Manuskript Beitrag: Angst vor der AfD – Wahlkampf im Norden Sendung vom 30. August 2016 von Hanne Bohmhammel, Werner Doyé, Dana Sümening und Felix Zimmermann Anmoderation: Wie ein System verteidigen, von dem sich viele Menschen abgehängt glauben? Wie umgehen mit der AfD, die von der Stimmung profitiert? Und die bei den Wählern punktet, obwohl die der Partei konkrete Lösungen kaum zutrauen? Auf diese Fragen suchen die Wahlkämpfer von SPD und CDU immer noch Antworten. Acht Mal hintereinander ist die AfD bereits aus dem Stand in die Landesparlamente eingezogen. Und trotzdem wirken gerade die Regierungsparteien überrascht und planlos. Unsere Autoren mit Stimmen, Stimmenfängern und Stimmungen aus Mecklenburg-Vorpommern. Text: Eine Turnhalle in Schönberg. Wahlkampf in MecklenburgVorpommern. Sechs Kandidaten sind erschienen - von AfD bis Linkspartei. Nur die Bürger machen sich rar - keine zwanzig sind gekommen. Die hören geduldig zu, wie die Große Koalition die eigene Arbeit lobt. O-Ton Dietrich Monstadt, CDU, MdB: Und wir sind sehr stolz darauf, dass wir seit zehn Jahren in Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich Regierungsarbeit mitgestalten können. O-Ton Martina Tegtmeier, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: Wir haben die Arbeitslosenzahlen halbiert. Erst kurz vor Schluss hat eine Dame dann doch mal eine Frage: O-Ton Gisela Graupmann: Wie erklären Sie sich dann den hohen Zulauf der AfD, wenn alles so rosig wäre, wie das geschildert wurde. Denn, also, man kriegt ja direkt ‘nen Schreck, wenn man das hört, nun schon bei 21 Prozent. Mehr als jeder Fünfte will am Sonntag die AfD wählen. Der Frage nach dem Warum weicht man hier lieber aus. O-Ton Dietrich Monstadt, CDU MdB: Ich glaube, wir müssen uns ja auch nicht mit den anderen Parteien insoweit auseinandersetzen, dass wir dort kritisieren oder gar schimpfen, sondern wir müssen das herausstellen, was wir geleistet haben. Die eigenen Erfolge in den Vordergrund stellen, den Gegner möglichst ignorieren - das ist klassischer Wahlkampf - und der erste Fehler, den die Regierungsparteien machen, sagt Populismus-Forscher Jan-Werner Müller. Sie sollten vielmehr jede Gelegenheit nutzen, sich mit der AfD auseinanderzusetzen. O-Ton Jan-Werner Müller, Institut für die Wissenschaften vom Menschen, Wien: Ein Kardinalfehler wäre es, zu sagen, über bestimmte Themen reden wir erst gar nicht. Oder mit denen reden wir erst gar nicht. Das bestätigt, Bürger genau in dem, was Populisten ihnen ständig suggerieren: Nämlich, dass es Tabus gäbe, dass die Bürger gar nicht ernst genommen werden, dass man überhaupt keine freie Meinungsäußerung mehr habe. Martina Tegtmeier ist seit zehn Jahren für die SPD im Schweriner Landtag. Die Umfragewerte der AfD haben sie überrascht - trotz deren Erfolg in anderen Bundesländern. O-Ton Martina Tegtmeier, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: Emotional ist das eine Enttäuschung. Es ist erstmal eine Enttäuschung. Und dann ist man natürlich erstmal so ein bisschen, man muss das erstmal für sich so verinnerlichen, um dann zu gucken, wie gehe ich damit um. Ja, und denn versuchen ein Rezept zu erfinden. Ihr Rezept: ein hausgemachter Handzettel. 2.500 Stück hat sie davon drucken lassen. Darauf steht, warum die AfD aus ihrer Sicht eine frauenfeindliche Partei ist. O-Ton Martina Tegtmeier, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: In diesem Flyer, den ich jetzt extra noch mal kreiert habe, in Eigenarbeit sage ich mal, habe ich mal so ein paar für mich besonders schlimme Programmpunkte der AfD herausgepickt, um mal darauf aufmerksam zu machen, was da eigentlich so in dem Programm enthalten ist. Doch für ihre Argumente findet sie wenig Interessenten. O-Ton Martina Tegtmeier, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: Lesen sie das mal durch? Tun Sie mir den Gefallen? O-Ton Bürger: Ach, kann ich ja mitnehmen. Danke für den Kuli. O-Ton Bürgerin: Ich bin kein Politiker, ich kann das nicht wissen. O-Ton Martina Tegtmeier, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: Aber Sie haben ja das Wahlrecht, also, können Sie auch wählen gehen. O-Ton Bürgerin: Ja, dann kreuz ich irgendwas an. Und dann ist gut. O-Ton Martina Tegtmeier, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: Gehen Sie denn zur Wahl? Haben Sie das vor? O-Ton Bürger: Nein. Wir haben ja doch keine Wahl. O-Ton Martina Tegtmeier, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: Doch, selbstverständlich haben Sie die Wahl. O-Ton Bürger: Stimmt! Den Lokführer auszuwechseln, die Gleise liegen schon. In Mecklenburg-Vorpommern soll ein Bus die Demokratie in Fahrt bringen. Die Landeszentrale für politische Bildung macht Zwischenstopp in Ribnitz-Damgarten. Karsten Socke hat reichlich Material zur Wahl dabei - doch weit und breit kein Wähler in Sicht. O-Ton Karsten Socke, Landeszentrale für politische Bildung: Demokratie lebt davon, dass die Leute sich beteiligen. Ist halt schwierig, wenn die den Kontakt dazu verlieren und sich nicht beteiligen, wenn dann vielleicht solche Sprüche kommen wie: Die entscheiden ja sowieso alles alleine und, und, und. Doch wofür interessieren sich die Wähler in MecklenburgVorpommern? Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ist die Arbeitsmarktpolitik das wichtigste Thema. Konkrete Lösungen trauen die Wähler hier vor allem der CDU mit 29 Prozent zu. Die SPD kommt auf 27 Prozent. Die AfD gerade mal auf zwei. Kompetenzen in der Wirtschaftspolitik sehen die Wähler mit 31 Prozent bei der SPD, vor der Union mit 26. Die AfD liegt bei einem Prozent. Selbst in der Flüchtlingsfrage sind SPD und Union bei den Kompetenzwerten deutlich vor der AfD. Ratlosigkeit bei Parteistrategen und einem ihrer Spitzenkandidaten: O-Ton Lorenz Caffier, CDU, Innenminister MecklenburgVorpommern: Selbstverständlich diskutieren die Experten und wir darüber auch. Aber es ist halt ein Phänomen. Ich glaube, es ist auch ein politisches Phänomen, wenn sie positive Werte haben. Und trotzdem erreichen andere aus dem Stand sozusagen mit populistischen Themen 20 Prozent. O-Ton Jan-Werner Müller, Institut für die Wissenschaften vom Menschen, Wien: Populismus lässt sich nicht in erster Linie an bestimmten Inhalten festmachen, zu bestimmten wirtschaftlichen Fragen oder Einwanderung, sondern das Alleinstellungsmerkmal der Populisten ist, dass sie sagen, wir und nur wir vertreten das Volk oder wie es zum Teil dann auch heißt, das wahre Volk. Mit anderen Worten, die anderen politischen Parteien sind auf irgendeine Weise illegitim, verraten das Volk. „Wir gegen die“ damit punktet die AfD. O-Ton Björn Höcke, AfD, Fraktionsvorsitzender Landtag Thüringen, am 12.08.2016 in Neubrandenburg: Unsere Zukunft ist gefährdet. Die Zukunft eurer Kinder und Enkel ist gefährdet. Wir sind heute, wir als Volk, wir sind heute inhaltlich kaputter als nach dem Zweiten Weltkrieg, liebe Freunde. Das „Wir“ müsse beschützt werden – angeblich vor dem Fremden. Und das funktioniert am besten mit Untergangsszenarien. O-Ton Rüdiger Preß, AfD, Direktkandidat VorpommernRügen: Die Leute hier haben, glaube ich, nicht die Sorge so sehr vor Flüchtlingen hier vor Ort, direkt jetzt zu dieser Zeit, sondern einfach vor einem schleichenden Prozess. Die möchten Zustände wie im Ruhrgebiet, wie in Duisburg-Marxlo zum Beispiel, einfach hier nicht haben, sondern möchten ihr beschauliches Leben, das sie jetzt noch haben, auch weiter behalten. Es ist also eher eine diffuse Zukunftsangst. Dabei kommen auf die rund 1,6 Millionen Einwohner von Mecklenburg-Vorpommern gerade mal knapp 23.000 Flüchtlinge. Im ganzen Bundesland gibt es vier Moscheen. Da von Überfremdung zu reden ist abwegig. Und trotzdem kritisiert Ministerpräsident Erwin Sellering die Kanzlerin für die unbegrenzte Flüchtlingsaufnahme. Und sein Innenminister, Lorenz Caffier, fordert ein Burka-Verbot. So stärken sie die AfD. O-Ton Jan-Werner Müller, Institut für die Wissenschaften vom Menschen, Wien: Ich denke, das ist vielleicht in der Tat ein klassischer Fall dafür, dass man da bei den Populisten mitrennt und sie halt natürlich auch genau in dem bestätigt, was sie immer schon gesagt haben, und den Bürgern sozusagen vorgibt, zu denken, aha, die kopieren das jetzt alle, in Panik, da wähle ich doch gleich das Original. SPD-Kandidat Patrick Dahlemann versucht die Auseinandersetzung vor allem dort, wo die AfD stark ist – im Netz. O-Ton Patrick Dahlemann, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: Ich glaube, selbst die Kassiererin am Supermarkt verdaddelt vielleicht auch gerne mal, während sie ihren Kaffee in der Mittagspause trinkt, soweit sie die denn hat, eben auch mal bei Facebook rum, um zu gucken, was da so passiert. Und dann das Gefühl zu haben, Mensch, der Abgeordnete da, der ist jemand, der sich rund um die Uhr für uns einsetzt, für unsere Region. Doch Dahlemann allein wird die SPD nicht retten. Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hat bei Facebook gerade Mal 1.896 Likes, die CDU kommt auf 1.603. Die AfD gefällt dagegen 14.523. Da ist noch viel zu tun für Patrick Dahlemann und seine Parteifreunde. O-Ton Patrick Dahlemann, SPD, MdL MecklenburgVorpommern: Ich freue mich, dass unwahrscheinlich viele Kollegen meiner Landtagsfraktion mittlerweile in den sozialen Netzwerken unterwegs sind. Als ich hier in den Landtag nachgerückt bin, waren das noch deutlich weniger. Und ich nehme da durchaus auch meine älteren Kollegen mit an die Hand und sage, lasst uns das mal machen, das wird euch gefallen, das ist gut. Für den Wahlkampf hat das wenig genutzt. Und so liegen AfD und CDU kurz vor der Entscheidung fast gleichauf - ausgerechnet in der politischen Heimat von Angela Merkel. Der CDUSpitzenkandidat redet, als wäre die Wahl schon verloren. O-Ton Lorenz Caffier, CDU, Innenminister MecklenburgVorpommern: Am Ende werden wir die Wahlen analysieren und uns fragen, wo müssen wir gegensteuern, was müssen wir tun, um die Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nicht zufrieden sind, wieder abzuholen und nicht zu stigmatisieren. Die Regierungsparteien in Schwerin finden keine Antwort - auf die Angstmacherei der AfD und deren Populismus. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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