G 8790 einlagensicherung Zwischen Risiko und Haftung nr.10 fl www.die-bank.de ó oktober 2016 die bank ZEITSCHRIFT FÜR BANKPOLITIK UND PRAXIS geschäftsmodelle Hanseatic Bank personal Änderung der Institutsvergütungsverordnung Euro 11,00 digitalisierung Kundenhürden beim Onboarding Inhalt 10.2016 fi 06 Interview: Der Finanzmarkt der Zukunft 09 Regulierung: Kapitalmarktunion auf der Kippe Dennis Heuer 14 22 Finanzmarktintegration: Regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen 34 Finanzmarkt Trends 36 Einlagensicherung: Im Spannungsfeld von Risiko und Haftung Markus Demary 26 Verbriefungsindustrie: Vorhang auf – das Drama um den Brexit Peter Scherer 18 FINANZMARKT SONDERTEIL ZUM TSI CONGRESS Verbriefung: Refinanzierung von FinTechs Dietmar Helms | Michael F. Spitz 30 Finanzierungsstrukturen: Vielfältige Geschäftsmöglichkeiten für Banken Arne Klüwer GESCHÄFTSMODELLE Islamic Banking In Deutschland beschränkte sich der Markt für islamkonforme Finanzprodukte bislang auf eine absolute Minderheit. Zumeist entwickelte sich die Branche an den Bedürfnissen der breiten Mehrheit der muslimischen Bevölkerung vorbei, zumal es hierzulande an den Voraussetzungen für ein wettbewerbsfähiges Islamic Banking noch fehlt. Auch die auf Muslime zugeschnittenen Filial- und Vertriebskonzepte einiger konventioneller Institute konnten nicht über den Mangel an für Retail-Kunden geeigneten Produkten hinwegtäuschen. Anbieter aus muslimisch geprägten Staaten traten nur in Form von Repräsentanzen oder Niederlassungen auf, mittels derer sie zumindest die Drittstaateneinlagenvermittlung betreiben konnten. Mit der ersten islamkonformen Vollbank in Deutschland kommt nun erstmals Bewegung in eine Marktnische. Y S. 53 Marktentwicklung: Kreditvergabe jenseits von Banken Nick Wittek Bernd Bretschneider | Christina Weymann 42 Ultraexpansive Geldpolitik: Der umstrittene Kurs der europäischen Zentralbank Markus Gerhard BANKING BETRIEBSWIRTSCHAFT IT & KOMMUNIKATION 46 Banking News 58 Betriebswirtschaft kompakt 72 IT & Kommunikation Trends 48 Top-Banken Global: Gewinne in Europa legen gegen den Trend zu 60 Geschäftsmodelle: Spezialist für Konsumentenkredite 74 Onboarding: Bankkunde werden: Hürden in digitalen Zeiten Birga Teske 53 Eli Hamacher Geschäftsmodellanalyse: Islamic Banking für den deutschen Markt? 66 Oliver Kruse | Jonas Wischermann Reform der Insolvenzanfechtung: Bankgeschäfte sind künftig schwerer anfechtbar Matthias Bitzer 78 Karsten Kiesel 56 Anweisungswesen: Jede zweite Bank riskiert Revisionsmoniten 70 Andreas Richter | Ralf Heydebreck Sparer trotzen Zinstief: Geldvermögen der Deutschen übersteigt 5,3 Bio. € Künstliche Intelligenz: Kognitive Kollegen gestalten die Bank von morgen Olav Strand 80 CRM in Banken: Aus Kundensicht fehlt noch die Modernität Heike Jochims | Marc Jochims Bernd Sprenger RUBRIKEN & SERVICE Editorial 03 Personalien 94 Bücher 95 Impressum 97 BERUF & KARRIERE AUS DER BANKENAUFSICHT www.eba.europa.eu Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) konsultiert noch bis zum 26. Oktober 2016 einen Entwurf für neue Leitlinien zur Kreditrisikomanagement-Praxis und die Bilanzierung von erwarteten Verlusten (Expected Credit Losses). Die geplante EBA-Regularie basiert auf den vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) im Dezember 2015 publizierten Prinzipien für das Kreditrisikomanagement (BCBS 350). Die Leitlinien sollen grundsätzlich von allen Banken beachtet werden, die ein Expected-Loss-Modell anwenden. Für diejenigen Institute, die kein Expected-Loss-Modell zum Einsatz bringen, soll die zuständige Aufsichtsbehörde prüfen, ob diese die EBA-Leitlinien hinsichtlich der KreditrisikomangementPraxis zu beachten haben. Dadurch könnten zumindest Teile der neuen Kreditrisiko-Prinzipien auch für HGB-Institute gelten, sofern die nationale Bankenaufsicht dies als erforderlich ansieht. Grundsätzlich soll BCBS 350 allerdings in Abhängigkeit der Größe, internen Struktur und Komplexität der Geschäfte eines Instituts angewandt werden. Eine Defintion der EBA, ab wann eine Bank groß oder komplex ist, steht jedoch noch aus. Die geplante EBA-Regularie enthält u. a. acht Prinzipien zur Risikomanagement-Praxis und der Bilanzierung erwarteter Verluste. Die Prinzipien sollen auch im Rahmen des SREP-Prozesses Berücksichtigung finden, d. h. etwaige Defizite im Risikomanagement werden mit Kapitalzuschlägen sanktioniert. 84 Beruf & Karriere aktuell 86 Regulierung: Vergütungsregulierung im ungebrochenen Fokus Matthias Merkelbach | Martin von Hören 90 Management: Ein leistungsstabilisierender Faktor Hartmut Volk 92 At the top ” Klaus Vehns: Der Tech-Banker Jonas Dowen Der Finanzmarkt der Zukunft INTERVIEW mit Dr. Hartmut Bechtold, Chef der True Sale International GmbH, über die Entwicklung des Verbriefungsmarkts, die Folgen des Brexit und die regulatorischen Änderungen durch die Kapitalmarktunion. diebank: Herr Dr. Bechtold, wie bewerten Sie die Entwicklung des Verbriefungsmarkts in den vergangenen Jahren? Und welches Potenzial sehen Sie für Verbriefungstransaktionen in Deutschland? Bechtold: Der deutsche Verbriefungsmarkt hat in den vergangenen Jahren vor allem bei der Verbriefung von Autofinanzierungen sowie in der Working-Capital-Finanzierung der deutschen Wirtschaft, der Verbriefung von Handels- und Leasingfinanzierung, sein Potenzial unter Beweis gestellt. Zählt man beides zusammen, so kommt man für 2015 auf etwa 30 Mrd. € Finanzierungsbeitrag. Hinzu kommen noch etwa 30 Mrd. € an einbehaltenen Verbriefungstransaktionen, die für reine EZB-Refinanzierungszwecke getätigt wurden, sodass sich insgesamt der deutsche Verbriefungsmarkt bei den Neuemissionen deutlich vor den Pfandbrief geschoben haben dürfte, zumal dieser 2015 überwiegend in dem Ankaufprogramm der EZB landete. Was das Potenzial angeht, so ist bei den Auto-ABS sicher mehr als das doppelte Volumen von 2015 möglich – was etwa 30 bis 40 Mrd. € wären. Und auch bei den Handels- und Leasingforderungen dürfte mittelfristig eine Verdreifachung der jetzigen Zahlen zu erreichen sein. Aber es kommt auf die entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen für Originatoren und Investoren an. Hier gibt es noch viel zu tun. diebank: Mit Asset Based Finance und angrenzenden Assetklassen eröffnet sich für das klassische Verbriefungssegment eine ganz neue Dimension. Handelt es sich dabei nur um eine Randerscheinung oder um den Finanzierungsmarkt der Zukunft? 6 diebank 10.2016 Bechtold: Es ist der Finanzmarkt der Zukunft. Investoren suchen sichere Anlagen. Bislang läuft der Großteil der Ersparnisse der privaten Haushalte in Europa in die Staatsanleihen, was aber nicht primär auf deren vermeintlicher Sicherheit beruht, sondern wesentlich regulatorisch getrieben ist, d. h. auf die Nullanrechnung bei der Eigenkapitalunterlegung von Banken und Versicherungen sowie auf die weiteren regulatorischen Ausnahmetatbestände in der Liquidity Coverage Ratio, der Großkreditbehandlung usw. zurückzuführen ist. Alle Formen von Asset-Based-Finance-Finanzierungen, wozu auch die Verbriefungen gehören, bieten aber eine Sicherheit, die über die Einzelbonität eines Schuldners hinausgeht. Natürlich gilt es dabei auch, sich den Forderungspool und die Transaktionsstruktur immer genau anzuschauen. diebank: In diesem Jahr wurde erstmals in Europa eine sogenannte „Peer-to-Peer“Verbriefung (P2P) des britischen Kreditplattformbetreibers Funding Circle am ABS-Primärmarkt emittiert. Die Kreditvermittlungsplattformen sind ein relativ neues Phänomen, aber zumindest zahlenmäßig in der EU mit über 500 Anbietern schon etabliert. Die langfristige Feuertaufe dieses Geschäftsmodells steht allerdings noch aus. Sind P2P-Verbriefungen mehr Chance oder mehr Risiko? Bechtold: Wohl beides. Während die Verbriefungen von europäischen Banken und Leasinggesellschaften in den letzten fünfzehn Jahren über die Subprime- und Eurokrise hinweg ihre Qualität unter Beweis stellen konnten, fehlen entsprechende Erfahrungen für den jungen Markt der P2P-Verbriefungen noch. Umso aufmerksamer sollten sich alle Beteiligten diesem Markt nähern, um sein großes Potenzial nicht zu verspielen. diebank: Das Projekt einer europäischen Kapitalmarktunion hat bislang noch keine vorzeigbaren Ergebnisse gebracht, obwohl die Fundamente schon 2019 stehen sollen. Das negative Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens (Brexit) hat das Vorhaben nun zusätzlich verkompliziert. Ungelöst ist bislang auch die Harmonisierung des Insolvenzrechts und Fragen der Bilanzierung mittelgroßer und kleiner Unternehmen. Wo soll angesichts der Vielzahl von Problemen zuerst angesetzt werden? Bechtold: Kontinentaleuropa hängt in der Wirtschaftsfinanzierung wesentlich am Bankkredit. Dies hat viele Ursachen: Keine großen Pensionsfonds, Risikoaversion der Privathaushalte, regulatorische Einschränkungen für Versicherungsanlagen, aber auch eine hohe Dominanz von Unternehmen, die für den Kapitalmarkt entweder zu klein sind oder von ihrer internen Governance als Familienunternehmen nicht kompatibel sind. Es wird Generationen brauchen, um dies zu ändern. Von daher kann man die EU-Überlegungen nur begrüßen, den Bankkredit enger mit dem Kapitalmarkt zu vernetzen. Und ein sehr geeigne- tes Instrument dafür ist die Verbriefung. Ebenso hilft dabei das Instrument der Verbriefung von Handels- und Leasingforderungen. Und es macht auch Sinn, das Vertrauen in das Instrument der Verbriefung bei allen Beteiligten weiter zu stärken, durch eine Regulierung, die zu einer gewissen Standardisierung, Transparenz und einem Level Playing Field mit anderen Anlageformen beiträgt. Von daher ist das Ansinnen der Kommission nur zu begrüßen, bei ihrem Kapitalmarktprojekt mit einer verbesserten Verbriefungsregulierung einzusteigen. Jedoch klaffen Ziel und Umsetzung himmelweit auseinander. Mit ihren aktuellen Regulierungsvorschlägen würden EUKommission und EU-Parlament – sollten sie denn so kommen – dem Markt völlig den Garaus machen. Man kann über die Qualität derartiger Entwürfe nur den Kopf schütteln. Es reicht nicht, Visionen zu formulieren, man muss auch machbare und klare Umsetzungspläne haben. Und man fragt sich natürlich auch, wie denn die EU die wesentlich komplizierteren Rechtsfragen des Zivil- und Insolvenzrechts mittelfristig anpacken will, wenn man sich schon bei dem überschaubaren und einfach zu regelnden Bereich einer Verbriefungsregulierung bislang so schwer tut. diebank: Ziel der Kapitalmarktunion ist es, die Unternehmen unabhängiger von Bankkrediten zu machen, das Finanzsystem stabiler zu gestalten und grenzüberschreitende Investitionen zu erleichtern. Der Markt für Verbriefungen, die ein wichtiges Kapitalmarktinstrument sind, könnte hier eine zentrale Funktion übernehmen. Doch die Europäer trauen diesem Instrument nicht, Vorurteile sind weit verbreitet. In den USA dagegen brummt dieser Markt schon wieder, obwohl dort die Ursprünge des Misstrauens gegenüber Verbriefungen zu finden sind. Was ist das eigentliche Problem? Bechtold: Das tiefere Problem in Europa scheint mir zu sein, dass die Ursachen der Finanzkrise von Politik und politischer Öffentlichkeit nie richtig aufgearbeitet wur- Lenker und Ideengeber Dr. Hartmut Bechtold ist seit ihrer Gründung Anfang 2004 Geschäftsführer der True Sale International GmbH, eine von deutschen Banken gegründete Finanzorganisation zur Förderung des deutschen Verbriefungsmarktes. Zuvor war Bechtold mehrere Jahre lang Zentralbereichsleiter Privat- und Geschäftskunden sowie Vertriebsleiter bei der SEB AG. Neben seiner Banklaufbahn war er in der Wirtschaftsberatung, Wissenschaft und Industrie tätig. Bechtold studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und promovierte mit einer von der Universität und DIHK Frankfurt ausgezeichneten, volkswirtschaftlichen Arbeit zur Wirtschaftsgeschichte. Der passionierte Fahrradfahrer hält auch bei der TSI den Lenker fest in der Hand und wirkt als Ideengeber, Interessenvertreter und Fachexperte. fi INTERVIEW den. Man hat stattdessen einfache, wohlfeile Erklärungen herangezogen und nach mehr Regulierung gerufen, ohne überhaupt eine klare Analyse der Malaise voranzustellen. So kommt es, dass wir Jahre danach viele neue Regulierungsinstitutionen geschaffen, zehntausende von Seiten neuer Regulierungstexte verabschiedet haben, aber immer noch über Kernthemen wie Unterkapitalisierung von Banken reden. An keinem Thema kann man das Problem so gut aufzeigen wie an der Verbriefung. Obgleich europäische Verbriefungen sich über zwei Finanzkrisen hinweg bewährten und man auf diesen Erfahrungen in einer Regulierung hätte aufbauen können, führen wir heute noch Diskussionen, die in vielen Punkten eher an Kafka als an eine rationale Politik der dringend notwendigen Kapitalmarktintegration erinnern. diebank: Die EU-Kommission will die Verbriefungsmärkte durch gemeinsame Standards wiederbeleben. Die geplanten Verbriefungsvorschriften könnten helfen, dem Stigma entgegenzuwirken und das Vertrauen in die Verbriefungsmärkte wieder zu stärken. Ein Teil der Initiative besteht darin, Regeln für einfache, transparente und standardisierte Verbriefungen (simple, transparent and standardised securitisa- tions; STS) zu definieren, die nach 2017 überall in Europa emittiert und gehandelt werden können. Es wird das Label „einfache Verbriefung“ geschaffen. Der Originator, der Sponsor und die Zweckgesellschaft dürfen das Label nutzen, wenn die Verbriefung eine Reihe von Anforderungen erfüllt und sie der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) gemeldet wurde. Wo ist der Programmierfehler? Bechtold: Europa hat 28 Länder mit 28 unterschiedlichen Rechtssystemen und kreditpolitischen Gepflogenheiten. Und es gibt für institutionelle Investoren Banken und Leasinggesellschaften sicherlich über 60 nationale und zudem noch einige europäische Regulierungsbehörden. Vor diesem Hintergrund bleiben die STS-Kriterien in den vorliegenden Entwürfen notwendigerweise sehr allgemein. Zudem widersprechen manche noch trotz ihrer Unbestimmtheit dem Machbaren. Die vorliegenden STS-Verordnungen sehen vor, dass der Originator einer Verbriefungstransaktion ohne jede Möglichkeit der Abstimmung seiner Interpretation mit einer verantwortlichen Aufsichtsbehörde oder der Möglichkeit einer rechtlich bindenden Überprüfung durch eine anerkannte Zertifizierungsstelle verbindlich gegenüber der ESMA erklären muss, dass er alle Kriterien einhält. Umgekehrt sehen die Verordnungsentwürfe 10.2016 diebank 7 aber vor, dass jede der über sechzig europäischen Aufsichtsbehörden im Nachhinein anzweifeln kann, ob alle Kriterien eingehalten wurden, was einen schwierigen Vermittlungsprozess zwischen allen europäischen Aufsichtsbehörden in Gang setzen würde, an dessen Ende eine Geldbuße von bis zu zehn Prozent des Umsatzes der betreffenden Bank sowie strafrechtliche Konsequenzen für deren Vorstände stehen könnten. Dieser Prozess kann nicht funktionieren. diebank: Das EU-Label leidet an unspezifischen Kriterien, sodass Finanzakteure auf das Label „STS-Verbriefung“ lieber ganz verzichten dürften. Könnte nicht besser die Qualitätsmarke „Deutscher Verbriefungsstandard“ als Gütesiegel fungieren? Bechtold: Der „Deutsche Verbriefungsstandard“, der im Rahmen der TSI erarbeitet wurde und seit 2004 vergeben wird, hat frühzeitig den Weg gezeigt für einen europäischen Qualitätsstandard. Die dahinterliegende Idee war sicherlich auch wegweisend für den Gedanken einer STS-Regulierung. Der Markt kann ohne eine STS-Regulierung leben, obgleich ich mir sicherlich einen praktikablen europäischen Regulierungsrahmen wünschen würde, der Sicherheit und Vertrauen weiter stärkt. Unsere Marke jedoch wird so oder so ihre Bedeutung behalten, da sie wesentlich spezifischer auf deutsche Gegebenheiten eingehen kann als ein europäischer Standard. 8 diebank 10.2016 diebank: Warum will die Kommission wichtige Teile aus dem ABS-Universum, wie z. B. synthetische Verbriefungen, nicht in die geplante STS-Kategorie aufnehmen? Bechtold: Kommission und Parlament haben große Vorbehalte gegen synthetische Verbriefungen. Das Instrument ist in der Finanzkrise in Verruf geraten, da es zu rein spekulativen Zwecken ohne irgendwelchen realwirtschaftlichen Nutzen missbraucht wurde. Solcher Missbrauch ließe sich aber relativ einfach ausschließen. Und da gerade Kredite an Mittelständler und Unternehmen sich aufgrund der Produktausgestaltungen sowie Vorbehalten der Kreditnehmer gegen einen True Sale weniger gut in eine TrueSale-Verbriefung einbringen lassen, wäre hier die synthetische Verbriefung das geeignete Instrument, sofern man den Kapitalmarkt nutzen will, um die Unternehmensfinanzierung in Europa zu verbessern. Es muss in der STS-Regulierung lediglich sichergestellt werden, dass nur wirkliche Absicherungsgeschäfte von einer STS-Aufnahme synthetischer Verbriefungen erfasst würden. Dafür gibt es aber hinreichend gute Vorschläge und Beispiele, so etwa die Promise/Provide-Transaktionen der KfW. diebank: An Marktakteuren mangelt es nicht, die hinsichtlich des Kommissionsvorschlags Verbesserungspotenziale aufgezeigt haben und die – zumindest teilweise – auch Anklang fanden. Vor allem im EU-Parlament bestehen jedoch kontroverse Positionen, die eine Klärung der regulatorischen Anforderungen an Verbriefungen entgegenstehen. Für viele Marktakteure bedeutet dies eine permanente Unsicherheit. Kapitalmärkte hassen Unsicherheit. Wird die Regulierung zum unkalkulierbaren Risiko? Bechtold: Ja, ich glaube dieses Stadium ist längst erreicht. Teile der Regulierung gefährden eher die Finanzmarktstabilität als sie zu fördern. Investoren entscheiden nicht mehr aufgrund von Risikoerwägungen oder Portfoliogesichtspunkten, sondern schauen auf die Regulierung. Indem die Regulierung aber das Level Playing Field zwischen verschiedenen Finanzmarktinstrumenten und Anlageformen vernachlässigt und über vielfältige Stellschrauben wie z. B. Eigenkapitalunterlegung, Anrechnung auf Liquiditätsratios usw. Emittenten und Investoren in bestimmte Anlageformen drängt, begünstigt sie Herdenverhalten, wirkt der Diversifikation entgegen und schafft Risikokonzentrationen. Man schaue nur auf die Märkte von Staatsanleihen und Covered Bonds. Es ist dringend geboten, im Interesse der Finanzmarktstabilität ein Level Playing Field wieder herzustellen. Und der richtige Ansatz dafür wäre eine STS-Verbriefungsregulierung, die Verbriefungen auch bei den Eigenkapitalunterlegungen sowie LCR-Anforderungen den anderen Verbriefungen mit vergleichbaren Investments gleichstellt. diebank: Herr Dr. Bechtold, haben Sie vielen Dank für dieses Interview. Dr. Hartmut Bechtold und Monika Beye von der TSI im Gespräch mit Stefan Hirschmann (v. r. n. l.). Fotos: Bernd Schaller. Kapitalmarktunion auf der Kippe? REGULIERUNG Während der Schwerpunkt der europäischen Finanzmarktregulierung in den letzten Jahren auf dem Bankensektor lag, wendete sich die EU-Kommission nun auch dem Kapitalmarkt zu. Durch eine stärkere Integration der europäischen Kapitalmärkte will sie die Finanzierungsbedingungen im Binnenmarkt verbessern, um Wachstum und Beschäftigung in Europa zu fördern. Aber könnte die Kapitalmarktunion letztlich doch am Brexit und dem Abtritt des renommierten britischen Finanzmarktkommissars Jonathan Hill scheitern? Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den bisherigen Stand zur Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion und einen Ausblick auf die möglichen Auswirkungen des Brexit auf das europäische Großprojekt. Dennis Heuer Keywords: Europa, Verbriefung, Kapitalmarkt Die Kapitalmarktunion (Capital Markets Union – CMU) ist eine Initiative der EUKommission zur Schaffung eines echten Kapitalbinnenmarkts für alle 28 EU-Mitgliedstaaten. Das Ziel, eine europäische Kapitalmarktunion zu schaffen, wurde am 16. Juli 2014 von Jean-Claude Juncker in seinen politischen Leitlinien ausgegeben. Mit der Umsetzung wurde der Kommissar Jonathan Hill betraut. Dieser war zuvor nicht im Bereich Finanzaufsicht, sondern als Unternehmer und Lobbyist für den Bankensektor tätig. Zudem war er Berater von Sir John Major in dessen Zeit als Prime Minister. Vor seiner Ernennung zum EU-Kommissar galt er als EUund Regulierungskritiker sowie als einflussreicher Akteur in der Conservative Party. Unter Hills Federführung hat die Kommission am 28. Februar 2015 ein Grünbuch vorgelegt, das von gesonderten Konsultationen zu hochwertigen Verbriefungen und zur Überarbeitung der Prospekt-Richtlinie begleitet wurde. Die anschließende Konsultationsphase wurde am 13. Mai 2015 abgeschlossen. Seitdem hat die Kommission über 700 Stellungnahmen ausgewertet und bei der Ausarbeitung eines Aktionsplans berücksichtigt. Dieser Aktionsplan wurde schließlich am 30. September 2015 vorgelegt, begleitet von einem Legislativvorschlag zu Kreditverbriefungen, einer Novelle der Delegierten Rechtsakte zu Solvency II, einer öffentlichen Anhörung zu Risikokapital und Fonds für soziales Unternehmertum, einer öffentlichen Anhörung zu gedeckten Schuldverschreibungen sowie einer Sondierung zum EURechtsrahmen für Finanzdienstleistungen. Die Kommission wird 2017 das Erreichte bewerten und die Prioritäten überprüfen. Bis 2019 soll die Kapitalmarktunion verwirklicht sein. Erfordernis einer europäischen Kapitalmarktunion Das Erfordernis einer Kapitalmarktunion wird mit Blick auf die ge- genwärtigen Herausforderungen der europäischen Kapitalmärkte deutlich. Zunächst hängt die europäische Wirtschaftsfinanzierung nach wie vor stark vom Bankensektor ab, während die europäischen Kapitalmärkte nur eine untergeordnete Rolle spielen. In Europa sind 76 Prozent der Wirtschaftsfinanzierung bankbasiert, in den USA nur 27 Prozent. Die europäischen Aktienmärkte sind nicht einmal halb so groß wie die der USA, und die europäischen Anleihemärkte machen sogar weniger als ein Drittel des US-Pendants aus. Die dominierende Rolle des europäischen Bankensektors spiegelt sich auch in den rechtlichen und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen wider. Dies zeigt sich beispielsweise an der steuerlichen Diskrimi10.2016 diebank 9 nierung von Eigenkapital gegenüber Fremdkapital (durch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinsausgaben) und der weitgreifenden staatlichen bzw. supranationalen Aufsicht des Bankensektors. Die einseitige Fokussierung auf den Bankensektor („bank-bias“) ist dabei sowohl aus volkswirtschaftlicher, als auch politischer Sicht nicht ideal. Eine aktuelle empirische Studie der EZB kommt zu dem Ergebnis, dass die systemischen Risiken einer bankbasierten Wirtschaftsfinanzierung höher sind als die einer kapitalmarktbasierten – bei tendenziell niedrigerem Wirtschaftswachstum. Zudem hat die europäische Finanzmarktkrise bewiesen, dass eine überproportionale Abhängigkeit vom Bankensektor die europäische Volkswirtschaft über Jahre hinweg lähmen kann, während der US-Markt von diesen Auswirkungen weitestgehend verschont blieb. Aufgrund der einseitigen Fokussierung auf den Bankensektor in der Eurozone und der unheilvollen Rolle der Banken bei der Staatsfinanzierung kämpft die Politik seit Jahren darum, den noch immer angeschlagenen Bankenmarkt zur Finanzierung neuer Projekte zu bewegen. Trotzdem ist seit 2008 die Neukreditvergabe im europäischen Durchschnitt um 40 Prozent zurückgegangen. Dies liegt zum einen an der großen Ungewissheit im Markt, zum anderen an den regulatorischen Erfordernissen. Banken mussten in den letzten Jahren ihre Eigenkapitalpuffer erheblich aufstocken, was dazu führte, dass weniger und zudem weit überwiegend nur sehr sichere Projekte finanziert wurden. Der Zugang zu Finanzmitteln gestaltete sich dadurch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die meist ein schlechteres Risikoprofil als größere Unternehmen aufweisen, weitaus schwieriger.1 Dabei machen KMU 99,8 Prozent aller Unternehmen in Europa aus, erwirtschaften 58 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung und stellen etwa 67 Prozent der Arbeitsplätze im privaten Sektor. 10 diebank 10.2016 Trotzdem erhielten 2013 rund 35 Prozent der KMU in der Eurozone nicht die gesamte Finanzierung, um die sie ihre Banken gebeten hatten. Dies ist im Hinblick auf deren Stellenwert in der Eurozone besonders problematisch. Trotz dieser Unterfinanzierung durch den Kreditmarkt wendeten sich europäische KMU nicht dem Kapitalmarkt zu. Dies liegt zum einen daran, dass sie den Anforderungen des Kapitalmarkts nicht gerecht werden konnten (z. B. aufgrund hoher Transaktionskosten). Zum anderen wollen sich insbesondere familiengeführte Unternehmen nicht den Transparenzund Offenlegungsanforderungen des Kapitalmarkts unterwerfen. Daher bestehen meistens langjährige Kontakte zu lokalen Banken und insbesondere den Sparkassen, die aufg r und ihrer Nähe und den langjährigen Geschäftsbeziehungen zu den Unternehmen auch qualitative Informationen berücksichtigen können (z. B. Managementkompetenzen). Hieraus erwächst vielerorts ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis, das der Bank ebenfalls als Sicherheit dienen kann („relationship-lending“). Die europäischen Kapitalmärkte sind darüber hinaus nach wie vor fragmentiert und überwiegend national ausgerichtet. Während die Kapitalisierung der Aktienmärkte 2013 im Vereinigten Königreich 121 Prozent des BIP entsprach, waren es in Deutschland 51 Prozent, in Lettland sogar nur 4 Prozent. Schließlich ist seit der Finanzmarktkrise das Vertrauen in die Finanzmärkte und Finanzinstitute erheblich zurückgegangen. Dies führte zu einem erheblichen Rückgang der Liquidität im Markt und beeinträch- tigte unter anderem den Verbriefungsmarkt substantiell. Insbesondere durch die Schaffung der Bankenunion konnte verloren gegangenes Vertrauen zwar teilweise wieder zurückgewonnen werden, durch immer neue Krisen ist die Unsicherheit jedoch wieder zurückgekehrt (z. B. durch die „Flüchtlingskrise“ oder den Brexit). Der US-Kapitalmarkt als Vorbild für Europa Die Kommission begründet das Erfordernis einer europäischen Kapitalmarktunion zudem anhand eines Vergleichs mit den USA. Inwieweit die USA jedoch als Vorbild für Europa dienen können, erscheint aufgrund einiger Systemunterschiede fraglich. Unterschiede bestehen insbesondere bei der Altersvorsorge. Durch die kapitalgedeckte Altersvorsorge in den USA fließen weite Teile der Einkommen dem Kapitalmarkt zu. Diese Mittel fehlen dem europäischen Kapitalmarkt. Zwar wird zunehmend auch in Europa die Bedeutung der kapitalgedeckten Altersvorsorge erkannt (Stichwort: umgekehrte Alterspyramide). An der strukturellen Ausrichtung auf die Umlagefinanzierung ändert dies gegenwärtig jedoch wenig. Unterschiede bestehen weiterhin in der Struktur des Hypothekenmarkts. Während Hypotheken in Europa weitestgehend kreditfinanziert sind, überwiegt in den USA eine Finanzierung mittels Anleihen. Aufgrund dieser Unterschiede kann keine einfache Kopie des US-Kapitalmarkts angestrebt werden. Es kommt vielmehr auf eine Verknüpfung von Kapitalund Kreditmarkt an. Hierfür bieten sich etwa Schuldscheindarlehen, Kreditfonds und Verbriefungen an, bei denen die traditionelle Beziehung zwischen Unternehmen und Bank gewahrt bleibt. Gleichzeitig ermöglichen solche Kapitalmarktinstrumente den Banken, über die Kapitalmarktnutzung Bilanz, Eigenkapital und Finanzierungskennziffern zu entlasten, um so aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen gerecht zu werden. Initiative der EU-Kommission Zur Umsetzung der europäischen Kapitalmarktunion veröffentlichte die EUKommission ein Grünbuch und einen Aktionsplan. Das Grünbuch verweist zum einen auf eine Reihe bereits bestehender Maßnahmen (etwa die Rechtsvorschriften über Märkte für Finanzinstrumente MiFID II und MiFIR, Marktmissbrauch MAD II und MAR, Verwalter alternativer Investmentfonds AIFM-Richtlinie, europäische Marktinfrastrukturen EMIR und Zentralverwahrer CSD-VO). Zum anderen wurden kurzfristige, mittelfristige und langfristige Maßnahmen für verschiedene Bereiche festgelegt und in einem Aktionsplan mit einer zeitlichen Dimension versehen. Dabei wird ein Großteil der im Grünbuch angekündigten Maßnahmen auch im Aktionsplan weiterverfolgt. Vorerst zurückgestuft hat die Kommission einheitliche EURegeln zu Kreditinformationen über KMU, Privatplatzierungen und zum Crowdfunding. In der öffentlichen Konsultation ist klargeworden, dass diese Bereiche entweder eher lokalen Charakter haben oder sehr länderspezifisch geregelt sind. Insgesamt sollen Anleger und Unternehmen mit Finanzierungsbedarf wirksamer und kostengünstiger zusammengebracht werden, und zwar sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch grenzübergreifend. Brexit als Bremse der Kapitalmarktunion? Die Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion wird ganz überwiegend positiv gesehen, jedoch bleibt die weitere Umsetzung im Rahmen der Brexit-Debatte fraglich. Mit London als Finanzzentrum Europas stellt das Vereinigte Königreich unter den Mitgliedstaaten naturgemäß die stärkste treibende Kraft für eine europäische Regelung des Finanzsektors dar. Darüber hinaus war es der renommierte britische Finanzmarktkommissar Jonathan Hill, dessen Bemühungen die Idee einer Kapitalmarktunion zu einem handfesten Plan werden ließen. Anlässlich des Brexit-Votums am 23. Juni 2016 entschied sich Jonathan Hill jedoch, sein Amt als Kapitalmarktkommissar nicht länger fortzuführen und trat zurück. Der Verlust Hills als größter Verfechter der Kapitalmarktunion legt bereits die Vermutung nahe, dass das Brexit-Votum für das Fortkommen der Kapitalmarktunion nicht folgenlos bleibt, jedenfalls aber dem politischen Momentum der Kapitalmarktunion schwer zusetzen könnte. Gemäß den EU-Verträgen müsste die britische Regierung nach Jonathan Hills Abtritt einen Nachfolger nominieren. Da dies bisher nicht geschah, übernahm der Lette Valdis Dombrovskis zunächst interimistisch die Aufgaben Hills. Dombrovskis war bisher als Vizepräsident für den Euro und den sozialen Dialog tätig und übernimmt fortan zusätzlich die operative Leitung der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion. Wenngleich sich Dombrovskis jetzt mit einem erheblichen Aufgabenpensum konfrontiert sieht, kann er sich doch am Aktionsplan orientieren, der bereits die nächsten Schritte bis 2018 skizziert. Die bereits bestehenden Strukturen und die kaum bis nicht veränderte personelle Besetzung unterhalb des Kommissars sollten Dombrovskis weiterhin eine funktionierende Infrastruktur und gute Unterstützung bieten. Entsprechend sind durch die personelle Veränderung nur geringe Abweichungen der bisherigen Vorgehensweise unter Jonathan Hill zu erwarten. Allerdings ist zu bedenken, dass ohne das Vereinigte Königreich ein großer Treiber für die Kapitalmarktunion fehlen wird. Im Wesentlichen haben bislang das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland die Entwicklung einer europaweiten Regelung des Finanzsektors bestimmt. Andere Mitgliedstaaten, die über einen ausgeprägten nationalen Finanzmarkt verfügen (z. B. die Niederlande, Schweden, Belgien), haben in der Vergangenheit kaum nennenswerte eigene Initiativen eingebracht, sondern sahen ihre Interessen bisher durch die Beiträge des Vereinigten Königreichs repräsentiert. Frankreich und Deutschland verfügen zudem über ein bankorientiertes Finanzsystem und verstehen die Kapitalmärkte eher als Ergänzung ihrer bereits weit entwickelten Kreditmärkte. Bezüglich der Unterstützung und Finanzierung von KMU ist Deutschland vorwiegend auf seine öffentlich-rechtlichen Banken, also Sparkassen, Landes- und Förderbanken, 10.2016 diebank 11 fokussiert. Auch Frankreich verfügt über einen vergleichsweise traditionellen Finanzsektor und bringt dem internationalen Finanzmarkt noch immer wenig Vertrauen entgegen. Unter den maßgebenden Mitgliedstaaten verfügt einzig das Vereinigte Königreich über ein stark marktbasiertes Finanzsystem und bereichert die Kapitalmarktunion um einen dem internationalen Finanzmarkt gegenüber offenen Einfluss. Entfiele dieser Einfluss des Vereinigten Königreichs infolge des Brexit, würde sich die weitere Entwicklung der Kapitalmarktunion vermutlich insgesamt konservativer gestalten als unter der Federführung der Briten. Brexit als Chance für eine effektive Kapitalmarktunion? Insoweit besteht zwar das Risiko, dass der Brexit das Großprojekt Kapitalmarktunion bremst, dies ist aber nicht die zwingende Konsequenz. Denn das Brexit-Votum könnte die Etablierung der Kapitalmarktunion unter Umständen auch beschleunigen. Die jetzige Ausgangslage legt nahe, dass die Briten zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit Londons als Finanzmetropole Europas, zukünftig auf eine liberalere Regulierung setzen werden, um auf internationale Anleger und Emittenten aufgrund geringerer regulatorischer Anforderungen weiterhin attraktiv zu wirken. Auf der anderen Seite bietet der Brexit den EU-Mitgliedstaaten die Chance, im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Kapitalmarktunion ein neues Selbstverständnis zu entwickeln. Die restlichen Mitgliedstaaten – einschließlich jener, die sich bisher nur in geringem Umfang eingebracht haben – sind fortan gehalten, unabhängig von dem Vereinigten Königreich eigenständig eine attraktive und effektive Kapitalmarktunion zu begründen, um die durch den Brexit hervorgerufene Unsicherheit gegenüber dem Standort London für sich zu nutzen und einen starken Kapitalmarkt innerhalb der EU aufzubauen. 12 diebank 10.2016 Zudem wird durch den Brexit eine wesentliche Bremse für eine effektive Kapitalmarktunion womöglich erst gelöst. Grundvoraussetzung für eine effektive Kapitalmarktunion ist die einheitliche Umsetzung europäischer Vorgaben durch die Mitgliedstaaten. Einen zentralen Kontrollmechanismus auf europäischer Ebene sollte es bislang jedoch nicht geben. Stattdessen sollte die Aufsicht weiterhin dezentral durch nationale Institutionen der Mitgliedstaaten erfolgen. Der damit einhergehende Nachteil liegt auf der Hand. Bei dezentraler Aufsicht ist zu befürchten, dass vorwiegend nationale Interessen und nicht die Interessen der Kapitalmarktunion im Vordergrund stehen und eine effektive Kapitalmarktunion schon daher nicht effektiv gewährleistet werden kann. Allerdings würde die Einrichtung einer zentralen Aufsichtsbehörde der EU oder die Übertragung der Aufsicht auf eine bereits existierende Aufsichtsbehörde, z. B. die European Securities and Markets Authority (ESMA), voraussetzen, dass die Mitgliedstaaten weitere Kompetenzen an die EU übertragen. Im Hinblick auf das Brexit-Referendum wollten aber vor allem die Briten ein Leave-Vote seinerzeit nicht zusätzlich durch eine weitere Kompetenzübertragung an die EU begünstigen. Diese Restriktionen dürften nun aber der Vergangenheit angehören. Auch in dieser Hinsicht ist der Brexit als Chance zu begreifen. Als Chance – und nicht als Risiko – könnte auch die personelle Umbesetzung gesehen werden. So war Jonathan Hill als zuständiger EU-Kommissar für Finanzstabilität und Finanzdienstleistungen nicht unumstritten. Seine Berufung wurde im Europaparlament in der ersten Anhörung abgelehnt und erst nach weiterer kritischer Anhörung bestätigt. Grund hierfür ist Hills frühere Tätigkeit als Finanzlobbyist. Mit Auftraggebern wie der City of London Corporation oder der britischen Großbank HSBC vertrat er oft- mals die Interessen der Gegner einer strengeren Kapitalmarktregulierung. Die personelle Veränderung könnte nun dazu führen, dass auch Pläne eines strenger regulierten kontinentaleuropäischen Kapitalmarkts auf weniger Widerstand stoßen und ernsthaft diskutiert werden. Ob die Chancen letztlich genutzt werden, hängt davon ab, wie die restlichen Mitgliedstaaten ihre neue Verantwortung wahrnehmen und ob sie jene Maßnahmen durchsetzen, die für eine effektive Kapitalmarktunion erforderlich sind (z. B. eine Zentralaufsicht oder Schritte in diese Richtung). Maßgeblich ist, wie sich der Brexit konkret vollziehen und sich die anderen federführenden EU-Mitglieder positionieren werden. Premierministerin Theresa May hat inzwischen eindeutig signalisiert, dass das Vereinigte Königreich aus der EU austreten wird, doch das Wann und das Wie sind weiterhin fraglich. Vor allem das Wie ist hierbei entscheidend. Die Briten könnten sich komplett von der EU und damit der Kapitalmarktunion lösen und sich somit verstärkt auf ihren nationalen Kapitalmarkt konzentrieren. Dann gilt es, einen Konkurrenzkampf zwischen den Finanzmärkten um Emittenten und das Kapital nationaler und internationaler Anleger zu verhindern und eine synergetische Koexistenz der beiden Märkte zu schaffen. Hierbei kommt es darauf an, dass der kontinentaleuropäische neben dem britischen Finanzmarkt seine eigene Marktidentität findet. Dabei ist davon auszugehen, dass London auch weiterhin das Finanzmarktzentrum Europas bleiben wird und aufgrund seiner liberaleren Regulierung internationale Investoren und Emittenten, die auf geringe Kosten und praktikable Regularien setzen, anzieht. Auf der anderen Seite bietet das EU-Projekt Kapitalmarktunion dann insbesondere europäischen Investoren und Emittenten einen größeren, weniger fragmentierten europäischen Marktplatz. Dadurch ergä- ben sich zwei Märkte, die nebeneinander koexistieren könnten. Die Briten könnten sich aber auch einem ähnlichen Modell wie der Schweiz und Norwegens verpflichten, über bilaterale Staatsverträge an Projekten der EU mitzuwirken. Interessant in diesem Zusammenhang ist insbesondere, ob London Passporting-Rechte für die Erbringung von Finanzdienstleistungen in Kontinentaleuropa gewährt werden. Dann wäre das Vereinigte Königreich weiterhin Profiteur der Kapitalmarktunion, würde sie also weiterhin fördern. Eine zentrale Aufsichtsbehörde oder strengere Regulierungen des Finanzmarkts könnte sie mangels Stimmrechten innerhalb der EU jedoch nicht verhindern. Die Federführung in der Gestaltung der Kapitalmarktunion würde dann allein den Mitgliedstaaten obliegen. Fazit Der Brexit bietet für die Kapitalmarktunion Risiken und Chancen zugleich. Der Austritt des Vereinigten Königreichs nimmt der Kapitalmarktunion einen wichtigen Auftrieb. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Brexit vollziehen wird und insbesondere, ob die Briten Passporting-Rechte erhalten werden. Für die EU wird es wichtig sein, dass die restlichen Mitgliedstaaten fortan die Kapitalmarktunion eigenständiger und unabhängiger vorantreiben, um einen international wettbewerbsfähigen Kapitalmarkt in Europa zu schaffen und so das Momentum der Kapitalmarktunion trotz des Brexits weiter nutzen zu können. Fest steht bislang nur, dass eine Kapitalmarktunion trotz des Brexit und der Ungewissheit über seine Gestaltung kommen wird. Fraglich bleibt nur, wel- che Rolle die Briten im Rahmen dieser Kapitalmarktunion spielen werden. ó Autor: Dr. Dennis Heuer ist Rechtsanwalt und Partner bei White & Case LLP in Frankfurt/Main. Der Verfasser dankt für die Mithilfe den wissenschaftlichen Mitarbeitern Thorsten Rohde und Alexander Kreibich. 1 Die Kommission definiert KMUs als Unternehmen, die weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. € erwirtschaften oder deren Jahresbilanzsumme höchstens 43 Mio. € beträgt. Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen. Erleben Sie die Digitalisierung der Wirtschaftsauskunft. Die SCHUFA-B2B-Expertise Die digitale Revolution hat die Art, wie wir Geschäfte machen, grundlegend verändert. Genau hier setzen wir an. 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Peter Scherer Keywords: Dokumentation, Aufsichtsrecht, Vertragsrecht, ABS Das Kunstwort „Brexit“ („Britain“ plus „Exit“) bezeichnet den Ausstieg des UK aus der EU. Rechtlich ist ein solcher geordneter Ausstieg eindeutig machbar, seit 2009 der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten ist und mit Art. 50 EU-Vertrag (EUV) eine dies ermöglichende Vorschrift geschaffen hat. Das Austrittsverfahren läuft in vier Schritten ab, dessen wichtigster Teil der Abschluss eines Austrittsabkommens innerhalb von zwei Jahren ab Mitteilung der Austrittsabsicht ist. Ohne ein solches Abkommen erfolgt der Austritt nach dieser Frist automatisch. Der Artikel 50 spricht in diesem Zusammenhang u. a. von der Regelung der künftigen Beziehungen des austretenden Staats zur Rest-Union. Doch wie könnte eine solche Regelung aussehen? Mindestens fünf verschiedene Modelle für die künftigen Beziehungen zwischen UK und Rest-EU wären vorstellbar: EWR-Mitgliedschaft, EFTAMitgliedschaft, Zollabkommen, einfache Handelsbeziehungen unter dem Welthandelsabkommen WTO (d. h. DrittstaatenQualität) oder ein Special Deal. Schon um kein Austrittssignal an andere Mitgliedsstaaten zu setzen, könnte sich die Rest-EU auf einen solchen Deal kaum einlassen. Für eine Besserstellung des UK gegenüber 14 diebank 10.2016 der Schweiz oder Norwegen gäbe es keinen vernünftigen Grund, sie akzeptieren gerade jene Regeln, die das UK im Besonderen ablehnt. Noch ist völlig offen, ab wann, wie und mit welchen konkreten Inhalten und Positionen die Verhandlungen über das Austrittsabkommen geführt werden. Wird es mehr um Freihandel i. S. v. Zöllen gehen oder werden Finanzdienstleistungen im Zentrum stehen? Wird das UK die weitgehende Äquivalenz eigener mit den EU-Regeln für den Finanzsektor anstreben oder liberalere Regeln im Wettbewerb mit der EU anstreben, z. B. bei den Boni im Rahmen der Institutsvergütungsregeln? Wird es zu Regelungen der Fragen des Internationalen Privatrechts und der Urteilsvollstreckungen, der grenzüberschreitenden Sanierungs- und Insolvenzverfahren für Finanzmarktteilnehmer und überhaupt des Finanzaufsichtsrechts (insbesondere im Hinblick auf das EU-Pass-System) kommen? Und wenn ja, in welchem Umfang? Auswirkungen Davon wird auch abhängen, wie es mit der UK-Gesetzgebung weitergeht. Soweit EU-Richtlinien in UK-Recht umgesetzt sind, muss entschieden werden, ob diese Vorschriften in Kraft bleiben, abgeändert oder abgeschafft werden sollen. EU-Verordnungen wirken auch im UK direkt, aber wenn der European Communities Act 1972 abgeschafft wird, dann werden auch sie abgeschafft. Dann muss entschieden sein, ob diese durch inhaltsgleiche neue UK-Regelungen, durch älteres UK-Recht oder durch ganz neue Regelungen ersetzt werden sollen. Doch all das ist Zukunftsmusik. Man mag mit gewisser Sorge darauf blicken, dass derzeit rund drei Viertel aller europäischen Kapitalmarktaktivitäten in London erfolgen, und Verbriefungen haben daran einen nicht unbeträchtlichen Anteil. Letztere wurden von der Finanzmarktkrise heftig und nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen, erholen sich davon erst langsam und sind derzeit mithin ein „zartes Pflänzchen“. UK-Verbriefungen gehören zu den Eckpfeilern des europäischen Verbriefungsmarkts, dürften aber in naher Zukunft nicht zu den Lokomotiven des Markts gehören. Umgekehrt dürften kontinentaleuropäische Verbriefungen mit vermeintlich besseren Perspektiven (z. B. deutsche Auto-ABS oder niederländische RMBS) von dieser Entwicklung profitieren. Leider schwächt der Brexit aber die RestEU ebenfalls in nicht unbeträchtlichem Maß. Auch politisch werden sich die Gewichte im Europäischen Ministerrat verschieben. Und so wird Deutschland – obgleich dann vermutlich noch stärkerer Nettozahler – an politischem Einfluss verlie- ren, was am Ende auch zu einem Kostenfaktor (Stichwort Transferunion) für Deutschland werden könnte. Vertragsrecht Bei so viel Dramatik in der möglichen, wenn nicht gar wahrscheinlichen künftigen wirtschaftlichen Entwicklung und deren Einfluss auf die Verbriefungsmärkte ist es wichtig, frühzeitig über mögliche Konsequenzen für die Vertragsdokumentation solcher Transaktionen nachzudenken. Jetzt ist die Zeit für eine sorgfältige und umfassende Due Diligence und Analyse existierender Dokumentationen. Zu verschiedenen in Verbriefungen nicht untypischen Vertragsklauseln und Themen lassen sich dazu vorab schon einmal einige Anmerkungen machen: ó Rechtswahl: Es wird keine Brexit-bedingte plötzliche Revolution, könnte aber eine stärker werdende Verschiebung geben, weg vom englischen und hin zu anderen Rechtsordnungen. Schon seit einigen Jahren gibt es diesen Trend, so hat die LMA auch Muster unter deutschem Recht. Das wird sich jetzt vermutlich weiter verstärken, und so könnte das deutsche Recht in Zukunft eine stärkere Rolle spielen. ó Gerichtsstand: Ähnliches wie zur Rechtswahl lässt sich auch zur Wahl des Gerichtsstands sagen. Empirisch dürfte bei den Gründen für die Wahl englischer Gerichte vieles unter Legendenbildung subsumierbar sein. Der Brexit könnte an der vermeintlichen Attraktivität englischer Gerichte etwas ändern, weil Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen nicht mehr so klar sein könnten. ó Internationales Privatrecht (IPR): Die europäischen Verordnungen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse (Rom 1) sowie über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom 2) und über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen in ihrer Neufassung (Brüssel 1a) werden nach dem Brexit im UK nicht mehr gelten. Diese drei Verordnungen erkennen in den meisten Fällen die Rechtswahl bzw. die Wahl eines Gerichtsstands durch die Parteien an. Die Rom 1- und Rom 2-Verordnungen akzeptieren die ausdrückliche Rechtswahl der Parteien unabhängig davon, ob die Vertragsparteien in einem EU-Staat ansässig sind oder nicht und unabhängig davon, ob das Recht eines EU- oder eines anderen Staats gewählt wurde. Das heißt, auch nach einem Brexit sollten Gerichte in der EU die Wahl englischen Rechts akzeptieren. Umgekehrt weisen englische Kanzleien derzeit bemüht darauf hin, dass auch englische Gerichte traditionell die Rechtswahl der Parteien akzeptiert haben – nur bei den außervertraglichen Schuldverhältnissen sei dies nicht so ganz klar. Die Brüssel 1a-Verordnung zur Gerichtsstandswahl sieht ein Reziprozitätserfordernis innerhalb der EU für die Anerkennung von Urteilen vor. Ohne diese Verordnung im UK ist es künftig unklar, ob englische Gerichte, auch wenn sie von den Parteien gewählt wurden, zuständig sind, und ob ein entsprechendes englisches Urteil in der RestEU vollstreckbar wäre – und umgekehrt. Viel wird davon abhängen, ob das UK dem Lugano-Übereinkommen oder der Haager Konvention über Gerichtsstandsvereinbarungen beitreten wird. Im Ergebnis wird man daher in vielen Bereichen künftig mehr Schiedsklauseln sehen, denn die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen unterliegt der New Yorker Konvention, der das UK im eigenen Recht beigetreten ist und die Reziprozität bei der Vollstreckung vorsieht. Dabei wird es also auch nach dem Brexit bleiben. ó Vertragsbeendigung / Parteiwechsel: Brexit-bezogene Ereignisse können sich auf beides auswirken, auf die Qualität von Sicherheiten wie auf Parteien in einer Verbriefungstransaktion, was wiederum verschiedene vertragliche Folgen haben kann – von der Nachbesicherung bis Kündigungen einzelner Parteien oder der ganzen Transaktion. Daher bedarf es in jedem Fall einer genauen Analyse der jeweiligen Transaktionsdokumentation. Brexit-bedingt sinkende Werte bei den Sicherheiten in Verbriefungen könnten sowohl die Zahlungsströme als auch die Deckungswerte in RMBS-, CMBS- und anderen Verbriefungen wie bei gedeckten Schuldverschreibungen allgemein verringern. Ebenso könnte es bei den betreffenden Schuldnern schneller zu Krisen kommen, was die Werthaltigkeit von Verbriefungen beeinträchtigen würde. Wichtig in diesem Kontext ist auch die Rolle von Ratings. Kommt es zu einem Rating-Downgrade, kann dies (i) eine Nachbesicherungspflicht (also die Pflicht zur Stellung von mehr und / oder neuen Kreditsicherheiten) auslösen oder bei einem Seller-Downgrade aus einem flexiblen einen statischen Sicherheiten-Pool machen, (ii) die Pflicht zur Auswechslung eines nun zu schlecht gerateten Vertragspartners (Servicer, Account Bank, Treuhänder, etc) schaffen oder gar (iii) die Kündigung der Transaktion ermöglichen. Man kann nur hoffen, dass in allen Fällen die Vertragsdokumentation hinreichend klar und mechanisch ist, denn Treuhänder werden in aller Regel sehr zurückhaltend dabei sein, hier eigene Wertungen, eigenes Ermessen (Discretion) auszuüben. Auch zu bedenken sind mögliche Negativeffekte auf Transaktions-Ratings durch die UK-Länderratingobergrenze (Country Ceiling). Aber nicht nur Transaktions-, Sicherheiten- oder Länderratings, sondern auch Unternehmensratings von an Verbriefungen beteiligten Parteien könnten Brexit-bedingt absinken. Parteien könnten übrigens auch Rating-unabhängig auszuwechseln sein, z. B. wenn ihre Zulassung unter EU-Recht (zum Beispiel der MiFID) wegfallen würden. Vertraglich würden sie sonst gegen Zusicherungen und Gewährleistungen (Representations and Warran10.2016 diebank 15 ties) und / oder Funktionsanforderungen in der Dokumentation sowie öffentlichrechtlich möglicherweise gegen regulatorische Lizenzanforderungen verstoßen. ó Höhere Gewalt (Force Majeure): ForceMajeure-Klauseln enthalten gelegentlich sehr individualisierte Regelungen dafür, was unter sie fallen soll. Auch wenn der Austritt eines Staats aus einer supranationalen Gemeinschaft nicht unbedingt das erste ist, an das man bei „höherer Gewalt“ denkt, ist es doch keineswegs ausgeschlossen, dass dies im Einzelfall unter eine solche Klausel fallen kann und deswegen individuell zu prüfen ist. ó Wesentliche Verschlechterung der Verhältnisse (Material Adverse Change, MAC): Im Prinzip gilt für MAC-Klauseln das Gleiche wie für Force-Majeure-Klauseln. Schwierig ist, dabei zu sagen, wie Gerichte dann mit dem Argument umgehen würden, dass man eine solche Entwicklung habe vorhersehen müssen. ó Andere Nichterfüllungen (Events of Default): Wie zuvor beschrieben können Rating-Herabstufungen, Qualitätsabfälle bei der Besicherung etc. und insbesondere auch der Brexit-bedingte Wegfall von EUrechtlichen Lizenzen zu Kündigungenauslösenden Ereignissen werden. Das betrifft auch Illegality- oder UnlawfulnessKlauseln, die im Einzelfall zu prüfen sein werden. ó Steuern: Auch im Steuer-Kontext werden die individuellen Verbriefungs-Dokumentationen zu prüfen sein, entweder um das eventuelle Auslösen von Kündigungsrechten wegen eines Steuerereignisses vorherzusehen oder z. B. durch Umstrukturierung zu vermeiden. Das betrifft insbesondere jene Fälle, in denen die Parteien auf eine privilegierte Steuerbehandlung auf der Basis von Doppelbesteuerungsabkommen zwischen dem UK und einem oder mehreren EU-Staaten bauen. ó Risikofaktoren in Prospekten: In zahlreichen Prospekten für ABS (mit Bezug zum UK) gab es bereits Risikofaktoren, deren Wortlaut auf Unsicherheiten durch das Re16 diebank 10.2016 ferendum bzw. den künftigen Brexit und daraus resultierende Risiken für die Verbriefungstransaktion hingewiesen hat. Während manche im Markt das als „Angstmacherei“ abqualifizieren, weisen andere darauf hin, dass für die Prospektprüfung zuständige Aufsichtsbehörden bereits solche Risikohinweise nachgefragt haben. Wiederum kommt es wohl ganz auf den Einzelfall an. ó Börsennotierung (Listing): Noch haben viele Wertpapier-Emittenten das UK als ihren Heimatstaat für Zwecke der EU-Prospektrichtlinie und der EU-Transparenzrichtlinie sowie die London Stock Exchange für ihre Listings gewählt. Dabei ist naturgemäß unklar, was das Austrittabkommen im Hinblick auf die EU-Pässe unter diesen Richtlinien regeln wird, und/ oder ob es zwecks Erhalt solcher EU-Pässe zu umfangreicheren Abwanderungen aus dem UK bzw. zur Verlagerung von Börsennotierungen kommen wird. Aufsichtsrecht Im Rahmen eines Brexit könnten sich die aufsichtsrechtlichen Regimes für Verbriefungen im UK und in der Rest-EU auseinanderbewegen und so neue Strukturierungs- und Compliance-Herausforderungen zur Folge haben. Wenn das UK eine solche Auseinanderentwicklung in diesem Bereich nicht will, würde es die bisherige EU- und EU-getriebene UK-Gesetzgebung in diesem Bereich zu erhalten und deren künftige Veränderungen zu replizieren haben. Aber ob eine solche Äquivalenz der Regeln ausreichen wird, hängt von den Ergebnissen der Austrittsverhandlungen ab. Ansonsten droht dem UK der Drittstaaten-Status, das heißt eine den USA vergleichbare Position im Hinblick auf den Zugang zum Gemeinsamen Markt mit EU / EWR. All das gilt für eine Vielzahl von auch für Verbriefungen bereits wichtigen Regelungen (CRR, Solvency 2, MiFID / MiFIR, MAD 2 / MAR, BRRD, InsoV, ProspRili u. v. m.) sowie künftigen Regelungen, wo- bei bei einem Brexit die direkt anwendbaren EU-Verordnungen (z. B. CRR) wegfallen und die Zukunft der Umsetzungen von EU-Richtlinien in nationales Recht (z. B. Solvency 2) noch von UK-Regierung und Parlament zu entscheiden wäre. Hinzu kommt das Problem, dass zahlreiche Verweise auf europäische Behörden unter Umständen ins Leere führen werden; hier könnte eine äußerst umfängliche Einzelanalyse erforderlich werden. Zu einigen Vorschriften noch etwas mehr im Detail: ó CRR: Die Regularien zur regulatorischen Eigenkapitalberechnung für Banken in der Kapitalanforderungsverordnung CRR enthalten auch zahlreiche Vorschriften für Verbriefungen. Auch wenn einzelne Regelungen nicht auf die Baseler Eigenkapitalregeln zurückgehen (namentlich der Originatoren-/SponsorenRisikoselbstbehalt, das UK diese also bei Wegfall der CRR nicht im UK-Recht replizieren müsste, um auch weiterhin mit den Baseler Regeln im Einklang zu bleiben), ist eine starke Abweichung vom EU-Recht insoweit doch unwahrscheinlich, da beim Verkauf von Verbriefungspositionen an Investoren im EU- / EWR-Gebiet diese ja weiterhin an die CRR gebunden sind und man auf diesen großen Markt beim Vertrieb wohl kaum verzichten will. ó LCR: Auch die Regeln zur regulatorischen Liquiditätsberechnung von Banken sind in der CRR enthalten, ebenso in einer Delegierten Verordnung (DV) zur Liquidity Coverage Ratio (LCR). Letztere regelt unter anderem die Kategorisierung anerkennungsfähiger Vermögenswerte als hochliquide Aktiva (HQLA) zur Deckung der Liquiditätsanforderungen. Dazu gehören auch bestimmte ABS und RMBS (Typ 2B-Verbriefungen), aber soweit die Referenzwerte solcher Transaktionen KMU-, Automobil-, Verbraucherdarlehen- oder Verbraucherkreditkarten - Forderungen sind, müssen diese in der EU originiert sein. Bei einem Brexit wären UK-ABS also nicht mehr LCR-fähig. Allerdings sollen die Typ 2B-Verbriefungsregeln im Rahmen des STS-Projekts ersetzt werden. ó STS: Fraglich ist zur Zeit, ob die künftigen Regeln über qualitativ hochwertige und deshalb priviligiert zu behandelnde Verbriefungen (Simple, Transparent, Standardised – STS) auch nach einem Brexit auf UK-ABS anwendbar sein werden. Der ursprüngliche STS-Verordnungsentwurf sah nur vor, dass Originatoren, Sponsoren und Kreditgeber regulierte Einheiten sein müssen. Nun ist auch ein EU-Bezug gefordert, zum Beispiel ein unter die MiFID fallendes Unternehmen. Dann würden (post-Brexit) EU- / EWR-institutionelle Investoren vermutlich kaum noch in UK-ABS investieren, da diese nicht als STS qualifizieren würden und ihr Erwerb unter den CRR-und LCR-Regeln zu teuer würde. ó MiFID/ MiFIR: Durch einen Brexit würde das UK seine EU-Pass-Rechte unter der Finanzmärkterichtlinie und -verordnung verlieren und auch insoweit zum Drittstaat werden. Unter den derzeitigen MiFID-Regeln aber gibt es kein gemeinschaftliches Drittstaaten-Regime, sondern jeder EU-/EWR-Staat hätte insoweit seine eigenen nationalen Regeln. Das wird sich mit der MiFID II ändern, die vermutlich 2018 die bisherigen Regeln ablösen soll. Dann wird im Hinblick auf Drittstaaten zwischen Retail- und professionellen Kunden unterschieden. In jedem Fall aber wird es darauf ankommen, dass der Drittstaat äquivalente Aufsichts- und Geldwäsche-Regeln etc. vorweisen kann und eine Kooperations- und Steuerregulierungsvereinbarung zwischen den betreffenden Staaten besteht. ó InsVO, WUD, BRRD: Die EU-Insolvenzverordnung (InsoV) würde nach einem Brexit im UK nicht mehr gelten, was Auswirkungen auf die Behandlung der von ihr erfassten Verbriefungsvehikel hätte. Englische Kanzleien betonen in diesem Zusammenhang gern, dass ähnliche Prinzipien und Regeln vielleicht auch unter englischem Recht existieren. Die UK-Umsetzungen der EU-Winding Up-Richtlinie (WUD) über die Sanierung und Liquidation von Banken ebenso wie die der EU-Bankensanierungs- und -abwicklungsrichtlinie (BRRD) könnten nach dem Brexit beibehalten, abgeändert oder abgeschafft werden. Besonders bedeutsam mag in diesem Kontext Artikel 55 BRRD werden, wonach die EU-Mitgliedstaaten den Banken vorschreiben, dass deren relevante Gläubiger eine mögliche Gläubigerbeteiligung (Bail-In) für den Krisenfall der Bank vertraglich akzeptieren müssen. Was im UK-Recht künftig gelten wird, ist derzeit naturgemäß noch offen, aber EU-/EWR-Banken werden auch in jedem Fall von UK-Gläubigern die Bail-InAkzeptanz vertraglich verlangen, auch in englisch-rechtlichen Verträgen. ó Gedeckte Schuldverschreibungen: Zahlreiche Banken und Building Societies im UK haben Programme zur Ausgabe von gedeckten Schuldverschreibungen (Covered Bonds) ob der Vorteilhaftigkeit für Investoren so gestaltet, dass die Anforderungen der 4. EU-Investmentfondsrichtlinie (OGAW 4) eingehalten werden. Diese aber verlangt, dass der Emittent solcher gedeckten Schuldverschreibungen seinen Sitz in der EU hat. Das wäre post-Brexit so nicht mehr machbar. ó Eurosystem: Eine besonders schwerwiegende Folge eines Brexit ist, dass dann UK-Verbriefungen bei der EZB nicht mehr als Sicherheit für die Refinanzierung von Banken über das Eurosystem genutzt werden können. Um notenbankfähige Sicherheiten zu sein, müssen ABS von einem im EU-/EWR-Raum ansässigen SPV emittiert, von einem dort ansässigen Originator originiert werden, Schuldner und Gläubiger der verbrieften Vermögenswerte müssen ebenfalls im EU-/EWR-Raum ansässig sein und die Sicherheiten sich dort befinden und dem Recht eines solchen Staates unterliegen, ebenso der Erwerb der relevanten Vermögenswerte. Wenn UK-ABS diese Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllen, können diese auch nicht von der EZB im Rahmen ihres ABSAnkaufsprogramms unter ihrer Quantitative-Easing-Politik erworben werden, was schwere Nachteile für die UK-Verbriefungsindustrie mit sich bringen dürfte. Fazit Der Vorhang zum „Drama Brexit“ ist gerade erst aufgegangen. Schon mangels Klarheit über Beginn, Inhalt, Ablauf und vor allem über das Ergebnis der Austrittsverhandlungen erfordert jede Prognose über den Verlauf des Stücks – zum Beispiel wie sich der Brexit auf Verbriefungstransaktionen und die Verbriefungsindustrie auswirken wird – intensive Kristallkugelleserei. Am Ende könnte es sogar mit Bertolt Brecht heißen: „Der Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Wahrscheinlicher ist freilich eine „Lösung“ per Austrittsabkommen. Aber auch dabei würden beide Seiten vermutlich nichts zu beklatschen haben. Die UK-Verbriefungsindustrie (wie der Rest des Landes auch) dürfte wohl unter dem Brexit stark, die Rest-EU aber mitleiden. Schon heute ist es wichtig, sich über mögliche Brexit-bezogene Probleme in Verbriefungsdokumentationen klar zu werden, d. h. eine sorgfältige und umfassende Due Diligence und Analyse existierender Dokumentationen durchzuführen und gegebenenfalls Vorgaben für künftige solche zu entwickeln. Auch aufsichtsrechtlich werden sich im Hinblick auf zahlreiche EU-Verordnungen und -Richtlinien, aber auch im Hinblick auf die EZB/Eurosystem-Regeln, viele Strukturierungs- und Compliance-Herausforderungen stellen. Ob das UK und die EU am Ende ein für sich befriedigendes oder wenigstens erträgliches Ergebnis erzielen werden, hängt vom Verlauf und den Ergebnissen der Austrittsverhandlungen ab. Keine guten Aussichten, auch nicht für das „zarte Pflänzchen“ europäische Verbriefungsmärkte. ó Autor: Peter Scherer, Rechtsanwalt und LL.M. (IU), GSK Stockmann & Kollegen, Frankfurt am Main. 10.2016 diebank 17 Vielfältige Geschäftsmöglichkeiten für Banken FINANZIERUNGSSTRUKTUREN Supply Chain Finance setzt sich zunehmend als alternatives Finanzierungskonzept zwischen Handelspartnern im B2B-Bereich durch. Gerade im internationalen Umfeld ist über die letzten Jahre hinweg ein regelrechter Trend hin zu Supply-Chain-FinanceProdukten zu beobachten. Arne Klüwer Keywords: Supply Chain, Factoring-Varianten, Verbriefung Supply-Chain-Finance-Produkte werden zurzeit verstärkt im Markt besprochen. Der Begriff ist nicht definiert und wird unterschiedlich verstanden und verwendet. Die Produkte decken eine große Bandbreite von Anwendungsgebieten und Strukturen ab und bedienen dabei jeweils unterschiedliche Bedürfnisse. Den ursprünglichen Kern bilden Factoringstrukturen und die klassische Verbriefung von Handelsforderungen. Hinzugetreten sind in den vergangenen Jahren Weiterentwicklungen der klassischen Factoringprodukte, insbesondere Reverse Factoring und Finetrading. Die Produkte ähneln sich in weiten Teilen, richten sich aber an unterschiedliche Zielgruppen. Besondere Bedeutung hat dabei im deutschen Kontext immer noch vor allem Factoring und, bei größeren Volumina, die Verbriefung von Handelsforderungen. Factoring und Verbriefung Supply-Chain-Finance-Produkte bringen eine Reihe positiver Effekte für alle Beteiligten mit sich. Sie erlauben eine Optimierung des Working Capital und, abhängig von der gewählten Struktur, angepasste Zahlungsziele. Damit einhergehend sind eine Finanzierungsfunktion und positive 18 diebank 10.2016 Liquiditätseffekte außerhalb klassischer Kreditlinien sowie oftmals eine Stabilisierung der eigenen Lieferkette. Reverse Factoring Im Rahmen einer Factoring-Transaktion verkauft der Inhaber einer Geldforderung (der Factoring-Kunde) seine Forderung gegen seinen Debitor (den Erwerber von Waren oder Dienstleistungen) entgeltlich an einen Factor und tritt damit die Forderung an diesen ab. Entsprechend funktioniert die Grundstruktur einer Verbriefung von Handelsforderungen, wobei in diesen Strukturen die Rolle des Factors von einer Zweckgesellschaft übernommen wird, die die jeweiligen Forderungen erwirbt und den Ankauf über den Kapitalmarkt finanziert. Factoring und die Verbriefung von Handelsforderungen werden von den jeweiligen Forderungsverkäufern in ihrer Funktion als Gläubiger (und Lieferanten) ihrer Debitoren ausgehend strukturiert und nicht von einem Unternehmen als Kunde mit Blick auf seine eigenen Lieferanten. Sie stellen die strukturelle und intellektuelle Ausgangsbasis für weitere im Markt etablierte Supply-Chain-FinanceProdukte und -Strukturen dar, insbesondere für immer beliebtere Reverse-Factoring-Transaktionen. Bei einer Reverse-Factoring-Transaktion organisiert der Debitor, dass seine Lie- feranten ihre ihm gegenüber bestehenden Forderungen an einen Factor verkaufen. Dabei bestätigt und garantiert der Debitor die von ihm geschuldete Zahlung im Rahmen eines abstrakten Schuldanerkenntnisses gegenüber dem Factor. Finetrading Im Rahmen einer sogenannten Finetrading-Struktur verkaufen die partizipierenden Lieferanten des die Transaktion veranlassenden Debitors (wie im Fall der Reverse-Factoring-Struktur) ihre Waren – und nicht ihre Forderungen – an eine Zwischenhandelsgesellschaft und werden bei Lieferung bezahlt. Die Zwischenhandelsgesellschaft verkauft die Waren an den Debitor weiter, wobei sie hierbei an den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Parteien ausgerichtete Zahlungsziele vereinbaren kann. Finetrading-Transaktionen sind mit Reverse-Factoring-Transaktionen insoweit vergleichbar, als ein Debitor diese für sich bezüglich eines Teils oder aller seiner Lieferanten veranlasst ” 1. Unterschiede Finetrading ist insoweit eine Weiterentwicklung von Reverse Factoring, als es bestimmte Nachteile von Reverse-Factoring-Transaktionen überwindet – insbesondere die Nachteile aus den vielfach branchenüblichen verlängerten Eigen- tumsvorbehalten und den damit einhergehenden Wechselwirkungen zwischen den Finanzierungsformen, die einem Unternehmen typischerweise zur Verfügung stehen. Einerseits muss bei Factoring- und Reverse-Factoring-Transaktionen das Sicherungsinteresse von Lieferanten berücksichtigt und auch vom Factor beachtet werden, andererseits können Vereinbarungen zwischen dem Forderungsverkäufer und seinen sonstigen besicherten Kreditgebern die Umsetzung einer Transaktion verkomplizieren. Risikomanagement durch Finetrading In diesem Zusammenhang sind auch Wechselwirkungen zwischen existierenden Finanzierungsverträgen (insbesondere besicherten syndizierten Finanzierungen) sowie Factoring-Vereinbarungen und vergleichbaren Verbriefungen zu berücksichtigen. Selbst, wenn Kreditgeber bereit sind, die ihnen sicherungshalber übertragenen Handelsforderungen eines Unternehmens für Factoring-/Verbriefungstransaktionen freizugeben (da im Gegenzug Liquidität in das Unternehmen des Forderungsverkäufers als Kreditnehmer fließt), verlangen die Kreditgeber einer syndizierten Finanzierung dann oft Sicherheiten über sämtliche Bankkonten eines Unternehmens und insbesondere auch über den Kaufpreisauszahlungsanspruch des Forderungsverkäufers gegenüber der Factoringbank bzw. Verbriefungszweckgesellschaft. Dies steht allerdings im Fall verlängerter Eigentumsvorbehalte von Lieferanten im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung und führt zur Unwirksamkeit der Abtretung der Forderungen an das Factoringunternehmen. Im Fall der Unwirksamkeit der Abtretung gewährt das Factoringunternehmen wirtschaftlich gesehen einen unbesicherten Kredit, anstelle eine Forderung anzukaufen. Diese Risiken werden durch Finetrading-Strukturen überwunden ” 2. Praktische Vor- und Nachteile des Factoring Der Factoring-Kunde erreicht einen Liquiditätsvorteil durch den Erhalt des Kaufpreises auf seine Forderung vor deren Fälligkeit und kann dadurch seine eigenen Vor-Lieferanten schneller bezahlen. In der Regel kann ein Bilanzabgang sowohl nach HGB und IFRS erreicht werden. Die sich aus dem Zusammenspiel mit etwaigen verlängerten Eigentums- vorbehalten der Lieferanten ergebenden Unsicherheiten sind je nach Sektor besonders zu berücksichtigen, ebenso wie die Kollision mit anderen Finanzierungsformen und bestehenden Sicherheiten und vertraglichen Beschränkungen aus existierenden Engagements. Dadurch bedingte Anforderungen an eine Due Diligence erhöhen den mit der Umsetzung einer Transaktion verbundenen Aufwand. § 13c Umsatzsteuergesetz führt zu 1 Grundstruktur eines Reverse Factoring Lieferant 1-n Forderung Reverse-Factoring-Kunde Forderungsverkauf abstraktes Schuldanerkenntnis/Garantie der durch den Lieferanten verkauften Forderung Forderungskäufer / Factor 2 Grundstruktur einer Finetrading-Finanzierung Lieferant 1-n rechtlicher Warenverkauf Zwischenhandelsgesellschaft physische Warenlieferung rechtlicher Weiterverkauf Finetrading-Kunde besicherte Finanzierung der Zwischenhandelsgesellschaft Finanzierer der Zwischenhandelsgesellschaft 10.2016 diebank 19 einer Haftung des Factors für nicht beglichene Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Factoring-Kunden gegenüber dem Finanzamt. Praktische Vor- und Nachteile des Reverse Factoring Die schnelle Bezahlung des Lieferanten kann zu einer Verbesserung der Einkaufskonditionen führen. Die Umsetzung der grundsätzlich einfachen Struktur ist jedoch komplex und die Lieferanten eines Kunden einer Reverse-Factoring-Transaktion müssen dazu bereit sein, dem Forderungsverkaufsprogramm beizutreten. Dies ist für Unternehmen, die gegenüber ihren Lieferanten eine gewisse Marktmacht mitbringen, weniger ein Thema als für Unternehmen, die eine weniger starke Position innehaben. Gleichzeitig muss der Lieferant des Kunden als Verkäufer der Forderung auch Inhaber der Forderung sein oder im Rahmen einer echten Factoring-Transaktion darüber verfügen können und der Kunde trägt das diesbezügliche Risiko seines Lieferanten über seine Garantie mit. Sollte der jeweilige Lieferant bereits an einem Factoring- oder Verbriefungsprogramm teilnehmen, muss er die Forderungen, die Gegenstand der Reverse-FactoringTransaktion werden sollen, aus diesen Programmen ausnehmen. Dies erfordert zumindest administrativen Aufwand und geht mit einer Reduzierung des Forderungsvolumens einher, das für etwaige existierende Factoringprogramme des jeweiligen Lieferanten zur Verfügung steht. Darüber hinaus sind auch die vom Institut der Wirtschaftsprüfer jüngst ergänzten Regelungen zu IDW RS HFA 9 bei Abschluss einer Reverse-Factoring-Transaktion zu berücksichtigen. So sind unter bestimmten Voraussetzungen für den Kunden als bilanzierendes Unternehmen die zuvor als Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung zu bilanzierenden Forderungen in bestimmten Konstellationen und aufgrund des abstrakten Schuldan20 diebank 10.2016 erkenntnisses als Bank- / Finanzverbindlichkeiten einzuordnen (und treten so umqualifiziert an deren Stelle). Dies kann für den Kunden bezüglich seiner Finanzierungsverträge und vor dem Hintergrund der oftmals darin als Aufhänger für weitere Regelungen enthaltenen Finanzkennzahlen zu unwillkommenen Wechselwirkungen führen. Wenngleich sich dieses Thema strukturell und durch eine richtige Vertragsgestaltung handhaben lassen kann, empfiehlt sich doch die Einbindung des Wirtschaftsprüfers bei Abschluss der Transaktion. Nicht zuletzt sollte eine ReverseFactoring-Transaktion auch steuerlich nicht nur seitens des Forderungsverkäufers und -käufers genau geprüft werden, sondern aufgrund der mit dem Auftrag des Kunden an den Forderungskäufer verbundenen Freistellungen auch vom Kunden selbst. Besonders schwerwiegend können sich hier in der Praxis die Regelungen zu § 13c Umsatzsteuergesetz auswirken, da im Ergebnis oftmals nicht nur der Forderungskäufer, sondern – aufgrund der Freistellungen in der Garantie – der Kunde über eine solche Struktur indirekt für die Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Lieferanten gegenüber dem Finanzamt mithaftet. Praktische Vor- und Nachteile des Finetrading Eine Finetrading-Transaktion zeichnet sich besonders dadurch aus, dass Nachteile von Reverse-Factoring-Transaktionen bei vergleichbarem Effekt überwunden werden können. Auch hier wird der Lieferant sofort bezahlt und kann dadurch ggf. bessere Konditionen anbieten, ohne dabei alle Nachteile einer Factoring- /Verbriefung- oder Reverse-Factoring-Transaktion in Kauf nehmen zu müssen. Verkauft werden vom Lieferanten Waren, keine Forderungen. Daher entfallen die Prüfung von Vorbehaltseigentum der Vor-Lieferanten des Lieferanten ebenso wie die in diesem Zusammenhang genann- ten Erfordernisse hinsichtlich der Inhaberschaft der Forderung sowie der Gestaltung der Verträge. Ebensowenig muss der Lieferant dazu bewogen werden, Forderungen, die dieser ggf. sonst im Rahmen einer eigenen bestehenden Factoring- oder Verbriefungs-Transaktion verkaufen würde, nun in die Reverse-Factoring-Transaktion seines Kunden einzubringen. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist die strukturell bessere Position des Finanzierers der Zwischenhandelsgesellschaft im Vergleich zur Position des Finanzierers des Forderungskäufers in einer Factoring-Transaktion / Forderungsverbriefung oder Reverse-Factoring-Transaktion. Neben einer Sicherheit über Forderungen erhält dieser Sicherheiten über Waren. Die Zwischenhandelsgesellschaft wird durch den Ankauf von Waren zum Handelsunternehmen und primären Vertragspartner der Lieferanten des Kunden. Ebenso wie im Fall einer Reverse-Factoring-Transaktion ist daher die Ansprache der in die Transaktion einzubindenden Lieferanten des Kunden erforderlich. Allerdings wird lediglich der rechtliche Käufer der Waren ausgetauscht, die Lieferbeziehungen bleiben ansonsten unverändert, und der Lieferant liefert weiterhin direkt an den Kunden. Im Rahmen des Weiterverkaufs der Waren von der Zwischenhandelsgesellschaft an den Kunden tritt die Zwischenhandelsgesellschaft ihre Gewährleistungsansprüche aus ihrem Kaufvertrag mit den jeweiligen Lieferanten an diesen ab. Im Gegenzug werden Gewährleistungsansprüche des Kunden gegenüber der Zwischenhandelsgesellschaft weitestgehend ausgeschlossen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein vollständiger Ausschluss von Gewährleistungsansprüchen zivilrechtlich selbst unter Kaufleuten nicht möglich ist. Das bedeutet, dass die Zwischenhandelsgesellschaft immer ein gewisses Restrisiko hinsichtlich der Waren trägt. Dieses Risiko kann weitestgehend reduziert, aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden. fl Die schnelle Bezahlung des Lieferanten führt beim Factoring zu einer Verbesserung der Einkaufskonditionen. Verbriefung von Supply-ChainFinance-Transaktionen Supply-Chain-Transaktionen laufen typischerweise über eine Bank, können aber auch über Verbriefungsstrukturen (re-) finanziert werden. Typisch ist die Verbriefung von Forderungen, die ein Factoringunternehmen ankauft, sei es über eine Reverse-Factoring-Transaktion oder eine typische Factoring-Transaktion. In den im Markt etablierten Strukturen verkauft das Factoringunternehmen, die selbst angekauften Forderungen an eine Verbriefungszweckgesellschaft, die den Ankauf der Forderungen über den Kapitalmarkt (re-)finanziert, oft über sogenannte Asset-Backed Commercial-PaperProgramme, gegebenenfalls aber auch über längerfristige Schuldverschreibungen, Schuldscheindarlehen oder ähnliche Strukturen. Bei einer Verbriefung von FinetradingTransaktionen kann die Zwischenhandelsgesellschaft den Ankauf der Waren über einen Verkauf der Forderung gegenüber dem Kunden aus dem Weiterverkauf der Ware über eine Verbriefungszweckgesellschaft (re-)finanzieren. Alternativ kann die Finanzierung des Warenan- kaufs auch durch von der Verbriefungszweckgesellschaft an die Zwischenhandelsgesellschaft bereitgestelltes Fremdkapital erfolgen, wobei die Forderungen der Zwischenhandelsgesellschaft gegenüber dem Kunden der Verbriefungszweckgesellschaft als Sicherheit verpfändet oder sicherungshalber abgetreten werden. Zusätzliche Sicherheiten bestellt die Zwischenhandelsgesellschaft durch eine Abtretung ihrer Rechte aus ihrem verlängerten Eigentumsvorbehalt an den Waren. Besonders vorteilhaft bei der Verbriefung von Finetrading-Transaktionen ist in allen Varianten, dass die Verbriefungszweckgesellschaft sicher sein kann, dass die Zwischenhandelsgesellschaft Inhaberin der Waren und Forderungen ist, die über die Verbriefungsstruktur verbrieft werden, weil durch die Zwischenschaltung der Zwischenhandelsgesellschaft jegliche Form von Eigentumsvorbehalt der Lieferanten abgelöst wird. Der strukturellen Komplexität der Transaktion steht ein erhöhtes Maß an rechtlicher Sicherheit gegenüber, insbesondere hinsichtlich der sonst starken Eigentumsvorbehalte der Vor-Lieferanten. Fazit Ob als Käufer oder Verkäufer von Waren und Dienstleistungen: Unternehmenskunden können sich heutzutage aus einem breiten Portfolio von Anbietern wählen, die den Supply-Chain-Finance-Markt bedienen. Banken spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle als Anbieter von Factoring- und Reverse-Factoring-Lösungen. Indes wird nicht jede der hier vorgestellten Lösungen von allen Dienstleistern im gleichen Umfang angeboten. Dabei hängt es auch von regionalen und sektoralen Präferenzen ab, welche Produktvarianten den Markt jeweils dominieren. Supply-Chain-Finance-Strukturen werden sich weiter im Markt etablieren. Für Banken bieten sich in diesem Kontext vielfältige Geschäftsmöglichkeiten, u. a. in der Rolle als Vermittler, Finanzier, Investor, Infrastrukturanbieter oder in einer Kombination dieser Rollen. Welche Finanzierungsstrukturen in welchem Umfang zum Tragen kommen, wird auch wesentlich von der weiteren Entwicklung im regulatorischen Umfeld abhängen. ó Autor: Dr. Arne Klüwer, Rechtsanwalt und Partner, Clifford Chance Deutschland LLP, Frankfurt am Main. 10.2016 diebank 21 Regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen FINANZMARKTINTEGRATION Die Unternehmenskreditvergabe der europäischen Banken stagniert seit Jahren, während die Banken ihre Engagements in Staatsanleihen trotz negativer Renditen ausweiten. Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht die Kreditvergabe durch negative Einlagenzinsen und extreme Liquiditätsmaßnahmen zu beleben. Stattdessen führte die Geldpolitik aber nur zu einer noch höheren Nachfrage nach Staatsanleihen und zu noch niedrigeren Renditen darauf. Diese Fehlentwicklung liegt in der regulatorischen Bevorzugung von Staatsanleihen begründet und belastet in Verbindung mit der Niedrigzinspolitik die Profitabilität und den Eigenkapitalaufbau der Banken und darüber hinaus deren Kreditvergabe an Unternehmen. Markus Demary Keywords: Investment, Eigenkapital, Kreditvergabe Seit mehr als 40 Jahren zeigt sich ein Abwärtstrend bei den Zinsen. Zuerst sanken diese aufgrund sinkender Inflationsraten und aufgrund demografischer Effekte. In den letzten Jahren führten Krisenreaktionen, wie die Niedrigzinspolitiken der Zentralbanken, sowie Kriseneffekte, wie eine Flucht der Investoren in sichere Häfen, zu einem zusätzlichen Absinken der Zinsen. Zwar werden die Zinsen nie wieder das Niveau der 1970er- oder auch der 1980er-Jahre erreichen. Es besteht aber die Hoffnung, dass sie sich auf ein Niveau von rund drei Prozent normalisieren könnten, wenn die EZB aus ihrer Niedrigzinspolitik aussteigt. Groß ist diese Hoffnung allerdings nicht, denn anstelle eine Zinswende zeigt sich aktuell eher eine Fortführung des Abwärtstrends in den nun negativen Zinsbereich. Trotz negativer Renditen auf Staatsanleihen werden diese von den europäischen Banken stark nachgefragt. Gleichzeitig hat sich die Kreditvergabe an Unternehmen noch nicht erholt, obwohl diese rentierlicher als die Kreditvergabe an Staaten wäre. Wie dieser Beitrag zeigen 22 diebank 10.2016 wird, führt die regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen gegenüber Unternehmenskrediten zu einer verzerrten Anlageentscheidung der Banken, welche durch die Niedrigzinspolitik noch verschärft wird. Das Resultat wird eine andauernde Niedrig- bzw. Negativzinsphase mit stagnierender Kreditvergabe sein. Stagnierende Kreditvergabe trotz expansiver Geldpolitik Die zwei letzten großen Bankenkrisen, die durch das Platzen von Immobilienblasen in den USA, Irland und Spanien und anschließend durch drohende Staatsinsolvenzen im Euroraum ausgelöst wurden, trafen die europäischen Banken hart. Im Nachgang der Krisen wurden u. a. die Mindestanforderungen an das Eigenkapital verschärft, sodass die Banken nicht nur Eigenkapitalverluste aus den Krisen ausgleichen, sondern auch zusätzliches Eigenkapital aufbauen mussten. Für die Erhöhung der regulatorischen Eigenkapitalquote haben die Banken drei Möglichkeiten. Zum einen können sie Aktien emittieren oder Gesellschafteranteile erhöhen. Durch die beiden Krisen haben die Aktienkurse der europäischen Banken allerdings stark gelitten, sodass die Kapitalbeschaffung auf diesem Weg für die meisten Banken nicht infrage kommt. Der zweite mögliche Weg besteht in der Einbehaltung von Gewinnen. Die Profitabilität der europäischen Banken hat aber durch die Krisen ebenfalls gelitten und hat für viele bisher nicht wieder zum Vorkrisendurchschnitt zurückgefunden. Die dritte Möglichkeit der Rekapitalisierung besteht in der Verringerung der Risikoaktiva, d. h. in einer restriktiven Kreditvergabe. Während die Risikogewichte für Unternehmenskredite aber mit dem Kreditrisiko ansteigen, hat das Risikogewicht für europäische Staatsanleihen den Wert Null. Die EZB hat Maßnahmen implementiert, um die Kreditvergabe wiederzubeleben. Ihre umfangreichen Liquiditätsmaßnahmen sind teilweise sogar mit Konditionen an die Kreditvergabe verbunden. Zudem erhebt sie Negativzinsen auf die Einlagen der Banken. Trotz dieser massiven Maßnahmen konnte die EZB die Kreditvergabe bisher nicht wiederbeleben, heizte aber die Nachfrage nach Staatsanleihen an ” 1. Dieser Effekt liegt darin begründet, dass die EZB die Bankkreditvergabe nur durch Senkung der Refinanzierungskos- ten oder durch eine Zuführung von Zentralbankliquidität fördern kann. Tatsache ist aber, dass nicht zu hohe Finanzierungskosten oder ein Mangel an Zentralbankliquidität die Kreditvergabe bremsen, sondern dass knappes Eigenkapital den Engpassfaktor für die Kreditvergabe darstellt. Hieran kann die EZB mit ihren geldpolitischen Maßnahmen nichts ändern. Solange die Banken im Prozess des Eigenkapitalaufbaus sind, wird die Kreditvergabe nur langsam steigen. Die EZB kann diese Situation aber mit ihren Maßnahmen verschlimmern, denn die Niedrigzinspolitik führt in Kombination mit der regulatorischen Bevorzugung von Staatsanleihen zu einer Verzerrung der Anlageentscheidungen der Banken. Verzerrte Anlageentscheidung durch Regulierung Da der Eigenkapitalaufbau der Banken aktuell die Kreditvergabe begrenzt, muss die Zentralbankliquidität auf einem anderen Weg von den Banken angelegt werden. Den Kreditinstituten bleibt nur die Wahl, diese als Guthaben bei der EZB zu halten oder diese Mittel in Staatsanleihen zu investieren. Da die europäische Bankenregulierung den Banken für den Erwerb von Staatsanleihen keine Eigenkapitalunterlegung vorschreibt, stellen Staatsanleihen ein Substitut zu den Guthaben bei der EZB dar. Dies erklärt nun auch, warum die Banken in Staatsanleihen mit negativer Rendite investieren. Da sie auf Guthaben bei der EZB einen Strafzins von -0,4 Prozent zahlen müssen, ist es für sie das kleinere Übel, in Staatsanleihen zu investieren, die weniger negativ rentieren. Es sind aber nicht nur die Geldpolitik und die fehlende Eigenkapitalunterlegungspflicht, die zu einer hohen Nachfrage nach Staatsanleihen führen. Um die Liquidity Coverage Ratio (LCR) zu erfüllen, fragen Banken ebenfalls Staatsanleihen nach, da diese in der Bankenregulierung als liquider im Vergleich zu Unternehmensanleihen gelten. Das Niedrigzinsumfeld erodiert das Zinsergebnis der Banken In Zeiten knappen Eigenkapitals vergeben die europäischen Banken nur vor- sichtig Kredite an Unternehmen. Damit entgehen den Banken aber die Zinseinnahmen aus der Kreditvergabe, wodurch ihre gesamten Zinseinnahmen abhängiger von der Entwicklung der Renditen auf Staatsanleihen werden. Bei sinkenden Renditen auf Staatsanleihen sinken die Zinseinnahmen der Banken stärker als ihre Zinsaufwendungen. Denn eine einzelne Bank kann den Zins auf Kundeneinlagen nicht beliebig senken, da sie sich mit anderen Banken in einem starken Wettbewerb um Kundeneinlagen befindet. Den aktuell negativen EZB-Zins können die Banken somit nur schwer an ihre Kunden weitergeben. Ein sinkendes Zinsergebnis erodiert damit die Gewinne der Banken und erschwert ihnen den Eigenkapitalaufbau. Negative Effekte auf die Kreditvergabe Über ihren negativen Effekt auf die Gewinne der Banken belasten die Negativzinsen der EZB sowie die negativen Renditen auf Staatsanleihen die Kreditvergabe der europäischen Banken. Dies legen auch Ergebnisse des IW-Bankenmo10.2016 diebank 23 Rückführung ihrer Risikoaktiva erreicht haben, durch den Bestand an notleidenden Krediten in ihren Bilanzen und eben durch ihre Profitabilität. Da die negativen Zinsen die Profitabilität belasten und damit den Eigenkapital- nitors aus dem Jahr 2015 nahe. Bei den 80 größten Banken des Euroraums war die Kreditvergabe vor allem durch drei Einflussfaktoren bestimmt. Zum einen durch die Erhöhung der Eigenkapitalquoten, welche viele Banken durch eine 1 Kreditvergabe an Unternehmen und Engagements der Banken in Staatsanleihen Wachstumsraten, in Prozent pro Jahr 14,0 12,0 12,0 10,0 9,7 8,0 6,8 6,7 6,0 5,5 5,3 4,0 4,6 2,0 0,0 2004-2006 -2,0 2007-2009 -0,7 2010-2012 2013-2014 -0,2 2015-2016 -3,9 -4,0 -6,0 Staatsanleihen Unternehmenskredite aufbau der Banken behindern, reagieren die Banken über eine noch stärkere Rückführung ihrer Risikoaktiva auf den Negativzins. Am stärksten ist hiervon die Langfristkreditvergabe betroffen. Denn die langfristige Kreditvergabe zu einem Festzins ist bei dem aktuell sehr niedrigen Zinsniveau wenig profitabel. Die regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen ist nicht nur deshalb problematisch, weil sie die Anlageentscheidungen der Banken verzerrt und damit die Vergabe von Krediten an Unternehmen belastet. Die Kombination aus Regulierung und Niedrigzinsumfeld kann schnell in eine Abwärtsspirale führen. So führt die künstlich hohe Nachfrage nach Staatsanleihen zu noch stärker negativen Renditen. Das senkt die Profitabilität der Banken weiter und erschwert ihren Eigenkapitalaufbau, worauf die Banken mit einer noch restriktiveren Kreditvergabe reagieren werden. Dies führt dann wiederum zu einer höheren Nachfrage nach Staatsanleihen und darüber zu noch niedrigeren Zinsen. Quelle: Europäische Zentralbank, eigene Berechnung. Bevorzugung von Staatsanleihen erhöht die Risiken für Banken 2 Home Bias bei Staatsanleihen in den Bankbilanzen Anteil des Werts der heimischen Staatsanleihen in Relation zum Wert des gesamten Staatsanleihen-Portfolios in Prozent Euro-Kern: AT, BE, DE, FI, FR, LU, NL — Euro-Peripherie: ES, GR, IE, IT, PT 100,0 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 9- 9 19 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 01 002 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Euro-Kern Euro-Peripherie -6 6 6 8- 9 19 00 20 20 Quelle: Europäische Zentralbank, eigene Berechnung. 24 diebank 10.2016 Die regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen hat zudem einen negativen Einfluss auf die Stabilität der Banken, denn sie macht sie anfälliger für Staatsschuldenkrisen. Die Schuldenquoten der Staaten sind nur bei den ohnehin bonitätsstarken Staaten – wie beispielsweise Deutschland – rückläufig. In den hochverschuldeten Ländern des Euroraums hat ein Schuldenabbau bisher trotz niedriger staatlicher Finanzierungskosten nicht stattgefunden. Die Anfälligkeit der Banken für Staatsschuldenkrisen ist vor allem ein europäisches Phänomen. Das zeigt ein Vergleich der Staatsschuldenkrisen von Griechenland und von Puerto Rico. Beide Länder sind Teil einer Währungsunion, haben ein ähnlich hohes BIP pro Kopf und eine ähnlich hohe Staatsschuldenquote. Während die griechische Staatsschuldenkrise und die damit verbundenen Schuldenschnitte für die europäischen Banken problematisch waren, ist die Schuldenkrise Puerto Ricos für die US-amerikanischen Banken ebenso verkraftbar, wie die staatlichen Insolvenzen von Kalifornien und Detroit. Der Grund liegt darin, dass die US-amerikanischen Banken keine Konzentrationsrisiken in ihren Staatsanleihen-Portfolien aufweisen, sodass sich bei einer Schuldenkrise auffangbare Verluste über viele Banken verteilen und nicht große Verluste für einige wenige Banken anfallen. Ein Grund für die starke Diversifikation der US-amerikanischen Banken ist, dass diese in der Vergangenheit gelernt haben, dass es keine Rettung einzelner Bundesstaaten geben wird. Die Banken des Euroraums haben nun aber begriffen, dass eine Rettung angeschlagener Staaten durchaus möglich ist. Eigentlich wäre damit zu rechnen gewesen, dass die Lehre aus der europäischen Staatsschuldenkrise eine stärkere geografische Diversifikation der Anleiheportfolien ist. Stattdessen haben die Banken ihre Engagements bezüglich den Staatsschulden ihres Heimatstaats sogar noch verstärkt ” 2. Traditionell ist dieser Home Bias bei den Banken der Peripherieländer stärker ausgebaut als bei den Banken im Rest des Euro-Raums. Dies mag teilweise auch auf politischen Druck ihres Heimatstaats zurückzuführen sein. Der Home Bias ist im Zug der europäischen Staatsschuldenkrise aber sowohl bei den Banken der Peripherieländer als auch bei denen im restlichen Euro-Raum angestiegen. Bei letzteren spiegelt sich eine Flucht in sichere Häfen wider. So führt der Anstieg des Home Bias zu einem Rückgang der Finanzmarktintegration und macht den Euro-Raum anfälliger gegenüber Bankenkrisen, die aus einer Staatsschuldenkrise resultieren. Die starke Verbindung von Banken und Staaten kann entweder dadurch gelockert werden, dass Banken ihre Anleiheportfolien stärker geografisch diversifizieren, oder aber dadurch, dass Banken weniger stark an Staaten und mehr an Unternehmen verleihen. Beide Lösungswege machen eine Reform der Bankenregulierung erforderlich. Förderlich für die Stabilität des europäischen Bankensektors wäre, dass Staatsanleihen genauso wie Unternehmensanleihen oder Unternehmenskredite in Relation zum Ausfallrisiko mit Eigenkapital unterlegt werden müssten. Die bisherige Bankenregulierung sieht noch weiter verstärken. Zudem befördert dies einen Teufelskreis. Denn die Niedrigzinsen belasten die Gewinne der Banken, was deren Eigenkapitalaufbau und darüber deren Kreditvergabe beeinflusst. Bei einer schleppenden Kreditvergabe kann sich aber keine Normalisierung der Inflationsrate einstellen, sodass die EZB ihre geldpolitischen Maßnahmen aufrechterhalten oder auch verstärken muss. Dies führt wiederum zu einer noch höheren Nachfrage nach Staatsanleihen, was deren Renditen weiter senkt. fl Die regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen ist deshalb problematisch, weil sie die Anlageentscheidungen der Banken verzerrt und damit die Vergabe von Krediten an Unternehmen belastet. bei Unternehmenskrediten eine Großkreditbeschränkung vor, bei der eine Bank maximal bis zur Höhe von 25 Prozent des Eigenkapitals an einen einzelnen Schuldner verleihen darf. Diese Großkreditbeschränkung sollte auch für Staatsanleihen gelten, um Konzentrationsrisiken einzudämmen. Fazit Ohne eine Reform der regulatorischen Behandlung von Staatsanleihen ist ein Ende der Niedrigzinsphase nur schwer absehbar. Solange die Inflationsrate weit unterhalb des Inflationsziels der EZB von unter, aber nahe zwei Prozent liegt, wird diese ihre Geldpolitik fortführen. Dabei wird sie versuchen, über Negativzinsen und Liquiditätsmaßnahmen die Kreditvergabe der Banken weiter anzustoßen. Solange sich die Banken aber in einem Prozess des Eigenkapitalaufbaus befinden, werden sie ihre Kreditvergabe nur zögerlich ausweiten und stattdessen ihre Engagements in Staatsanleihen ausbauen, die weniger stark negativ als der Einlagensatz der EZB rentieren. Diese künstlich hohe Nachfrage nach Staatsanleihen wird das bisherige Niedrigzinsumfeld Schnell wird eine Situation erreicht, in der der EZB kaum noch zulässige Anleihen für ihr Kaufprogramm zur Verfügung stehen. Womöglich wird dann der Ruf nach einer höheren Staatsverschuldung laut. Dies kann aber nicht die Lösung der bestehenden Probleme sein. Eine Normalisierung von Zinsniveau, Inflationsrate und Wirtschaftswachstum kann nur über eine Normalisierung der Kreditvergabe an Unternehmen erreicht werden. Dies setzt voraus, dass die Kreditvergabe an Unternehmen und Staaten in der Bankenregulierung gleichgestellt werden und dass die Eigenkapitalanforderungen sich ausschließlich an den Ausfallrisiken der Engagements orientieren. Wichtig ist, dass die Regulierung den Banken eine höhere Profitabilität erlaubt und so den Banken den Aufbau von Eigenkapital erleichtert, was wiederum unabdinglich für die Normalisierung der Kreditvergabe ist. ó Autor: Dr. Markus Demary ist Senior Economist im Kompetenzfeld Finanz- und Immobilienmärkte im Institut der deutschen Wirtschaft Köln. 10.2016 diebank 25 Refinanzierung von FinTechs VERBRIEFUNG UND STRUCTURED FINANCE Nahezu alle FinTech-Unternehmen starten ihren Geschäftsbetrieb mit einer reinen Equity-Finanzierung und durchlaufen die klassischen Finanzierungsrunden. Nur wenigen Start-ups gelingt es aber, rechtzeitig ein ertragreiches Geschäftsmodell zu betreiben, bevor das Eigenkapital vollständig aufgebraucht ist. In jüngerer Zeit beteiligen sich nun auch vermehrt Banken sowohl in der Seedphase als auch bei späteren Finanzierungsrunden am Eigenkapital von FinTechs. Der vorliegende Beitrag untersucht, welche Möglichkeiten sich FinTech-Unternehmen aktuell zur mittel- und längerfristigen Finanzierung bieten. Dietmar Helms | Michael F. Spitz Keywords: Unternehmensfinanzierung, Digitalisierung Eine klare Definition des Begriffs FinTech existiert bisher nicht. Als Kombination aus den Worten Financial Services und Technology versteht man unter FinTechs gemeinhin junge Unternehmen, die mithilfe technologiebasierter Systeme spezialisierte und besonders kundenorientierte Finanzdienstleistungen anbieten. Sie verbindet die Zielsetzung, mit moderner Technologie und höherer Nutzerfreundlichkeit Bank- und Finanzdienstleistungen einschneidend zu verändern. Die neuen Möglichkeiten, die Big Data, Cloud-Technologie und Distributed Ledger-Technologien bieten, sollen auf Smartphones und anderen mobilen Geräten eine einfachere, intuitivere Bedienung sowie radikal schnellere Prozesse ermöglichen. Damit enden die Gemeinsamkeiten aber auch: die Bandbreite der einzelnen Geschäftsmodelle deckt sehr unterschiedliche Bereiche ab, etwa die Abwicklung von Zahlungsdienstleistungen (grenzüberschreitende Überweisungen, wie sie z. B. TransferWise erbringt), Robo Advice (z. B. automatisierte, durch Algorythmen gesteuerte Verwaltung eines Wertpapierdepots durch Unternehmen wie Ginmon), Kryptowährungen, Finanzierungen und Kreditvergabe an 26 diebank 10.2016 Konsumenten für den Erwerb von Immobilien und Unternehmen. Beschränken sich einige FinTechs auf einzelne Service-Dienstleistungen (z. B. ein Video-basiertes Identifizierungsverfahren durch die Unternehmen WebID und IDnow, die die umständliche, zeitaufwendige Identifikation bei einer Kontoeröffnung durch das Post-Identverfahren vereinfachen und beschleunigen), treten andere FinTechs am Endkundenmarkt mit Full-Service-Dienstleistungen auf. So vielfältig die Geschäftsmodelle der FinTechs sind, so unterschiedlich stellt sich auch ihr Finanzierungsbedarf dar. Dieser Beitrag beschränkt sich daher notwendigerweise auf die FinTech-Unternehmen, für die strukturierte Finanzierungen bzw. Verbriefungstransaktionen von besonderer Bedeutung sind bzw. sein werden ” 1. Start meist mit Eigenkapital Praktisch alle FinTech-Unternehmen starten ihren Geschäftsbetrieb mit einer reinen Equity-Finanzierung und durchlaufen die klassischen Finanzierungsrunden. Die Gründungsphase (Seed) stützt sich auf die Kapitalbeiträge der Gründungsgesellschafter. Daneben beteiligen sich Bekannte und Familienangehörige (Friends & Family) an dem jungen Unternehmen. Überzeugt die Geschäftsidee externe Kapitalgeber, z. B. im Rahmen eines Gründerwettbewerbs, beteiligen sich viel- leicht schon sehr früh sogenannte SeedInvestoren bzw. lokale Inkubatoren, die dem Start-up damit bereits einen wichtigen Vertrauensbeweis für später folgende Finanzierungsrunden aussprechen. Daneben gelingt es manchen Neugründungen, öffentliche Preis- bzw. Fördergelder zur Finanzierung zu gewinnen. Die frühe Anlaufphase ist für die Eigenkapitalgeber mit einem hohen Risiko verbunden. Nur wenigen Start-ups gelingt es, rechtzeitig ein so ertragreiches Geschäftsmodell zu betreiben, bevor das Eigenkapital vollständig verbraucht ist. Die Suche nach Finanzierungsalternativen Gelingt hingegen die Umsetzung der Geschäftsidee und der Aufbau eines für größere Investoren interessanten und nachgewiesenen Geschäftsmodells, beteiligen sich in der darauffolgenden Wachstumsphase Venture-Capital-Investoren, die bei dem inzwischen mittleren bis geringen Geschäftsrisiko eine höhere Unternehmensbewertung akzeptieren. In jüngerer Zeit beteiligen sich nun auch vermehrt Banken sowohl in der Seedphase als auch bei späteren Finanzierungsrunden am Eigenkapital von FinTechs. Zunächst standen sie deren Aufstreben skeptisch gegenüber; inzwischen haben viele größere Bankinstitute eine Digitalisierungsstrategie entwickelt, die vor allem neue Denk- anstöße zur Modernisierung von Geschäftsmodellen in den Fokus nehmen. Auch in dieser etwas reiferen Phase gelingt es aber immer noch sehr wenigen FinTechs, neben der reinen Eigenkapitalfinanzierung andere Finanzierungsalternativen zu erschließen, obwohl das Unternehmenswachstum mit stark zunehmendem Kapitalbedarf einhergeht: die Mitarbeiter- und Marketingkosten steigen. Für einen klassischen Bankkredit sind die Unternehmen oft noch zu jung; Banken scheuen häufig das Ausfallrisiko, das mit der geringen Historie verbunden ist. Allenfalls Venture-Debt-Finanzierer stehen zur Verfügung, mit hochverzinsten Darlehen weitere Anschubfinanzierungen bereitzustellen. Besonders kritisch ist die rechtzeitige Umstellung auf geeignete Fremdkapitalfinanzierungen für FinTechs, die OnlineDarlehen an Konsumenten und Kleinunternehmen vergeben bzw. vermitteln. Viele Plattformen beginnen mit dem Einwerben von Geld bei Privatinvestoren (sog. Crowdlending bzw. Peer-To-Peer). In begrenztem Umfang mag dieses Geschäftsmodell als reine Vermittlungsplattform ohne nennenswerten eigenen Kapitaleinsatz funktionieren, solange hinreichend viele Crowdlending-Investoren angeworben können, deren Investments sich durch die Kreditplattform an Darlehensnehmer vermitteln lassen. Bekannte Plattformen in Deutschland sind etwa Auxmoney, Lendico und FundingCircle, die dieses Geschäftsmodell praktizieren. Aber bislang ist die Zahl dieser CrowdlendingInvestoren begrenzt und erlaubt der Plattform regelmäßig nicht, im angestrebten Umfang das Volumen der ausgereichten Kredite zu skalieren. Um die Kreditnachfrage zu erfüllen, bedienen sich die Plattformen in der Regel immer stärker auch institutioneller Investoren. Noch dringender ist der Zugang zu Fremdkapital-Refinanzierungen für die Balance Sheet Lender, wie z. B. das Hamburger Unternehmen Kreditech oder das in London ansässige Iwoca, die selbst Darlehen vergeben und nicht nur als Vermittler zwischen Investoren und Darlehensnehmern auftreten. Verbriefung der Kreditforderung In der anhaltenden Niedrigzinsphase finden sich jedoch zunehmend institutionelle Investoren und Family Offices, die großvolumigere Anlagen über die etablierten Marketplace Lender tätigen. Der vergleichsweise hohe Zinssatz, den die Plattformen für die vermittelten Kredite (abhängig von der Risikoklasse) verlangen, erlaubt ihnen, auch nach Abzug der eintretenden Ausfälle von Kreditnehmern, eine interessante Zinsmarge zu verdienen. Aufgrund der Granularität der Portfolien und des standardisierten Geschäftsmodells der Plattformen bietet sich daneben die Verbriefung der Kreditforderung von Zopa haben alle Newcomer ihre Kreditvergabe in einem günstigen wirtschaftlichen Marktumfeld begonnen. Echte Belastungsproben während einer Rezession bzw. Wirtschaftskrise sind noch ausgeblieben. Daher ist noch nicht hinreichend getestet worden, wie stabil die Ausfallraten ihrer Kreditportfolien in echten Stressszenarien sein werden. Schlüsselfaktor für die erfolgreiche Entwicklung dieser Assetklasse ist vor allem der Aufbau von Vertrauen in die Kreditvergabeprozesse. Diskussionen um Unregelmäßigkeiten bei einem US-Marktführer haben jedoch augenblicklich zu einer Verunsicherung in diesem Marktsegment geführt. Strukturell erinnert das Geschäftsmodell einiger Marktteilnehmer an die fatalen Entwicklungen im Subprime-US-Hypothekenmarkt, der vor zehn Jahren in eine weltweite Finanzkrise mündete: Auch die Marketplace Len- fl Bislang ist die Zahl dieser Crowdlending-Investoren begrenzt und erlaubt der Plattform nicht, im angestrebten Umfang das Volumen der ausgereichten Kredite zu skalieren. als Finanzierungsalternative an. Zunächst geschieht dies häufig durch nicht öffentliche, privat platzierte Transaktionen. Öffentliche Verbriefungen sind hingegen im europäischen Kapitalmarkt – anders als in den USA – noch rar: Nur FundingCircle ist bislang mit einer öffentlichen, gerateten Verbriefungstransaktion in England an den Markt gegangen. Obgleich einige Verbriefungen in Deutschland privat platziert wurden und weitere in Vorbereitung sind, gab es bisher keine öffentlich angebotene Verbriefung. Bislang ist die Zahl der Investoren, die in diese Verbriefungstransaktionen investieren, noch überschaubar. Die Anlageklasse ist neu und die meisten durch Marketplace Lender originierten Darlehen haben noch keinen vollständigen Kreditzyklus durchlaufen. Mit Ausnahme der werden nur durch „skin in the game“ einen Gleichlauf ihrer Interessen an einem raschen Geschäftswachstum mit dem Sicherheitsbedürfnis ihrer Eigenund Fremdkapitalinvestoren erreichen. Sollen sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, sind strukturell vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich. Diese können zum einen am Intensivierungsmodell ansetzen, etwa wenn die Plattform ihre Vermittlungsprovision ausschließlich bei Performing Loans verdient und nicht dazu verleitet, alleine umsatzgetrieben die Provisionen zu vergrößern. Zum anderen aber auch durch das Erfordernis eines echten Risikoeinbehalts (Risk Retention), mit der die Plattform entsprechend den CRR-Regelungen an den Ausfallrisiken unmittelbar beteiligt wird. Sollten die Marketplace Lender 10.2016 diebank 27 bei Verbriefungstransaktionen gezwungen werden, selbst einen Risikoeinbehalt von fünf Prozent der verbrieften Portfolien zurückzubehalten, so wird dies insbesondere die rein vermittlungsbasierten Geschäftsmodelle empfindlich treffen und ihr Wachstum signifikant abbremsen. Bislang erlaubten die Risk-Retention-Regeln noch eine gewisse Flexibilität, durch die auch Drittparteien anstelle der Marketplace Lender den Risikoeinbehalt übernehmen könnten. Was aus Investorensicht eigentlich ausreichend erschien, um einen Interessengleichlauf sicherzustellen, soll nach den im Rahmen der sogenannten STS-Verbriefungen vorgelegten Entwürfen bald nicht mehr zulässig sein. Sofern diese Regelungen in Kraft treten, müssten die Marketplace Lender schrittweise mit anwachsendem Kreditportfolio ihre eigene Kapitalausstattung erhöhen, um den geforderten Selbstbehalt finanzieren zu können. Verbriefungsähnliche SPV-Lösungen Der Refinanzierungsbedarf der Marketplace Lender und die interessanten Renditen, die sich für institutionelle Kapitalanleger mit diesen Portfolien bieten, führte zuletzt dazu, dass sich Investoren selbst Anlagevehikel geschaffen haben, um in Marketplace-Plattformen direkt oder indirekt anzulegen. Strukturieren lassen sich diese Plattformen alternativ als verbriefungsähnliche SPV-Lösungen oder als Fondsstrukturen. So können beispielsweise für Pensionskassen und Versorgungswerke maßgeschneiderte Anlageprodukte angeboten werden, die diesen unter den geltenden regulatorischen Anforderungen den richtigen Rendite-Risikomix bieten. Es ist damit zu rechnen, dass auch die großen Marketplace Lender, die sehr bald als Frequent Issuer am Verbriefungsmarkt etabliert sein werden (wie dies in den USA bereits zu sehen ist), alternativ ebenfalls Refinanzierungen über diese Fondsstrukturen abrufen werden, um sich damit alternative und günstige Finanzierungsquellen zu erschließen. Fazit und Ausblick Kreditinstitute insbesondere disruptiv eingreifen wollen, und wir sehen immer häufiger wechselseitige Abhängigkeiten und Partnerschaften. In Europa konnten sich MarketplaceLending-Plattformen insbesondere in Großbritannien sehr schnell entwickeln, die anderen europäischen Länder haben inzwischen teilweise nachgezogen. Die Auswirkungen des EU-Referendums in Großbritannien und die Verunsicherung durch jüngste Unregelmäßigkeiten bei einem US-Anbieter in diesem Marktsegment müssen allerdings noch abgewartet werden. Nicht zuletzt deshalb werden Investoren die Sicherheitsvorzüge von Structured-Finance-Transaktionen und Verbriefungen für ihre Investitionsentscheidungen in dieser Assetklasse verlangen. Kreditinstitute werden hier als Dienstleister, Investor und zum Teil Initiator eine wichtige Rolle spielen. ó Verbriefung und Structured Finance stellen für die noch junge Assetklasse FinTech und insbesondere Marketplace-Lending-Plattformen einen wesentlichen Finanzierungs-Baustein für das Wachstum ihrer Geschäftsmodelle dar. Vorbei scheint die Zeit zu sein, in der FinTechs in die Geschäftsmodelle der etablierten Autoren: Dr. Dietmar Helms, Rechtsanwalt bei Hogan Lovells International LLP und Michael F. Spitz, Direktor, Corporates & Markets bei Commerzbank AG in Frankfurt am Main. 1 Finanzierungsformen für digitale Finanzunternehmen Gründung (Seed) Anlauf (Start-up) Hohes Risiko Wachstum (Growth) Mittleres/Geringes Risiko Bewiesenes Geschäftsmodell Verkauf (Exit) Etabliertes Unternehmen Friends & Family Venture-Capital-Investoren Kapitalintensive Phase mit wenig Finanzierungsangebot Kapitalmarkt Seed-Investoren Structured Finance (Bank)-Kredite Lokale Inkubatoren Verbriefung Preis-/Fördergelder Quelle: IE.F/Roland Berger: Deutschland digital – Sieben Schritte in die Zukunft (2016). 28 diebank 10.2016 IHR PLUS AN KARRIERE Sie möchten Ihre Kompetenz in einem modernen Unternehmen einbringen? Sie möchten sich nicht nur beruflich, sondern auch persönlich weiterentwickeln? Dann nutzen Sie die Chance einer Karriere bei der R+V Versicherung. 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Anforderungen: – Sie haben Ihre Ausbildung zum Bankkaufmann (m/w) erfolgreich abgeschlossen und verfügen zudem über fundierte Erfahrung im Firmenkreditgeschäft und im Avalgeschäft der Kreditversicherer. – Sie haben ein betriebswirtschaftliches Studium absolviert. – Darüber hinaus verfügen Sie über eine ausgeprägte Vertriebsorientierung. – In jedem Fall kennen Sie sich bestens im technischen Bereich der Bürokommunikation aus, einschließlich moderner EDV. – Ihr analytischer und konzeptioneller Arbeitsstil ist geprägt von großer Sorgfalt sowie einer ausgeprägten Dienstleistungsorientierung. – Als kommunikationsstarker Teamplayer glänzen Sie mit Organisationsgeschick, Sozialkompetenz und einem jederzeit souveränen Auftreten. Interessiert? Dann werden Sie Teil eines starken Teams. Bitte bewerben Sie sich direkt online auf unserer Karriereseite unter www.jobs.ruv.de Referenzcode 11832 R+V Allgemeine Versicherung AG Recruiting Center Tel. 0611 533-5210 www.ruv.de 10.2016 diebank 29 Kreditvergabe jenseits von Banken MARKTENTWICKLUNG UND ANWENDUNGSFELDER Die anhaltende Niedrigzinsphase und die zunehmende Regulierung von Banken bieten Chancen für alternative Kreditgeber. Im Vereinigten Königreich ist die Kreditvergabe über Fonds oder andere Investmentvehikel seit langem etabliert. In Deutschland dagegen haben es Kreditfonds aufgrund des Bankenprivilegs und der mangelnden Vertrautheit der Investoren mit der Anlage in Private Debt nach wie vor schwer. Dieser Beitrag liefert einen Überblick über die aktuelle Entwicklung. Nick Wittek Keywords: Finanzierung, alternative Anlagen, Asset Sourcing Im Leveraged-Finance-Bereich konnten sich Kreditfonds seit 2014 einen Marktanteil von 25 Prozent erarbeiten. Auch im Bereich Immobilien- und Infrastrukturfinanzierung beginnen sie, sich zu etablieren. Am 12. Mai 2015 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ihre Verwaltungspraxis geändert, sodass nun bestimmten regulierten Fonds in begrenztem Umfang die Kreditvergabe erlaubt ist.1 Der Gesetzgeber hat dies im Rahmen des OGAV V Umsetzungsgesetzes,2 das zum 18. März 2016 in Kraft getreten ist, in Gesetzesform gegossen. Zudem wurde die Anlageverordnung angepasst, mit dem Ziel, die Anlage in Kreditfonds zu ermöglichen. Gleichzeitig ist zum 1. Januar 2016 Solvency II in Kraft getreten, womit sich die Möglichkeit der Anlage in neue Anlageklassen (einschließlich Kreditfonds) eröffnet. Es stellt sich die Frage wie der Markt auf diese Veränderungen bisher reagiert hat? Die Treiber Aufgrund des derzeit bestehenden Niedringzinsumfelds sind institutionelle Investoren, d. h. Versicherungen, Pensionskassen und Versorgungswerke, verstärkt 30 diebank 10.2016 unter Anlagedruck. Infolge der hohen Nachfrage und der massiven Markteingriffe der Zentralbanken sind Renditen für erstklassige Anleihen abgeschmolzen und haben zu hoher Volatilität an den Aktienmärkten geführt. Die Korrelation dieser beiden Asset-Klassen ist gestiegen, sodass die Vorteile der Diversifikation schwinden. Institutionelle Investoren suchen daher verstärkt nach alternativen Anlagen, die eine möglichst geringe oder sogar negative Korrelation aufweisen. Gleichzeitig inzentiviert Solvency II langlaufende Anlageformen und privilegiert Debt-Investments gegenüber Aktien. Auf der Bankenseite führen geänderte Eigenkapitalanforderungen und Liquiditätsvorschriften dazu, dass sich Banken auf bonitätsstarke Unternehmen sowie Senior-Finanzierungen konzentrieren. Dies führt zu Finanzierungslücken für kleine und bonitätsschwächere Unternehmen sowie im Bereich der Mezzanine Finanzierungen. Die Bankenregulatorik favorisiert kurzfristige Finanzierungen; Banken ziehen sich daher aus dem Bereich der langfristigen Finanzierungen, wie sie insbesondere im Immobilien- und im Infrastrukturbereich üblich sind, zurück. Darlehensnehmer sehen sich – zum Teil gezwungenermaßen, aber auch um den Fi- nanzierungsmix zu stärken und bankenunabhängiger zu werden – vermehrt nach alternativen Finanzierungsformen um. Hinzu kommt im M&A-Bereich die Konkurrenz von strategischen Investoren um potenzielle Targets, sodass sich zahlreiche Private Equity Fonds ein zweites Standbein im Bereich der Private-Debt-Investments aufgebaut haben. Marktentwicklung In die skizzierten Lücken stoßen institutionelle Investoren vor. Sie engagieren sich zunehmend sowohl direkt als Darlehensgeber, entweder allein oder als Teil des Darlehenskonsortiums, als auch indirekt über Fonds und andere Investmentvehikel. Die größeren Marktteilnehmer treten häufiger direkt als Darlehensgeber auf und entwickeln eigene Fondsplattformen für indirekte Private-Debt-Investitionen mit getrennten Fonds für Unternehmens-, Immobilien- und Infrastrukturfinanzierungen. Dies geht einher mit dem Aufbau von internem Know-how und Spezialisten für die jeweiligen Asset-Klassen. Andere Marktteilnehmer, insbesondere mittlere und kleinere Pensionskassen und Versicherungen, sind eher als Teil des Finanzierungskonsortiums zu finden oder schließen sich mit Banken zu Kooperationen zusammen. So können instituti- onelle Investoren auf das bestehende Know-how der Banken für bestimmte Asset-Klassen, z. B. im Infrastrukturbereich, zugreifen und sich den Zugang zum Darlehensmarkt erschließen. Im aktuellen Umfeld sind für alle Asset-Klassen interessante Finanzierungsobjekte rar und das Asset Sourcing ein Thema, insbesondere für neue Marktteilnehmer. Die Banken profitieren von der Kooperation, weil sie größere Volumina finanzieren können. Kleinere und mittlere Versicherungen bedienen sich auch gern eines standardisierten Plattformanbieters, der verschiedene Asset Manager anbinden kann. Durch die Auswahl der Asset Manager können sie auf lokale Marktkenntnis und Finanzierungsstrukturen zugreifen. Dies ermöglicht ein Investment auch außerhalb Deutschlands. Marktentwicklungen in einzelnen Asset-Klassen Im übrigen sind die Marktentwicklungen je nach Asset-Klasse unterschiedlich: Bei Immobilienfinanzierungen macht sich die Kreditvergabe jenseits der Banken am stärksten bemerkbar. Die Investoren versprechen sich attraktive Spreads und schätzen die geringe Korrelation mit anderen Anlageklassen sowie die mit der stabilen Wertentwicklung über alle Marktzyklen einhergehende risikoreduzierende Wirkung. Zudem bieten Immobilienfinanzierungen gegenüber dem Direkterwerb zahlreiche Vorteile. Direktinvestitionen binden erfahrungsgemäß überproportional viele Ressourcen für Ankauf, Instandhaltung, Vermietung und Management vor Ort. Im Gegensatz dazu verbindet die Immobilienfinanzierung die Immobilie als bekannte Anlageklasse mit den Vorteilen von stabilen und planbaren Zahlungsströmen. Im Bereich der Unternehmensfinanzierung, insbesondere im Leverage Buy Out, hat sich Private Debt nachhaltig etabliert. So haben Erstversicherer derzeit zusammen rund 10 Mrd. € an Unternehmen verliehen. Ausweislich des Mid-Cap-Moni- tors des Finanzierungsberaters Altium haben die Kreditfonds ihre starke Marktstellung mit 25 Prozent Marktanteil in Deutschland konsolidiert. Mit innovativen Angeboten, die anscheinend den Nerv vieler PE-Häuser treffen, haben sie bei Darlehensnehmern Boden gut gemacht. Sie dominieren vor allem bei Unitranche-Finanzierungen, bei der Senior und Mezzanine Debt in einer einzigen Darlehenstranche kombiniert angeboten werden. Darlehensnehmer nutzen die Vorteile der Kreditfonds. Die Dokumentation ist schlanker, die Gesprächspartner sind flexibler und die Verhandlungen mit einem Verhandlungspartner statt mit einem ganzen Konsortium schneller. Konkurrenzfähigkeit deutscher Fonds nach Änderung des KAGB? Kreditfonds haben ihren Sitz regelmäßig im Ausland. Die Mehrzahl der Asset Manager hat ihren Sitz im Vereinigten Königreich, wo Kreditfonds schon seit längerem im Markt etabliert sind. Sie nutzen in der Regel englische, irische oder Luxemburger Fonds. Die deutsche Fondstruktur ist ihnen weniger vertraut. Hinzu kommen regulatorische Hürden in Deutschland, insbesondere die Erlaubnispflicht für die Kreditvergabe, aber auch die formalen Kriterien der Anlageverordnung und die bisherige Auslegung durch die BaFin, wonach Anlagen in Kreditfonds nur zulässig waren, wenn diese nicht mehr als 30 Prozent in unverbriefte Darlehen investierten. Kreditvergabe durch geschlossene Spezial-AIF erlaubt Nach Anpassung des KAGB durch das OGAV V Umsetzungsgesetz ist es nunmehr auch – aber auch nur – geschlossenen inländischen Spezial-AIF erlaubt, Gelddarlehen zu gewähren. Dies jedoch nur, wenn 1. der Darlehensnehmer kein Verbraucher ist, 2. eine Risikostreuung bzw. Darlehensnehmerkonzentration von maximal 20 Prozent des eingebrachten und noch nicht eingeforderten zugesagten Kapital pro Darlehensnehmer eingehalten wird und 3. der Fonds ein Leverage von maximal 30 Prozent hat. Offenen Spezialfonds ist die Kreditgewährung nicht erlaubt. Da eine AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft nach dem KAGB über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen muss, folgt daraus nach Ansicht der BaFin, dass bei der Kreditvergabe die für Banken im Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) – festgelegten Vorgaben für das Kreditgeschäft zu beachten sind. Dazu zählen z. B. die Anforderungen an die Prozesse im Kreditgeschäft, Regelungen zur Kreditgewährung, Kreditweiterbearbeitung, Kreditbearbeitungskontrolle, Intensivbetreuung, Behandlung von Problemkrediten, Risikovorsorge und Erstellung von Risikoberichten. Die MaRisk befindet sich derzeit in Überarbeitung, und es bleibt zu hoffen, dass auch die Vorgaben für Kreditfonds, die schließlich keine Bank sind, angepasst werden. Auf europäischer Ebene hat die ESMA Mitte April der Kommission die Entwicklung entsprechender Standards empfohlen3, und es wäre zur Schaffung eines Level Playing Fields sinnvoll, wenn die deutschen Anforderungen der MaRisk mit den europäischen Vorgaben harmonisiert werden. Prolongation und Restrukturierung von Darlehen Der Gesetzgeber hat zudem klargestellt, dass die Prolongation und Restrukturierung eines Darlehens, was je nach Sachverhalt ebenfalls erlaubnispflichtig sein kann, nicht die Erlaubnispflicht auslöst. Dies ist vor allem für offene Spezial-AIF und offene Spezial-AIF mit festen Anlagebedingungen relevant, die nach dem KAGB in unverbriefte Darlehensforderungen investieren dürfen. Denn der Erwerb von bereits ausgereichten Darlehensforderungen war und ist nicht erlaubnis10.2016 diebank 31 pflichtig und daher auch für solche AIFs zulässig. Allerdings war stets die Frage, wie mit Prolongationen und Restrukturierungen umzugehen war. Für diese Fälle ist diese Klarstellung eine lang erwartete Erleichterung in der Praxis. Da die MaRisk nur für darlehensgewährende AIF gelten, liegt es nahe, dass sie nicht für Kreditfonds gelten, die ausgereichte Darlehen erwerben. Eine Klarstellung diesbezüglich wäre wünschenswert. Ob diese Änderungen des KAGB zukünftig dazu führen werden, dass Kreditfonds auch in Deutschland ansässig sein werden, bleibt, insbesondere vor dem Hintergrund der Anwendung der MaRisk auf darlehensgewährende Kreditfonds, abzuwarten. Erleichterungen für europäische Kreditfonds Vor diesem Hintergrund kommt einer weiteren Änderung durch das OGAV V Umsetzungsgesetz möglicherweise Bedeutung zu. Es wurden zwei Ausnahmen im KWG ergänzt. Danach gelten EU-Verwaltungsgesellschaften bzw. EU-Investmentvermögen, sofern sie als Bankgeschäfte nur die kollektive Vermögensverwaltung, gegebenenfalls einschließlich der Gewährung von Gelddarlehen betreiben, nicht als Kreditinstitut. Damit können EU-AIF-Verwaltungsgesellschaften und EU-Investmentvermögen im Rahmen der kollektiven Vermögensverwaltung grenzüberschreitend erlaubnisfrei im Inland Gelddarlehen gewähren. Eine Einschränkung auf bestimmte Formen von AIFs (offen oder geschlossen) ist dem Wortlaut der Ausnahme nicht zu entnehmen. Da diese weder als Kreditinstitut gelten noch dem Wortlaut nach in den Anwendungsbereich der KAGB-Vorschriften über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation fallen, wären die Vorschriften der MaRisk auch nicht anwendbar. Vor diesem Hintergrund ist die Schaffung eines Level Playing Fields zwischen deutschen und europäischen Kreditfonds sicherlich fraglich. 32 diebank 10.2016 Stellung von Kreditfonds mit Sitz im Drittland Die vorstehende Privilegierung gilt regelmäßig nicht für AIFs mit Sitz in einem Drittland. Eine ausländische AIF-Verwaltungsgesellschaft kann sich nur dann auf die Ausnahme berufen, wenn der betreffende AIF nach dem KAGB aufgrund einer Vertriebsanzeige an Privatanleger vertrieben werden darf und es sich nicht um einen Vertrieb an professionelle Anleger handelt. Ausweislich der Gesetzesbegründung dient diese Einschränkung unter anderem dem Schutz der inländischen Kreditnehmer, da bei ausländischen AIF-Verwaltungsgesellschaften nicht immer von einer vergleichbaren Aufsicht ausgegangen werden kann. Gerade diese ist aber – anders als bei professionellen Anlegern – Voraussetzung für einen Vertrieb an Privatanleger. Es stellt sich die Frage, ob diese Einschränkung sachgerecht ist. Der Schutz der Anleger ist im Rahmen des Vertriebs an professionelle Anleger ausreichend gewährleistet. Der Schutz der Kreditnehmer wäre sachgerechter über eine Einschränkung der Darlehensvergabe an professionelle Darlehensnehmer zu erreichen. Diese Einschränkung der Ausnahme ist umso relevanter, wenn das Vereinigte Königreich nach dem Brexit gegebenenfalls den Status eines Drittlands erhalten würde. Die dort ansässigen Kreditfonds würden dann nicht länger privilegiert und bedürften – anders als EU-Investmentvermögen – für eine Kreditvergabe in Deutschland der Erlaubnis nach dem KWG. Anlageverordnung Eine weitere Hürde für die Kreditvergabe in Deutschland jenseits von Banken stellt die Anlageverordnung dar. Diese galt bis zur Einführung von Solvency II für die Kapitalanlagen aller Versicherungsunternehmen, Pensions- und Sterbekassen. Sie ließ die Investition in Kreditfonds nur sehr eingeschränkt zu. Die Anlageverordnung war zuletzt im März 2015 an das KAGB ange- passt worden. Mit der Einführung von Solvency II müssen Unternehmen, die unter das Versicherungsaufsichtsrecht fallen, ihre Kapitalanlagen nach dem Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht anlegen, für den zahlreiche qualitative Vorgaben bestehen. Hierzu müssen diese Unternehmen einen internen Anlagekatalog erstellen, der die Anlageverordnung ersetzt. Unter Solvency II ist die Anlage in Kreditfonds grundsätzlich möglich. Für Beteiligungen an Fonds gilt grundsätzlich ein Look-Through-Ansatz. Die Durchschau auf die zugrunde liegenden Vermögenswerte ermöglicht vor allem bei Immobilien- und Infrastrukturdarlehen, aber auch bei Unternehmensdarlehen die Verwendung der für die zugrunde liegenden Vermögenswerte geltenden Stressfaktoren, die bisweilen deutlich niedriger sein können als die andernfalls für Fondsbeteiligungen anfallenden 39 Prozent für Typ1-Aktien (EWR bzw. OECD notiert) bzw. 49 Prozent für sonstige, d. h. Typ-2-Aktien. Allerdings ist zu vermuten, dass viele Unternehmen zunächst als internen Anlagekatalog die Anlageverordnung weiter verwenden werden, sodass die bestehenden Beschränkungen fortbestehen. Für alle anderen Unternehmen, d. h. Pensionskassen, Sterbekassen und kleinere Versicherungsunternehmen, aber auch für landesrechtlich regulierte Versorgungswerke und Zusatzversorgungskassen, gilt weiterhin die Anlageverordnung, die in nur leicht modifizierter Form am 19. April 2016 in Kraft getreten ist. Mit der Änderung der Anlageverordnung vom März 2015 sollte ausweislich der Gesetzesbegründung auch die Anlage in Kreditfonds nach KAGB oder in von AIFMD-Managern verwalteten Kreditfonds eröffnet werden, die zu 100 Prozent in unverbriefte Darlehensforderungen investieren. Unter der bis März 2015 geltenden Anlageverordnung war aufgrund des Auslegungsschreibens der BaFin eine Anlage nur in Kreditfonds möglich, die bis zu maximal 30 Prozent in unverbriefte Dar- lehen investierten. Auch wenn das Rundschreiben formal noch nicht aufgehoben wurde, lässt die Gesetzesbegründung der Anlageverordnung darauf schließen, dass Kreditfonds, die zu 100 Prozent in Darlehen investieren, unter der aktuellen Anlageverordnung zulässig sind. Das Auslegungsschreiben der BaFin zur neuen Anlageverordnung befindet sich ebenfalls in Überarbeitung, und eine Klärung diesbezüglich wäre wünschenswert. Fazit Private Debt ist für institutionelle Investoren aufgrund der regulatorischen Vorgaben und des Niedrigzinsumfelds, aber auch aufgrund des Risikoprofils und der fehlenden Korrelation zu bestehenden Anlagen ein attraktive Anlageklasse. Der Trend, dass sich große Versicherer und Pensionskassen als direkte Kreditgeber positionieren, sowohl im Bereich der gewerblichen Immobilienfinanzierung als auch bei Infrastrukturprojekten, hält an. Daneben haben sich Kreditfonds als alternative Darlehensgeber jedenfalls im Leverage-Buyout-Bereich etabliert. Bei Immobilien- und Infrastrukturfinanzierungen nimmt ihre Bedeutung zu. Schwierig bleibt das Asset Sourcing für alle Beteiligten. Ob die Erleichterungen für deutsche geschlossene Spezial-AIF, denen nunmehr eine Kreditvergabe unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, den deutschen Kreditfonds konkurrenzfähig macht, bleibt abzuwarten. Die gleichzeitige Privilegierung für europäische Kreditfonds wird den deutschen Fonds vermutlich den Rang ablaufen. Klärungsbedarf besteht vor allem im Bereich der fortgeltenden Anlageverordnung und beim Umfang der Geltung der MaRisk für kreditvergebende Fonds. Sehr zu begrüßen ist die Klarstellung, dass die Prolongation und Restrukturierung von bereits ausgereichten Darlehen durch AIF, die in Darlehen investieren dürfen, nicht als erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft einzustufen ist. ó Autor: Dr. Nick Wittek ist Partner im Bereich Banking & Finance bei der internationalen Anwaltskanzlei Jones Day in Frankfurt am Main. 1 BaFin - Änderung der Verwaltungspraxis zur Vergabe von Darlehen sowie zur sog. „Restrukturierung“ und Prolongation von Darlehen für Rechnung des Investmentvermögens vom 12. Mai 2016. 2 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen. 3 European Securities and Markets Authority (ESMA), Key principles for a European framework on loan origination by funds, 11 April 2016. Intensivseminar am 3. November 2016 in Köln Die neue Institutsvergütungsverordnung der BaFin Umsetzung und arbeitsrechtliche Einordnung Referenten: Dr. Matthias Merkelbach | Christian Schmitz | Dr. Jens T. Thau Weitere Informationen und Anmeldung: Stefan Lödorf: 0221/5490-133 | [email protected] | www.die-bank-trainings.de Jetezldten anm 10.2016 diebank 33 Bank-Verlag GmbH | Wendelinstraße 1 | 50933 Köln | www.die-bank.de
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