Manuskript Beitrag: Streit um Freihandel – Risiken für den deutschen Mittelstand Sendung vom 20. September 2016 von Martin Gronemeyer und Kersten Schüssler Anmoderation: Zick-Zack ist für Sigmar Gabriel wohl eine gerade Linie. So auch beim Freihandel. Erst treibt er TTIP voran, dann erklärt er das geplante Abkommen für tot. CETA hingegen sei eine Chance, auch weil Gabriel, wie er sich brüstet, in Kanada schwuppdiwupp Risiken geklärt habe. Bei einem – im Gegensatz zu TTIP fertigen Vertrag erscheinen Nachbesserungen zwar unwahrscheinlich, aber das sollte wohl soundso nur die Genossen in der Heimat überzeugen. Und tatsächlich rang Gabriel der SPD gestern Abend auf dem Parteikonvent ein ZweiDrittel-JA zu CETA ab. Doch ausgerechnet aus der deutschen Wirtschaft kommen Gegenstimmen. Martin Gronemeyer und Kersten Schüßler haben sie gehört. Text: Wolfsburg am Montag. SPD-Parteikonvent zum Freihandelsabkommen CETA. Hinter verschlossenen Türen tagen die Genossen, die ihre Zerrissenheit lieber nicht öffentlich ausstellen möchten. Am Ende des Tages stimmt eine Mehrheit für das Abkommen der EU mit Kanada - trotz des Vorwurfs, CETA nutze vor allem großen Konzernen. Nachfrage an den Parteichef: O-Ton Frontal 21: Was sind die Vorteile von CETA für kleinere und mittlere Unternehmen? O-Ton Sigmar Gabriel, SPD, Parteivorsitzender: Erstens ist es so, dass die Mehrzahl der kleinen und mittleren Unternehmen uns drängen, CETA und sogar TTIP zu verabschieden. Und deswegen muss es uns darum gehen, gerade diesen kleinen und Mittelständlern die Wege zu erleichtern, allerdings ohne – und das ist das Wichtige – dass dabei Standards reduziert werden. Den Mittelstand stärken, trotzdem Verbraucher- und Umweltstandards bewahren – an Gabriels Botschaft zweifeln immer mehr. Gottfried Härle braut nördlich vom Bodensee mit 32 Mitarbeitern Bier. O-Ton Gottfried Härle, Geschäftsführer Brauerei Härle, Leutkirch: Und wie ist hier der Wert vom Stammwürze-Gehalt. O-Ton Mitarbeiter Brauerei Härle, Leutkirch: Wir haben jetzt 12,3 Prozent, genauso wie wir's haben wollen. Härle braut nach dem Reinheitsgebot. Das aber, so fürchtet er, könnte mit CETA beim Bier bald nicht mehr das Maß aller Dinge sein. O-Ton Gottfried Härle, Geschäftsführer Brauerei Härle, Leutkirch: Gentechnisch veränderte Rohstoffe sind wesentlich billiger als konventionelle Rohstoffe. Das heißt, die Bier-Produktion wird billiger und wenn dann billigere Biere aus Nordamerika oder aus Kanada auf den deutschen Markt kämen, so setzte uns das natürlich ganz erheblich unter Druck. Denn in sein Bier gehört nach dem Reinheitsgebot seit 1516 nur Malz, Hopfen, Hefe und Wasser. Keine Geschmacksverstärker, keine Gentechnik. Doch das könnte sich mit CETA ändern. Bier mit genetisch veränderten Zutaten dürfte dann auf den EU-Markt und das auch noch unter irreführenden Namen. O-Ton Gottfried Härle, Geschäftsführer Brauerei Härle, Leutkirch: Künftig ist es so geregelt, wenn CETA tatsächlich in Kraft tritt, dass zwar die deutsche Bezeichnung 'bayerisches Bier' weiterhin geschützt ist, aber nicht die französische und nicht die englische Bezeichnung. Also, kann künftig eine Brauerei in Montreal 'bavarian beer' herstellen und dieses 'bavarian beer' - angeblich 'bavarian beer' - in Frankreich in Deutschland oder auch in Dänemark oder Italien vermarkten eine große Verbrauchertäuschung! Verbrauchertäuschung. Auch um diesem Vorwurf entgegenzutreten, reist Sigmar Gabriel kurz vor dem SPDParteikonvent zum kanadischen Premier und erklärt seine Werbetour zum Erfolg. O-Ton Sigmar Gabriel, SPD, Bundeswirtschaftsminister: Es ist der erste Schritt zu nachhaltigen guten Regeln für die Globalisierung, an denen fehlt es. Wirklich? Den CETA-Vertragstext will der kanadische Premier nicht mehr ändern, kündigt aber rechtsverbindliche Klarstellungen an, außerhalb des Vertragstextes. Ein Versprechen – mehr nicht. Der Maschinenbauer Fella in Unterfranken. Hier bauen sie Wasserkraft-Turbinen nach EU-Standards mit Normen wie ISO oder CE. Der CETA-Vertrag soll ihnen helfen, ihre Produkte einfacher nach Kanada zu exportieren. Doch die Firma erlebt, dass potenzielle Käufer schon aus Versicherungsgründen allein kanadische Normen akzeptieren. Damit ist CETA für den Maschinenbauer nutzlos. Fella müsste weiterhin bis zu 10.000 Euro pro Turbine zahlen, damit die in Kanada zertifiziert wird. O-Martina Römmelt-Fella, Geschäftsführerin Fella Maschinenbau, Amorbach: Ich finde freien Handel wichtig und richtig und ich bin natürlich für einen Wegfall der Zölle. Aber für uns selbst als exportierendes Unternehmen ergeben sich weder in die USA noch nach Kanada Änderungen, wenn diese Verträge umgesetzt würden. Das heißt, die Zertifizierungsvorgaben bleiben nach wie vor bestehen und ich muss mein Produkt anpassen, dass es auf dem kanadischen Markt angenommen wird. Kanadische Unternehmen profitieren schon heute beim Export von einheitlichen EU-Normen. Firmen wie Fella müssen trotz CETA mit einem Flickenteppich an unterschiedlichsten Vorschriften zurechtkommen. Wer nicht zurechtkommt, kann künftig vor Schiedsgerichten klagen. Doch das geht nur über einen kanadischen Standort und kostet. O-Martina Römmelt-Fella, Geschäftsführerin Fella Maschinenbau, Amorbach: Die Verfahrenskosten von durchschnittlich acht Millionen Euro können wir uns nicht leisten. Also, ich würde anzweifeln, ob sich andere Mittelständler da so leicht auf dieses Terrain begeben. CETA werde kaum Vorteile bringen für den Mittelstand, davon ist die langjährige stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende, Herta Däubler-Gmelin, überzeugt. O-Herta Däubler-Gmelin, SPD, ehemalige Bundesjustizministerin: Der breite Mittelstand ist eben bei den Funktionären, die die Wirtschaft gegenüber der Bürokratie auch in Europa vertreten, einfach bisher zu schwach zu Wort gekommen. Ich finde es sehr schade, dass Herr Gabriel sich bisher nicht zum Wortführer des Mittelstands macht – die brauchen das. Die SPD ist gespalten beim Freihandel. Vergangenen Samstag in Berlin. Trotz Schmuddelwetter demonstrieren Zehntausende Bürger gegen CETA und TTIP. Ganz vorne dabei und mitten drin: Jan Stöß, Mitglied im SPD-Bundesvorstand. Stöß fürchtet, dass politische Grundsatz-Entscheidungen durch CETA ausgehebelt werden. O-Jan Stöß, SPD, Mitglied Bundesparteivorstand: Da haben wir in Berlin in den letzten Jahren die Weichen umgestellt, muss man sagen, und Fehler der Vergangenheit korrigiert, das Wasser wieder rekommunalisiert, damit es allen Berlinerinnen und Berlinern gehört. Wir haben dafür gekämpft, dass in Gas und Strom der öffentliche Einfluss gestärkt wird, wir wollen wieder mehr öffentliche Wohnungen. Und all das wird nach unserer Befürchtung von CETA bedroht. Nicht nur in Berlin befürchten Freihandels-Kritiker, dass mit CETA den Kommunen zum Beispiel der freie Zugriff auf die Ressource Trinkwasser verloren gehen könnte. Auch den Wasserversorgern selbst bereitet das Kopfzerbrechen - so wie in Karlsruhe. O-Matthias Meier, Leiter Trinkwasserversorgung Stadtwerke Karlsruhe: Es wäre uns ein großes Anliegen, dass diese Sicht, dass die Wasservorkommen ein Gut sind, das für die Allgemeinheit bewahrt werden muss, dass das auch in den Freihandelsabkommen entsprechend durchscheint – und das kann man eigentlich nur dadurch machen, indem man die öffentliche Trinkwasserversorgung und die Wasservorkommen komplett aus dem Gültigkeitsbereich von CETA ausnimmt. CETA öffnet praktisch alle Lebensbereiche für die Wirtschaft und auch für ausländische Investoren – auf unabsehbare Zeit. Nur, was heute ausdrücklich vom Vertrag ausgeschlossen wird, darf in der Hand der Allgemeinheit bleiben. Selbst bei der Wasserversorgung strotze CETA vor Unklarheiten. Das verunsichere massiv, so der Wasserwerks-Experte. O-Matthias Meier, Leiter Trinkwasserversorgung Stadtwerke Karlsruhe: In Anbetracht der Tatsache, dass das Vertragswerk eine sehr hohe Stellung genießt, also über EU-Sekundärrecht, über EURichtlinien angesiedelt ist, und eigentlich auch faktisch nicht gekündigt werden kann, sondern nur einstimmig innerhalb der EU - eigentlich schon eine sehr weitreichende Weichenstellung, wo schon die Frage aufkommt, ob unsere Kinder damit nicht irgendwelche Probleme haben werden. Viele Kommunen fordern deshalb, die gesamte öffentliche Daseinsvorsorge – Wasser – Energie – Nahverkehr, aber auch Bildung – ohne Wenn und Aber vom Vertrag auszunehmen. Das sei nun kaum noch möglich, befürchtet die langjährige Parteivizechefin Herta Däubler-Gmelin und stellt sich gegen ihren Parteichef. O-Herta Däubler-Gmelin, SPD, ehemalige Bundesjustizministerin: Jetzt haben sie einen „Wischi-Waschi“-Beschluss gemacht, anstelle das Europäische Parlament aufzufordern, jetzt in öffentlichen detaillierten Anhörungen gerade auch mit der Zivilgesellschaft, die ja bisher zu kurz gekommen ist, deutlich zu machen, wo die kritischen Punkte liegen und dann CETA an Kommission und Rat zur Neuverhandlung zurückzugeben. Ich finde, da ist eine große Chance vertan worden. Eine Neuverhandlung wird es nicht geben. SPD-Mann Stöß hat in Wolfsburg gegen CETA gestimmt - trotz der Zusage Gabriels auf weitere Nachbesserungen. O-Jan Stöß, SPD, Mitglied Bundesparteivorstand: Ich glaube, dass 35 Prozent waren es wohl – zumindest bei der einen Abstimmung – gesagt haben: Nein, wir sind nach wie vor nicht überzeugt. Das ist auch ein klares Signal, es eben in der SPD keinen monolithischen Block gibt, der sagt, wir sind alle dafür. Doch Stöß hat verloren, die Mehrheit der Genossen für CETA gestimmt und damit Sigmar Gabriel vor einer Blamage bewahrt vielleicht sogar vor einem Rücktritt. Doch vielen Mittelständlern hilft CETA nicht. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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