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Gabriella Hüssy, lic. phil., ist Arbeitspsychologin und verfügt über mehrjährige Erfahrung
in der Personalentwicklung bei internationalen Konzernen. Sie lebt und arbeitet in Aarau.
Menschen um 1900 durchschnittlich
mit 45 Jahren, haben wir heute eine
Gabriella Hüssy:
Lebenserwartung von über achtzig
Jahren. Rein statistisch gesehen,
verbleiben den heutigen Fünfzigjährigen noch durchschnittlich dreissig (geschenkte) Jahre. Auch ist gut
möglich, dass das Erwerbsleben der
heutigen Fünfzigjährigen bis siebzig
«1A!Aargau»: Sie bieten Firmen und Einzelpersonen Coachings und Kurse für
dauert. Demnach ist es sinnvoll, sich
Mitarbeitende um die fünfzig an. Um welche Fragestellungen geht es dabei? Was
Gedanken zu machen, wie man die
verbleibende Zeit gestalten möchbeschäftigt diese Altersgruppe?
te. Auch der demografische Wandel
spielt da eine zentrale Rolle. Kann
man den Renten vertrauen? Ist meine AHV gesichert? Wie wird meine
finanzielle Situation bei meiner Pensionierung aussehen? Wird es reichen? Ein Finanzberater, den ich bei
Gabriella Hüssy: In diesem Alter stellen sich viele Men- den Kursen beiziehe, geht auf diese
schen die Fragen: «Wo stehe ich? Wo will ich hin?» Men- und ähnliche Fragen ein.
schen zwischen 45 und 55 Jahren sind meistens noch zu
hundert Prozent im Erwerbsleben, die Kinder sind aus- Wie stark fällt der Jahrgang bei
gezogen, Beziehungen werden oft auf die Probe gestellt. der Jobsuche ins Gewicht? Oder anDie eigenen Eltern sind auf Unterstützung angewiesen. ders gefragt, herrscht immer noch
All diese Anforderungen lassen es oft gar nicht zu, sich der Jugendwahn bei den Persomit sich selber zu beschäftigen.
nalverantwortlichen? B In meinen
Kursen ist das Thema «beruflich
Dies scheint eine schwierige Zeit zu sein … B In der beweglich bleiben» zentral. Was
Tat; Menschen in den mittleren Jahren sind mit man- passiert, wenn ich durch eine Umnigfaltigen Veränderungen konfrontiert. Der Körper ver- strukturierung den Job verliere?
ändert sich, die Leistungsfähigkeit nimmt ab, die Fami- Bin ich auf dem Arbeitsmarkt noch
lienstruktur wandelt sich. Studien zeigen, dass sich die gefragt? Finde ich dann so schnell
Menschen mit 45 Jahren am schlechtesten fühlen und wieder eine neue Stelle? Was hilft
die Selbstmordrate bei den Vierzig- bis Sechzigjährigen mir dabei? Solche Fragen sind mit
am höchsten ist. Das psychische Wohlbefinden durch- Ängsten und Unsicherheiten verläuft eine sogenannte U-Kurve; mit siebzig fühlt man bunden. B Es zeigt sich durchaus,
sich dann wieder genauso gut wie mit zwanzig.
dass plus 50er länger brauchen, bis
sie eine neue Stelle finden. AndererWieso interessiert Sie dieses Alter? Was ist das Be- seits gibt es auch Positives zu versondere daran? B Dieses Alter, das sogenannte mitt- melden: Die Arbeitslosigkeit ist bei
lere Alter, wurde lange Zeit von der Wissenschaft ver- den über Fünfzigjährigen am tiefsnachlässigt. Es gab die Menschen unter vierzig und dann ten. Viele Firmen schätzen gerade
die Alten. Unsere Lebenserwartung hat sich in den letz- die erfahrenen Mitarbeitenden im
ten hundert Jahren praktisch verdoppelt. Starben die mittleren Lebensalter. Bringen sie
«VIELE FIRMEN SCHÄTZEN
DIE ERFAHRUNG»
G
32 V WIRTSCHAFT V Coaching 50+
doch viele Qualitäten mit, wie etwa
Loyalität, Stabilität, hohe fachliche
Kompetenz, Konfliktfähigkeit, Ausdauer und Pflichtbewusstsein. Das
Sensorium der Personalverantwortlichen diesbezüglich steigt. Aber
auch Führungskräfte sehen die Vorteile der durchmischten Teams und
sind heute eher bereit, auch ältere
Mitarbeitende einzustellen.
ren eine Weiterentwicklung, z. B. in
Form eines Karrieresprungs. Einige fassen eine Arbeitszeitreduktion
ins Auge oder denken darüber nach,
Verantwortung abzugeben. Andere
wiederum sind rundum zufrieden
mit ihrem Job und wollen es so lassen, wie es ist. So oder so, sich Gedanke darüber zu machen, wie man
die restliche Zeit des Erwerbslebens
verbringen will und welche MöglichJa, aber sind ältere Mitarbeitende keiten und Chancen man noch hat,
nicht teurer? Ausserdem sollte der ist wichtig und sinnvoll.
demografische Wandel ja einen zusätzlichen Anreiz zur Anstellung Gibt es Auffälligkeiten oder klare
älterer Arbeitnehmer(innen) schaf- Unterschiede zwischen Männern und
fen. Passiert dies Ihrer Meinung Frauen und ihrem Umgang mit dem
nach? B Dass ältere Mitarbeitende sozialen Umfeld? B Männer definieteurer sind, dieser Ansicht sind viele ren sich eher über den Job als Frauen.
Führungskräfte und Personalverant- Dafür kümmern sich Frauen öfter um
wortliche. Klar, ältere Mitarbeitende das nahe soziale Umfeld wie Famikosten mehr; betrachtet man jedoch lie, Verwandte, Freundeskreis, Enkel
die Rekrutierungs- und Einarbei- usw. Sie pflegen die gebrechlichen Eltungskosten für einen unerfahrenen tern, schreiben die Weihnachtskarten,
Mitarbeitenden, sieht die Rechnung kaufen die Geburtstagsgeschenke. Infolgedessen erleben Frauen ihre Penvielfach anders aus.
sionierung als weniger einschneidend
Wie stark definiert sich diese Al- als die Männer, vor allem wenn bei
tersgruppe über ihre berufliche Letzteren ihr soziales Umfeld hauptStellung? B Das ist sehr unter- sächlich aus Arbeitskollegen besteht.
schiedlich. Während die einen prak- Hingegen ist das Netzwerk eine der
tisch innerlich gekündigt haben und wichtigsten Quellen für eine Neuannicht warten können, bis sie endlich stellung, wenn man seinen Job verpensioniert sind, wagen die ande- liert.
50PLUS UND DER ARBEITSMARKT
Die Berufstätigkeit der 50- bis 59-Jährigen ist in der
Schweiz im Vergleich zum übrigen Europa hoch, und die
Arbeitslosenquote der Älteren liegt mit 3,3 Prozent (noch)
unter der gesamtschweizerischen Quote von 3,7 Prozent.
Ältere Arbeitskräfte würden nicht häufiger entlassen als
jüngere, sagt unser Wirtschafts-Bundesrat SchneiderAmmann. Allerdings gilt auch: Wer mit fünfzig Jahren
oder mehr entlassen wird, hat mehr Probleme, wieder
eine Stelle zu finden. Gerade diese Altersgruppe spürt die
schwächelnde Wirtschaft gegenwärtig besonders stark.
Landen oft auf dem Absagestapel
Das Bewerbungsdossier sei das Nadelöhr, sagt auch
Martina Zölch, Leiterin des Instituts für Personalmanagement und Organisation an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten. Mit dem Dossier könnten die Personalverantwortlichen nicht den ganzen Menschen erfassen.
Das sei nur im persönlichen Gespräch möglich. Die Dossiers der über Fünfzigjährigen würden aber häufig ohne
Prüfung zurückgeschickt. B Für die Altersgruppe 50+ gilt
die Faustregel: Sie werden seltener arbeitslos, doch wenn
Coaching oder Seminar? B Im Coaching geht man auf ganz spezifische
Fragestellungen der einzelnen Person ein und begleitet sie über eine
gewisse Zeit. B Im Seminar trifft
man sich mit Menschen im gleichen
Alter, tauscht sich aus, sieht, dass
andere mit den gleichen Problemen konfrontiert sind und man damit nicht alleine dasteht. Der Austausch mit Gleichaltrigen wird sehr
geschätzt. Frage: Wann nimmt man
sich schon die Zeit und die Musse,
vertiefter über persönliche Fragen
zu sinnieren? Die Kursteilnehmer
nehmen diese Gelegenheit gerne
wahr und sind nach einem solchen
Kurs motiviert, Anstehendes anzupacken und Veränderungen gelassener entgegenzusehen oder sogar
aktiv in Angriff zu nehmen.
Nach Ihren Erfahrungen ... Tun die
Wirtschaft und die Politik genug für
ältere Arbeitnehmer, oder überlässt man zu viel dem Zufall, dem
RAV und den Sozialämtern? B Diese Frage kann ich so nicht beantworten. Ich fürchte aber, sie tut noch
zu wenig …
Weitere Infos B
www.gabriellahuessy.ch
es sie trifft, tun sie sich schwerer als die Jüngeren, wieder
einen passenden Arbeitsplatz zu finden. B Die Diskussionen um die Arbeitsplatzchancen der sogenannten «Generation50+» wird sich weiter ausweiten. Die Generation
der Babyboomer – 1964 wurden so viele Menschen wie
nie zuvor in der Schweiz geboren – gehört inzwischen zu
dieser Altersklasse und wird zunehmend in Politik und
Wirtschaft wahrgenommen. B Anlass zur Sorge gibt jedoch auch die schweizerische Sozialhilfestatistik, auch
wenn die Sozialhilfequote der 56-Jährigen und Älteren
im Vergleich mit den Jüngeren am niedrigsten ist; seit
Jahren steigt der Anteil der Sozialhilfebezüger im Alter
zwischen 46 und 64 Jahren an. Einmal in der Sozialhilfe,
dies zeigt die Statistik, ist es für die älteren Generationen weit schwieriger, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuss
zu fassen. B Diverse Studien zeigen, dass Produktivität
und Zuverlässigkeit der älteren Beschäftigten unter dem
Strich höher sind als die der jungen. Die Vermutung, ältere Arbeitnehmer würden altersbedingt in ihrer Leistung
abbauen (Defizit-Hypothese), lässt sich wissenschaftlich
nicht erhärten.
Coaching 50+ V WIRTSCHAFT V 33