Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature 23 Jahre Todeszelle – der Fall Debra Milke Von Rosvita Krausz Produktion: DLF 2016 Redaktion: Tina Klopp Erstsendung: Freitag, 30.09.2016 , 20:10-21:00 Uhr Regie: Claudia Kattanek Im O-Ton wirken mit: Frank Aue Ingo Hasselbach Clemens Höges Debra Milke Klaus Strebe Angelika Wedekind Geschäftsmann und Freund von Debra Milke Brieffreund von Debra Milke Spiegelredakteur Opfer eines Justizskandals TV-Journalist Schauspielerin und Brieffreundin von Debra Milke Sprecher 1 (für kurze Ansagen): Jochen Langner Sprecher 2 (Zeitungsartikel, Dokumente): Walter Gontermann Sprecherin 1(OV von Debra Milke): An Kuohn Sprecherin 2 (Zitate aus Büchern): Susanne Pätzold Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - 1 2 Akzent: (auf Atmo/Musik) 1. O-Ton Debra Milke: I have been out since September 13 and I avoid it, I avoid it. I wouldn’t talk about anything. I am very good at avoiding it. But I have been seen a therapist and my therapist told me that I need to talk about it. It will always be with me. My whole life. But I need to talk about it. Because it helps with the healing. Because what I am being taught right now is how to learn, how to live with it. You know when I look at it, it seems that this was a whole life-time ago. And then there are other times I look at, I think, I can’t believe I survived that. I just can’t believe I survived that. I was in this prison for 22 years! That’s a long time. It’s hard, you know. And then I look at it and I am so grateful to be out here, I don’t have to be handcuffed any more. I don ’t have to wear orange any more. Sprecherin 1: Ich bin frei seit September 2013 und am liebsten würde ich nicht darüber reden. Im Vermeiden bin ich sehr gut. Aber ich bin in Therapie und mein Therapeut sagte, dass ich darüber sprechen muss. Es wird mich immer begleiten. Mein Leben lang. Und reden hilft bei der Heilung. Mir wird gerade beigebracht, wie ich lernen kann, damit zu leben. Es kommt mir vor, als wäre dies alles ein ganzes Leben her. Und manchmal kann ich auch nicht glauben, dass ist das überlebt habe. Ich war 22 Jahre lang in diesem Gefängnis. Das ist eine lange Zeit. Sehr hart. Ich bin so dankbar, draußen und hier zu sein und keine Handschellen mehr zu tragen. Und keine orange Gefängniskleidung mehr. Sprecher 2: Ausgehend von den dem Gericht vorliegenden Indizien und dem Urteil der Geschworenen auf Mord, ist die Beweislage klar, 3 Sprecher 1: Urteil im Fall Debra Milke. 12. Oktober 1990 Superior Court of Arizona. Maricopa County. Sprecher 2: Und das Gericht entscheidet, ohne jeglichen Zweifel, dass die Angeklagte Debra Jean Milke den Mord an ihrem Sohn Christopher Milke vorsätzlich beabsichtigte und daran teilhatte und dass sie für seinen Tod verantwortlich ist. Das Gericht beschließt, die Angeklagte zum Tode zu verurteilen. Ansage 23 Jahre Todeszelle – der Fall Debra Milke Von Rosvita Krausz (auf Musik) Sprecherin 1: Ich träume oft von Christopher. Sprecher 1 Brief von Debra Milke an ihre Mutter. Sprecherin 1: Wieder und wieder den gleichen Traum. Ich sehe ihn ganz deutlich. Er steckt in Schwierigkeiten und ruft nach mir, aber ich kann nicht zu ihm. Ich will ihm helfen, aber ich kann nicht, es ist immer irgendetwas im Weg. Es ist schrecklich, denn er schreit: ›Hilf mir, hilf mir doch!‹ und ich kann ihn nicht erreichen. So sehr ich mich auch anstrenge. Ich fange in diesen Träumen an zu weinen, weil ich nicht zu ihm komme, um ihm zu helfen. Tränenüberströmt wache ich auf. Verlag 2016) (Jana Bommersbach: „Ein geraubtes Leben“ Droemer 4 (Musik weg) 2. O-Ton Klaus Strebe Es war im Hochsommer, da ging ich auf das deutsch amerikanische Volksfest, Sprecher 1: Klaus Strebe, Publizist: O-Ton Klaus Strebe und da stand ein Mann mit einem großen Schild und da stand drauf: Freiheit für Debbie Milke. Konnte ich mir gar keinen Reim drauf machen. Ich hab ihn angesprochen, es war ein gewisser Herr Giesenstein, der stellte sich auf dieses Volksfest und warb dafür, dass Frau Debbie Milke freikommt. Und dann hab ich die ganze Geschichte erfahren, ich fand das sehr rührend von ihm und bin dann als Journalist in die Sache eingestiegen und hab wenige Wochen später hab ich dann einen Fernsehbericht gemacht. Sprecher 1: 2. Dezember 1989: Christopher Milke, der vierjährige Sohn von Debra Milke, wird in der Wüste erschossen aufgefunden. Debras Mitbewohner James Styers und dessen Freund Richart Scott hatten den Jungen zum Einkaufen mitgenommen, wo er angeblich verschwand. Die beiden verwickeln sich in Widersprüche und werden verhaftet. 3. Dezember 1989: Debra Milke wird verhört und verhaftet. 4. Dezember: Die Untersuchungen im Fall Christopher Milke werden eingestellt. 6. Dezember 1989: Detective Armando Saldate verkündet vor die Presse, Debra Milke habe gestanden, am Mordkomplott beteiligt gewesen zu sein. 3. O-Ton Klaus Strebe An diesem Schicksal hat mich berührt diese ungeheure Ungerechtigkeit, die ich dann erfahren habe, wie jemand verurteilt wird, ohne eigentlich richtige Anhaltspunkte, richtiges Verfahren. Debra Milke wurde praktisch in die Falle gelockt von einem Ermittler. Eigentlich wurde sie als Zeugin geladen und als sie da war, sagte er: ja das 5 ist jetzt ein Verhör und dann behauptete er später, er, dieser Herr Saldate, sie hätte ihm die Anstiftung zum Mord gestanden. Ich hab das dann auch gesehen in einem Fernsehbericht – Tagesschau - wie sie bei Gericht saß und er mit einer großen Überzeugung sagte: ja sie hätte ihm das gestanden und damit hat sich ein Gericht zufrieden gegeben! Jemand zu verurteilen wegen Beihilfe ohne überhaupt etwas in der Hand zu haben, das war so absurd! 4. O-Ton Clemens Höges: Ich war damals Spiegelkorrespondent in Washington und ich hatte gehört von einer Deutschen, die in der Todeszelle sitzen sollte. // Und wurde das Gefühl nie los, dass in dem Fall irgendetwas nicht stimmen konnte. Sprecher 1: Clemens Höges, Spiegelredakteur. O-Ton Clemens Höges: Dann bin ich nach Phoenix gefahren und hab den Fall dort recherchiert, 6 Wochen lang um Deborah Milke herum recherchiert und hab mit allen möglichen Leuten gesprochen und kam zu dem Schluss, dass die Justiz da keinen Fall hat, dass sie an dem Mord nicht schuld sein kann. Es schien mir alles sehr unglaubwürdig, es schien mir vor allen Dingen, dass die Aussage eines Polizeibeamten, der schlecht beleumundet war, dass diese Aussage reichte, sie in die Todeszelle zu bringen. 5. O-Ton Debra Milke: I knew, from the very, very, very beginning, that I was innocent of this crime. I did not participate in it. .And I just thought well, on some point this all will come out and I will get out of prison and I will be free again. Sprecherin 1: 6 Ich wusste, dass ich unschuldig war. Ich wusste, dass ich nicht hierher gehörte. Ich dachte, irgendwann wird die Wahrheit ans Licht kommen und dann werde ich frei sein. 6. O-Ton Klaus Strebe Es haben sich Gott sei Dank viele Unterstützer gefunden, in Deutschland hauptsächlich. Wobei man dazu sagen muss, den amerikanischen Justizbehörden ist es schnurzegal gewesen, was hier in Deutschland passierte. Auch was im Fernsehen lief, das interessierte die gar nicht. Ich hab sogar gehört um die Ecke rum, da wurde dann schnell gesagt: das sind alles Nazis. Frechheit! Aber es gab hier Unterstützer, aber ich sag mal an erster Stelle hat ihre Mutter den größten Verdienst, nachdem sie sich sorgfältig erkundigt hatte und überzeugt war ,Debbie ist unschuldig, hat sie gekämpft wie eine Löwin. D.h. sie ist hingefahren, sie hat Briefe geschrieben, sie trat in den Medien auf und vor allen Dingen, sie und ihr damaliger Mann, der ja dann gestorben ist, haben wahnsinnig viel Geld für Anwälte aufgebracht. Da ging auch einiges erstmal schief. Dann wurden die Anwälte nochmal gewechselt. Kostete nochmal Geld. ...die haben wirklich richtig gekämpft. 7. O-Ton Wedekind: Also es war 1998, erinnere ich mich. Da habe ich zufällig dieses Magazin TIP gefunden irgendwo auf einem Schreibtisch von irgendwem, hab mich sofort festgelesen und dachte, diese Frau ist unschuldig und dieser Frau muss man irgendwie helfen. Sprecher 1: Angelika Wedekind, Schauspielerin. O-Ton Wedekind: Ich war so angesprochen von diesem Artikel, dass ich spontan dachte, ich muss mich bei ihr melden. Und daraus hat sich eine sehr lange Brieffreundschaft entwickelt bis auf den heutigen Tag und darüber bin ich eigentlich sehr glücklich. 8. O-Ton Debra Milke: And I started to receive a lot of mail from people, letters. From people all over. 7 It was very heartwarming to get all this mail from all these people. I felt really connected to the world. Sprecherin 1: Ich bekam eine Menge Post von Menschen aus aller Welt. Es war Balsam für meine Seele, so viel Post von so vielen Menschen zu bekommen. So fühlte ich mich wirklich in Verbindung mit der Welt draußen. 9. O-Ton Wedekind: Es war eine Brieffreundschaft, wie sie unter normalen Menschen stattfindet. Eine Deutsche und eine Amerikanerin schreiben sich. Aber dieser Hintergrund war eben immer da und das hab ich ganz schnell fast vergessen können. Ich hab ihr natürlich immer wieder Mut gemacht und bin schon immer wieder so hinten rum darauf eingegangen, aber ich hab die Worte Todesstrafe vermieden, ich hab auch nicht so oft das Wort Gefängnis benutzt, ich hab immer so getan, als ob es eigentlich ganz privat wäre. Aber was ich gemacht habe - und das hat man mir im Gefängnis wohl sehr übel genommen in dem sie saß: Ich hab oft die Briefumschläge beschrieben: help, she is unguilty und solche Sachen und da hat sie mir dann irgendwann geschrieben, mach das besser nicht, weil das nimmt man mir übel. Ihre Briefe sind natürlich zensiert worden. Sprecherin 1 Liebe Angelika, die meisten Menschen glauben vermutlich, dass ich in der schlimmst möglichen Lage bin. Sprecher 1: Aus einem Brief von Debra Milke vom 20.4.2001: Sprecherin 1 Aber ich habe etwas, das die meisten anderen Häftlinge nicht haben. Ich habe Hoffnung. (auf Musik)Die Hoffnung, rauszukommen, mein Leben und meine Freiheit zurück zu kriegen. Ich lese viel, sammle Weisheiten und Sprüche zum Beispiel „Wir haben die Wahl. Steh auf und kämpfe oder leg dich hin und 8 stirb.“ Oder „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Und dann halte ich mich an das Gelassenheitsgebet: “Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu entscheiden.“ (Musik weg) 10. O-Ton Wedekind: Ich habe von Anfang an gemerkt: sie ist ein hochgradig sensibler Mensch. Sie ist zutiefst verletzt und zutiefst verzweifelt. Aber sie hat eine Kraft rüber gebracht und einen Kampfesmut und einen unbedingten Willen, dass ihre Sache aufgearbeitet wird und dass die Gerechtigkeit siegt und sie schien mir immer in allem was sie geschrieben hat so klar, so sortiert im Kopf. Sprecher 2: Debbie Milke ist so etwas wie ein exotisches Tier im Wildpark Arizona: Sie ist nicht nur die einzige Gefangene im Todestrakt von Perryville, sie ist überhaupt die einzige Frau in Arizona, die derzeit auf ihre Hinrichtung wartet. Die zweite in der Geschichte des Landes. Ein prominentes Prestigeobjekt des früheren Generalstaatsanwalts Grant Woods - und, wenn man der einzigen Tageszeitung in Arizona, der "Arizon Republic", glauben darf, das schlimmste Monster im ganzen Land : eine "kaltblütige Kindsmörderin", die die "Hinrichtung" ihres vierjährigen Sohnes Christopher in Auftrag gegeben haben soll - für lumpige 5000 Dollar aus einer Versicherungsprämie ! So jemanden will man in Arizona an der Giftspritze hängen sehen. Sagen jedenfalls der Tankwart und der Sheriff. Sagen auch die Politiker, von denen nicht wenige am liebsten selbst die Todeskanüle ansetzen würden (Zeitschrift Tip 1998 „Tod in der Wüste – der Fall Debra Milke“ von Ingo Hasselbach und Hans Hermann Leukert) Sprecher 1 Ingo Hasselbach und Hans-Hermann Leukert im Juni 1998 in der Zeitschrift TIP. Sprecher 2: 9 »Wenn ich mir unter den Todestraktinsassen von Arizona jemanden aussuchen sollte, der als Nächstes dran sein sollte, Sprecher 1: Grant Woods, damaliger Generalstaatsanwalt von Arizona auf einer Pressekonferenz Sprecher 2: …dann würde ich mich für sie entscheiden – angesichts dessen, was sie getan hat. Debra Milke hat ein schlichtweg unbeschreibliches Verbrechen begangen.« Sprecher 1: Das Bundesgericht von Arizona ordnet ihre Exekution für den 29 Januar 1998 an. Im Januar wird Debra Milke abgeholt und zu einem „Probelauf“ zur Hinrichtungskammer gebracht. In letzter Minute erwirkt ihr Anwalt einen Aufschub und eine erneute Prüfung des Falles. Sprecherin 2 Als am 12. September 1990 der Prozess gegen Debra Milke begann, waren die Leser der wichtigsten Publikationen Arizonas, der Morgenzeitung Arizona Republic und der Abendzeitung Phoenix Gazette, bereits von ihrer Schuld überzeugt. Sprecherin 1: …schreibt Jana Bommersbach in ihrem Buch „Ein geraubtes Leben“ 11. O-Ton Angelika Wedekind: Also Debras Vorverurteilung in der Presse war ja beispiellos. Hinzu kam, dass Debra einen Pflichtverteidiger hatte, der diesem Fall in keinster Weise gewachsen war. 10 Sprecher 1: 29.6.1998. Clemens Höges schreibt im Spiegel: Sprecher 2: Armando Saldate von der Mordkommission ist ein Bär von einem Mann mit einem Gesicht wie eine Faust und einem Ruf wie Donnerhall. Er kriegt Geständnisse wo andere leer ausgehen. Er hat sich hochgekämpft, und gerade steht er vor dem größten Schritt seiner Karriere. Er kandidiert für den Posten des Constable, eine Art Gerichts-Sheriff. Dafür muss er eine Kommunalwahl gewinnen. Ein prominenter Fall käme ihm zupass. Verbrechen an Kindern sind immer prominent. 12. O-Ton Clemens Höges: Da gibt es ja Fälle, dass er einen Menschen, der im Krankenhaus auf der Intensivstation lag, dass er von dem ein Geständnis herbeibrachte. Von einem anderen, der so geschädigt war, dass er nicht mehr seinen eigenen Namen wusste, der sollte da nun angeblich gestanden haben – solche Fälle, das war dem Gericht damals nicht klar. Die wussten, Saldate ist jetzt nicht grade ein sehr ehrbarer Cop, das wussten sie schon, sie wussten aber nicht die Details. Und jetzt, ganz zum Schluss dieses Falles,hat dann das Gericht ja auch entschieden, es waren mehrere Gerichte, aber die Aussage war: es hätte niemals sein dürfen, dass ein Urteil auf Grund dieses angeblichen Geständnisses fiel. Und deshalb wusste ich, es sitzt da eine Frau, die deutschstämmig ist, höchst wahrscheinlich unschuldig in der Todeszelle. Und natürlich interessierte mich dieser Fall sehr. Sprecher 1: Zwischen 1993 und 1997 beantragen Debra Milkes Anwalt Anders Rosenquist und Privatdetektiv Kirk Fowler die Zulassung neuer Beweismittel, die erst nach dem Schuldspruch geltend gemacht werden können. Zudem greifen sie die Glaubwürdigkeit von Detective Saldate an. Er habe gelogen. Mittlerweile war bekannt geworden, dass in Saldates Bezirk fünf Unschuldige als Mörder verhaftet wurden. Trotzdem, lehnt das zuständige Gericht ab. 11 13. O-Ton Klaus Strebe: Am schwersten, wenn ich versuche, mich in diesen Zustand zu versetzen, ist wirklich das Gefühl, hilft mir überhaupt noch einer. Diese wahnsinnige Hoffnungslosigkeit. Selbst als dann das Verfahren mal wieder aufgenommen wurde, das war ja zäh wie Honig eh das in Gang kam. Aber vorher war doch im Grunde genommen null Hoffnung da, wo sollte die Hoffnung herkommen? Das einzige war ja ihre Mutter, die sie auch mal besuchen konnte, sagte: ja wir tun alles hier draußen. Dann gab‘s ja auch noch Rückschläge, z.B. was ich gehört habe, dass die erste Anwaltskanzlei, die sich darum gekümmert hat, sie hatte vorher auch noch einen Pflichtverteidiger wie gut der war? Wahrscheinlich nicht sehr gut, sonst wäre sie ja frei gekommen...aber dann die andere Kanzlei, die ja teuer bezahlt wurde, die schien ja nicht so viel Erfolg zu haben. Das kam ja auch noch dazu. Dann sank wahrscheinlich auch noch die Hoffnung total zusammen. Also das muss die Hölle sein. Sprecherin 1: Ich kann es kaum noch ertragen, versuche aber dennoch, nicht zu kapitulieren. Sprecher 1: Debra Milke 1998 in einem Brief an ihre Mutter Renate Janka. Sprecherin 1: Seit zehn Jahren vertraue ich meinem Anwalt und all seinen Versprechungen, aber was du mir das letzte Mal über seine Arbeitsweise erzählt hast, bringt mich fast um den Verstand. Ich denke jetzt jeden Tag darüber nach und habe schreckliche Angst, dass ich auf Grund seiner Fehler möglicherweise doch noch hingerichtet werde und er dann hinterher sagt: »Sorry, ich habe mein Bestes getan.« Mom, ich bin unschuldig. Ich habe nichts getan, und ich fordere Gerechtigkeit. Es muss doch irgendjemanden geben, der sieht, welches Unrecht man mir angetan hat. 14. O-Ton Klaus Strebe: Das ist ja auch leider manchmal das amerikanische Prinzip, die Todeskandidaten sitzen ja Jahrzehnte oft und warten auf ihr Urteil. Warum weiß ich nicht. Ich bin 12 manchmal gegen Betonmauern gerannt: Ich habe, das sage ich ganz offen, auch als Kritik, versucht dann an Amnesty International heran zu kommen, Hauptsitz London, hab denen geschrieben. Ja, da kam dann ein kalter Abwasch, sie kümmern sich nur – tut ihnen leid – um politisch Gefangene. Das hab ich nie eingesehen. Ein Menschenleben ist ein Menschenleben. Ob politisch verurteilt, oder ungerecht verurteilt. Das fand ich nicht sehr gut. 15. O-Ton Wedekind: Was die Familie von Debbie betrifft, da war ich ziemlich erschüttert, nachdem ich das alles so erfahren hatte. Sie ist ganz offenkundig von ihrer Mutter viel zu früh alleine gelassen worden. Ihre Mutter hat ja einen anderen Mann kennen gelernt und einen Schweizer, ist mit ihm in die Schweiz gegangen, da war Debbie erst 19 und sie wohnte alleine wohl und dann hat sie diesen Mann kennen gelernt, diesen Fliesenleger, der ja da wohl völlig unter ihrem Niveau war und wohl auch ein Ebenbild des Vaters. Auch ein Trinker, auch ein Choleriker – ja dann ist sie ganz schnell schwanger geworden, und hat diesen Sohn bekommen und dann hat er eben auch angefangen sie zu prügeln und wie das immer so ist, diese Trinkerkarrieren, Frauen, die so einen Mann lieben, werden co-abhängig wie man so sagt. Sie hat wohl eine Weile an ihn geglaubt, offenbar viel zu lange. Dann ist sie bei diesem Jim Styers gelandet, das war ja wohl ein Ex-Freund ihrer jüngeren Schwester und hat sie überhaupt nicht begriffen, dass der sich auch ganz schnell in sie verliebt hat, sie war ja hochattraktiv als junge Frau. Aber sie war natürlich in Not. Wo sollte sie hin mit dem Kind, nachdem sie ihren Mann verlassen hatte. Sprecher 2: Debbie Milke zieht zu Jim Styers, einem Bekannten, der allein in einer großen Wohnung haust. Sprecher 1: Clemens Höges im SPIEGEL am 29. Juni 1998 Sprecher 2: 13 Styers hat in Vietnam bei den Marines gekämpft. Er lebt von Behindertenrente. Was er in Vietnam getan hat kann Milke nur ahnen. Schwere Medikamente dämpfen den Kriegslärm in Styers Schädel ein wenig und auch die latente Verwirrung, die dort herrscht, seit er von einem Militärtransporter fiel und anschließend ein Vierteljahr lang mit Hirntrauma im Koma lag. 16. O-Ton Angelika Wedekind: Was den Jim Styers betrifft, da muss man ja auch sagen, der war Vietnam Veteran, er hatte wohl Kinder erschossen, wurde dann unehrenhaft aus der Armee entlassen, er war ziemlich verrückt, er war schizophren, er musste ständig Medikamente nehmen, hat eben auch sehr viel getrunken und war eine sehr seltsame Persönlichkeit . Sprecher 2: Debbie Milke sieht ihr Zusammenleben mit Jim als Wohngemeinschaft auf Zeit. Doch Styers, rund 15 Jahre älter, beginnt sich in sie zu verlieben. Er fährt sie zur Arbeit, wäscht die Hemden und hütet Christopher, auch wenn ihm der Bengel manchmal auf den Wecker geht: "Ich wünschte, er wäre tot", sagt er zu Nachbarn. (SPIEGEL) 17. O-Ton Angelika Wedekind: (auf Musik) Dann kam dieses Weihnachten, wo sie dem Sohn erlaubt hat, er war damals vier der Christopher, dass er sich bei der Hauptstraße den Weihnachtsmann angucken durfte, und dieser Jim Styers hat gesagt, ich fahr mit dem Jungen dahin, ich muss sowieso noch einkaufen, ich nehme ihn mit. Das war ein riesen Fehler. Das hat sie nicht richtig eingeschätzt. Da hatte der bereits was vor. Dann muss er ja wohl einen Freund abgeholt haben, die beschuldigen sich ja bis heute gegenseitig, wer den Jungen erschossen hat, man weiß es nicht genau. 18. O-Ton Clemens Höges: 14 Der Tathergang ist ja relativ unstrittig. Sie sind ein Stück in die Wüste gegangen, da wo jetzt das weiße Kreuz steht, m. M. nach war es so, wie Styers es geschildert hat: Styers ging vorne, der Junge in der Mitte, Scott hinten und dann hat Scott den Revolver gezogen und den Jungen erschossen. Ich vermute, dass es so gewesen ist. Bei Scott wurde ja später die Tatwaffe gefunden, der Revolver. Und alles andere, was danach passierte, war letztlich cover-up. Ein Versuch, diese Spuren zu verwischen. (Musik weg) Sprecher 1: Es ist ein Indizienprozess. Aussage gegen Aussage. Die Geschworenen vertrauen Saldate. Es gibt eigentlich keine Beweise für Debra Milkes Beteiligung am Mord, keine DNA-Spuren, kein wirkliches Motiv, keine Zeugen. Der Staatsanwalt nennt das Verbrechen trotzdem „monströs, diabolisch, böse“. Um das zu beweisen, ruft er Debbies Vater und ihre Schwester Sandy in den Zeugenstand. Sprecher 2: Sam Sadeiks Aussage ist vernichtend. Sprecher 1: Clemens Höges am 29.6.1998 im SPIEGEL: Sprecher 2: Debbie sei kalt, egoistisch, berechnend - eben ganz ihre Mutter, die ihn verlassen hat: "Wenn man ihr noch einmal die Chance gäbe, ein Kind zu bekommen, würde sie es wieder töten." Sandy setzt nach, ihre Schwester Debbie sei die typische Kindesmörderin. Sie will gesehen haben, wie sie Christopher einmal den Schnuller mit Klebeband auf den Mund pappte. Sandy fordert die Spritze für ihre Schwester: "Sie hat es verdient für das, was sie Chris angetan hat." Solche Aussagen von der eigenen Familie wiegen schwer. 15 Sprecherin 2 Die Jury sah in Debra Milke eine eiskalte Mörderin und befand, sie habe für ihr Vergehen den Tod verdient. Sprecher 1: …schreibt Jana Bommersbach in ihrem Buch „Ein geraubtes Leben“. Sprecherin 2 Das Urteil wurde von so ziemlich allen begrüßt, die von dem »Santa Claus Murder«, dem »Weihnachtsmannmord« gehört oder gelesen hatten, einem Fall, der im ganzen Land für Aufsehen sorgte. Was war sie für ein Monster, dass sie ihr Kind losgeschickt hatte, den Weihnachtsmann zu sehen, und es dann ermorden ließ? Wie niederträchtig und gemein konnte eine Frau überhaupt sein? Als »schockierend böse« bezeichnete die Presse das Verbrechen, und das ganze Land pflichtete dem bei, und Debra Jean Milke wurde zur meistgehassten Frau der USA. »Abscheulich! Unfassbar kaltherziger Mord!« lautete eine Schlagzeile. Selbst die, die sonst ein weiches Herz hatten, schrieben sie ab. (Jana Bommersbach: „Ein geraubtes Leben“ Droemer Verlag 2016) 19. O-Ton Angelika Wedekind: Die hat so ein Pech gehabt. Erst dieser Ehemann, dann dieser Freund von ihrer Schwester wo sie gelandet ist und dann dieser durchgeknallte Cop. Also drei und wenn man dann den Staatsanwalt sieht und hört...Man kann sich nicht vorstellen, dass so ein Mann da Staatsanwalt sein darf. Das ist ein Teufel gewesen. Ich hab das Gefühl, die ist unter lauter Verrückte geraten. Der Vater hat ja erst auf dem Totenbett um Verzeihung gebeten und hat gesagt, dass er nur gelogen hat in Bezug auf Debbie, der hat auch einen Hass gehabt auf seine Tochter. Ob das im Grunde eine Wut war auf die Mutter, die ihn verlassen hat und er diese Wut weiter gegeben hat an die Tochter, ich weiß es nicht. Die Sandy, die jüngere Schwester, die sehr nach dem Vater kommt und die sich so gewünscht hat, dass die Schwester stirbt, war nach Aussage von Renate von Anfang an 16 eifersüchtig auf Debbie, Debbie war immer sehr gut in der Schule, Sandy nicht. Debbie hatte Erfolg, die jüngere Schwester nicht. Also da war so viel Eifersucht im Spiel und so viel Unausgesprochenes. Dass ausgerechnet diese Debbie, die ich als so einen positiven Menschen empfinde, dass ausgerechnet sie so in die Mühlen geraten ist, das ist so ungerecht. Das kann man überhaupt nicht ertragen. Übrigens, die einzige aus der Familie, die zu Debbies gehalten und für sie gekämpft hat, war ihre Mutter. Nicht von Anfang. Die hat ja erstmal lange gezögert. Ich glaube, zwei Jahre hat das gedauert. 20. O-Ton Clemens Höges: Ich hab ja lange mit Frau Janka, also der Mutter von Deborah Milke gesprochen. Und das hatte sie mir auch ganz klar gesagt. Sie hat geglaubt, es gibt ein Geständnis und hat deshalb den Kontakt zu ihrer eigenen Tochter – hätte sie nicht ausgehalten. Sie hat den Kontakt nicht aufgenommen, weil sie dachte, sie hat gestanden, okay, sie hat dann widerrufen. Aber sie hat gestanden, dann wird das wohl schon so sein. Dann wird sie wohl den Mord an ihrem Jungen in Auftrag gegeben haben. 21. O-Ton Angelika Wedekind: Renate, ihre Mutter, ist eine Frau gewesen, die war durchaus sympathisch, auch sehr klug, auch sehr sortiert im Kopf, auch von ihrer ganzen Körperhaltung her und wie sie sich anzog,, sehr gepflegt, sehr geordnet schien alles. Ich hab sie einmal gefragt, da hab ich allen Mut zusammen genommen und hab gesagt: Renate, sag mir bitte mal eines, du hast deine Tochter, ich glaube, erst zwei Jahre nach der Verurteilung kontaktiert. Wie kommt sowas. Du bist doch die Mutter. Und da hat sie mich angeschaut und dann hat sie gesagt, nach einer Pause: ich hab als Mutter total versagt. Und dann hat sie mir erzählt, sie hat total geglaubt an diesen American Way of Life und auch an das Justizsystem geglaubt! Sie hat wirklich geglaubt, ihre Tochter ist zu recht im Gefängnis, und das hab ich nicht verstanden. Ich hab gesagt, du kennst doch deine Tochter besser! Da sagt sie: ich kann es heute nicht mehr erklären, ich begreife es auch nicht mehr und ich schäme mich auch dafür. Auch das 17 hat sie ausgesprochen. Und ich habe erst wieder entdecken müssen, wie sehr ich sie liebe, und dass ich was für sie tun muss. 22. O-Ton Ingo Hasselbach: Man kriegt einen sehr guten Eindruck, wenn man in diese Wüste rausfährt, das ist die trockenste Erde. Die Sonne scheint permanent. Es sind 40 – 50 Grad Tagestemperatur. Es ist so trostlos, wie man es sich vorstellen kann. Da wächst nichts, kein Schatten. Es sind kleine Betonhäuser 2 Stockwerke jeweils. Zellengröße bei 2.50 Breite auf 4 m Länge. Dann kam noch dazu, dass dieser Todestrakt, den die da in dem Gefängnis einrichten mussten, den es ja nicht gab, in dem Bereich eingerichtet wurde, wo die schwersten Fälle von Gefangenen untergebracht waren. Gefangene die aggressiv sind, die wahnsinnig sind, die suizidgefährdet sind, also sozusagen so ein Isolationstrakt. Das war ihr tägliches Umfeld. Sprecher 1 Ingo Hasselbach, recherchierte im Juni 1998 Debras Fall in Arizona für die Berliner Zeitschrift TIP. Er gehörte von Anfang an zum Helferkreis, der sich nach Erscheinen des Artikels „Tod in der Wüste – der Fall Debra Milke“ zusammenfand. 23. O-Ton Ingo Hasselbach: Was für mich noch ein irrsinniger Eindruck war, zwei Meilen entfernt Luftlinie von diesem Gefängnis ist eine American Airforce Base, wo die Kampfpiloten ausgebildet werden und die fliegen im Tiefflug den ganzen Tag über dieses Gefängnis. Das ist der tiefste Punkt. Da dürfen die halt richtig tief drüber fliegen. Was noch dazu kommt ist, das ist eine irrsinnige Geräuschkulisse, die da entsteht. Also das ist alles in allem eine Form von Folter. 24. O-Ton Wedekind: Sie hat auch sehr darunter gelitten, dass es natürlich mörderisch heiß ist in diesen Zellen, ich glaube Phoenix liegt auf dem Breitengrad von Riad ungefähr also Saudi Arabien. Im Sommer muss es da so heiß sein, dass man denkt, man verkocht und da 18 gibt es immer noch keine Klima-Anlage. Sondern da gibt es Matten aus Stroh und da läuft kaltes Wasser drüber und es stinkt. Aber das ist die einzige Kühlung, die die Gefangenen bekommen. Das ist auch furchtbar, eine Art Folter und dann nur ein oder zweimal in der Woche duschen dürfen. Das ist alles ganz schlimm. Und das hat sie alles ertragen, weil sie für meine Begriffe ein unglaublich intelligenter ,sortierter Mensch ist. Die hat sich einfach fokussiert: ich will Gerechtigkeit. Ich will hier raus. (auf Musik) Sprecher 1: 2001 Debra schreibt an ihre Mutter Renate Janka: Sprecherin 1: Ich sehe oft aus meinem Fenster hinüber zum Hauptgebäude und denke an den Tag, an dem ich diesen Ort verlassen werde. Ich stelle mir die Situation vor und höre mich sogar dabei sagen: »Das ist der letzte Tag, an dem ich gefesselt sein werde. « Der Schmerz, den ich fühle, ist unbeschreiblich und ich werde niemals mehr die sein können, die ich einmal gewesen bin. Ich werde das, was ich hier ertragen muss, niemals verwinden können. Mein Herz ist in Stücke gerissen worden. Einmal pro Woche darf ich Besuch empfangen. Da wird dann der ganze Hof geschlossen. Alle müssen in ihre Zellen zurückgehen. Man begleitet mich, zuvor aber werden mir Handschellen und Fesseln angelegt. So muss ich über den Hof gehen. Zwei Aufseher sind immer dabei. Sie tragen Schutzanzüge mit kugelsicheren Westen. Wenn die Besuchszeit vorbei ist, riegeln sie wieder den Hof ab, und ich gehe mit den Aufsehern zurück in das Gebäude, in dem ich untergebracht bin. Vorher aber müssen die Besucher den Bereich bereits wieder verlassen haben. Und dann werde ich am ganzen Körper durchsucht. Ich muss mein Haar schütteln, sie gucken mir hinter die Ohren und in die Nase, ich muss meinen Mund weit aufmachen, die Zunge anheben und mein Zahnfleisch zeigen. Meine Finger spreizen und die Arme heben, sie schauen einfach überall nach, vom Kopf bis zu den Füßen. (Musik weg) 19 Dann musst ich mich umdrehen, hinhocken und drei Mal husten. Bevor ich aufstehen darf, muss ich noch die Pobacken spreizen. Und sie schauen auch da ganz genau nach. Dann muss ich noch die Füße heben und mit den Zehen wackeln. Es ist schon sehr demütigend. (Renate Janka: „Lasst meine Tochter endlich frei“ Droemer Verlag 2001) Sprecher 1: Die Anteilnahme wächst. Debra Milkes wichtigster Unterstützer wird der Berliner Unternehmer Frank Aue. Er betreibt seit 1998 eine Website mit allen wichtigen juristischen Dokumenten in Deutsch und Englisch und besucht Debbie Milke regelmäßig. 25. O-Ton Frank Aue: Wir haben sofort geklickt, wie man so schön sagt, d.h., wir haben sofort Themen zusammen gehabt, wir haben sofort verstanden, wie der jeweils andere funktioniert, sie hat begriffen, dass ich sie nicht wie eine Celebrity behandele, sondern eben ehrlich interessiert war an ihr als Mensch, aber eben auch an ihr als Fall. Und bei unserem ersten Treffen habe ich Debbie gefragt, ist es okay, wenn ich in deinem Fall recherchiere? Weil ich wusste schon aus dem Jahr Korrespondenz davor, dass Debbie sehr, sehr, skeptisch war, wenn jemand in irgendeiner Art und Weise sich in ihren Fall reinbewegen wollte, oder sich drum kümmern wollte. Weil es zu viele gegeben hat, die alles verdreht haben letztlich. Ich bin in den Fall reingewachsen. Am Anfang ging`s mir um die Webseite, ich dachte naja, vielleicht kann man damit was Gutes erreichen, was Gutes bewirken. Dann in 2000 hab ich mit Debbie selber eine sehr, sehr intensive Korrespondenz angefangen und sie sagte irgendwann, hast du nicht Lust, besuche mich doch mal. Dann bin ich quasi ins Gefängnis… ich war noch nie in meinem Leben in Deutschland in einem Gefängnis jemanden besuchen. Dann hab ich irgendwann mal juristische Unterlagen gelesen und wo ich sofort erkannt habe, wo die Diskrepanzen liegen und wo eben der Fall auch verdreht wurde und so bin ich immer mehr da reingerutscht. Dann hab ich mich der Familie gegenüber stark gemacht: wir brauchen einen anderen Anwalt, eine andere rechtliche Vertretung, dann fing ich an, mit Lori Voepel und Mike Kimmerer zusammenzuarbeiten, dann haben wir die Unterlagen von dem Andrew Rosenquist bekommen, die waren völlig durcheinander, da war 20 nicht ein Blatt was irgendwas mit dem anderen Blatt davor zu tun hatte, es war so 17 Boxen nur Chaos. Dann hab ich 6 Wochen da gesessen und alles durchsortiert und mir selber so gedacht, jetzt sitzt du hier als Deutscher in einem amerikanischen Anwaltsbüro und sortierst einen Fall durch. Das ist irgendwie ziemlich surreal gewesen. 27. O-Ton Clemens Höges: Es sind zwei ziemlich großkalibrige Anwälte, Kimerer und Voepel, und die haben das sehr gründlich gemacht. Die haben sich damit sehr über Jahre hinweg auseinander gesetzt, es sind nicht Deboras erste Anwälte, es gab vorher andere. Aber die haben das mit großer Zähigkeit durchgefochten, weil sie auch glauben, dass der Fall an der Todesstrafen- Praxis in den USA generell etwas ändern kann. Also sie waren an dem Fall als solchen und an dieser Frau, an diesem Menschen Debra Milke interessiert und haben für diesen Menschen gekämpft ja auch. Aber sie sind eben auch Juristen, die sagen wir statuieren ein Exempel. Wir produzieren hier einen Fall, auf den sich später andere Gerichte berufen können, berufen müssen, und es wird z.B. jetzt in keinem Todesstrafen-Fall mehr eine Verurteilung nur auf Grund eines Geständnisses geben, das es nicht als Aufzeichnung gibt. Das ist ganz klar und insofern haben diese beiden Anwälte da schon eine juristische Strebe eingezogen und die amerikanische Justizpraxis ein Stück weit korrekter gemacht. (Musik) Sprecher 1: 15. März 2013. Nach 22 Jahren Todeszelle befindet das neunte Berufungsgericht, dass Debra Milke keinen gerechten Prozess erhalten hat – und hebt das Todesurteil auf. Die Staatsanwaltschaft muss nun entscheiden: entweder ein neuer Prozess – oder Debra kommt frei. Am 8. September, anderthalb Jahre später, wird das Urteil gegen Debra Milke wegen mangelnder Beweise endlich für ungültig erklärt. 28. O-Ton Wedekind: Wir haben alle gedacht, dass wir mit unseren Unterschriftenlisten mit unseren Aktivitäten in der Presse und überall, dass wir was bewirken können. Im Grunde genommen kann man auf die Weise nur bewirken, dass irgendwann mal ein toller 21 Jurist aufmerksam wird. Das kann man erreichen. Also man kann von unten Schubkraft geben, dass man sagt, wir sammeln Unterschriften und wir schicken das an Zeitungen und Fernsehsender, und wenn die absagen, ist egal, dann kommt der nächste immer wieder, immer wieder. Und dann langsam kommt eine Öffentlichkeit zu Stande immer mehr. Und irgendwann kommt es jemandem zu Ohren. Und irgendwann ist da so jemand wie dieser Herr Kimerer. Und irgendwann hat der dann Erfolg und dann passiert sowas und das ist großartig. Sprecher 1: 12. Dezember 2014: Ein Berufungsgericht im Bundesstaat Arizona ordnet an, die Mordanklage gegen Debra Milke fallen zu lassen. Die drohende Neuauflage des langen Prozesses verstoße gegen die US -Verfassung. Niemand darf zweimal für dasselbe Verbrechen vor Gericht gestellt werden. 23. März 2015 Das Verfahren gegen Debra Milke wird nach einem viertel Jahrhundert endgültig eingestellt. (Musik) Sprecher 2: Dieser Fall war nicht einfach. Sprecher 1: Mike Kimerer auf der Pressekonferenz: Sprecher 2: Es gab Höhen und Tiefen, Tränen und Kummer. Wir haben den Felsen immer wieder den Berg hinaufgeschoben, und immer wieder rollte er hinunter. Hoffnung gab uns Debra. Wenn Lori und ich sie in der Haft besuchten und wir niedergeschlagen waren – wer baute uns da wieder auf? Debra. Sie sagte dann immer: ›Vergesst nicht, dass ich unschuldig bin.‹ 29. O-Ton Frank Aue: Das war natürlich der größte Glücksfall, dass es auch am Ende so kam, wie wir uns das über Jahre und Jahrzehnte hinweg vorgestellt haben. Dieses Gefühl, sie 22 rauskommen zu sehen, mit ihr zusammen am ersten Nachmittag oder Abend zusammen zu sitzen war unbeschreiblich. Das muss man wirklich einmal erlebt haben, um es zu verstehen. Ich kann mir das fast so ein bisschen vorstellen wie die Geburt eines Kindes. Was mir persönlich nie vergönnt war. Aber ich denke mir, dass das wahrscheinlich sehr ähnlich ist. ...freue mich für sie. 30. O-Ton Ingo Hasselbach: Es war der schönste Tag in meinem Leben, in der Konstellation mit dem, was wir 10 Jahre vorher gemacht haben, zehn Jahre Kampf für Debra, war das der glücklichste Moment den ich mir vorstellen konnte. Ich hab die Pressekonferenz die sie damals mit ihren Anwälten in Amerika gegeben hat, hier zusammen mit meinen Kindern gesehen und ich hab diese unglaublich starke Frau gesehen und dachte, das ist ein Wahnsinn, dass sie da so sitzt und so daraus gekommen ist. Für mich hat sich im Prinzip alles bestätigt, was ich immer über diese Frau dachte, das ist eine Kämpfernatur, die hat sich nicht aufgegeben und sie hat es geschafft. 31. O-Ton Angelika Wedekind: Dann ist ja Renate auch mal hingeflogen und durfte wirklich, so krank wie sie schon war, sie war ja sehr schwer krebskrank, die Renate zum Schluss, durfte sie ihre Tochter noch mal in die Arme nehmen. Aber sie war ja erst halb frei, sozusagen, weil sie hatte ja noch diese elektronische Fußfessel. Dieser Gouverneur von Arizona, der ja nun Angst hat, dass sein Staat furchtbar viel Geld bezahlen muss, hoffentlich ganz viel für sie, der wollte sie natürlich wieder rein haben ins Gefängnis. Der hat sich natürlich mit Händen und Füßen gegen ihre Freilassung gewehrt. Ganz klar. Jetzt geht’s nur noch ums Geld und natürlich auch um ein schlechtes Image. Peinlich für Arizona. Sehr peinlich. 32. O-Ton Klaus Strebe: Als ich das gesehen habe, ich hab‘s ja im Fernsehen gesehen und in vielen Fotos, wie sich die totkranke Mutter und Debbie in Amerika zum ersten Mal gesehen haben, ich habe das Bild noch so vor mir, ich glaube die Mutter war im Wohnzimmer und Debbie kam rein, dann gingen beide weinend und schreiend aufeinander zu und 23 lagen sich in den Armen. Und ich hätte der Mutter noch viele, viele Jahre mit ihrer Tochter von Herzen gegönnt. ( Musik) 33. O-Ton Frank Aue: Direkt nach der Freilassung von Debbie bin ich noch drei Wochen in Arizona gewesen. Ich hab auch meine Abreisepläne damals verändert. Dann ist sie zu unseren Bekannten gekommen, zu Pat und Patty, hat da noch 3 Monate geschlafen und gewohnt, und dann, als ich im Dezember wiederkam, ist sie in das Haus gezogen, in dem sie heute noch lebt, was im Prinzip auch das wurde, was ihr heutiges Zuhause ausmacht. Und Renate war zwischendurch auch noch da. D.h., wir haben uns ein bisschen auch abgewechselt. Wer ist da - dass jemand da sein musste, war klar. 34. O-Ton Clemens Höges: Man kann versuchen, sich das vor Augen zu führen, was es heißt, 24 Jahre lang nur selten mit jemandem zu reden, alleine da zu sitzen, seinen Tagesablauf zu strukturieren, es ist alles egal...nicht verrückt zu werden in dem Wissen, dass es quasi jederzeit vorbei sein kann; die Zellentür geht auf und jemand sagt: so jetzt ab zur Giftspritze, jetzt ist es vorbei. Diese ständige Furcht davor, das kann man sich ganz schwer vorstellen, das muss eigentlich einen Menschen komplett zerstören. Aber es hat sie nicht komplett zerstört. O-Ton Frank Aue: Ich hab vom ersten Tag an mitbekommen, wie ihr Leben in Freiheit war. Wie vorsichtig man auch mit ihr umgehen musste, dass sie z.B. keine offenen Fenster haben wollte, d.h., wir hatten an allen Fenstern die Jalousetten erstmal zugemacht, das hat sich dann erst nach 2-3 Tagen gegeben. Ich weiß nicht, wann wir das erste Mal einkaufen gegangen sind, wie sie da so ängstlich regelrecht durch die Gänge geschlichen ist und dann war ein kleiner Junge, der hat mit seiner Mutter gesprochen, das hat sie dann gleich zu Tränen gerührt . Wir haben das gemeinsam erlebt, wie sie zu Walgreens gegangen ist, ein Drogerieladen, und sie sich da das 24 Makeup angeguckt hat, all die Schritte, die hab ich alles miterlebt und da hat man wirklich gesehen, dass sie ganz, ganz, vorsichtig kleine Schritte erstmal gemacht hat. 37. O-Ton Klaus Strebe: Nach so einer langen Leidenszeit da steht man nicht auf wie Phönix aus der Asche und es ist vorbei. 36. O-Ton Angelika Wedekind: Sie hat es geschafft, sich auch einen Schutzschild zu bauen. Sie kann sich abgrenzen. Das merkt man und das muss sie auch. Denn ich meine, die Frau ist natürlich gestört fürs Leben. Ist doch klar. Sie braucht ihre Ruhe, sie braucht ihre Zeit. So ein Mensch finde ich hat dann auch wirklich alles Recht der Welt so zu leben wie er jetzt leben möchte und ich finde man kann ihr nur Gutes tun, indem man ihr Sympathie entgegen bringt, ihr noch was Schönes schreibt, sagt, schenkt, aber man muss sie auch in Ruhe lassen. Sie muss jetzt wahnsinnig viel aufarbeiten. Fast 25 Jahre des Lebens zu verlieren praktisch, das ist doch ein Drama. 39. O-Ton Clemens Höges: Aber sie ist eine starke Frau. Sie wird damit schon klar kommen, aber es ist eine Frau, deren Leben verpfuscht wurde, wegen der falschen Aussage eines Polizisten. Ein Polizist hat ihr ihr halbes Leben gestohlen und zwar die Zeit des Lebens, in der man die weitesten, sagen wir mal, Fortschritte macht, in der man eine Familie gründet, im Beruf vorankommt, Kinder kommen, ein Haus wird gebaut. All diese Sachen. Das hat sie alles nicht. Das ist alles weg. Ihr Leben ist weg. Einfach als hätte jemand die große Löschtaste gedrückt und dieser Jemand war der Polizist Saldate. (auf Musik) 40. O-Ton Debra Milke: I never said “if” I get out. I allways said “when” I get out.. 14 I never said “if” I get out. I always said “when” I get out. And when I would say that to people they would look at me funny like I was disillusional. Debby you have a death-sentence! You never are going to be free. And I would just tell them, O, yes I will, I will be. You watch. And then the day when I won my appeal and everybody heard about it, made the news all 25 these people were shocked and happy at the same time and even officers, some of them said: Oh we had hope this day would come, other officers were shocked, they never thought it would come, and I just said: I told you all! I told you, I am leaving. Sprecherin 1: Ich hab ja nie gesagt “falls” ich rauskomme. Ich hab immer gesagt „dann, wenn“ ich rauskomme. Da haben die Leute immer geguckt, als hätte ich den Verstand verloren. Debbie du bist zum Tode verurteilt, du wirst nie rauskommen. Aber ich habe immer gesagt, ihr werdet sehen. Eines Tages komme ich raus. Passt auf. Und als ich den Prozess gewonnen hatte und die Leute das hörten, waren alle geschockt und froh. Und sogar manche von den Aufsehern sagten, wir hofften, dass dieser Tag kommen würde und andere waren geschockt, weil sie glaubten, dazu käme es nie. Und dann hab ich nur gesagt: Ich hab euch das doch vorhergesagt, eines Tages komme ich raus. 41. O- Ton Debra Milke But this victory is bittersweet. I am so glad, that I fought this fight and won it and I regained my freedom. But at the same time I still have this grate loss. I don’t have my son. I don’t have him in my life. So its just bittersweet. Sprecherin 1: Dieser Sieg ist so süß wie bitter. Ich bin glücklich, dass ich endlich den Kampf gewonnen habe und frei bin. Gleichzeitig bleibt dieser große Verlust. Ich habe meinen Sohn nicht mehr. So ist es ein bittersüßer Sieg. (auf Musik) 42. O-Ton Clemens Höges: Wenn ich überlege, was mich am meisten berührt hat, dann sind es glaube ich die beiden Windspiele, Glockenspiele, die auf ihrer Veranda hängen, kleine Metallkugeln an Fäden und wenn der Wind über der Wüste weht, dann fangen sie an zu klingen. 43. O-Ton Debra Milke So when the wind blows it makes a noise. This is called a wind chain. 26 44. O-Ton Clemens Höges: Und das größere von beiden, sagt sie, sei für sie die Stimme ihrer Mutter, das kleinere von den beiden sei die Stimme ihres Sohnes. Und wie sie da stand auf dieser Veranda am Rand der Wüste von Arizona und die Windspiele läuteten und sie erzählte davon, das fand ich schon sehr anrührend. 45. O-Ton Debra Milke : This wind chain represents Christopher – so when I hear it, I know the sound between this one and this one and when I hear this I think of Christopher, and when I hear this I think of my mother. Absage: 23 Jahre Todeszelle – der Fall Debra Milke Von Rosvita Krausz Es sprachen: Ann Khuon, Jochen Langner, Walter Gontermann und Susanne Petzold Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Roman Weingardt Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Tina Klopp Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016
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