Er hat es am eigenen Leib erfahren, was Seelsorge bedeutet. Er hat sein Handwerk, wenn man so sagen kann, gut gelernt, zuerst am grünen Tisch in Rom und dann mühsam und standhaft in der Praxis bei den Menschen. Heute würde man sagen: es war kein guter Start in die Seelsorge für einen jungen Priester. Anfangs war es nicht leicht für den Studenten, der römische Sitten gewohnt war und der am 29. Oktober 1933, das war damals das Christkönigsfest, in Rom zum Priester geweiht worden war und seine Primiz am Allerheiligentag 1933 in St. Peter in Rom feiern konnte. Seine ersten heiligen Messen in der Heimat feierte er am 22. Juli 1934 in Kirchberg und eine Woche darauf, am 29. Juli 1934 in Rabenstein. Danach ging er wieder zurück nach Rom, um sein theologisches Doktorat abzuschließen. Knapp vor dem Ende wurde er von seinem Bischof, Michael Memelauer, der von „lieben Mitchristen“ – das gab es offenbar auch damals – falsch informiert worden war, so in etwa – O-Ton Kardinal König – „da ist einer unten in Rom, der will nur studieren und nicht in der Seelsorge arbeiten“, mit der Begründung des Priestermangels in der Diözese nach Hause zurückgerufen und quasi in die Seelsorge hinein geworfen. Zu seinen noch ausstehenden Prüfungen durfte er dann jeweils wieder nach Rom fahren. Ich erzähle das mit Absicht so ausführlich, weil es das nun Folgende erklärt. Der junge Kooperator (wie ein Kaplan damals hieß), der anfänglich von dieser Ungerechtigkeit seines Bischofs sehr verletzt war, kam nun – ohne Rücksicht auf sein Studium – nacheinander in verschiedene niederösterreichische Pfarren, zum Teil garnicht weit weg von hier: nach einem kurzen (drei Monate) Wirken in Altpölla von Juli bis September 1934 durfte er nach Rom zurückkehren, um sein Studium zu vollenden. Doch schon im Mai 1935 wurde er wieder zurückgerufen, um bis Mitte Juli 1935 als Kooperator in Neuhofen Dienst zu tun. Aus seiner Neuhofener Zeit gibt es eine kleine Anekdote, die uns eine plastische Vorstellung gibt vom Leben der Priester und Kooperatoren vor bald 100 Jahren. 1995, anlässlich eines Besuches in Neuhofen/Ybbs, er erhielt damals dort die Ehrenbürgerschaft, erzählte der Kardinal sehr anschaulich seine Gefühle bei seinem Amtsantritt in seiner zweiten Kaplansstelle – hören wir ihn im O-Ton: „Meinem Bischof gehorsam, fuhr ich mit der Eisenbahn über Amstetten nach Ulmerfeld und von dort ging ich auf einer sehr staubigen Straße mit meinem Köfferchen in der Hand in Richtung Neuhofen; drei Kilometer. Der Kirchturm war schon von ferne zu sehen. Und mit jedem Schritt befiel mich mehr Angst vor der Aufgabe, die vor mir lag. Hatte ich doch erfahren, daß in Neuhofen ein sehr strenger und überaus korrekter Pfarrer, Johann Leitner, wirkte. Was ich aber nicht wusste: Der Herr Pfarrer Leitner war über die Nachricht, daß er einen Kaplan, damals nannte man das noch Kooperator, zu erwarten hatte, der in Rom studiert hat, absolut unerfreut. Denn auch er war mit Angst erfüllt: Wie kann er, der einfache Landpfarrer, mit einem hochstudierten Kooperator auskommen? – Dementsprechend war auch unsere erste Begegnung: Wie zwei Boxer, die einander noch unbekannt sind, tasteten wir einander ab. Doch schon bald merkten wir, daß diese Angst voreinander unbegründet war. Der Herr Pfarrer war froh, durch mich seine Theologie wieder ein wenig auffrischen zu können und ich bin heute noch froh darüber, damals einen echten Seelsorgerpfarrer erlebt zu haben, dem ich in Rom kaum begegnet wäre.“ Dann reiste er wieder zurück nach Rom, um weiter zu studieren. Im September 1935 war er schon wieder in der Heimat, diesmal als Kooperator in St. Valentin, wo er bis September 1937 blieb. Dazwischen war er im Jahr 1936 in Rom zum Doktor der Theologie promoviert worden. So war er nun endgültig in die Heimat zurückgekehrt und das nicht leichten Herzens, wie er selbst immer wieder betonte, weil ihm die Stätte seiner Studien, vor allem das Orientalische Institut und ganz allgemein die römische Weite, fehlte. Aber es blieb ihm nicht viel Zeit zu Trauer und Wehmut, denn mit Datum vom 12. September 1937 wurde er als Kooperator der Pfarre Scheibbs zugewiesen. Dort erlebte er den Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich. Am 1. September 1938 kam Franz König dann nach St. Pölten an die Dompfarre, wo er die Kriegszeit über blieb. Zusammenfassend sagte der Kardinal später oft über diese frühen Jahre: Die Arbeit in der praktischen Seelsorge stellte ihn, den „Gstudierten“, wie er damals mitunter – nicht unbedingt nur schmeichelhaft - genannt wurde, anfänglich natürlich vor eine ganz neue Situation, die aber, wie er später immer wieder betonte, für sein Leben von unschätzbarem Wert war: "Kein Buch und kein Studium hätten mich das je gelehrt, was ich nun durch die praktische Erfahrung in der Seelsorge – bei den Menschen - lernte." Und darum geht es – heute und immer. Aus dieser Zeit stammen z. B. auch seine Erfahrungen der Hausbesuche, die er aus Rom und auch aus Frankreich (Tours, Lille, 1936/37), sehr zum Missfallen seiner Pfarrherren, mitgebracht hatte. Aber ihm war schon damals klar, dass der Pfarrherr nicht mehr nach österreichisch-josephinischer Art im Pfarrhof sitzen und auf die Leute warten darf, sondern zu ihnen hinausgehen muss. Ein solcher Gedanke war im damaligen Österreich noch eher ungewöhnlich. Aber er machte seine Hausbesuche und erzählte von so viel Dankbarkeit der Menschen, er habe sich nie einsam gefühlt, er habe so viele Freunde gewonnen. O-Ton KK: „und es hilft dem Priester gegen die Einsamkeit.“ Aus dieser Erfahrung heraus betonte er später immer wieder die Verantwortung der Gemeinden für ihre Seelsorger. Und er ist sein Leben lang Seelsorger geblieben, als Lehrer in Krems, als Professor an der Universität Salzburg, als Weihbischof von St. Pölten und als Erzbischof von Wien (Betriebsbesuche, ÖGB) und nach seiner Emeritierung buchstäblich bis zu seinem Tod als Seelsorger im Altenheim von St. Katharina, wo er – der absolut kein Morgenmensch war – täglich um 6.30 aufgestanden ist, damit er um 7.15 in der Kapelle mit den anderen alten Leuten die Morgenmesse feiern konnte. Die haben ihn geliebt und eine alte Dame im Rollstuhl sagte nach seinem Tod: „Ich bin traurig, dass er nicht mehr da ist, aber ich weiß, er wird im Himmel mit Trompeten empfangen worden sein!“ Wie hat er selbst seine Seelsorgearbeit verstanden? Er hat keine großen Worte über Selbstverständlichkeiten gemacht. Aber man kann seinen Weg nachzeichnen. In seiner Studienzeit erlebte er das Gefühl einer großen Ordnung in der Welt, die auf Gott zurückgeht und ein großer innerer Friede erfüllte ihn, Den wollte er sein Leben lang weitergeben. Sein weiterer Weg war einfach und klar: Das Studium der Religionen führte ihn zu der Überzeugung, daß Religion zum Wesen des Menschen gehört und daß das Gebet die Nahrung der Seele ist. Er hat wunderschöne Worte über das Gebet gefunden, das still macht und komplizierte Dinge auf wunderbare Weise vereinfacht, das zwar nicht immer die Umstände, dafür aber das eigene Herz verändern kann. Die Konsequenz eines solchen Weges ist das Geschenk der Furchtlosigkeit. Kardinal König hatte keine Angst, daß irgendetwas der Kirche so sehr schaden könnte, daß sie zugrunde geht. Er war überzeugt, daß Gott sein Werk nie im Stich lässt - oft und gerne hat er jene Stelle aus der Apostelgeschichte zitiert, wo der angesehene Gesetzeslehrer Gamaliel die Mitglieder des Hohen Rates davor warnt, die Apostel zu töten, denn "wenn dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden, stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen." (Apg 5,38) So einfach ist das. Und so konnte er ohne jede Berührungsangst mit allen Menschen in einen Dialog eintreten. Und nur, wenn man ohne Furcht ist, kann man auch etwas wagen, dann glaubt man nicht mehr, daß man alles selber machen muss; man sieht die vielen, die sich auf ihre Weise mitbemühen und traut ihnen auch etwas zu. Kardinal König hat sich oft weit über die Mitte hinausgewagt, auf schwankenden Brücken, im Zutrauen, im Gespräch, mit Andersdenkenden in Kirche und Gesellschaft, weil er wusste: Gott ist immer dabei. In dieser Gewissheit konnte er, im Vertrauen darauf, daß überall unerwartet Gutes wachsen kann, wie es im Evangelium heißt, warten bis zum Tag der Ernte, - was oft große Achtsamkeit und Nervenkraft erforderte. Diese Haltung wurde ihm von manchen als Laxheit ausgelegt. Es war aber alles andere als das, vielmehr höchste Wachsamkeit und Anspannung, oft durch eine lange Zeit hindurch, im Bewußtsein, daß nicht alles nur beliebig ist. Und es ist ungleich schwieriger, etwas Wachsendes zu beobachten, in schlaflosen Nächten, als es vorschnell als schädlich zu verurteilen und gleich auszureißen. Ich erinnere mich mit innerer Bewegung an den alten Kardinal, der bis zuletzt versuchte, zu verstehen, was die Menschen rund um ihn bewegt Informationen einholend, unentwegt Bücher bestellend und lesend, das Gespräch suchend und vor allem zuhörend und nur selten urteilend. Aber an der Seite der Menschen bleiben. So hat er seine Seelsorgearbeit – immer auf dem Boden des Konzils – der hohen Zeit seines Lebens, verstanden. Was lernen wir daraus? Seelsorge funktioniert nicht in der Theorie. Seelsorge braucht Menschen. Und es gab und gibt zunehmend Zeiten, da der Mangel an geweihten Priestern weibliche und männliche Laien motiviert, immer mehr Verantwortung für ihre Kirche zu übernehmen. Also kommt es nicht immer nur auf die Quantität an. Was macht einen guten Seelsorger aus? Seelsorger, Seelsorgerinnen, sind Menschen wie wir und bringen sich mit ihren menschlichen Eigenschaften in ihrer Aufgabe ein. Aber was macht einen guten Seelsorger aus? Ist das definierbar? Nicht leicht. Der Kooperator Franz König hat – und das ist bemerkenswert – zu Beginn des Jahres 1938, knapp vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich, ein schmales Büchlein eines Benediktinerpaters aus Benediktbeuern, P. Ägidius Jais (1750-1822) mit Namen, herausgegeben, als ob es in dieser Zeit nichts Wichtigeres gegeben hätte. Das Büchlein trug den Titel: „Bemerkungen über die Seelsorge, besonders auf dem Lande.“ Michael Pfliegler, der große Pastoraltheologe der Zeit, hat dazu ein Geleitwort verfasst. P. Ägidius Jais, war ein Ordensmann, Kooperator durch viele Jahre, Novizenmeister, Professor für Moral und Pastoral an der Universität Salzburg, 1805/06 Rektor daselbst, Erzieher der Kinder Ferdinands, des Großherzogs von Toskana. Gegen Ende seines Lebens kehrte er nach Benediktbeuern zurück und half, solange er noch konnte, dort in der Seelsorge aus. Hier fand er auch die Zeit zur Abfassung seines klugen Büchleins. Mit Hausverstand und manchmal mit verhaltenem Mutterwitz nahm er sich die einzelnen seelsorglichen Tätigkeiten vor, behandelte sie detailliert mit praktischen Anwendungen und stellt über alles die Frage: Was würde Jesus in meiner Lage tun? Und, so Franz König in seiner Einleitung, „sucht er an jedem Menschen das Gute auf und sucht, was schon da ist, zu benützen. … Er vertreibt niemanden aus seiner baufälligen Hütte, ehe für ihn eine bessere Wohnung zubereitet ist. Er löscht seinen Mitmenschen ihr brennendes Licht vor der Morgendämmerung nicht aus…“ Und so glaube ich: das macht einen guten Seelsorger aus – man soll es nur nicht allzuoft in Worte fassen: Was täte Jesus jetzt? – Ich glaube, viele von uns haben schon einmal in ihrem Leben einen Menschen getroffen, von dem sie sagten: „Dich schickt der Himmel…“ Ich habe den Kardinal in sehr vielen Situationen erlebt und ich hatte manchmal genau diesen Gedanken. Annemarie Fenzl
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