Dieselgate ist ein Glücksfall. Danke, VW!

Samstag, 17. September 2016
Kriegt Müller bei VW die Kurve?
"Dieselgate ist ein Glücksfall. Danke, VW!"
Die Abgasaffäre setzt Volkswagen schwer zu. Doch noch habe der Konzern die
Chance auf einen echten Kulturwandel, sagt Auto-Experte Dudenhöffer n-tv.de. Aber
weder VW noch die deutschen Behörden werden die Schuldigen finden - sondern
das FBI.
n-tv.de: Vor einem Jahr ist die Abgasaffäre bei VW aufgeflogen. Wie konnte es zu
einem Betrug dieses Ausmaßes kommen?
Ferdinand Dudenhöffer: VW hatte eine sehr autoritäre Unternehmenshierarchie, schlechte
Kostenbedingungen durch die zu starke Ausrichtung auf Niedersachsen und hohen
Renditedruck. In so einem Umfeld neigen Organisationen zum "Überhitzen" und da ist die
Hürde, Gesetze zu brechen zu gering. Vor zehn
Jahren gab es den Volkert-Skandal, davor den
Lopez-Skandal. Es scheint eine Serie zu geben.
Der damalige Betriebsratschef Klaus Volkert war in
eine Affäre von Lustreisen und von VW-bezahlten
Freudinnen verwickelt. Damals schwor der
Konzern, so etwas würde nie wieder vorkommen.
Das Problem ist die Gesellschafterstruktur von
VW. Dort liegt der Sprengstoff. Paritätische
Mitbestimmung und Landesbeteiligung
zementieren Strukturen um den Kirchturm. In
unserer globalen Welt geht das schief. Die
Kosteneffizienz geht verloren. Dann braucht es nur
Ferdinand Dudenhöffer ist Direktor des CARden Druck von oben- etwa durch das autoritäre
Instituts an der Universität Duisburg-Essen sowie
Regime unter Winterkorn und Piëch - um
Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine
Mitarbeiter einer brisanten Situation auszusetzen.
Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft
Mitarbeiter geraten in ausweglose Situationen und
an der Universität Duisburg-Essen. (Foto: picture
alliance / dpa)
müssen technisch Unmögliches möglich machen.
Dann passiert so was.
Wie geschwächt ist VW durch die Abgasaffäre? Könnte der Konzern durch die
drohenden Strafen den Anschluss in der Entwicklung verlieren?
Der Abgasskandal wird für Volkswagen zweistellige Milliardenbelastungen mit sich bringen.
Egal ob nun 20 oder 50 Milliarden Euro: VW verliert Geld und damit
Investitionsmöglichkeiten. Aber der Konzern hat auch gewonnen, nämlich eine neue Kultur,
mit der er in die Zukunft aufbrechen kann. Die alte hätte es VW nicht erlaubt, solche
Zukunftspläne zu schmieden, wie es der Konzern jetzt tut. Ich bin optimistisch.
Volkswagen will 2025 ein Viertel seines Umsatzes mit Elektrofahrzeugen machen. Ist
das wirklich realistisch?
Volkswagen kann sich das leisten. Erstens bekommt der Konzern heute Geld geschenkt,
also zu Null- oder negativen Zinsen. Zweitens hat VW Reserven. Die Schulden sind relativ
niedrig. Der Konzern hat sich eine stabile Eigenkapitalbasis über die Jahre aufgebaut.
Außerdem hat er starke Marken wie Porsche, Skoda und Audi. Das sind Stützen, die nicht
über Nacht wegbrechen.
Kritische Stimmen sagen, VW-Chef Müller hat immer noch zu viele aus der alten PiëchGarde auf ihren Posten belassen. Was macht Sie so sicher, dass die autokratische Ära
zu Ende ist?
Wenn das stimmt, wäre das äußerst gefährlich für
Volkswagen. Ich sehe aber vielmehr, dass Gremien und
Strukturen neu aufgebaut werden. Dass von außen neue
Manager kommen - wie Markenchef Herbert Diess, der von
BMW abgeworben wurde. Diese Leute bringen eine andere
Kultur mit.
Matthias Müller ist also nicht allein in Wolfsburg?
Ich glaube, dass viele im Herzen bei Müller sind. Müllers
größtes Problem ist Betriebsratschef Osterloh. Er war auch
Winterkorns größte Sorge.
Hängt das plötzlich so ambitionierte Elektro-Ziel von
VW mit Dieselgate zusammen?
Man kann Dieselgate als Glücksfall sehen. Ohne den
Abgasbetrug würde der Konzern immer noch auf dem alten
Kurs weiterfahren. Unter Winterkorn hat VW
Elektromobilität in einer Powerpoint-Präsentation mit einer
85-Gramm-Schokolade dargestellt - dem Energieinhalt
einer 70 Kilogramm schweren Batterie. Lächerlicher hätte
https://itunes.apple.com/de/book/wer-kriegt-diekurve/id1113843580?mt=11&ign-mpt=uo%3D4
man Elektromobilität nicht machen können. Es war das
Sinnbild für die Abneigung gegen dieses Thema. Heute ist
das anders. Auch die Autobranche insgesamt profitiert vom Abgasskandal. Das Ende von
Diesel mit seinen unkalkulierbaren Nebenwirkungen ist eingeleitet. Der VW-Skandal erlaubt
uns, unsere Zukunft neu zu gestalten.
Niedersachsen und die Gewerkschaften haben immer noch einen großen Einfluss bei
VW. Haben diese verkrusteten Machtstrukturen Zukunft?
Das ist für mich die größte Baustelle. VW-Chef Müller kann nur versuchen, mit den
Eigentumsverhältnissen so gut es geht zu leben. Notwendig wäre die Einsicht von
Niedersachen, aus VW lieber ein Unternehmen wie Conti zu machen, das unendlich viel
beweglicher und wertvoller für das Land ist. Dafür müsste sich der Ministerpräsident
zurücknehmen. Bislang sitzt er in VW-Gremien und beurteilt Dinge, von denen er keine
Ahnung hat. Politik ist ein anderes Geschäft als weltweit die richtigen Entscheidungen in der
Autoindustrie zu treffen. Landesbeteiligung und paritätische Mitbestimmungen haben den
Betriebsratsvorsitzenden Osterloh zum mächtigsten Mann im größten deutschen Konzern
gekrönt. Das birgt deutlich zu hohe Risiken, wie auch die früheren Affären um Volkerts und
Lopez zeigen.
Werden wir jemals erfahren, wer Schuld an der Abgasaffäre hat?
In Deutschland sieht es zwar so aus, als gäbe man sich Mühe, die Dinge aufzuklären. Doch
weder das Kraftfahrtbundesamt noch die Strafverfolgungsbehörden kommen wirklich voran.
Entweder sind sie naiv oder wollen naiv sein. Ohne die Amerikaner wird die Wahrheit nicht
ans Licht kommen. Ich denke, das FBI wird Schuldige finden. Ich schließe nicht aus, dass
auch frühere Vorstandsvorsitzende belastet werden könnten.
Mit Ferdinand Dudenhöffer sprach Diana Dittmer
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Quelle: n-tv.de