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Heute mit OXI
Schwerpunkt in diesem Monat: Die USA, ihre Rolle für die globale Ökonomie und der
Wahlkampf. Heute für alle nd-Abonnenten. Für alle anderen ab 4. Oktober am Kiosk.
Foto: nd/Ulli Winkler
Sonnabend/Sonntag/Montag, 1.-3. Oktober 2016
71. Jahrgang/Nr. 231
Bundesausgabe 2,30 €
www.neues-deutschland.de
STANDPUNKT
Europa-Trumps
Bürgermeister
niedergeschlagen
Kurt Stenger über die Ratifizierung
des Klimaabkommens durch die EU
61-Jähriger erhielt Hassbotschaften
wegen Engagement für Flüchtlinge
Jetzt aber ganz schnell und alle
Scheinheiligkeiten sowie Unzulänglichkeiten unter den Tisch
gekehrt – so könnte man die
nunmehr unmittelbar bevorstehende Ratifizierung des Weltklimaabkommens durch die EU kurz
umschreiben. Nachdem alle
wichtigen Emissionsgroßmächte
längst beim »Paris Agreement«
dabei sind, war es nur noch peinlich, dass die einstigen Klimaschutzvorreiter in Europa nicht in
die Puschen kamen. Und politisch
wurde es sogar gefährlich, da
über die noch auszuhandelnden
Details des Vertrags nur die Ratifizierer bestimmen dürfen. Vermutlich denkt so mancher in der
EU auch mit Sorge an die bevorstehenden Wahlen in den USA –
einem erklärten Klimaschutzgegner und Kohlebefürworter als
Präsidenten möchte man es mit
einem international verbindlichen
Abkommen so schwer wie möglich machen.
Allerdings haben die EU-Länder, energiepolitisch gedacht,
auch so manchen Donald Trump
in wichtigen Führungspositionen
sitzen. Das Gezerre um die Ratifizierung machte dies mal wieder
deutlich. Einige Länder wollten
den Klimavertrag nicht etwa deshalb nicht ratifizieren, weil er angesichts der Mammutaufgabe der
Emissionsminderungen zu wenig
ambitioniert ist, sondern ihnen zu
weit geht. Ohnehin ist das internationale Abkommen eine Sache,
die konkrete Umsetzung vor Ort
die eigentlich entscheidende. Und
hier ist die EU längst weit von den
Klimaschutznotwendigkeiten entfernt. Und rechts regierte Länder
setzen alles dafür ein, dass sich
daran auf absehbare Zeit auch
garantiert nichts ändern wird.
Kiel. In Schleswig-Holstein hat ein Unbekannter einen Gemeinde-Bürgermeister niedergeschlagen, der sich für die Unterbringung von Flüchtlingen eingesetzt hatte. Die
Polizei vermutet einen fremdenfeindlichen
Hintergrund, schließt andere Motive aber
nicht aus. Schleswig-Holsteins Innenminister
Stefan Studt (SPD) verurteilte den Angriff vom
Donnerstagabend in der Gemeinde Oersdorf.
Gemeindevertreter müssten ohne Angst arbeiten können, sagte er bei einem Treffen mit
Kommunalpolitikern am Freitag.
Die Polizei ermittele bereits seit Juli, weil
der parteilose Politiker Drohbriefe erhalten
habe, sagte ein Polizeisprecher in Kiel. Auch
am Donnerstag seien zwei Drohbriefe an die
Gemeinde und an ihn persönlich eingegangen. Der Bürgermeister war nach Polizeiangaben kurz vor der Sitzung des Bauausschusses noch einmal zu seinem Auto gegangen, um
einen Laptop zu holen. Als er sich in seinen
Wagen beugte, wurde er von einem Unbekannten angesprochen und kurz darauf mit einem Schlag gegen den Kopf verletzt. dpa/nd
Jeder nur eine Fahne
Zwischen Rassismus, Leitkultur und fehlendem Einwanderungsgesetz
Berlin. Zur Einwanderung? Durch die
Tür hinaus zur linken Reihe, jeder nur
eine Fahne. Im Original spielt sich diese
Szene im Film »Das Leben des Brian« ab
und die Leute stehen zur Kreuzigung an.
Der Film: Satire. Die Realität: nahe dran.
Wenn sich etwa die CDU in Sachsen und
die bayerische CSU einen Aufruf zur
»Leitkultur« ausdenken, in dem es viel
um die »Kraftquellen Heimat und Patriotismus«
und
schwarz-rot-goldene
Fähnchen geht. Aber kein Wort dazu
verloren wird, dass man keine Flüchtlingsheime anzündet, geschweige denn
die wirklichen – von ihnen selbst fabrizierten – Probleme der Integration und
Asylpolitik, des grassierenden Rassismus, der Anfeindungen von Muslimen
inklusive Anschläge auf Moscheen angesprochen werden.
Zum Beispiel ein immer noch fehlendes Einwanderungsgesetz, mit dem man
aus Sicht des Thüringer Ministerpräsi-
denten Bodo Ramelow (LINKE) gleich
mehrere Probleme lösen könnte. »Wir
brauchen erstens und dringend eine Altfallregelung für weit über 500 000 Menschen, die als Flüchtlinge gekommen
sind und schon länger als zwei Jahre auf
den Abschluss ihres Asylverfahrens warten«, fordert Ramelow unter anderem im
nd-Interview.
Eine gute Nachricht – zurück zur satirischen Realität – für die fähnchenverteilenden Leitkulturer, weil es weniger
kostet: Im vergangenen Jahr sind rund
890 000 Asylsuchende nach Deutschland gekommen – statt der bislang kalkulierten 1,1 Millionen. Das gab Bundesinnenminister Thomas de Maizière
(CDU) am Freitag in Berlin bekannt. De
Maizière hatte in den vergangenen Monaten wiederholt betont, dass die bisher
bekannten Zahlen wegen Mehrfachregistrierungen und wegen unerfasster
Weiterreisen oder Rückreisen wohl zu
hoch gegriffen seien. De Maizière sagte
nun: »Die Zahl von 890 000 ist dennoch
sehr hoch.«
Bei ihrer Ankunft in Deutschland werden Schutzsuchende im sogenannten
EASY-System erfasst – einem IT-System
zur »Erstverteilung von Asylbegehrenden« auf die Bundesländer, daher die Abkürzung. 2015 wurden in diesem EASYSystem bundesweit rund 1,1 Millionen
Menschen als asylsuchend registriert. Die
Bundesregierung betonte jedoch schon
im vergangenen Jahr, bei den EASY-Zahlen seien »Fehl- und Doppelerfassungen« nicht ausgeschlossen – unter anderem wegen der damals noch fehlenden erkennungsdienstlichen Behandlung von Flüchtlingen.
Mit Horst Seehofer als Begrüßungskommando mit Fähnchen wäre das mit
Sicherheit nicht passiert. mdr/dpa
Seiten 5, 17, 18 und 19
UNTEN LINKS
Diese Menschen sind schon seltsam. Schlagen sich gegenseitig die
Köpfe ein, quälen Kinder und Tiere. Dafür verehren sie Millionäre,
die Bällen hinterherrennen, und
diese Schrotthaufen auf Rädern,
die nicht mal fliegen können. Sogar mich haben sie irgendwie lieb,
obwohl sie keinen Schimmer haben, wer ich bin. Sie heulen mir
hinterher, weil ich ihnen nach
Jahren nun nichts mehr rüberfunke. Sie haben sich sogar ein extra
würdevolles Ende für mich ausgedacht. Meinen sie! Statt mich
schön weiterfliegen zu lassen,
setzen sie mich ausgerechnet auf
diesem albernen, badeentenförmigen Gesteinsklotz ab, auf dem
schon Philae rumlungert. Ich war
so froh, das Ding los zu sein! Jetzt
hab ich außerdem noch Tschuri
am Hacken, diesen Psycho, der
unter Bahnstörungen leidet und
sich abwechselnd vor die Sonne
und vor Jupiter werfen will. Na,
schönen Dank auch. Zum Glück
wissen die Menschen nicht, was
passiert ist, nachdem die Funkverbindung abgebrochen ist. Haha! So long, Rosetta (rst)
ISSN 0323-3375
Grafik: iStock/kanyakits [M]
Klimapoker im EU-Rat
Von Susanne Götze
und Jörg Staude
Ein bisschen Geschichte konnten
die EU-Umweltminister am Freitag schon schreiben. Nachdem sie
sich bei ihrem Sondertreffen in
Brüssel auf ein Schnellverfahren
zur Ratifizierung des Weltklimaabkommens einigten, wird dieses
de facto international gültig.
Nachdem zuvor schon rund 60
Staaten das »Paris Agreement«
umgesetzt hatten und damit eines der beiden Quoren – Zustimmung von 55 Staaten – erfüllt war,
fehlten nur noch einige Prozentchen am anderen Quorum: Die ratifizierenden Länder müssen 55
Prozent der globalen CO2-Emissionen repräsentieren – was mit
dem Beitritt der EU erfüllt wäre:
Nunmehr stehe fest, dass das Paris-Abkommen noch vor der
nächsten Klimakonferenz in Marrakesch in Kraft treten wird, freute sich Bundesumweltministerin
Barbara Hendricks (SPD). Der
Umweltrat beweise, wie handlungsfähig die EU sein kann,
»wenn der Druck hoch genug ist«,
lobte Annalena Baerbock von der
Grünen-Bundestagsfraktion.
Formal muss noch das Europaparlament am kommenden
Dienstag die Ratifizierung absegnen. Dann hat die EU kurz vor Toresschluss verhindert, dass sie
beim kommenden Weltklimagipfel im November in Marokko nur
Zaungast ist. Die jetzige Schnelligkeit habe man, betonte Hendricks nicht ohne Grund, »nicht
mit Zugeständnissen zu Lasten des
Klimaschutzes« erkauft.
Darüber, was genau hinter den
Kulissen gelaufen ist, kann indes
nur spekuliert werden. Über Wochen gab es ein Ringen mit eini-
gen Ländern, die den Weltklimavertrag nur bei bestimmten Gegenleistungen
unterzeichnen
wollten. »Polen, Bulgarien, Rumänien und sogar Italien wollen
die EU in Geiselhaft nehmen«,
schimpfte der luxemburgische Europaabgeordnete Claude Turmes
noch vor wenigen Tagen. »Das ist
unanständig.«
Formal muss noch
das Europaparlament am Dienstag
die Ratifizierung
absegnen.
Beispielsweise Polen wollte die
Zustimmungsformalitäten bei der
Reform des Emissionshandels ändern: Statt einer qualifizierten
Mehrheit sollten diesmal die
Staats- und Regierungschefs ein-
2015 mehr als doppelt so viele
Funde bei Rechtsextremen
Wiesbaden. Die Zahl der bei Rechtsextremisten beschlagnahmten Waffen ist 2015 einem Medienbericht zufolge auf einen
Höchststand gestiegen. Dem Magazin »Focus« zufolge stellte die Polizei bei Neonazis
nach Straftaten, auf Demonstrationen und bei
Razzien 1947 Waffen sicher, fast 125 Prozent mehr als im Jahr zuvor (868 Waffen).
Das Magazin beruft sich auf eine vertrauliche Analyse des Bundeskriminalamts (BKA).
Eine BKA-Sprecherin bestätigte am Freitag
die Existenz des Berichtes, äußerte sich aber
nicht zum Inhalt.
Als besonders dramatisch beurteilen die
Ermittler den Fund von 562 Spreng- und
Brandvorrichtungen, mehr als doppelt so
viele wie 2014. Etliche der Brandsätze seien
bei Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte benutzt worden. In 42 Fällen seien Menschen
attackiert worden. Einen starken Anstieg habe es auch bei den Straftaten gegeben, bei
denen Neonazis Waffen einsetzten: 1253
habe die Polizei gezählt, 706 mehr als 2014
(plus 129 Prozent). In dem Bericht sei von
einem »ernsten Bedrohungspotenzial« die
Rede. dpa/nd
Streit um Opferzahl
russischer Angriffe
Umweltminister erlauben Ratifizierung des Paris-Abkommens
Die EU-Umweltminister haben
am Freitag der Ratifizierung des
Weltklimaabkommens
zugestimmt.
Nazis unter Waffen
stimmig entscheiden. Zudem sei,
so Turmes, versucht worden, die
Klimaziele der EU zu verwässern.
Polen setzt traditionell stark auf
Kohlekraft.
Um einen Eklat zu verhindern,
hatten sich bereits am Mittwoch
hochrangige Diplomaten getroffen – offenbar mit Erfolg. Doch mit
welchen Zusagen die »Bremser«
der Ratifizierung zustimmten, ist
aus den offiziellen Dokumenten
nicht ersichtlich.
Die EU hat sich verpflichtet, bis
2030 die Treibhausgasemissionen
um mindestens 40 Prozent zu senken. Dieses Ziel wackelt wegen der
Länderegoismen – und es genügt
auch nicht, um die Erderwärmung auf die mit Paris avisierten
deutlich unter zwei Grad Celsius
zu begrenzen. »Bis 2030 sollte die
EU eine Minderung der Emissionen um mindestens 55 Prozent
anstreben«, verlangte denn auch
Juliette de Grandpré von der Umweltorganisation WWF.
Kreml verteidigt Vorgehen in Syrien
Damaskus. Als Folge russischer Luftangriffe
in Syrien sind Aktivisten zufolge fast 10 000
Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen rund 3800 Zivilisten. Unter den Toten
seien auch mehr als 900 Kinder, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitag mit. Die russische Regierung wies die Angaben als »unglaubwürdig«
zurück. Kremlsprecher Dmitri Peskow nannte es fraglich, ob eine in Großbritannien angesiedelte Organisation wirklich wisse, was
in Syrien geschehe. »Wenn man berücksichtigt, dass weder der Islamische Staat noch AlQaida oder die Nusra-Front in Damaskus Fuß
gefasst haben, ist das wahrscheinlich das
wichtigste Ergebnis unserer Unterstützung
für die legitime Armee Syriens«, sagte Peskow laut Interfax. Russland hatte am 30. September 2015 militärisch in den mehr als fünfjährigen Krieg in Syrien eingegriffen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
und US-Präsident Barack Obama verurteilten die jüngsten Attacken der syrischen und
der russischen Armee auf Aleppo als »barbarisch«. dpa/nd
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