Manuskript Beitrag: Armes Deutschland, reiches Deutschland – Wie die Republik auseinanderfällt Sendung vom 30. August 2016 von Werner Doyé, Anna Feist, Martina Morawietz und Tonja Pölitz Anmoderation: Uns geht‘s gut, könnte man meinen. Die Wirtschaft läuft, die Steuerquellen sprudeln, die Arbeitslosenquote ist niedrig. Und dennoch fühlen sich Millionen Menschen abgehängt. Das Gefühl kommt nicht von ungefähr. Denn in Deutschland ist die Ungleichheit zwischen Einkommen und Vermögen tatsächlich besonders hoch. Und viel häufiger als anderswo bestimmt die Herkunft den Lebensweg. Unsere Autoren sprechen über Gerechtigkeit – mit einem Immobilienmillionär, mit Normalverdienern, mit Eltern, mit Jugendlichen. Einblicke in das reiche Deutschland, in das arme Deutschland - und in die Kluft dazwischen. Text: O-Ton Ludwig Erhard, ehemaliger Bundeskanzler: Die soziale Marktwirtschaft schließt alle Schichten unseres Volkes zu echter Zusammenarbeit an gemeinsamen Zielen zusammen. Es ist das große Versprechen der Bundesrepublik: ein solidarisches Wirtschaftssystem, das für sozialen Ausgleich sorgt. Nicht alle haben das Gleiche, aber es wird keiner zurückgelassen. Ein Versprechen, das seit Ludwig Erhards Tagen immer wieder erneuert wurde. O-Ton Helmut Kohl, ehemaliger Bundeskanzler: Wohlstand für alle. O-Ton Gerhard Schröder, ehemaliger Bundeskanzler: Teilhabe eines jeden am gesellschaftlich erarbeiteten Wohlstand. O-Ton Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Wohlstand für alle. Ein Versprechen, das für viele heute hohl klingt. Hanau, knapp 30 Kilometer von Frankfurt entfernt. 150 Dauercampingplätze am Bärensee werden ganzjährig bewohnt. Das wird geduldet, wenn man irgendwo eine offizielle Meldeadresse hat. Gaby Giebler zog vor sechs Jahren her, als sie arbeitslos wurde. Heute arbeitet sie für die Stadt Frankfurt, verdient inzwischen 1.600 Euro netto. Aber auch das reicht ihr nicht für eine Rückkehr in die teure Stadt. O-Ton Gaby Giebler, Angestellte öffentlicher Dienst: Ich hatte Wohnungen mir angeguckt, 60 Quadratmeter groß, 800, 900 Euro kalt. Das regt mich auf, also im Grunde genommen sind die Mieten jetzt noch viel teurer geworden. Seit sechs Jahren arbeite ich jetzt bei der Stadt, ich hab zwischendrin immer wieder mal versucht, mal so ein bisschen geguckt, was Wohnungen so kosten. Also für mich nicht, wenn ich mein bisschen Lebensstandard erhalten will, für mich überhaupt nicht tragbar. 250 Euro im Monat zahlt Gaby Giebler jetzt hier - für Pacht, Wasser, Strom und Gas. So kommt die Hausmeisterin einer Frankfurter Schule über die Runden. Nur, wie lange noch? O-Ton Gaby Giebler, Angestellte öffentlicher Dienst: Ich habe also tatsächlich Angst auch vor der Altersarmut. Ich habe mich zwar auch privat ein bisschen abgesichert, aber ob das nachher das alles trägt, ist halt immer die Frage. Die alte Jukebox ist mit ihr umgezogen. Die 55-Jährige hat sich ihr Leben auf dem Campingplatz eingerichtet, so gut es eben geht. Im Sommer ist es noch erträglich, aber im Winter sind die hier Gestrandeten in der Kälte unter sich. O-Ton Gaby Giebler, Angestellte öffentlicher Dienst: Ich kenne einige, die hier zum Beispiel 2008, 2009, als die sogenannte Wirtschaftskrise war, in Kurzarbeit gegangen sind und die sind dann tatsächlich hier herausgezogen, weil die einfach ihre Miete nicht mehr bezahlen konnten. Ja, und die sind dann natürlich auch hier hängengeblieben. O-Ton Frontal 21: Fühlt man sich dann irgendwie abgehängt? O-Ton Campingplatz-Bewohner: Verarscht auf jeden Fall. Ja, einfach verarscht. Das ganze Leben schaffst du für hier und was kriegst du zum Schluss: noch ‘nen Tritt in den Arsch, auf Deutsch gesagt. Das Auto für die Fahrt zur Arbeit nach Frankfurt kommt Gaby Giebler günstiger als die Miete in der Stadt, in der für sie kein Platz mehr war. O-Ton Gaby Giebler, Angestellte öffentlicher Dienst: Wir werden herausgedrängt aus den Städten. Klar, das macht mich schon sauer. Ich denke, wenn die Leute so viele Eigentumswohnungen bauen, wie das hier in Frankfurt passiert, irgendjemand muss ja das Geld haben, die Dinger zu kaufen. Sie sind ja alle verkauft, also, irgendwo muss ja das Geld da sein. Das Geld ist da. Und die, die es haben, wollen es gewinnbringend anlegen. Immobilien sind in Zeiten niedriger Zinsen besonders begehrt. Der Markt boomt. Klaus Barski hat mit Immobilien Millionen verdient und macht damit noch immer noch gute Geschäfte - auch wenn er inzwischen lieber Bücher schreibt. Wir begleiten ihn zu seiner neuesten Investition. O-Ton Klaus Barski, Immobilien-Spekulant: Ich hatte Geld frei und dann hab ich überlegt, wie lege ich Geld an. Und dann habe ich ganz kurz überlegt, Frankfurt kommt nicht in Frage, aber der Rand um Frankfurt, den durchforste ich. Dann habe ich jede Nacht drei Stunden am Computer gesessen und 50 Kilometer im Rahmen alles durchgecheckt. Weil ich kauf nur zum halben Preis. Davon lebe ich im Grunde genommen. So ein Objekt kostet in der Regel um die 400.000 und ich hab das noch ziemlich gut runterdrücken können. Die letzte freie Einheit seiner Immobilie wurde gerade vermietet, ein Anwaltsbüro. Zur Begrüßung gibt es eine Flasche Champagner. In Barskis Büchern geht es häufig um Menschen, die es von unten ganz nach oben schaffen - um Menschen wie ihn. Aus einfachen Verhältnissen stammend, schafft er den Aufstieg in die Welt der Reichen. Mit 33 braucht er nicht mehr zu arbeiten, zieht nach Ibiza, dann Florida, und schließlich zurück, nach Königstein bei Frankfurt, dem Ort mit der höchsten Millionärsdichte Deutschlands. O-Ton Klaus Barski, Immobilien-Spekulant Ach, ich verkehre ja gar nicht mit denen - nur mit der Nachbarschaft in unmittelbarer Nähe, die paar Anwälte, die da sind. Und der Notar der Stadt ist ein guter Freund, wir machen so Whisky-Abende oder sowas. Das ist okay, aber sonst ist es so, wissen Sie, ich war lange Jahre Mitglied des Rolls-Royce-Clubs in Florida, die reichsten Menschen der Welt und das geht ihnen auf den Wecker. Weil jeder spinnt, die sind alle nur Individualisten und Einzelgänger. Dass heutzutage viele Menschen das Wort Spekulant als Synonym für Gier und Egoismus betrachten, stört Barski nicht weiter. O-Ton Klaus Barski, Immobilien-Spekulant: Mein Privathaus ist auch ein Spekulationsobjekt. Ich hab es gekauft für 600.000, kann es jetzt für 1,8 bis 2,2 Millionen verkaufen. Und wenn ich wirklich die Nase voll habe, dann verkaufe ich das, und wir gehen nach Monaco und wir kaufen uns ein Penthouse. Verstehen Sie? Ob im echten Leben oder in seinen Büchern, in Barskis Welt ist alles ganz einfach. Mit Immobilien wird man reich. Und: Jeder kann es schaffen. O-Ton Klaus Barski, Immobilien-Spekulant: Er muss es einfach wollen und er muss bereit sein sich dafür, wenn er von ganz unten kommt, zu kasteien. Soll heißen, wer sich anstrengt, der schafft es. Der Umkehrschluss: Wer es nicht schafft, hat sich wohl nicht genügend angestrengt. Und weil Barski es aus eigener Kraft geschafft hat, findet er es auch richtig, dass er hier in Deutschland - anders als damals in Florida - keine Vermögenssteuer zahlen muss. Einkommensteuer und Sozialabgaben aber gingen soweit in Ordnung, meint er. O-Ton Klaus Barski, Immobilien-Spekulant: Ich hab die letzten Jahre bezahlt, ich glaube, um die 10.000. Aber nur, weil ich alle Steuerersparnisse der Welt habe, ich hab so schlechte Häuser immer gehabt, dass ich so viel sanieren muss. Ich hab immer so viel saniert, ich brauche ja keine Miete bezahlen, mein Haus ist bezahlt. Meine Frau macht mir meine Lieblingsspeisen und sonst fahre ich einen alten Rolls-Rocye. Ich brauch nicht Geld, ich bin luxuriös eingerichtet. Das ist alles bezahlt worden. Verstehen Sie? Und wir leben eigentlich ganz bescheiden. Klaus Barskis Form der Bescheidenheit wird Menschen wie Gaby Giebler nicht helfen. Menschen, die das Gefühl haben, dass es früher gerechter zuging. Denn das ist mehr als ein bloßes Gefühl, bestätigt Michael Hartmann. Der Soziologe forscht seit Jahrzehnten zu sozialer Ungleichheit in Deutschland. O-Ton Michael Hartmann, Soziologe: Also, wenn man sich die 70er Jahre anguckt, auch die 60er, und vergleicht das mit heute, so konnte man damals sagen, in Phasen, wo die Konjunktur gut lief, wo die Arbeitslosigkeit gering war, gab es entsprechend hohe Lohnsteigerung, also, in der Regel immer ein Ausgleich für Inflation und Produktivitätszuwachs, teilweise sogar ein Umverteilungselement. Das ist seit der Jahrtausendwende nicht mehr der Fall. Seit 1992 stieg das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um 32 Prozent an. Die Reallöhne hingegen steigen im gleichen Zeitraum um gerade mal drei Prozent. Wer auch immer die Differenz von 29 Prozent heute hat, bei den meisten Arbeitern und Angestellten ist davon nichts angekommen. Dabei hatte die Politik die ganze Zeit über doch stets das Gegenteil versprochen. O-Ton Helmut Kohl, ehemaliger Bundeskanzler: Wenn es den Banken und der Wirtschaft gut geht, wenn wir Augenmaß, Mut und Verstand beweisen, geht‘s dem Ganzen gut. O-Ton Gerhard Schröder, ehemaliger Bundeskanzler: Starke Wirtschaft als Voraussetzung vernünftiger Sozialpolitik. O-Ton Angela Merkel, Bundekanzlerin: Wenn wir einmal schauen, wie wir heute dastehen in Deutschland, dann ist das für viele, viele Menschen besser, als das vor vier Jahren der Fall war. Ein Glaube, der den Menschen bis weit in die Mittelschicht hinein längst verloren gegangen ist. Patricia und Sascha Weichsel, sie hat einen Sohn aus einer früheren Beziehung. Und obwohl beide Vollzeit arbeiten: Flitterwochen kann sich das frisch verheiratete Paar nicht leisten. O-Ton Patricia Weichsel, Sicherheitskraft: Die verschieben wir. O-Ton Sascha Weichsel, Handwerker: Um Jahre. O-Ton Patricia Weichsel, Sicherheitskraft: Bis jetzt waren wir noch nicht im Urlaub. Wir haben es uns zwar vorgenommen und wenn’s nur für ein Wochenende irgendwo in die Nähe gewesen wäre, fürs Kind halt, aber mittlerweile zahlt man da 300 Euro für noch nicht mal drei Tage. Ich meine, das ist halt auch ein Haufen Geld, wo ich sage, okay, dafür kann ich einkaufen. Sie hoffen darauf, ihre Flitterwochen irgendwann mal nachholen zu können. Wenn der Bräutigam seinen Meister macht vielleicht und dann mehr verdient. Die Braut arbeitet als Sicherheitskraft, der Vertrag ist befristet. Ansonsten reiche das Geld eigentlich, sagen sie. Auch wenn Steuern und Abgaben sie sicherlich mehr belasten würden als andere. O-Ton Sascha Weichsel, Handwerker: 9.600 sind weg im Jahr. Also, ist schon immens. Es wäre natürlich schön, das mehr zu haben. Aber klar, muss halt jeder seinen Anteil dazu beitragen, dass das ganze System auch funktioniert. Doch das System funktioniert nicht mehr - zumindest nicht für Menschen wie die Weichsels. Heute reicht das Geld, aber wie wird das später mal werden. O-Ton Sascha Weichsel, Handwerker: Wenn ich mir mal die jährlichen Briefe da angucke, kann ich froh sein, wenn ich 400 Euro hab im Monat. Also, wenn ich da nicht privat was machen würde. - Von was willst du dann leben, also kannst du noch Hartz IV beantragen und hoffen, dass du Strom, Wasser, Miete bezahlen kannst. Um das privat auszugleichen, müssten die Weichsels viel mehr zurücklegen. Aber wovon? Die kleine Dreizimmerwohnung ist bezahlbar, aber viel übrig bleibt am Monatsende selten. Dass das früher besser war, ist bei ihnen keine Einbildung, sondern Erfahrung über Generationen. O-Ton Patricia Weichsel, Sicherheitskraft: Wenn ich an meine Großeltern denke, also, die sind auch immer arbeiten gewesen, aber die haben sich zum Schluss über nix Gedanken machen müssen - also, weder über die Rente, noch um ein neues Auto. Die haben sich zum Schluss sogar noch ein neues Auto geleistet, sind in den Urlaub gefahren alle Jahre. Dass es Deutschland wirtschaftlich gut geht, hören und lesen die Weichsels zwar, aber in ihrem Bekanntenkreis fällt ihnen niemand ein, der davon wirklich profitiert. O-Ton Michael Hartmann, Soziologe: Die 60er und 70er Jahre haben sich ja dadurch ausgezeichnet, dass die Leute es nicht nur geglaubt haben, sondern sie hatten einfach Beispiele vor Augen. Das muss nicht die eigene Familie sein, das können die Nachbarn sein, aber es gab im Umfeld hinreichend Beispiele, wo die Kinder Bildungsabschlüsse hatten, die die Eltern nicht hatten, wo man auf einmal in den Urlaub fuhr, wo man das Haus hatte und ähnliches. Es gab einfach eine Verbesserung, die sichtbar war. Heute dagegen wächst zusehends die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen. Nominal stiegen die durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelte seit der Jahrtausendwende zwar um 38 Prozent. Die Einkommen aus Unternehmen und Vermögen stiegen parallel aber um 64,5 Prozent. Und die Politik hat ihren Anteil daran. O-Ton Michael Hartmann, Soziologe: Wenn Sie sich alle steuerlichen Beschlüsse angucken seit 2000 oder eigentlich seit 97, also mit der Vermögenssteuer angefangen, die abgeschafft worden ist, Spitzensteuersatz, Körperschaftssteuer, Abgeltungssteuer, Erbschaftssteuer. 2014 sind über 60 Milliarden Euro an Firmeneigentum vererbt worden oder verschenkt worden und davon 95 Prozent komplett steuerfrei. Es sind immer die Wohlhabenden und vor allem die Reichen begünstigt worden. Monatelang stritt die Bundesregierung gerade um die Reform der Erbschaftssteuer. Doch die Politik hat noch einen zweiten Hebel, um für Ausgleich zu sorgen, um die Gesellschaft durchlässiger zu machen. Und auch diesen Hebel hat sie angeblich seit Langem genau im Blick. O-Ton Edmund Stoiber, ehemaliger CSU-Parteivorsitzender: Bildung ist das Megathema des 21. Jahrhunderts. O-Ton Gerhard Schröder, ehemaliger Bundeskanzler: Wir sind beide der Meinung, dass dieses Land, der Bund wie die Länder, mehr für Bildung tun müssen. O-Ton Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle. In Schleswig-Holstein liegt das Internat Louisenlund. 375 Schüler, Schulgeld pro Kopf und Jahr: 35.000 Euro. Das Internat auf dem Besitz der herzoglichen Familie von Schleswig-Holstein gilt als eines der besten in Deutschland. Die Klassen sind klein, die Betreuung intensiv. Die schulische Leistung ist das eine, die Entwicklung der Persönlichkeit das andere. O-Ton Peter Rösner, Direktor Internat Louisenlund: Die Klientel der Schüler, die wir haben, sind häufig Schüler, die werden später mal Verantwortung haben, weil sie vielleicht aus einer Unternehmerfamilie kommen, dann zumindest später Gesellschafter sein werden. Das heißt, vielleicht Verantwortung tragen für ein relativ großes Unternehmen, oder weil sie aus einer gesellschaftlichen Schicht kommen, wo sie später qua Namen am Ende irgendwie Verantwortung tragen, also versuchen wir, dass sie das lernen. Und auch nach dem Abschluss fördert das Internat den Erfolg. Louisenlund, eine Klasse für sich. O-Ton Lasse, Schüler Internat Louisenlund: Es gibt einmal in Louisenlund den Altlunderbund, das sind, glaube ich, 1.500 Leute oder sowas, die da drin sind. Die sind ja über die ganze Welt verstreut und natürlich ist es dann so, wenn ich den anrufe und frage: Kann ich Bewerbungsgespräch haben bei Ihnen, dann lädt er mich natürlich ein und das ist natürlich dann ein Vorteil, dass man Lunder war und dass die Person, die ein Chef ist, auch ein Lunder ist. Der stellt einen vielleicht dann auch eher ein. O-Ton Theresa, Schülerin Internat Louisenlund: Ich werde nach dem Abitur auf jeden Fall noch ein Jahr nach Dubai gehen, weil eben einer bei mir aus dem Haus aus Dubai kommt oder auch zu einem Gynäkologen in die Schweiz, weil ich da eben auch Freunde habe. Und ich glaube, da bringt das schon sehr viel, in so einem internationalen Internat gewesen zu sein. Was auch dann eben der Unterschied zu einer staatlichen Schule wahrscheinlich ist. Staatliche Schulen haben auch kein eigenes Forschungsschiff mit Labor für naturwissenschaftliche Untersuchungen. Das gilt auch für internationale Reisen, Praktika und dergleichen mehr. Schülern und Lehrern ist durchaus bewusst, wie privilegiert sie sind. Allerdings sei die Luxusausstattung in Louisenlund nicht verantwortlich dafür, dass viele andere Schulen unterfinanziert sind. O-Ton Peter Rösner, Direktor Internat Louisenlund: Also, wenn Sie die 35.000 Euro nehmen, die Louisenlund kostet, dann gehen davon etwa 10.000 Euro, brauche ich, für den Unterricht. Das ist etwa doppelt so viel Geld, wie ein staatliches Gymnasium hat. Wer legt eigentlich fest, dass das Bildungsniveau unserer Kinder mit 5.000 Euro im Jahr pro Schüler abgedeckt ist? Wieso sagen wir nicht, es sind 10.000 Euro? Bislang sind die Bildungschancen in Deutschland abhängig von der sozialen Herkunft. Nur 19 Prozent der 25- bis 34-Jährigen machte laut OECD-Studie von 2015 einen höheren Schulabschluss als ihre Eltern. Deutschland belegt damit den vorletzten Platz in der OECD. Der Spielebus von Köln-Buchforst. 44 Prozent der Kinder leben in Buchforst von Hartz IV, obwohl viele Eltern arbeiten. Doch sie verdienen schlicht nicht genug zum Leben und müssen aufstocken mit Hartz IV. Sozialarbeiter merken ganz deutlich: Wer im Alltag ohne Geld groß wird, dem fällt es immer schwerer, die Leiter nach oben zu klettern. O-Ton Dominik Heinz, Sozialarbeiter Köln-Buchforst: Es wird aber ganz oft im Keim erstickt, weil es dann daran fehlt, dass man kein Geld hat für den Nachhilfelehrer, weil die Kinder quasi so überfordert sind, dass sie es alleine hinkriegen müssen, weil die Eltern es meistens nicht hinkriegen, denen so weit zu helfen oder in bestimmten Fächern ihnen so weit Unterstützung zu geben, dass es dann ganz oft dann so bleibt. Den Eltern hier fehlt nicht nur Geld, ihnen fehlt oft auch Zeit. Pausenbrote mit Mitschülern teilen, weil die morgens ohne Eltern aufstehen und ohne Frühstück in die Schule müssen. Nina kennt Eltern, die keine Zeit mehr für ihre Kinder haben. O-Ton Nina, Schülerin, 9. Klasse: Ja, oder vielleicht müssen die morgens schon arbeiten und dann haben die Kinder keine Zeit, weil sie zu spät aufstehen, weil die Eltern schon weg sind. Mario hat ein Jahr Berufskolleg hinter sich, jetzt hofft er auf eine Lehrstelle als Fahrradmonteur. Seine Schulzeit hindurch hat auf sich selbst aufgepasst. Seine Eltern waren häufig schon vor der Schule nicht mehr da. O-Ton Mario, 18 Jahre, sucht eine Lehrstelle: Von der ersten bis zur vierten Klasse ja, aber dann fing es an, dass meine Eltern nicht da waren, die mussten immer früh arbeiten. Dann habe ich halt gefrühstückt, mir die Zähne geputzt und so weiter, was man morgens halt so macht. Deutschland will Chancengleichheit. Doch die endet immer häufiger im Kindesalter. Anas hat vier Geschwister und eine alleinerziehende Mutter. Er hat es aufs Gymnasium geschafft, muss bei über 30 Mitschülern aber zusehen, dass er auch in Englisch mitkommt. O-Ton Anas, Schüler, siebte Klasse: Das Leben ist nicht perfekt, man gibt sich halt mit dem zufrieden, was man halt hat. Man muss ja auch nicht unbedingt alles haben. Es reicht auch schon mit dem, was ich habe. Also, ich kann mich nicht beschweren, weil es gibt noch viel schlimmere Sachen, wo halt die Leute gar keine Eltern haben oder in Afrika leben oder halt noch nicht mal eine Schulform haben. Deswegen bin ich eigentlich zufrieden. O-Ton Nina, Schülerin, neunte Klasse: Nur, weil einer weniger Geld hat, soll er einen schlechteren Start in die Schulzeit haben und mehr Leute in einer Klasse beispielsweise und wird dann weniger gefördert. Eigentlich müsste jedes Kind gleich gefördert werden. Und Schule allein reicht nicht zur Persönlichkeitsentwicklung. O-Ton Michael Hartmann, Soziologe: Sie müssen sich nur die Entwicklung bei den Musikschulen angucken. Es gibt ja viele Sachen, die außerhalb der Schule stattfinden, die heute viel schwieriger geworden sind. Das geht im Sport und so weiter und so fort, dass da die Misere der öffentlichen Hand, dass nämlich die Verschuldung der meisten Kommunen extrem hoch ist, das schlägt dann durch. Und da müsste natürlich öffentlich was gemacht werden, weil diejenigen die Geld haben, die können das alles privat machen. Familien aus der Mittelschicht dagegen, so wie die Wilms aus Bornheim, müssen die Freizeitaktivitäten ihrer drei schulpflichtigen Kinder knallhart kalkulieren. Die Wilms wohnen zur Miete. Hauptverdiener der Familie ist ihr Mann, Mutter Sylvia verdient als Aushilfslehrerin dazu, bekommt aber nur befristete oder Honorarverträge. Das heißt, die Wilms haben nur ein sicheres Einkommen. Aber allein privater Musikunterricht für drei Kinder, der kostet. O-Ton Sylvia Hellinger-Wilms, Mutter von drei Kindern: Man muss kalkulieren, was man macht, was man nicht macht. Wenn die Kinder zum Beispiel eine Ferienfreizeit machen möchten, Reiten oder wenn die Töpfern möchten oder, oder, oder. Das ist eine Kalkulation, klar, und das ist nicht ohne. Die beiden Töchter Meret und Judith gehen aufs Gymnasium, vielleicht studieren sogar mal alle drei, so wie ihre Eltern. Doch während Kinder reicher Eltern auf große Erbschaften und deutlich bessere Einkommen - allein aufgrund ihrer Herkunft hoffen können, schaffen es Kinder selbst aus der Mittelschicht immer seltener, sich später finanziell besserzustellen als ihre Eltern. O-Ton Bernhard Wilms, Verfahrenstechniker: Eigentlich ist das ja schon ein Paradoxon, dass ein Land immer mehr erwirtschaftet, aber trotzdem irgendwo Teile der Gesellschaft da halt nicht mitkommt. Und ich mache mir dann schon manchmal meine Gedanken, was passiert denn, wenn einer von uns ausfällt. Wir müssen halt funktionieren, das ist eben halt so. Und das würde die Sache natürlich etwas abmildern, wenn man schon so ein kleines gewisses Polster hat. Aber ich finde, so lange es uns gut geht, sollte man jetzt auch nicht so viel Trübsal blasen. Familien sind das von Politikern vielzitierte Rückgrat unserer Gesellschaft. Von Entlastung aber sei bei ihnen immer weniger zu spüren, finden die Wilms. Der erste Schultag nach den Ferien eine Woche Zelten in Bayern für 1.000 Euro war drin. An Altersvorsorge oder Vermögensaufbau braucht man bei drei Kindern erst gar nicht zu denken. O-Ton Sylvia Hellinger-Wilms, Mutter von drei Kindern: Wir sind ganz schön am Strampeln für unsere Familie. Wir reiben uns wirklich ganz schön auf, leben von der Hand in den Mund und haben gar keine Möglichkeit, was an die Seite zu legen. Hätte ich die Wahl, würde ich mir was wünschen können, dann hätte ich gerne eine Immobilie in Paris oder Köln, nur so als Sicherheit im Hintergrund. O-Ton Bernhard Wilms, Vater von drei Kindern: Soziale Gerechtigkeit ist auf jeden Fall von Nöten, damit eine gesamte Gesellschaft überhaupt bestehen kann, würde ich behaupten. O-Ton Frontal 21: Und das fehlt in Deutschland? O-Ton Bernhard Wilms, Vater von 3 Kindern: Also, man merkt immer mehr, dass der Druck auf dem Einzelnen lastet. Fehlende Chancengleichheit ist Deutschlands größtes Problem. Die Politik muss aufhören, soziale Ungleichheit nur zu verwalten. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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