Diva mit Geschmack - Park Hotel Vitznau

sonntagszeitung.ch | 4. September 2016
Nenad kocht55
Diva mit
Geschmack
Die Artischocke gibt viel Arbeit beim
Vorbereiten, ist aber gerade deshalb
die Königin unter den Gemüsesorten,
findet Nenad Mlinarevic
Die Artischocke begleitet mich
schon mein ganzes Berufsleben
lang. Während meiner Lehrzeit im
Dolder Waldhaus in Zürich
­hat­ten wir eine ganze Menükarte
voller Artischockengerichte, darunter den Klassiker: im Ganzen
gegarte Blüten, die mit einer
­
­Vinaigrette serviert wurden. Man
zupfte also die einzelnen Blätter
von der Artischocke, tunkte sie in
die Sauce und zuzelte das bisschen
schmackhafte Fruchtfleisch heraus
und so weiter. Die Artischocke ist
auf diese Art – was den ­Essprozess
angeht – gewissermassen die
­vegetarische Variante von Moules
et frites.
Sie ist aber auch die Königin
unter den Gemüsesorten. Einerseits wegen ihrer Erscheinung und
ihres komplexen, leicht bitteren
Aromas. Und andererseits wegen
ihrer divenhaften Art, die jeder zu
spüren bekommt, der Artischocken
nicht im Ganzen servieren will,
sondern sich die Mühe macht, den
edlen Kern herauszurüsten. Das
macht – zugegeben – viel Arbeit.
Meine Empfehlung: nur Mut! Der
Aufwand lohnt sich, auch wenn
man überraschend viel Rüstabfälle produziert auf dem Weg zum
schmackhaften Boden der Artischocke.
Unbedingt eine Schüssel mit
Zitronenwasser bereitstellen
Aber in der Küche führt Bequemlichkeit halt nur selten ins Herz des
guten Geschmacks. Und in G
­ läsern
mit in Öl eingelegten Artischocken
aus dem Supermarkt wird man in
dieser Hinsicht ziemlich sicher
nicht fündig. Denn die Artischocke ist kein Beigemüse, sondern
wie Spargel das Zentrum eines
­guten Gemüsegerichts. Während
meiner Zeit bei Spitzenkoch HansPeter Hussong in Uetikon am See
war die Artischocke Chefsache,
niemand putzte und rüstete diese
königlichen Blüten so perfekt wie
er.
Für zu Hause empfiehlt sich
folgende Strategie: Am besten
­
Handschuhe anziehen, die Finger
nehmen sonst das bittere Aroma
der Artischocke an, und man bringt
es nur schwer wieder weg. Ist das
Gemüse frisch, kann man den
­
Stängel abbrechen und dabei das
so­genannte Heu auf einen Schlag
mitentfernen. Dann sollte man
sehr grosszügig rundherum rüsten, alle Blätter entfernen, bis nur
noch der verhältnismässig kleine
Boden bleibt. Falls noch F
­ äden
­übrig sind: Auch die müssen weg,
das geht am besten mit einem
­Teelöffel. Eine Schüssel mit Wasser und etwas Zitronensaft sollte
ebenfalls bereitstehen, darin taucht
man den Artischockenboden, damit er nicht oxidiert, also eine
­unschöne bräunliche ­Färbung
­annimmt.
Bei kleineren Artischocken sind
übrigens die ­inneren Blätter nicht
so zäh, man muss sie also nicht
ganz wegschneiden, und sie haben
auch ein ­verhältnismässig mildes
Aroma.
Hochadel: Für
Sternekoch
Nenad
Mlinarevic ist die
Artischocke
ein königliches
Gemüse
Fotos: Esther Michel
Den Artischocken-Fond kann
man fürs Risotto verwenden
Wir kochen die Artischockenböden in einem Gemüsefond mit
Schalotten, Knoblauch, Lorbeer,
Thymian, und wichtig ist auch etwas Säure, etwa von Zitronen oder
Weisswein, die den Bitterstoffen
ein wenig entgegenwirkt. Den
Fond kann man dann weiterbenutzen und zum Beispiel einen Risotto damit ansetzen, der am Ende
von Artischocken gekrönt wird.
In Kombination mit im Ofen
gerösteten, süssen, vollfruchtigen
Tomaten wird die Artischocke zum
mediterranen Klassiker (s. Rezept),
der die intensive Wärme des
­Südens auf den Teller bringt.
Nenad Mlinarevic ist Küchenchef
des Restaurants Focus im Park
Hotel Vitznau (2 Michelin-Sterne,
18 «Gault Millau»-Punkte) und
«Koch des Jahres 2016».
Er kocht nur mit Schweizer
Produkten und schreibt hier
monatlich über seine Arbeit
Artischocken und Tomaten
Für die Artischocken
20 kleine Artischocken
1 Zwiebel, grob gehackt
1 Knoblauchzehe, in Scheiben
1 Thymianzweig
2 Lorbeerblätter (am besten frisch)
1 Stängel Petersilie
2 EL Rapsöl
2 dl trockener Weisswein
5dl Gemüsefond
Salz
1 Zitrone (Schale und Saft)
Artischocken grosszügig rüsten
und in Zitronenwasser legen. Rapsöl in einem Topf erhitzen, Zwiebeln
und Knoblauch darin farblos andünsten; mit Weisswein und
­Gemüsefond ablöschen, Zitronenschale hinzugeben und mit Salz
­abschmecken. Einmal aufkochen,
die Artischocken in den Fond
­geben und bei tiefer Hitze 10 Minuten leicht sieden – sie sollten
weich sein, aber noch etwas Biss
haben.
Das Universalmesser
Tomatencreme
200 g reife Tomaten
10 g Knoblauch, fein gehackt
60 g Haselnüsse, gehackt
2 Scheiben Toastbrot
5 cl Rapsöl
2,5 cl Weissweinessig
Tomaten vierteln und auf ein Blech
legen. Haselnüsse, Knoblauch, je
eine Prise Salz und Zucker über den
Tomaten verteilen und alles bei 170
Grad Heissluft etwa 20 Minuten im
Ofen rösten. In der Zwischenzeit
das Toastbrot in Würfel schneiden
und in einer beschichteten Pfanne
mit etwas Butter goldbraun werden lassen. Die Tomaten kurz auskühlen und im Standmixer mit den
Croûtons zerkleinern, den Essig
dazugiessen und schliesslich das
Rapsöl bei laufendem Mixer in
einem dünnen Strahl hinzufügen,
bis eine feine Creme entstanden
ist. Mit Salz, Pfeffer und Essig abschmecken.
Getrocknete Tomaten
12 reife Tomaten
1 Knoblauchzehe
je 2 Zweige Basilikum und Thymian,
fein gehackt
4 cl Rapsöl; Salz, Zucker
Tomaten kreuzweise einschneiden
und kurz in kochendem Wasser
blanchieren. In Eiswasser abschrecken und die Haut abziehen. Öl,
Salz, Zucker und Kräuter mischen,
die Tomaten darin marinieren und
im Ofen bei 90 Grad Heissluft etwa
5 Stunden trocknen, bis sie
aussen leicht «ledrig» sind.
Abkühlen lassen und fein hacken. (Variante: Getrocknete, in Öl
eingelegte Tomaten klein hacken
und für das Gericht verwenden).
Fertigstellen Die Artischocken mit
der Tomatencreme und den
­getrockneten Tomaten in einen Teller geben, allenfalls eine Vinaigrette aus Kräuteröl und weissem Balsamessig angiessen.
Wer Gemüse rüstet oder andere
Vorbereitungsarbeiten in der
­Küche vor sich hat, sollte auf eine
Grundlage bauen können: ein
scharfes Messer. In der Regel ist
kein grosser Block mit einem halben Dutzend Schneidgeräten notwendig. Es reicht ein qualitativ
überzeugendes Universalmesser
wie das japanische Santoku, das
eine gewisse Grösse und eine mittellange Klinge hat, natürlich immer
scharf sein sollte und für fast alle
Arbeiten taugt. Ein gutes Messer
ist nicht zu leicht und liegt gut in der
Hand, auch wenn man zwei Dutzend Artischocken gerüstet hat.
Die Schweizer Version des Santoku ist das Victorinox Grand Maître
(113 Fr.) und ist das wichtigste
Werkzeug von Nenad Mlinarevic.