Frauenringen: Alle gegen die Japanerinnen Bleibt Seriensiegerin Kaori Icho bei Olympia ungeschlagen? ▶ Rio.taz Seite 17 AUSGABE BERLIN | NR. 11098 | 33. WOCHE | 38. JAHRGANG H EUTE I N DER TAZ MITTWOCH, 17. AUGUST 2016 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND Deutschlands Haupt-Problem „BURKA-VERBOT“ Sie lassen nicht locker: CDU-PolitikerInnen fordern weiterhin vollmundig ein Vollverbot der Vollverschleierung. Was genau sie meinen, bleibt ebenso schleierhaft wie der Sinn der Sache ▶ SEITE 3 KOPFSACHE „Ich bin jedes Mal verblüfft“: Die MTV-Moderatorin Wana Limar über positiven Rassismus und Komplimente für ihr gutes Deutsch ▶ SEITE 11 CHEFSACHE Die Labour- Partei wählt ▶ SEITE 4 TATSACHE Kein Auto ist wirklich öko ▶ SEITE 2, 10 BERLINSACHE SPD will die Scheidung ▶ SEITE 21 Fotos oben: André Wunstorf, reuters VERBOTEN Guten Tag, meine Damen und Herren! Die türkische Regierung und die ihr angeschlossene Justiz zeigen sich neuerdings wieder von ihrer gnädigen Seite. Dem im US-Exil lebenden Geistlichen Fethullah Gülen, der als angeblicher Strippenzieher hinter dem gescheiterten Putschversuch gilt, soll zwar weiterhin der Prozess gemacht werden, aber die Todesstrafe ist nicht mehr im Gespräch. Stattdessen fordert die Staatsanwaltschaft nur noch zweimal „lebenslänglich“ plus 1.900 Jahre Haft. Also so gut wie gar nichts. Zumal, wenn man bedenkt, dass der 75-Jährige die Haft wahrscheinlich nicht Ob es schwerfällt oder nicht Nahrung für den islamistischen Terror Es mag simpel sein. Aber sehe ich eine vollverschleierte Frau, blicke ich nicht entrüstet auf eine bemitleidenswerte Unterdrückte. Ich bin eher neugierig, wer sich da verbirgt. Ja, dazu gehört auch die Frage: Trägt sie das freiwillig, zwingt sie jemand, ein Mann oder ein fanatischer Glaube? Aber eben auch jene: Wer bin ich, das zu unterstellen? Diskriminierung aufgrund einer Äußerlichkeit gehört ins Geschichtsbuch, nicht ins Gesetz. Und als Äußerlichkeit muss ich als Fremde den Gesichtsschleier zunächst betrachten, fällt es mir leicht oder nicht. Nach langen Bärten fragt übrigens niemand. Wo wir dabei sind: Springerstiefel, weiße Schnürsenkel, war da was? JOHANNA ROTH, taz-Meinungsredakteurin Bisher eignete sich Deutschland nicht wirklich als zentrales Terrorziel. Ein Land, das Millionen Flüchtlinge aufnimmt, dessen Militär in der Regel niemanden umbringt und wo es dem Staat egal ist, was man anzieht? Da sprengt sich der islamistische Profi doch lieber in Frankreich in die Luft. Aber nun gibt es Hoffnung für Terroristen. Endlich soll der Propaganda, wonach sich Muslime in Deutschland gegen die Ungläubigen wehren müssen, eine Grundlage gegeben werden. Endlich diskutiert Deutschland ein Burka-Verbot. Vielleicht werden ja als Nächstes Flüchtlinge ausgewiesen. Dann könnte Deutschland in der Riege der Terrorziele zu den Großen aufrücken. DOMINIC JOHNSON, Leiter des taz-Auslandsressorts in voller Länge absitzen muss. TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.157 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 fax 030 | 251 51 30, [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 30633 Schlecht für den Luxustourismus Frauenrechte unsichtbar Nicht automatisch alles Unsinn Ein „Burka-Verbot“ ist geschäftsschädigend. Besitzer von Edelsanatorien, Hotels und Luxusboutiquen in Metropolen wie München oder Ferienressorts der Schweiz sind deshalb gegen ein Verbot von Ganzkörperschleiern: Sie fürchten, die zahlungskräftige Kundschaft vom Golf könnte ausbleiben. Natürlich hätten deutsche Polizeibeamte auch Besseres zu tun, als Knöllchen für „unpassende“ Kleidung zu verteilen, sprich: Sittenpolizei zu spielen. Und Bekleidungsvorschriften passen per se nicht zu einer liberalen Gesellschaft: Damit werden europäische Länder den Diktaturen im Nahen Osten ähnlicher, als sie wollen. Aber das wirtschaftliche Argument wiegt am Ende in Deutschland wohl schwerer. DANIEL BAX, taz-Inlandsredakteur Geht es hier um Frauenrechte? Die Verbotsvorkämpfer – Innenminister der Union – sind nicht gerade als Speerspitze des Feminismus bekannt. Auch jetzt wollen sie verschleierte Frauen nicht in ihrer Selbstbestimmtheit stärken. Im Gegenteil: Sie führen einen populistischen Stellvertreterkrieg, um den Islam als repressiv und Bedrohung westlicher Werte zu diffamieren. Frauen, die hier vollverschleiert unterwegs sind, muss man suchen. Wenn man sie gefunden hat und ihnen den Schleier verbietet, werden sie gänzlich unsichtbar: Weil sie das Haus nicht mehr verlassen. Oder glaubt irgendwer, ein Verbot führt dazu, dass Frauenrechte in die Haushalte PATRICIA HECHT, einziehen? taz.eins-Redakteurin Kann ein Verbot von Burkas oder sonstigen Verschleierungen die Sicherheit erhöhen? Und geht es den Unionsministern wirklich darum, wenn sie die paar hundert Frauen, die so herumlaufen, jetzt dringend enthüllen wollen? Wer’s glaubt, wird selig. Natürlich sollen AfD-geneigte WählerInnen so ihren Glauben an die Union wiederfinden. Trotzdem ist auch nicht automatisch alles Unsinn, was in der Debatte von der Union gefordert wird, nur weil es von der Union gefordert wird. Wenn am Ende klargestellt wird, dass Frauen bei Aussagen vor Gericht, beim Abholen ihrer Kinder aus der Kita oder bei Kontrollen am Flughafen ihr Gesicht zeigen müssen, ist das in Ordnung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. LUKAS WALLRAFF taz.eins-Redakteur Das ist keine Burka, aber auch eine Bedeckung, die das Gesicht weitgehend unerkennbar macht. Und das wollen viele ChristdemokratInnen verbieten Foto: Hiroshi Watanabe/plainpicture 4 190254 801600 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG PORTRAIT NACH RICHTEN PROKURDISCH E ZEITUNG Türkisches Gericht ordnet Schließung an ANKARA | Ein türkisches Gericht Hatte zuletzt viel Post von AfD-Fans: Harald Lesch Foto: ZDF Ein Analyst für Deutschland H arald Lesch hat sich früh Gegner gesucht, die nicht von dieser Welt sein können. 1994, als seine Karriere im Fernsehen begann, stellte sich der Astrophysiker in einer ARD-Diskussionsrunde der Frage: „Gibt es UFOs wirklich?“ Lesch antwortete eindeutig: „Es gibt natürliche, irdische Erklärungsmöglichkeiten für die UFOs.“ Mit Zahlen und Fakten widerlegte er Verschwörungstheorien über die „Grünen Männchen“ und blieb dabei vor allem eines: verständlich. Jetzt hat er sich mit der AfD angelegt. Seit Jahren moderiert der 56-jährige Professor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität nebenbei verschiedene Fernseh- und Radiosendungen. Ab 1998 rechnete er im bayrischen Spartensender BR Alpha vor, wie die Physik des Weltalls funktioniert. Über die Irrwege im Kosmos des öffentlichen Rundfunks fand er vor acht Jahren seinen Weg ins Hauptprogramm des ZDF. Dort moderiert der gebürtige Gießener nun Beiträge für die Sendung „Terra X“. In einem Onlinevideo der Sendung wollte er wieder Klarheit schaffen: über die Klima- und Energiepolitik der AfD. Dazu zerlegte Lesch, Mitglied im bayrischen Klimarat, das AfD-Wahlprogramm. Zeile für Zeile zeigte er wissenschaftliche Fehler auf. Er korrigierte geschürte Zweifel an den Klimamodellen, wies auf die manipulative Auswahl der Daten hin und widerlegte die Annahme, dass Kohlenstoffdioxid gut für das Pflanzenwachstum sei. Der Wissenschaftler verdeutlichte, wie alternativlos Wissen um den Klimawandel ist, 1,2 Millionen Menschen sahen zu. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Lesch hatte zu Beginn der Sendung betont: „Es geht nicht um Politik, sondern um Sachthemen“, trotzdem wurde er mit diffamierenden E-Mails überschüttet. Die einen kritisierten absurderweise, Lesch mache sich mit der AfD gemein, die anderen sahen ihn „vor den Karren der totalitären Autokraten“ in Berlin gespannt, die gegen die AfD Stimmung machten. Lesch reagierte wie immer: Er analysierte. Unter dem Titel „Die Psychologie hinter Hass“ sprach Lesch über den Umgang mit widersprüchlichen Weltbildern und forderte: „Vielleicht sollte man einfach mal auf sich selber schauen.“ Der Tag M IT TWOCH, 17. AUGUST 2016 JONAS ACHORNER hat am Dienstag die Schließung der prokurdischen Zeitung Özgür Gündem angeordnet. Die Zeitung mache „Propaganda für die (Kurdische Arbeiterpartei) PKK und agiert de facto als deren Sprachrohr“, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Gerichtsanordnung. Aus Regierungskreisen hieß es, der Entscheid sei unabhängig vom Ausnahmezustand gefallen und könne angefochten werden. Mit einer täglichen Auflage von 7.500 Exemplaren berichtete Özgür Gündem vor allem über den Konflikt in den türkischen Kurdengebieten. Sie veröffentlichte auch Schriften des inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan. Seit 2014 wurden gegen das Blatt mehrfach Strafen verhängt, mehrere Mitarbeiter wurden festgenommen. Die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ nach dem Putschversuch vom 15. Juli mehr als 130 Zeitungen und andere Medien schließen, was in Europa und bei interna tionalen Menschenrechtsorganisationen Sorge über die Gewährleistung der Pressefreiheit im Land hervorrief. (dpa, rtr) taz intern Ein Roman von Barbara Dribbusch ■■taz-RedakteurInnen können nicht nur kenntnisreiche Artikel schreiben, sondern auch schön. Also Belletristik. Das ganz aktuell Barbara Dribbusch. Die Inlandsredakteurin beschäftig sich vorwiegend mit Sozialthemen und schreibt auch seit Jahren schon ihre Kolumne „Später“. Nun ist ihr erster Roman „Schattwald“ im Piper Verlag erschienen. Der historische Roman mit Krimielementen spielt in der Eiseskälte eines Winters während des Zweiten Weltkriegs. In den österreichischen Alpen schafft es ein charismatischer Chefarzt, mithilfe seiner jungen Patientin Charlotte MESSERATTACKE IM ZUG und seiner außergewöhnlichen Methoden das kleine, private Nervensanatorium „Schattwald“ offenzuhalten. 70 Jahre später stößt Charlottes Enkelin Anne auf Charlottes Tagebücher und muss bald erkennen, dass die Geschichte von „Schattwald“ noch nicht zu Ende ist. Denn das letzte Tagebuch verschwindet und Anne gerät in große Gefahr. Der Roman hat 368 Seiten, kostet 10 Euro. Es gibt ihn auch als Hörbuch. Verwirrter verletzt zwei Fahrgäste WIEN | Ein offenbar psychisch kranker Deutscher ist in einem Regionalzug in Österreich mit einem Messer auf Fahrgäste losgegangen und hat zwei Menschen schwer verletzt. Laut Polizei war der 60-Jährige gestern Morgen nach Bregenz im Bundesland Vorarlberg unterwegs, als er plötzlich aufsprang und einem 19-Jährigen in Bauch und Rücken stach. Dann habe er einem 17-Jährigen in den Nacken gestochen. Im Bahnhof SulzRöthis konnten zwei Polizisten den Angreifer nach einer kurzen Rangelei überwältigen. (afp) Autos sind nicht empfehlenswert MOBILITÄT Weil die Konzerne bei Abgastests tricksen und betrügen, will der ökologische Verkehrsclub keine umweltverträglichen Fahrzeuge mehr lobend hervorheben. Die Bundesregierung müsse besser kontrollieren VON RICHARD ROTHER BERLIN taz | Darauf konnten sich Autofahrer mit Umweltbewusstsein in den vergangenen Jahren immer verlassen: Mitte August bringt der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland (VCD) eine Positivliste mit vergleichsweise umweltfreundlichen Fahrzeugen heraus. Damit ist es nun erst mal vorbei. Die wesentlichen Vergleichskriterien für den VCD sind der Spritverbrauch, der Kohlendioxidausstoß sowie Schadstoffemissionen. Da aber alle letztlich auf Herstellerangaben beruhen, wollen die VCD-Verantwortlichen nicht mehr ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass ihre Empfehlungen richtig sind. Zu groß ist seit dem VW-Abgasskandal der Vertrauensverlust gegenüber den Autokonzernen, die mit Tricks und Betrügereien Verbraucher an der Nase herumführen. „Der Diesel ist diskreditiert“ VCD-EXPERTE GERD LOTTSIEPEN Für die seit 1989 jährlich erstellte Auto-Umweltliste seien gesicherte Daten über Verbrauch und Abgasemissionen nötig. „Das ist zurzeit nicht verlässlich möglich“, sagte VCDVorstandsmitglied Wasilis von Rauch am Dienstag. „Wir können deshalb keine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen.“ Für seine Auto-Umweltliste hat sich der VCD bislang auf die vom Kraftfahrt-Bundesamt geprüften und veröffentlichten Werte gestützt, die von den Herstellern stammen. Das Bundesamt und das Bundesverkehrs- Sieger in allen Klassen: Das Lastenrad lässt alle motorisierten Kisten locker hinter sich Foto: Karsten Thielker ministerium haben aber „bei der Kontrolle versagt“, betonte VCD-Autoexperte Gerd Lottsiepen. Die Aufsicht müsse daher künftig das Umweltbundesamt übernehmen. Der VCD habe schon früher gewusst, dass Autokonzerne Emissions- und Verbrauchswerte schöngerechnet hätten. „Wir haben aber nicht geahnt, in welchem Ausmaß einige Hersteller mit geradezu krimineller Energie Abgastestes fälschen.“ Lottsiepen forderte die Verbraucher auf, sich mit dem Fahrzeugerwerb zurückzuhalten. „Wer beim Autokauf abwar- ten kann, sollte dies tun.“ Wer dringend ein Auto brauche, könne sich an allgemeine Empfehlungen halten (siehe Text unten) oder sich einen Gebrauchtwagen zulegen. Vom Kauf eines Dieselfahrzeugs riet Lottsiepen komplett ab. „Der Diesel ist diskreditiert, nicht zuletzt seitdem bekannt wurde, dass Autohersteller massiv bei der Abgasreinigung tricksen, teils sogar betrügen.“ Künftig würden Dieselautos nur noch für Nutzer mit langen und häufigen Autobahnfahrten in Frage kommen, und auch dann nur, wenn die Abgasreinigung verlässlich funktioniere. Technisch sei dies möglich, aber es sei auch sehr teuer, in jedem Fahrzeug eine kleine Chemiefabrik zu verbauen. „Aus der Stadt wird der Diesel verschwinden.“ Lottsiepen kritisierte zudem, dass bei allen Autotypen – Diesel, Benziner und Elektroautos – die Schere zwischen den Herstellerangaben und der Realität beim Verbrauch und dem daraus resultierenden CO2-Ausstoß in den vergangenen Jahren immer größer geworden sei. Die Bundesregierung müsse klare Vorgaben machen und intensiv kontrollieren; und die Hersteller müssten endlich den Willen zeigen, saubere Autos zu bauen und zu verkaufen. „Das ist die Voraussetzung dafür, dass Autos wieder unter ökologischen Gesichtspunkten verglichen und gekauft werden können.“ Darauf komme es letztlich an, forderte Lottsiepen: „Denn ganz unabhängig davon, ob es um Verbraucherrechte geht, die Gesundheit oder Umwelt und Klima – wenn schon Auto, dann muss es sauber sein.“ THEMA DES TAGES Womit man noch fahren könnte KOMPROMISSE Die Experten des VCD raten zu unterschiedlichen Autotypen – je nach hauptsächlichem Einsatzzweck BERLIN taz | Muss es wirklich ein Auto sein? Diese Frage stellt sich nach Ansicht des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschlands (VCD) mit neuer Schärfe – angesichts des Skandals um frisierte und manipulierte Abgastests. Für viele Mobilitätsbedürfnisse gebe es lange bekannte Alternativen, erklärte VCD-Vorstandsmitglied Wasilis von Rauch: Elektrofahrräder, Lastenräder, Carsharing, öffentlicher Nahverkehr. Wer dennoch nicht auf den Kauf eines Autos verzich- ten kann, dem rät der VCD zu Gebrauchtwagen oder Fahrzeugtypen, die seit Jahren im Ökovergleich des Clubs gut abgeschnitten und ihre Umwelteigenschaften auf der Straße bewiesen hätten. Für den Stadtverkehr gehören dazu kleine effiziente Benziner, etwa die technischen Drillinge Citroen C1, Peugeot 108 und Toyota Aygo. Oder Stadtflitzer aus dem VW-Konzern (VW Up, Škoda Citigo, Seat Mii) sowie etwas größer der Golf Variant, die alle mit Erdgas fahren. Als Auto für Stadt- und Überlandfahrten bieten sich laut VCD Hybride an. Sie würden wenig verbrauchen und seien sauber. Beispiel sei der Toyota Prius, den es schon in der vierten Generation gebe. Vergleichbare Pkw aus deutscher Produktion gebe es leider nicht. Für regelmäßige lange Autobahnfahrten könnten hingegen Dieselfahrzeuge in Betracht kommen, wenn sie verlässlich ihre Abgase reinigen. Alternativ dazu können laut VCD auch Erdgasfahrzeuge genutzt werden. Elektroautos eignen sich laut VCD vor allem für gewerbliche Fahrzeugflotten, wie es etwa die Post oder Autovermieter vormachen. E-Autos können sich auch für Pendler lohnen, die tägliche Wege ab 50 Kilometer zurücklegen und ihr Fahrzeug auf der Arbeitsstelle mit Ökostrom aufladen können. Als wenig genutzter Zweitoder Drittwagen lohne sich kein E-Auto, betont VCD-Autoexperte Gerd Lottsiepen. Die Produktion der schweren Batterie sei sehr ressourcenaufwändig und öko- logisch so nachteilig, dass jedes Fahrzeug erst einmal 20.000 Kilometer mit Ökostrom zurücklegen müssen, um diesen Nachteil auszugleichen. Gleichwohl würden Elektroautos zur Erreichung der Klimaziele gebraucht. Allerdings seien sie sehr teuer und würden kaum gekauft. Daher gebe es insbesondere bei den rein batterieelektrischen Fahrzeugen kaum Weiterentwicklungen. „Der früher meistverkaufte E-Smart wird seit einem Jahr nicht mehr angeboten.“ RICHARD ROTHER Schwerpunkt M IT TWOCH, 17. AUGUST 2016 Schleier-Verbot TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Vor der Konferenz der Unions-Innenminister am Donnerstag prüft die Parteispitze einen Kompromiss Ein bisschen weniger Burka ISLAM Für viele CDU- ler ist der Schleier ein Symbol für einen repressiven Islam, der Frauen unterdrückt. Und ganz nebenbei ein willkommenes Mobilisierungsthema für konservative Wähler AUS BERLIN ULRICH SCHULTE Jens Spahn ist ein kleines Schrittchen vorangekommen. Der 36-jährige CDU-Politiker ist nicht nur Finanzstaatssekretär und Mitglied im wichtigen Parteipräsidium, sondern auch ein glühender Verfechter des BurkaVerbots. „Burka und Niqab gehen gar nicht“, findet Spahn. „Sie haben nichts mit Religion, aber viel mit einem absurden Frauenbild zu tun.“ Vollverschleierung habe in einem offenen Land nichts zu suchen. Die Burka hat in Deutschland nichts zu suchen? Ganz so, wie Spahn es will, wird es nicht kommen. Aber ein bisschen weniger Burka – darauf könnte es dieses Mal in der Tat hinauslaufen. Seit Tagen diskutiert die CDU, ob und wie sie das Kleidungsstück verbieten kann, das Frauen komplett verschleiert und selbst die Augen hinter einem feinen Stoffgitter versteckt. Für Spahn – und viele andere CDUler – ist die Burka ein Symbol für einen repressiven Islam, der Frauen unterdrückt. Und, ganz nebenbei, ein willkommenes Mobilisierungsthema für konservative Wähler, weil eine Burka-Trägerin in deutschen Städten bei vielen Unbehagen weckt. Spätestens seit Montag gewinnt die Debatte an Fahrt: Die CDU-Gremien tagten, und eine Mehrheit im Vorstand sprach sich dafür aus, ernsthaft Verbotsmöglichkeiten in Deutschland zu prüfen. „In der CDU sind wir uns einig: Vollverschleierung ist das Gegenteil von Integration“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber danach. „Wir lehnen sie ab.“ Das ist erst mal nicht neu. Ein CDU-Parteitag hat schon im Dezember 2015 beschlossen, die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit abzulehnen. Ein BurkaVerbot enthielt der Beschluss jedoch nicht. Doch jetzt unterstützt die CDU-Spitze einen Anlauf für eng begrenzte Miniverbote. Die Unions-Innenminister der Bundesländer sollten „verschiedene Bereiche prüfen, in denen eventuell eine Regelung getroffen werden kann“, sagte Tauber. Er verwies auf die Einschätzung von Verfassungsjuristen, dass ein Verbot teilweise auf Län derebene, teilweise auf Bundesebene geregelt werden könne. Das ist ein anderer Sound als noch in der vergangenen Woche. Da wurde eine „Berliner Erklärung“ ebenjener Unions-Innenminister öffentlich. Sie war als politische Antwort auf die Anschläge in Ansbach und Würzburg gedacht und forderte das Verbot neben einer Reihe an- derer Maßnahmen. Kurz darauf sprach sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dagegen aus. Gleichzeitig kassierte die CDU-Spitze am Montag die Forderung ihrer Landesinnenminister, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Was jetzt zu besichtigen ist, ist also auch eine klassische Kompromisssuche. Weil die CDU-Spitze aus guten Gründen am Doppel- „Vollverschleierung ist das Gegenteil von Integration“ CDU-GENERALSEKRETÄR PETER TAUBER pass nicht rütteln will, geht sie beim Burka-Verbot, einem symbolträchtigen Thema, das nur wenige Menschen betrifft, auf die Befürworter zu. Dies ist auch ein Zugeständnis an die wahlkämpfenden CDU-Landesverbände in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo die Spitzenkandidaten Lorenz Caffier und Frank Henkel gegen SPD-Regierungschefs antreten. Beide haben sich klar für das Verbot positioniert. „Die Burka ist integrationsfeindlich und gehört für mich nicht zu Deutschland“, sagt etwa Berlins Innensenator Henkel. Am Donnerstag und Freitag wollen die Unions-Innenminister ihre Vorschläge auf einer Konferenz in Berlin endgültig festzurren. Bemerkenswert ist, wie kleinteilig die Debatte in der CDU inzwischen geführt wird. Denn so einfach, wie es klingt, ist ein Verbot keineswegs. Eine Muslimin, die die Burka trägt, hat das Grundrecht auf die „freie Entfaltung“ ihrer Persönlichkeit, so steht es im Grundgesetz. Außerdem ist sie durch Religionsfreiheit geschützt. Allerdings gibt es Juristen, die ein Verbot trotzdem für verfassungskonform halten. Die Befürworter in der CDU berufen sich zum Beispiel auf den Mainzer Rechtswissenschaftler Friedhelm Hufen. Ein sorgfältig begründetes Verbot der Vollverschleierung könne auch einer „kritischen Würdigung“ durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte standhalten, argumentiert Hufen in einem Thesenpapier, das der taz vorliegt. Die Vollverschleierung wertet er als „Ausdruck eines fundamentalistischen Islam“, sie bedeute „eine extremistische Absage an westliche Verfassungswerte“. Eine gesetzliche Grundlage für ein Verbot sei in mehreren Bereichen schon vorhanden, schreibt Hufen weiter. Der Staatsrechtsprofessor verweist etwa auf Schulgesetze, nach denen Burka-Trägerinnen vom Unterricht ausgeschlossen werden könnten. Sie könnten im öffentlichen Dienst disziplinarrechtlich verfolgt werden. Und: „Das Straßenverkehrsrecht verlangt die Erkennbarkeit von Verkehrsteilnehmern und ein uneingeschränktes Gesichtsfeld.“ Es ginge bei Gesetzesänderungen also nicht um die Unterdrückung der Frau, sondern zum Beispiel darum, dass ein Polizist eine Autofahrerin bei einer Kontrolle identifizieren können muss. Ob die Innenminister die Sache bei der Konferenz am Donnerstag zur Zufriedenheit aller in der CDU lösen, ist offen. Diejenigen CDUler, die für das Verbot werben, wollen sich jedenfalls mit kleinteiligem Stückwerk nicht zufrieden geben. Aus ihren Reihen kommt eine handfeste Drohung: „Wenn der Vorschlag der Innenminister die Erwartungen nicht erfüllt, wird es einen deutlich formulierten Antrag auf dem kommenden Parteitag geben.“ Es scheint, als habe die CDU ein Wahlkampf thema gefunden. Vom Kopftuch bis zum Ganzkörperschleier HIDSCHAB AL-AMIRA CHIMAR TSCHADOR NIQAB Symbolisiert Religiosität und Weiblichkeit. Er wird in verschiedenen Farben getragen und ist die meistgetragene Kopfbedeckung muslimischer Frauen. Zweiteiler: Ein Teil umhüllt den Kopf, der andere wird eng um die Schulter gelegt. Wird in verschiedenen Farben getragen. Mantelartiger Schleier, der bis zur Taille reicht. Wird in verschiedenen Farben getragen. Ganzkörperschleier. Unter ihm wird oft noch ein kleinerer Schleier getragen. Nur in schwarz. Bedeckt vollständig das Gesicht und lässt nur die Augenpartie frei. Wird zusammen mit einem langen Kleid („Abbaja“) getragen. Nur in schwarz. Quelle: dpa BURKA Ganzkörperschleier. Ein Art Gitterfenster lässt nur die Augen frei und ermöglicht das Sehen nur nach vorne. taz.Grafik: infotext-berlin.de Der Wahlkampfschlager der Rechtspopulisten EUROPA Viele Länder, darunter Frankreich und die Niederlande, haben in den vergangenen Jahren das Tragen des Ganzkörperschleiers verboten BERLIN taz | Der Ruf nach ei- nem „Burka-Verbot“ gehört zu den Wahlkampfschlagern europäischer rechter Parteien, ob sie nun Front National, Schweizer Volkspartei, Ukip, AfD oder Vlaams Belang heißen. Nicht umsonst bilden diese auf ihren Plakaten gern vollverschleierte Frauen ab, die sie zum Symbol für die angebliche „Islamisierung“ Europas stilisieren. Mit ihrer Angstmache haben sie Erfolg: Viele Länder haben in den vergangenen Jahren das Tragen des Ganzkörperschleiers verboten. Das „Burka-Verbot“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie es Rechtspopulisten mit konstantem Druck gelingt, andere Parteien und ganze Regierungen auf ihre Linie zu bringen. Frankreich und Belgien waren die ersten europäischen Länder, in denen bereits vor über fünf Jahren solche Verbote erlas- sen wurden – in beiden Fällen mit breiter parlamentarischer Mehrheit. Dem Vlaams-BelangChef Filip Dewinter reichte das dennoch nicht: Er lobte 250 Euro Belohnung für jeden aus, der eine Burka-Trägerin bei der Polizei anzeige. Die Niederlande zogen nach mehreren Anläufen 2015 nach. Dort sind Ganzkörperschleier seither in Schulen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Krankenhäusern und Behörden untersagt. Bei Verstößen drohen Geldbußen von bis zu 405 Euro. Auch die Polizei darf zum Zwecke der Identitätsfeststellung verlangen, dass der Schleier abgelegt wird. Wie in Belgien tragen in den Niederlanden höchstens 400 Frauen einen Niqab, das Verbot hat also eher symbolischen Charakter. Tatsächlich zielen all diese Verbote auf Ganzkörperschleier wie den Niqab, der nur einen Sehschlitz freilässt – und nicht auf die Burka, die das ganze Gesicht verhüllt, eine afghanische Spezialität ist und im Straßenbild Europas nicht anzutreffen ist. Aus Studien der Open Society Foundation zu Niqab-Trägerinnen in Frankreich und Großbritannien geht hervor, dass alle untersuchten Frauen den Ganzkörperschleier aus freien Stücken trugen. Doch erst das Wort Burka erzeugt den nötigen Grusel, weil es an die Frauenunterdrückung der Taliban erinnert. In Italien gibt es bereits ein Gesetz, das jede Vermummung im öffentlichen Raum untersagt: ein eigenes „Burka-Verbot“, wie von der Lega Nord gefordert, erübrigte sich deswegen bisher. Dänemark dagegen, das einige der striktesten Ausländer- und Asylgesetze des Kontinents be- sitzt, kennt bislang kein „BurkaVerbot“. Nach einer von der Dänischen Volkspartei angefeuerten Debatte hatte die Regierung 2010 eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die ergab, dass nur 200 Frauen im ganzen Land eine solche Totalverhüllung tragen, ein Drittel davon waren Konvertitinnen. Die Regierung gab dar aufhin ihre Verbotspläne auf. Wer einen Schleier trägt, soll aber nicht zu Prüfungen oder bestimmten Jobs zugelassen werden. Die Zahl der Frauen, die sich in Frankreich verschleiern, hat trotz Verbot nicht abgenommen Als vorerst letztes europäisches Land hat Lettland im Januar 2016 beschlossen, das Tragen von Ganzkörperschleiern per Gesetz zu verbieten, in Umfragen sprachen sich zwei Drittel der Bevölkerung dafür aus. Im gesamten Baltikum war im Zuge der Flüchtlingskrise eine Burka-Debatte entbrannt. Bevor die ersten Flüchtlinge ankämen, sollte die Frage der Verschleierung geregelt werden, hieß es in Estland, Lettland und Litauen. Als nächstes Land wird vermutlich die Schweiz den Ganzkörperschleier verbieten. Als erster Schweizer Kanton hat das italienischsprachige Tessin nach einem entsprechenden Volksentscheid ein „Burka-Verbot“ erlassen, das am 1. Juli 2016 in Kraft trat. Eine Touristin aus Kuwait musste als erste deshalb 100 Franken Strafe zahlen. Tessin war der Testballon für ein Re- ferendum über ein landesweites Verbot, für das SVP-nahe Kreise derzeit Unterschriften sammeln. 30 000 sollen sie bereits zusammenhaben. Mit den Burka-Debatten hat die Zahl der verbalen und sogar physischen Angriffe auf verschleierte Frauen zugenommen – auch das geht aus den Studien der Open Society hervor. Viele der betroffenen Frauen ziehen es deshalb vor, zu Hause zu bleiben, soweit es geht. Die Zahl der Frauen, die sich in Frankreich verschleiern, hat trotz Verbot nicht abgenommen, es sollen rund 2.000 sein. Und der französische Geschäftsmann Rachid Nekkaz hat sich einen Sport daraus gemacht, von einem Bußgeld betroffenen Frauen die Strafe zu begleichen. Er soll bereits in rund 1.000 Fällen eingesprungen sein. DANIEL BAX
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