Pastoralreferent Reiner Jöckel, Frankfurt Katholische Morgenfeier in hr2-kultur am Sonntag, 14.8.2016 Maria und Benedikt von Nursia – Patronin und Patron Europas „Über Geschmack lässt sich streiten“, sprach der Fuchs und biss in die Seife. Was der Fuchs hier über den Geschmack sagt, kann man auch auf die Kunst anwenden. Einige Fachleute meinen zum Beispiel: Viele Gemälde werden zu teuer gehandelt. Und zwar deshalb, weil ihr Besitz einfach gerade „in“ ist. Geschmäcker und Moden sind eben verschieden und auch die entsprechenden Geldbeutel. Eine Frage ist mir aber wichtig: Welche Aufgaben hat Kunst eigentlich in unserer Zeit? Der französische Philosoph Gilles Deleuze (+1995 in Paris) etwa meint: „Die Kunst ist das Widerständige: Sie widersteht dem Tod, der Knechtschaft, der Schändlichkeit, der Schmach.“ (Quelle: Gilles Deleuze, Unterhandlungen 19721990, Frankfurt am Main 1993, S. 54) Ich finde diesen Gedanken interessant. Ich habe ihn auch in einem Programmheft des Staatstheaters Darmstadt gelesen. Es ging um eine zweiteilige BallettUraufführung mit dem Titel „Grenzgänger“. Ich erzähle Ihnen von einem Teil dieser Aufführung, der mir besonders gut gefallen und mich auch inspiriert hat. „Ariadna“, so lautet dieser Teil der Aufführung, ist eine übergroße weiße, marmorartige Figur. Sie ist schlafend in Szene gesetzt und beherrscht durch eine gleißende Beleuchtung das Bühnenbild. So, als wollte sie mir sagen: „Ich verschließe meine Augen vor der bösen Welt“. Aber diese böse Welt macht sich immer wieder mit lauten und eindringlichen Geräuschen an einer Stahltüre bemerkbar. Sie befindet sich auf der Bühne links von dieser Ariadna. Und immer wieder habe ich mich gefragt: Welche Mächte treiben da wohl ihr bedrohliches Unwesen? Die Tänzerinnen und Tänzer sind uniform gekleidete Figuren mit angepasstem Einheitshaarschnitt. Sie zucken und zappeln geradezu akrobatisch über die Bühne und restaurieren jene Figur in der Mitte. Sie scheinen die Schönheit der Kunst vor dieser bösen Welt da draußen verteidigen zu wollen. Grenzgänger sind sie deshalb, weil sie sich durch die unheimliche Macht jenseits der Stahltür immer wieder mit dieser Frage auseinander setzen müssen: Soll Kunst einfach nur beruhigend und schön sein? Oder soll sie in einen kritischen Dialog eintreten zwischen dem Betrachter und der Realität? Durch die wirklich spannende Choreografie wurde ich selbst zu einer Art Grenzgänger. Inspiriert hat mich diese Aufführung aber noch in einer ganz anderen Weise. Ich habe diese weiße Figur auf der Bühne irgendwie mit der derzeitigen Situation Europas verglichen. „Európe“ ist ja wie Ariadne eine bekannte Göttin aus der griechischen Mythologie. Sie wurde bekanntlich von Zeus, der sich als Stier verkleidet hatte, nach Kreta entführt und dort verführt. Ich frage mich: Ist das heutige Europa nicht wie jene weiße Figur auf der Bühne auf vielerlei Weise bedroht? Wer sind die heutigen Verführer? Der Stier – ein Symbol finanzieller Macht? Wer sind heute die Grenzgänger? Wer verteidigt in diesen Tagen ein vielleicht allzu idealisiertes Bild der sogenannten europäischen Gemeinschaft gegen die Realität der vielen Krisen? Welche Aufgabe hat dabei Kunst oder auch die Religion? Können sie Kräfte für eine notwendige Besinnung auf verloren gegangene Werte freisetzen? Humanität oder Turbokapitalismus? Gerechtigkeit oder Chancenlosigkeit für viele? Wie können nachhaltige und ethisch verantwortbare Leitbilder heute durch gute Vorbilder verwirklicht werden? Musik 1: Eleni Karaindrou, aus „Dust of time“: „Waltz by the River“ Label: ECM New Series 2070, LC 02516 Europa in der Krise. Viele erleben ja auch im eigenen Leben Höhen und Tiefen. Wendepunkte und Sackgassen, Schweres und Schmerzliches. Ich glaube wirklich: Kunst und Religion können uns in all dem ermutigen zur Wahrheit und zur Veränderung. Und es sind immer konkrete Personen, die uns dabei durch ihr konkretes Verhalten Vorbild sind und Orientierung geben können. In einem römischen Sprichwort heißt es treffend: „Worte bewegen – gute Beispiele reißen hin!“ Zum Guten eben. Zu mehr Gerechtigkeit und einem besseren Umgang mit der Schöpfung. Ein Neuanfang ist nicht immer leicht. Denn bevor etwas Neues wachsen kann, muss ich akzeptieren lernen, was seine Fähigkeit zum Leben eingebüßt hat. Ich muss meine Komfortzone verlassen. Ich muss akzeptieren, wer ich nicht sein kann. Dazu brauche ich Vorbilder. Frauen und Männer, die vorleben, wie das gehen kann. Ich möchte Ihnen in dieser Morgenfeier zwei Personen vorstellen, die schon über 1500 Jahre für Menschen ein Vorbild waren und es bis heute geblieben sind. Beide hat die Katholische Kirche zu Patronen Europas ernannt. Die eine Person ist Maria, die Mutter Jesu. Die Katholische Kirche feiert morgen weltweit und schon seit dem 5. Jahrhundert ihre Aufnahme in den Himmel“. Sie tut es, weil Menschen auf allen Kontinenten und in schwierigen Zeiten immer wieder auf ihre Hilfe und Fürsprache bei Gott gehofft haben. Sie hat ihnen Kraft für Ihren Alltag geben können. Als Zeichen dafür finden sich überall in Kunst, Bildern, Figuren und der Musik Hinweise auf Maria. Ich frage mich: Was könnte ihr Patronat für das heutige Europa und für mein eigenes Leben bedeuten? Am 15. August feiern wir ja nach christlicher Auffassung nicht weniger als das Ziel unseres irdischen Lebens. Indem Maria in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen wurde, soll deutlich werden: Auch mein eigenes Leben und unsere Welt enden nicht in einem sinnlosen Nichts. Für Christen ist der Mensch nämlich von seinem Wesen her schon immer bei Gott daheim und von ihm angenommen. Und darum macht auch die schiere Vernichtung auf Erden den Menschen zu keinem Nichts. Keine Macht der Welt kann Menschen die Würde nehmen, die sie vor Gott und von ihm her besitzen. Ich finde das schon eine ganz besondere Vision. Und das gibt auch mir Kraft, mich immer wieder für ein menschenwürdiges Leben einzusetzen. Musik 2: C.Saint-Saens: “Romance op. 36” aus: Sonate No 1 & Suite op. 16 Label: Harmonia Mundi LC7045 Aber leider wird nicht nur in Europa die Würde so vieler Menschen mit Füßen getreten. Und wie oft geschieht es im Verborgenen. Auch Journalisten z.B., die es anprangern, werden mundtot gemacht und haben wenige, die für sie eintreten. Warum ist das so? Vieles kann ich einfach nicht verstehen. Aber ich denke: Die gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrisen, die Zunahme von Gewalt und Sinnlosigkeit unter den Menschen haben auch damit zu tun. Sie sind im Kern die Folge einer geistigen Krise. Eine Krise der menschlichen Werte. Ich finde auch einer Krise, heute noch an Gott glauben zu können. Und es gibt für mich auch verstehbare Gründe. Ein Spiegel dieser Situation und der Versuch ihrer Verdrängung zeigt sich für mich auch in der Gigantomanie des „immer schneller, immer weiter und immer mehr“. Die Folgen sind bekannt. Es ist oft die ungezügelte Herrschaft des Turbokapitalismus, der viele Menschen immer öfter zum reinen Kostenfaktor und zur austauschbaren Ware verkümmern lässt. Wie Gott sein wollen: Über andere herrschen wollen im Namen eines missbrauchten Gottesbildes; das ist für mich die ewige Versuchung des Menschen. Maria als Patronin Europas formuliert in einem recht subversiven Gebet, wie es anders laufen könnte. Sie benennt für mich wichtige Dinge für die notwendige Gerechtigkeit unter den Völkern. Ihre Gedanken sind hochaktuell. In einer moderneren Fassung ihres „Magnifikats“ heißt es unter anderem: „Ein Loblied singt meine Seele dem Herrn, mein Geist erfreut sich an Gott, meinem Retter. Auf seine nichtige Dienerin blickt er… in mir vollbringt der Allmächtige Wunder… Er streckt seine starke Hand aus und zerstreut die Stolzen. Die Mächtigen wirft er von ihren Thronen und hebt die Erniedrigten auf. Die Hungernden stärkt sein Freudenmahl, die Reichen lässt er leer weggehn.“ Ich spüre: Ein solches Patronat Marias hat es in sich. Es ist alles andere als eine Frömmelei aus dem Mittelalter. Ich finde gut, was Kardinal Kasper in diesem Zusammenhang anlässlich der Verleihung des diesjährigen Karlspreises an Papst Franziskus in Aachen sagte: „Das Europa, das den Himmel betrachtet und Ideale verfolgt; das Europa, das auf den Menschen schaut, ihn verteidigt und schützt; das Europa, das auf sicherem, festem Boden voran schreitet, ist ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit!“ Wenn das in einem Regierungsprogramm seinen Niederschlag fände, würden sich viele Menschen tatsächlich freuen. Musik 3: “Magnificat anima mea” aus: John Rutter “Gloria” Choir of King’s College, Cambridge, Label: EMI Records Ltd., 2005 LC 7045, 2010 Ich sprach von einer weiteren Person, die uns ein Vorbild im heutigen Europa und für das eigene Leben sein könnte. Ich meine den Heiligen Benedikt von Nursia. Er lebte etwa 480 bis 547 und ist Gründer des Benediktinerordens. Er lebte und wirkte in einer Zeit, die ich mit der Gegenwart vergleichen kann: Sehr unruhig ging es damals zu. Alles war im Umbruch. Das Römische Reich war im Niedergang. Viele Menschen waren entwurzelt und orientierungslos. Es war die Zeit großer Völkerwanderungen. In dieser Zeit gründete Benedikt damals viele Klöster und bemühte sich um umfassende Bildungsangebote. Eines seiner Angebote, eine Art geistiges Testament, war seine Ordensregel. Sie enthält für mich auch heute noch wichtige Einsichten und Verhaltensregeln für das das Gelingen von Gemeinschaft. Nicht nur im Kloster. Die Katholische Kirche hat auch ihn deshalb zum „Patron Europas“ erklärt. Im Vorwort zu seiner Regel schreibt Benedikt: „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?“ Da fühle ich mich sofort angesprochen. Schon deshalb können für mich einige Gedanken dieser Regel auch für das persönliche Leben ein Leitfaden sein. Weil sie kein enges Korsett oder angestaubte Frömmelei sind, bin ich neugierig. Wenn es also der Ungeist des Materialismus ist, der heute so viele Probleme verursacht, dann kann man doch mit denselben Vorstellungen diese Situation nicht ändern. Es bedarf immer wieder in vielen Bereichen eines neuen Denkens. Eine Bereitschaft zur Umkehr. Ein Bewusstsein, das sich aus einer geistigen Quelle speisen muss. Und das geht mir persönlich auch so: Ich kann den Sinn des Lebens eben nicht allein in den materiellen und diesseitigen Quellen finden. Ich frage mich: Gibt es etwas Gemeinsames aus der Ordensregel des Hl. Benedikt, dass auch nach über 1500 Jahren für das eigene Leben und für die weitere Gestaltung Europas eine Bedeutung hat? Musik 4: Ketil Bjornstadt: “Solace” aus: The Rainbow Label: Universal Int. Music LC 00699 Drei Aussagen gefallen mir aus der Regel des Hl. Benedikts ganz besonders: Das „Hören mit dem Herzen“, die rechte Balance zwischen „Beten und Arbeiten“ und seine Vorstellungen vom „Maß halten“. Zu Beginn der Regel schreibt Benedikt: „Höre, mein Sohn/meine Tochter, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an.“ Wie wichtig und schwierig ist das wirkliche Hören und Zuhören geworden. So viele Stimmen und Informationen stürmen auf mich ein. Ganz so ähnlich wie bei dem genannten Tanztheater „Grenzgänger“, wo geheimnisvolle Stimmen wie kaltes Hämmern an einer Stahltür an mein Ohr drangen. Wirkliches Hören setzt immer auch eine Art inneres Schweigen voraus. Ich möchte mich dem, der mir etwas sagen möchte, mit dem Ohr meines Herzens und mit Wohlwollen zuwenden. Und das geht nicht ohne mein Schweigen. Es ist gerade diese Stille, die mich diese Verantwortung für meine Umwelt und meine Mitmenschen wahrnehmen lässt. Aber ich muss es auch wirklich wollen. Und mit dem „Zuspruch des Vaters“, auf den ich hören soll, ist letztlich gemeint: In Gott und seiner unbedingten Zuwendung zu uns Menschen, kann auch ich den Sinn meines Lebens und mich selbst finden. Ich denke es ist auch für Europa wichtig, die Frage nach Gott um der Menschen willen wach zu halten. Auch deshalb, um nicht den heutigen Götzen zum Opfer zu fallen. Wenn dies der Fall ist, dann finde ich auch die richtige Balance zwischen Gebet und Arbeit. Ich arbeite in der Regel sehr gerne. Aber viele Menschen fragen sich: Ist denn Arbeit bis zum Umfallen alles im Leben? Warum erfordern teure Mieten und hoher Lebensstandard Anstrengungen, die bis zum Burnout führen? Benedikt ist der Auffassung, dass Menschen auch heute in der Stille des Gebets hier zu neuer Orientierung finden können. Für Benedikt hat diese Haltung in seiner Idee des „Maßhaltens“ seinen ganz konkreten Ausdruck gefunden. Für ihn ist sie die Mutter aller Tugenden. Die Maßlosigkeit war wohl zu allen Zeiten die Versuchung im Leben des Einzelnen, wie auch in der Gesellschaft. Es bringt mich aber nicht weiter, wenn ich dafür lediglich eine falsch verstandene Autonomie des Menschen verantwortlich mache. Oder die Ideologie unbegrenzten Wachstums. Vielmehr frage ich mich: Ist es nicht eher eine ungestillte Sehnsucht nach heilem Leben, die Menschen atem-und maßlos werden lässt? Wird man auch maßlos, weil man die Endlichkeit des Lebens nicht aushalten kann. Mir hat in der letzten Zeit ein Gedanke weitergeholfen: Ich komme in meinem Leben nur voran, wenn ich ehrlich akzeptieren kann, wer ich nicht bin, welche Fähigkeiten ich nicht habe. Nur an diesem Maß, nur im Eingeständnis dieser Grenze, kann ich zufriedener werden und da wachsen, wo es tatsächlich auch möglich ist. Vielleicht ist dies auch ein Maß, das der Gemeinschaft in Europa gut tut. Musik 5: Choral: „Gaudeamus omnes in Domino” Introitus zum Festtag des Hl. Benedikt (Mönche von Fontgombault) aus: Die Klangwelt des Klöster“ Archiv Produktion, Label DGG Nr. 4669634 Lied-Text: Gaudeamus omnes in Domino diem festum celebrantes sub honore Benedicti abatis de cujus solemnitate gaudent angeli et collaudant Filium Dei. Wir alle freuen uns im Herrn (und) feiern(d) das Fest zu Ehren des Hl. Benedikt. In dessen Heiterkeit freuen sich die Engel und preisen den Sohn Gottes (Ps. 48:2) Magnus Dominus et laudabilis nimis In civitate Dei nostri in monte sancto ejus. Groß ist der Herr und hoch zu rühmen in der Stadt unseres Gottes, auf seinem heiligen Berge Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto Sicut erat in principio et nunc et semper et in saecula saeculorum. Amen. Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang, jetzt und immer und in Ewigkeit. Amen
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