Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Leuchtmittel für die Zellforschung
Von Anke Wilde
Wiederholung: Montag, 22. August 2016, 8.30 Uhr
Erstsendung: Montag, 27. Oktober 2014
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Günter Maurer
Produktion: SWR 2014
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MANUSKRIPT
Musik
Sprecherin:
Stellen Sie sich einmal zwei Bilder vor. Das eine hat einen schwarzen Hintergrund,
und darauf befinden sich grüne Farbtupfer. Das andere ist ebenfalls schwarz, aber es
sieht eher aus, als hätte jemand mit einem Pinsel rote Farbe aufs Blatt geschleudert.
Die Bilder könnten alles darstellen. Jemand könnte am Computer in seinem
Bildbearbeitungsprogramm ein paar Werkzeuge ausprobiert haben. Denkbar wären
auch Aufnahmen von Sternenhaufen oder stellaren Nebeln, die das Hubble-Teleskop
im Weltall gemacht hat.
O-Ton Szulzewsky:
Man muss halt wissen, worauf man guckt. Was man hier sieht, sind zwei Bilder, die
einen Tumorbereich zeigen.
Sprecherin:
Genauer: einen Gewebeschnitt durch das Gehirn einer Maus mit einem Tumor,
einem Gliom. Beide Bilder zeigen den gleichen Ausschnitt, nur dass das eine eben
die grüne Farbebene zeigt und das andere die rote. Frank Szulzewsky, Doktorand
am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin, zeigt auf die
Aufnahmen, die ein Forschungskollege erstellt hat:
O-Ton Szulzewsky:
Und da sind einmal die Gliomzellen grün markiert, und auf einem anderen Bild sieht
man im gleichen Bereich rot markierte Mikrogliazellen.
Geräusch – Bitzeln
Ansage:
Leuchtmittel für die Zellforschung
Eine Sendung von Anke Wilde
O-Ton Georgieva:
Ich arbeite mit Mikrogliazellen, und die sind die Immunzellen des zentralen
Nervensystems. Das heißt die sind da, um das Gehirn vor Angriffen zu schützen.
Früher hat man geglaubt, dass sie sehr passiv sind, mittlerweile weiß man, dass
sogar wenn sie nix tun, scannen sie sehr aktiv ihre Umgebung mit ihren langen
Fortsätzen und gucken, ob alles stimmt. Und in dem Moment, wo was nicht stimmt,
gehen sie dahin und reparieren die Wunde, oder fangen an, Stoffe abzusondern, die
dann mehr Zellen dazu bringen sollen als Helfer, oder können auch eine kleine
Entzündungsreaktion starten, und haben eine Rolle bei vielen verschiedenen
Erkrankungen, beispielsweise bei Alzheimer, bei Hirntumoren.
Sprecherin:
Das Einfärben von Zelltypen gehört in das Standardrezeptbuch von
Molekularbiologen wie Petya Georgieva, die am Max-Delbrück-Centrum in Berlin
promoviert. Der Vorteil davon liegt auf der Hand:
2
O-Ton Georgieva:
Es geht darum, buchstäblich sich ein Bild zu machen. Wenn man sich einen
Gewebeschnitt anguckt, dann sieht man nix. Das ist alles gleich. Das ist, wie wenn
man sich einen Wald von oben anguckt und man würde sich fragen, wo sind hier die
Eichen zum Beispiel. Und du würdest sagen, naja, ist alles grün, woher soll ich
wissen. Aber wenn die Eichen rot blühen würden, dann würdest du sehen, aha, alles
was rot ist, ist eine Eiche. Darum geht’s, die Sachen, die da sind, sichtbar zu
machen.
Sprecherin:
Wie bei jenem Bildausschnitt aus dem Gehirn einer Maus, in dem die Mikrogliazellen,
also die Gesundheitsagenten des Gehirns, rot gefärbt sind und die Krebszellen grün.
Was auffällt: Innerhalb des Krebsgewebes tummeln sich sehr viele rote
Mikrogliazellen, und direkt an der Grenze zwischen gesundem und krankem Gewebe
ist ebenfalls ein ordentlicher Andrang an roten Zellen.
O-Ton Georgieva:
Wenn man so ein schönes Bild sieht, dann muss man auch kein Wissenschaftler
sein, um zu erkennen, dass diese Zellen zum Tumor hin wandern. Das heißt, sie
spüren, dass da was ist, und gehen dahin, und dann, wenn man noch genauer guckt,
sieht man, dass sogar in dem Tumorgewebe selbst es sehr viele von unseren
Mikrogliazellen gibt. Und so kann man erkennen, dass die Mikrogliazellen für die
Entwicklung des Tumors eine Rolle spielen. Wenn man das Bild sieht, kann man
noch nicht sagen, warum bewegen sie sich zum Tumor? Anhand welcher
Signalmoleküle erkennen sie, dass dort ein Tumor ist? Was machen sie eigentlich in
dem Tumor drin? Man kann das alles nicht sehen, aber man kann sehen, dass es
wichtig ist.
Sprecherin:
Durch diese Art der Visualisierung werden also wissenschaftliche Hypothesen und
Erkenntnisse möglich. Nun sind Zellen freilich nicht von vornherein mit einer
bestimmten Farbe markiert – das ist ein Job, den die Experimentatoren selbst in die
Hand nehmen müssen. Sie verwenden dafür Fluoreszenzfarbstoffe, die nur dann
leuchten, wenn man sie mit Lichtwellen einer bestimmten Frequenz anregt. Wer jetzt
an Quallen oder Korallen denkt, die im Aquarium so schön im Schwarzlicht leuchten,
liegt ganz richtig – viele Fluoreszenzfarbstoffe, mit denen die Molekularbiologie
arbeitet, stammen von Ozeanbewohnern.
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Fluoreszenzfarbstoffe in die Zellen zu bringen. Da
gibt es die Methode mit den Antikörpern. Jeder Zelltyp produziert Proteine, die kein
anderer hervorbringt und über die man diesen Zelltyp identifizieren kann. Und dann
gibt es noch Antikörper, die mit ihrer chemischen Struktur genau zu diesen Proteinen
passen.
O-Ton Georgieva:
Wenn man von Antikörper spricht, dann spricht man gerne von Schlüssel-SchlossPrinzip. Das heißt, es ist ein anderes Protein im Endeffekt, was einfach sehr
spezifisch genau passen würde. Und er würde nirgendwo sonst passen, weil, das ist
wirklich eine sehr starke Verbindung, wenn sie wirklich einmal zustande kommt, dann
ist sie wirklich fest.
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Sprecherin:
Die Antikörper werden in die Gewebeprobe oder in die Zellkultur gegeben und
verbinden sich mit den zu ihnen passenden Proteinen. Sie selbst wiederum sind
bereits angefärbt, oder sie haben eine so spezifische Struktur, dass nur Moleküle
eines bestimmten Farbstoffes an sie binden, der nachträglich auf die Probe gegeben
wird. Allerdings sind das recht teure Verfahren, und man erwischt nicht immer alle
Zellen.
Es gibt aber auch noch eine andere Methode, um Zellen anzufärben. Dabei greift
man direkt in den genetischen Code ein, sprich: Man verändert die DNA so, dass
beispielsweise die Mikrogliazellen zusätzlich noch rot fluoreszierende Proteine
produzieren. Das Ergebnis: Unter Fluoreszenzmikroskopen leuchten die
Mikrogliazellen tatsächlich rot, und zwar ausnahmslos alle.
Um solche Verfahren zu ermöglichen, brauchte es jahrzehntelange Forschung von
Tausenden von Wissenschaftlern, und so einige Nobelpreise sind dabei
herausgesprungen.
Musik
O-Ton Perutz:
Die Fortschritte der Molekularbiologie zeigen einem, dass die Wunder der Natur noch
viel wunderbarer sind, als man sie sich je vorgestellt hat. Ich meine, schauen Sie sich
doch die Modelle an von Proteinen oder von Nukleinsäuren oder sagen wir den
Mechanismus eines Blutgerinnsels, um nur irgendetwas zu sehen, jeder dieser
Moleküle, jeder Mechanismus ist so unglaublich viel komplizierter, raffinierter, als
sich ein Mensch überhaupt noch je ausdenken konnte. Ich finde immer, dass durch
diese neuen Entdeckungen die Ehrfurcht vor der Natur nur noch erhöht wird.
Sprecherin:
Max Perutz, Jahrgang 1914, hatte seit den späten 1930er-Jahren in Cambridge
versucht, die Struktur des Blutfarbstoffs Hämoglobin zu entschlüsseln. Für die
Forschung war es da gerade interessant geworden, die Bausteine des Lebens in
ihrer molekularen Struktur zu verstehen. Chemiker und Physiker wie Perutz selbst,
Erwin Chargaff und Max Delbrück brachten neuen Schwung in die biologische
Forschung. Die Molekularbiologie entstand.
Max Perutz verwendete Röntgenstrahlen, um das Kristallisationsmuster des
Hämoglobins aufzuzeichnen. Eine mühselige Arbeit: Es sollte siebzehn Jahre
dauern, bis es ihm gelang, das Muster auszuwerten. Doch Perutz' Labor in
Cambridge wurde zu einem der führenden Institute in diesem Gebiet, dreizehn
Nobelpreisträger sind aus ihm bereits hervorgegangen.
1951 kam der junge Amerikaner James Watson in das Labor von Max Perutz. Er war
besessen von der DNA als Trägerin der Erbinformation und untersuchte gemeinsam
mit seinem Kollegen Francis Crick deren Kristallisationsmuster, ebenfalls mithilfe von
Röntgenstrahlen. Kurze Zeit später hatten die beiden Erfolg. In der Zeitschrift
„Nature“ veröffentlichten Watson und Crick 1953 einen Artikel, in dem sie auf die
Doppelhelix-Struktur der DNA verweisen. [Aus dieser speziellen Struktur schlossen
sie auf einen möglichen Vervielfältigungsmechanismus für das genetische Material –
nämlich dass die Doppelhelix wie ein Reißverschluss aufgetrennt und die beiden
Hälften neu kombiniert werden könnten.] Aus heutiger Sicht war das der vielleicht
wichtigste Durchbruch in der DNA-Forschung.
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Max Perutz erinnerte sich an den jungen Watson als einen Menschen, der ihm und
seinen Kollegen gehörig die Köpfe verwirbelte.
O-Ton Perutz:
Watson hatte einen kolossalen Einfluss auf uns damals, es war wirklich erstaunlich.
Wir waren doch alle Physiker und Kristallographen, und wir haben an Problemen der
Proteinstruktur gearbeitet. Da kam plötzlich dieser junge Bursch, der Watson, der
zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alt war und uns zu überzeugen versuchte, dass das
Geheimnis des Lebens nicht vornehmlich in der Struktur der Proteine liegt, wie die
meisten von uns glaubten, sondern in der Struktur der Gene, der Nukleinsäuren. Und
als Genetiker, als Biologe hat er unseren Horizont enorm erweitert. Watsons Ankunft
hat die Atmosphäre elektrifiziert, er hat uns auf ganz neue Gedanken gebracht und
uns erst wirklich sozusagen in Molekularbiologen verwandelt, statt einfach
Proteinkristallographen zu sein.
Sprecherin:
James Watson war später einer der Mitbegründer des Human-Genomprojekts. Das
internationale Forschungsprojekt war 1990 mit dem ehrgeizigen Ziel gestartet
worden, die gesamte DNA mit den darauf befindlichen Genen zu entschlüsseln.
Heute weiß man: Circa 200 Zellarten hat der Mensch. Ihre Aktivitäten werden von
etwa 20- bis 25.000 Genen geregelt, die sich allesamt als Molekülketten in der DNA
aneinanderreihen.
Im Laufe der Jahre verstand man außerdem mehr und mehr, dass bestimmte
Krankheiten wie Krebs oder auch die Sichelzellenanämie auf Schäden im Erbgut
zurückzuführen sind. Das bedeutet nicht weniger, als dass die entsprechenden
Abschnitte der DNA eine andere molekulare Struktur haben als beim gesunden
Menschen. Über diesen Zusammenhang zwischen dem molekularen Aufbau der
DNA und der Erkrankung staunte auch der Nobelpreisträger Max Perutz, der so
ziemlich sein ganzes Forscherleben dem Hämoglobin gewidmet hatte.
O-Ton Perutz:
Nicht, wie ich angefangen hab, habe ich geglaubt, es gibt im Menschen nur ein
Hämoglobin, aber dann entdeckten die Leute zuerst Ende der Vierzigerjahre, dass
die Gene, die die Hämoglobinketten bestimmen, dass diese Gene mutieren, und
dass manche Leute abnormale Hämoglobine haben, und dass solche abnormalen
Hämoglobine zu Erbkrankheiten führen können. So kamen die Biochemiker und
Ärzte zu mir und sagten: Sie haben doch die Struktur von Hämoglobin bestimmt, wie
erklären Sie jetzt diese Krankheiten? Und dann machte ich mich daran, ob es
vielleicht möglich ist, aufgrund einer Atomstruktur die Symptome einer Erbkrankheit
zu erklären. Und zu meiner Freude ist das wirklich gelungen. Und man kann bei der
großen Mehrzahl der Erbkrankheiten genau nach einfachen Gesetzen der Chemie
und Physik erklären, warum diese Patienten anämisch sind oder warum diese
Patienten zu viele rote Blutkörperchen haben oder warum die Sauerstoffübertragung
gestört ist. So sehen Sie, das habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht
vorgestellt, wie ich die Hämoglobinarbeit angefangen hab, dass sie dazu führen wird,
dass man zum ersten Mal Erbkrankheiten auf molekularer Basis interpretieren kann.
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Sprecherin:
Auf Frank Szulzewskys Computerbildschirm im Berliner Max-Delbrück-Centrum
leuchtet ein Foto von Nicolas Cage mit Sonnenbrille und Krawatte und einer dicken,
schmauchenden Zigarre.
O-Ton Szulzewsky:
Das passiert, wenn man seinen Rechner mal nicht absperrt. [Dann kommt der
Nachbar und verändert das Bild.]
Mausklicken
Sprecherin:
Frank Szulzewski öffnet ein Programm, …
O-Ton im Hintergrund Szulzewsky:
Ähm, nehmen wir mal die ...
Sprecherin:
… und es erscheint eine schier endlose Folge der Buchstaben A, T, G und C.
O-Ton Szulzewsky:
Okay, also was man jetzt sieht, man hat jetzt ... okay, man sieht jetzt nichts (lacht).
Was wir hier sehen, das ist die Basensequenz von dem ganzen Plasmid. Das sind
ca. 7.300 einzelne Basen, Nukleotide, also ein genetischer Code, A, T, G, C, weil der
biologische Bauplan nur aus diesen vier Basen besteht.
Sprecherin:
Diese vier Basen A, T, G, C – Kürzel für Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin –
treten immer paarweise auf. Wenn man sich die DNA als eine Strickleiter vorstellt,
dann bilden die Basenpaare die Trittstufen. In welcher Abfolge sich die Basenpaare
aneinanderreihen, das macht den genetischen Code aus.
Der genetische Code auf Frank Szulzewskis Monitor beschreibt eine Molekülkette,
die ein Biotechnologie-Unternehmen speziell für die Forschung hergestellt hat. Sie
enthält ein Gen, das die Produktion von mCherry ankurbelt, einem Protein, das eine
Zelle kirschrot leuchten lässt. Die ATGC-Buchstabenfolge dafür geht am Monitor
über vielleicht zehn Zeilen. Dieses Gen, oder auch: diese molekulare Sequenz
braucht Frank Szulzewsky, um sie in seiner Zellkultur in die Mikrogliazellen
einzubauen.
Um die Sequenz aus der DNA herauszulösen, verwendet man Restriktionsenzyme.
Das sind Moleküle, die bestimmte Kombinationen von Basenpaaren in der DNA
erkennen und sie zerschneiden. Das heißt, sie setzen an einer klar bestimmten Stelle
auf der Strickleiter die Schere an und schneiden sie in zwei kürzere Strickleitern.
Mehr als dreitausend Restriktionsenzyme sind inzwischen bekannt. Welche von
ihnen jeweils in Frage kommen, entscheiden die Forscher mithilfe von
Computerprogrammen. Das Programm zeigt ihnen an, welches Restriktionsenzym
wo und wie oft eine Molekülkette durchtrennen würde.
O-Ton Szulzewsky:
Man wählt aus, welche sieht so aus, als ob sie in dem ganzen Plasmid nur einmal
schneiden würde. Das wären zum Beispiel die hier (…) Und dann kann ich einfach
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nachverfolgen, zum Beispiel, das und das Restriktionsenzym würden dann genau
meine Sequenz flankieren. Das heißt genau diese beiden Restriktionsenzyme könnte
ich verwenden, um die Sequenz auszuschneiden aus dem Plasmid.
Musik
O-Ton Arber:
Restriction is a phenomenon which you largely see in all bacteria, but not really in
higher organisms. In bacteria the DNA is i would say floating in the cytoplasm rather
than forming chromosomal structures like in higher organisms. With that it was
possible to question what is the function of restriction enzymes? Maybe I should say,
it was clear, when bacterial cells show the phenomenon of restriction, that means,
that whenever foreign DNA enters a cell by one mean or another (…), the incoming
DNA is identified as foreign, is O-Ton into fragments, and other enzymes then O-Ton
the fragments relatively rapidly, just within a few minutes.
Zitator:
Restriktion ist ein Phänomen, das sich im Wesentlichen bei Bakterien findet, aber
eigentlich nicht in höheren Lebewesen. In Bakterien schwimmt die DNA eher im
Zellplasma herum als dass sie Chromosomen formen würde, wie das bei höheren
Lebewesen passiert. Damit stellte sich die Frage, was denn die Funktion der
Restriktionsenzyme ist? Vielleicht sollte ich sagen, es war klar, wann Bakterienzellen
das Phänomen der Restriktion aufzeigen, nämlich immer dann, wenn eine fremde
DNA auf die eine oder andere Weise in die Zelle eindringt. Die hereinkommende
DNA wird als fremd identifiziert, in Fragmente geschnitten, und andere Enzyme
zerschneiden dann diese Fragmente. Das geht relativ schnell, innerhalb von ein paar
Minuten.
Sprecherin:
Der Schweizer Mikrobiologe Werner Arber hatte Anfang der 60er-Jahre die
Restriktionsenzyme als Teil des Abwehrsystems von Bakterien entdeckt.
Die Forschergemeinde in den Vereinigten Staaten erkannte relativ bald, dass diese
Enzyme die Möglichkeit boten, gezielt in die DNA einzugreifen. Damit war der
Grundstein gelegt für die moderne Gentechnik. Auf dem Alten Kontinent ließ diese
Erkenntnis noch eine Weile auf sich warten, erinnerte sich Arbers Doktorvater
Eduard Kellenberger:
O-Ton Kellenberger:
Die Restriktionsenzyme, die Werner Arber in Genf begonnen hatte zu untersuchen,
wurden kaum beachtet, er hatte wohl die Kredite bekommen vom Nationalfond, aber
in der Weltöffentlichkeit war das völlig ohne Interesse, und ich wurde mehrmals
gefragt, warum man so etwas überhaupt unterstütze, und das sei doch sowieso
nutzlos und sinnlos usw. Das Interesse für die Restriktionsenzyme kam eigentlich
erst dann, als einige amerikanische Forscher sie begannen einzusetzen für die InVitro-Rekombination von Nukleinsäuren. Und als ich, es war in '78, in Amerika
Besuche machte und Freunde besuchte, hat sich einer noch beklagt, dass seine
Studenten überhaupt keine Ahnung hätten von Restriktionsenzymen und von einem
Werner Arber, und er fand das eigentlich traurig, denn ohne ihn hätte es die moderne
Entwicklung nicht gegeben. Und als ich dann in die Schweiz zurückkam, und Werner
Arber war in den Ferien und dann kam plötzlich die Nachricht, dass er den
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Nobelpreis habe, und alles war aufgeregt und hat versucht die Lücken zu füllen, bis
er zurück war.
Sprecherin:
Etwa zur selben Zeit, als Werner Arber die Restriktionsenzyme entdeckte, begann
der japanische Biochemiker Osamu Shimomura sich mit der Bioluminiszenz von
Meereslebewesen zu befassen. Er wollte herausfinden, mithilfe welcher chemischen
Strukturen Quallen leuchten. Aus einer Qualle mit dem klangvollen Namen Aequorea
victoria extrahierte er 1961 das Grün fluoreszierende Protein, kurz: GFP. Es
vergingen fast drei Jahrzehnte, in denen man noch nicht daran dachte, dieses
Protein als genetischen Marker zu verwenden. Bis schließlich der amerikanische
Biologe Martin Chalfie im Rahmen einer Seminarreihe an seinem Institut zum ersten
Mal von dem Grün fluoreszierenden Protein hörte. Damals forschte er an der
Nematode Caenorhabditis elegans. Das GFP ließ ihn nicht mehr los, wie er in seiner
Nobelpreisrede 2008 erzählt.
O-Ton Chalfie:
I immediately started fantasizing about putting GFP into worms... did not need a
cofactor or other small molecule to fluoresce.
Zitator:
Ich begann sofort zu phantasieren, wie man GFP in Würmer bringen könnte. Und ich
muss gestehen, dass ich dem Rest des Seminars keine Aufmerksamkeit mehr
schenkte, so aufgeregt war ich. Den nächsten Tag verbrachte ich am Telefon, und
schließlich sprach ich mit Douglas Prasher, der am Woods Hole Oceanographic
Institute war und der die komplementäre DNA von GFP klonen wollte. Wir hatten eine
wunderbare Unterhaltung, stellten fest, dass wir ähnliche Ideen hatten, was man mit
GFP anstellen kann, und beschlossen zusammen zu arbeiten – sobald Douglas mit
dem Klonen fertig war. [An diesem Tag lernte ich, dass GFP verschiedene
Eigenschaften hat, die es zu einem attraktiven Kandidaten für einen biologischen
Marker machten. Es ist ein relativ kleines Protein mit nur 238 Aminosäuren. Es kann
mit ultraviolettem und mit blauem Licht angeregt werden. Es ist ein stabiles Protein,
das im Licht nicht so leicht ausbleicht. Und das aktive Protein benötigt keine
zusätzlichen Faktoren oder andere Moleküle, um zu leuchten.]
Sprecherin:
Es vergingen noch einige Jahre, bis Chalfie das für dieses Protein zuständige Gen
tatsächlich in einen anderen Organismus einbringen konnte. Das war 1994.
Schließlich gelang es dem Zellbiologen Roger Tsien, das Protein zu transformieren
und es in anderen Farben leuchten zu lassen. Die drei Forscher wurden dafür 2008
mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt. Sie hatten die Leuchtmittel geliefert, mit
denen wie auf einem Familienfoto das Zusammenspiel unterschiedlicher Zelltypen
festgehalten werden konnte.
Labor Gelelektrophorese
O-Ton Szulzewsky:
Das sind hier die Laborräumlichkeiten für die Molekularbiologie, das heißt hier würde
man halt viel mit DNA arbeiten. Hier drüben ist auch – hier nichts anfassen – und hier
drüben ist auch die Aufreinigung der DNA anhand der Gelelektrophorese.
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Sprecherin:
Das Aussehen des Tisches, auf den Frank Szulzewsky weist, lässt keinen Zweifel
daran, dass Vorsicht hier das oberste Gebot ist. Seine Kanten sind knallrot
abgeklebt, und rote Schrift warnt an der einzigen noch freien Stelle vor der
krebserregenden Substanz, die hier verwendet wird: Ethidiumbromid. Dieser Stoff hat
aber auch eine Eigenschaft, die die Wissenschaftler sehr schätzen: Er heftet sich an
DNA an und lässt sie unter UV-Licht leuchten.
Frank Szulzewsky zieht sich orangefarbene Handschuhe über, die ihn ebenfalls
daran erinnern, dass er mit einem giftigen Stoff hantiert. Aus der Lösung mit den
DNA-Schnipseln will er nun das Bruchstück, das in seiner Zellkultur die
Mikrogliazellen kirschrot leuchten lassen soll, isolieren. Dabei hilft ihm die GelElektrophorese. Dieses Verfahren ist sehr billig und so etwas wie der Goldstandard,
wenn man in der Molekularbiologie aus Lösungen mit mehreren Substanzen eine
bestimmte Substanz herausfischen will.
Das Prinzip ist bestechend einfach. Man nehme Agarose, ein Algenprodukt, und
koche daraus ein Gel, das die Konsistenz von Götterspeise oder Aspik hat. Zum
Schluss fügt man noch Ethidiumbromid hinzu. Diese Masse kommt in ein spezielles
Gefäß, an dessen Enden elektrischer Strom angelegt wird. Und dahinein wird die
Lösung mit den DNA-Bruchstücken pipettiert.
O-Ton Szulzewsky, Bibliothek:
Man muss sich eine Gelelektrophorese so vorstellen, dass man ein Gel hat, und man
legt am Anfangspol eine negative Spannung an und am Endpol eine positive
Spannung. Die DNA ist negativ geladen durch die Phosphatreste, das heißt, sie läuft
vom negativen Pol zum positiven Pol. Es kommt quasi eine Auftrennung, und da die
Agarose eine bestimmte Grobmaschigkeit hat, laufen kleine Stücke schneller als
große Stücke. Das heißt man hat wirklich eine Auftrennung der Größe nach.
Sprecherin:
Außerdem lässt man neben den eigenen Proben eine Vergleichslösung mitlaufen,
die DNA-Stücke mit unterschiedlichen, klar definierten Größen enthält. Deren
Laufmuster vergleicht man mit dem der eigenen Proben. Nach dreißig bis sechzig
Minuten Laufzeit sind im Gel alle DNA-Sequenzen der Größe nach sortiert. Das
Gelstück kommt unters UV-Licht, die DNA-Sequenzen beginnen zu leuchten, und die
Stellen, an denen man die gesuchte Sequenz identifiziert, schneidet man mit einer
Art Skalpell heraus. Das Schnittstück wird dann weiter gereinigt und die DNASequenz von den Gel-Überresten befreit.
Das isolierte Gen bringt Frank Szulezewsky später in die abgespeckte Form eines
Retrovirus ein. Ähnlich wie beim Zerschneiden der DNA-Moleküle sorgen bestimmte
Enzyme dafür, dass die DNA-Schnipsel wieder zusammengefügt werden. Dieses
Virus kann außerhalb des Labors nicht überleben. Doch wenn der Biologe es in die
Zellkultur mit den Mikrogliazellen gibt, dann reicht diese minimalistische Struktur aus,
um sich in das Erbgut dieser Zellen einzunisten – ähnlich, wie wenn das AIDS
verursachende HI-Virus sich ins menschliche Erbgut einschleicht. Die Zellen werden
quasi mit dem kirschrot machenden Gen infiziert. Dasselbe kann er mit den
Tumorzellen anstellen und sie mit dem Gen infizieren, das in den Zellen die
Produktion von Grün fluoreszierendem Protein ankurbelt.
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O-Ton Szulzewsky:
In der Zellkultur, wo ich sowieso schon rote Mikroglia drin habe, da könnte ich dann
grüne Tumorzellen injizieren, um dann das Tumorwachstum direkt zu beobachten.
Quasi live.
Sprecherin:
Für spätere Experimente kann er die grün und rot leuchtenden Zellen auch einfrieren
und sie bei Bedarf wieder auftauen.
Labor Kühlschrank -165 Grad
[Sprecherin:
All diese Arbeitsschritte sind in der Molekularbiologie relativ häufig. Darum konnte
sich auch eine industrielle Infrastruktur für die Grundlagenforschung entwickeln. Die
Firmen beliefern die Labore mit Experimentierkits, die die nötigen Substanzen und
auch das Protokoll enthalten, nach denen die Forscher Schritt für Schritt vorgehen.
Bei der jungen Generation von Molekularbiologen spricht man darum bisweilen von
den Kit Kids. Manchmal nämlich dringen die Wissenschaftler in so spezialisierte
Bereiche vor, dass ihnen die chemischen Grundlagen ihrer Arbeit abhandenkommen.
O-Ton Szulzewsky
Früher, vor zwanzig, dreißig Jahren war es so, die ganzen Chemiker wussten, ja,
dann nehme ich halt Ethanol zum Fällen, oder Isopropanol, oder nehme halt Glycerin
für sonstwas, oder ich senke halt den pH, um es halt abzusondern von der Säule,
aber heute ist es … ist es halt auch so, dass man das halt nur stur nach Plan macht,
aber nicht mehr wirklich weiß, was man da macht. Ich meine, wir sind halt auch
Biologen, und wir sind auch keine Chemiker, und deswegen denken wir uns die
Experimente aus und wissen, wie bestimmte andere biologische Abläufe
funktionieren, aber diese grundlegenden chemischen Abläufe, die halt zur Isolation
da sind, das sind nicht unsere Expertisen. Das sind halt auch Sachen, die man
einfach bestellt und anwendet, und dann ist es gut. (lacht)]
Sprecherin:
Frank Szulzewsky wird seine Zellkultur mit den leuchtenden Zellen nun mit einem
speziellen Fluoreszenzmikroskop untersuchen. Das Mikroskop wird durch
verschiedene Lichtwellen die verschiedenen fluoreszierenden Proteine anregen, und
mCherry wird dann rot leuchten und GFP grün. Mit ihrer Hilfe wird er sehen, wo sich
in seiner Zellkultur die Tumorzellen befinden, wie sie sich vermehrt haben und wie
sich die Mikrogliazellen verhalten. Für ihn fängt die Suche nach Antworten auf seine
Fragen jetzt erst richtig an.
O-Ton Szulzewsky
Im Hirntumor ist es so, dass Mikrogliazellen, also Zellen des angeborenen
Immunsystems, in großen Massen in den Tumor einwandern und aber vom Tumor so
verändert werden, dass sie dem Tumor beim Wachstum helfen. Sie helfen dem
Tumor insofern, indem sie das Hirngewebe teilweise auflösen und wie Schneisen in
das Hirngewebe schneiden, durch die dann der Tumor sehr invasiv in das
Hirngewebe migrieren kann. Und wir untersuchen, über welche Wege Gliomzellen
mit Mikrogliazellen interagieren und auf welche Weise sie verändern, sodass sie halt
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dem Tumor helfen. Mit der Hoffnung, die Zellen irgendwann so umprogrammieren zu
können, dass sie den Tumor irgendwann bekämpfen und nicht ihm helfen.
Sprecherin:
Zauberei und Wunderwerk, dieser Gedanke kommt durchaus, wenn man dann
schließlich so eine Aufnahme von einer Zellkultur sieht. Doch die Forschungsarbeit
ist sehr kleinteilig, denn die Prozesse des Lebens sind äußerst komplex und
verschachtelt, und das Scheitern von Experimenten ist etwas, von dem die
Wissenschaftler ein langes Lied singen können. Und was in der Zellkultur dann
endlich funktioniert, klappt noch lange nicht im lebenden Organismus.
Der Erkenntnisgewinn erfolgt also meist nur in kleinsten Schritten, denn von der
einen Erkenntnis zur nächsten ist es ein langer experimenteller Weg. Tatsächliche
Wirkstoffe zur Heilung liegen darum bei vielen genetischen Krankheiten wie dem
Gehirntumor noch in weiter Ferne. Und doch, sie sind in den Bereich des Möglichen
gerückt.
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