TEXT & FOTO: TOBIAS MÜLLER Ich weiß nicht, was ich mir genau vorgestellt habe, wie man Margarine macht, auf jeden Fall war ich überzeugt, dass es sehr kompliziert sein muss. „Industriell gehärtetes Streichfett“ (Wikipedia) klingt nicht nach einem Nachmittagsprojekt. Die gute Margarine ist aus Entenfett (plus ein Rezept für Fisch, Seegras und Butter) – 24 25 Ich war ziemlich sicher, dass imposante Geräte im Spiel sein würden, mit Schläuchen, Brennkammern und vielleicht gar Destillierkolben, und dass es mindestens zwei volle Tage dauern würde, bis der Prozess abgeschlossen ist. Als ich meine Reise auf die Isle of Wight geplant habe, um dort Margarine zu machen, habe ich daher sicherheitshalber gleich drei Tage Aufenthalt eingeplant. Es könnte ja was schiefgehen. Nun weiß ich: Ich habe mich getäuscht. Margarine muss überhaupt nicht schwer sein. Jeder, der will, kann es in seiner Küche machen. Es dauert genau zehn Minuten, und es braucht dafür nicht mehr als einen Kochtopf, eine Herdplatte, einen Schneebesen, frische Buttermilch und etwas Fett – idealerweise Rinderfett. Tatsächlich beginnt die Geschichte der Margarine mit Rindertalg: 1869 ließ sich der französische Chemiker Hippolyte Mège Mouries ein Verfahren patentieren, mit dem aus Rinderfett und entfetteter Milch eine billige „Butter für die Arbeiterklasse“ hergestellt werden konnte. Weil er (fälschlicherweise) davon ausging, dass die häufigste gesättigte Fettsäure im Rindertalg die Margarinsäure war, nannte er sein Produkt Margarine. Das erste Mal habe ich diese seltsame Geschichte ausgerechnet von Patrik Johannson gehört, einem Mann, der als der Butterwikinger berühmt geworden ist (oder zumindest so berühmt, wie man als Buttermacher werden kann). Es gibt wohl wenige Menschen auf der Welt – vielleicht auch gar keine –, die so viel von Butter verstehen wie Patrik. Seit Jahren macht er die Butter für das Noma in Kopenhagen, das Claridge in London und eine Reihe anderer Nobelrestaurants. Lange hat er im Wald ein paar Stunden außerhalb von Göteborg gelebt, im Sommer 2016 ist er auf die Isle of Wight übersiedelt – weil in England die Gourmet-Restaurant- und damit Kundendichte höher ist und es außerdem hervorragenden Rahm von den Guernsey-Kühen der Insel gibt. Für seine berühmteste Kreation, die „Virgin Butter“, kultiviert er Rahm mit vier verschiedenen Bakterienkulturen und lässt ihn über mehrere Tage bei verschiedenen Temperaturen säuern. Daneben macht er etwa „Beurnaise“, Butter, die geschmolzen und mit etwas Buttermilch emulgiert wird, oder „Seaweed Butter“ mit selbst gesammeltem Seegras. Zu Testzwecken hat er schon Butter mit Bakterien von den Händen der Noma-Mitarbeiter gesäuert oder mit jenem Gras, das die Milchkühe gefressen haben, die für den Rahm verantwortlich sind. Und er hat mehrere Butter im Torf vergraben, eine reift bereits seit drei Jahren. Er will so herausfinden, was es mit den sogenannten Bog Buttern auf sich hat – Gefäße mit Butter, die mehrere tausend Jahre alt sind und die Archäologen immer wieder in den Torfen Englands und Skandinaviens finden. Und hin und wieder, wenn er Zeit und Lust hat, macht er Margarine. Aber bloß die gute, alte aus Rinder- oder Schweinefett. „Ich habe mich furchtbar geärgert über die Margarine-Konzerne, die lange behauptet haben, dass Margarine gesund ist und Butter schlecht“, sagt Patrik. „Also habe ich nachgeforscht und geschaut, was Margarine wirklich ist. In einer französischen Datenbank bin ich dann über das Original-Rezept aus Rinderfett gestolpert.“ Margarine ist eine Emulsion, also eine Mischung zweier Flüssigkeiten, die sich ohne äußere Einwirkung nicht vermischen – in diesem Fall Fett und Wasser. Andere Beispiele für solche Emulsionen sind etwa Milch und Majonäse. Diese Mischung kann entweder temporär oder stabil sein: Für eine Vinaigrette etwa werden Öl und Essig nur durch mechanische Einwirkung – das Rühren – kurzfristig miteinander verbunden. Hört man auf, die Vinaigrette zu schlagen, trennen sich die beiden Bestandteile nach einigen 24 Minuten wieder. Und lässt man frische Milch über Nacht stehen, setzt sich oben das Fett – der Rahm – ab (aus dem dann zum Beispiel Butter gemacht wird). Soll die Verbindung stabil sein, braucht es einen Emulgator: Bei der Rinderfett-Margarine übernimmt das Lecithin aus der Buttermilch diese Aufgabe (ähnlich wie bei der Mayonnaise, wo das Lecithin allerdings vom Eigelb kommt). Für industriell hergestellte Margarine wird tatsächlich ein beachtlicher Aufwand betrieben. Auch wenn Sie nicht einmal die Hälfte verstehen, bekommen Sie einen Eindruck. Patriks Rezept hingegen geht schlicht so: 1) Erhitzen Sie das Fett Ihrer Wahl – Rind, Schwein, Ente, Robbe, was auch immer Sie gerade zur Hand haben –, bis es flüssig wird, und bringen es idealerweise auf etwa 30 Grad. 2) Gießen Sie Ihre Buttermilch (entweder von selbst gemachter Sauerrahmbutter oder aus dem Supermarkt) ganz langsam in das Fett und rühren Sie dabei ständig kräftig mit einem Schneebesen, ganz so, als ob Sie Majonäse machen würden. 3) Machen Sie so lange weiter, bis Sie eine ordentliche Fett-Creme mit der gewünschten Konsistenz haben. Und bedenken Sie, dass Ihre Margarine immer fester wird, je kühler sie wird. 4) Salzen Sie nach Geschmack. Das war’s. Ehrlich. Patrik und ich haben das Ganze mit Schweineschmalz gemacht, weil wir trotz drei Tagen Zeit und monatelanger Vorbesprechung im richtigen Moment kein Rinderfett zur Hand hatten. Das Ergebnis hat sehr nach, nun ja, cremigem, leicht säuerlichem Schweineschmalz geschmeckt und war definitiv streichfähig. Patrik meint, dass Margarine aus leicht angebranntem Entenfett viel, viel besser ist. Weil die ganze Prozedur nicht wirklich tagesfüllend war, haben wir außerdem am Strand unterhalb von Patriks Haus Fisch vom örtlichen Fischer gekauft, frisches Seegras gesammelt und mit etwas von seiner Butter verkocht. Hier unser Rezept. Für zwei Personen brauchen Sie: Zwei fangfrische dicke Fischfilets mit Haut, etwa vom Kabeljau. Ein halbes Kilo frischen Spinat. Einen halben Liter frischen Rahm, idealerweise von Guernsey-Kühen. Ein ordentliches Stück frisch gesammeltes Kombu (Seegras). Ein paar Frühlingszwiebel. Ein ordentliches Stück frischer Sauerrahm-Butter. Packen Sie Ihr Kombu und das Obers in einen Topf und erhitzen Sie es, bis es köchelt. Nehmen Sie es von der Hitze, stellen es beiseite und lassen es ziehen. Schneiden Sie den weißen Teil der Frühlingszwiebel klein, braten ihn in einem Teil der Butter kurz an und schwenken dann den Spinat darin, bis er zusammengefallen und gar ist. Für später zur Seite stellen. Schmelzen Sie den Rest der Butter in einer Pfanne. Legen Sie den Fisch mit der Hautseite nach unten hinein und braten ihn bei niedriger bis mittlerer Hitze so lange, bis die Haut ordentlich knusprig ist. Übergießen Sie den Fisch dabei immer wieder mit der geschmolzenen Butter. Wenn alles gut geht, ist er knapp über der knusprigen Haut durch, oben aber weiterhin wunderbar glasig. Nehmen Sie das Kombu aus dem Obers, erhitzen es erneut, mischen es mit dem Spinat und packen ihn auf vorgewärmte Teller. Legen Sie den Fisch mit der knusprigen Haut nach oben auf das Gemüse und bestreuen alles mit dem klein gehackten Grün der Frühlingszwiebel. Guten Appetit. › Aus dem Standardwerk „Lehrbuch der Lebensmittelchemie“ von Belitz, Grosch und Schieberle: „Die Herstellung von Margarine erfolgt in kontinuierlich betriebenen Anlagen, wobei prinzipiell drei Verfahrensschritte zu unterscheiden sind: › Emulgierung der wässrigen Phase in der Fettphase, › Unterkühlung der Emulsion und mechanische Bearbeitung, › Kristallisation unter Erhalt des Emulsionstyps (W/O-Emulsion) und Abführung der frei werdenden Kristallisationswärme. Rohstoffe für Margarine sind raffinierte Pflanzen- und Seetieröle bzw. -fette, deren Eigenschaften meist durch Härtung, Fraktionierung und Umesterung modifiziert worden sind. Nährwert, Streichfähigkeit, Plastizität, Schmelzverhalten und Lagerstabilität hängen im Wesentlichen von der zugrunde liegenden Fettkomposition ab, die auch diätetischen Gesichtspunkten Rechnung tragen kann. Im Fett, das in der Regel 80% des Produktes ausmacht (Halbfettmargarine 39–41%), ist Wasser (18%) emulgiert. Stabilisiert wird die Emulsion durch Gemische aus Mono- und Diacylglyceriden (ca. 0,5%) und Rohlecithin (ca. 0,25%); Halbfettmargarinen benötigen höhere Emulgatorkonzentrationen. Zur Herstellung höherwertiger Haushaltssorten wird vielfach Magermilch oder in Wasser gelöstes Magermilchpulver (Milcheiweißanteil 1 % bei Halbfettmargarine 2 %) zugesetzt. Das Casein unterstützt die Wirkung der Emulgatoren und verursacht beim Erhitzen zusammen mit Lactose erwünschte Bräunungsreaktionen. Durch Zugabe von Citronen- und Milchsäure wird der pH der wässrigen Phase auf 4,2 – 4,5 eingestellt. Neben der Beeinflussung des Geschmackes wird dadurch ein gewisser Schutz gegen das Wachstum von Mikroorganismen erzielt; außerdem werden Schwermetallspuren komplex gebunden. Weitere Bestandteile von Margarinerezepturen sind Aromastoffe, die für Butter typisch sind und die über fermentativ gesäuerte Magermilch zugeführt werden. Eine Aromatisierung mit synthetisch leicht zugänglichen Verbindungen wie Diacetyl, Buttersäure, Lactonen bestimmter Hydroxyfettsäuren C8–C14 und (Z)-4-Heptenal ist auch möglich. Zur Abrundung des Geschmackes dient Kochsalz (0,1−0,2 %). Die Farbgebung erfolgt durch U-Carotin oder mit schonend raffiniertem, ungebleichtem Palmöl. Geachtet wird auf einen Gehalt von 1 mg T-Tocopherol je g Linolsäure. Höherwertigen Produkten fügt man etwa 25 IE/g Vitamin A und 1 IE/g Vitamin D2 zu.“ 25
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