Entscheidend: Die Wahl der ZVT

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Zweckmäßige Vergleichstherapien (ZVT) auf dem Prüfstand
Entscheidend: Die Wahl der ZVT
D
ie so genannten AMNOG-Verfahren stellen Hersteller, die ihre innovativen Arzneimittel in Deutschland auf den Markt
bringen wollen, vor eine Vielzahl von Herausforderungen. Denn zum erfolgreichen Nachweis eines Zusatznutzens müssen nicht nur formale Fehler vermieden werden, auch die Auswahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie ist entscheidend.
>> Die Wahl der zweckmäßigen
Vergleichstherapie (ZVT) – festgesetzt durch den Gemeinsamen
Bundesausschuss gem. der in §
5. Kapitel § 6 VerfO-GBA festgelegten Kriterien – ist eines der
entscheidenden Erfolgskriterien im
AMNOG-Prozess (Abb. 1).
Vor diesem Hintergrund hat
IMS Health verschiedene zweckmäßige Vergleichstherapien (ZVT)
auf den Prüfstand gestellt. Dabei
wurde anhand abgeschlossener
Verfahren analysiert, welche ZVT
die besten Chancen auf die Anerkennung eines Zusatznutzens
bieten. Als Grundlage dienten die
Entscheidungen des Gemeinsamen
Bundesausschusses (G-BA) bei 25
Wirkstoffen, die in der Health
Technology Assessment-Datenbank (HTA-Datenbank) von IMS
gescreent wurden. Es ging dabei
insbesondere um die ZVT „Best
Supportive Care“ und „Therapie
nach Maßgabe des Arztes im Ver-
gleich und deren Erfolgsaussichten
für die Anerkennung eines Zusatznutzens.
IMS hat die folgenden ZVT gegenübergestellt und Vor- und Nachteile für den pharmazeutischen
Unternehmer diskutiert:
1. Liste gleichermaßen zweckmässiger Vergleichstherapien
2. Best Supportive Care
3. T herapie nach Maßgabe des
Arztes.
Eine Liste gleichermaßen zweckmäßiger Vergleichstherapien hat
bei Vorliegen direkt vergleichender
Studien mit der ZVT die größten
Erfolgsaussichten. Dabei entspricht
die Nutzenbewertung nach einer
Liste gleichermaßen zweckmäßiger
Vergleichstherapien dem Standard
für die meisten frühen Nutzenbewertungen. Als Voraussetzungen
für die Festlegung dieser ZVT
müssen sowohl die Zulassung im
Anwendungsgebiet des zu bewer-
tenden Arzneimittels als auch die
Erstattungsfähigkeit gewährleitet
sein. Außerdem muss die ZVT dem
aktuellen Stand der medizinischen
Erkenntnisse gemäß hochwertiger
Leitlinien und systematischen Reviews entsprechen.
Verfügt der Hersteller über
eine Studie mit einem direkten
Vergleich seines Arzneimittels
gegen einen Wirkstoff aus der
Liste gleichermäßig zweckmäßiger
Vergleichstherapien, bietet diese
Variante der ZVT die optimalen
Voraussetzungen für die Anerkennung eines Zusatznutzens. Indirekte Vergleiche blieben in der Vergangenheit dagegen in der Regel
ohne Erfolg. Diese Option bietet
allerdings sehr wenig Spielraum
für Abweichungen, d.h. ist die eigene Studie im Vergleich zu einem
nicht als ZVT benannten Wirkstoff konzipiert, bestehen kaum
Erfolgsaussichten. Zudem können
die Wirkstoffe aus der Liste ohne
Vier Hürden für den erfolgreichen Nachweis eines Zusatznutzens
Abb.1: Zum erfolgreichen Nachweis eines Zusatznutzens sind vier Hürden zu nehmen.
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moderne Evidenz sein oder bereits
einem Festbetrag unterliegen, was
einen niedrigen Preisanker zur Folge hätte. Nach Erkenntnissen von
IMS Health ist die Liste gleichermaßen zweckmäßiger Vergleichstherapien nur dann von Vorteil,
wenn eine direkt vergleichende
Studie des zu bewertenden Arzneimittels mit der benannten ZVT
vorliegt. Für Wirkstoffe, die über
eine Placebo-kontrollierte Studie
zugelassen wurden, ist eine Liste
gleichermaßen zweckmäßiger Vergleichstherapien weniger günstig.
Best Supportive Care für
Placebo-kontrollierte
Studien optimal
Für Placebo-kontrollierte Studien kann die Evaluierung gegen die
ZVT „Best Supportive Care (BSC)“
Aussicht auf Erfolg haben. Dies ist
bis April 2016 bei 12 Medikamenten mit insgesamt 18 Indikationen
geschehen. Dabei handelte es sich
bei der überwiegenden Mehrheit
der Indikationen, bei denen BSC
als ZVT herangezogen wurde, um
onkologische Erkrankungen. Zwei
der Evaluierungen betrafen Orphan
Indikationen. Bei nur drei Studien
wurden aktive Substanzen als Komparatoren verglichen. Bei allen anderen war der Komparator Placebo.
Entscheidet der G-BA als ZVT
Best Supportive Care anzusetzen,
gibt es in der Regel keine adäquate zielgerichtete Therapie. Als
Vergleichsmaßstab werden nicht
einzelne Wirkstoffe, sondern alle
Maßnahmen herangezogen, die eine patientenoptimierte, unterstützende Behandlung zur Linderung
der Symptome und zur Erhöhung
der Lebensqualität gewährleisten,
aber kein primär kuratives Behandlungsziel verfolgen. Allerdings ist
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diese Begrifflichkeit problematisch, da es bei einigen Indikationen nach strenger Definition
a priori überhaupt kein kuratives
Behandlungsziel (mehr) gibt.
Zwar legt das IQWiG harsche
Kriterien an die Umsetzung von
BSC an; diese Art der Vergleichstherapie ist dennoch optimal bei
Vorliegen von Placebo-kontrollierten Studien oder Studien, die
den Add-on-Effekt eines Wirkstoffes untersuchen. Denn ein
festgestellter Nutzen ist grundsätzlich ein Zusatznutzen, der
so gegenüber einer Basistherapie nachgewiesen werden kann.
Dies kann auch durch Placebokontrollierte Studien geschehen.
Allerdings muss gleichzeitig die
Eignung der Zulassungsstudien
zur Abbildung von Best Supportive
Care belegt werden. Da die BSC
flexibel und patientenindividuell
gestaltet sein muss, können Widersprüche mit dem Studiendesign
auftreten. Werden dort einzelne
Wirkstoffe als Teil der BSC aufgelistet, müssen diese für einen erfolgreichen Ausgang des AMNOGVerfahrens unbedingt auch in der
Studie berücksichtigt worden sein.
Patientenindividuelle
Therapie als ZVT grundsätzlich aufwändig
Als dritte ZVT wurde die patientenindividuelle Therapie nach
Maßgabe des Arztes analysiert.
„Therapie nach Maßgabe des
Arztes“ wurde bis April 2016 bei
13 Medikamenten in 15 Indikationen als ZVT festgelegt, von denen
mit 53 Prozent mehr als die Hälfte
onkologische Erkrankungen waren.
Bei den 11 Studien mit einem aktiven Komparator war dieser in drei
Studien eine festgelegte Substanz.
Die anderen Komparatoren waren
„Physicians Choice“, „Best Available Therapy“ oder die Fortführung
der bestehenden Therapie. In drei
Fällen, die gegen die patientenindividuelle Therapie nach Maßgabe des Arztes verglichen wurden, handelte es sich um Orphan
Indikationen.
Bei dieser Variante des AMNOG-
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Verfahrens muss die Zulassung
grundsätzlich erfüllt sein, die Erstattungsfähigkeit ist jedoch kein
zwingendes Kriterium. Aufgrund
der Individualität dieser ZVT und
der dadurch niedrigen Evidenzlage
kann auch der bei den Listen der
zweckmäßigen Vergleichstherapie
erforderliche aktuelle Stand der
medizinischen Erkenntnisse hier
nicht erfüllt werden. Denn der GBA setzt das Verfahren offenkundig
dann fest, wenn eine durch systematische Reviews gestützte Standardtherapie fehlt. Dabei benennt
er die Wirkstoffe, die gemäß seiner
Recherche grundsätzlich das Kriterium für Therapie nach Maßgabe
des Arztes erfüllen. Allerdings ist
diese Liste nicht als eine vollständige Darstellung aller therapierelevanten Wirkstoffe anzusehen.
Das Verfahren hat den Vorteil, dass der Nachweis gegen
eine beliebige, plausible Therapie
erbracht werden kann, solange
diese im Anwendungsgebiet auch
grundsätzlich sinnhaft ist. Theoretisch ist es zudem möglich,
Abweichungen von der Zulassung
zu rechtfertigen, die der Versorgungsrealität entsprechen. Dabei
kann auch BSC Teil der Therapie
nach Maßgabe des Arztes sein.
Allerdings wird durch die patientenindividuelle Behandlung ein
Zusatznutzen in aller Regel nur für
Teilpopulationen feststellbar sein.
Zudem wird der Hersteller immer
aufgefordert, die explizite Eignung
für die Therapie mittels Einschlusskriterien oder Patienten-Screening
Logs nachzuweisen. Dafür wird immer noch der direkte Vergleich als
maßgeblich betrachtet. Insgesamt
bietet die Therapie nach Maßgabe des Arztes als ZVT etwas mehr
Spielraum, ist aber wesentlich
aufwändiger in der Umsetzung, da
z.B. Kosten- und Literaturrecherchen ggf. für alle in Frage kommenden Wirkstoffe durchgeführt
werden müssen.
Deutlich unterschiedliche
Erfolgsaussicht
Zusammengefasst lässt sich
für die G-BA-Festlegungen der
G-BA-Entscheidungen zur ZVT
Abb.2: Die Verfügbarkeit von gezielten Behandlungsoptionen trennen Best Supportive
Care von Therapie nach Maßgabe des Arztes.
ZVT folgender Algorithmus aufstellen: Gibt es aktive, zugelassene Wirkstoffe bzw. Maßnahmen
im jeweiligen Anwendungsgebiet
und ist eine hochgradige Evidenz
vorhanden, die dem Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse
entspricht, wird die Nutzenbewertung anhand der Liste von
gleichermaßen zweckmäßigen
Vergleichstherapien durchgeführt,
wobei ein direkter Vergleich von
Vorteil ist. Je nach Verfügbarkeit
von gezielten Behandlungsoptionen und Evidenz für bestimmte
Wirkstoffe im Anwendungsgebiet,
kann der G-BA sich auch für den
Vergleich mit Best Supportive Care
oder der Therapie nach Maßgabe
des Arztes entscheiden (Abb. 2).
Allerdings sind diese Alternativen beileibe kein Garant für
eine erfolgreiche Nutzenbewertung. Vielmehr wurde in der Ver-
gangenheit hiermit in den meisten Fällen keine Anerkennung
von Zusatznutzen erzielt. Bei Best
Supportive Care bekamen diese
nur rund die Hälfte der Indikationen zugesprochen. Die Vergleiche mit einer patientenindividuellen Therapie nach Maßgabe
des Arztes verliefen sogar nur in
einem Viertel der Indikationen
positiv für die pharmazeutischen
Unternehmen. Dennoch kann jedes Unternehmen etwas tun, um
die Erfolgsaussicht zu optimieren,
denn nicht nur die Auswahl der
zweckmäßigen Vergleichstherapie
durch den G-BA, sondern auch ein
direkt vergleichendes Studiendesign kann die Chancen erhöhen.
Eine frühe Beratung zum Studiendesign durch den G-BA ist dabei
keine Garantie, kann aber wichtige
Hinweise auf geeignete Komparatoren liefern. <<
Autorin
Doreen Bonduelle ist seit April 2009 bei IMS Health
im Bereich Health Economics and Outcomes Research
(HEOR) tätig. Sie arbeitet mit Fokus auf strategischer
Beratung zu AMNOG-Themen und dem Projektmanagement komplexer Market Access-Projekte. Davor war sie
Principal Consultant in der Life Sciences & Healthcare
Practice bei PA Consulting in London, davor hat sie
im Pricing & Reimbursement und Government Affairs
bei Glaxo Wellcome in Hamburg und später Glaxo
SmithKline Europa in London gearbeitet
Kontakt: [email protected]
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