Diebe, Dealer und der Wahlkampf

Manuskript
Beitrag: Wie sicher ist die Hauptstadt? –
Diebe, Dealer und der Wahlkampf
Sendung vom 13. September 2016
von Beate Frenkel und Michael Haselrieder
Anmoderation:
Eins ist sicher: Die Deutschen sind verunsichert. Die AfD verstärkt
die Angst und punktet damit bei einem Wahlkampf nach dem
anderen. Am kommenden Wochenende wählt die Hauptstadt. Die
regierenden Parteien würden den Berlinern gerne Sicherheit
vermitteln, aber jetzt rächen sich Sparrunden bei der Polizei in der
Vergangenheit. Beate Frenkel und Michael Haselrieder über
Diebe, Dealer und das Wahlkampfthema Sicherheit.
Text:
Berlin-Kreuzberg vor wenigen Tagen: 15 Angreifer haben einen
jungen Mann und seine zwei Freunde mit Messern attackiert, um
an ihr Geld zu kommen.
Zwei Tage später, ganz in der Nähe: Ein Mann wird auf offener
Straße erschossen. Rettungskräfte versuchen vergeblich ihn zu
reanimieren.
Die Gegend um das Kottbusser Tor gilt als Zentrum des
Drogenhandels in der Hauptstadt. Die Täter würden immer
brutaler, sagt einer, der hier regelmäßig im Einsatz ist. Er ist
Mitglied der Gewerkschaft der Polizei, möchte aber zu seinem
Schutz unerkannt bleiben.
O-Ton Polizeibeamter Berlin:
Die Drogenkriminalität ufert immer weiter aus. Weil es diesen
riesigen Markt gibt, der auch relativ unbehelligt ist, haben wir
Revierkämpfe. Das heißt, die Dealer sind immer mehr
bewaffnet. Und es finden halt auch permanent
Messerstechereien statt.
Das Thema Sicherheit könnte den Berliner Wahlkampf
entscheiden. Viele Berliner haben das Gefühl, Polizei und Justiz
seien nicht mehr Herr der Lage.
O-Ton Ralph Knispel, Vereinigung Berliner Staatsanwälte:
Das liegt in Berlin daran, dass wir eine unzureichende Anzahl
von Polizeivollzugsbeamten haben, die mittlerweile nicht
mehr in der Lage sind, tatsächlich alle Stadtgebiete
abzudecken, und damit zu einem sicheren Gebiet zu machen.
Sondern, wir haben mittlerweile in Berlin eine Vielzahl von
Orten, an denen man sich nicht mehr unbeschadet und
gefährdet bewegen kann.
Die Ursache: Bei der Berliner Polizei hat die Politik viele Jahre
lang gespart. Unter der rot-roten Regierung von 2001 bis 2011
wurden 1.800 Polizeistellen gekürzt. Unter der jetzigen Koalition
aus SPD und CDU wurden bis 2014 400 neue Stellen geschaffen.
Im aktuellen Doppelhaushalt sind nochmal 500 Stellen
vorgesehen. Das reicht nicht, sagen Insider.
O-Ton Polizeibeamter Berlin:
Bei der Polizei fehlt es an allen Ecken und Enden. Die
Abschnitte sind ausgeblutet, weil die Leute aus dem
normalen Streifendienst abgezogen werden, um bei
Großlagen wie Fußball oder Demonstrationen auszuhelfen.
Die laufen auch alle auf dem Zahnfleisch.
„Mehr Polizei“ fordert ausgerechnet der CDU-Spitzenkandidat.
Dabei ist Frank Henkel seit fünf Jahren als Innensenator für
Kriminalitätsbekämpfung zuständig.
Zwar gab es laut Statistik 2015 weniger Mord, Raub und WohnRaum-Einbruch in der Hauptstadt. Ladendiebstahl,
Taschendiebstahl und Kellereinbruch haben aber deutlich
zugenommen. Insgesamt steigt die Zahl der Straftaten um 4,9
Prozent.
Henkel muss befürchten, dass die AfD aus diesen Zahlen Kapital
schlägt. Trotzdem spricht er von einem Erfolg. Nachfrage.
O-Ton Frontal 21:
Die Zahlen bei Drogen- und Taschendiebstahlsdelikten sind
enorm in die Höhe gegangen im letzten Jahr. Da kann man
doch nicht von einem Erfolg sprechen.
O-Ton Frank Henkel, CDU, Innensenator Berlin:
Ich spreche davon, dass Berlin viele Herausforderungen hat.
Und es gibt viele Kriminalitätsphänomene, gerade auch neue
Kriminalitätsphänomene, die in den letzten Jahren an uns
herangetragen wurden, wenn ich etwa an die AntänzerProblematik denke. Die Polizei wendet viel Energie auf, um
genau gegen diese Kriminalitätsphänomene anzukämpfen,
und sie hat damit Erfolg.
Doch gegen Drogenkriminalität auf der Straße ist die Polizei
offensichtlich machtlos. Wir rüsten eine junge Frau mit einer
versteckten Kamera aus.
O-Ton Dealer, Wortprotokoll:
Willst du Gras rauchen?
O-Ton Frau, Wortprotokoll:
Ne, danke.
O-Ton Dealer, Wortprotokoll:
Sicher? Ist wirklich guter Stoff?
Unten am Ausgang warten schon die nächsten Verkäufer.
O-Ton Dealer, Wortprotokoll:
Wir haben alles - Gras, Ecstasy, Kokain. Alles, was du willst.
Drei Dealer innerhalb von zwei Minuten und kein Polizist in Sicht.
Nur ein paar Meter weiter, der Görlitzer Park – an jedem Eingang
Dealer. Eigentlich gilt hier die „Null-Toleranz-Strategie“ von
Innensenator Henkel. Doch die funktioniere nicht, erklärt uns ein
Drogenfahnder, der unerkannt bleiben möchte.
O-Ton Drogenfahnder:
Es gibt zwar viele Festnahmen, doch die Dealer kommen
immer wieder auf freien Fuß. Wenn wir einen Täter schon 30
bis 40 Mal festgenommen haben, dann lacht der uns beim
nächsten Mal nur aus. Das ist frustrierend.
Für Kreuzbergs Grüne-Bürgermeisterin Monika Herrmann ist die
„Null-Toleranz-Strategie“ gescheitert. Jetzt im Wahlkampf
wünscht sie sich zwar mehr Polizeistreifen für ihren Szene-Kiez.
Vor allem aber will sie auf die Dealer zugehen.
O-Ton Monika Herrmann, B‘90/GRÜNE,
Bezirksbürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg:
Es geht darum, dass sie eine andere Zukunftsperspektive
bekommen und dass es speziell dafür Sozialarbeiterinnen
und Sozialarbeiter geben soll, Projekte die das machen, dass
man tatsächlich sagen kann, okay, wir minimieren die
Situation und die Anzahl der Dealerinnen und Dealer, also
Dealer sind es in erster Linie, dadurch dass sie halt Rechts-,
Sozialberatung bekommen.
O-Ton Drogenfahnder:
Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Polizei. Das ist für die
Dealer ein Zeichen, dass sie machen können, was sie wollen.
Es geht ja nicht nur um Drogenhandel, sondern auch um
Begleitkriminalität wie Raub oder sexuelle Übergriffe auf
Frauen.
Genau das ist ihr passiert: Als sich diese junge Berlinerin auf dem
Heimweg weigerte, Drogen zu kaufen, wurden die Dealer
zudringlich.
O-Ton Lena:
Dann kam halt einer und hat mich am Arm gepackt und
meinte so, brauchst du was, und ich so, ne danke, bin weiter
gegangen, kam ein zweiter, hat mich auch am Arm gepackt,
hat mich halt an die Mauer ran geklatscht, sage ich mal so.
Und dann hat halt der eine angefangen meine Arme
festzuhalten und der andere hat angefangen mich
anzufassen.
Sie schrie um Hilfe, ein Passant vertrieb die Täter. Viele
Bewohner der Party-Viertel fühlen sich nicht mehr sicher – so wie
Karola Vogel. Direkt vor ihrem Haus stehen die Dealer. Auch uns
werden hier sofort Drogen angeboten.
O-Ton Karola Vogel, Anwohnerinitiative „Die Anrainer“:
Wir Anwohner fühlen uns auf jeden Fall von Politik und
Verwaltung im Stich gelassen - und zwar auf Bezirks- sowie
auch auf Landesebene, ganz klar. Da hätte schon längst
reagiert werden müssen, da hätte Personal aufgestockt
werden müssen seitens der Polizei.
Seit 15 Jahren ist die SPD in Berlin an der Macht. Auch sie muss
die AfD fürchten. Wir wollen vom Regierenden Bürgermeister
wissen, was er zu den Sorgen den Anwohner sagt.
O-Ton Frontal 21:
Michael Haselrieder, Frontal 21.
O-Ton Michael Müller, SPD, Regierender Bürgermeister
Berlin:
Ne, ne, ne, Moment mal, vielen Dank.
Seine Sprecherin teilt uns mit, zum Thema Sicherheit werde Herr
Müller Frontal 21 kein Interview geben.
Michael Kuhr ist ein bekannter Bodyguard in der Hauptstadt. Er
hat einen guten Einblick, wie die Kriminalität in Berlin organisiert
ist. Oft seien arabische Familienclans die Drahtzieher.
O-Ton Michael Kuhr, Inhaber Kuhr Security:
Wenn dem nicht Einhalt geboten wird, dann werden die eben
halt immer mächtiger und die Polizei rückt als Statisten
hinterher. Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität ist
so gut wie verloren.
Hassan Berjaoui stammt aus einer libanesischen Großfamilie.
Der 24-Jährige ist in Berlin geboren. Mit illegalen Geschäften will
er jetzt nichts mehr zu tun haben, arbeitet stattdessen als
Sicherheitsmann für Michael Kuhr.
O-Ton Hassan Berjaoui:
Wenn man in einer Großfamilie ist, hat man auch eine
gewisse Macht beziehungsweise Macht in Richtung – ich,
weiß, wenn ich jetzt - vor Ihnen kann ich das auch machen wenn ich einen Anruf mache, dann können Sie sich sicher
sein, dass die Straßen hier gesperrt sind.
Der Polizeichef von Berlin-Neukölln hat schon oft erlebt, dass
seine Beamten plötzlich umzingelt und sogar persönlich verfolgt
werden. Ein Beispiel:
O-Ton Thomas Böttcher, Polizeidirektor Berlin-Neukölln:
Der Versuch von einer bestimmten arabischen Großfamilie,
ganz gezielt den regionalen Verantwortungsträger der Polizei
hier für dieses Quartier zu bedrohen, einzuschüchtern, an
der Dienststelle aufzusuchen, deutlich zu machen, dass man
den Kollegen auch im Privaten, also nach Dienstende im
Auge hat.
O-Ton Hassan Berjaoui:
Vor der Polizei haben Großfamilien - auch viele Mitglieder
von meiner Familie - keinen großen Respekt, weil die einfach
wissen: Es passiert nichts.
Jahrelanges Sparen bei Polizei und Justiz, eine halbherzige
Sicherheitspolitik – so wird sich kaum verhindern lassen, dass die
AfD weiter mit Angst punktet.
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