Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ... MA-Verlag Elektronische Zeitung Schattenblick DIE BRILLE / REPORT Zukunft, Literatur, Gesellschaft - der Betrieb, der Markt, die eigenen Interessen ... (2) Der literarische Untergrund Tagung im Literaturforum im BrechtHaus in Berlin Mitte (SB) 24. August 2016 Die Tagung "Richtige Literatur im Falschen?", die im Literaturforum im BrechtAnn Cotten Haus vom Foto: © 2016 19. bis 21. by Schattenblick Mai stattfand, stand unter einer klaren Themen- und Fragestellung. Nicht die Literatur um ihrer selbst willen sollte im Mittelpunkt der sich über drei Tage ... (S. 8) POLITIK / KOMMENTAR Schwarze Staatspädagogik (SB) 24. August 2016 Ganz so hintergrundslos, wie einige Oppositionspolitiker meinen, ist die "Panikmache" der Bundesregierung nicht, wenn sie die Bevölkerung zur Einlagerung von Lebensmitteln für Katastrophensituationen und Notstandszenarios auffordert. Die Einbeziehung der Bundesbürger in ihre geostrategischen Ambitionen ... (S. 3) Donnerstag, 25. August 2016 Problem Altersarmut an der Wurzel packen Sozialverband Deutschland fordert Paradigmenwechsel Daß die Renten sicher seien, ist ein Treppenwitz aus der kurzen Blütezeit des deutschen Wirtschaftswunders, der wie so viele andere Heilsversprechen der sogenannten freien und sozialen Marktwirtschaft längst auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt ist. Gescheitert ist auch die Riester-Rente, und daß Altersarmut grassiert, wird heutzutage wohl niemand mehr bestreiten. Wie man eine jüngere Generation, der es schlechter als der ihrer Eltern geht, aber zugleich auch die älteren Menschen, denen ein trostloser Lebensabend in Aussicht steht, bei der Stange unwidersprochenen Verzichts auf ein Leben in Würde halten kann, gehört zu den zentralen Fragen der Sozialpolitik. Während sich jedoch an anderen Kriegsschauplätzen des Sozialkampfs mit Muslimen, Flüchtlingen, Bildungsfernen, sozial Schwachen und anderen Zielscheiben der Bezichtigung Opfer der Umlastung aufs Korn nehmen lassen, ist das bei alten Menschen nicht so einfach: Das Glaubensbekenntnis der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, daß nur der im Rentenalter nichts zu beißen habe, der nicht ordentlich eingezahlt hat, ist Schall und Rauch. Das Problem der Altersarmut steht wie ein Elefant im Raum, den zu (SB) 24. August 2016 ignorieren es eines aufwendigen Budenzaubers vorgeblicher Rentenreformen bedarf. Wie der Sozialverband Deutschland (SoVD) in Berlin bei der Vorstellung seines Positionspapiers "Bekämpfung von Altersarmut" dargelegt hat, sind immer mehr Menschen auf die Grundsicherung im Alter angewiesen, weil ihre Rente nicht reicht. [1] Ende 2005 erhielten demnach 343.000 Menschen Grundsicherungsleistungen, neun Jahre später waren es 512.000, derzeit sind es bereits rund 540.000. Und nach Einschätzung des Verbands werden von 2020 an bis zu einem Viertel der künftigen Rentenbezieher Grundsicherung in Anspruch nehmen müssen - sofern kein grundlegender Paradigmenwechseln in der Rentenpolitik vorgenommen wird. Mit einer Mixtur aus kosmetischen Korrekturen, haltlosen Versprechen und weiteren Bürden auf den Schultern der Betroffenen ist kein Staat zu machen oder zumindest keine Regierungspolitik, die sich mit Blick auf die anstehenden Wahlen in diesem und dem kommenden Jahr ihrer Sessel halbwegs sicher sein könnte. So war in den vergangenen Wochen wieder einmal die Frage des Elektronische Zeitung Schattenblick Renteneintrittsalters hochgekocht und kontrovers gewälzt worden. Finanz-Staatssekretär Jens Spahn (CDU) forderte eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters, worauf es Kritik auch aus den eigenen Reihen setzte. Der stellvertretende Bundesvorsitzende des CDU-Sozialflügels CDA, Christian Bäumler, warf Spahn "Realitätsverweigerung" angesichts eines durchschnittlichen Renteneinstiegsalters von 64 Jahren vor. Zuvor hatte sich die Bundesbank für eine Rente mit 69 ab dem Jahr 2060 stark gemacht. Sigmar Gabriel nannte dies eine "bekloppte Idee", und die Bundesregierung verteidigte ausdrücklich die Rente mit 67. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will im Herbst ein neues Rentenkonzept vorlegen, da der heraufziehenden Bundestagswahlkampf, den das Thema Renten in erheblichem Maße bestimmen dürfte, seinen Schatten vorauswirft. Hingegen will der Sozialverband das Übel nicht ausreichender Rentenansprüche insofern bei der Wurzel packen, als er sie zur Erwerbsphase rückkoppelt. Altersarmut beginne nicht erst mit dem Renteneintritt, sie nehme in jungen Jahren ihren Lauf, sagte SoVD-Präsident Adolf Bauer. Deshalb setze der Sozialverband schon während der Erwerbstätigkeit an. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors mit Leiharbeit, befristeten Verträgen und Minijobs trage maßgeblich zu den geringen Rentenansprüchen bei. [2] Um Armut im Alter vorzubeugen, müsse der Mindestlohn auf 11,60 Euro angehoben werden. Nur so sei nach 45 Arbeitsjahren eine angemessene Rente zumindest in Höhe der Grundsicherung von derzeit 773 Euro monatlich Seite 2 zu erreichen. Die im nächsten Jahr geplante Anhebung von derzeit 8,50 auf 8,84 Euro reiche nicht aus. Zudem empfiehlt der Verband eine Einschränkung prekärer Beschäftigungen, um so Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung in der Erwerbsphase auszubauen. Etwa 25 Prozent der Arbeitnehmer seien geringfügig beschäftigt, ähnlich hoch dürfte der Anteil der von Armut betroffenen älteren Menschen sein. Es seien nach wie vor Frauen, die solche Beschäftigungen hätten, weil vor allem sie sich um Kindererziehung und pflegebedürftige Angehörige kümmerten. punkte angerechnet werden. Zudem müsse die viel zu niedrige Erwerbsminderungsrente für Menschen mit gesundheitsbedingter Berufsunfähigkeit deutlich angehoben werden, und nicht zuletzt sollten durch Arbeit erworbene Rentenansprüche wie auch Leistungen aus der RiesterRente nicht länger vollständig mit der Grundsicherung verrechnet, sondern teilweise zusätzlich ausgezahlt werden. [3] Wie soll dieses Gesamtpaket mit einem Volumen von mindestens 35 Milliarden Euro pro Jahr finanziert werden? Den obligatorischen Einwand, diese Wunschliste gehe auf Kosten der jüngeren Generationen, die all die Wohltaten bezahlten müßten, bezeichnete Bauer als Angstmacherei "interessierter Kreise", namentlich des Arbeitgeberlagers, der Versicherungswirtschaft und politische Akteure, die mit der Rente "ihr Süppchen kochen". Zum einen glichen steigende Produktivität und höhere Frauenerwerbstätigkeit die demographischen Verschiebungen aus. Zum anderen könnten Erhöhungen des Einkommenssteuerspitzensatzes und der Kapitalertragssteuer sowie die Wiederbelebung der Vermögenssteuer die erforderlichen Mittel bereitstellen. Die Vorschläge des SoVD gehen über bloße Kurskorrekturen weit hinaus, beinhalten sie doch die vollständige Abkehr von den Rentenreformen der vergangenen 20 Jahre. Das Rentenniveau (Verhältnis von Durchschnittsrente zu Durchschnittslohn) müsse von derzeit 47,7 auf 50 Prozent erhöht werden. Von Erhöhungen des Renteneintrittsalters müsse Abstand genommen werden. Der Nachhaltigkeitsfaktor, der den Anstieg der Renten abbremst, solle abgeschafft werden, und zum Ausgleich der Rentenniveauverluste aus den vergangenen Jahren müßten die Renten mehrere Jahre lang außerplanmäßig stärker steigen. Um der Altersarmut zu begegnen, schlägt der Sozialverband Des weiteren solle der Staat für Deutschland also ein MilliardenHartz-IV-Empfänger 50 Prozent programm vor. Höhere Einkünfte des Durchschnittsbeitrags an die der Erwerbstätigen sollen zu steiRentenkasse abführen, die Müt- genden Rentenbeiträgen führen, terrente sei abermals um sieben die durch einen erheblich umMilliarden Euro aufzustocken, für fangreicheren Bundeszuschuß erbereits zurückliegende Zeiten der gänzt werden müssen. Die dafür Langzeitarbeitslosigkeit und erforderlichen Steuergelder soll Niedriglohnbeschäftigung müß- der Staat bei den Reichen eintreiten nachträglich Mindestentgelt- ben. Im Unterschied zu den Bauwww.schattenblick.de Do, 25. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick stellen der zurückliegenden Rentenreformen, die die Lage der Betroffenen nur noch verschärft haben, legt der Verband ein Konzept vor, das Hand und Fuß hat. Diese Vorschläge seien "ein Signal an die Bundesregierung, daß es möglich ist, Altersarmut zu verhindern und die gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest zu gestalten". Um diesen Entwurf durchzusetzen, müßte allerdings die unablässige Umverteilung von unten nach oben ausnahmsweise einmal umgekehrt werden. Oder wie es Bauer formuliert: "Es geht um eine Frage der sozialen Gerechtigkeit!" Anmerkungen: [1] http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/Sozialverband-fordertSteuergeld-zur-Sicherung-der-Rente-5046927 [2] https://www.jungewelt.de/2016/08-24/020.php [3] http://www.mz-web.de/wirtschaft/25-prozent-betroffen-rasantezunahme-der-altersarmut-ab-2020erwartet-24634716 http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/redakt/ szls2097.html POLITIK / KOMMENTAR Schwarze Staatspädagogik (SB) 24. August 2016 Ganz so hintergrundslos, wie einige Oppositionspolitiker meinen, ist die "Panikmache" der Bundesregierung nicht, wenn sie die Bevölkerung zur Einlagerung von Lebensmitteln für Katastrophensituationen und Notstandszenarios auffordert. Die Einbeziehung der Do, 25. August 2016 Bundesbürger in ihre geostrategischen Ambitionen, die im aktuellen Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands in hinlänglicher Deutlichkeit ausgeführt sind, gelingt am besten, wenn der Mensch ganz persönlich mit den möglichen Problemen des Ernstfalls in Berührung kommt. Auch nur mit der theoretischen Möglichkeit einer Unterbrechung der permanenten Verfügbarkeit fast aller Konsumgüter konfrontiert zu sein führt automatisch zu einer höheren Wertschätzung der Rundumversorgung mit allen essentiellen Lebensmitteln. Die Angreifbarkeit der zivilen Infrastruktur bekannt zu machen ist nicht nur für den Ausnahmezustand von Belang, sondern stärkt die mehrheitliche Zustimmung zu den herrschenden gesellschaftlichen und politische Verhältnissen. Was der Blick in die Elends- und Armutsregionen der Welt seit jeher für die Befriedung sozialer Widersprüche hierzulande leistet, wird durch die Erinnerung daran, daß die Sicherung der Versorgung mit Energie und Nahrungsmitteln nicht umsonst zu haben ist, in neue Dimensionen staatsbürgerlicher Affirmation getrieben. Dabei geht es nicht nur, wie propagiert, darum, durch präventive Maßnahmen quasi schicksalhaft über das Land hereinbrechenden zivilen und militärischen Katastrophen vorzubeugen, um folgenschwere Kontrollverluste zu vermeiden. Souveränes Regierungshandeln beweist sich dem Schmittschen Diktum gemäß darin, über den Ausnahmezustand zu verfügen. Das betrifft weniger die prognostische Sicherheit, mit der sich Stör- und Schadensfälle vorhersagen lassen, als vielmehr das Kalkül, mit dem die absehbaren www.schattenblick.de Folgen eigener geostrategischer Aktivitäten antizipiert und in Gebrauch genommen werden. So ist die Unübersichtlichkeit einer angeblich "hybriden" Kriegführung, wie im aktuellen "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr" [1] erklärt, kein ausschließlich passiv erlittenes Kriterium der Bedrohung Deutschlands durch staatliche und nichtstaatliche Akteure. Auch staatliche und privatwirtschaftliche Agenturen in der Bundesrepublik wissen "Informationsoperationen (zum Beispiel Propaganda), wirtschaftlichen und finanziellen Druck sowie Versuche zur politischen Destabilisierung" einzusetzen, wie der Konflikt um die Ukraine oder die Inszenierung "bunter" Revolutionen in den Transformationsstaaten Osteuropas zeigt. Auch eine Bundesregierung "verwischt die Grenze zwischen Krieg und Frieden und kann gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot verstoßen", wie etwa die Beteiligung der Bundeswehr am Überfall der NATO auf Jugoslawien belegt. Zudem haben diverse NATOStaaten und außenpolitische Partner Deutschlands bei militärischen Interventionen und Aggressionen - exemplarisch die Eroberung des Iraks 2003 - "die Rolle als Angreifer und Konfliktpartei gezielt verschleiert" mit der Absicht, "die sofortige und entschlossene Reaktion des angegriffenen Staates" zu unterminieren. Die Militarisierung des Zivil- und Katastrophenschutzes findet denn auch nicht erst mit dem aktuell im Kabinett verabschiedeten Zivilschutzkonzept statt. So steht ein weithin auslegbarer Begriff von Seite 3 Elektronische Zeitung Schattenblick "Katastrophe" im Mittelpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes 2012, den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Innern auch unterhalb des Inkrafttretens der Notstandsverfassung als verfassungskonform zu erachten. Das Konzept der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ), der Aufbau Regionaler Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) durch Reservisten der Bundeswehr und andere Formen des sogenannten Heimatschutzes sind ebenso integraler Bestandteil des Aufbaus "staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Resilienz" [1] wie das aktuell diskutierte Zivilschutzkonzept. Resilienz wiederum hält sich nicht mit demokratischen und emanzipatorischen Möglichkeiten auf, der Entstehung von Konflikten durch die Schaffung sozialer Gerechtigkeit vorzugreifen, sondern setzt den Ausnahmezustand als konstitutives Element der Scha- densbegrenzung und des Krisen- Not- und Schicksalsgemeinschaft managements voraus [2]. und eine für Vorkriegszeiten signifikante Freund-Feind-DiffeDie Aufkündigung des Rundum- renzierung sind Beispiele für Sorglos-Paketes zivilgesellschaft- ideologische Rezepturen, die allichen Friedens durch Bedro- lemal Anlaß geben, sie als Signahungsszenarios, die den Komfort le einer Bedrohung eigener Art umfassender Versorgung, Mobili- ernst zu nehmen. tät und Kommunikation mit dem Preisschild versehen, dieses Privileg nicht nur militärisch durch- Anmerkungen: setzen, sondern auch einen individuellen Beitrag zu seiner Vertei- [1] https://www.bmvg.de/ digung leisten zu müssen, könnte resource/resource/MzEzNTM4Mm denn auch als Lehrbeispiel für UzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM schwarze Staatspädagogik ver- 2MzIzMDMwMzAzMDMwMzAz standen werden. Um Widerstand MDY5NzE3MzM0Nzc2YzYyMzcy gegen die Kontrollgewalt kapita- MDIwMjAyMDIw/Weissbuch2016_ barrierefrei.pdf listischer Vergesellschaftung zu unterbinden, scheint die virulente [2] Resilienz Angst vor sozialem Absturz und Chiffre sozialer Kapitulation privatem Scheitern nicht mehr zu http://www.schattenblick.de/infogenügen. Die krisenhafte Ent- pool/sozial/report/sorb0031.html wicklung verlangt nach stärkeren http://www.schattenblick.de/ Mitteln der Einbindung und Ausinfopool/politik/kommen/ grenzung. Die Rückkehr zum volk1655.html Selbstverständnis der Nation als BÜRGER UND GESELLSCHAFT / AMNESTY INTERNATIONAL / MELDUNG Internationale Presseagentur Pressenza Büro Berlin Nachricht vom 23. August 2016 Keine Toleranz für Staaten, die das Waffenhandelsabkommen missachten Medienmitteilung von Amnesty International, Sektion Schweiz London/Bern 23.08.2016. Da mit der Arms Trade Treaty (ATT) umgesetzt werden kann, müssen sich die Unterzeichnerstaaten an ihre Versprechen halten: Eine strikte Umsetzung des Abkom mens sowie Transparenz über die Waffentransfers sind Voraus setzung für den Erfolg des ATT. Seite 4 - Die Unterzeichnerstaaten des Arms Trade Treaty (ATT) [1] sind weiterhin für unverantwortliche Waffentransfers verantwortlich, die zahlreiche Leben kosten und Menschenrechte verletzen - Viele Unterzeichnerstaaten sind den Verpflichtungen des Abkommens noch nicht nachgekommen; www.schattenblick.de einige versuchen Informationen über ihre Waffentransfers geheim zu halten. - Amnesty International begleitet die erste ATT-Konferenz in Genf und fordert von den Unterzeichnerstaaten eine strikte Umsetzung des Abkommens sowie Transparenz über ihre Waffentransfers. Do, 25. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Die Staaten müssen ihre Versprechen einlösen und den Arms Trade Treaty (ATT) strikt und transparent umsetzen, damit das Abkommen seine Wirkung entfalten kann: Menschenleben schützen sowie Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen verhindern, indem unverantwortliche Waffentransfers verhindert werden. sich zurzeit besonders schmerzlich: Vom Jemen über Syrien bis zum Südsudan werden täglich Kinder getötet und durch Bomben verstümmelt, Zivilpersonen werden mit vorgehaltener Waffe bedroht und gefangen genommen, bewaffnete Gruppen begehen Verbrechen mit Waffen, die von Staaten produziert wurden, die den ATT respektieren müssten." nationalen Waffenhandels eingesetzt hatten, wurde der Arms Trade Treaty (ATT) im April 2013 von der Uno-Generalversammlung verabschiedet. Das Abkommen ist im Dezember 2014 in Kraft getreten. Bis heute haben 130 Staaten den ATT unterzeichnet, darunter die USA; 85 haben ihn ratifiziert, darunter alle EU-Staaten und die Diese Forderung richtet Amnesty Schweiz. Grosse WaffenexporInternational an die Delegierten Die Schweiz als Gastgeberin teure wie Russland und China von über hundert Staaten, die an und Vorbild? sind nicht dabei. der ersten Konferenz der ATT-Vertragsstaaten in Genf vom 22. bis Seit 2016 sind das ATT-Sekretari- Der ATT setzt erstmals verbindlizum 26. August teilnehmen. Die at und die jährliche Konferenz der che Standards für die Kontrolle des Unterzeichnerstaaten müssen sich Unterzeichnerstaaten in Genf be- internationalen Handels mit konauf der Konferenz gegenseitig heimatet. Die Schweiz hatte sich ventionellen Waffen und Munition. über die Umsetzung des Abkom- auf internationaler Ebene aktiv Er verbietet Waffenlieferungen in mens berichten und Diskussionen für Genf als Standort des Abkom- ein Land, wenn ein grosses Risiko über dessen Stärkung führen. mens bemüht und sich gegen die besteht, dass mit diesen Waffen Konkurrenz durchgesetzt. schwere Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen beKeine Waffen für Kriegsverbrechen Die Schweiz hatte bei der Ent- gangen werden. wicklung des ATT eine positive "Der ATT hat das Potential, Mil- Rolle gespielt und sich in den lionen von Menschenleben zu schwierigen internationalen Ver- Anmerkungen: schützen. Umso alarmierender ist handlungen für einen "möglichst es, wenn Staaten, die das Abkom- starken und effektiven" Text ein- [1] https://www.amnesmen unterzeichnet oder sogar ra- gesetzt. Seit Unterzeichnung des ty.ch/de/themen/waffen-waffentifiziert haben, weiterhin meinen, ATT hat die Schweiz jedoch ihre handel/waffenhandelsabkomsie könnten Waffen an Armeen Rüstungsexportkontrolle bereits men-att/waffenkontrollvertragund Milizen liefern, die für die zwei Mal gelockert. Mit dieser att-in-kraft-getreten Begehung von Kriegsverbrechen Politik torpediert die Schweiz ih- [2] https://www.amnesbekannt sind. Oder wenn Export- re Rolle als Vorbild, die sie als ty.ch/de/ueber-amnesty/veranbewilligungen erteilt werden, ob- Gastgeberin des ATT in Genf un- staltungen/aktivitaeten-zumwohl ein grosses Risiko besteht, bedingt einnehmen sollte. arms-trade-treaty-att dass die Waffen bei schweren Menschenrechtsverletzungen ein- Amnesty International und weitere gesetzt werden", erklärt Brian nationale und internationale NGOs Der Text steht unter der Lizenz Wood, der Leiter des Bereichs begleiten die ATT-Konferenz in Creative Commons 4.0 Waffenkontrolle und Menschen- Genfmit diversen Aktivitäten [2]. http://creativecommons.org/lirechte bei Amnesty International. censes/by/4.0/ Hintergrund "Es darf keine Toleranz geben für * Staaten, die den ATT missachten Nachdem sich Organisationen Quelle: oder zum Papiertiger verkommen wie Amnesty International über Internationale Presseagentur lassen wollen. Die Notwendigkeit zwanzig Jahre lang für ein Ab- Pressenza - Büro Berlin einer strikten Umsetzung zeigt kommen zur Kontrolle des inter- Internet: www.pressenza.com/de Do, 25. August 2016 www.schattenblick.de Seite 5 Elektronische Zeitung Schattenblick REPRESSION / FAKTEN / INTERNATIONAL poonal Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen Mexiko: Besuch des UNO-Berichterstatters zu intern Vertriebenen mehr Schutz für Binnenflüchtlinge angemahnt (MexikoStadt, 21. August 2016, poonal) Nach Angaben des Monitoring-Zentrums zu interner Vertreibung, das zu der NichtRegierungsorganisation Norwegischer Flüchtlingsrat gehört, hat sich die Zahl der Vertriebenen innerhalb Mexikos in den letzten Jahren auf fast 290.000 Personen summiert. Regierungsangaben nennen deutlich niedrigere Zahlen. Tatsächlich haben sich Berichte über die Vertreibung von Bewohner*innen ganzer Ortschaften durch das organisierte Verbrechen und vor allem durch die Drogenkartelle, quer durch das Land in den vergangenen zwei bis drei Jahren gehäuft. die Menschenrechte Intern Vertriebener in Mexiko auf und bot die Hilfe der UNO an. Im Gespräch mit mexikanischen Senator*innen gaben letztere zu, dass es sich bei den Binnenflüchtlingen um eine wachsende Zahl von Bürger*innen handelt, die "unsichtbar gelassen werden" und die das mexikanische Recht hilflos lässt. Beyani betonte die Verantwortung des Staates dabei, für den Schutz dieser Menschen zu sorgen. Nach der offiziellen Definition handelt es sich bei ihnen um Personen, die gewaltsam aus ihrer angestammten und rechtmäßigen Heimat vertrieben wurden Mitte August hielt sich Chaloka und bei ihrer Flucht keine StaatsBeyani, UNO-Berichterstatter für grenze überschritten haben. URL des Artikels: https://www.npla.de/poonal/besuchdes-uno-berichterstatters-zu-internvertriebenen-mehr-schutz-fuer-binnenfluechtlinge-angemahnt/ Der Text ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ Quelle: * poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin E-Mail: [email protected] Internet: http://www.npla.de poonal Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen Mexiko: Geheime Gräber in Veracruz und kein Ende (MexikoStadtBerlin, 22. August 2016, npl) Im Zusammenhang mit der Suche nach den 43 gewaltsam entführten Lehramtsstudenten von Ayotzinapa vor knapp zwei Jahren wurde im Bundesstaat Guerrero von Bürgerinitiativen ein geheimes Grab nach dem anderen offen gelegt. Eine ähnliche Situation bietet sich in den vergangenen Monaten im BunSeite 6 desstaat Veracruz. Im April und Juli hatte die Nationale Suchbrigade Verschwundener Personen bereits mehr als 15 geheime Gräber mutmaßlicher Opfer des organisierten Verbrechens in zwei verschiedenen Regionen von Veracruz entdeckt. Nicht einmal einen Monat später hat eine ähnliche Initiative - das Kollektiv Kleine Veracruzanische Sonne - innerhalb www.schattenblick.de von 14 Tagen bereits 52 solcher Gräber auf einem Areal gefunden, das sich im nördlichen Teil der Hafenstadt Veracruz befindet. Überforderte Behörden und mangelnde Sicherheit für die Suchenden Erste Schätzungen gehen davon aus, dass die Gruben die ÜberreDo, 25. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick ste von mehr als 50 Personen enthalten. Die Initiative äußerte sich überzeugt, auf weitere Körper zu stoßen. Die jüngst gefundenen 14 geheimen Gräber wurden am Samstag aufgedeckt. Das Kollektiv hat nach jedem Fund die Staatsanwaltschaft informiert und bemüht sich, weder Indizien noch die Körper zu bewegen oder zu berühren. Aufgrund des Umfangs der Funde sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der bundesstaatsanwaltschaftlichen Polizeibehörde jedoch überfordert und kommen mit der genauen Registrierung der menschlichen Überreste nicht nach. Nun soll das mexikanische Innenministerium mehr Personal schicken. Ein weiteres Problem sind die Sicherheitsbedingungen für die Suchbrigade. Während ihrer Suche machten die Mitglieder die Präsenz von sogenannten "Halcones" (Falken) aus. Diese Personen sind oft motorisiert unterwegs und dienen dem organisierten Verbrechen als Informant*innen. Das Kollektiv, in deren Familien es vielfach Verschwundene gibt, betont wie ähnliche Initiativen, dass ihr Ziel nicht im Auffinden der Schuldigen der Verbrechen besteht, sondern in der Wahrheitssuche für die Familienangehörigen. "Diese sollen wissen, wo sie um ihre Toten weinen und für sie beten können, einen Zyklus schließen", drückte es eine Mutter des Kollektivs gegenüber der Zeitung La Jornada aus. Neue Funde im Bundesstaat mittlungsbehörden verschwiegen. Mexiko - Guerrero und Vera- Drei Stunden bevor Nicht-Regiecruz sind überall rungsorganisationen mit den ihnen zugegangenen Informationen Eine Konstante in Veracruz bleibt an die Öffentlichkeit gehen wolldie Passivität der örtlichen Behör- ten, gab die Staatsanwaltschaft den. Sie wollen von Verbrechen des Bundesstaates eine Mitteilung in der Umgebung der jeweiligen zu dem Fall heraus. Unterdessen Fundorte meistens nichts gewusst wurde bekannt, dass die Bundeshaben. Für Empörung sorgte die generalstaatsanwaltschaft nach Staatsanwaltschaft von Veracruz einem anonymen Hinweis Persovor Monaten, als sie ohne Anhö- nal ins Tal von Juárez im Bundesrung der Expert*innen vor Ort, staat Chihuahua schickte. Sie solKnochenüberreste in einer Pres- len nach verschwundenen Frauen semitteilung zu "Holzstücken" er- suchen, die dort möglicherweise klärte. Unter diesen Umständen geheim verscharrt wurden. Guerist es nicht verwunderlich, dass rero und Veracruz sind überall in Hinweise aus der Bevölkerung Mexiko. auf die geheimen Gräber in der Regel an Bürgerinitiativen und begrenzt auch an die Bundes- URL des Artikels: staatsanwaltschaft, aber nicht an https://www.npla.de/poonal/gedie offiziellen lokalen Stellen ge- heime-graeber-in-veracruz-undhen. Vielfach wird davon ausge- kein-ende/ gangen, dass diese zumindest teilweise mit dem organisierten Verbrechen kooperieren. Der Text ist lizenziert unter Creative Commons NamensnennungEs ist gut möglich, dass nach Weitergabe unter gleichen BedinGuerrero und Veracruz beim The- gungen 4.0 international. ma geheime Gräber bald ein an- https://creativecommons.org/liderer Bundesstaat im Vorder- censes/by-sa/4.0/ grund steht. Erst am vergangenen Mittwoch (17. August) wurde in * der Ortschaft Huehuetoca im Quelle: Bundesstaat Mexiko der Fund poonal - Pressedienst lateinamevon zwölf unter Müll verschütte- rikanischer Nachrichtenagenturen ten Plastiksäcken mit Knochen- Herausgeber: Nachrichtenpool überresten bekannt. Das entspre- Lateinamerika e.V. chende Grundstück befindet sich Köpenicker Straße 187/188, 300 Meter vom Bürgermeisteramt 10997 Berlin entfernt. Die Säcke wurden offen- Telefon: 030/789 913 61 bar bereits Mitte Juli entdeckt, der E-Mail: [email protected] Vorfall aber von den lokalen Er- Internet: http://www.npla.de Vorschau auf ausgewählte Profikämpfe der kommenden Wochen 10. September: Gennadi Golowkin gegen Kell Brook bis 19. November: Sergej Kowaljow gegen Andre Ward http://www.schattenblick.de/infopool/sport/boxen/sbxm2017.html Do, 25. August 2016 www.schattenblick.de Seite 7 Elektronische Zeitung Schattenblick DIE BRILLE / REPORT / BERICHT Zukunft, Literatur, Gesellschaft der Betrieb, der Markt, die eigenen Interessen ... (2) Der literarische Untergrund Tagung im Literaturforum im BrechtHaus in Berlin Mitte was den Abbau von Demokratie und Freiheitsrechten einschließt". Die Tagungsfragen lauteten, ob daraus eine Gesellschaft mit noch spitzeren Ellenbogen und einem zum Grundprinzip erklärten Sozialdarwinismus entstehe, ob es Alternativen zu dieser Wirtschaftsordnung gäbe und welche Rolle Literatur in diesem Zusammenhang einnehmen könne. [1] Ann Cotten Foto: © 2016 by Schattenblick Die Tagung "Richtige Literatur im Falschen?", die im Literaturforum im Brecht-Haus vom 19. bis 21. Mai stattfand, stand unter einer klaren Themen- und Fragestellung. Nicht die Literatur um ihrer selbst willen sollte im Mittelpunkt der sich über drei Tage erstreckenden Diskussionsveranstaltungen stehen. Das Organisationsteam, bestehend aus Enno Stahl und Ingar Solty, hatte zum inhaltlichen Einstieg hervorgehoben, daß "die Wirtschaftsordnung des globalen Kapitalismus nur einer sehr kleinen Gruppe von Menschen auf diesem Planeten nützt, während sie die Chancen und Perspektiven der überwiegenden Mehrzahl einschränkt, (SB) 24. August 2016 Seite 8 In der ersten Sektion ging es unter dem Titel "Die Zukunft des Betriebs versus die Zukunft des Untergrunds" um den seit geraumer Zeit in die Kritik geratenen Literaturbetrieb. Zunächst hatte der Lektor und Literaturkritiker Florian Kessler seinen Standpunkt zu dem seiner Auffassung nach vollkommen den Gesetzen kapitalistischer Vermarktung unterworfenen Betrieb verdeutlicht. Dieser bringe immer langweiligere Produkte hervor, weil die soziale Herkunft und keineswegs die literarischen Qualitäten über die Karrieren der Angehörigen der schreibenden Zunft entschieden. [2] Ihm wurde die in Wien und Berlin lebende US-Amerikanerin Ann Cotten gegenübergestellt, der in der als Disput geplanten Diskussion die Darstellung des literarischen Untergrunds oblag. Die heute 34jährige Lyrikerin, Schriftstellerin, Übersetzerin, Literaturkritikerin und -theoretikerin, geboren in Iowa, war als www.schattenblick.de Fünfjährige mit ihrer Familie nach Wien gekommen. 2006 hatte sie ihr Germanistik-Studium mit einer Arbeit zur Konkreten Poesie abgeschlossen. Auf Poetry-Slams trat sie als Dichterin in Erscheinung, 2007 erschien ihr erster Gedichtband (Fremdwörterbuchsonette). In diesem Jahr wurde ihr Versepos "Verbannt!" veröffentlicht. [3] Der (literarische) Untergrund lebt Mit Bezug auf die von Florian Kessler vorgetragene Kritik am Literaturbetrieb erklärte Ann Cotten, daß Macht nicht immer gleich Macht sei. Es gäbe auch ohne die Pathologie des autoritären Charakters einfach den Ehrgeiz, gute Literatur zu schreiben. Da seien andere und griffigere Narrationen denkbar als die, daß im Literaturbetrieb alles vom Markt durchdrungen sei. Der Boden, auf dem Literatur entstünde, würde auch bei noch so viel Markt nicht verschwinden. Eine solche Standfläche ermögliche erst die Selbstkritik, von der Kessler gesprochen habe. Aus der Dysfunktionalität des Marktes würden geschickte Leute mit ausgefeilten Techniken ihren Profit ziehen. Mit Häppchen- und Weißweinempfängen wüßten Arztsöhne gut umzugehen, während anDo, 25. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick dere, die dies nicht könnten, da- setzten, was ihrer Meinung nach bei schlecht aussähen. der Kern des Problems sei. Es gäbe einfach viel zu viele Leute, die Die Frage sei doch, so wandte scharf seien auf diesen ganzen sich Ann Cotten an die Runde, Quatsch und die Möglichkeiten, was wir, die wir schreibend tätig die sie in diesem Markt vermutesind, da ausrichten könnten. Auch ten, so Cotten. Demgegenüber in einer Subkultur gehe es um At- seien die Alternativen wohl noch traktivität des Schreibens, da trä- viel zu unattraktiv bzw. der ten junge Leute gegen alte Män- Druck, erfolgreich sein zu müsner mit viel Geld an. Schon auf sen, viel zu hoch. Für sie sei es dieser Ebene sei es möglich, das selbstverständlich, daß es eine Ringen um einen anderen Betrieb Realität jenseits des Literaturauszutragen, ohne die Frage be- marktes gäbe; denn wäre dem antworten zu müssen, ob das ein nicht so, könnte man gar nicht komplett anderer Betrieb werden darüber sprechen. würde, sozusagen ein betriebsloser Betrieb. Sehr verführerisch sei für sie die Idee, daß der Kampf gegen rechts im Grunde ein Kampf gegen Quatsch sei. Es sei schon wichtig, die Vernunft anschaulich und attraktiv rüberzubringen und den Egoismus in seiner ganzen Blödheit bloßzustellen. Wenn sie versuche, links zu sein, was für sie eine offene Frage sei - wie geht das und was genau bedeutet links? -, stehe sie immer wieder vor dem Problem, wie sie für Leute schreiben könne, die ihr nicht sympathisch seien und die sie überhaupt nicht verstehen könne. Oder, grundsätzlicher gefragt: Inwieweit kann Projektleitung und Moderation Literatur überhaupt als Verständi- Enno Stahl (l.) und Ingar Solty (r.) gungsmittel dienen über die eige- Foto: © 2016 by Schattenblick nen Werte hinaus, was dann schon ins Trickige gehe, in die Bereiche Der literarische Untergrund von Psychologie und Soziologie? damals und heute Bezugnehmend auf Florian Kessler und seine Kritik an Literaturbetrieb, also am weitverbreiteten Chef-sein-Wollen und der sozialen Undurchlässigkeit der Schreibschulen, fügte sie hinzu, daß die in dem Betrieb marginalisierten Akteure immer noch Hoffnungen auf die Aufstiegsleiter Do, 25. August 2016 Das von Ann Cotten angesprochene Verständnis von Kunst respektive Literatur im Untergrund könnte als typisch für Post-68Generationen aufgefaßt werden. Den schreibenden Menschen in einem Untergrund zu verorten, dessen schriftstellerische Produkte später vom Literaturmarkt einwww.schattenblick.de gekauft und vereinnahmt werden, zeugt von einer allgemeinen Sprach- und Diskussionsentwicklung, die - zumindest im Verständnis der damaligen Studentenbewegung - häufig mit einer gewissen Entpolitisierung einherging, was sich nicht selten auch daran ablesen ließ, daß bestimmte Begriffe in verschiedenen historischen Zusammenhängen ganz unterschiedlich aufgefaßt wurden. Ein anschauliches Beispiel für einen solchen Bedeutungswandel wäre mit Blick auf die auf der Tagung thematisierte Frage nach der Zukunft des literarischen Untergrunds das 1985 erschienene Buch des englischen Historikers Robert Darnton "Lesen, Schreiben und Publizieren im vorrevolutionären Frankreich". Dem nachfolgenden Zitat des Herausgeberverlags ist das vor 30 Jahren noch allgemein vorherrschende Begriffsverständnis eines literarischen Untergrunds zu entnehmen: [4] Robert Darnton führt den Leser in die dunkle, auch von der Wis Seite 9 Elektronische Zeitung Schattenblick senschaft bislang nicht ausge leuchtete Welt der Raubdrucker, Hinterstubenverleger, Schmugg ler und Polizeispitzel, die sich als literarischer Untergrund hinter der Fassade der Aufklärung ge bildet hatte. So machen wir Be kanntschaft mit abenteuerlichen Autoren, die in Paris rechtswidri ge Literatur produzierten, und mit den Druckern und Buchhändlern, die diese Literatur heimlich her stellten und vertrieben. Diese Li teratur versorgte die Leser über all in Frankreich mit aufrühreri schen Ideen und Ideologien. Die Verhältnisse in Frankreich vor der Revolution von 1789 liegen so weit zurück, daß die Bezugnahme auf die damaligen "aufrührerischen Ideen und Ideologien" die jüngere Geschichte und Gegenwart indirekt bestätigen, zumal das Leitmotiv der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) bis heute als identitätsstiftend für das westliche Modell von Demokratie und Sozialstaat gilt. Eine angeblich im Untergrund agierende Literatur wird im gesellschaftlich dominierenden Kultur- und Medienbetrieb offenbar immer dann akzeptiert, wenn sie dem staatstragenden Legitimitätskonzept förderlich ist, was, historisch gesehen, auf den Übergang von absolutistischen Herrschaftsformen zur bürgerlichen Demokratie ebenso zutrifft wie auf den sogenannten Kalten Krieg. Dazu hieß es im Spiegel vom 7. Juli 1980: [5] Literatur im Untergrund gehört seit Jahren zum Alltag aller sozia listischen Staaten; ob in der So wjetUnion oder China, in Polen oder Rumänien überall kursie ren inzwischen Tausende von pri Seite 10 mitiv hergestellten Schriften au mit den vorherrschenden gesellßerhalb des vom Staat monopoli schaftlichen Bedingungen nicht sierten Literaturbetriebes illegal einverstanden sind, eine Protestunter der Bevölkerung. In der perspektive bzw. politisch-widerMehrzahl sind es politische Ma ständige Zugehörigkeit bieten nuskripte, die von der Staats und sollte. Untergrund bzw. UnderParteilinie abweichende Meinun ground wird im Kulturbereich gen und Ideen der Dissidenten heute folgendermaßen definiert: und Oppositionellen unters Volk [6] bringen sollen Herstellung, Ver trieb, sogar das Lesen solcher Der Underground (englisch, "Samisdat"Schriften wird mit ho wörtlich Untergrund) ist ein Be hen Gefängnisstrafen bedroht. griff, der in vielen Sparten der Kunst den Teil einer Szene be zeichnet, der nicht auf die Masse ausgerichtet ist, unabhängig pro duziert und oft auch eine Gegen kultur darstellt. Der Underground ist nicht von vornherein an einen besonderen Stil gebunden, aber er stellt in der Regel eine Minder heitenKultur in der Gesellschaft dar. Gegenpol ist der sogenannte Mainstream, mit dem die allge mein etablierte oder auch für die "Masse" produzierte Kunst be zeichnet wird. Der Underground Jenseitsdenken heute eine Rea spielt häufig die Rolle einer Avantgarde, seine Formen wer lität neben dem Literaturmarkt? den später im Mainstream aufge Foto: © 2016 by Schattenblick griffen, dabei aber auch ihres Der inzwischen vollzogene Be- subversiven Gehalts beraubt und deutungswandel zu einem litera- auf rein formalästhetische Ele rischen Untergrund, wie ihn Ann mente reduziert. Cotten und viele andere heute verwenden, könnte kaum fundamentaler sein. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts konnte unter starkem Einfluß eines spätestens mit dem KPD-Verbot fest in der bundesrepublikanischen Gesellschaft verankerten Antikommunismus auch im Kulturbereich ein Begriffsverständnis durchgesetzt werden, das die Möglichkeit fundamentaler Kämpfe zwischen Staat bzw. Kapital und ihnen unversöhnlich gegenüberstehenden Bevölkerungsteilen vergessen machen und zugleich kritischen Menschen, die www.schattenblick.de Literatur subversiv? Der Erörterung der Frage, wie es bei dem - von Ann Cotten auf der Veranstaltung postulierten - literarischen Untergrund um dessen subversiven Charakter bestellt sein mag, wäre die Klärung des Begriffs Subversion voranzustellen, da er in vielfältiger und zum Teil auch gegenläufiger Weise verwendet wird. Der Literaturwissenschaftler und Autor Thomas Ernst, der seine Dissertation zum Thema "Pop, Minoritäten, Do, 25. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Untergrund - Subversive Konzepte in der deutschsprachigen Gegenwartsprosa" schrieb, geht bei der "höchst umstrittenen Frage, ob und wie literarische Texte als eine Form politischen Schreibens betrachtet werden können", von einem "differenzierten Begriff der Subversion" aus. [7] übersichtlichkeit und Uneinheitlichkeit, die bei Begriffen wie "Untergrund" und "Subversion" heute anzutreffen sind, kann eigentlich auch über die "Zukunft des Untergrunds" kaum eine Aussage getroffen oder eine kontroverse Debatte geführt werden, solange nicht klargestellt wird, von welchem Begriffsverständnis die In seinem Text "Subversion - ei- beteiligten Akteure überhaupt ne kleine Diskursanalyse eines ausgehen. vielfältigen Begriffs" spricht Ernst von vier Diskursen. In einem politisch-institutionellen Der große Disput ist ausgeblieben Diskurs werde Subversion als revolutionärer Staatsumsturz ver- Die Diskussion auf der Berliner standen, was im 18. und 19. Jahr- Literaturtagung zum Thema hundert vorherrschend gewesen, "Die Zukunft des Betriebs verim 20. Jahrhundert jedoch durch sus die Zukunft des Unterandere Diskurse relativiert und grunds" war als kontroverses zurückgedrängt worden sei. Da- Streitgespräch zwischen Florian daismus, Surrealismus und Futu- Kessler und Ann Cotten konzirismus hätten früh einen künstle- piert. Daß die beiden Referenten risch-avantgardistischen Diskurs in diesem Punkt den Vorstellunder Subversion geformt. In einem gen der Moderatoren und Orgasubkulturellen Diskurs gehe es nisatoren Ingar Solty und Enno um den institutionellen Kampf Stahl nicht ganz entsprochen hadiskriminierter oder minoritärer ben, da in der anschließenden Subkulturen innerhalb staatlicher Debatte eher der zwischen ihnen Strukturen, während Subversion bestehende Konsens deutlich in einem poststrukturalistischen wurde, könnte seine Gründe Diskurs als Dekonstruktion verstanden werde. auch in dem Bedeutungswandel der hier maßgeblichen Begriffe gehabt haben. Die der Tagung vorangestellte Feststellung, daß die Wirtschaftsordnung eines globalen Kapitalismus nur sehr wenigen Menschen nütze, für die überwiegende Mehrheit jedoch Chancen und demokratische Freiheiten einschränke, berührt zentrale Problemstellungen, auf die die linke bzw. kommunistische Bewegung einst konkrete und zukunftsweisende Antworten geben wollte. Diese mögen aus heutiger Sicht kritisch hinterfragt und als unzureichend bewertet werden, ohne daß dies den ursprünglichen und ungebrochen aktuellen Fragestellungen den geringsten Abbruch täte. Insofern ist die von Ann Cotten aufgeworfene Frage "Was heißt eigentlich links, wie funkAuf zu neuen Ufern wie funktioniert links? Ann Cotten mit dem Kultursoziologen Thomas Wagner Foto: © 2016 by Schattenblick Dabei geht es um eine Methode der Zersetzung, die vor nichts halt mache, auch nicht vor dem Mythos der jeweiligen Identität revolutionärer Individuen oder Gruppen. Repräsentanten dieses Diskurses würden sich Ernst zufolge gegen die marxistische Geschichtsmetaphysik, die als theoretischer Hintergrund der Studentenbewegung eine totalitäre Form der Revolution anvisiere, wie auch gegen die Kollektividentitäten emanzipatorischer Gegenkulturen positionieren. [8] Angesichts der Uneindeutigkeit, UnDo, 25. August 2016 www.schattenblick.de Seite 11 Elektronische Zeitung Schattenblick tioniert das?" nur zu begrüßen. Und im übrigen ließe sich ein solcher Prozeß inhaltlicher Klärungen und politischer Positionierung mit der Selbstkritik, von der Florian Kessler mit Blick auf die im Literaturmarkt tätigen und aufgrund ihrer eigenen Beteiligung tief in ihn verstrickten Akteure gesprochen hat, sicherlich aufs Konstruktivste verbinden. (Fortsetzung folgt) [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Underground_(Kultur) [7] http://www.thomasernst.net/literatur-und-subversion [8] Ernst, Thomas: Subversion - eine kleine Diskursanalyse eines vielfältigen Begriffs. In: Psychologie und Gesellschaftskritik 32 (2008), 4, pp. 9-34. URN: http://nbn-resolvingde/urn:nbn.de:0168-ssoar-325773 Berichte und Interviews zur Tagung "Richtige Literatur im Falschen?" im Schattenblick un[1] Flyer zur Tagung "Richtige Lite- ter www.schattenblick.de → ratur im Falschen? Zukunft - Litera- INFOPOOL → DIE BRILLE → tur - Gesellschaft", herausgegeben REPORT: vom Literaturforum im Brecht-Haus, Anmerkungen: 2016 [2] Siehe den 1. Teil des Berichts im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT: BERICHT/056: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - der Betrieb, der Markt, die eigenen Interessen ... (1) (SB) [3] Ann Cottens Versepos "Verbannt!" wurde in 399 Spenser-Strophen, einem in der deutschen Lyrik weitgehend ungebräuchlichen Versmaß, verfaßt. Die Spenser-Strophe geht auf den englischen Dichter Edmund Spenser (um 1552 bis 1599) zurück und wurde von John Keats (1795-1821), Lord George Gordon Byron (1788-1824) und Percy Bysshe Shelley (1792-1822), die als bedeutende Dichter der englischen Romantik gelten, später wieder aufgegriffen. https://www.perlentaucher.de/buch/ann-cotten/verbannt.html [4] https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/literaten-im-untergrund/978-3-446-13828-5/ [5] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14330370.html Seite 12 BERICHT/044: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Lesen, schreiben, stören ... (SB) BERICHT/045: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - vom Mut nicht nur zu träumen ... (SB) BERICHT/047: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Fortschritt schalten, mitgestalten ... (SB) BERICHT/049: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Diskurs der Selbstverständlichkeiten ... (SB) BERICHT/051: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Kunst befreit die Wirklichkeit ... (1) (SB) BERICHT/051: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Kunst befreit die Wirklichkeit ... (2) (SB) BERICHT/052: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Alter Feind in neuem Gewand ... (1) (SB) BERICHT/053: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Alter Feind in neuem Gewand ... (2) (SB) BERICHT/054: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - verlorener Anschluß ... (SB) BERICHT/055: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Alter Feind in neuem Gewand ... (3) (SB) www.schattenblick.de BERICHT/056: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - der Betrieb, der Markt, die eigenen Interessen ... (1) (SB) INTERVIEW/063: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Mangel an Sozialkritik ... Enno Stahl im Gespräch (SB) INTERVIEW/064: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Die Krise als Chance ... Erasmus Schöfer im Gespräch (SB) INTERVIEW/065: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Rückbesinnung nach vorn ... Ingar Solty im Gespräch (1) (SB) INTERVIEW/066: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Rückbesinnung nach vorn ... Ingar Solty im Gespräch (2) (SB) INTERVIEW/068: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - gedruckte und gelebte Utopie ... Raul Zelik im Gespräch (SB) INTERVIEW/069: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - neue Elite, Sachverstand ... Jörg Sundermeier im Gespräch (SB) INTERVIEW/070: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Brüche in Kritik und Fortschritt ... Bernd Stegemann im Gespräch (SB) INTERVIEW/071: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - im Spiegel ihrer Folgen ... Michael Wildenhain im Gespräch (SB) INTERVIEW/072: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - falsch und richtig abgehängt ... David Salomon im Gespräch (SB) INTERVIEW/073: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - nicht nur läßliche Details ... Rainer Rilling im Gespräch (SB) INTERVIEW/074: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Kraft der Straße am Reformismus erstickt ... Christina Kaindl im Gespräch (SB) INTERVIEW/075: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - Dienste, Netze, Algorithmen ... Timo Daum im Gespräch (SB) Do, 25. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick SPORT / BRENNPUNKT / SPIELE Internationale Presseagentur Pressenza Büro Berlin Olympia zum Letzten: Das Licht ist aus, wir gehen nach Haus' von Andreas Nöthen Rio de Janeiro, Brasilien 24. August 2016 Eröffnungszeremonie Rio 2016 Foto: Fernando Frazão/Agência Brasil (CC BY 3.0 BR) [https://creativecommons.org/ licenses/by/3.0/br/deed.de] Jetzt sind sie rum. Das war's. Ende. Aus. Applaus? Auf jeden Fall. Die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro sind nicht zu jener Katastrophe ausgeartet, die viele vom Vorfeld prophezeit hatten. Kein Terroranschlag, kein Totalzusammenbruch. Nix. Parabéns, Rio! Du hast es mal wieder geschafft, Deine Kritiker Lügen zu strafen. Brasilianer sind keine Weltmeister im Organisieren, dafür aber im Improvisieren. Und im Feiern. Großveranstaltungen kann man am Zuckerhut, auch unter schwierigen Bedingungen. Do, 25. August 2016 Wir blicken mal zurück. Vor sieben Jahren. Brasilien auf dem Weg in die Weltspitze. Die Wirtschaft brummt, große Bevölkerungsteile schafften den Sprung aus der Armut in die Mittelschicht. Und das beste: Es gab keine Anzeichen darauf, dass dieser Zustand so schnell nachlassen könnte. Brasilien war selbstbewusst, stark und erfolgreich. Es war also eine folgerichtige Entscheidung, dem Land und seiner Perle, Rio de Janeiro, die Ausrichtung des größten Events der Erde zuzutrauen. Die Spiele verhießen die Eintrittskarte in den Club der Großen der Welt, in eine goldene Zukunft. Vor drei Wochen. Die dickste Wirtschaftskrise aller Zeiten, eine gewaltige politische Krise. Brasilien, wirtschaftlich im freiwww.schattenblick.de en Fall, politisch im Schwebezustand. Hinzu kommt ein milliardenschwerer Korruptionsskandal. Rio eine bankrotte Stadt, schleppt sich, teilweise ohne Benzin für Polizeiautos und ohne Klopapier, ohne gezahlte Löhne im öffentlichen Dienst, ohne flächendeckendes funktionierendes Gesundheits- und Bildungswesen und mit Unterstützung von 85.000 Soldaten und Polizisten über die Zielgerade. Dazu wird es von allen Seiten abgewatscht, von der Weltöffentlichkeit, von australischen Sportlern. Rio konnte nur verlieren. Hat es aber nicht. Stattdessen war in der Stadt eine Stimmung spürbar, wie seit Karneval nicht mehr. Ausgelassen, heiter, fröhlich. Die Spiele begannen und die Cariocas legten den Schalter um, ließen Sack und Asche daheim und streiften das knappe Sambahemdchen über. Die Stadt lebte auf. Und das waren keinesfalls nur Touristen. Am Olympia Boulevard am frisch hergerichteten alten Hafen sah man überwiegend Brasilianer. Die Sportstätten, die Metro, die Straßenbahn - sie wurde fertig und hey, sie funktionierten. Rio lieferte unter schlechtesten Voraussetzungen ein reibungsloses Sportfest. Seite 13 Elektronische Zeitung Schattenblick Und was bleibt von den Spielen? Und sonst? Die Erinnerung an teilweise halbleere Stadien und buhende Zuschauer. Warum Stadien leer blieben - ob es am anfangs komplizierten Ticketing lag, an allzu großzügigen Sponsorenkontingenten oder an Preisen, die für Europäer moderat erscheinen, für Menschen in einer Wirtschaftskrise aber immer noch viel zu hoch sind? Wen interessiert das schon? Oder dass sich Brasilianer einfach nicht für jeden Sport erwärmen können? Vielleicht blieben die Brasilianer auch einfach nur daheim, weil sie keinen Bock hatten, von der Weltöffentlichkeit bei möglicherweise ausbleibendem sportlichem Erfolg einmal mehr ausgelacht zu werden? Einen Tag nach den Spielen. Die dickste Wirtschaftskrise aller Zeiten, eine gewaltige politische Krise. Brasilien, wirtschaftlich im freien Fall, politisch im Schwebezustand. Hinzu kommt ein milliardenschwerer Korruptionsskandal. Der Rahmen bleibt der selbe. Hinter den bunten Sichtschutzwänden und außerhalb der Boulevards und Parks war ohnehin alles seinen gewohnten Gang gegangen. Die Spiele haben Rios Probleme nicht lösen können. In punkto Verkehr noch am Ehesten - in anderer Hinsicht wäre das, da sollten wir ehrlich sein, auch ein wenig zu viel verlangt gewesen. Olympia war seit jeher ein ZuDas Ausbuhen bei einigen Veran- schussgeschäft für den Gastgeber. staltungen mag kein feiner Zug gewesen sein und ging auch hier Das IOC hätte aber durchaus daund da zu weit. Gehört aber zu- zu beitragen können, dass die Bigleich zur Fankultur, wie übrigens lanz für Rio im allgemeinen posiin anderen südamerikanischen tiver hätte ausfallen können. Dass Ländern auch. Neutral beobach- die Guanabarabucht nicht so sauten geht nicht. Entweder dafür ber würde, wie in der Bewerbung oder dagegen. Aber manchmal angekündigt, stand schon vor drei schien es so, als wollte man sich Jahren fest. Nur hat das in Laueinfach nur den Frust von der sanne keine Sau wirklich interesSeele buhen. Deswegen sind die siert. Auch nicht die Kommission, Brasilianer noch lange nicht un- die einen Blick auf die Nachhalfair. Unfair finde ich, Rinderköp- tigkeit - fest in der olympischen fe in ein Fußballstadion zu Charta verankert - der Spiele richschmeißen oder den gegnerischen ten soll. Block mit Raketen zu beschießen. Rio hat langfristig die Sache nicht Brasilien ist keine Olympianati- wirklich ernst genommen, kurzon. Doch diesmal überraschten fristig im Rahmen seiner Mögdie Sportler, holten 7 Goldme- lichkeiten mit einem gewaltigen daillen - in 120 Jahren Olympia- Kraftakt und auf Pump das vielgeschichte zuvor waren es nur 16 leicht Beste rausgeholt. Wie hoch gewesen. Dazu die für Brasilianer der Preis letztlich sein wird, das prestigereichsten im Fußball, Vol- werden die kommenden Wochen leyball, Beachvolleyball. Für sie und Monate, ja vielleicht Jahre ist die sportliche Bilanz mehr als zeigen. Rio, Brasilien, sind noch lange nicht über den Berg. okay. Seite 14 www.schattenblick.de In wenigen Tagen wird der Senat zum Showdown im Impeachmant-Prozess gegen Präsidentin Dilma Rousseff zusammenkommen. Um das Verfahren war es ruhig geworden. Das war auch so gewollt. Nur keine Wellen schlagen während der Spiele, nicht noch mehr Unruhe. Die Senatsentscheidung und die Reaktionen darauf werden wichtiger sein als zwei Wochen Sport. Beim Sport ging es um den Moment, bei der Politik geht es um die Zukunft. Cariocas, die Einwohner Rios, leben den Moment. Über den Autor Andreas Nöthen. Der aus Bonn stammende Journalist lebt in Frankfurt und zurzeit in Rio de Janeiro. Er ist dort als freiberuflicher Journalist, Korrespondent und Blogger tätig und schreibt über Schwerpunktthemen wie Nachhaltigkeit, Verbraucherschutz, Gesellschaft, Reisen, Lebensmittel, Immobilien, Architektur. Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0 http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Quelle: * Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin Johanna Heuveling E-Mail: [email protected] Internet: www.pressenza.com/de http://www.schattenblick.de/ infopool/sport/brenn/ spsp0028.html Do, 25. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick SPORT / BOXEN / MELDUNG Gold in London und in Rio Claressa Shields wiederholt ihren Olympiasieg (SB) 24. August 2016 Als das Frauenboxen bei den Sommerspielen 2012 in London erstmals ins olympische Programm aufgenommen wurde, gewann die erst 17jährige US-Amerikanerin Claressa Shields aus Flint im Bundesstaat Michigan die Goldmedaille im Mittelgewicht. Vier Jahre später hat sie nun mit ihrem Finalsieg in Rio de Janeiro endgültig den Beweis angetreten, daß der damalige Erfolg keine Eintagsfliege war und sie gegenwärtig die beste Amateurboxerin der Welt ist. Während ihre männlichen Kollegen im Amateurbereich drei Runden zu je drei Minuten absolvieren müssen, bestreiten die Boxerinnen vier zweiminütige Durchgänge. Shields traf im Finale wie schon bei den Weltmeisterschaften auf die Niederländerin Nouchka Fontijn. Diese ist größer als die US-Amerikanerin, weshalb ihre Taktik darauf abgestellt war, die Reichweitenvorteile zu nutzen, ständig in Bewegung zu bleiben und aus der Distanz zu schlagen. Shields war jedoch ständig auf dem Vormarsch und überbrückte geschickt den Abstand zur Gegnerin. Sie arbeitete fleißig mit dem Jab, schlug mit der Rechten über die Deckung Fontijns und brachte linke Haken ins Ziel, so daß sie die erste Runde klar für sich entscheiden konnte. Dieses Bild setzte sich in den folgenden Durchgängen fort, in deDo, 25. August 2016 nen die Favoritin mit einer Palette von Kombinationen immer wieder zu Kopf und Körper ihrer Gegnerin durchkam. Gegen Ende der vierten und letzten Runde ließ eine wuchtig geschlagene Rechte den Kopf der Niederländerin zurückschnellen, die ihr Ziel klar verfehlte, erstmals seit 1928 wieder bei Olympischen Spielen eine Goldmedaille im Boxen für ihr Land zu erstreiten. Wie schon bei den diesjährigen Weltmeisterschaften mußte die 28jährige mit Silber vorliebnehmen. wonnen und damit allen gezeigt, daß sie nicht nur eine großartige Boxerin sei, sondern zu den bedeutendsten Repräsentanten dieses Sports gehöre, die je gelebt hätten. Wenngleich man ihr die letzte Aussage sicher nachsehen wird, die sie im Überschwang ihrer Siegesfreude in die Mikrophone rief, trifft doch zu, daß sie Außergewöhnliches vollbracht hat. Mit einer Bilanz von 77 Siegen bei nur einer Niederlage hat sie seit 2012 keinen Kampf mehr verloren und bei den beiden letzten Weltmeisterschaften das Finale gewonnen. Mit jeweils drei erfolgreichen Auftritten sicherte sie sich 2012 in London und nun in Rio de Janeiro die Goldmedaille bei Olympischen Spielen. Zweimal Gold für eine US-amerikanische Boxstaffel hatte vor ihr nur Oliver Kirk 1904 in St. Louis gewonnen, der dabei allerdings im Bantamund Federgewicht antrat. Claressa Shields, die auf den Zetteln der Punktrichter alle vier Runden für sich entschieden hatte, sank nach Verkündung des Urteils auf ein Knie, während der Ringrichter ihren Arm zum Zeichen des Sieges emporhob. Dann sprang sie auf und schlug ein Rad, bevor sie sich den Fotografen stellte. In eine US-amerikanische Flagge gehüllt, drehte sie anschließend Runde um Runde im Ring, um ihren Triumph ausgelassen zu feiern. In jungen Jahren wußte Claressa Shields noch nicht einmal, daß es Wie die 21jährige anschließend in Frauenboxen gab, bis ihr jemand einem ersten Interview erklärte, von Laila Ali erzählte, die zuminhabe sie die taktische Marschrou- dest in den USA vielen als beste te umgesetzt, klug zu boxen, den Profiboxerin aller Zeiten gilt. Die Jab zu benutzen und ihre Rechte Tochter des verstorbenen Muins Ziel zu bringen, wann immer hammad Ali beendete 2007 in 24 es möglich war. Und nicht zuletzt Kämpfen ungeschlagen ihre Karsei es ihr gelungen, sich von den riere aus familiären Gründen. langen Armen ihrer Gegnerin Aufgrund ihrer Prominenz hinternicht treffen zu lassen. Sie habe ließ sie einen Eindruck im Profials erste US-Amerikanerin zwei lager, den seither kaum eine Boolympische Goldmedaillen ge- xerin mehr erreicht hat. Laila Ali www.schattenblick.de Seite 15 Elektronische Zeitung Schattenblick war insofern ein Sonderfall, als sie vor Beginn ihrer Profikarriere im Jahr 1999 nie geboxt hatte und geraume Zeit nur gegen schwache Kontrahentinnen antrat, sich aber dank ihres Namens ausgezeichnet vermarkten konnte wie etwa beim lukrativen Duell gegen die Tochter Joe Fraziers im Jahr 2001. Sie lernte jedoch im Laufe der Zeit viel dazu und sammelte erfolgreich Gürtel im Supermittel- und Halbschwergewicht. In boxerischer Hinsicht waren die Französin Anne Sophie Mathis, die Norwegerin Cecilia Braekhus und die heute bei UFC auftretende US-Amerikanerin Holly Holm, um nur einige zu nennen, sicher höher als Laila Ali einzuschätzen, was deren Ruf in der Erinnerung ihrer Landsleute aber keinen Abbruch tut. Ob Claressa Shields eines Tages die Nachfolge Laila Alis antritt, wird sich zeigen. Was sie dieser zweifellos voraus hat, ist eine solide boxerische Ausbildung und technische Reife. Sollte sie einem Wechsel ins Profilager den Zuschlag geben, wird es nicht an interessierten Promotern und Sendern fehlen. Unmittelbar nach der Wiederholung ihres Olympiasiegs war es natürlich noch zu früh, Zukunftspläne zu schmieden. Auf die obligatorische Frage, was sie als nächstes machen werde, erwiderte sie, daß sie im Augenblick keine Ahnung habe und erst einmal ausgiebig feiern wolle. [1] Anmerkung: [1] http://www.espn.com/olympics/summer/boxing/story/_/id/17360051/american-boxer-claressa-shields-repeatsolympic-middleweight-gold-medalist Seite 16 SCHACH UND SPIELE / SCHACH / SCHACH-SPHINX Gefeit gegen jedes Risiko Krankenhaussterilität geht von Anatoli Karpows Partien aus. Ein Freund großen Wagemuts ist er mit Sicherheit nicht. Eher wie ein pflichtschuldiger Beamter eröffnet er sein Spiel, immer linientreu, keine Schnörkel, kein Feuer, keine Leidenschaft. Jemand hat ihn einmal mit einem kalten Fisch verglichen. Trotzdem machte das Entnervende seines unattraktiven Stils ihn bereits mit 23 Jahren zum Weltmeister. Ungerührt von der niederschmetternden Kritik der Kiebitze bekennt sich Karpow zu seinem Stil: "Ein Risikospiel im Stil der Schachmusketiere ist nur etwas für Leute, die den Nervenkitzel lieben; für mich ist das nichts." Ehe Karpow auftaut und mit ungemein präzisem Spiel auch noch geringste Stellungsvorteile verwertet, muß der Zuschauer durch viele Nadelöhre und Geduldsproben gehen. Oft steht man vor einem Rätsel und begreift einfach nicht, warum er diese oder jene Partie gewinnen konnte. Seine Gegner hatten sich kaum eine Nachlässigkeit zuschulden kommen lassen, und doch versteht es Karpow wie kein Zweiter, auch aus den besten Zügen seiner Kontrahenten Kapital zu schlagen. Darin ähnelt er seinem großen Vorgänger in dieser Kunst Emanuel Lasker, der wie Karpow bescheiden in der Eröffnung spielte, vorsichtig im frühen Mittelspiel auftrat und erst ab dann lavierend-taktierend und unmerklich das Räderwerk einer Partie zu seinen Gunsten manipulierte. www.schattenblick.de Im heutigen Rätsel der Sphinx zeigt Karpow einmal mehr, daß er ein Virtuose des Mikroskopischen ist. Hättest du auf den ersten Blick auch nur geahnt, Wanderer, daß die weiße Stellung trotz ihres Mehrbauern zum Untergang verdammt ist? Spassky - Karpow Montreal 1979 Auflösung des letzten SphinxRätsels: Najdorf hatte bei seiner hastigen Überlegung nicht bedacht, daß er nach 1...De5xa1 2.Te1xa1 Lf6xa1 durch 3.Sf5xg7! La1xg7 4.Ld2h6 im schönsten Mattnetz zappelt, denn nach 4...Te8-e1+ 5.Ld3-f1 gibt es keine Rettung mehr. http://www.schattenblick.de/ infopool/schach/schach/ sph05937.html Do, 25. August 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Do, 25. August 2016 www.schattenblick.de Seite 17 Elektronische Zeitung Schattenblick ______I n h a l t________________________________Ausgabe 1927 / Donnerstag, den 25. August 2016____ 1 POLITIK - REDAKTION: Problem Altersarmut an der Wurzel packen 3 POLITIK - KOMMENTAR: Schwarze Staatspädagogik 4 BÜRGER: Keine Toleranz für Staaten, die das Waffenhandelsabkommen missachten (Pressenza) 6 REPRESSION - FAKTEN: Mexiko - Besuch des UNO-Berichterstatters zu intern Vertriebenen (poonal) 6 REPRESSION - FAKTEN: Mexiko - Geheime Gräber in Veracruz und kein Ende (poonal) 8 DIE BRILLE - REPORT: Zukunft, Literatur, Gesellschaft - der Betrieb, der Markt, die eigenen Interessen ... (2) 13 SPORT - BRENNPUNKT: Olympias gebrochene Ringe - dickes Ende einer dünnen Chance ... (Pressenza) 15 SPORT - BOXEN: Gold in London und in Rio 16 SCHACH-SPHINX: Gefeit gegen jedes Risiko 18 DIENSTE - WETTER: Und morgen, den 25. August 2016 DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN Und morgen, den 25. August 2016 +++ Vorhersage für den 25.08.2016 bis zum 26.08.2016 +++ © 2016 by Schattenblick IMPRESSUM 's wird sonnig und wärmer, kaum Wind und kaum Frische und sauerstoffärmer. Jean liebt Teich und Fische. Elektronische Zeitung Schattenblick Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K. Verantwortlicher Ansprechpartner: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth Elektronische Postadresse: [email protected] Telefonnummer: 04837/90 26 98 Registergericht: Amtsgericht Pinneberg / HRA 1221 ME Journalistisch-redaktionelle Verantwortung (V.i.S.d.P.): Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth ISSN 2190-6963 Urheberschutz und Nutzung: Der Urheber räumt Ihnen ganz konkret das Nutzungsrecht ein, sich eine private Kopie für persönliche Zwecke anzufertigen. 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