Newsletter der Solidaris - Solidaris Revisions-GmbH

SOLIDARIS RECHTSANWALTSGESELLSCHAFT
Newsletter 5/2016
Inhalt
› Sind Alten- und Pflegeheime „Wohngebäude“? – Pflegeheime in Wohngebieten können zulässig sein
› Keine angemessene Räumungsfrist nach § 721 ZPO für Pflegeheime – Heimbewohner haben eigenständiges Besitzrecht
› Chefarzt-Kündigung wegen Wiederheirat – eine (un)endliche Geschichte
› Vergabe für Betrieb und Management von Asyl- und Flüchtlingsunterkünften nicht im Verhandlungsverfahren ohne
Teilnehmerwettbewerb!
› „Ärzte ohne Grenzen“ – Keine ausschließliche Privilegierung für Ordens- und Vereinsmitglieder bei Schwerbehindertenausgleichsabgabe
› Prüfung der Ordnungsmäßigkeit einer Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern durch das Registergericht
› Das Selbsthilferecht des GmbH-Minderheitsgesellschafters zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung
› Privatklinik und Umsatzsteuer – kein Ende in Sicht
Baurecht
Sind Alten- und Pflegeheime „Wohngebäude“? – Pflegeheime in Wohngebieten können zulässig sein
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) hat in
gewohnt wird, eine entscheidende Rolle zu. Hier ging schon
seinem instruktiven Beschluss vom 22. Juni 2016 – 8 B
aus der Betriebsbeschreibung des Trägers hervor, dass den
10411/16 – deutlich gemacht, wie wichtig für die Genehmi-
Bewohnern ein Mindestmaß an selbstbestimmten, eigen-
gungsfähigkeit von Bauvorhaben die Betriebsbeschreibung
ständigem Wohnen durch freie häusliche Gestaltungsmög-
des Trägers sein kann und welche genehmigungsrechtliche
lichkeiten ermöglicht werden soll, auch in der – hier zentral
Bedeutung das „Wohnen“ in Betreuungseinrichtungen hat.
streitgegenständlichen – Demenzabteilung. Das OVG hat
Auch in reinen Wohngebieten nach § 3 BauNVO können
somit das Nutzungs- und Versorgungskonzept des Trägers
Einrichtungen, die ganz oder teilweise der Pflege oder Be-
für ausreichend erachtet. In der Einrichtung werde gewohnt
treuung ihrer Bewohner dienen, zulässig sein (§ 3 Abs. 4
und nicht lediglich untergebracht. Das Bauvorhaben war
BauNVO). Entsprechend wollte ein Träger an einem beste-
genehmigungsfähig.
henden Seniorenzentrum mit über 100 Bewohnern einen
Anbau sowie Umbaumaßnahmen realisieren. Unter anderem
Fazit
sollte ein neuer stationärer Demenzbereich geschaffen wer-
Der Beschluss des OVG Rheinland-Pfalz ist für alle mit Bau-
den. Hiergegen wendeten sich die Anrainer, da ihrer Ansicht
maßnahmen in Wohngebieten befassten Einrichtungsträger
nach eine solch massive Baumaßnahme baurechtlich (hier
von Bedeutung. Ausführlich werden die Auslegungskriterien
§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 3 BauNVO) unzulässig sei. Zu
für das Merkmal „Wohnen“ von Betreuten entwickelt und
Unrecht, wie das OVG entschied. Denn, so das OVG, ent-
dargelegt. Der Beschluss macht vor allem auch deutlich, dass
scheidend komme es darauf an, dass und wie die Betreuten
es schon im Wege des Baugenehmigungsverfahrens ent-
in der Einrichtung wohnten. Somit wird das „Wohnen“ zum
scheidend auf die Formulierung einer schlüssigen auf selbst-
entscheidenden Abgrenzungskriterium zu Krankenhäusern
bestimmtes Wohnen abstellenden Betriebsbeschreibung mit
oder krankhausähnlichen Einrichtungen, die nicht nach § 3
Nutzungs- und Versorgungskonzept ankommt.
Abs. 4 BauNVO privilegiert sind. Damit kommt der Betriebsbeschreibung des Trägers für die Frage, ob in der Einrichtung
› Rechtsanwalt Justus Kampp
Mietrecht
Keine angemessene Räumungsfrist nach § 721 ZPO für Pflegeheime – Heimbewohner haben
eigenständiges Besitzrecht
In der mietrechtlichen Praxis spielt die gerichtliche Räu-
78/11) stünde den Bewohnern eines Pflegeheimes ein eige-
mungsfrist nach § 721 ZPO eine überragende Rolle: Wird ein
nes Besitzrecht zu. Auch begründen die Interessen des Pfle-
Mietverhältnis wirksam gekündigt, hat der Mieter die Mietsa-
geheims an einer nahtlosen Verlegung des Betriebs oder
che nach § 546 Abs. 1 BGB zurückzugeben, mithin zu räu-
Verteilung der Bewohner keinen Anspruch entsprechend
men. § 721 ZPO sowie § 794a ZPO (bei der Zwangsvollstre-
§ 721 ZPO. Auch mögliche Vollstreckungshindernisse sowie
ckung aus Räumungsvergleichen) eröffnen den Gerichten die
die Rechtsverhältnisse des Heimbetreibers mit Bewohnern
Möglichkeit, auf Antrag (sog. Schutzantrag) des räumungs-
und Pflegekassen oder die Belange der Heimbewohner blei-
pflichtigen Mieters von Wohnraum oder von Amts wegen (!)
ben im Zuge der Räumungsfrist des Trägers außen vor. Da-
eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren. Für gekün-
her kann sich das Pflegeheim hier nicht auf die Schutznorm
digte Wohnraummieter gewährt § 721 ZPO somit häufig
des § 721 ZPO berufen. Allerdings: Da die Heimbewohner ein
einen wichtigen zusätzlichen Zeitkorridor für die endgültige
eigenständiges Besitzrecht haben, muss der Vermieter auch
Räumung und Rückgabe.
ihnen gegenüber einen Räumungstitel erwirken. Auf die spezifischen Vollstreckungsvoraussetzungen in Heimen (BGH:
Das Kammergericht Berlin (KG) hat nunmehr in seinem Be-
„Berliner Modell“) wird hier nicht näher eingegangen.
schluss vom 18. Juli 2016 – 8 U 111/16 – klargestellt, dass
Pflegeheime sich nicht auf § 721 ZPO zu ihren Gunsten beru-
Fazit
fen können. In dem Fall war einem Pflegeheim vom Vermieter
Der in der Sache richtige Beschluss des KG verdeutlicht
gekündigt worden. Es kam zur Räumungsklage. Das Pflege-
exemplarisch Folgendes: Pflegeheime sind im Wege der
heim stellte – hier unbeachtlich – erst in der zweiten Instanz
Räumungsklage allein nach den Grundsätzen des Gewerbe-
den Schutzantrag. Zu Unrecht, wie das KG ausführt, denn
mietrechts zu behandeln. Spezifische Betreiberaspekte (Un-
§ 721 ZPO sei eindeutig auf Wohnraummietverhältnisse
terbringung, Betreuung, Kostenträger, Heimaufsicht) spielen
anzuwenden. Auch wenn das Pflegeheim seinen Bewohnern
für die mietrechtliche Beurteilung keine Rolle. Pflegeheimbe-
unstreitig Wohnraum zur Verfügung stelle, komme es allein
treiber sind daher gehalten, bei einer Kündigung die Räumung
auf das Mietverhältnis von Vermieter und räumungspflichti-
im Hinblick auf die vorgenannten Aspekte zu planen und ggf.
gem Pflegeheim an. Die Vermietung an einen Pflegeheimbe-
mit dem Vermieter gütlich zu klären. § 721 ZPO ist kein „Ret-
treiber sei aber ein gewerbliches Mietverhältnis. Das Pflege-
tungsanker“. Ferner sollte der Heimbetreiber stets das eigen-
heim könne sich auch nicht erfolgreich auf die von der Recht-
ständige Besitzrecht bedenken. In jedem Falle bedarf es
sprechung entwickelte ausnahmsweise Anwendbarkeit des
gesonderter Räumungstitel des Vermieters gegenüber den
§ 721 ZPO bei gewerblichen Mietverhältnissen berufen, denn
Heimbewohnern.
mit Blick auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH; u. a. Beschluss vom 2. Oktober 2012 – I ZB
› Rechtsanwalt Justus Kampp
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Arbeitsrecht
Chefarzt-Kündigung wegen Wiederheirat – eine (un)endliche Geschichte
Die Trägerin mehrerer Krankenhäuser – institutionell mit der
schenrechtskonvention (EMRK) qualifiziert hatte. Vorliegend
römisch-katholischen Kirche verbunden – kündigte einem
geht es jedoch um andere Rechtsnormen als jene, die durch
ihrer Chefärzte katholischen Bekenntnisses. Dieser war dort
das BVerfG geprüft worden waren: Dem EuGH liegt nun die
seit dem Jahr 2000 tätig. Dem Dienstvertrag lag die vom
Frage vor, ob die Kirchen nach dem Unionsrecht (explizit: Art.
Erzbischof von Köln erlassene Grundordnung des kirchlichen
4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates
Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23.
vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen
September 1993 (GrO 1993) zugrunde. Diese bestimmte u. a.,
Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in
dass eine nach dem Glaubensverständnis der Rechtsordnung
Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16)) bei einem
der Kirche ungültige Eheschließung einen schwerwiegenden
an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen
Loyalitätsverstoß darstellt, der auch eine Kündigung rechtfer-
nach loyalem und aufrichtigem Verhalten unterscheiden
tigen kann. Eine Weiterbeschäftigung war danach ausge-
dürfen zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören,
schlossen, wenn der Verstoß von einem leitenden Mitarbeiter
und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören.
begangen wurde, wozu auch Chefärzte zählen. Nach einer
Scheidung hatte der Arzt 2008 erneut standesamtlich gehei-
Allerdings wirkt dieses Verfahren mittlerweile wie ein Ana-
ratet. Ende März 2009 kündigte die Trägerin des Kranken-
chronismus, denn nach heutiger Rechtslage hätte dem Chef-
hauses das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. September
arzt wohl nicht mehr gekündigt werden dürfen. Im Zuge der
2009. Der Chefarzt reichte Kündigungsschutzklage ein, denn
Liberalisierung der Grundordnung durch die Deutsche Bi-
im Gegensatz zu ihm seien evangelische Chefärzte von der
schofskonferenz im April 2015 kommt eine Kündigung nun-
GrO 1993 arbeitsrechtlich nicht betroffen. Die Vorinstanzen,
mehr nur noch als Ultima Ratio in Betracht, und zwar insbe-
zuletzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom
sondere wenn bei katholischen Mitarbeitern die standesamt-
8. September 2011 – 2 AZR 543/10 –, gaben der Klage statt.
liche Wiederheirat objektiv geeignet ist, „ein erhebliches Är-
Die Revision der Krankenhausträgerin hat das Bundesverfas-
gernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wir-
sungsgericht (BVerfG) aufgehoben (Beschluss vom 22. Okto-
kungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu
ber 2014 – 2 BvR 661/12) und die Sache an das BAG zurück-
beeinträchtigen“ (Art. 5 Abs. 2 Ziff. 2 lit. C Grundordnung des
verwiesen.
kirchlichen Dienstes). Gemeinhin wird dies desto eher angenommen, je näher sich der Arbeitnehmer an der Verkündi-
Das BAG widersetzte sich nun überraschend der Zurückver-
gung des Glaubens befindet und sich scheiden lässt. Erst bei
weisung des BVerfG, legte durch Beschluss vom 28. Juli
Mitarbeitern, die pastoral oder katechetisch tätig sind, sowie
2016 – 2 AZR 746/14 (A) – dem Europäischen Gerichtshof
solchen, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sons-
(EuGH) die Sache zur Vorabentscheidung vor und sorgte auf
tigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäf-
diese Weise für einen bemerkenswerten Justizkonflikt. Damit
tigt werden, wird die obige Eignung unwiderleglich vermutet.
geht ein seit 2009 anhängiger Rechtsstreit in die nächste
höchstrichterliche Runde.
Fazit
Mit Spannung ist die Antwort des EuGH auf die Frage zu
Das BAG möchte nun, nachdem die Kündigung seitens des
erwarten, ob der bislang eher großzügige Freiraum der Kir-
BVerfG als verfassungsgemäß eingestuft wurde, die Zuläs-
chen in der Ausgestaltung ihrer Angestelltenverhältnisse
sigkeit der Kündigung unter dem Unionsrecht prüfen lassen,
durch das Unionsrecht weiter beschnitten wird.
wenngleich das BVerfG in seinem Beschluss bereits die Kündigung als übereinstimmend mit der Europäischen Men-
› Rechtsanwalt Alexander Gottwald, EMBA
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Vergaberecht
Vergabe für Betrieb und Management von Asyl- und Flüchtlingsunterkünften nicht im
Verhandlungsverfahren ohne Teilnehmerwettbewerb!
Leistungen für den Betrieb und/oder die Versorgung von Asyl-
nicht aus. Die zum Zeitpunkt dieses Newsletters noch nicht
oder Flüchtlingsunterkünften unterliegen den vergaberechtli-
rechtskräftige Entscheidung ist für caritative Leistungserbrin-
chen Bestimmungen. Die Vergabekammer Südbayern hat in
ger in Unterkünften in zweierlei Hinsicht von Bedeutung:
ihrem Beschluss vom 12. August 2016 – Z3-3-3194-1-27-07-
Unterliegt man mit seiner Bewerbung um Leistungen, zeigt
16 – klargestellt: Trotz aller Dringlichkeit (§ 15 Abs. 3 VgV)
die Entscheidung mögliche Angriffspunkte auf, da anzuneh-
hat die öffentliche Hand Sorgfalt bei der Wahl des richtigen
men ist, dass zahlreiche Vergabeverfahren – wenn überhaupt
Vergabeverfahrens walten zu lassen. Einer Vergabe der Leis-
durchgeführt - im Zusammenhang mit der Flüchtlingsversor-
tungen durch ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahme-
gung mit „heißer Nadel“ gestrickt sein dürften. Zum anderen
wettbewerb (§ 119 Abs. 2 – 4 GWB, § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV)
wird auch deutlich, dass über einem erteilten Zuschlag das
kommt in der Regel nicht in Betracht. Vielmehr sind die Leis-
„Damoklesschwert“ eines Nachprüfungsverfahrens schwe-
tungen im Wege von offenen oder nicht offenen Verfahren
ben kann.
(§ 14 Abs. 2, 3 VgV) an Fachlose zu vergeben. Kurz: Dringlichkeit und Eile hebeln die Grundregeln der Vergabeverfahren
› Rechtsanwalt Justus Kampp
Sozialrecht
„Ärzte ohne Grenzen“ – Keine ausschließliche Privilegierung für Ordens- und Vereinsmitglieder
bei Schwerbehindertenausgleichsabgabe
Der Verein Ärzte ohne Grenzen e. V. beschäftigt im Inland
Sowohl private als auch öffentliche Arbeitgeber mit im Jah-
befristet angestellte Mitarbeiter, die in der Regel bis zu neun
resdurchschnitt monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen sind
Monate im Ausland bei Hilfseinsätzen tätig werden. Diese
nach den §§ 71 ff. SGB IX verpflichtet, auf wenigstens 5 %
Mitarbeiter übernehmen medizinische, logistische und orga-
der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäfti-
nisatorische Aufgaben vor Ort und erhalten dafür eine monat-
gen oder andernfalls eine Ausgleichsabgabe zu entrichten.
liche Aufwandsentschädigung in Höhe von 925,00 €. Zur
Maßgeblich für die Anzahl der zu beschäftigenden Personen
Ermittlung der Ausgleichsabgabe für die Nicht-Beschäftigung
bzw. die Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsabgabe ist
von schwerbehinderten Menschen hatte der Verein für die
die Summe der im Betrieb vorhandenen Arbeitsplätze, auf
Jahre 2010 und 2011 der Bundesagentur für Arbeit auch
denen Arbeitnehmer beschäftigt werden. Bei der Ermittlung
seine Auslandsstellen mitgeteilt und die festgesetzte Aus-
ebendieser Arbeitsplätze werden gem. § 73 Abs. 2 Nr. 2
gleichsabgabe gezahlt. Mit einer Klage begehrte der Verein
SGB IX Stellen nicht mitgerechnet, auf denen Personen be-
später die Rückzahlung eines Teils der Ausgleichsabgabe.
schäftigt werden, „deren Beschäftigung nicht in erster Linie
Das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 24. Februar 2014 –
ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe
37 K 209.13)
karitativer oder religiöser Art bestimmt ist, und Geistliche
und
das
Oberverwaltungsgericht
Berlin-
Brandenburg (OVG, Urteil vom 19. November 2014 – 6 B
öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften …“.
10.14) wiesen die Klage ab. Auf die eingelegte Revision vor
dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 30. Juni
Das OVG hatte hinsichtlich der im Ausland beschäftigten
2016 – 5 C 1.15) hin wurde der Rechtsstreit wieder an das
Arbeitnehmer des Klägers diese Tatbestandsmerkmale für
OVG zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
nicht erfüllt angesehen und zur Begründung eine Parallele
4
zum Betriebsverfassungsrecht gezogen. Dort gibt es eine
Umstände sei dann entscheidend, ob die gewährten Zuwen-
inhaltsgleiche Regelung, von der lediglich Angehörige von
dungen deutlich hinter dem zurückbleiben, was die Personen
Orden und Vereinsmitglieder erfasst werden und keinesfalls
aufgrund ihrer Qualifikation üblicherweise auf einer vergleich-
Arbeitnehmer, selbst wenn sie die gleichen Tätigkeiten ver-
baren Stelle verdienen würden.
richten. Dieser Auffassung erteilte das BVerwG nun eine
deutliche Absage.
Fazit
Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Verein Ärzte ohne
§ 73 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX sei eine eigenständige Regelung. Es
Grenzen e. V. die im Rahmen von Hilfseinsätzen im Ausland
verbliebe ansonsten kein Anwendungsbereich, wenn sie nur
besetzten Stellen nicht anrechnen lassen muss. Durch die
auf Vereinsmitglieder und nicht auch auf Arbeitnehmer an-
Vorgaben des BVerwG sind dem OVG für seine ausstehenden
zuwenden wäre. Es sei im Rahmen des § 73 Abs. 2 Nr. 2
Feststellungen enge Grenzen gesetzt worden. Daher dürften
SGB IX zunächst zu fragen, ob die Tätigkeit der Arbeitnehmer
im Rahmen der Berufungsinstanz Feststellungen zu erwarten
im Auslandsdienst tatsächlich vorwiegend durch Beweg-
sein, dass zumindest solche Arbeitnehmer, die medizinisch
gründe karitativer Art geprägt ist. Nach der objektiven
im Rahmen ihrer Qualifikation als Ärzte im Ausland tätig
Zweckbestimmung der Beschäftigung sah das BVerwG dies
werden, nicht mehr als Arbeitnehmer im Rahmen der Ermitt-
als gegeben an.
lung der Ausgleichsabgabe mitgezählt werden müssen.
Entsprechendes dürfte dann auch für andere Körperschaften
Ansatzpunkt für die vom OVG noch zu treffenden Feststel-
oder Institutionen gelten, die ebenfalls im Inland eingestellte
lungen, inwiefern die Beschäftigungen der im Ausland tätigen
Mitarbeiter im Ausland mit karitativen Aufgaben beschäftigen
Personen nicht in erster Linie ihrem Erwerb diene, ist seitens
und gemessen an der Qualifikation unübliche Vergütungen
des BVerwG die Maßgabe, dass die Beschäftigung nicht
leisten.
schwerpunktmäßig darauf gerichtet sein darf, einen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Im Rahmen einer objektivier-
› Rechtsanwalt Alexander Gottwald, EMBA
ten stellenbezogenen Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen
Gesellschaftsrecht
Prüfung der Ordnungsmäßigkeit einer Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern durch
das Registergericht
Das Kammergericht Berlin (KG, Beschluss vom 3. Juni 2016
2016 vor, aus dem hervorging, dass der Gesellschafterbe-
– 22 W 20/16) hatte kürzlich die Gelegenheit, sich mit der
schluss einstimmig ergangen ist. Das Registergericht lehnte
ordnungsgemäßen Bestellung und Abberufung von GmbH-
die Eintragung ab mit dem Hinweis, es bedürfe eines Nach-
Geschäftsführern zu beschäftigen.
weises, dass der nach dem eingereichten Protokoll von der
Versammlung vom 22. Januar 2016 nicht anwesende Mitge-
In dem Fall meldete eine Gesellschafterin der GmbH die
sellschafter ordnungsgemäß geladen worden sei, anderen-
Abberufung des weiteren Gesellschafters als Geschäftsführer
falls es der Genehmigung des Beschlusses bedürfe, weil
und ihre Bestellung zur Geschäftsführerin zur Eintragung in
dieser laut Gesellschaftsvertrag durch alle Gesellschafter
das Handelsregister an und legte mit der Anmeldung das
einstimmig zu fassen gewesen wäre. Gegen diese Verfügung
Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 22. Januar
wehrte sich die Beschwerdeführerin mit Erfolg.
5
Das KG entschied, dass der Gesellschafterbeschluss nicht
sind. Dann sei aber davon auszugehen, dass sich das Kriteri-
wegen eines Ladungsmangels nichtig ist. Denn aufgrund des
um der Einstimmigkeit auf die Stimmen der in der Gesell-
vorliegenden Fax-Sendeberichtes sei erkennbar, dass die
schafterversammlung anwesenden Gesellschafter und nicht
Ladung am 14. Januar 2016 an den Mitgesellschafter ver-
auf die Stimmen aller Gesellschafter bezöge. Da es sich
sandt worden ist. Damit sei die im Gesellschaftsvertrag vor-
vorliegend nicht um eine Vollversammlung gehandelt hat, ist
gesehene Ladungsfrist von einer Woche für außerordentliche
somit entscheidend, ob alle Gesellschafter ordnungsgemäß
Gesellschafterversammlungen gewahrt. Wie der Begriff der
geladen waren. Dies wurde durch die Einhaltung von La-
Einstimmigkeit im Sinne der Regelung im Gesellschaftsver-
dungsfrist und Ladungsform vermittels des vorgelegten
trag zu verstehen ist, sei zudem grundsätzlich bei Zweifeln
Faxes gewahrt.
durch Auslegung zu ermitteln. Im Rahmen der Auslegung
stelle sich die Frage, ob der Begriff der Einstimmigkeit so zu
Fazit
verstehen ist, dass jeweils alle Gesellschafter zustimmen
Soweit bei einer GmbH-Gesellschafterversammlung nicht alle
müssen, oder nur die anwesenden Gesellschafter. Gegen die
Gesellschafter anwesend sind, ist durch die Geschäftsführer
Annahme, es müssten immer alle Gesellschafter zustimmen,
genauestens darauf zu achten, dass die Ladungsformalien
spreche die Tatsache, dass dann eine Beschlussfassung
eingehalten sind, da dies vom Registergericht überprüft wird
ohne Weiteres bereits durch einen einzelnen Gesellschafter
und im Falle des Verstoßes der gewünschte Beschluss nicht
blockiert werden könnte, was in der Regel nicht gewollt sei.
eingetragen wird. Es empfiehlt sich in diesem Zusammen-
Außerdem regele der Gesellschaftsvertrag, dass alle anwe-
hang auch, die Satzung eindeutig zu formulieren, so dass
senden Gesellschafter der Gesellschafterversammlung die
keine Missverständnisse bezüglich des Merkmals „Einstim-
Niederschrift der Versammlung zu unterschreiben haben.
migkeit“ entstehen.
Daraus folge, dass es auch Gesellschafterversammlungen
geben müsse, bei der nicht alle Gesellschafter anwesend
› Rechtsanwalt Dr. Andreas Königshausen, LL.M. (Cornell)
Gesellschaftsrecht
Das Selbsthilferecht des GmbH-Minderheitsgesellschafters zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung
Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG Hamburg, Urteil vom
nachgekommen waren. Tagesordnungspunkt dieser Gesell-
22. Januar 2016 – 11 U 287/14) hat kürzlich entschieden,
schafterversammlung war die Bestellung eines Sonderprü-
dass das Selbsthilferecht des GmbH-Minderheitsgesell-
fers für die Tätigkeit der Geschäftsführer im vergangenen
schafters gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 GmbHG zur Einberufung
Geschäftsjahr. Zu dieser Versammlung erschienen die Ge-
einer GmbH-Gesellschafterversammlung erst dann ver-
sellschafter-Geschäftsführer nicht, so dass diese Gesell-
braucht ist, wenn in einer beschlussfähigen Versammlung
schafterversammlung nicht beschlussfähig war. Daraufhin
über die beantragten Tagesordnungspunkte des Minder-
lud die Minderheitsgesellschafterin zu einer Folgeversamm-
heitsgesellschafters Beschluss gefasst worden ist.
lung mit dem Hinweis, dass diese laut Satzung nun ohne
Rücksicht auf das vertretene Stammkapital beschlussfähig
In dem Fall berief die Minderheitsgesellschafterin aufgrund
sei. Zu dieser Versammlung erschienen die Gesellschafter-
ihres Selbsthilferechtes eine Gesellschafterversammlung ein,
Geschäftsführer mit einem Rechtsanwalt, der zum Versamm-
da zuvor die Gesellschafter-Geschäftsführer ihrer Aufforde-
lungsleiter gewählt wurde. Während der dann folgenden
rung, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen, nicht
eskalierenden Versammlung brach der Versammlungsleiter
6
die Gesellschafterversammlung ab und verließ mit den Ge-
Beschluss. Daher hatte der kompetenzwidrige Abbruch der
sellschafter-Geschäftsführern den Versammlungsort. Da-
Versammlung nicht die Beendigung der Versammlung zur
raufhin wurde der Rechtsanwalt der Minderheitsgesellschaf-
Folge und die Beschlüsse konnten wirksam von der verblie-
terin zum Versammlungsleiter gewählt, anschließend wurden
benen Minderheitsgesellschafterin gefasst werden. Zum
die streitgegenständlichen Beschlüsse gefasst. Die Gesell-
Schutz des GmbH Minderheitsgesellschafters sei das Selbst-
schafter-Geschäftsführer sind der Ansicht, dass diese Be-
hilferecht des § 50 Abs. 3 Satz 1 GmbHG erst dann ver-
schlüsse nichtig sind.
braucht, wenn die Tagesordnung insoweit erledigt worden ist
und die beantragten Beschlüsse gefasst werden konnten.
Das OLG Hamburg gab der Minderheitsgesellschafterin
Recht und entschied, dass die Gesellschafterbeschlüsse
Fazit
wirksam sind. Es stelle sich so dar, dass die Gesellschafter-
Auch der Minderheitsgesellschafter einer GmbH ist stets
Geschäftsführer zusammen mit dem Versammlungsleiter der
dadurch geschützt, dass das Selbsthilferecht auf Einberufung
Folgeversammlung in kollusiver Weise zusammengearbeitet
der Gesellschafterversammlung erst dann verbraucht ist,
hätten, um den Abbru0ch der Folgeversammlung zu erwirken,
wenn über die beantragten Beschlussgegenstände tatsäch-
damit die beantragten Beschlüsse der Minderheitsgesell-
lich Beschluss gefasst worden ist. Bedeutsam ist, dass der
schafterin nicht gefasst werden konnten. Zum einen sei die
Versammlungsleiter in keinem Fall die Kompetenz zum Ab-
Folgeversammlung richtigerweise jedenfalls beschlussfähig
bruch der Gesellschafterversammlung besitzt. Ein Anfech-
gewesen, so dass die Beschlüsse allein von der Minderheits-
tungsrecht der Gesellschafter, die auf den kompetenzgemä-
gesellschafterin gefasst werden konnten. Zum anderen habe
ßen Abbruch der Versammlung vertraut haben, besteht je-
der
denfalls nicht, soweit ein kollusives Zusammenwirken mit
Versammlungsleiter
einer
GmbH-Gesellschafterver-
sammlung nicht die Kompetenz, die Gesellschafterversamm-
dem Versammlungsleiter vorliegt.
lung abzubrechen, er dürfe sie noch nicht einmal vertagen.
Dies dürfe nur die Gesellschafterversammlung selbst per
› Rechtsanwalt Dr. Andreas Königshausen, LL.M. (Cornell)
Steuerrecht
Privatklinik und Umsatzsteuer – kein Ende in Sicht
Krankenhausleistungen sind nach dem nationalen Umsatz-
aufgrund dieses Bedarfsvorbehalts mit zwingenden unions-
steuergesetz (UStG) nur steuerfrei, wenn es sich insbesonde-
rechtlichen Vorgaben nicht vereinbar ist. Im Ergebnis können
re um ein in den Krankenhausplan eines Landes aufgenom-
sich die Betreiber einer Privatklinik für die Steuerfreiheit ihrer
menes Krankenhaus oder um ein Krankenhaus handelt, das
Leistungen unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b der
über einen Versorgungsvertrag mit den Verbänden der ge-
Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) berufen (vgl.
setzlichen Krankenkassen verfügt. Daher stehen Heilbehand-
auch Solidaris Rechtsanwalts-Newsletter 2/2015).
lungsleistungen von Privatkrankenhäusern unter einem faktischen Bedarfsvorbehalt, da die Kassenverbände Versor-
Nunmehr stellte sich in einem aktuellen Verfahren vor dem
gungsverträge grundsätzlich nur abschließen dürfen, wenn
Finanzgericht Köln (FG Köln, Urteil vom 13. April 2016 – 9 K
dies für die bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung der
3310/11) die Frage, ob sich eine Privatklinik, die mangels
gesetzlich Versicherten erforderlich ist. Dagegen hat der
Zulassung nach § 108 SGB V und mangels Abschlusses
Bundesfinanzhof (BFH) zwischenzeitlich wiederholt ent-
eines Strukturvertrags gem. § 73a SGB V keine gesetzlich
schieden, dass die nationale Steuerbefreiungsvorschrift
versicherten Patienten behandelt, unmittelbar auf das für sie
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günstigere Unionsrecht in Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b
Fazit
MwStSystRL berufen kann. Das FG Köln hat die grundsätzli-
Das FG Köln hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeu-
che Umsatzsteuerfreiheit der Krankenhausleistungen der
tung der Frage zugelassen, ob sich auch eine Privatklinik, die
Privatklinik auf der Grundlage der Mehrwertsteuersystem-
mangels Zulassung nach § 108 SGB V und mangels Ab-
richtlinie bestätigt. Nach Ansicht des Gerichts ist für die
schlusses eines Strukturvertrags gem. § 73a SGB V keine
Frage der Anerkennung nicht entscheidend, ob bzw. in wel-
gesetzlich versicherten Patienten behandelt, auf Art. 132
chem Umfang gesetzliche Krankenkassen Kosten erstattet
Abs. 1 Buchstabe b MwStSystRL berufen kann.
hätten; auch die privaten Krankenversicherungs- sowie Beihilfestellen stellten Einrichtungen der sozialen Sicherheit dar.
› Rechtsanwalt André Spak, Steuerberater, Fachanwalt für
Arbeitsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht
Seminar-Tipps
Schreckgespenst Betriebsprüfung
6. Oktober 2016, Berlin
Medizinrecht: Krankenhäuser im Fokus von KV und Ermittlungsbehörden
28. September 2016, Köln
20. Oktober 2016, München
Steuer-Update für Non-Profit-Organisationen
14. September 2016, München
5. Dezember 2016, Berlin
Verantwortung von Gremienmitgliedern
3. November 2016, München
Corporate Governance – Rechte und Pflichten der Mitglieder von Aufsichtsgremien
10. November 2016, Berlin
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Stand: 6. September 2016
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