SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Ferruccio Busoni (1866 -1924) Anfang und Ende der Musik? (2) Von Reinhard Ermen Sendung: Dienstag, 27. September 2016 Redaktion: Ulla Zierau 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2 2 „Musikstunde“ mit Reinhard Ermen Ferruccio Busoni (1866 -1924) Folge 2 SWR 2, 26. September – 30. September 2016, 9h05 – 10h00 Signet Musikstunde 1 Am Mikrophon ist Reinhard Ermen. In dieser Woche geht es um Ferruccio Busoni. Heute: Anfang und Ende der Musik? Signet Musikstunde 2 Im Juli 1898 entwirft Ferruccio Busoni, angeregt durch Otto Lessman, den Herausgeber der „Allgemeinen Deutschen Musikzeitung“ seine „Übungsregeln für Klavierspieler“. Das sind nützliche Hinweise für jeden ernsthaften Pianisten, die auch davon erzählen, wie er selber gearbeitet hat. In 12 Punkten listet er einfache Grundsätze auf, zum Beispiel diese: „Verbinde stets das technische Üben mit dem Studium des Vortrags“ oder: „Vergeude nie die Kraft, indem du dich vom Temperament hinreißen lässt“ oder: „Studiere Alles und Jedes, als ob es das Schwerste wäre.“ Unter Punkt 7 notiert er eine besondere Erfahrung: „Bach ist der Grund des Klavierspiels, Liszt die Spitze. Die beiden werden dir Beethoven ermöglichen.“ Dass Bach Grundlage und Liszt die Spitze ist, ergibt sich aus der pianistischen Erfahrung. Beschrieben wären damit Anfang und Ende. Aus der kompositorischen Perspektive betrachtet, sieht das vielleicht anders aus: Liszt ist Maßstab und Garant des zu erstrebenden virtuosen Niveaus, Bach der Gipfel musikalischer Erfindungs- und Verarbeitungskunst, in gewisser Weise Anfang und Ende zugleich! Von Busonis Auseinandersetzung mit Bach wird in dieser Stunde ausführlich die Rede sein, zu Anfang aber Liszt, wie er Beethoven ermöglicht, anders gesagt: „Adelaide“ in einer Transkription von Liszt. Busoni ist auf dem Welte Reproduktionsklavier zu hören. Wir blenden uns in den zweiten Teil ein. Musik 1: Franz Liszt/Ludwig van Beethoven Adelaide op. 46 Welte-Mignon 1905 (Deutsches Rundfunkarchiv) 2‘40 Ferruccio Busoni in einer Welte Aufnahme von 1905 mit Liszts Transkription von Beethovens Lied „Adelaide“ op. 46. Höhepunkt von Busonis Lisztbegeisterung sind, abgesehen davon, dass er ihn bearbeitet und herausgibt, sechs Klavierabende zum 100. Geburtstag des Meisters 1911 in Berlin. Insgesamt 80 Stücke spielt er von diesem Wundermann. Liszt prägt seinen Klavierstil, seine 3 Rhetorik, partiell auch seine Strategie, sich andere Musik anzueignen. Das ist nicht zu übersehen und nicht zu überhören. Nachhaltiger ist indessen Busonis Auseinandersetzung mit Johann Sebastian Bach. Auch den gibt er heraus, etwa eine Gesamtausgabe der Klavierwerke zusammen mit Egon Petri. Außerdem gibt es zahlreiche Übertragungen. Diesbezüglich ist er bei Liszt in die Schule gegangen. Bach auf dem modernen Klavier zu spielen, heißt, sich diese Musik auf dem Instrument sozusagen zurechtzulegen noch bevor der erste Ton erklingt. Bei Busoni geschieht das in aller Freiheit, aber relativ texttreu, zumindest wenn es sich um eine Transkription handelt, ins Deutsche zu übersetzen mit ‚Umschreiben‘, vielleicht auch ‚Überschreiben‘. Es gibt, einschließlich zahlreicher Kadenzen zu entsprechendem Konzertrepertoire etwa 115 solcher Fassungen von Beethoven bis Wagner. Busoni erweist sich hier ganz als Kind des 19 Jahrhunderts. 26 Transkriptionen sind Bach gewidmet, darunter auch seine gewichtige Umsetzung der Chaconne aus der d-moll Partita. Initialzündung für diese ganz spezielle Bachrezeption war Ende 1888 ein Orgelkonzert, das er in Leipzig, in der Thomaskirche erlebte. Auf dem Programm stand unter anderem Präludium und Fuge D-dur BWV 532. Hören sie zuerst die Anfangstake des Bach‘schen Originals mit der Organistin Iveta Apkalana, nach etwa einer Minute übernimmt der Pianist Bernd Glemser mit der Busoni Version. Musik 2: Johann Sebastian Bach / Ferruccio Busoni Präludium aus Präludium & Fuge D-dur BWV 532 Iveta Apkalana, (Orgel)(Klais-Orgel) LC 12424 OEHMSCLASSICS, 1827 0.57 + 4.31 Präludium aus Präludium & Fuge D-dur BWV 532 Bernd Glemser (Klavier) LC 12424 OEHMSCLASSICS, OC 706 Johann Sebastian Bach, das Präludium D-dur aus BWV 532, der Beginn im Original mit Iveta Apkalana, die Fortsetzung in der Version von Ferruccio Busoni mit Bernd Glemser. Ich glaube dieser Zusammenschnitt hat relativ gut funktioniert; es gab einen Farbwechsel, doch eigentlich ging es bruchlos weiter mit dem Text. Bei der Liszt‘schen Transkription der „Adelaide“ mit dem Original von Beethoven, hätte das wohl nicht so reibungslos funktioniert. Die Transkription, die klavieristische, im übertragenen Sinne, die artgerechte Umsetzung auf sein Instrument ist das eine, das andere ist eine Grundsatzüberlegung, die für Busoni mit der Übertragung beginnt. Für ihn ist auch der Vortrag eines Werks, wie es in den Noten notiert ist, bereits eine 4 „Transkription“. Der Gedanke eines Komponisten, der sich im Text formuliert, wird in die klingende Wirklichkeit entlassen. So drückt er es sinngemäß 1910 aus. Etwa vier Jahre zuvor, in der Erstfassung seines Essays „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ hatte er das noch radikaler ausgedrückt: „Jede Notation [ist] schon Transkription eines abstrakten Einfalls“! Nicht erst die klingende Wirklichkeit ist ein Notbehelf, schon der Versuch, eine Idee aufzuschreiben, relativiert, ja deformiert den ursprünglichen Schöpfungsgedanken. Dahinter steckt eine Philosophie, die ich jetzt mal ganz ungeschützt als pessimistischen Idealismus bezeichnen möchte. Da ist der Traum, dort der Zweifel. Das setzt bei Busoni produktive Kräfte frei. Er bewegt sich unabhängig, er versucht seinen Idealen als Pianist und Komponist, näher zu kommen. Um bei Bach zu bleiben, - er übersetzt ihn nicht nur, er nimmt ihn als Material, er will vielleicht auch in die größtmögliche Nähe zu diesem großen Geist gelangen. Bach wird für Busoni zu einer Herausforderung schlechthin. Er versucht sich in ihn hineinzudenken. Die Anläufe, die er dazu nimmt, zeugen gelegentlich von einer heiligen Scheu, wobei diese Wege hin zu Bach dadurch eine ganz eigene, unverwechselbare Wertigkeit haben. Zum Beispiel in seiner zweiten Violinsonate von 1901. „Im ideellen Sinne fand ich meinen Weg als Komponist“, schreibt Busoni in einer Selbstrezension, „erst mit der zweiten Violinsonate op. 36a, die ich unter Freunden auch mein opus 1 nenne.“ In Kindermanns Werkverzeichnis ist das immerhin die Nummer 244 von insgesamt 296! Die Rechnerei erlaube ich mir an dieser Stelle nur, um den Stellenwert des Werks zu beschreiben, auch um einen Rigorismus anzudeuten, mit dem Busoni seine eigene kompositorische Arbeit sah. Kernstück, bzw. Zentralgestirn dieser Sonate sind Variationen über ein Bach‘sches Chorallied „Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen, wenn ich in deiner Liebe ruh.“ Musik 3: Johann Sebastian Bach Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen“ BWV 517 Sibylla Rubens, Michael Behringer LC 06047 hänssler-classic/Laudate 92.136 1.27 Sibylla Rubens und Michael Behringer mit „Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen“. Es ist gar nicht so sicher, ob dieses BWV 517 wirklich, bzw. ganz von Bach ist, Tatsache aber ist, dass es im zweiten Clavier-Büchlein für Anna Magdalena Bach enthalten ist. Etwa in der Mitte der Sonate tauchen die Variationen auf. Man hat das Gefühl, das alles auf dieses Chorallied zusteuert. Busoni komponiert dafür zuerst einen großen Sockel, er baut für das Eigentliche ein Haus. Er beginnt also mit einem durchaus weihevollen, ausgedehnten Andante. Dem lässt er ein kurzes Presto 5 folgen. Das will ich kurz einspielen, denn es ist ein brillantes Stück, das zeigt, wie grandios und leichtfüßig Busonis Musik gelegentlich klingen kann. Es geht in dieser SWR2 Musikstunde ja nicht allein um Philologie, es geht auch darum, eine Kunst zu zeigen, die ganz bei sich ist. Musik 4: Ferruccio Busoni Violinsonate 2 op. 36a: Presto Gidon Kremer, Valery Afanassief LC 00173 Deutsche Grammophon 423619-2 2.26 Gidon Kremer und Valery Afanassief mit dem Presto aus der zweiten Violinsonate. Nach diesem eiligen Zwischenspiel beginnt der Satz mit den Variationen, doch die leitet er wieder durch ein präludierendes Andante ein. Dann erscheint das Eigentliche, der „Choralgesang“, wie Busoni in einer Fußnote mit der Originalmelodie vermerkt. Eine gefasste Ruhe tritt in das Geschehen ein; im Mahler‘schen Sinne ist man versucht, von ‚Behaglichkeit‘ zu sprechen, die in der sechsten Variation zu einem selbstbewussten Maestoso findet. Der Komponist ist angekommen. – Von den insgesamt sechs Variationen jetzt das Thema und die ersten drei, wieder mit Kremer und Afanassief. Musik 5: Ferruccio Busoni Violinsonate 2 op. 36a: Thema & Variation 1 - 3 Gidon Kremer, Valery Afanassief LC 00173 Deutsche Grammophon 423619-2 7.10 Aus dem dritten Satz der zweiten Violinsonate hörten Sie das Thema und die ersten drei Variationen mit Gidon Kremer und Valery Afanassief. Das schlichte Lied aus dem Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach lässt Busoni nicht los, 1916 bearbeitet er den Variationssatz seiner Sonate für zwei Klaviere, er denkt ihn weiter mit den „veränderten Ausdrucksmitteln“ seines fortschreitenden Bewusstseins. Das Beispiel belegt, dass er auch eigene Werke neu fasst, in einem erweiterten Sinne transkribiert, ganz abgesehen davon, dass er sie einer kritischen Revision unterzieht. Er spricht jetzt von einer: „Improvisation über das Bach‘sche Chorallied ‚Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen, wenn ich in deiner Liebe ruh.“ Ich habe das eben schon kurz beschrieben, wie Busoni in der Sonate auf das Eigentliche, auf die Choralvariationen zugeht, indem er dieses Ereignis bedachtsam und weihevoll vorbereitet. Diese bewusst zögernde, ja feierliche Dramaturgie findet sich gelegentlich bei seinen Hauptwerken. In seiner „Oper Doktor Faust“ wird uns das nochmal beschäftigen. Darüber hinaus gibt es so ein 6 vorsichtiges Angehen manchmal auch in der eigenen Arbeit, zum Beispiel in der „Fantasia Contrapuntistica“. Anlass und Gegenstand ist „Die Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach, genauer gesagt der Schluss, bzw. die Schlussfindung. Busoni macht einen Vorschlag für eine zeitgemäße Finallösung. 1910 auf einer Amerikatournee arbeitet er daran; schon während der Überfahrt. Es entsteht, die „Große Fuge“, eine „Kontrapunktische Fantasie über Johann Sebastian Bachs letztes, unvollendetes Werk“. Sie wird in New York in einer exklusiven Privatauflage gedruckt. Dann macht er sich an eine erweiterte Version, seine „Fantasia Contrappuntistica“. Das ist eine Art Hauptwerk von Busoni. Doch nichts ist endgültig. Von der „Fantasia“ mit ihrer komplexen Polyphonie fertigt er eine erleichterte, verkleinerte Version an. 1921 bearbeitet er das Stück nochmals für sich und seinen Schüler Egon Petri für zwei Klaviere. Das dürfte die definitive, die endgültige Version sein. Es fällt bei dieser Gelegenheit auf: Busonis Bachbeschäftigung realisiert sich auf dem Klavier, soweit er sich auch vorwagt, der Komponist bleibt hier primär Pianist! Dass Bach der „Grund des Klavierspiels“ ist, wie er es in den „Übungsregeln“ formuliert, realisiert sich hier auf einer gleichsam höheren Ebene. Eine Orchesterfassung zieht er zwar in Erwägung, aber die Idee bleibt liegen. Der in Chicago als Dirigent wirkende Friedrich A. Stock wird eine Version, eine Transkription für Orchester anfertigen. Wilhelm Middelschulte, ebenfalls in Chicago ansässig, erstellt eine Umsetzung für Orgel, die Busoni mehr oder weniger autorisiert. Doch worum geht es? Bachs Fugenwerk blieb ein Fragment, ob ihm wirklich beim Schreiben des letzten Teils der Herrgott die Feder aus der Hand nahm, wie Carl Philipp Emanuel es darstelle, sei einmal dahingestellt. Die abschließende Fuge wurde jedenfalls nicht mehr vollendet. Als drittes Thema tritt das das B-A-C-H in das Geschehen ein. Kurz danach bricht die Musik im letzten Contrapunctus, bzw. im letzten Kapitel ab. In einer Orchesterfassung mit dem neuen Bachischen Collegium Musicum Leipzig unter Max Pommer klingen die letzten anderthalb Minuten so: Musik 6: (Ausschnitt)1.40 Johann Sebastian Bach Die Kunst der Fuge BWV 1080: Fuga a tre sogetti Neues Bachisches Collegium Musicum Leipzig, Max Pommer LC 08748 CAPRICCIO 10026/1-2 Und was kommt dann? Die Frage beschäftigt Busoni. Er will aber nicht einfach eine Schlussversion setzten, er schreibt über Bachs Kunst der Fuge seine Kunst der Fuge, letztlich die „Fantasia Contrappuntistica“. Die Neue Welt treibt ihn oft in 7 kreative Hochphasen. Der Abstand zu Europa beflügelt seine Unabhängigkeit. Diesmal inspirieren ihn die „Gothiker von Chicago“, wie er die beiden Musikgelehrten Bernhard Ziehn und Wilhelm Middelschulte nennt. Sie pflegen und bewahren in den Hochhauschluchten der Riesenstadt eine ganz spezielle Musikalische Metaphysik, bzw. eine eigene Kunst der Polyphonie. Die Erkenntnis ist zu diesem Zeitpunkt nicht neu, aber insbesondere Middelschulte, der Komponist und Organist, bestärkt ihn in der Annahme, dass das Hauptthema als viertes Subjekt hinzutreten muss. Das wird er berücksichtigen. Doch die Schlussfindung ist der geringste Teil der Fantasie. Der größte Teil ergeht sich sozusagen im Einatmen des Problems, im präludierenden Einstimmen und Vorbereiten. In der Fantasia Contrapuntistica geht der Fantasie über die drei von Bach schon eingebrachten Fugen, bzw. Fugenthemen, eine Choralphantasie voran. Bevor dann die eigentlich Schlussfindung mit vier Themen erscheint, kommt nochmal ein ausführliches Intermezzo mit Variationen, und dann erst präsentiert Busoni, großmächtig und triumphal, die eigene Schlussfindung. – In der allerersten Fassung, der „Kontrapunktischen Fantasie“ fehlen die Choralvariationen. Aus dieser Version die erste Fuge. Musik 7: Ferruccio Busoni Große Fuge. Kontrapunktische Fantasie Holger Groschopp, Klavier LC 08748 Capriccio 67135 3.58 „Große Fuge. Kontrapunktische Fantasie über J.S. Bachs letztes unvollendetes Werk“ mit dem Pianisten Holger Groschopp, der die Urfassung der „Fantasie Contrappuntistica“ erstmals eingespielt hat. Das war die erste Fuge. „Die Fantasia Contrapuntistica“ ist wieder eine Musik für einen „furchtlosen Virtuosen“, um das Stichwort von Alfred Brendel nochmals aufzugreifen. Busoni packt das Geschehen in einen sehr dichten Klaviersatz. „Es wird so etwas“, schreibt er im Februar 1910 aus Cincinnati an seine Frau, - „etwas zwischen César Franck und der Hammerklaviersonate, mit einer eigenen Nuance.“ Das ist eine Musik für Kenner. Die „Kunst der Fuge“ war zu dieser Zeit keinesfalls ein Allgemeingut wie heute. Sie wurde eigentlich nicht aufgeführt sondern studiert. Ihre Existenz im Konzertsaal begann mit den ersten öffentlichen Aufführungen Ende der 20er Jahre durch Karl Straube, bzw. durch die entsprechenden Fassungen von Wolfgang Graeser, der im Vorwort zu seiner Ausgabe schreibt: „Das Werk ist auf dem Klavier unausführbar“. Es wurde nämlich in „vierstimmiger Partitur ohne irgendwelche Instrumentenangabe“ notiert. Auch damit, mit dieser 8 besonderen ‚Unspielbarkeit‘ (auf dem Klavier) setzt sich Busoni in seiner „Fantasia“ auseinander. Doch nun zu seiner Schlussversion, und zwar in der Fassung für zwei Klaviere. Der komplexe polyphone Satz erscheint hier durchhörbarer. Es herrscht in diesem Werk nämlich ein gewisses Horror Vacui, ein vielstimmiger Überdruck, in dem alles gesagt werden muss. Busoni ist ein Meister der musikalischen Komplexität, die sich gelegentlich auch in einer hybriden Kompression ergeht. Wir steigen ein mit dem Zwischenspiel, oder wie Busoni es nennt, das „Intermezzo“. Die vorangegangenen drei Fugen werden nochmal frei reflektiert. Dann folgt die relativ kurze Schlussformulierung. Busoni setzt noch eins drauf, er fügt ein fünftes Thema hinzu. Am Schluss Choral und Stretta. Etwas mehr als 10 Minuten dauert dieser Kraftakt. Es spielt das Klavierduo Andreas Grau und Götz Schumacher. Musik 8: Ferruccio Busoni Fantasia Contrappuntistica: Intermezzo & Fuga IV Andreas Grau & Götz Schumacher LC 00645 col legno / edition 20106 10.13 Intermezzo und Schlussfuge aus der Fantasia Contrappuntistica von Ferruccio Busoni mit dem Klavierduo Andreas Grau und Götz Schumacher. Bach und kein Ende. Bei Busoni ist das ein weites Feld. Darüber könnte man sich habilitieren. Morgen geht es in der SWR2 Musikstunde unter anderem weiter mit seinem berühmten „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“, der während des ersten Weltkriegs in ein nationalistisches Störfeuer gerät. Zwischen den Stühlen? Lautet die entsprechende Frage dazu. Am Mikrophon verabschiedet sich Reinhard Ermen.
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