REFLEXION, ORIENTIERUNG UND PARTIZIPATION Politikdidaktik und Neue Medien Univ.-Prof. Dr. Thomas Hellmuth Universität Wien Institut für Geschichte / Zentrum für LehrerInnenbildung POLITISCHE BILDUNG = (DE-)KONSTRUKTION Bewusstsein über Konstruktionscharakter von politischen Erzählungen erzeugen Eigene politische Erzählungen konstruieren Erzählungen gegenüberstellen, diskutieren, auch transformieren oder revidieren (politischer Diskurs) Instrumentarium gegen Manipulation und Indoktrination entwickeln Dazu notwendig: „selbstreflexives Ich“ DAS „SELBSTREFLEXIVE ICH“ Emanzipation und partielle individuelle Autonomie sich über gesellschaftliche Einflüsse bewusst werden und diese hinterfragen, sich davon partiell emanzipieren → Analyse von medialen Manipulationsinstrumentarien Kritikfähigkeit rational über gesellschaftliche Anforderungen und Erwartungen urteilen, eigene Interessen und Bedürfnisse im Bezug auf das Wohl der Gemeinschaft abwägen („eingezäunte Freiheit“) Partizipation „demokratischer Widerstand“ im Sinne des „offenen Diskurses“ sich an gesellschaftlichen Diskursen und den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen beteiligen, damit den Erhalt und die Weiterentwicklung der demokratischen politischen Kultur gewährleisten → (neue) Medien als Möglichkeit der Partizipation Grenzüberschreitungen? → z.B. Whistleblowing POLITISCHE BILDUNG = AUSEINANDERSETZUNG MIT MEDIENKULTUR Analyse der kulturellen Werte und Sinnkonzepte, die durch Medien (mit)konstruiert und vermittelt werden Medien als Herrschaftsinstrumentarien Analyse der kulturellen Bedeutung der Medien im gegenwärtigen und historischen Kontext Medien als Informationsträger und -übermittler Medien als Speicher für Wissen NEUE MEDIEN ALS THEMA DER POLITISCHEN BILDUNG Kritische Analyse der Informationsvermittlung durch Neue Medien Unterscheidung von seriösen von unseriösen Informationen → Problematik der Belegbarkeit von Informationen „In der Kürze liegt die Würze?“ – Sind Neue Medien oberflächliche Medien? Oder bedarf es neuer Kommunikationstechniken? → Beispiel „Public History Weekly“ (PHW), ## Neue Medien und politische Mobilisierung Chancen und Nachteile der Neuen Medien politische Indoktrinierung und Manipulation Wirksamkeit Neuer Medien (z.B. Politik auf Facebook und Youtube) https://www.youtube.com/watch?v=K995Gfk12yM (02:56-03:54) INFORMATIONSVERMITTLUNG DURCH NEUE MEDIEN Materialien auf Lernplattformen Außerschulische Lernorte mit „Mobile-“ bzw. „Public-Tagging“ (z.B. Erster Wiener Protestwanderweg, http://www.protestwanderweg.at/) Internetsuche: Training notwendig Vorgabe von Adressen Unterscheidung von seriösen und unseriösen Informationen NEUE MEDIEN ALS METHODISCHES INSTRUMENTARIUM (1) Darbietende, erarbeitende und forschend-entdeckende Lernverfahren Darbietende Lernverfahren: schnelle Vermittlung von Information (z.B. Lehrervortrag) Erarbeitende Lernverfahren: aus Texten Informationen herausfiltern (siehe Informationsvermittlung durch Neue Medien) Forschend-entdeckende Lernverfahren: Erarbeitung eigener Interpretationen mit Hilfe von Informationen / Materialien NEUE MEDIEN ALS METHODISCHES INSTRUMENTARIUM (2) Digitale Lernplattformen als Instrument für forschendentdeckendes Lernen Individuelle und kollektive/interaktive Verarbeitung von Informationen, die auf Lernplattformen zur Verfügung gestellt werden (Materialien, Internetadressen) → politisches Storytelling Simulation von sozialen Netzwerken („Trockentraining“: soziales Verhalten, Sprache, Argumentation): Wie lässt sich im digitalen Raum ein politischer Diskurs auf demokratischer Grundlage gewährleisten? Wie kann Grenzüberschreitung beim Umgang miteinander reflektiert und vermieden werden? Wie reagiere ich auf Grenzüberschreitungen? NEUE MEDIEN ALS METHODISCHES INSTRUMENTARIUM IM UNTERRICHT (3) (Kollektives/interaktives) politisches Storytelling auf Lernplattformen Konstruktion politischer Narrationen, Vergleich der Narrationen, Diskurs über unterschiedliche Positionen sowie deren Bestätigung, Weiterentwicklung oder Relativierung Weitererzählung/Transformation von bereits vorhandenen politischen Erzählungen Problematik der Fragmentierung, Zerstückelung von politischen Erzählungen (Copy-andpaste) NEUE MEDIEN ALS METHODISCHES INSTRUMENTARIUM (4) Gestaltung von digitaler Kunst durch Lernende im Kontext der Politischen Bildung Einsatz digitaler Bildkunst (z.B. digitales Malen, Fotomanipulationen) Einsatz digitaler Musik Digitale Poesie Kombination von digitaler Bildkunst, Musik und Poesie Kollektive/interaktive politische Kunstarbeit auf Lernplattformen (digitale Netzkunst) MEDIENKUNST UND DIGITALE KUNST IN DER POLITISCHEN BILDUNG Medienkunst als Medium der (subjektiven) „Wahrheitsfindung“ und gesellschaftliche Reflexionsinstanz Medienkunst übernimmt Aufgaben der Politischen Bildung Analyse gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen Entwurf von Verhaltens- und Handlungsoptionen Entwurf von Utopien: Wie kann eine bessere Welt gestaltet werden? Reflexions- und Handlungsangebote ergeben sich nicht aus einer den Werken implizit eingeschriebenen Didaktik → Politische Kunstdidaktik als Zwischeninstanz zwischen Werk und Rezipient POLITISCHE KUNSTDIDAKTIK = SUBJEKTORIENTIERT (Medien-)Kunst kann bzw. ist zumeist perspektivisch, ergreift Position Lernräume schaffen, in denen Reflexion sowie plausible Analysen, Interpretationen, Bewusstsein über Perspektivität und Diskurse ermöglicht werden (→ politische Partizipation) Handlungsorientierung als didaktisches Prinzip (Konstruktion eigener politischer Erzählungen, Diskursfähigkeit trainieren …) Instruktion im Sinne von Kontextwissen weiterhin notwendig (→ Informationsvermittlung durch Neue Medien) Allerdings wird die traditionelle Vermittlerrolle der Lehrenden aufgegeben → „wahr“ und „falsch“ weicht plausiblen Interpretationen durch die Lernenden Multiperspektivität und Kontroversität als zentrale didaktische Prinzipien (→ politischer Diskurs) BEISPIELE FÜR DIGITALE KUNST (ARS ELECTRONICA CENTER) Ausstellung „Außer Kontrolle – Was das Netz über dich weiß“ (Ars Electronica) Handytracking: Klage von Malte Spitz (Deutsche Grüne), um die von ihm durch T-Mobile gespeicherten Daten zu erhalten → interaktive Karte, auf der alle seine Aufenthaltsorte aufgezeichnet sind Twistori: Twitter-Tool, das Tweets in Echtzeit scannt und jene, die Begriffe wie love, hate oder think enthalten, sammelt Ausstellung „Artists, Creators, Engineers (Ars Electronica) Film „cala maris“ von Markus Huber: Sprengköpfe werden in einer Unterwasserfabrik an Quallen befestigt, an die Meeresoberfläche gespült, wo sie zur Sprengung von Schiffen dienen. Eine einzige schwimmt gegen den Strom und zurück zur Fabrik, wird aber daran letztlich gehindert. Warren Neidich: „The Search Drive“ (2014) Mit Software-Programmen, die auch die NSA für Spionage nutzt, sucht ein anonymer Agent nach Informationen über Warren Neidich (https://www.digitalartarchive.at/database/general/work/the-searchdrive.html) CONCLUSIO Neue Medien eröffnen zahlreiche Möglichkeiten für Politische Bildung Schnelle, aber keineswegs einfache Informationsbeschaffung (Problematik der Belegbarkeit und Seriosität) Lernplattformen als Grundlagen für die Konstruktion eigener politischer Narrationen und deren Diskussion Erweitern außerschulische Lernorte (Mobile-Tagging, digitale Kunst in Museen und im öffentlichen Raum) Eignen sich insbesondere für erarbeitende und forschend-entdeckende Lernverfahren Neue Medien sind ein methodisches Instrumentarium zur Unterstützung der traditionellen Politischen Bildung Keine völlige Abschaffung alter Medien (Koexistenz, Ergänzung) Zum Teil arrangieren die Neuen Medien lediglich traditionelle Methoden neu Gefahr der Faszination und geringen Funktionalität Neue Medien ermöglichen aber auch neue Wege (z.B. kollektive/interaktive Konstruktion politischer Erzählungen)
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