taz.die tageszeitung

Frauenringen: Alle gegen die Japanerinnen
Bleibt Seriensiegerin Kaori Icho bei Olympia ungeschlagen? ▶ Rio.taz Seite 17
AUSGABE BERLIN | NR. 11098 | 33. WOCHE | 38. JAHRGANG
H EUTE I N DER TAZ
MITTWOCH, 17. AUGUST 2016 | WWW.TAZ.DE
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Deutschlands Haupt-Problem
„BURKA-VERBOT“ Sie lassen nicht locker: CDU-PolitikerInnen fordern weiterhin vollmundig ein Vollverbot
der Vollverschleierung. Was genau sie meinen, bleibt ebenso schleierhaft wie der Sinn der Sache ▶ SEITE 3
KOPFSACHE „Ich bin
jedes Mal verblüfft“:
Die MTV-Moderatorin
Wana Limar über
­positiven Rassismus und
Komplimente für ihr
gutes Deutsch ▶ SEITE 11
CHEFSACHE Die Labour-
Partei wählt ▶ SEITE 4
TATSACHE Kein Auto ist
wirklich öko ▶ SEITE 2, 10
BERLINSACHE SPD will
die Scheidung ▶ SEITE 21
Fotos oben: André Wunstorf, reuters
VERBOTEN
Guten Tag,
meine Damen und Herren!
Die türkische Regierung und
die ihr angeschlossene Justiz
zeigen sich neuerdings wieder
von ihrer gnädigen Seite. Dem
im US-Exil lebenden Geistlichen Fethullah Gülen, der
als angeblicher Strippenzieher hinter dem gescheiterten
Putschversuch gilt, soll zwar
weiterhin der Prozess gemacht
werden, aber die Todesstrafe ist nicht mehr im Gespräch.
Stattdessen fordert die Staatsanwaltschaft nur noch zweimal
„lebenslänglich“ plus 1.900
Jahre Haft. Also so gut wie gar
nichts. Zumal, wenn man bedenkt, dass der 75-Jährige die
Haft wahrscheinlich nicht
Ob es schwerfällt
oder nicht
Nahrung für den
islamistischen Terror
Es mag simpel sein. Aber sehe ich eine vollverschleierte Frau, blicke ich nicht entrüstet
auf eine bemitleidenswerte Unterdrückte.
Ich bin eher neugierig, wer sich da verbirgt.
Ja, dazu gehört auch die Frage: Trägt sie das
freiwillig, zwingt sie jemand, ein Mann oder
ein fanatischer Glaube? Aber eben auch
jene: Wer bin ich, das zu unterstellen? Diskriminierung aufgrund einer Äußerlichkeit
gehört ins Geschichtsbuch, nicht ins Gesetz.
Und als Äußerlichkeit muss ich als Fremde
den Gesichtsschleier zunächst betrachten,
fällt es mir leicht oder nicht. Nach langen
Bärten fragt übrigens niemand. Wo wir dabei sind: Springerstiefel, weiße Schnürsenkel, war da was?
JOHANNA ROTH,
taz-Meinungsredakteurin
Bisher eignete sich Deutschland nicht wirklich als zentrales Terrorziel. Ein Land, das
Millionen Flüchtlinge aufnimmt, dessen
Militär in der Regel niemanden umbringt
und wo es dem Staat egal ist, was man anzieht? Da sprengt sich der islamistische Profi
doch lieber in Frankreich in die Luft. Aber
nun gibt es Hoffnung für Terroristen. Endlich soll der Propaganda, wonach sich Muslime in Deutschland gegen die Ungläubigen
wehren müssen, eine Grundlage gegeben
werden. Endlich diskutiert Deutschland ein
Burka-Verbot. Vielleicht werden ja als Nächstes Flüchtlinge ausgewiesen. Dann könnte
Deutschland in der Riege der Terrorziele zu
den Großen aufrücken. DOMINIC JOHNSON,
Leiter des taz-Auslandsressorts
in voller Länge absitzen muss.
TAZ MUSS SEI N
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30633
Schlecht für den
Luxustourismus
Frauenrechte
unsichtbar
Nicht automatisch
alles Unsinn
Ein „Burka-Verbot“ ist geschäftsschädigend.
Besitzer von Edelsanatorien, Hotels und Luxusboutiquen in Metropolen wie München
oder Ferienressorts der Schweiz sind deshalb gegen ein Verbot von Ganzkörperschleiern: Sie fürchten, die zahlungskräftige
Kundschaft vom Golf könnte ausbleiben.
Natürlich hätten deutsche Polizeibeamte
auch Besseres zu tun, als Knöllchen für „unpassende“ Kleidung zu verteilen, sprich: Sittenpolizei zu spielen. Und Bekleidungsvorschriften passen per se nicht zu einer liberalen Gesellschaft: Damit werden europäische
Länder den Diktaturen im Nahen Osten ähnlicher, als sie wollen. Aber das wirtschaftliche Argument wiegt am Ende in Deutschland wohl schwerer. DANIEL BAX,
taz-Inlandsredakteur
Geht es hier um Frauenrechte? Die Verbotsvorkämpfer – Innenminister der Union –
sind nicht gerade als Speerspitze des Feminismus bekannt. Auch jetzt wollen sie
verschleierte Frauen nicht in ihrer Selbstbestimmtheit stärken. Im Gegenteil: Sie
führen einen populistischen Stellvertreterkrieg, um den Islam als repressiv und Bedrohung westlicher Werte zu diffamieren.
Frauen, die hier vollverschleiert unterwegs sind, muss man suchen. Wenn man
sie gefunden hat und ihnen den Schleier
verbietet, werden sie gänzlich unsichtbar:
Weil sie das Haus nicht mehr verlassen.
Oder glaubt irgendwer, ein Verbot führt
dazu, dass Frauenrechte in die Haushalte
PATRICIA HECHT,
ein­ziehen? taz.eins-Redakteurin
Kann ein Verbot von Burkas oder sonstigen
Verschleierungen die Sicherheit erhöhen?
Und geht es den Unionsministern wirklich
darum, wenn sie die paar hundert Frauen,
die so herumlaufen, jetzt dringend enthüllen wollen? Wer’s glaubt, wird selig. Natürlich sollen AfD-geneigte WählerInnen so
ihren Glauben an die Union wiederfinden.
Trotzdem ist auch nicht automatisch alles
Unsinn, was in der Debatte von der Union
gefordert wird, nur weil es von der Union
gefordert wird. Wenn am Ende klargestellt
wird, dass Frauen bei Aussagen vor Gericht,
beim Abholen ihrer Kinder aus der Kita oder
bei Kontrollen am Flughafen ihr Gesicht zeigen müssen, ist das in Ordnung. Nicht mehr,
aber auch nicht weniger. LUKAS WALLRAFF
taz.eins-Redakteur
Das ist keine Burka, aber auch eine Bedeckung, die das Gesicht weitgehend unerkennbar macht. Und das wollen viele ChristdemokratInnen verbieten Foto: Hiroshi Watanabe/plainpicture
4 190254 801600
02
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
PORTRAIT
NACH RICHTEN
PROKURDISCH E ZEITUNG
Türkisches Gericht ordnet Schließung an
ANKARA | Ein türkisches Gericht
Hatte zuletzt viel Post von
AfD-Fans: Harald Lesch Foto: ZDF
Ein Analyst
für Deutschland
H
arald Lesch hat sich früh
Gegner gesucht, die nicht
von dieser Welt sein können. 1994, als seine Karriere
im Fernsehen begann, stellte
sich der Astrophysiker in einer
ARD-Diskussionsrunde
der Frage: „Gibt es UFOs wirklich?“ Lesch antwortete eindeutig: „Es gibt natürliche, irdische Erklärungsmöglichkeiten
für die UFOs.“ Mit Zahlen und
Fakten widerlegte er Verschwörungstheorien über die „Grünen
Männchen“ und blieb dabei vor
allem eines: verständlich. Jetzt
hat er sich mit der AfD angelegt.
Seit Jahren moderiert der
56-jährige Professor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität nebenbei verschiedene
Fernseh- und Radiosendungen.
Ab 1998 rechnete er im bayrischen Spartensender BR Alpha
vor, wie die Physik des Weltalls
funktioniert. Über die Irrwege
im Kosmos des öffentlichen
Rundfunks fand er vor acht Jahren seinen Weg ins Hauptprogramm des ZDF. Dort moderiert
der gebürtige Gießener nun Beiträge für die Sendung „Terra X“.
In einem Onlinevideo der Sendung wollte er wieder Klarheit
schaffen: über die Klima- und
Energiepolitik der AfD.
Dazu zerlegte Lesch, Mitglied
im bayrischen Klimarat, das
AfD-Wahlprogramm. Zeile für
Zeile zeigte er wissenschaftliche Fehler auf. Er korrigierte
geschürte Zweifel an den Klimamodellen, wies auf die manipulative Auswahl der Daten hin
und widerlegte die Annahme,
dass Kohlenstoffdioxid gut für
das Pflanzenwachstum sei. Der
Wissenschaftler verdeutlichte,
wie alternativlos Wissen um
den Klimawandel ist, 1,2 Millionen Menschen sahen zu.
Die Reaktionen ließen nicht
lange auf sich warten. Lesch
hatte zu Beginn der Sendung
betont: „Es geht nicht um Politik, sondern um Sachthemen“,
trotzdem wurde er mit diffamierenden E-Mails überschüttet. Die einen kritisierten absurderweise, Lesch mache sich mit
der AfD gemein, die anderen sahen ihn „vor den Karren der totalitären Autokraten“ in Berlin gespannt, die gegen die AfD Stimmung machten. Lesch reagierte
wie immer: Er analysierte. Unter
dem Titel „Die Psychologie hinter Hass“ sprach Lesch über den
Umgang mit widersprüchlichen
Weltbildern und forderte: „Vielleicht sollte man einfach mal auf
sich selber schauen.“
Der Tag
M IT TWOCH, 17. AUGUST 2016
JONAS ACHORNER
hat am Dienstag die Schließung
der prokurdischen Zeitung Özgür Gündem angeordnet. Die
Zeitung mache „Propaganda
für die (Kurdische Arbeiterpartei) PKK und agiert de facto als
deren Sprachrohr“, berichtete
die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf
die Gerichtsanordnung. Aus Regierungskreisen hieß es, der
Entscheid sei unabhängig vom
Ausnahmezustand gefallen und
könne angefochten werden.
Mit einer täglichen Auflage
von 7.500 Exemplaren berichtete Özgür Gündem vor allem
über den Konflikt in den türkischen Kurdengebieten. Sie veröffentlichte auch Schriften des
inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan. Seit 2014 wurden
gegen das Blatt mehrfach Strafen verhängt, mehrere Mitarbeiter wurden festgenommen.
Die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ
nach dem Putschversuch vom
15. Juli mehr als 130 Zeitungen
und andere Medien schließen,
was in Europa und bei interna­
tio­nalen Menschenrechtsorganisationen Sorge über die Gewährleistung der Pressefreiheit
im Land hervorrief. (dpa, rtr)
taz intern
Ein Roman von Barbara Dribbusch
■■taz-RedakteurInnen können
nicht nur kenntnisreiche Artikel
schreiben, sondern auch schön.
Also Belletristik. Das ganz aktuell
Barbara Dribbusch. Die Inlandsredakteurin beschäftig sich vorwiegend mit Sozialthemen und
schreibt auch seit Jahren schon
ihre Kolumne „Später“. Nun ist
ihr erster Roman „Schattwald“
im Piper Verlag erschienen.
Der historische Roman mit Krimielementen spielt in der Eiseskälte
eines Winters während des
Zweiten Weltkriegs. In den österreichischen Alpen schafft es ein
charismatischer Chefarzt, mithilfe
seiner jungen Patientin Charlotte
MESSERATTACKE IM ZUG
und seiner außergewöhnlichen
Methoden das kleine, private
Nervensanatorium „Schattwald“
offenzuhalten. 70 Jahre später
stößt Charlottes Enkelin Anne
auf Charlottes Tagebücher und
muss bald erkennen, dass die
Geschichte von „Schattwald“
noch nicht zu Ende ist. Denn das
letzte Tagebuch
verschwindet
und Anne gerät
in große Gefahr.
Der Roman hat
368 Seiten,
kostet 10 Euro.
Es gibt ihn auch
als Hörbuch.
Verwirrter verletzt
zwei Fahrgäste
WIEN | Ein offenbar psychisch
kranker Deutscher ist in einem
Regionalzug in Österreich mit
einem Messer auf Fahrgäste
losgegangen und hat zwei Menschen schwer verletzt. Laut Polizei war der 60-Jährige gestern
Morgen nach Bregenz im Bundesland Vorarlberg unterwegs,
als er plötzlich aufsprang und
einem 19-Jährigen in Bauch und
Rücken stach. Dann habe er einem 17-Jährigen in den Nacken
gestochen. Im Bahnhof SulzRöthis konnten zwei Polizisten
den Angreifer nach einer kurzen Rangelei überwältigen. (afp)
Autos sind nicht empfehlenswert
MOBILITÄT Weil die Konzerne bei Abgastests tricksen und betrügen, will der ökologische Verkehrsclub keine
umweltverträglichen Fahrzeuge mehr lobend hervorheben. Die Bundesregierung müsse besser kontrollieren
VON RICHARD ROTHER
BERLIN taz | Darauf konnten sich
Autofahrer mit Umweltbewusstsein in den vergangenen Jahren
immer verlassen: Mitte August
bringt der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland (VCD) eine Positivliste mit
vergleichsweise umweltfreundlichen Fahrzeugen heraus. Damit ist es nun erst mal vorbei.
Die wesentlichen Vergleichskriterien für den VCD sind der
Spritverbrauch, der Kohlendioxidausstoß sowie Schadstoffemissionen. Da aber alle letztlich auf Herstellerangaben
beruhen, wollen die VCD-Verantwortlichen nicht mehr ihre
Hand dafür ins Feuer legen, dass
ihre Empfehlungen richtig sind.
Zu groß ist seit dem VW-Abgasskandal der Vertrauensverlust gegenüber den Autokonzernen, die mit Tricks und Betrügereien Verbraucher an der
Nase herumführen.
„Der Diesel
ist diskreditiert“
VCD-EXPERTE GERD LOTTSIEPEN
Für die seit 1989 jährlich erstellte Auto-Umweltliste seien
gesicherte Daten über Verbrauch und Abgasemissionen
nötig. „Das ist zurzeit nicht verlässlich möglich“, sagte VCDVorstandsmitglied Wasilis von
Rauch am Dienstag. „Wir können deshalb keine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen.“
Für seine Auto-Umweltliste
hat sich der VCD bislang auf
die vom Kraftfahrt-Bundesamt
geprüften und veröffentlichten
Werte gestützt, die von den Herstellern stammen. Das Bundesamt und das Bundesverkehrs-
Sieger in allen Klassen: Das Lastenrad lässt alle motorisierten Kisten locker hinter sich Foto: Karsten Thielker
ministerium haben aber „bei
der Kontrolle versagt“, betonte
VCD-Autoexperte Gerd Lottsiepen. Die Aufsicht müsse daher
künftig das Umweltbundesamt
übernehmen. Der VCD habe
schon früher gewusst, dass Autokonzerne Emissions- und Verbrauchswerte schöngerechnet
hätten. „Wir haben aber nicht
geahnt, in welchem Ausmaß
einige Hersteller mit geradezu
krimineller Energie Abgastestes
fälschen.“
Lottsiepen forderte die Verbraucher auf, sich mit dem
Fahrzeugerwerb zurückzuhalten. „Wer beim Autokauf abwar-
ten kann, sollte dies tun.“ Wer
dringend ein Auto brauche,
könne sich an allgemeine Empfehlungen halten (siehe Text unten) oder sich einen Gebrauchtwagen zulegen.
Vom Kauf eines Dieselfahrzeugs riet Lottsiepen komplett
ab. „Der Diesel ist diskreditiert,
nicht zuletzt seitdem bekannt
wurde, dass Autohersteller
massiv bei der Abgasreinigung
tricksen, teils sogar betrügen.“
Künftig würden Dieselautos nur
noch für Nutzer mit langen und
häufigen Autobahnfahrten in
Frage kommen, und auch dann
nur, wenn die Abgasreinigung
verlässlich funktioniere. Technisch sei dies möglich, aber es
sei auch sehr teuer, in jedem
Fahrzeug eine kleine Chemiefabrik zu verbauen. „Aus der Stadt
wird der Diesel verschwinden.“
Lottsiepen kritisierte zudem,
dass bei allen Autotypen – Diesel, Benziner und Elektroautos
– die Schere zwischen den Herstellerangaben und der Realität
beim Verbrauch und dem daraus resultierenden CO2-Ausstoß
in den vergangenen Jahren immer größer geworden sei. Die
Bundesregierung müsse klare
Vorgaben machen und intensiv
kontrollieren; und die Hersteller müssten endlich den Willen
zeigen, saubere Autos zu bauen
und zu verkaufen. „Das ist die
Voraussetzung dafür, dass Autos
wieder unter ökologischen Gesichtspunkten verglichen und
gekauft werden können.“
Darauf komme es letztlich
an, forderte Lottsiepen: „Denn
ganz unabhängig davon, ob es
um Verbraucherrechte geht,
die Gesundheit oder Umwelt
und Klima – wenn schon
Auto, dann muss es sauber sein.“
THEMA
DES
TAGES
Womit man noch fahren könnte
KOMPROMISSE
Die Experten des VCD raten zu unterschiedlichen Autotypen – je nach hauptsächlichem Einsatzzweck
BERLIN taz | Muss es wirklich
ein Auto sein? Diese Frage stellt
sich nach Ansicht des ökologisch
orientierten
Verkehrsclubs
Deutschlands (VCD) mit neuer
Schärfe – angesichts des Skandals um frisierte und manipulierte Abgastests. Für viele Mobilitätsbedürfnisse gebe es lange
bekannte Alternativen, erklärte
VCD-Vorstandsmitglied Wasilis
von Rauch: Elektrofahrräder,
Lastenräder, Carsharing, öffentlicher Nahverkehr.
Wer dennoch nicht auf
den Kauf eines Autos verzich-
ten kann, dem rät der VCD zu
Gebrauchtwagen oder Fahrzeugtypen, die seit Jahren im
Ökovergleich des Clubs gut
abgeschnitten und ihre Umwelteigenschaften auf der Straße bewiesen hätten.
Für den Stadtverkehr gehören dazu kleine effiziente Benziner, etwa die technischen Drillinge Citroen C1, Peugeot 108
und Toyota Aygo. Oder Stadtflitzer aus dem VW-Konzern
(VW Up, Škoda Citigo, Seat Mii)
sowie etwas größer der Golf Variant, die alle mit Erdgas fahren.
Als Auto für Stadt- und Überlandfahrten bieten sich laut
VCD Hybride an. Sie würden
wenig verbrauchen und seien
sauber. Beispiel sei der Toyota
Prius, den es schon in der vierten Generation gebe. Vergleichbare Pkw aus deutscher Produktion gebe es leider nicht.
Für regelmäßige lange Autobahnfahrten könnten hingegen Dieselfahrzeuge in Betracht
kommen, wenn sie verlässlich
ihre Abgase reinigen. Alternativ
dazu können laut VCD auch Erdgasfahrzeuge genutzt werden.
Elektroautos eignen sich laut
VCD vor allem für gewerbliche
Fahrzeugflotten, wie es etwa die
Post oder Autovermieter vormachen. E-Autos können sich auch
für Pendler lohnen, die tägliche
Wege ab 50 Kilometer zurücklegen und ihr Fahrzeug auf der Arbeitsstelle mit Ökostrom aufladen können.
Als wenig genutzter Zweitoder Drittwagen lohne sich kein
E-Auto, betont VCD-Autoexperte
Gerd Lottsiepen. Die Produktion
der schweren Batterie sei sehr
ressourcenaufwändig und öko-
logisch so nachteilig, dass jedes
Fahrzeug erst einmal 20.000 Kilometer mit Ökostrom zurücklegen müssen, um diesen Nachteil
auszugleichen.
Gleichwohl würden Elektroautos zur Erreichung der Klimaziele gebraucht. Allerdings seien
sie sehr teuer und würden kaum
gekauft. Daher gebe es insbesondere bei den rein batterieelektrischen Fahrzeugen kaum Weiterentwicklungen. „Der früher
meistverkaufte E-Smart wird
seit einem Jahr nicht mehr angeboten.“ RICHARD ROTHER
Schwerpunkt
M IT TWOCH, 17. AUGUST 2016
Schleier-Verbot
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
03
Vor der Konferenz der Unions-Innenminister
am Donnerstag prüft die Parteispitze einen Kompromiss
Ein bisschen weniger Burka
ISLAM Für viele CDU-
ler ist der Schleier
ein Symbol für
einen repressiven
Islam, der Frauen
unterdrückt. Und
ganz nebenbei
ein willkommenes
Mobilisierungsthema für
konservative Wähler
AUS BERLIN ULRICH SCHULTE
Jens Spahn ist ein kleines
Schrittchen vorangekommen.
Der 36-jährige CDU-Politiker ist
nicht nur Finanzstaatssekretär
und Mitglied im wichtigen Parteipräsidium, sondern auch ein
glühender Verfechter des BurkaVerbots. „Burka und Niqab gehen gar nicht“, findet Spahn. „Sie
haben nichts mit Religion, aber
viel mit einem absurden Frauenbild zu tun.“ Vollverschleierung habe in einem offenen
Land nichts zu suchen.
Die Burka hat in Deutschland
nichts zu suchen? Ganz so, wie
Spahn es will, wird es nicht kommen. Aber ein bisschen weniger
Burka – darauf könnte es dieses
Mal in der Tat hinauslaufen. Seit
Tagen diskutiert die CDU, ob
und wie sie das Kleidungsstück
verbieten kann, das Frauen komplett verschleiert und selbst
die Augen hinter einem feinen
Stoffgitter versteckt. Für Spahn
– und viele andere CDUler – ist
die Burka ein Symbol für einen
repressiven Islam, der Frauen
unterdrückt. Und, ganz nebenbei, ein willkommenes Mobilisierungsthema für konservative
Wähler, weil eine Burka-Trägerin in deutschen Städten bei vielen Unbehagen weckt.
Spätestens seit Montag gewinnt die Debatte an Fahrt: Die
CDU-Gremien tagten, und eine
Mehrheit im Vorstand sprach
sich dafür aus, ernsthaft Verbotsmöglichkeiten in Deutschland zu prüfen. „In der CDU sind
wir uns einig: Vollverschleierung ist das Gegenteil von Integration“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber danach.
„Wir lehnen sie ab.“ Das ist erst
mal nicht neu. Ein CDU-Parteitag hat schon im Dezember
2015 beschlossen, die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit abzulehnen. Ein BurkaVerbot enthielt der Beschluss
jedoch nicht.
Doch jetzt unterstützt die
CDU-Spitze einen Anlauf für
eng begrenzte Miniverbote.
Die Unions-Innenminister der
Bundesländer sollten „verschiedene Bereiche prüfen, in denen
eventuell eine Regelung getroffen werden kann“, sagte Tauber.
Er verwies auf die Einschätzung
von Verfassungsjuristen, dass
ein Verbot teilweise auf Län­
der­ebene, teilweise auf Bundesebene geregelt werden könne.
Das ist ein anderer Sound als
noch in der vergangenen Woche.
Da wurde eine „Berliner Erklärung“ ebenjener Unions-Innenminister öffentlich. Sie war als
politische Antwort auf die Anschläge in Ansbach und Würzburg gedacht und forderte das
Verbot neben einer Reihe an-
derer Maßnahmen. Kurz darauf sprach sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière
(CDU) dagegen aus.
Gleichzeitig kassierte die
CDU-Spitze am Montag die Forderung ihrer Landesinnenminister, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Was
jetzt zu besichtigen ist, ist also
auch eine klassische Kompromisssuche. Weil die CDU-Spitze
aus guten Gründen am Doppel-
„Vollverschleierung
ist das Gegenteil
von Integration“
CDU-GENERALSEKRETÄR PETER TAUBER
pass nicht rütteln will, geht sie
beim Burka-Verbot, einem symbolträchtigen Thema, das nur
wenige Menschen betrifft, auf
die Befürworter zu.
Dies ist auch ein Zugeständnis an die wahlkämpfenden
CDU-Landesverbände in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo die Spitzenkandidaten
Lorenz Caffier und Frank Henkel gegen SPD-Regierungschefs
antreten. Beide haben sich klar
für das Verbot positioniert. „Die
Burka ist integrationsfeindlich
und gehört für mich nicht zu
Deutschland“, sagt etwa Berlins
Innensenator Henkel. Am Donnerstag und Freitag wollen die
Unions-Innenminister ihre Vorschläge auf einer Konferenz in
Berlin endgültig festzurren.
Bemerkenswert ist, wie kleinteilig die Debatte in der CDU inzwischen geführt wird. Denn
so einfach, wie es klingt, ist ein
Verbot keineswegs. Eine Muslimin, die die Burka trägt, hat das
Grundrecht auf die „freie Entfaltung“ ihrer Persönlichkeit, so
steht es im Grundgesetz. Außerdem ist sie durch Religionsfreiheit geschützt. Allerdings gibt es
Juristen, die ein Verbot trotzdem
für verfassungskonform halten.
Die Befürworter in der CDU
berufen sich zum Beispiel auf
den Mainzer Rechtswissenschaftler Friedhelm Hufen. Ein
sorgfältig begründetes Verbot
der Vollverschleierung könne
auch einer „kritischen Würdigung“ durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte standhalten,
argumentiert Hufen in einem
Thesenpapier, das der taz vorliegt. Die Vollverschleierung
wertet er als „Ausdruck eines
fundamentalistischen Islam“,
sie bedeute „eine extremistische Absage an westliche Verfassungswerte“.
Eine gesetzliche Grundlage
für ein Verbot sei in mehreren Bereichen schon vorhanden, schreibt Hufen weiter. Der
Staatsrechtsprofessor verweist
etwa auf Schulgesetze, nach denen Burka-Trägerinnen vom
Unterricht ausgeschlossen werden könnten. Sie könnten im öffentlichen Dienst disziplinarrechtlich verfolgt werden. Und:
„Das Straßenverkehrsrecht verlangt die Erkennbarkeit von Verkehrsteilnehmern und ein uneingeschränktes Gesichtsfeld.“
Es ginge bei Gesetzesänderungen also nicht um die Unterdrückung der Frau, sondern zum
Beispiel darum, dass ein Polizist eine Autofahrerin bei einer
Kontrolle identifizieren können
muss.
Ob die Innenminister die Sache bei der Konferenz am Donnerstag zur Zufriedenheit aller
in der CDU lösen, ist offen. Diejenigen CDUler, die für das Verbot werben, wollen sich jedenfalls mit kleinteiligem Stückwerk nicht zufrieden geben.
Aus ihren Reihen kommt eine
handfeste Drohung: „Wenn der
Vorschlag der Innenminister die
Erwartungen nicht erfüllt, wird
es einen deutlich formulierten
Antrag auf dem kommenden
Parteitag geben.“ Es scheint, als
habe die CDU ein Wahlkampf­
thema gefunden.
Vom Kopftuch bis zum Ganzkörperschleier
HIDSCHAB
AL-AMIRA
CHIMAR
TSCHADOR
NIQAB
Symbolisiert Religiosität und
Weiblichkeit. Er wird in verschiedenen Farben getragen und ist die
meistgetragene Kopfbedeckung
muslimischer Frauen.
Zweiteiler: Ein Teil umhüllt den
Kopf, der andere wird eng um die
Schulter gelegt. Wird in verschiedenen Farben getragen.
Mantelartiger Schleier, der bis zur
Taille reicht. Wird in verschiedenen
Farben getragen.
Ganzkörperschleier. Unter ihm
wird oft noch ein kleinerer Schleier
getragen. Nur in schwarz.
Bedeckt vollständig das Gesicht
und lässt nur die Augenpartie frei.
Wird zusammen mit einem langen
Kleid („Abbaja“) getragen. Nur in
schwarz.
Quelle: dpa
BURKA
Ganzkörperschleier. Ein Art
Gitterfenster lässt nur die Augen
frei und ermöglicht das Sehen nur
nach vorne.
taz.Grafik: infotext-berlin.de
Der Wahlkampfschlager der Rechtspopulisten
EUROPA
Viele Länder, darunter Frankreich und die Niederlande, haben in den vergangenen Jahren das Tragen des Ganzkörperschleiers verboten
BERLIN taz | Der Ruf nach ei-
nem „Burka-Verbot“ gehört zu
den Wahlkampfschlagern europäischer rechter Parteien, ob
sie nun Front National, Schweizer Volkspartei, Ukip, AfD oder
Vlaams Belang heißen. Nicht
umsonst bilden diese auf ihren
Plakaten gern vollverschleierte
Frauen ab, die sie zum Symbol
für die angebliche „Islamisierung“ Europas stilisieren.
Mit ihrer Angstmache haben
sie Erfolg: Viele Länder haben
in den vergangenen Jahren das
Tragen des Ganzkörperschleiers
verboten. Das „Burka-Verbot“ ist
ein Musterbeispiel dafür, wie es
Rechtspopulisten mit konstantem Druck gelingt, andere Parteien und ganze Regierungen
auf ihre Linie zu bringen.
Frankreich und Belgien waren die ersten europäischen Länder, in denen bereits vor über
fünf Jahren solche Verbote erlas-
sen wurden – in beiden Fällen
mit breiter parlamentarischer
Mehrheit. Dem Vlaams-BelangChef Filip Dewinter reichte das
dennoch nicht: Er lobte 250 Euro
Belohnung für jeden aus, der
eine Burka-Trägerin bei der Polizei anzeige.
Die Niederlande zogen nach
mehreren Anläufen 2015 nach.
Dort sind Ganzkörperschleier
seither in Schulen, öffentlichen
Verkehrsmitteln, Krankenhäusern und Behörden untersagt.
Bei Verstößen drohen Geldbußen von bis zu 405 Euro. Auch
die Polizei darf zum Zwecke der
Identitätsfeststellung verlangen, dass der Schleier abgelegt
wird. Wie in Belgien tragen in
den Niederlanden höchstens
400 Frauen einen Niqab, das
Verbot hat also eher symbolischen Charakter.
Tatsächlich zielen all diese
Verbote auf Ganzkörperschleier
wie den Niqab, der nur einen
Sehschlitz freilässt – und nicht
auf die Burka, die das ganze Gesicht verhüllt, eine afghanische
Spezialität ist und im Straßenbild Europas nicht anzutreffen
ist. Aus Studien der Open Society Foundation zu Niqab-Trägerinnen in Frankreich und Großbritannien geht hervor, dass
alle untersuchten Frauen den
Ganzkörperschleier aus freien
­Stücken trugen. Doch erst das
Wort Burka erzeugt den nötigen Grusel, weil es an die Frauenunterdrückung der Taliban
erinnert.
In Italien gibt es bereits ein
Gesetz, das jede Vermummung
im öffentlichen Raum untersagt: ein eigenes „Burka-Verbot“,
wie von der Lega Nord gefordert,
erübrigte sich deswegen bisher.
Dänemark dagegen, das einige
der striktesten Ausländer- und
Asylgesetze des Kontinents be-
sitzt, kennt bislang kein „BurkaVerbot“. Nach einer von der Dänischen Volkspartei angefeuerten Debatte hatte die Regierung
2010 eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die ergab, dass nur
200 Frauen im ganzen Land eine
solche Totalverhüllung tragen,
ein Drittel davon waren Konvertitinnen. Die Regierung gab
dar­
aufhin ihre Verbotspläne
auf. Wer einen Schleier trägt,
soll aber nicht zu Prüfungen
oder bestimmten Jobs zugelassen werden.
Die Zahl der Frauen,
die sich in Frankreich
verschleiern, hat
trotz Verbot nicht
abgenommen
Als vorerst letztes europäisches Land hat Lettland im Januar 2016 beschlossen, das Tragen von Ganzkörperschleiern
per Gesetz zu verbieten, in Umfragen sprachen sich zwei Drittel der Bevölkerung dafür aus.
Im gesamten Baltikum war im
Zuge der Flüchtlingskrise eine
Burka-Debatte entbrannt. Bevor
die ersten Flüchtlinge ankämen,
sollte die Frage der Verschleierung geregelt werden, hieß es
in Estland, Lettland und Litauen.
Als nächstes Land wird vermutlich die Schweiz den Ganzkörperschleier verbieten. Als
erster Schweizer Kanton hat
das italienischsprachige Tessin
nach einem entsprechenden
Volksentscheid ein „Burka-Verbot“ erlassen, das am 1. Juli 2016
in Kraft trat. Eine Touristin aus
Kuwait musste als erste deshalb
100 Franken Strafe zahlen. Tessin war der Testballon für ein Re-
ferendum über ein landesweites
Verbot, für das SVP-nahe Kreise
derzeit Unterschriften sammeln. 30 000 sollen sie bereits
zusammenhaben.
Mit den Burka-Debatten hat
die Zahl der verbalen und sogar physischen Angriffe auf verschleierte Frauen zugenommen
– auch das geht aus den Studien
der Open Society hervor. Viele
der betroffenen Frauen ziehen
es deshalb vor, zu Hause zu bleiben, soweit es geht.
Die Zahl der Frauen, die sich
in Frankreich verschleiern, hat
trotz Verbot nicht abgenommen, es sollen rund 2.000 sein.
Und der französische Geschäftsmann Rachid Nekkaz hat sich einen Sport daraus gemacht, von
einem Bußgeld betroffenen
Frauen die Strafe zu begleichen.
Er soll bereits in rund 1.000 Fällen eingesprungen sein.
DANIEL BAX