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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Wenn Sparsamkeit zu Mehrverbrauch
führt
Der Rebound-Effekt
Von Dirk Asendorpf
Sendung: Montag, 12. September 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Dirk Asendorpf
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
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MANUSKRIPT
Laster entlädt Glasscherben
Sprecher:
Ein Schwerlaster aus Berlin entlädt 25 Tonnen Glasscherben. Es ist kein
gewöhnliches Altglas aus dem Sammelcontainer. Hier handelt es sich um die letzten
Überreste einer ganzen Technikgeneration, die bis vor 15 Jahren in praktisch jedem
deutschen Wohnzimmer zu finden war, inzwischen aber fast vollständig
verschwunden ist: Fernseher mit Röhrenbildschirm. Ihr Material- und
Energieverbrauch war hoch, die Umstellung auf moderne Flachbildschirme hatte
großes Sparpotenzial.
Tatsächlich sind Flachbildschirme viel leichter und benötigen im Betrieb weniger als
halb so viel Strom wie gleich große Röhrengeräte. Trotzdem verbrauchen die
deutschen Haushalte inzwischen mehr als doppelt so viel Strom für den Betrieb von
Bildschirmen wie noch vor 20 Jahren. Das hat drei Gründe:
Elektronische Atmo
Sprecher:
Erstens: Die Geräte sind länger in Betrieb, der Fernsehkonsum stieg von
durchschnittlich 183 auf 223 Minuten pro Tag, ein Wachstum von 22 Prozent.
Zweitens: Die Bildschirme wurden größer; im Durchschnitt sind sie heute rund
doppelt so groß wie vor 20 Jahren. Und drittens: Bildschirme sind heute so billig,
dass wir nicht nur einen oder zwei davon im Haushalt haben, sondern im
Durchschnitt 4,5. Neben dem Fernseher in Wohn-, Schlaf- oder Kinderzimmer gibt es
Bildschirme am PC, in Laptops, Tablets und E-Book-Readern.
Elektronische Atmo
Ansage:
Wenn Sparsamkeit zu Mehrverbrauch führt – Der Rebound-Effekt
Eine Sendung von Dirk Asendorpf
Sprecher:
Dass die Umstellung auf eine effizientere Technik am Ende zu einem insgesamt
höheren Verbrauch führt, ist nicht nur bei Bildschirmen so. Das gleiche passiert im
Verkehr: Moderne Motoren verbrauchen bei gleicher Leistung wesentlich weniger
Sprit, doch parallel zu diesem Fortschritt wurden die Autos immer schwerer und der
Autoverkehr nahm insgesamt stark zu. Die Folge: Der Gesamtverbrauch von Benzin
und Diesel steigt an – weltweit und auch in Deutschland. Wissenschaftler sprechen
von einem Rebound-Effekt. Siegfried Behrendt hat ihn am Berliner Institut für
Zukunftsstudien und Technologiebewertung untersucht.
O-Ton Siegfried Behrendt:
Rebound-Effekt könnte man übersetzen erst mal mit Bumerang-Effekt, auch
Rückschlag-Effekt genannt in Anlehnung an das Basketball-Spiel. D.h. konkret, dass
Effizienzmaßnahmen nicht dazu führen, dass das volle Effizienzpotenzial
ausgeschöpft wird. Möglicherweise sind die Effekte wesentlich größer, sodass am
Ende der Rohstoffbedarf, der Ressourcenbedarf, der Energiebedarf höher ist als
vorher.
2
Sprecher:
Der Rebound-Effekt ist eine der größten Gefahren für die Energiewende – und spielt
auch in anderen gesellschaftlichen Entwicklungen eine wichtige Rolle. Seine
ökonomischen und psychologischen Ursachen werden schon seit 150 Jahren
erforscht, trotzdem sind noch viele Fragen offen. Die wichtigste: Wie lassen sich
Rebound-Effekte künftig vermeiden?
O-Ton Daniela Kolbe (MdB (SPD), Vorsitzende der Enquete-Kommission
Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität):
Sehr geehrte Damen und Herren, es freut mich, dass Sie da sind, dass ich Sie
begrüßen kann zu einer neuen Sitzung unserer Enquete-Kommission, die wie immer
öffentlich tagt, live im Parlamentsfernsehen übertragen wird. Und ich möchte auch
die Gäste begrüßen. Freue mich, dass mittlerweile auch Universitäten das zum
Anlass nehmen, mal einen kleinen Ausflug zu machen, Journalisten sich wieder auf
der Tribüne befinden und freue mich über Ihr Interesse und hoffe, dass wir Ihr
Interesse auch befriedigen können.
Sprecher:
6. Februar 2012. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe eröffnet eine
Sitzung der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität. Gut zwei
Jahre lang haben sich die 34 Kommissions-Mitglieder im Auftrag des Bundestags
grundlegende Gedanken über die Frage gemacht, wie Wirtschaftswachstum auch
ohne zunehmenden Ressourcenverbrauch möglich sein könnte. Jetzt soll es um den
Rebound-Effekt gehen, als Experte ist Ernst Ulrich von Weizsäcker eingeladen. Der
Physiker, langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete und Gründungspräsident des
Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, will das Thema auch Laien näher
bringen – und versucht es mit Humor.
O-Ton Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Als der Apple 2 eingeführt wurde, war die Material- und Energieintensität pro Bit um
einen Faktor Tausend größer als heute. Ne tolle Leistung. Aber: Der
Energieverbrauch hat sich trotzdem vertausendfacht. Weil die Zahl der Bits sich
vermillionenfacht hat, das ist auch Konsum. Im Übrigen: Ich kriege immer viel zu
viele E-Mails mit viel zu vielen Bits, da kann man ne ganze Menge weglassen.
Sprecher:
Faktor fünf heißt das programmatische Buch, in dem von Weizsäcker ein Programm
dafür entwirft, wie Ressourcen fünfmal effektiver eingesetzt werden könnten als
heute. Das erklärte Ziel der Bundesregierung klingt dagegen fast bescheiden: Bis
2050 will sie die Hälfte des deutschen Energieverbrauchs mit effizienterer Technik
einsparen. Neben dem Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien ist dieses
Effizienzziel das zweite Standbein der Energiewende. Doch ein Rebound-Effekt
wurde in den Plänen bisher nirgendwo berücksichtigt. Das gilt auch für den
berühmten Stern-Report zu den ökonomischen Folgen des Klimawandels und alle
bisher veröffentlichten Berichte des Weltklimarats IPCC.
O-Ton Manuel Frondel:
Die Gemeinde der Rebound-Forscher ist sehr, sehr klein. Ich glaube, die könnte ich
an zwei Händen abzählen. Und meines Wissens ist da keiner im IPCC Autor. Es war
lange Zeit tatsächlich so, dass diese Effekte nicht berücksichtigt worden sind bei den
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Klimaszenarien. Heute ist man da weiter und beim nächsten Sachstandsbericht sind
die mit Sicherheit enthalten.
Sprecher:
Der Physiker Manuel Frondel leitet die Abteilung Umwelt und Energie am RheinischWestfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. Er ist einer der
wenigen deutschen Rebound-Experten – und staunt immer wieder, dass sich sein
Fachgebiet nur so schleppend entwickelt.
O-Ton Manuel Frondel:
Im Gegensatz zu der Tatsache, dass der Rebound-Effekt an sich als Phänomen
schon lange bekannt ist, gibt es erst seit etwa den 80er-Jahren des vergangenen
Jahrhunderts empirische Studien dazu und auch noch nicht in großer Zahl. Für
Deutschland beispielsweise waren wir die ersten, die etwa 2008 angefangen haben,
den Rebound-Effekt beim Individualverkehr zu quantifizieren. Das zeigt, dass
eigentlich noch ein sehr sehr großer Nachholbedarf besteht in der Quantifizierung
von Rebound-Effekten in verschiedenen Bereichen.
Dampflok
Sprecher:
Begonnen hatte alles mit der Erfindung der Dampfmaschine. Der erste Prototyp,
1712 von Thomas Newcomen konstruiert, war extrem ineffizient. Den Energiegehalt
der Kohle nutzte er nur zu 0,5 Prozent. Technische Neuerungen, führend war dabei
James Watt, steigerten den Wirkungsgrad bis zum Ende des 18. Jahrhunderts um
das Sechsfache. Doch das Ergebnis war keineswegs ein sinkender Kohleverbrauch.
1865 schrieb der englische Ökonom William Stanley Jevons nach einer gründlichen
Analyse der Daten in seinem Buch „The coal question“ – die Kohlefrage:
Zitatorin:
Es ist ein großes Missverständnis anzunehmen, dass sparsamer Einsatz von
Treibstoff gleichbedeutend ist mit abnehmendem Verbrauch. Das genaue Gegenteil
ist der Fall.
Sprecher:
Denn die Erfindung der effizienteren Dampfmaschine hatte das Zeitalter der
Industrialisierung eingeläutet, die Zahl der eingesetzten Maschinen schoss nach
oben – und damit auch der Kohleverbrauch. Jevons hatte den Rebound-Effekt
beschrieben – auch wenn er diesen Begriff noch nicht dafür nutzte. Danach wurde es
still um seine Forschungen. Erst gute 100 Jahre später begannen
Wirtschaftswissenschaftler sich wieder mit dem Jevons-Paradox zu beschäftigen.
Heute werden drei Kategorien des Rebound-Effekts unterschieden: der direkte, der
indirekte und der makroökonomische. Effizientere Technik macht Maschinen und
Endprodukte billiger und beflügelt damit den Konsum. Das ist der direkte ReboundEffekt. Er beträgt in der Regel 30 bis 50 Prozent; 50 bis 70 Prozent der
Effizienzsteigerung bleiben also als Spareffekt übrig. In Einzelfällen – die
verbesserten Dampfmaschinen gehören dazu – kann der Energie- und
Rohstoffverbrauch am Ende aber auch höher liegen als vorher. Dann spricht man
von Backfire. Zu diesem direkten kommt der indirekte Rebound-Effekt hinzu. Er
entsteht, wenn die Menschen das Geld, das sie an der einen Stelle mit effizienterer
Technik einsparen, an anderer Stelle für zusätzlichen Konsum wieder ausgeben.
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O-Ton Manuel Frondel:
Aber es ist nun mal sehr, sehr schwer zu quantifizieren, was die Leute mit dem
eingesparten Geld aus der Effizienzmaßnahme anfangen. Ob sie sich durch die
eingesparten Kilometerkosten beim effizienteren Auto eine Flugreise nach Mallorca
leisten – ein sehr populäres Beispiel – oder was sie sonst mit diesem Geld machen,
ist nicht einfach zu quantifizieren.
Sprecher:
Das liegt unter anderem daran, dass Konsumenten sich keineswegs immer nur
rational verhalten.
O-Ton Manuel Frondel:
Rebound-Effekt hat auch ganz viel mit Psychologie zu tun, nicht nur mit
ökonomischen Anreizen. Und es gibt auch in der Diskussion den sogenannten
psychologischen Rebound-Effekt, dass man, weil man ja weiß, man hat ein
effizienteres Auto gefahren, dass man dann schlampiger umgeht mit der Umwelt in
anderen Bereichen, weil man ja ein gutes Gefühl hat, ein sehr benzinsparendes Auto
zu fahren. Auch das ist ein sehr, sehr weites Feld und sehr schwierig zu beackern.
Es gibt da noch viel zu tun.
Sprecher:
Und schließlich kommt auch noch eine dritte Kategorie des Rebound-Effekts ins
Spiel; sie betrifft die Weltwirtschaft insgesamt.
O-Ton Manuel Frondel:
Es gibt einen sogenannten makroökonomischen Rebound-Effekt dadurch, dass
wenn z.B. in Deutschland durch Effizienzverbesserungen Energie eingespart wird
und sehr viel weniger Benzin verbraucht wird, sinkt weltweit der Preis für Öl. Und das
Öl wird dann eben billiger für andere Verbraucher, sodass anderswo in der Welt dann
mehr Öl verbraucht wird als wenn wir diese Maßnahme nicht durchführen würden.
Insofern gibt es dann einen makroökonomischen Preiseffekt, der dafür sorgt, dass
anderswo in der Welt mehr Energie verbraucht wird aufgrund unserer
Effizienzbemühungen und unserer Energieeinsparung. Diesen Effekt muss man auch
berücksichtigen bei sämtlichen energie- und klimapolitischen Maßnahmen.
Sprecher:
Am Ende müssen der direkte, der indirekte und der makroökonomische ReboundEffekt addiert werden. Und was kommt dann dabei heraus?
O-Ton Manuel Frondel:
Das ist eines der großen Geheimnisse, die noch nicht gelöst sind. Wir stellen auch
fest, dass der Rebound-Effekt im Grunde von Haushalt zu Haushalt völlig
unterschiedlich ist. Also man kann nicht eine Zahl dafür angeben, sondern er ist sehr,
sehr heterogen.
Sprecher:
So heterogen wie die Konsumgesellschaft insgesamt. Marktforscher unterscheiden
Dutzende Konsumententypen – vom genügsamen Schnäppchenjäger über den
statusorientierten Autofreak, den anspruchsvollen Performer oder gepflegten
Konservativen bis zum pragmatischen Durchschnittsnutzer. Jeder gibt sein Geld auf
andere Weise aus – und erzeugt damit einen großen, mittleren oder – im Fall des
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Konsummuffels – auch gar keinen Rebound-Effekt. Besonders schnell ist in den
vergangenen Jahren der Second-Hand-Markt gewachsen. Doch auch hier gibt es –
vom Kleiderkreisel über den Leihladen bis zum Online-Handel mit den neuesten
Smartphones – große Unterschiede. Mit Milliardenumsätzen führend sind die
globalen Internetkonzerne Amazon und Ebay.
Ebay-Reklame:
Wusstest Du, dass Du mit Deinem alten Schrank Geld verdienen kannst? (Jubel) Mit
Deutschlands größtem Kleinanzeigen-Portal kannst Du schnell und kostenlos alle
Dinge verkaufen, die Du nicht mehr brauchst. Ebay-Kleinanzeigen.
Sprecher:
Es klingt wie ein geniales Gegenprogramm zum Rebound-Effekt: Wenn ausgediente
Produkte nicht weggeworfen, sondern von anderen Menschen weiter verwendet
werden, dann müsste unser Konsum insgesamt doch mit deutlich weniger Energieund Ressourceneinsatz auskommen. Siegfried Behrendt vom Institut für
Zukunftsstudien und Technologiebewertung hat sich in mehreren Studien mit dem
Gebrauchtwarenhandel über Ebay beschäftigt.
O-Ton Siegfried Behrendt:
Die entscheidende Erkenntnis ist erst mal: Es hängt sehr vom Produkt ab. Insofern
sollte man nicht glauben: generell Gebrauchtwarenhandel ist per se positiv.
Sprecher:
Bei der sogenannten weißen Ware – also Kühlschränke, Geschirrspüler oder
Waschmaschinen – überwogen die negativen Effekte. Denn die secondhand
erstandenen Altgeräte verbrauchen sehr viel mehr Strom und Wasser als bei
Neugeräten heutzutage üblich. Schon nach wenigen Jahren führt eine
Neuanschaffung deshalb zu einen Umweltvorteil gegenüber der Weiternutzung eines
Altgeräts. Auch die Umweltbilanz von Gebrauchtmöbeln erwies sich als zwiespältig –
allerdings aus einem anderen Grund.
O-Ton Siegfried Behrendt:
Normalerweise, wenn man sich ein Sofa kauft, ja, dann hält das ja zehn oder 20
Jahre, man lässt es einfach stehen. Aber in dem Moment, wo man jetzt tendenziell
so ein modisches Bewusstsein irgendwie hat, dann führt das latent dazu, dass man
den Eindruck hat: Ja, man kann alle fünf Jahre ja komplett seine Wohnung
ausräumen und dann neu mit Sofas und anderen Möbeln ausstatten. Wo dann eben
im Flur nicht nur zehn Schuhpaare, sondern 20, 30 oder 40 stehen, weil jetzt günstig
solche Produkte erworben werden können. Also kurzum: Was auf jeden Fall
stattfindet ist die Substitution eines Neukaufes, das stellen wir fest. Aber wir stellen
genauso fest, dass dieses Schwungrad von Produktion und Konsum letztendlich
sogar noch mehr angeheizt wird. Also wir stellen einen Substitutionseffekt fest, wir
stellen aber auch einen Mehrkonsum fest. Die Frage ist was letztendlich überwiegt.
Sprecher:
Bei den meisten in der Studie untersuchten Produkten des Second-Hand-Marktes
waren die positiven Auswirkungen für die Umwelt deutlich größer als die negativen,
zum Beispiel bei Kinderkleidung oder Notebooks. Ein besonders überraschendes
Negativbeispiel war das Online-Antiquariat.
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O-Ton Siegfried Behrendt:
Bei Büchern spielt vor allem der Transport eine zentrale Rolle und auch der
Energieverbrauch durch die Informations- und Kommunikationstechnik, also durch
das Bereitstellen der Server etc. Und wenn man weiß, dass Bücher zwar in einer
großen Menge angeboten werden, aber nur 20 Prozent der Bücher tatsächlich
verkauft werden, muss aber trotzdem Energie bereitgestellt werden, um diese Bücher
online anbieten zu können.
Sprecher:
Der Second-Hand-Markt findet heute meist nicht mehr in lokalen Läden, an
schwarzen Brettern oder in den Kleinanzeigen der Lokalzeitung statt. Gehandelt und
kommuniziert wird überregional und elektronisch. Die Folge: Der Energieverbrauch
der Informations- und Kommunikationstechnik hat sich im ersten Jahrzehnt dieses
Jahrhunderts glatt verdoppelt. Inzwischen fließen bereits zehn Prozent der in
Deutschland erzeugten Elektrizität in Computer, Smartphones, Mobilfunknetze und
die Serverparks des Internets. Damit sorgt die IT inzwischen für höhere
Treibhausgasemissionen als der Flugverkehr.
Flughafen
Sprecher:
Besonders drastisch macht sich der Rebound-Effekt bemerkbar, wenn Online-Handel
und Flugverkehr zusammenkommen. Und das kann durchaus vorkommen. Denn das
Geld, das Gebrauchtwarenkäufer einsparen und Gebrauchtwarenverkäufer
verdienen, geben sie ja meist auch wieder aus. Die entscheidende Frage für die
Höhe des dabei entstehenden indirekten Rebound-Effekts ist: Wofür geben sie es
aus?
O-Ton Siegfried Behrendt:
Ich will das mal plakativ formulieren: Es nimmt jemand vielleicht mehrere Hundert
Euro ein, indem er seinen Keller entrümpelt und dann ist die Frage: Was macht er
damit? Fährt er damit in die Dominikanische Republik, ermöglicht sich ne Fernreise?
Oder investiert er das Geld in Windkraftanlagen? Vollkommen klar ist: Die
ökologischen Effekte, die sind jeweils vollkommen unterschiedlich.
Sprecher:
In seinen Studien hat Behrendt trotzdem eine Abschätzung versucht – auf Grundlage
statistischer Durchschnittswerte.
O-Ton Siegfried Behrendt:
Wir haben uns mal angesehen: Was wird eigentlich pro ausgegebenem Euro an
Treibhausgasen induziert? Und das haben wir berechnet und was wir festgestellt
haben ist, dass diese sogenannten indirekten Rebound-Effekte einen erheblichen
Stellenwert haben. Also sie haben zumindest das Potenzial, die Umweltentlastungen,
die wir feststellen, wieder entsprechend erheblich einzuschränken oder sogar
überkompensieren können. Ob sie es tun, wissen wir nicht ganz genau, da ist in den
Zahlen doch letztlich ne gewissen Unschärfe drin. Aber eindeutig ist, dass der
Rebound-Effekt in diesem Beispiel einen hohen Stellenwert hat.
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Sprecher:
Der Forschungsbedarf ist noch groß. Das hat auch damit zu tun, dass längst nicht
alles, was auf den ersten Blick wie ein Rebound-Effekt aussieht, tatsächlich einer ist.
Baulärm
Sprecher:
Zum Beispiel bei der energetischen Sanierung von Wohngebäuden. Bessere
Heizungsanlagen, Fenster, Dach- und Fassadenisolierung haben in den
vergangenen 40 Jahren tatsächlich zu einer enormen Einsparung des Wärmebedarfs
pro Quadratmeter Wohnfläche geführt. Doch gleichzeitig nutzen wir immer mehr
Wohnfläche, pro Kopf ist der Wärmebedarf deswegen nicht gesunken. Es klingt nach
einem typischen Rebound-Effekt, doch Siegfried Behrendt ist anderer Meinung:
O-Ton Siegfried Behrendt:
Die Ursache dafür ist vor allem eine Frage der Veränderung von Lebensstilen. Dass
heute immer weniger Familien Wohnungen belegen, sondern eher Einzelpersonen,
eine Individualisierung, Single-Haushalte usw. Das ist die Tatsache, dass wir einen
demografischen Wandel haben, immer mehr Ältere haben, Ältere, die auch alleine
wohnen. Wir haben viel mehr einzelerziehende Personen usw. Das führt in Summe
letztendlich dazu, dass in der Tat der Flächenbedarf gestiegen ist, nämlich von
ehemals ca. 20 Quadratmeter pro Person heute auf über 40 Quadratmeter pro
Person. Und gleichzeitig ist es nicht dazu gekommen, dass mehr Energie verbraucht
wird. Was ja ein enormer Erfolg ist. Aber die Ursachen dieses ganzen Wandels sind
eben eher soziale Aspekte und vor allem auch die Tatsache, dass die Einkommen
gestiegen sind und die Personen sich auch tatsächlich diese größeren Wohnungen
leisten können, bzw. Häuser leisten können. Also dieser Rebound-Effekt spielt da ne
ziemlich geringe Rolle.
Sprecher:
Manuel Frondel hat die gleiche Beobachtung auch im Verkehrsbereich gemacht, dort
wo der Treibstoffverbrauch trotz immer effizienterer Motoren permanent ansteigt.
O-Ton Manuel Frondel:
Man darf nicht verwechseln den Rebound-Effekt mit Wachstumseffekten, die damit
zusammenhängen, dass natürlich unsere Gesellschaft über die laufenden
Jahrzehnte immer reicher geworden ist und dadurch sich die Haushalte immer mehr
Autos leisten konnten und dadurch natürlich mehr Benzin verbraucht wird in der
Summe.
Autoverkehr
Sprecher:
Wirtschaftswachstum und Rebound-Effekt haben in den vergangenen Jahrzehnten in
die gleiche Richtung gewirkt und sich gegenseitig verstärkt: Immer mehr Autos
fahren immer mehr Kilometer und verbrauchen dabei immer mehr Benzin und Diesel.
Auch das Straßennetz wurde immer weiter ausgebaut – allerdings ohne dem
wachsenden Verkehr wirklich Herr zu werden. Auch das hat mit einem ReboundEffekt zu tun.
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O-Ton Manuel Frondel:
Das Phänomen kennt man ja von Umgehungsstraßen: Die Gemeinde, die eigentlich
entlastet werden soll, wird plötzlich dann doch nicht entlastet, weil all diejenigen, die
ihr Auto wegen des bisherigen Staus stehen gelassen haben, nun das Auto selbst in
der Gemeinde benutzen, und schon sind beide Straßen voll: die Straßen innerorts
und die Umgehungsstraße. Also das ist auch ein klassisches Beispiel für einen
Rebound-Effekt.
Stau
Sprecher:
Die nicht zu übersehende Folge: Parkplätze sind Mangelware und auf den Straßen
stehen wir immer häufiger im Stau. Inzwischen dauern innerstädtische Wege im Auto
oft länger als mit dem Fahrrad.
O-Ton Manuel Frondel:
Allerdings ist der Faktor Zeit genau der Faktor, der auch den Rebound-Effekt beim
Fahren limitiert. Man muss auch die Zeit haben dafür mehr zu fahren. Und wenn das
ein limitierender Faktor ist, dann wird die Fahrleistung auch nicht dramatisch erhöht.
Ein negativer externer Effekt, wie Ökonomen sagen: Die Staukosten nehmen immer
weiter zu, die Stauzeit nimmt immer weiter zu, das begrenzt natürlich den ReboundEffekt. (lacht) In unseren Studien werden solche Effekte berücksichtigt, sodass wir
versuchen, den reinen Rebound-Effekt durch erhöhte Fahrleistung zu identifizieren.
Sprecher:
In den USA ist das bereits gang und gäbe – mit einem im Ergebnis überraschend
niedrigen Wert.
O-Ton Manuel Frondel:
Für US-Studien findet man Rebound-Effekte von 10 bis 20, maximal 30 Prozent. Das
hat mich Sicherheit damit zu tun, dass die Infrastruktur, insbesondere öffentlicher
Nahverkehr in den USA weit weniger ausgebaut ist als in Deutschland. Das hat damit
zu tun, dass USA ein großes Land ist, wo man weite Strecken mit dem Auto
zurücklegt und deswegen ohnehin schon viel gefahren wird und da schon eine
gewisse Sättigungsgrenze beim Fahren erreich ist. Das ist nicht unbedingt in
Deutschland so der Fall.
Sprecher:
Hierzulande, so die Studien des RWI, liege der Wert ungefähr doppelt so hoch wie in
den USA. Der Rebound-Effekt mache im Verkehr also zwischen 40 und 70 Prozent
des Effizienzfortschritts gleich wieder zunichte. Auf die Frage, wie sich das in Zukunft
verhindern lassen könnte, reagiert Manuel Frondel zunächst mit einer provokanten
Gegenfrage:
O-Ton Manuel Frondel:
Muss man denn Rebound-Effekte überhaupt verhindern? Es ist ja schon so, dass die
Leute nicht gezwungen werden mehr zu fahren, sondern dass sie das freiwillig tun.
Also das bringt ihnen in der Regel auch einen Nutzen. Man kann davon ausgehen,
dass der Rebound-Effekt im Grunde wohlfahrtsteigernd ist. Und insofern besteht
eigentlich kein Grund, Rebound-Effekte zu verhindern.
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Enquete-Kommission: Klopfen auf den Tischen
Sprecher:
Zurück in die Enquete-Kommission des Bundestags.
O-Ton Daniela Kolbe:
Ich würde vorschlagen, aufgrund der Vielzahl von Nachfragen, dass wir jetzt ein
bisschen sammeln: Ich würde auch kurz vorlesen, wer alles sich gemeldet hat, damit
niemand vergessen worden ist und ich hab ein bisschen zwischen Koalition und
Opposition gemischt, damit es auch bunt ist. Frau Skudelny wäre die nächste, Herr
Müller, Professor Habisch, Frau Bulmahn, Herr Professor ...
Sprecher:
Parteiübergreifendes Interesse an Ernst Ulrich von Weizsäckers Präsentation. Jetzt
wollen viele Abgeordnete wissen, was der Nachhaltigkeitsforscher denn auf die
politische Agenda setzen würde, um die Negativ-Folgen des Rebound-Effekts zu
mildern.
O-Ton Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Vorschlag ist: Energie- und Rohstoffpreise parallel zu den dokumentierten
Effizienzgewinnen anheben. Kann man machen. Man braucht Sozialtarife für den
nötigsten Bedarf, sonst ist es gemein gegen die Armen. Und dann kann man für
bestimmte Branchen, die sonst gefährdet wären, Aufkommensneutralität
organisieren.
Sprecher:
Was das konkret bedeuten soll, erläutert von Weizsäcker an der besonders
energieintensiven Metallindustrie in Skandinavien:
O-Ton Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Das haben die Schweden gemacht mit ihrer Luftschadstoffsteuer: Als sie das
angekündigt haben, hat die Stahlindustrie fürchterlich gejammert und gesagt: Wir
wandern aus. Da hat der schwedische Staat gesagt: Nein, die Steuereinkommen
kriegt ihr alle zurück, aber nicht pro Tonne Gift, sondern pro Arbeitsplatz. Da hat also
die Stahlindustrie nichts verloren, aber hat im Eiltempo die Schadstoffe
rausgeschmissen. Das kann man also alles machen.
Sprecher:
Der Rebound-Effekt, davon ist von Weizsäcker überzeugt, kann nur mit direkter
staatlicher Intervention verhindert werden, im Verkehr zum Beispiel durch eine
Anhebung der Mineralölsteuer mit dem Ziel, Benzin und Diesel stets so teuer zu
machen, dass der gefahrene Kilometer mit einer neuen, sparsameren
Fahrzeuggeneration genauso teuer bleibt wie zuvor mit den weniger effizienten
Autos.
O-Ton Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Dies aber gelingt überhaupt nur, wenn man langfristige Preissignale hat. Und das ist
jetzt eine Aufforderung an die Politik: Mit kurzfristigen, brutalen Preissignalen kann
man nur Wähler verlieren, nichts anderes. Man kann ökologisch nicht viel bewirken
und macht sich furchtbar unbeliebt. Dagegen wenn man einen
parteienübergreifenden Konsens hinkriegt: Wir machen das so parallel zu den
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Effizienzgewinnen, dann haben wir ne Chance, dass es weitgehend schmerzfrei ist.
Weil Anpassung und Preissteigerung miteinander Hand in Hand gehen. Das ist die
eigentliche politische Aufgabe.
Sprecher:
Im Abschlussbericht der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität
findet sich dieser Gedanke wieder – allerdings erst auf Seite 514 unter der
Überschrift „offene Punkte“. Tatsächlich ist die Bekämpfung des Rebound-Effekts
bisher weder in Deutschland noch in der Europäischen Union in Gesetze und
Verordnungen eingeflossen. Stattdessen geht die Bundesregierung in ihrer
Energiewende-Strategie noch immer davon aus, dass sich Effizienzsteigerungen
direkt in geringerem Verbrauch niederschlagen.
Elektronische Atmo
Sprecher:
Dabei ist der Rebound-Effekt eigentlich nicht schwer zu verstehen. Schließlich kennt
ihn jeder schon aus dem Alltagsleben. Sogar ausgewiesene Rebound-Forscher sind
nicht davor gefeit.
O-Ton Manuel Frondel:
Tatsächlich ertapp ich mich selbst beispielsweise bei der Informationsgewinnung.
Das geht ja heutzutage über das Internet sehr viel schneller als früher, dadurch
gewinnt man natürlich sehr viel Zeit. Aber auch das ist mit einem Rebound-Effekt
verbunden. Ich ertappe mich dabei: durch die schnellere Informationsgewinnung
habe ich ein viel größeres Bedürfnis nach Informationen, frage viel mehr
Informationen nach als mir das vielleicht sonst eingefallen wäre. Und dadurch ist
schon einmal schnell eine halbe Stunde, Stunde vor dem Internet vergeudet für
Informationen, die ich andernfalls gar nicht nachgefragt hätte. Und insofern tappe ich
selbst in die Rebound-Falle.
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