kreditfonds wird den deutschen
Fonds vermutlich den Rang ablaufen. Klärungsbedarf besteht vor allem im Bereich
der fortgeltenden Anlageverordnung und
beim Umfang der Geltung der MaRisk für
kreditvergebende Fonds. Sehr zu begrüßen ist die Klarstellung, dass die Prolongation und Restrukturierung von bereits
ausgereichten Darlehen durch AIF, die in
Darlehen investieren dürfen, nicht als erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft einzustufen ist.
ó
Autor: Dr. Nick Wittek ist Partner im Bereich
Banking & Finance bei der internationalen
Anwaltskanzlei Jones Day in Frankfurt am Main.
1 BaFin - Änderung der Verwaltungspraxis zur Vergabe
von Darlehen sowie zur sog. „Restrukturierung“ und Prolongation von Darlehen für Rechnung des Investmentvermögens vom 12. Mai 2016.
2 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli
2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die
Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und
Sanktionen.
3 European Securities and Markets Authority (ESMA), Key
principles for a European framework on loan origination
by funds, 11 April 2016.
Intensivseminar am 3. November 2016 in Köln
Die neue Institutsvergütungsverordnung der BaFin
Umsetzung und arbeitsrechtliche Einordnung
Referenten: Dr. Matthias Merkelbach | Christian Schmitz | Dr. Jens T. Thau
Weitere Informationen und Anmeldung:
Stefan Lödorf: 0221/5490-133 |
[email protected] | www.die-bank-trainings.de
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10.2016 diebank 33
Bank-Verlag GmbH | Wendelinstraße 1 | 50933 Köln | www.die-bank.de