SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Feature am Sonntag Der Indianer von Neuwied Eine Mythenforschung Von Christoph Goldmann Sendung: Redaktion: Regie: Produktion: Sonntag, 11. September 2016, 14.05 Uhr Walter Filz Andrea Leclerque SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Feature am Sonntag können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören:http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Feature am Sonntag sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Und jetzt ist er nicht da. Ich will schon Richtung Zentrum gehen, da klingelt mein Telefon. O Ton 2 Dialog Autor/Hernesto Teixeira, Telefon klingelt: wird nicht übersetzt <Autor (bras.) Hallo Hernesto, alles klar? Ich bin hier auf dem Platz vor Polizeiwache. Ja, vor der Polizeiwache. Autor (bras.) Gut, ich komme da vorbei, alles klar, danke.> Erzähler Alles in Ordnung. Er kommt. Die lange Reise war nicht vergebens. Die lange Zeit auch nicht. Fast zehn Jahre… <Übergang: Rückblende> Atmo 1: Dr. Roth geht durch das Museum König Bonn Erzähler: Bonn, Juni 2007. Das zoologische Forschungsmuseum Alexander König in Bonn ist noch menschenleer. Nur Studiendirektor Dr. Hermann Josef Roth ist schon auf dem Weg in die Museumskatakomben. Atmo 2: Dr. Roth Schritte, dann öffnet er die Vitrine und packt den Schädel ein. Erzähler: Hier lagern sie. In Vitrinen, die schon lange keiner mehr geöffnet hat. Totenschädel aus aller Welt. Behutsam nimmt Dr. Roth das Objekt I 223.31 heraus, ein Schädel mit 2 einer großen Fraktur auf der rechten Seite, und macht sich auf den Weg in den alten Hörsaal des Museums. Atmo 3: Dr. Roth Schritte, dann Getuschel Hörsaal Erzähler: Sein Vortrag heute trägt den Titel "Der Mensch im Blick rheinischer Biologen des 19. Jahrhunderts – Indianer, Neanderthaler und Gewissensbisse". Es geht um die Brasilienreisen des Prinzen Maximilian zu Wied-Neuwied und dessen Berichte über die Botokuden. Und es geht um die Herkunft des Schädels. Es ist der Schädel von Joachim Quäck. Ansage Der Indianer von Neuwied. Eine Mythenforschung Ein Feature von Christoph Goldmann O-Ton 1, Dr. Roth (Vorlesung) Prinz Maximilian hat zwei Forschungsreisen gemacht, die erste 1815 bis 1817 durch Ostbrasilien. Dabei hat er mehrere Völker, darunter auch die Botocudos beschrieben, und als Gefährte begegnet ihm der Indio dort, in dem europäisch wirkenden Kleid. Joaquim Quäck heisst er. Erzähler (über folgenden O-Ton, quasi wie Overvoice) Von Prinz Maximilian im Februar 1818 nach Neuwied gebracht. Silvester 1833 aus einem Fenster gestürzt, liegen geblieben und erfroren. Der Alkohol soll Joachim Qäuck zum Verhängnis geworden sein. O-Ton 1ff Und der Quäck hat beachtliche Zeit in Neuwied gelebt. Dieser Quäck führt dann, das wäre dann ein eigenes Kapitel, ein Leben, dass nicht immer beneidenswert gewesen ist, ich zitiere mal aus einer Zeitung: Da saß er, sich am heißen Ofen wärmend, ruhig, kalt, ernst, ohne eine Miene zu verziehen, oder sich um die ihn begaffende Menge weiter zu kümmern, in sich selbst gekehrt. Wer ihn so bey der Lampe, einsam in der stillen Nacht erblickt hätte, konnte ihn leicht für einen in tiefes Nachdenken versunkenen Philosophen halten. Nun diese Einsamkeit und doch gesellschaftliche Isolierung in so einem kleinen Nest wie Neuwied damals war, führte dann tatsächlich zu der Tragik, wie die Rheinländer so sind: ach, einmal, ist kein mal, Alkohol zustecken, was der Prinz Max strikt verboten hatte, und in der Sylvesternacht 1833, als Prinz Max in Nordamerika weilt, da war des guten zu viel getan, der Quäck stürzt aus dem Fenster, und erfriert in der Sylvesternacht. Damals gab's im Rheinland noch Winter. Das ist die Unfallstelle, dort aus dem ersten Fenster ist er rausgefallen aus dem ersten Stock. 3 O-Ton 1ff (frei stehend): Und deshalb habe ich Ihnen etwas mitgebracht, sie sind jetzt Zeuge einer Premiere, nämlich den Originalschädel des Botokuden Quäck. Ich bin kein Anthropologe ich stelle lediglich als Besonderheit diese Wunde fest, die rührt von dem Sturz her in der Sylvesternacht. Ja das war's, Danke. Erzähler: Es ist der vorerst letzte Auftritt des „guten Quäck”, und seine Geschichte endet wie sie begonnen hat: als Studienobjekt. Zitator 2 Prinz Maximilian war ein Einzelgänger, unverheiratet und befreundet nur mit Mitarbeitern und Kollegen, der in seiner Heimat Neuwied ohne Rast Pflanzen und Insekten sammeln, Säugetiere und Lurche schießen ließ. Eingelegt, getrocknet, aufgesteckt, ausgenommen, kam der Prinz, der die Gegenstände zu bestimmen und aufzuzeichnen hatte, fast nicht zu Athem! Erzähler: schreibt die wissenschaftliche Zeitung „Isis“ 1819. 1843 charakterisiert Karl Viktor zu Wied seinen Bruder in einem Brief. Zitator 2 Tatsächlich muss zu Wied etwas in sehr hohem Maße besessen haben, was man als produktive Eingleisigkeit bezeichnen könnte. Ein etwas trockener Intellekt und außerordentliche Willenskraft waren jedenfalls die wichtigsten Merkmale seines Wesens; Phantasie dürfte daneben nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben!“ Erzähler: Geboren 1782 als achtes von elf Kindern hat Prinz Max keinerlei Aussicht auf politische Macht und Funktion. Ein Leben als Naturforscher dagegen verspricht Anerkennung, Abenteuer und einen Ausweg aus der rheinischen Provinz. Im April 1811 schreibt sich der fast dreißigjährige Prinz Max als Student bei Johann Friedrich Blumenbach an der Universität Göttingen ein. Blumenbach befasst sich mit vergleichender Anatomie und sammelt Schädel aus aller Welt. Auf der Suche nach dem Ursprung der Menschheit will er durch vergleichende Kopf- und Körpervermessungen eine Systematik menschlicher Rassen erstellen. Der charismatische Lehrer spornt seine Studenten zu Expeditionen in entlegene Erdwinkel an, um ihn mit „frischem Schädelmaterial zu versorgen”. Prinz Max ist fasziniert. Zitator 1 Prinz Max: In Hinsicht auf eine größere Reise arbeite ich hier in Göttingen noch immer fort bis Ostern. Blumenbach thut für mich, was er kann, und sein Collegium der vergleichenden Anatomie ist diesen Winter besonders interessant. Erzähler: Den letzten Anstoß zu seiner Reise gibt ein anderer, längst berühmt gewordener Schüler Blumenbachs: Alexander von Humboldt überzeugt Prinz Max, die Reise nach Brasilien zu wagen und den sehnlichsten Wunsch seines Lehrers Blumenbach 4 zu erfüllen: einen brasilianischen Schädel zu beschaffen. Nach dreijährigen Reisevorbereitungen schifft sich Prinz Max zusammen mit seinem Hofjäger und Hofgärtner am 15. Mai 1815 in London nach Brasilien ein. Unter dem Pseudonym Baron von Braunsberg hält er seine Erlebnisse in einem Reisetagebuch fest. Atmo 4: Bucht von Rio de Janeiro. Fischer machen ihre Holzflöße klar. Zitator 1 - Prinz Max: Am 17ten July 1815: Morgens um 9 Uhr kamen zwei Lotsen in einem großen Boote mit acht indianischen Ruderern und einem Steuermann. Sie hatten eine sehr dunkle Farbe und waren hässlich... Musik 1: Milton Nascimento, Anfang von Hello Goodbye Zitator 1 - Prinz Max: Die Geschäfte und die Neugierde führten mich am 18ten Juli sogleich nach der Stadt. Eine Menge Volk in den Strassen, wovon auf einen Weißen immer 3 bis 4 Neger oder Farbige gerechnet werden müssen, die singend oder im Tacte rufend schwere Lasten fortschaffen. Der Markt, wo man die Neger kauft, hat einen besonderen Kirchhof für sie, wo die neu ankommenden oft in Menge verscharrt werden, oft nur höchst oberflächlich ja man lässt sie zuweilen beinahe unbedeckt verfaulen, bis man gezwungen ist sie vollständig zu begraben. Die Ankunft der königlichen Familie hat Rio eine andere Gestalt gegeben... Erzähler: 1808, sieben Jahre bevor Prinz Max brasilianischen Boden betritt, landeten 40 Schiffe mit fast 12.000 Menschen an Bord in der Bucht von Rio de Janeiro. Die portugiesische Krone war vor Napoleon von Lissabon nach Rio geflohen. Die noblen Neuankömmlinge benötigten Unterkunft und Verpflegung. Kaum angekommen ließ der König ganze Straßenzüge beschlagnahmen. An den Häusern prangten seine Initialen P.R., Principe Regente, Prinzregent. Der Volksmund machte daraus P.R.: Ponha-se na rua, zu deutsch: auf die Strasse mit euch. Aber wohin mit all den Menschen? Schnell geriet eine Region nördlich von Rio de Janeiro ins Visier: Die dichten Wälder entlang des Rio Doce, Rio Mucuri und Rio Belmonte, genannt „Die große Leere“. Allerdings handelte es sich dabei auch um das letzte Rückzugsgebiet der Pataxó, Maxacalí und Botokuden-Indianer. Und die wehrten sich vehement gegen die Expansionspläne der Krone. Ihre Jagd -und Schweifgebiete im Landesinneren und entlang der Ostküste waren existenziell bedroht. Zwei Monate nach seiner Ankunft erklärte König Joao den Offensivkrieg gegen die Botokuden, ausgerufen als „Guerra justa”, „gerechter Krieg“, offiziell auch „Desinfektion der großen Leere“ genannt. Atmo 5: Urwaldgeräusche 5 Erzähler: An der einzig befestigten Heerstrasse in „die große Leere“ richtete ein deutscher Baron ein Proviantlager ein und verkaufte portugiesischen Truppen haltbares Maniokmehl, das er auf seiner nahegelegen Fazenda Mandioca anbaute. Diese Fazenda wurde zur ersten Anlaufstation aller europäischen Forschungsreisenden, darunter auch Prinz Max: Zitator Prinz Max: Besonders angenehm war mir Herrn von Langsdorff's Wohnung. Unmittelbar vor der Haustreppe Orangen- und Melonenbäume, die ihre duftenden Blumen zur Nahrung für eine große Menge nie gesehener Kolibris entfalteten.... Unmittelbar hinter dem Haus erhob sich ein dichter, dunkelschattiger Urwald, erstes Bild der großen, erhabenen Pflanzenschöpfung dieses schönen Climas. Atmo 6: fahrender Zug Erzähler: Heute liegt die Fazenda Mandioca 60 Kilometer außerhalb von Rio, nahe dem Städtchen Magé. Hernesto Teixera ist der Mann, der sie mir zeigen will. Nach unserem Verabredungshin- und her erkenne ich ihn sofort. Ein athletischer, großgewachsener Mann O-Ton 3 Dialog Herbert/Autor: wird nicht übersetzt Hernesto (bras.) Hallo mein Lieber, alles gut gegangen? Autor (bras.) Alles klar. Hernesto (bras.) Hör zu, wir haben zwei Situationen: das Auto meines Bruders ist kaputt, aber da ist ein anderes Auto, von einem Freund hier bei der Agrarbehörde, hier gleich um die Ecke, aber wir müssen tanken. Alles klar? Autor (bras.) Alles klar. Erzähler Offenbar gibt es ein Problem, zur Facenda zu kommen. Das Auto von Hernestos Bruder, mit dem wir fahren wollten, ist kaputt. Aber Hernesto hat einen anderen Wagen besorgt, von einem Freund, der Direktor der Agrarbehörde ist. Das Auto muss aber noch aufgetankt werden. Und Hernesto muss noch herausfinden, wohin wir überhaupt fahren. O Ton 4 Hernesto (bras.) 6 Sprecher 1, Übersetzung Hernesto: Ich habe eine Vermutung wo das Haupthaus der Farm stand, da wohnen heute Leute. Die Farm existiert nicht mehr, das ist jetzt ein Stadtviertel. Es gibt noch Ruinen und ein Haus. Das ist alles, was heute noch existiert. Ich muss das Auto noch fertig machen. Eine Minute. Atmo 9: Agrarbehörde Erzähler: Während Hernesto unser Auto zum Laufen bringt, sitze ich mit Aloisio Sturm, "Autoverleiher" und Direktor der Agrarbehörde in Personalunion in seinem kleinen Büro. O-Ton 5 Aloisio Sturm (bras.): Sprecher 2 Übersetzung Aloisio Hier ist sogar eine Agrarschule nach Baron Langsdorff benannt. Er war unbestritten ein Spitzenwissenschaftler auf Weltniveau. Mehr als 10 Jahre hat er hier eine tolle Arbeit gemacht. Unsere Geschichte, die indianische Zivilisation, war aber auch schon hochentwickelt, als die Europäer hier in der Bucht anlandeten. Aber wir wissen ja, was dann passiert ist: wenn der Indio sich nicht ordentlich hinsetzt, dann … hier waren die Franzosen, die Engländer, die Holländer, sogar Deutsche, um hier Indianer zu töten. Die haben die Indianer pulverisiert. Erzähler: Als russischer Generalkonsul hatte der deutsche Georg Heinrich von Langsdorff, die Mission, dem russischen Zarenreich Zugang zu Rohstoffen und Agrarprodukten zu verschaffen. Aus seinem Landgut Mandioca machte er eine Musterfarm. Langsdorff wollte die in seinen Augen uneffizienten afrikanischen Sklaven durch deutsche Siedler ersetzen. Viele Deutsche folgten seinem Ruf, aber der Traum vom Aufbau einer ersten deutschen Kolonie scheiterte. Nur die deutschen Familiennamen und ein paar Sprachbrocken sind geblieben. O Ton 6 Dialog Aloiso Sturm/Hernesto: wird nicht übersetzt Aloisio (bras.) Hey Hernesto, hör doch mal zu wenn ich deutsch spreche: Wir sind doch alle Brüder! Hey, ich kann’s noch! Hernesto (bras.) Fahren wir los? Mal sehen ob das Auto anspringt? Atmo 10: Auto, dann Musik 7 Erzähler: Wir lassen Magé hinter uns und fahren wenige Minuten später durch sattgrünen Regenwald, aus dem riesige graue Felsen aufsteigen. Im Radio läuft ein Samba, 1994 ein Riesenkarnevalshit: Langsdorff, um delirío no Sapucai. Langsdorff, Delirium im Sambadrom. Übersetzung: Zitator 2 Eine herrliche Reise die Langsdorff auf Befehl des Zaren unternahm Minas Gerais da wo die Odyssee begann Flora, Fauna, Mineralien, er katalogisierte alles was er fand dann wurde es nach Moskau gesandt Erzähler: Vorbei an der ersten Munitionsfabrik Brasiliens, gegründet 1808, im Jahr der Kriegserklärung gegen die Botokuden, erreichen wir den „Caminho Novo“, den „Neuen Weg“. Hier liegen die ausgedehnten Ländereien der Fazenda Mandioca. Atmo11: Auto kommt zum stehen Erzähler: Wir halten vor einem großen Holztor. Dahinter ein heruntergekommenes Haus. Der Besitzer ist sichtlich überrascht. O Ton 7, Dialog Hernesto/Aruoldo wird nicht übersetzt Hernesto (bras.): Hallo Bruder, haben wir dich geweckt? Entschuldige, es war nicht programmiert, ich bin mit dem Auto von Luis hier. Der Christoph, der Deutsche macht etwas über den Graf Langsdorff. Arouldo, Farmer, (bras.) In Ordnung. Entschuldige … ( Tor geht auf ). Atmo 12: durchs Gras gehen 8 Erzähler: Hier war offenbar schon lange niemand mehr. Es geht durch meterhohes Gras. Von einer Fazenda keine Spur. O Ton 8 Dialog Hernesto/Aruoldo (bras.) wird nicht übersetzt Hernesto: Das Haupthaus der Fazenda Mandioca liegt da hinter den Bergen. Aber diese ganzen Ländereien hier gehörten auch zur Fazenda. Kommen wir hier durch? Arouldo: Wir gehen hier lang, ist nicht so kompliziert. Erzähler: Endlich erreichen wir eine kleine Anhöhe und blicken auf eine weitläufige Ruinenlandschaft. Rote Ziegelsäulen ragen aus der Wildnis auf. O Ton 9 Hernesto (bras.) Sprecher 1, Übersetzung Hernesto: 41 Säulen, das geht von dem Bananenstrauch bis dahinten den Hügel rauf. O Ton 10 Aroualdo (Bras.) Sprecher 2, Übersetzung Aroualdo: Hier unten waren die Sklaven. Ich habe da viele blaue Flaschen gefunden, noch ganz erhalten, ich weiß nicht ob die von hier kamen, oder aus Europa importiert waren. Und dann war da so etwas wie eine Mühle, keiner weiß das genau, aber es fallen die vielen Walknochen auf, die hat man zu Knochenzement zermahlen. Es gab ja keine Steine. Hier sind wir auf dem höchsten Punkt, das Holz der Gebäude haben sie schon lange weggeholt. Viele Ziegelsplitter sind hier. Das deutet alles darauf hin, dass das hier absichtlich überschüttet wurde, die haben irgendetwas versteckt, hier lebten ja die Sklaven. Die Erde ist sehr weich, nicht gerade typisch für diese Gegend. Erzähler: Wir fahren weiter. Zum Herrenhaus des Baron Langsdorff. Atmo 13: Kinder auf der Strasse, Leute reden. Erzähler: Heute liegt es von erbärmlichen Hütten umgeben mitten in einem Armenviertel. Hernesto fragt, ob wir mal in das Haus hineinschauen dürfen. Ein rüstiger Mann um die 80 namens Milton ist der Besitzer. Er zeigt es uns gern. Tatsächlich, das Haus sieht noch genauso aus, wie es Moritz Rugenda, ein enger Freund Alexander von Humboldts, auf einer Lithographie festgehalten hat. O Ton 11 Dialog Hernesto/Frau/Senhor Milton (bras.) wird nicht übersetzt 9 Hernesto: Leute, dürfen wir mal kurz beim Haus gucken? Kann uns einer begleiten? Frau: Der Herr begleitet euch. Vorsicht vor den Hunden. Hernesto: Wenn der Hund bissig ist beiße ich zurück. Hier lang? Der Herr geht besser vor. Wie heißen Sie doch gleich noch? Herr, Herr... Alter Mann: Milton Hernesto: Herr Milton! Das Haus da vorne, das da kennst du von den Bildern und den Gravuren von Rugendas. Das ist noch seit diesen Gravuren erhalten, die Fenster und die Türen und der Keller, stimmt's Herr Milton? Milton: Das Haus ist da unten. Hernesto: Ich mach mal ein Foto. Damit du eine Idee davon hast. Milton: Ich selbst habe das ganze Haus repariert. Sogar den Kanal. Sieh, alles. Das hat sich sehr verändert. <bis hier nicht übersetzen!> O-Ton 11ff Hernesto (bras.): Sprecher 1, Übersetzung Hernesto: Wir gehen jetzt mal runter in den Keller. Dürfen wir? Wir besuchen jetzt den am besten erhaltenen Teil der Fazenda Mandioca. Diese Balken sind noch original aus dem Jahr 1816. Alle diese Balken. Das ist original. Erzähler: Die Keller, wo einst das Maniokmehl lagerte sind erstaunlich gut erhalten. „Don Milton“, ist sichtlich stolz, auch auf die originalen Holztüren und Fenster mit eingefärbtem Milchglas. Zum Abschied winkt er uns von seiner ausladenden Veranda zu. Das Herrenhaus der Fazenda Mandioca ist in goldenes Abendlicht getaucht. Bilder vergangener Tage steigen auf. Zitator 1 - Prinz Max: Der erste ursprüngliche Amerikaner, den wir sahen, war ein Knabe vom menschenfressenden Stamm der Botokudos. Er befand sich im Hause unseres Freundes v. Langsdorff. Eigentlich sollte der portugiesische Districtskommandant von Minas Geraes einen indianischen Schädel für unseren berühmten Landsmann, Hrn. Hofrat Blumenbach, beschaffen; da Jener nicht Gelegenheit fand, eines solchen 10 toten Documents habhaft zu werden, schickte er zwei lebendige Botokudos. Herr v. Langsdorff erhielt nun einen derselben, welcher ihm bald sehr lieb wurde, und nicht nur als ein lebendiges Cabinettstück, sondern auch als Einsammler von Naturalien diente... Erzähler: Auf der Fazenda Mandioca muss Prinz Max seine Passion für die Botokuden entdeckt haben. Zitator 1 - Prinz Max: Bei v. Langsdorff fand ich daselbst zwei junge Deutsche... Herr Sellow hatte botanische Kenntnisse, Freyreis war Sammler zoologischer Gegenstände. Ich verabredete mit ihnen bald den Plan einer gemeinschaftlichen Reise, einen fast noch unbekannten Weg, welcher besonders wegen der Anthropophagen-Nation der Botokudos sehr gefürchtet wurde. Atmo 14: Stimmengewirr, Bar, Rio Altstadt Erzähler: Wie gefürchtet die Botokuden wirklich waren, erfahre ich ein püaar Stunden später in der Altstadt von Rio. Nathan und Carol, alte Bekannte, wollen mir bei einem Bier einen befreundeten Historiker vorstellen. Wir treffen uns an der Praca Floriano Peixoto. Hier vibriert das alte Rio wie eh und je. Die Bars sind brechend voll. Die Cariocas, so nennt man die Bewohner Rio de Janeiros, genießen ihre „Choppies“, eiskalt gezapftes Bier. Dann kommt Marcelo Lemos, der Historiker. Carol warnt mich: Er hat ein Wörterbuch der Puri-Indianer verfasst, er weiß alles. O Ton 12 Dialog Carol/Marcelo (bras.) Carol wird nicht übersetzt Carol: Er hat ein Wörterbuch der Puri-Indianer erstellt, der erinnert sich an alles! Marcelo (bras.) Sprecher 1 - Übersetzung Marcelo Was wirklich passiert: Anfang des 19. Jahrhunderts werden fast zweihundert Farmen von den Purí und Botokudo-Indianern im Landesinneren überfallen und vernichtet. Da entscheidet Prinz Max sich für den Weg an der Küste entlang, zusammen mit dem Naturforscher Friedrich Sellow und dem Vogelkundler Georg Wilhelm Freyreiss. Auch wenn in seinem Reisebericht etwas ganz anderes steht. Er hatte nämlich noch gar keine eigene Reiseroute. Das war die Reiseroute von Sellow und diesem anderen Freyreiss mit dem komplizierten Namen. Er ging mit ihnen und erreichte schließlich Bahia. Atmo 15: Busbahnhof Rio 11 Erzähler: Nach einem langen Abend, an dem mir Marcelo Lemos so einige Ungereimtheiten in Prinz Max Aufzeichnungen erläutert, nehme ich den Nachtbus nach Salvador, um mich mit der Botokudenexpertin Hilda Paraiso zu treffen. Knapp 24 Stunden braucht er für die Strecke. Auch eine Zeitreise, denn so mancher Zwischenhalt trägt bis heute die Namen längst vergessener Botokudenjäger. Teófilo Ottoni, die zweitgrößte Stadt von Minas Gerais, ist nach dem Despoten benannt, der europäische Einwanderer mit falschen Versprechen in die umkämpften Botokudengebiete am Rio Mucuri lockte. Der Ausdruck „jemanden an den Mucuri schicken“ wurde in Deutschland im 19. Jahrhundert zum geflügelten Wort, auch ungehorsamen Kindern drohte man gern damit, sie an den Mucuri zu schicken. Über die gnadenlosen Feldzüge am Rio Mucuri hat mir Hilda Paraiso schon per Mail geschrieben. Sprecherin 1 - Zitat Die zeitgenössischen Landkarten stellen die Botokuden als menschenfressende, gefährliche Barbaren dar. Im Vernichtungskrieg gegen sie füttert man Hunde mit Indianerfleisch „um sie stets bei guter Nase zu halten”. Oder man legt Kleidung aus, die mit Scharlach oder Blattern infiziert ist. Die weißen Siedler ermuntert man per Gesetz „junge Botokuden der Barbarei zu entreißen und der Zivilisation zuzuführen“ und räumt ihnen das Recht ein, sie bis zu zehn Jahre lang zu versklaven. Atmo 16: Salvador Erzähler: Hoch über Salvador da Bahia liegt der Arbeitsplatz von Hilda Paraiso. Eine alte Kolonialvilla mit atemberaubendem Blick. Weit draußen die vorgelagerten Inseln der „Allerheiligenbucht“, zur Linken der Gouverneurspalast mit seinem prächtigen Garten. Der Hausmeister des Instituto Bahiano de Antropología döst bei leichter Brise unter einem riesigen Jackfruchtbaum und weist stumm den Weg zur Anmeldung. Dort weiß man von meinen Termin bei Hilda Paraiso nichts. Aber eine Sekretärin bemüht sich, jemanden zu finden, der mir weiterhilft. O Ton 13 Sekretärin (bras.) <nicht übersetzen – nur „atmosphärisch“ verwenden> Ich mach das folgende, ich weiß jetzt nicht ob unsere Koordinatorin da ist, oder ob Sie die Professorin empfängt, das ist hier das Zentrum für indigene Ethnologie, indianische Sprachen, wir haben auch ein Archiv hier, aber lassen Sie mich versuchen einen Professor des Hauses zu finden, der Ihnen weiterhelfen kann. Einen Moment... … ich bin hier mit einem deutschen Journalisten, der recherchiert zu einem Botokude- Indianer der in Deutschland gelebt hat. Der wollte mit wem reden. Wie gehen wir mit solchen Anfragen um? 12 Erzähler: Dann muss ich doch nur kurz in Hilda Paraisos Büro warten, einem holzgetäfelten Saal mit großem Schreibtisch und auffallend vielen Aschenbechern. Die Dekanin der anthropologischen Fakultät begrüßt mich mit einem kiloschweren Buch unter dem Arm: die Geschichte der Botokuden. O Ton 14 Hilda (bras.) Sprecherin 1, Übersetzung Hilda: Das Buch schenke ich Ihnen. Meine Habilitation. Ich habe vom Rio Doce bis zum Rio de Contas hier in Bahia geforscht. Und auch mit den letzten isolierten Botokuden gearbeitet. Hier in der Arbeit sind auch Karten, die Ihnen wahrscheinlich helfen werden. Hier die Militärbasen, Militärbasen, die seit 1808 hier in Bahia entstanden sind. Sie finden da auch die Reiseroute von Wied. Sie werden schon was entdecken, was Sie vielleicht verwerten können. Erzähler: „Vielleicht“ ist untertrieben. Das Buch wertet hunderte Dokumente aus, die aus jener Zeit stammen, als Prinz Max auf seiner Reise durch Brasilien war. Hilda Paraiso zeigt auf eine Militärstation. O Ton 15 Hilda (bras.) Sprecherin 1, Übersetzung Hilda: Quartel dos Arcos, São Miguel. Das enspricht heute Jequitinhonha. Vielleicht ist er dort in den Besitz von Quäck gekommen. Er und seine Gruppe waren nämlich nie weit weg von den Militärposten und ihren Truppen, die ihre Sicherheit garantierten. Sie waren nie in Gebieten, wo man die sogenannten primitiven Botokuden antreffen konnte, die keinen Kontakt zur Außenwelt hatten. Und da kommen wir auf den „gerechten Krieg“ und die Politik der sogenannten „Desinfektion des Hinterlandes“. Da wurden in bestimmten Abständen Militärposten aufgebaut, neue Kampftruppen rekrutiert, die oft aus Indianern bestanden. Ein schmutziges Spiel. Sie wiegelten die einen gegen die anderen Indianer auf. Erzählten ihnen, dass die Botokuden kommen würden, um ihre Frauen zu vergewaltigen, ihre Kinder zu rauben... Das ist schon bemerkenswert. Alle anderen Reisenden erwähnen, wo sie in den Besitz ihrer Wesen gekommen sind. Wied nicht. Er bewahrt darüber absolutes Stillschweigen. Die meisten Forschungsreisenden nahmen Kinder mit. Die Neugier der Reisenden ist unersättlich, auch wenn man Wied nicht nur auf das reduzieren kann. Und einen erwachsenen Indianer mitzunehmen, da ist Quäck die absolute Ausnahme. Erzähler: Wie alt Quäck ist, als er Prinz Max begegnet, ist unsicher. Sicher aber ist, dass die Begegnung zwischen Quäck und Prinz Max mit einem Missverständnis beginnt. O-Ton 16 Hilda (bras.) Sprecherin 1, Übersetzung Hilda: Er wollte den Namen von Quäck erfahren. Zu welchem Volk er gehört. Und Quäck antwortete: Engerekeekenungi. Der Prinz versteht „Quäck”, und denkt, das sei sein Volksstamm. Engerekeekenungi aber bedeutet: Ich bin jener, der weggegangen ist. 13 Er hat sich selbst als einen bezeichnet, der im Exil ist. Das hat Max nicht verstanden. Er sprach kein portugiesisch. Er sprach kein botokudisch oder eine andere Indianersprache. Das führt zu vielen Missverständnissen. Im Grunde, wenn Max über die Indianer redet, redet er nicht als Augenzeuge, sondern als jemand, dem man etwas erzählt hat. Insofern müssen wir schon ein kritisches Auge auf sein Werk und seine Berichte werfen. Erzähler: Prinz Max erhält seine Informationen vornehmlich auf Militärposten, die zumeist von einem portugiesischen Offizier und einer Handvoll Soldaten besetzt sind. Sie sollen die Ansiedler gegen die Angriffe der Botokuden schützen. Bei Hitze, Regen, MoskitoSchwärmen, Sümpfen und Gelbfieber ist Fahnenflucht an der Tagesordnung. Zwischen faszinierenden Naturansichten, prächtiger Tierwelt und schauderhaften Lebensbedingungen muss sich Prinz Max als aufgeklärter Europäer orientieren. Quäck wird zu seinem unentbehrlichen Reisegefährten. O Ton 17 Hilda (bras.) Sprecherin 1, Übersetzung Hilda: Ich liebe Wied. Er ist mein Lieblingsreisender. Ich sehe in ihm aber auch eine zutiefst gespaltene Persönlichkeit. Hin- und hergerissen zwischen Naturalismus und Humanismus. Er denkt über viele Dinge nach. Auf der einen Seite ist er begeistert und fasziniert, aber auf der anderen Seite erschüttert ihn die Armut, die Ignoranz, das Rohe, Unzivilisierte. Erzähler: Immer wieder erwähnt Hilda Paraiso einen Mann namens Titus Riedl. Er habe sie auf die Geschichte von Quäck gestoßen. O Ton 18 Hilda (bras.) Sprecherin 1, Übersetzung Hilda: Ich habe ihn zufällig auf einem Kongress getroffen und wir haben Veröffentlichungen ausgetauscht. Er forschte zu den Botokuden in Deutschland, so wie ich hier zu den Botokuden in Brasilien. Danach hatten wir nie wieder Kontakt. Ich erinnere mich noch genau, er erforschte, was mit den Botokuden in Deutschland geschah. die zwischen Naturkabinetten, Jahrmärkten und so weiter herumgereicht wurden. Ich verdanke seiner Arbeit viel. Wenn Sie ihn treffen, ich bin ein Fan von Titus. Erzähler: Viele Zigaretten später weiß ich, dass junge Botokuden damals eine begehrte Währung sind. Viele reisen mit offiziellen Papieren, mit einem Kaufvertrag. In Brasilien sind sie begehrt als Führer, die sich im Urwald auskennen. Oder als „Zungen”, so nennt man die Dolmetscher, die die verschiedenen Indianersprachen beherrschen. Quäck ist einer von ihnen. Und der Mann, der sich als erster mit seinem Schicksal befasst hat, heißt Titus Riedl. Nach tagelanger Recherche zwischen Brasilien und deutschen Universitäten finde ich ihn. Titus Riedl hat einen Lehrstuhl für Geschichte an der Regionaluniversität von Cariri in der Stadt Crato, mitten im Sertão, der halbwüstenartigen Savanne Brasiliens. 850 Kilometer nordwestlich von Salvador. 14 Atmo 17: Bus und Musik Erzähler: 22 Stunden Fahrt mit dem Überlandbus durchs Trockenland, hier und da verwesende Kühe entlang staubiger Pisten, am Horizont die Santana-Formation, eine der bedeutendsten Fossillagerstätten der Welt. Im Ohr, O Botocudo, eine Samba aus dreißiger Jahren, auf den Knien das Reisetagebuch des Prinzen. Zitator 1 - Prinz Max: 1816. Nach nunmehr fast einjähriger Reise hatten sich unsere Sammlungen bedeutend vermehrt. Dreizehn Kisten, darunter NR.13. mit Waffen der Wilden....In Villa Viscosa fanden wir den Ouvidor Amtmann... Überigens waren in seinem Gefolge auch zehn bis zwölf junge Botocudos von Belmonte... Ihre originellen Gesichter waren durch große Blöcke von Holz, die sie in der Unterlippe und in den Ohrläppchen trugen, verzerrt; die meisten dieser jungen Indianer hatten kürzlich Pocken gehabt, sie waren noch über und über mit Narben und Flecken bezeichnet, welches bey ihrem durch die Krankheit abgemagerten Körper ihre natürliche Hässlichkeit noch bedeutend vermehrte. Erzähler: Bei „Pocken“ muss ich an die ausgelegte, infizierte Kleidung denken. Bei „junge Botokudos“ an Kinderraub. Ein Anruf von Titus Riedl reißt mich aus meinen Gedanken. Er gibt mir einen Treffpunkt durch. Weil er eine Ausstellung vorbereite, müsse er noch einige Künstlerinnen besuchen, und - er habe eine kleine Überraschung für mich parat. Atmo 18: Motorradtaxi, Crato Erzähler: Am Busbahnhof in Crato warten die Motorradtaxis unter einem majestätischen „Chapeu do sol“ auf Kundschaft. „Sonnenhut“ nennen die Brasilianer ihre gigantischen Mandelbäume. Das Städtchen ist wie von gelbem Puderzucker bestreut. In Crato regnet es oft Monate nicht. Ich treffe Titus Riedl vor einer ärmlichen Lehmhütte. Ganz Brasilianer, umarmt er mich wie einen alten Freund und nimmt mich direkt zu seinen Kunsthandwerkerinnen mit. O Ton 19 Dialog, Titus & alte Frau (bras.) wird nicht übersetzt Titus: Alles klar? Frau: Wie geht es? Wirklich alles gut? Titus: Wunderbar. Ich stelle dir heute sogar meine Frau und einen Freund vor. 15 Frau: Freund! Trotzdem, wirklich alles gut mein Sohn? Titus: Los geht’s, ich gehe. Erzähler: Die unverputzten Wände der Hütte hängen voll mit Bildern und überall stehen Tonfiguren. Titus Riedl begutachtet, wägt ab, kauft. Dann fragt er eine der Kunsthandwerkerinnen, ob sie was mitgebracht habe oder ob es schon da sei: Die Skulptur eines Mannes mit Hut und einem Indianer an seiner Seite. Die würde der Deutsche sicher nehmen… O-Ton 20 Dialog Titus Riedl/Künstlerin (bras.) wird nicht übersetzt Titus: Lass mich dich erstmal bezahlen. Frau von Titus: Diese Prozession da ist wirklich schön. Kunsthandwerkerin: Die ist aber noch nicht fertig, da sind zwei Arme abgebrochen. Titus: Und den Lazarus, konntest du den Lazarus reparieren? Frau: Ich repariere ihn langsam. Titus: Und das Stück mit dem Herren mit dem großen Hut? Mit dem Indianer an seiner Seite im Urwald. Den hast du doch gemacht? Frau: Kann sein, Ach ja, jetzt erinnere ich mich! Titus: Ah, der recherchiert über diesen Indianer, will einen Film oder was immer machen. Der bestellt bestimmt ein Exemplar. Denk doch mal über weitere Motive mit Wied Neuwied nach. Erzähler: Das ist also die Überraschung, die Titus Riedl angekündigt hatte. Eine Tonplastik von Wied und Quäck. Er selbst besitzt auch eine und zeigt sie mir, als wir bei ihm zu Hause sind. Prinz Max trägt einen Strohzylinder mit Papageienfedern, in der rechten Hand hält er ein Gewehr, in der linken Hand einen erlegten Papagei. Hinter ihm steht Quäck, barfuss, mit Pfeil und Bogen. Eine gelungene Nachempfindung eines 16 Gemäldes des Koblenzer Portrait- und Genremalers Johann Heinrich Richter. Entstanden im Hofgarten zu Neuwied. Atmo 19: Riedle sucht ein Bild Erzähler: Riedls Haus gleicht einer Wunderkammer, vollgestopft mit den sonderbarsten Objekten, darunter eine große Sammlung sogenannter „retratos pintados“. Farbenprächtig übermalte Porträtfotos von Verstorbenen auf dem Totenbett. Eine Tradition im Nordosten Brasiliens, die arme Landarbeiter posthum in elegante Herrschaften oder Heilige verwandelt. Eine von Titus Riedl kuratierte Ausstellung dieser Porträts wurde ein Welterfolg. Aber ich bin wegen der Botokuden hier. 1992 hat Titus Riedl seine Examensarbeit über sie geschrieben. O Ton 21 Titus Riedl (deutsch) Das interessante ist, dass die Botokuden eigentlich genau das Gegenbild unserer deutschen, oder der in Deutschland gängigen Indianerromantik darstellen. Die Botokuden haben also in der Geschichtsschreibung nichts Romantisches gehabt. Sondern im Gegenteil, waren der Indianer, der schockiert hat. Vielleicht ist der Botokude für den europäischen Reisenden des 19. Jahrhunderts der Inbegriff des Fremden. Eine fremdere Kultur konnte man sich damals nicht ausmalen. Ich glaube das Hauptinteresse an Wied Neuwied war wie er ja als Bürger, als deutscher, europäischer Adliger, als Idealist und Wissenschaftler fähig war eine zivilisatorische Leistung zu vollbringen indem er die Indianer zu Bürgern, wenn auch nur sehr äußerlich, im Auftreten und in den Kleidern, aber dass er sozusagen das Bild des Wildesten Wilden, wie er dazu fähig war ihn zu einem Bürger zu machen. Im Grunde genommen hat das ja nicht geklappt. Der Quäck ist zerbrochen, man kann sagen, dass er psychisch zerbrochen ist in diesen ganzen Jahren. Auch schon in der Zeit gab es Theorien die besagten, dass die Indianer nicht zu zivilisieren seien. Und dem hat Wied in gewisser Hinsicht widersprochen, widersprechen wollen. Aber im großen und ganzen ging es um ihn um die zivilisatorische Leistung, so in dem Sinn nach, seht mal her, was ich leisten kann. Was meine Kultur, wie ich als Idealist jemand umformen kann. Es ging nämlich nie um die Zeit um die Toleranz des anderen. Er hat ja den Quäck, er hat ihn ja wissenschaftlich sozusagen soweit ausgeschlachtet, sagen wir mal soweit in Anspruch genommen, wie es nur ging in seiner Zeit. Aber immer in der Auffassung, dass die Zivilisation die Rettung sei. Es ging nie darum, Indianer in ihrer indianischen Kultur zu belassen, die andere Kultur als einen eigenen Wert, als etwas Interessantes anzuerkennen. Erzähler: Und so werden die Botokuden, die tatsächlich nie Kannibalen waren, zum Muster des ungezähmten, gefährlichen Indianers. Ein Gegenbild zum romantischen Ideal des "edlen Wilden". Die Botokuden sind das am intensivsten untersuchte Indianervolk des 19. Jahrhunderts mit den meisten Einzeleinträgen in zeitgenössischen Lexika. Man kann Prinz Max keine böse Absicht unterstellen, aber sein Wissensdurst setzt eine makabere Jagd um Schädel, Knochen und Objekte der brasilianischen Indianer in Gang. 17 O Ton 22 Titus Riedl (deutsch) Titus: Das Thema damals das war zwischen den Affenschädeln, Orang-Utanschädeln und dem ersten Menschen, sozusagen die ersten Evolutionsstufen aufzuzeigen. Und das hatte der Wied mit Sicherheit im Hinterkopf. Das war ein Ehrgeiz die Schädel aufzufinden. Und in gewisser Hinsicht dann auch mit Alexander von Humboldt zu konkurrieren. Erzähler: Ein internationales Netz von Grabräubern und Händlern entsteht, die Naturmuseen und Raritätenkabinette in Europa beliefern. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts reisen zahllose Forscher der Route von Prinz Max hinterher. Die Botokuden sind das meist fotografierte Indianervolk. Sogar Ansichtskarten mit ihnen gibt es. Atmo 20: Ailtons Gesang bei einem Sapé Ritual Erzähler: Mit einer Kopie der Examensarbeit Riedls im Gepäck geht meine Reise weiter ins 1.900 km entfernte Belo Horizonte. Dort leben am Rio Doce die letzten 300 Krenaks, so bezeichnen sich heute die Nachfahren der Botokuden. Einer von ihnen ist Ailton Krenak, der langjährige Indianerbeauftragte der Regierung von Minas Gerais. Ailton wohnt zusammen mit seiner Frau Ni und seinem kleinen Sohn Kremba in den Bergen, eine Stunde außerhalb von Belo Horizonte. Sein Zuhause ist ein fünf Meter hoher zeltförmiger Holzbau, oben offen, mit einer Feuerstelle in der Mitte. Von den Schlafmatten blickt man auf die „mata obscura”, den dunklen Wald. Ailton Krenak sitzt am Computer und bearbeitet gerade ein Video, einen Lehrfilm in Botokudisch. Nur sieben Personen sprechen heute noch die Sprache. Eine davon ist seine Schwiegermutter. Atmo 21: man hört sie im Video ein wenig botokudisch sprechen Erzähler: Aber nicht nur die Bewahrung der Botokudensprache ist Ailton ein Anliegen.Vor wenigen Wochen ist er in St. Petersburg gewesen, denn auch dort sind Botokudenschädel und Gebeine aufgetaucht. O Ton 23 Ailton (bras.) Sprecher 1 - Übersetzung Ailton: Als die Alten aus unserem Dorf gehört haben, dass dort sterbliche Überreste unserer Vorfahren in den Laboratorien der Weißen zwecks wissenschaftlicher Spekulationen liegen, sind sie sehr traurig geworden und haben sich für die Weißen geschämt. Diese sterblichen Überreste so ihrer persönlichen Einzigartigkeit zu berauben. Als hätten sie nie eine Kultur, nie eine Seele besessen. Nichts außer Knochen, die man zerlegt. Mit dieser Ideologie hat man uns ausgelöscht, ein absurder Völkermord, totale Vernichtung. Die Weißen haben schon immer gedacht, dass wir kein Recht auf Leben haben, aber sie haben das Recht unsere Knochen zu nehmen, und uns 18 abzuscannen als wären wir Küchenschaben, Ratten, kleine Tierchen, zum Studium freigegeben. Die Muslime wollen ihre Religion nicht beleidigt sehen, die Christen auch nicht, und die sterblichen Überreste von uns Botokuden wollen auch nicht in ihrem Glauben beleidigt werden, menschliche Wesen gewesen zu sein. Auf dieser Welt als Menschen gelebt zu haben. Was die Botokuden betrifft: Ich habe den Eindruck, dass sich bis heute die modernen Wissenschaftler noch nicht von dieser Neugier befreit haben. Nur die Methoden sind entwickelter. Anstatt eines Schädels untersuchen sie jetzt die Spucke. Das ist eine Obsession. Atmo 22: Urwald, Graben Erzähler: Prinz Max will das seinem Mentor Blumenbach gegebene Versprechen unbedingt einlösen: als erster Reisender einen Botokudenschädel nach Deutschland zu bringen. Nach vielen gescheiterten Versuchen ist es dann an der „cachoeira do inferno“, am Höllenwasserfall des Rio Belmonte endlich so weit: Zitator Prinz Max: In dem dichten Urwalde unter rankenden schönen blühenden Gewächsen war ein junger Botokude von 20 bis 30 Jahren begraben, einer der unruhigsten Wilden. Er hatte oft Feindseligkeiten herbeizuführen gesucht, war aber nachher an einer Krankheit, ich glaube an Blattern, gestorben. Wir befreyten den merkwürdigen Schädel aus seiner Gefangenschaft. Obgleich ich alle mögliche Sorgfalt aufgewandt hatte, diese Nachgrabungen geheim zu halten, so verbreitete sich das Gerücht davon schnell und erregte großes Aufsehen unter den ungebildeten Menschen. Mehrere kamen und forderten den Kopf zu sehen, den ich aber sogleich in meinem Koffer verborgen hatte, und so schnell wie möglich nach Villa de Belmonte hinab zu senden suchte. Erzähler: Der Kupferstich eben dieses Schädels wird später die erste Seite seines Reiseberichtes mit einer Widmung an seinen Mentor Professor Blumenbach zieren. Musik Erzähler: Die Rückreise nach Salvador führt mich mitten durch das letzte Siedlungsgebiet der Botokuden. Eine melancholische Reise entlang des Rio Belmonte, der heute Rio Jequitinhonha heißt. In dem gleichnamigen Städtchen, das zu Zeiten der Reise von Prinz Max der vorgeschobenste Militärposten der portugiesischen Eroberer ist, soll Quäck in den Besitz von Prinz Max gekommen sein. Ich habe eine Verabredung mit Solange Pereira. Sie bemüht sich seit Jahren um eine Städtepartnerschaft zwischen Jequitinhonha und Neuwied. Auf ihr Betreiben ist der Schädel von Quäck 2011 nach Brasilien zurückgekommen. Die Nacht im einzigen Hotel am Ort ist kurz. Die feuchte Luft steht, der Strom ist ausgefallen, ideale Bedingungen für einen Moskitoangriff nach dem anderen. Atmo 23: Frühstücksraum. 19 Erzähler: Am nächsten Morgen erwartet mich Solange Pereira schon im Frühstücksraum. Die kleine, agile Frau will mir ihre Stadt zeigen. O Ton 24 Solange (bras.) Sprecherin 2 - Übersetzung Solange: Wir befinden uns hier im Stadtzentrum von Jequitinhonha und gehen jetzt in Richtung Fluss. Und da vor uns sehen wir das Denkmal für Prinz Maximilian zu Wied. Hier zur Linken die Borun Quäck Allee. Borun Quäck ist der eigentliche Name der Botokuden. Botokudo war nur ein abwertender Name der Portugiesen. Deshalb Borun Quäck Allee. Zur linken geht die Allee weiter, zur rechten der Fluss und dahinter das Naturreservat „dunkler Wald“, das ist unser ganzer Stolz. Und hier in der Mitte des Denkmals ist eine Erinnerungstafel. Die ehrt Prinz Maximilian und Quäck und hier stehen die sieben Indianervölker, die 2011 hier waren, um die sterblichen Überreste von Quäck zu empfangen. Wir kennen ja nur das Schicksal von Quäck, nachdem er Prinz Max getroffen hat. Und er sagte nur, er sei weggegangen. Also ein Flüchtling. Er ist Maximilian freiwillig gefolgt, wurde gut behandelt, die waren Freunde, und darin liegt auch etwas Schönes, diese Menschlichkeit zwischen zwei Adligen, der eine europäischer, der andere indianischer Adel. Erzähler: Ein sehr romantischer Blick auf diese Freundschaft. Vielleicht Gewissensbisse? Das Bemühen um Wiedergutmachung? Solange Pereira ist die Nachfahrin des ersten portugiesischen Militärkommandeurs aus den Zeiten des „gerechten Krieges”. Lange her. - Und auch wieder nicht. Der Taxifahrer, der mich zum Busbahnhof bringt, hält mich für einen Amerikaner. „Die finanzieren hier ein Kinderheim und nehmen immer Kinder in die USA mit“, sagt er. Atmo 24: Bus Erzähler: Die Fahrt im Überlandbus an den Atlantik entlang des Rio Belmonte geht durch unberührte Wälder, hier und da malerische Fazendas, als blättere man sich durch die Kupferstiche aus Prinz Max Prachtausgabe seiner Reiseberichte. Zitator 1 - Prinz Max: Leider haben die Indianer ihre Originalität verloren. Auch bedauerte ich nur, da nicht ein Krieger uns hier entgegentrat, die Federkrone um den Kopf, mit Armbinden und bunten Federn geschmückt, den kräftigen Pfeil und Bogen in der Hand; statt dessen wurde man von den Abkömmlingen jener Anthropophagen mit dem portugiesischen Gruß: A Deos bewillkommnet und ich fühlte mit Kummer den Wechsel alles Irdischen, der diesen Völkern mit dem Abfall von ihren rohen barbarischen Gebräuchen auch ihre Originalität raubte und sie einem jetzt kläglichen Mittelding heruntersetzte. Atmo 25: Bus 20 Erzähler: Nach nunmehr 7000 km Spurensuche in Sachen Quäck bin ich wieder in Salvador. Am Tag meiner Abreise bleibt noch Zeit für einen kurzen Besuch im „Convento do Carmo“, einem Karmeliterkloster hoch über der Altstadt des „schwarzen Roms“, wie Salvador wegen der vielen barocken Kirchen auch genannt wird. Hier bereiteten Quäck und Maximilians Hofjäger über Monate die Verschiffung der Reisebeute vor: circa 80 Amphibien und Reptilien, 468 Arten Vögel in 2500 Exemplaren, 82 Säugetierarten und unzähligen Pflanzen und Samen. Prinz Max selbst hat Brasilien schon vor ihnen verlassen. Zitator 1 - Prinz Max: Nachdem ich von meinen Bekannten Abschied genommen, begab ich mich am 10ten May Abends an Bord, und der Schiffs-Captain Betencourt lichtete noch vor Nacht die Anker. Ein frischer günstiger Wind wehete aus der Bahia de Todos os Santos hinaus, man zog alle Segel auf und schnell schwand die Stadt aus unserer Nähe. Atmo 26: Hotel Erzähler Heute ist das Karmeliterkloster ein Luxushotel mit Pool im Kreuzgang. Ganze zwei Glaubensbrüder sind übriggeblieben und müssen die Hintertür für einen Rundgang durch ihr ehemaliges Reich nutzen. Beto und Alberto. Atmo 27: Alberto schließt Eisentür auf O Ton 25 Frei Alberto (bras.) Sprecher 1 - Übersetzung Frei Alberto: Heute nutzt das Hotel diesen Teil als Bar. Und oben dann die Mönchszellen. Ich weiß gar nicht genau wie viele Mönche hier gelebt haben. Aber bestimmt hundert, die Infrastruktur dafür ist da. Und der Teil hier unten war so etwas wie eine Schule, für die Kinder aus der Umgebung. Eine Art Berufsschule. Und dann noch eine Etage tiefer wohnten die Sklaven, die den Mönchen bei der Arbeit halfen. Atmo 28: Frei Beto redet im Hintergrund, blättert in alten Unterlagen Erzähler: Hier müsste auch Quäck gewesen sein. Doch so lange Frei Beto auch in alten Papieren blättert, eine Eintragung über Quäck ist nicht zu finden. Bis heute sind die Archive des Convento do Carmo aus Geldmangel nicht erschlossen. Erzähler: Quäcks Ankunft in Neuwied hingegen ist gut dokumentiert. Am 12. Februar 1818 schreibt eine Neuwieder Zeitung mit dem merkwürdigen Namen „Aus dem Reich der Todten”: 21 Zitator 2 Unglaublich schnell verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft eines Wilden durch die Stadt. Das Gebäude, worin er sich befand war den ganzen Tag, so wie auch an den nächstfolgenden von dichten Menschenmassen belagert, sein Zimmer nie leer... Auf Verlangen des Prinzen nennt er die aus seinem Vaterlande mitgebrachten Thiere in seiner Muttersprache, ahmt ihre Stimmen auf das täuschenste nach und sang, nachdem er einige Sekunden gezögert hatte, seinen Nationalgesang, wobei er die rechte Hand auf das Haupt, die linke ans Ohr legte. Erzähler: Im Palais zu Neuwied wird eigens ein öffentlich zugänglicher Raum eingerichtet, wo Quäck zu besichtigen ist. Schloss Mon Repos wird zum Anlaufpunkt von Wissenschaftlern und Künstlern. Quäck wird dem Publikum als „erste unter den Naturseltenheiten Brasiliens, die der Prinz in Neuwied versammelt hat“, vorgestellt. Und auch Prinz Max selbst erfährt durch die Anwesenheit des Indianers Aufmerksamkeit in der Gelehrtenwelt. Er steht in regen Briefverkehr mit seinem Mentor Professor Blumenbach, der sich in einem Brief vom 10. Mai 1819 für das großartige Geschenk des ungeheuren Botocuden-Ohrklotzes bedankt und für das Souvenir „aus der Haarkrone Ihres treuen Quäcks“ „Noch hatte ich keine Probe von Brasilianerhaar”, schreibt er. Erzähler: In den nächsten Jahren hilft Quäck Prinz Max bei der Erstellung eines Lexikons der Botokudensprache, 1820/21 erscheinen dann die Reiseberichte des Prinzen, ein Prachtwerk in rotem Saffianleder mit Goldschnitt und Goldprägung im Empirestil. Auf der Subskriptionsliste stehen neben Humboldt und Goethe auffallend viele Ärzte. In Neuwied bemüht sich Prinz Max indes weiter um die Zivilisierung seines Dieners. Aber die Abrichtung zum Lernen zeigt keine große Wirkung. Sprecherin 2 - Zitat Carmen Sylva: Der mitgebrachte eingebohrene Amerikaner stellte einen Beweis seiner besonderen Rasse, indem er seine Unkundigkeit in der Zahlenwelt äußerte. Immer wenn man ihn aufforderte zu zählen, sagte er eins, zwei, drei, viele, viele... Erzähler: schreibt Prinz Max' Großnichte Carmen Sylva. War es Sehnsucht, Einsamkeit, Langeweile? Quäck erscheint zunehmend apathischer: Sprecherin 2 - Zitat Carmen Sylva: Quäck hatte sich auch ziemlich dem Trunke ergeben und sich einmal auch beinahe den Tod geholt durch zu enge Bekanntschaft mit Seifenspiritus, den er bei seinem Herrn gefunden... Atmo 29: Weinlokal Neuwied Erzähler: Fast zehn Jahre nach seinem Vortrag im Museum König treffe ich Dr. Hermann Josef Roth in einem Weinlokal in Neuwied wieder. Wir sind zu einem Ausflug an die Westerwälder Seenplatte verabredet. 22 O Ton 26 Dr. Roth Also der gute Quäck hat natürlich auch zwischendurch Langeweile gehabt, er hat es ja nie geschafft eine Familie zu gründen, auch klar aus welchen Gründen in der damaligen Zeit, und dann vertrieb er sich die Zeit indem er die Kinder belustigte mit Spielen, die er aus Brasilien mitgebracht hat. Beliebt war zum Beispiel, dass er Flitzebogen, wie man hier sagt, anfertigt hat und dann damit geschossen hat und denen gezeigt, wie das geht und so. Diese Seite vom Quäck hat sich natürlich ins Gedächtnis der älteren Neuwieder eingegraben, das wird gern erzählt. Aber die dunkle Seite ist, dass er dem Alkohol verfiel, und das nahm dann wirklich Überhand, sodass es einen schriftlichen Erlass des Fürsten gab, an alle Gastwirte hier, ich müsste es zitieren, ich kann das jetzt nur aus dem Gedächtnis sagen, wo die Gastwirte dringend darum gebeten werden, gleichgültig unter welchem Vorwand dem keinen Alkohol auszuschenken. Zitator 2 Aus den Wöchentlichen Neuwiedschen Nachrichten Nr. 21 vom 23. Mai 1834: „Sämtliche hiesige Wein –und Gastwirthe werden ergebenst ersucht, dem Brasilianer Queck weder für Geld, noch sonst auf Bezahlung Anderer, geistige Getränke zu verabreichen, indem ihm alles zu seinem Unterhalt Erforderliche reichlich gegeben wird. Neuwied den 22.Mai 1834”. Atmo 30: Waldschlösschen Seeburg, Westerwald, Schritte durch das Gras, ein Hund bellt Erzähler: Nach einer schweigsamen Autofahrt erreichen wir Schloss Seeburg. Über den Seen steigt der Nebel auf, das gelbe Waldschlösschen, ein gedehntes Hofgut, leuchtet in den ersten Sonnenstrahlen. Wir spazieren durch die verwunschene Landschaft. Roth erzählt von den gemeinsamen Jagdausflügen des Prinzen und seines Dieners, aber mir geht der Erlass des Neuwieder Hofes vom Mai 1834 nicht aus dem Kopf. Hieß es nicht immer, Quäck sei in der Sylvesternacht des Jahres 1833 verunglückt? O Ton 27 Dr. Roth Ja, diese Geschichte, ist soweit ich mich entsinne, erstmals von der Carmen Sylva aufgetischt worden, das muss so umgangsprachlich in Neuwied aufgekommen sein, man wusste dass der Quäck eben alkoholabhängig ist, und dann passt das halt gerade gut den in der Sylvesternacht sterngranatenvoll aus dem Fenster stürzen zu lassen. Es entspricht aber nicht den Tatsachen, er ist eben dann an der Leberzirrhose im Sommer des betreffenden Jahres, also ein halbes Jahr nach Sylvester gestorben in Neuwied. Atmo 31: Bernd Willscheid sucht nach einer alten Ausgabe der Zeitung im Reich der Todten 23 Erzähler: Wir sind wieder in Neuwied. In der Cafeteria des Roentgen-Museums erzählt Museumsdirektor Bernd Willscheid wie er der Legende vom Sylvestertod Quäcks ein Ende setzte. O Ton 28 Bernd Willscheid Es hat sich ja dann bestätigt. Er ist im Sommer ja gestorben. In dem Sterbebuch der katholischen Kirche steht ja dann doch eine andere Krankheit. Die aufgeführt ist. Ich müsste jetzt noch mal nachgucken, Leber, irgendwas mit Leber. Ja und wir haben dann Zeitungen durchsucht, und so haben wir dann auch tatsächlich den Eintrag von Quäck gefunden. Die Sterbebücher von der katholischen Kirche liegen in Trier, und dort hat man dann auch mal nachgesehen, und die haben tatsächlich den Eintag, den Todeseintrag von Quäck gefunden. So dass wir also den Todeseintrag hatten und auch diesen Zeitungseintrag mit seinem Sterbedatum. Erzähler: Prinz Max kommt nicht bei zur Beerdigung. Er ist unterwegs auf einer neuerlichen Forschungsreise bei den nordamerikanischen Indianern. Den Tod seines Dieners kommentiert er ein halbes Jahr später: Zitator 1 - Prinz Max: Leider ist in meiner Abwesenheit mein guter armer Quäck (der Botokude) gestorben. Mein Bruder Karl hatte glücklicherweise kurz vorher ein trefflich sprechend ähnliches Bild in Öl gemalt, die Erinnerung bleibt uns nun recht lebhaft an ihn. Ich würde gern einen Nordamerikaner mitgebracht haben, allein dies war nicht leicht, da diese Leute leicht Heimweh bekommen und man sie alsdann oft zurücksenden muss, welches eine Menge Kosten verursacht. Erzähler: Prinz Max sieht nach seiner Rückkehr nur den Schädel seines Dieners wieder. Er vermacht ihn zu wissenschaftlichen Zwecken der anatomischen Abteilung der Universität Bonn. Und so interessiert nach dem Tod des Botokudenindianers Quäck nur das, was auch zu seinen Lebzeiten im Mittelpunkt des Interesses stand: nicht der Mensch, sondern die wissenschaftliche Erkenntnis. Absage O Ton 29 Dr. Roth Dann geb' ich da nur zwei Schlagworte: Die Geschichte des Quäck könnte man ja auch laufen lassen unter der Überschrift: misslungene Integration, von Migranten, Asylanten. Oder: die Schädelgeschichte: Ruhe sanft in der Vitrine. Stell dir mal vor, wenn der da im Herbst auf der Entenjagd da an die Seenplatte ging mit dem Nebel und allem. O Gott, der arme Kerl, Senhor Goldmann, como vai? 24
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