Lebenszeichen vom 14.08.2016

Wirtschaften für den Glauben
Der geschäftige Geist und sein spirituelles
Leben
Lebenszeichen
Von Kirsten Serup-Bilfeld
14.08.2016
Musik: „Gentil Madonna“
Sprecherin:
Ein Meer von Blau!
In feinsten Abstufungen von hell bis dunkel verteilt es sich auf alle Figuren des Gemäldes: da ist das
klare Blau des Himmels, das satte Ultramarin der Mäntel von Heiligen, Bischöfen und Engeln und
das lichte, fast durchsichtige Azurblau der Gewänder der Gottesmutter, die vor dem Thron Gottes
kniet, um die Krone in Empfang zu nehmen.
Sprecher:
Es ist ein Bild von raffinierter Farbgebung und eleganter Linienführung, diese „Marienkrönung mit
Szenen der Dominikus-Legende“ des frommen Bruders Fra Angelico aus dem Jahr 1434.
Sprecherin:
Der malende Mönch Fra Angelico - der „Engelgleiche“ - verbringt seinen Alltag zwischen Kapelle und
Staffelei in der Stille des Dominikanerklosters bei Fiesole. Seine Bilder, so sagen seine Mitbrüder,
seien „gemalte Gebete“:
Zitator 1:
„Die Figuren hat er aus dem Paradies geholt, und beim Malen muss ihm ein Engel die Hand geführt
haben…“
Sprecherin:
In der Tat, die Seele dieses Dominikanerbruders scheint sich in seinen Bildern zu spiegeln. Alles hier
ist leuchtend-klar, warm und lichtdurchflutet.
Musik: „Gentil Madonna“
Zitator 2:
„… Und wenn die Person nicht gesteht, wird sie einen zweiten und einen dritten Tag unter der Folter
befragt…“
Sprecherin:
„Malleus Maleficarum“, der „Hexenhammer“. Geschrieben im Dominikanerkloster zu Straßburg im
Jahr des Herrn 1486! Ein schändlicher „Leitfaden“, ein mörderisches Handbuch:
O-Ton Hans Conrad Zander:
Das ist eine Anleitung dazu, Frauen zu verfolgen, Frauen zu foltern, Frauen umzubringen…
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des
Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch
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Der geschäftige Geist und sein spirituelles Leben
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Von Kirsten Serup-Bilfeld
14.08.2016
Sprecherin:
Alle „Merkmale“ der Hexen sind hier mit pornografischer Genauigkeit verzeichnet. Gleichzeitig werden darin die Folterpraktiken, die bei den Hexenprozessen anzuwenden sind, penibel aufgelistet.
Das Werk ist eine Obszönität der Kirchen-geschichte. Rund 60 000 Opfer hat es in einen grausamen
Tod geschickt. Alles hier ist düster, drohend, mörderisch.
Sprecher:
Die Verfasser des Buches: Heinrich Krämer und Jakob Sprenger.
Zwei Dominikaner!
Musik: „Laudare, benedicere, praedicare“.
Sprecher:
Juni 2016. Feierliches Pontifikalamt in der Kölner Kirche St. Andreas.
Erinnert wird an die Gründung des Dominikanerordens vor 800 Jahren. Der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki würdigt die Impulse des Ordens für Seelsorge und Kirche, zollt dominikanischen Lichtgestalten aus 800 Jahrhunderten Tribut.
Sprecherin:
Er erinnert aber auch an die dunkle Seite in der Geschichte des Ordens, an die Beteiligung von Dominikanern an Verfolgung, Folter und Inquisition:
O-Ton Kardinal Rainer Maria Woelki:
Dominikaner waren nicht nur in die Inquisition verstrickt, sondern haben sich aktiv und umfangreich an ihr beteiligt… Am heutigen Festtag dürfen wir darüber nicht hinweggehen…Wir
sind herausgefordert, uns auch heute der Geschichte zu stellen…
Sprecherin:
Diese Geschichte ist eine von Licht und Schatten: von der geistigen Helligkeit
großer Gelehrter wie Albertus Magnus und Thomas von Aquin und der tiefen Dunkelheit von Folter
und Inquisition.
Sprecher:
Eine Geschichte von schwarz und weiß:
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Wie unser Ordenshabit; der ist auch schwarz und weiß…
Sprecher:
Pater Elias Füllenbach, Prior der Dominikaner-Kommunität Düsseldorf:
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Geschichte ist immer mehr als schwarz und weiß…
Musik: „Laudare, benedicere, praedicare“.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Der geschäftige Geist und sein spirituelles Leben
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Von Kirsten Serup-Bilfeld
14.08.2016
O-Ton Kardinal Rainer Maria Woelki:
Es müssen aufregende Zeiten gewesen sein, als im Jahre 1216 der Dominikanerorden gegründet wurde. Welcher Glaubensweg war wohl der richtige? Wie sollte man leben? Wie lehren? Wie predigen? Es sind die Zeiten in denen verschiedene Bettelorden darum ringen, wie
eine arme Kirche zu gestalten sei… Wie gelingt Verkündigung so, dass sie Menschen berührt?
Sprecherin:
Seine ganz eigene Antwort auf all diese Fragen findet vor 800 Jahren der junge spanische Adlige
Dominikus de Guzmán, Subprior des Domkapitels an der Kathedrale von El Burgo de Osma (sprich:
Äll 'Burrgo de 'Ossma (ss=weich)). Als Gesandter der Kurie ist er nach Südfrankreich geschickt worden - mit einem unmissverständlichen Auftrag:
Die Bekämpfung der Katharer!
Sprecher:
Denn die Aufrührer dieser Sektenbewegung sorgen seit Jahren in Okzitanien für Unruhe. Sie sind
Abtrünnige, die im Tross der Kreuzritter aus dem Orient nach Europa gekommen sind und nun ihre
Irrlehren in einer für Rom höchst beunruhigenden Art und Weise verbreiten. Und um den Zorn der
Römischen Kurie vollends herauszufordern, haben sie 1208 auch noch den päpstlichen Legaten
Pierre de Castelnau heimtückisch ermordet.
Musik: „Le Royaume Oublié“.
Sprecherin:
Sie sind ein Dorn im Fleisch der Kirche, die Katharer - die „Reinen“, wie sie sich nennen. Als große
religiöse Laienbewegung haben sie unter dem Schutz zahlreicher französischer Adliger im Süden
Frankreichs eine Gegenkirche errichtet. Sie predigen Armut, Askese, Weltflucht, eine radikale Büßerethik und verspotten die römische Kirche als „Hure Babylons“ und „Synagoge des Satans“.
Der Schriftsteller und Journalist Hans Conrad Zander:
O-Ton Hans Conrad Zander:
Die Katharer lehrten, dass die ganze Welt, Wirtschaft, Staat und Kirche Satans Werk sei…
Mit diesen radikalen Botschaften zogen nun etwa 5000 „Reine“, Vollkommene in schwarzen
Gewändern durch Südfrankreich… Aber Hunderttausende glaubten an sie.
Sprecherin:
Diese Bewegung von „Ketzern“ stellt für die Kirche eine völlig neue und brandgefährliche Bedrohung
dar:
O-Ton Hans Conrad Zander:
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts waren Norditalien und Südfrankreich ein einziges religiöses Experimentierfeld. In einem Gewimmel kleiner und kleinster Gemeinschaften
- teils in der katholischen Kirche, teils gegen sie - versuchten radikale Christen zurückzufinden zur ursprünglichen Armut Jesu Christi…
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Der geschäftige Geist und sein spirituelles Leben
Lebenszeichen
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14.08.2016
Sprecherin:
Immer wieder kommt es bei diesen Auseinandersetzungen zu Kriegshandlungen, bei denen beide
Seiten mit äußerster Brutalität vorgehen. 1209 folgen Teile eines Kreuzritterheeres dem Aufruf des
Papstes, die Katharerstadt Beziers einzunehmen. Der Kampf endet in einem blutigen Massaker.
Befragt, was mit gefangengenommenen Ketzern und was mit Rechtgläubigen zu geschehen habe,
antwortet der päpstliche Legat und Feldherr Arnaud Armaury lakonisch:
Zitator 2:
„… Tötet sie alle! Gott wird die Seinen schon erkennen…!“
Sprecherin:
Das erbarmungslose, selbstherrliche und prunkvolle Auftreten der offiziellen Kirchenvertreter entlockt
Dominikus, Subprior des Bischofs von Osma und „Sonderbeauftragter“ des Papstes nur Kopfschütteln. So, das ist ihm klar, ist den Katharern und ihren radikalen Ideen nicht beizukommen:
O-Ton Hans Conrad Zander:
Zwölf Jahre lang hat Dominikus in dieser südfranzösischen Anarchoszene gelebt und alles,
was er in diesen Jahren tut, ist geprägt von einer einzigen, zeitlos gültigen Erleuchtung: dass
der blinde, radikale Eifer der Sektierer… das spiegelverkehrte Abbild ist für die genauso blinde, genauso radikale Korruption der Mächtigen - in diesem Fall der Kirche.
Musik: „Le Royaume Oublié“
Sprecher:
Dominikus de Guzmán, um das Jahr 1170 im kastilischen Caleruega geboren, verkörpert nach Ansicht des Dominikaners Ulrich Horst unterschiedliche Seiten des reichhaltigen Erbes seiner Heimat:
Zitator:
„… Den religiösen Eifer der Reconquista, die kirchlich-monastische Reform, die durch die Augustinusregel geformten Gemeinschaften der Kanoniker und das Streben nach Bildung und Wissen…“
Sprecher:
Von Luxus, Prunk, prächtigen Ornaten und irdischen Gütern dagegen hält der Sohn aus adliger Familie nichts. Auch nicht von den hochnäsigen Belehrungen, Ermahnungen und Standpauken, die den
Katharern üblicherweise von arroganten päpstlichen Abgesandten erteilt werden:
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Der Papst hatte Legaten dort hingeschickt, die vom Pferd herab zu den Leuten predigten und
da entsteht genau diese Idee: Nein, wir müssen mit den Menschen sprechen… aber auf Augenhöhe. Nicht vom Pferd herab.
Sprecherin:
Und so sammelt er ein Grüppchen Gleichgesinnter um sich und - beschließt, zu handeln:
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Der geschäftige Geist und sein spirituelles Leben
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O-Ton Hans Conrad Zander:
In einem kleinen Backsteinbau an der Stadtmauer von Toulouse unternimmt der Heilige mit
ein paar Freunden das Experiment der religiösen Intelligenz zwischen allen Fronten der
Dummheit: Leben wie die Ketzer, aber glauben wie die Kirche.
Sprecherin:
So ziehen sie durchs Land, barfuß und ohne Geld. Und sie predigen - genauso wie die Wanderprediger der Katharer. Aber was sie predigen, ist nicht der Glaube an den Satan, sondern das Evangelium:
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Da gibt’s diese Legende, dass eine seiner ersten Bekehrungen in einem Wirtshaus stattgefunden hätte, dass er dort eine ganze Nacht lang mit dem Wirt, der ein solcher Katharer war,
gesprochen hätte und dass sich dann am Ende dieser Wirt bekehrt habe.
Sprecher:
Eine Geschichte, sagt Pater Elias Füllenbach, die deutlich macht, wo die Anfänge seines Ordens
liegen:
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Predigtdienst! Diese Idee wird dann auch zu einem Werk, denn… 1216 wird dann diese kleine Gemeinschaft in Toulouse erstmals bestätigt… Und diese päpstliche Bestätigung feiern wir
eben in diesem Jahr… Das Interessante ist, dass der Orden bestätigt wird vom Papst als eine
Ordensgemeinschaft von Predigern… Das ist etwas ganz Besonderes, denn eigentlich durften damals nur Bischöfe oder von den Bischöfen Beauftragte predigen. Und nun wird der
Predigtdienst auf eine ganze Gemeinschaft… übertragen… Unser eigentlicher Name ist nicht
Dominikaner, sondern wir heißen „Ordo Fratrum Praedicatorum“, also „Orden der Predigerbrüder“.
Musik: „Laudare, benedicere, praedicare“.
Sprecherin:
Die neue Ordensgemeinschaft unterscheidet sich deutlich von anderen Bruderschaften des mittelalterlichen Mönchtums: Nicht mehr abgeschieden in einsamen Abteien fernab vom Lärm der Welt wollen die Mönche leben, sondern in kleinen Kommunitäten inmitten der um diese Zeit aufblühenden
Städte. Das Konzept geht auf: Wo immer die Dominikaner auftauchen, werden sie vom städtischen
Bürgertum, vor allem aber von bildungshungrigen Studenten begeistert empfangen.
Sprecher:
Durch dieses Mitten-in-die-Städte-Hineingehen, durch ihr Predigen auf Gassen
und Marktplätzen und ihren unmittelbaren Kontakt zum Volk tragen die Dominikaner maßgeblich zu einer Verbürgerlichung der Kirche bei.
Gleichzeitig praktizieren sie eine Art frühes demokratisches Modell:
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O-Ton Hans Conrad Zander:
Nach dem Vorbild der italienischen Städte hatte Dominikus seinem Orden… eine radikaldemokratische Verfassung gegeben. Mit einem Parlament, das nach dem Rotationsprinzip gewählt ist und den Ordensmeister frei wählt, ohne Bestätigung durch den Papst. Auch in den
einzelnen Klöstern gibt es keinen Vater Abt mehr, sondern nur das demokratische Wahlamt
des Priors.
Sprecherin:
Und eine arme Gemeinschaft wollen sie sein, ein Bettelorden:
Mit diesem Armutsideal reagieren die Dominikaner ebenso wie auch die Franziskaner auf die politischen und sozialen Stürme ihrer Zeit:
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Die Kirche war Anfang des 13. Jahrhunderts in einer Krise und sowohl Franziskus als auch
Dominikus merken, dass die Glaubwürdigkeit der Kirche auch daran hängt, wie sie mit Reichtum und Besitz umgeht. Und ein großer Kritikpunkt der Katharer war: die Kirche ist reich, die
Kirche kümmert sich nur um den Adel… und das einfache Volk wird im Stich gelassen.
Sprecherin:
Es sei eine Ironie der Kirchengeschichte, notiert der Journalist Alexander Brüggemann dazu, dass
die großen religiösen Reformorden des Mittelalters einem paradoxen Zyklus unterworfen seien: Sie
beginnen arm und werden dann schnell reich.
Zitator 1:
„Gegründet von glühenden Asketen, die das Armutsideal des Mönchtums erneuern wollten, zogen
sie mit ihrer Strahlkraft Hunderte junger Männer aus ganz Europa an, die ein anderes Leben suchten
und Hunderte frommer Stiftungen, mit denen der Adel der Zeit sein ewiges Seelenheil befördern wollte. Aus radikal armen Bewegungen wurden so mitunter schnell mächtige Imperien, die sich über
ganz Europa erstreckten…“
Sprecher:
Neben ihrer Predigttätigkeit aber bleibt die Hauptaufgabe des neuen Ordens der Kampf gegen die
Ketzer!
Die Dominikaner wandeln sich von einem schlichten Bettelorden zur wichtigsten religiösen Instanz
ihrer Epoche. Sie schärfen ihr Profil, indem sie zu Spezialisten der Ketzerjagd werden. Sie nehmen
die Witterung der Ketzer auf, jagen ihnen nach, stellen sie und - überantworten sie der Inquisition.
Was ihnen den Spottnamen „Domini Canes“ - „Spürhunde des Herrn“ einbringt.
Sprecherin:
Name und Taten werden viele Jahrhunderte lang ihr Trauma bleiben.
Sprecher:
Es ist die schwarze Seite ihrer Ordensgeschichte.
Sprecherin:
Und doch entwickelt sich daraus eine neue, eine weiße Seite.
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14.08.2016
Musik: „Lauda Sion Salvatorem.“
Sprecherin:
Denn um die Lehren der Häretiker intellektuell entkräften zu können, verordnet Dominikus seinen
Brüdern ein gründliches Studium in den geistigen und geistlichen Zentren der damaligen Welt.
Denn nicht das Geld, so seine Ansicht, sei das eigentliche Übel in der Kirche:
O-Ton Hans Conrad Zander:
Sondern die Dummheit! In einer von allen Brüdern als tollkühn empfundenen Entscheidung
verlegte er kurz nach der Gründung den Schwerpunkt seines Ordens in die beiden blühendsten Universitätsstädte Europas: nach Paris und Bologna. Bei den besten, den aufgeschlossensten Gelehrten jener Zeit sollten die Brüder studieren…
Sprecher:
Hans Conrad Zander, ehemaliger Dominikaner und engagierter Verfechter einer religiösen Bildung.
Die nämlich, so seine These, sei so etwas wie das „Gedächtnis der Menschheit.“ Mit ihrem „studium
generale“ rufen die Dominikaner eine Art „Europäische Bildungsunion“ ins Leben. Auf die religiöse
Blüte folgt eine kulturelle: Der Orden ebnet den Weg für eine länderübergreifende, abendländische
Gelehrsamkeit. Und sammelt die hellsten Köpfe der Zeit aus vielen Ländern Europas um sich. Unter
ihnen ist der Leiter des „studium generale“ in Köln, ein Mann, der europäische Geistesgeschichte
schreibt:
Sprecherin:
Albertus Magnus, einer der größten Söhne des Dominikanerordens:
O-Ton Kardinal Rainer Maria Woelki:
…Und zugleich auch einer der ganz großen Söhne unserer Stadt… Dieser entdeckte als einer der großen Universalgelehrten die Schriften des Aristoteles wieder…
Sprecherin:
Alberts berühmtester Schüler ist der Italiener Thomas von Aquin:
O-Ton Kardinal Rainer Maria Woelki:
Immer wieder müssen wir uns klarmachen, dass es durch Dominikaner wie Albertus Magnus,
wie Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert… zu einem geistigen Aufbruch kam, der vieles
vom modernen Denken vorwegnahm und vorbereitete…
Sprecherin:
Thomas von Aquin und sein Lehrer Albertus Magnus sind die Lichtgestalten do-minikanischer Ordensgeschichte.
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14.08.2016
O-Ton Reportage, Besuch Papst Johannes Pauls II. am Grab des Albertus Magnus (St.
Andreas, Köln):
Reporterin: November 1980. Papst Johannes Paul II. kommt zum ersten Mal als Oberhaupt
der römisch-katholischen Kirche nach Deutschland und beginnt seinen Besuch in der romanischen Kirche St. Andreas in Köln. Das Grab in der Krypta ist das erste Ziel seiner Reise. Er
würdigt damit den Mann, der als einziger Gelehrter überhaupt den Beinamen „der Große“
trägt, Albertus Magnus.“
Reporter: Er wird jetzt hinuntersteigen die 14 Stufen in die Krypta
zum Grab des Heiligen Albertus Magnus… Der Papst kniet jetzt vor dem römischen Sarkophag, in dem die Gebeine des Heiligen Albertus Magnus ruhen…
Sprecherin:
Doch dem Glanz dieser Epoche um Albertus Magnus folgen erneut dunkle Wolken für die Dominikaner. Wiederum im Schatten des Kölner Doms:
Zitator 2:
„Ja, hier hat einst die Klerisei
Ihr frommes Wesen getrieben,
Hier haben die Dunkelmänner gehaust,
Die Ulrich von Hutten beschrieben…“
Sprecherin:
Den so von Heinrich Heine spöttisch beschriebenen „Dunkelmännern“ treten nun die hellsten Köpfe
ihrer Zeit entgegen: die gelehrten Humanisten des 16. Jahrhunderts, zu denen auch der Papst- und
Kirchenkritiker Ulrich von Hutten gehört.
Die von ihnen kritisierte Verdunkelung des Geistes aber macht auch vor den Dominikanern nicht halt.
Sprecher:
Aus religiösen Streitigkeiten entsteht im Jahr 1515 der so genannte „Kölner Gelehrtenkrieg“, dessen
Ausläufer selbst Papst und Kaiser beschäftigen. Im Zentrum steht der sogenannte „Judenbücherstreit“.Er beginnt damit, dass ein zum Christentum konvertierter Jude namens Johannes Pfefferkorn
fordert, den Juden ihre heiligen Bücher fortzunehmen. Seine Begründung: sie schmähten das Christentum und ständen der Bekehrung der Juden im Weg. In seinem fanatischen Konvertiten-Eifer erwirkt Pfefferkorn von Kaiser Maximilian die Erlaubnis, die Bücher der Juden, vor allem aber den Talmud einer Prüfung zu unterziehen.
Sprecherin:
Dazu sollen Sachverständige gehört werden. Nämlich Jakob van Hoogstraaten,
Inquisitor und Prior der Kölner Dominikaner auf der einen und der Humanist
und Hebraist Johannes Reuchlin aus Tübingen auf der anderen Seite:
O-Ton Professor Volker Leppin:
Und der antwortet, wie man das als guter Wissenschaftler macht: muss man alles differenziert
sehen…
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Sprecher:
Der Kirchenhistoriker Volker Leppin:
O-Ton Professor Volker Leppin:
Zu den jüdischen Schriften gehören auch die Schriften dessen, was die Christen als das Alte
Testament bezeichnen - das kann man schlecht konfiszieren, aber es gehören auch noch eine Menge weiterer unterschiedlicher Schriften dazu… Er sagt, es ist auch falsch, die Juden
als Häretiker zu bezeichnen, weil sie ja nicht abgefallenen Christen sind. Deswegen gelten für
sie ganz andere Kategorien - eben Kategorien für eine andere Religion.
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Hoogstraaten… sagt ganz in mittelalterlicher Tradition: der Talmud ist gefährlich… also muss
er vernichtet werden… Die Kölner Brüder und die Kölner Universität unterstützen die Position
Hoogstraatens…
Sprecherin:
Und machen sich dabei so lächerlich, dass die Humanisten, die durch die Borniertheit der Dominikaner ihren Intellekt beleidigt sehen, sie mit den „Dunkelmännerbriefen“ - absichtlich in falschem und
holprigem Latein gehalten - nach Strich und Faden verspotten:
O-Ton Professor Volker Leppin:
Briefe, die erstens in unglaublich schlechtem Latein geschrieben sind; das ist die Arroganz
der Humanisten, die sagen, dieses scholastische Latein ist ja nicht so ordentlich wie ein Cicero, was wir als Humanisten können; und die zweitens zeigen, wie diese Dominikaner von
Dummheit und Vorurteil geprägt sind…
Sprecherin:
Die ganze Sache wird zu einem bühnenreifen Lehrstück - mit den Büchern der Juden als vordergründigem Motiv; der Freiheit des Geistes und der Toleranz des Glaubens als hintergründigem Motiv, einem Kölner Inquisitor und einem Tübinger Gelehrten als Gegenspieler in den Hauptrollen.
Sprecher:
Diese Fehde zwischen Licht und Dunkel, Wissenschaft und Aberglauben, die auf offener Bühne ausgefochten wird, ist kein Ruhmesblatt für die Dominikaner; dokumentiert sie doch auf bedrückende
Weise den Kampf zwischen altem und neuem Denken, zwischen Mittelalter und Renaissance, zwischen Abenddämmerung und Morgenröte:
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Man sieht: der Dominikanerorden ist kein monolithischer Block, sondern es gibt sehr unterschiedliche Figuren… Leider ist der Orden nicht immer seinem Ideal treugeblieben…
Sprecherin:
Dem Ideal: „Den Glauben predigen aus einem überzeugenden Leben heraus …“
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14.08.2016
Sprecher:
Erklärung des Provinzkapitels der Dominikanerprovinz Teutonia - also der deutschen Ordensleitung zum Thema „Dominikaner und Inquisition“, Mai 2000
Zitator 1:
„Deutsche Dominikaner waren nicht nur in die Inquisition verstrickt, sondern haben sich aktiv und
umfangreich an ihr beteiligt…Unabhängig von den vielleicht nachvollziehbaren historischen Gründen
erkennen wir heute die verheerenden Folgen dieses Tuns unserer Brüder. Wir empfinden dies als
dunkles und bedrückendes Kapitel unserer Geschichte…“
Musik: „Die Fahne hoch.“
O-Ton Pater Elias Füllenbach:
Es ist sehr wichtig, sich mit den dunklen Figuren und den Schattenseiten, die es in der Ordensgeschichte gegeben hat, zu beschäftigen, aber man muss dabei auch gerecht bleiben
und die andere Seite sehen.
Sprecher:
Die „andere Seite“. Wie Pater Franziskus Maria Stratmann sie im Buch der dominikanischen Geschichte aufgeschlagen hat.
Oder auch Pater Aurelis Arkenau!
Sprecherin:
Die Aufstellung ist knapp und präzise, die Aufforderung, sich an einem Sammelpunkt in der Leipziger
Innenstadt einzufinden, unmissverständlich:
Zitator 2:
„Transportliste II, 17. 2 1943 nach Auschwitz: Die Pelznäherin Käthe Leibel,
staatenlos, geboren am 11. 2. 1914 und Sohn Joachim Leibel, geboren am 6. 6. 1940, beide wohnhaft Leipzig, im Judenhaus, Große Fleischergasse 12…“
Zitatorin:
„Genau wusste ich nicht, was mich erwarten würde, aber ich war so müde von dieser ständigen
Angst, dass ich einfach ein paar Sachen zusammenpackte. Aber dann überredete meine Freundin
mich, bevor ich mich entschloss, der Aufforderung nachzukommen, noch einmal mit Pater Aurelius
zu sprechen…“
Sprecher:
Dieses Gespräch wird der jungen Jüdin Käthe Leibel und ihrem kleinen Sohn das Leben retten.
Denn der Dominikanerpater Aurelius Arkenau macht der jungen Frau ohne Umschweife klar, dass
dieser Transport für sie und ihr Kind die Reise in den Tod bedeutet. Umgehend organisiert er ein
Versteck für die beiden in seinem Kloster St. Albert in Leipzig. Als es dort für die Untergetauchten zu
gefährlich wird, organisiert er in Windeseile einen neuen Unterschlupf für die beiden bei einem Berliner Pfarrer. So überleben Mutter und Kind Verfolgung und Krieg.
Später gibt Käthe Leibel zu Protokoll:
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Zitatorin:
„Pater Aurelius war immer der Schutzengel, der erstens für die finanzielle Hilfe sorgte, wozu nicht nur
Geld, sondern auch Lebensmittelkarten und Adressen gehörten. Die entscheidende Hilfe leistete er
dann mit einem deutschen Ausweis, der meinen Sohn und mich überleben ließ.
Das Vertrauen von Pater Aurelius in Gottes Hilfe hat mir und anderen geholfen…“
Sprecher:
Diesem deutschen Dominikaner wird eine ungewöhnliche Ehrung zuteil: die israelische Gedenkstätte
„Yad Vashem“ verleiht ihm 1999 posthum die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“. Es ist die
höchste Ehrung, die der Staat Israel an einen Nichtjuden zu vergeben hat.
Musik: „Laudare, benedicere, praedicare“.
O-Ton Kardinal Rainer Maria Woelki:
… Zur Ehre gereicht Gott so vieles von dem, was wir dem Dominikanerorden zu verdanken
haben…
Sprecherin:
Und das sind immerhin: vier Päpste und 60 Kardinäle, Tausende Erzbischöfe, Bischöfe und Gelehrte
von internationalem Rang, Künstler, Philosophen, Theologen, Wissenschaftler - Lichtgestalten und ja, und auch Finsterlinge. Da spannt sich der Bogen von Fra Angelico zu dem Inquisitor Heinrich
Krämer, von dem Philosophen Meister Eckhart zum „schwarzen Propheten“ Girolamo Savonarola.
Sprecher:
Viele von denen, die Herausragendes geleistet haben, sind inzwischen längst vergessen. Wie etwa
Vinzenz von Beauvais, der im 13. Jahrhundert mit seinem „speculum maius“ die bedeutendste mittelalterliche Enzyklopädie verfasst hat. Oder Johannes Tauler, dessen Dichtung uns bis heute begleitet: in dem bekannten Adventschoral „Es kommt ein Schiff geladen.“
Sprecherin:
Und 600 Jahre nach dem Prediger und Liederdichter Tauler landet die belgische Dominikanerin
Sœur Sourire mit einem Ohrwurm über ihren Ordensgründer sogar in den Hitparaden:
Musik: „Dominique“
Sprecherin:
„Er sprach nur von Gott“, heißt es in dem Lied. Ganz so, wie es einer von Dominikus‘ Mitbrüdern erlebt hat:
Zitator 1:
„Wo immer ich mit ihm war, sprach er nur von Gott oder zu Gott…“
Musik: „Dominique“
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Sprecher:
Und das Besondere an den Dominikanern heute? In einer doch weitgehend säkularisierten Gesellschaft?
Sprecherin:
Eine Offenheit, eine Weite im Denken, meint etwa Pater Christoph Wekenborg, Rektor an St. Andreas in Köln. Die Hauptaufgabe der heute rund 6000 Brüder und 30 000 Schwestern weltweit sieht er
ganz traditionell in der Seelsorge, der Bildung und der Arbeit in den Gemeinden.
Musik: Gregorianischer Choral.
Sprecherin:
800 Jahre „loben, segnen, predigen“. 800 Jahre Dienst am Menschen und an der Kirche. 800 Jahre
beten, lehren, lernen und verkündigen. Hinhören und hinwenden. Beständigkeit ohne Unbeweglichkeit, Weltoffenheit ohne Verweltlichung - all das ist dominikanische Tradition.
Sprecherin:
Und die ist eindeutig:
Zitator 1:
„… Mehr als schwarz und weiß…“
Musik: Gregorianischer Choral.
O-Ton Hans Conrad Zander:
Hat es jemals schönere Mönche gegeben als die Dominikaner in ihren weißen Kutten und
dem schwarzen Chorherrenmantel…?
Musik: Gregorianischer Choral
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