Erich Maschke 2016-3-099 Schneider, Barbara: Erich - H-Soz-Kult

B. Schneider: Erich Maschke
Schneider, Barbara: Erich Maschke. Im Beziehungsgeflecht von Politik und Geschichtswissenschaft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
2016. ISBN: 978-3-525-36080-4; 391 S.
Rezensiert von: Andreas Hilger, Zentrum für
Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften, Universität Heidelberg
Seit mehr als 15 Jahren diskutiert die deutsche Geschichtswissenschaft personelle und
wissenschaftliche Kontinuitäten ihres Fachs
von der NS-Zeit bis in die Bundesrepublik hinein.1 Vor diesem Hintergrund widmet sich Barbara Schneider in ihrer Dissertation einem, zugespitzt ausgedrückt, Akteur aus der zweiten Reihe. Erich Maschke
(1900–1982), aufgewachsen in einem großbürgerlichen Haushalt, legte 1917 sein Notabitur ab und kämpfte ab Januar 1918 an der
Westfront. Seit 1919 engagierte Maschke sich
in der völkisch-nationalistisch-preußisch orientierten Jugendbewegung, die sich ein Jahr
später im Naumburger Bund als „Neupfadfinder“ konstituierte. Dieses Umfeld trug wesentlich zu Maschkes geistiger Formung bei.
Das galt für die Übernahme des bündischen
„Führer“-Gedankens und weiterer männerbündischer Ideale ebenso wie für Muster völkischen Denkens und für die Entwicklung
von Vorstellungen organischer Ordnungsstrukturen. Damit einher ging eine deutliche
Aversion gegen Liberale und Parlamentarier,
gegen alles Demokratische überhaupt.
Maschke war in den 1920er-Jahren
kein stiller Sympathisant dieser antirepublikanischen Strömungen. Er engagierte
sich vielmehr in der sogenannten Grenzund Auslandsarbeit der Bewegung; er tat
sich als Redakteur und Autor der entsprechenden Zeitschrift „Weißer Ritter“ hervor.
Durch diese Aktivitäten machte er sich in
den völkischen Kreisen einen Namen und
konnte erste Kontakte auch zu ihren prominenten Vertretern knüpfen. Insgesamt war
Maschke seit den 1920er-Jahren, so das überzeugende Fazit der Studie, im „Netzwerk
revisionistisch und völkisch ausgerichteter
Organisationen“ gut eingebunden (S. 38).
Maschke lebte seine Überzeugung, indem
er 1925 an die Universität des vermeintlichen „Vorpostens“ des Reiches wechselte:
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nach Königsberg (S. 50). Auch ein Erich
Maschke fand hier in Hans Rothfels einen
„Lehrer“ und ein „Vorbild“ (S. 53). Dass
der angehende Mediävist Maschke einen
seiner Forschungsschwerpunkte auf die Geschichte des Deutschen Ordens legte, passte
in das kursierende völkisch-kämpferische
Wissenschaftsverständnis.
Für Maschkes Wirken in den folgenden Jahren ist es der Autorin zufolge nicht möglich, politische Überzeugung auf der einen
und privates Karrieredenken auf der anderen Seite genau zu gewichten. Ausmaß, Inhalte und zunehmende Radikalisierung der
Publizistik Maschkes sowie seine zahlreichen Aktivitäten unter anderem im Volksbund für das Deutschtum im Ausland, im
Bund Deutscher Osten, in der Publikationsstelle Berlin-Dahlem sowie in der Nord- und
Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft deuten auf ein hohes Maß von ideologischer
Empfänglichkeit für und Übereinstimmung
mit NS-Gedanken hin. Davon zeugen zudem Gutachtertätigkeiten für Doktoranden
des Sicherheitsdienstes (SD), eigenständige
sogenannte erb- und rassegeschichtliche Forschungen über die Staufer sowie Maschkes
späteres Engagement als stellvertretender NSDozentenbundführer in Leipzig und als SDVertrauensmann in Sachsen. Ab 1939 befasste sich Maschke schließlich mit „volksdeutschen Aufgaben“ in Posen (S. 168). Unter diese Beschreibung fielen auch und vor allem
Umsiedlungsaktionen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA). Maschkes genaue Tätigkeit in diesem Feld lässt sich aus den vorliegenden Akten indes nicht rekonstruieren.
Die sowjetische Besatzungsmacht hat nach
Kriegsende nicht versucht, Maschkes Handlungen im Nationalsozialismus genauer zu
durchleuchten. Er wurde im Oktober 1945 als
„SA-Sturmführer“ verhaftet, wenige Monate
später für arbeitsfähig befunden, zum Kriegsgefangenen erklärt und im August 1946 in
ein Kriegsgefangenenlager in die UdSSR ver1 Vgl.
u.a. Ingo Haar, Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf im Osten“, Göttingen 2000; Thomas Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen
Geschichtswissenschaft nach 1945, München 2001; Jan
Eckel, Geist der Zeit. Deutsche Geisteswissenschaften
seit 1870, Göttingen 2008.
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bracht. Im Rahmen sowjetischer Massenprozesse verurteilte ein Militärtribunal Maschke im Dezember 1949 als „Spion“ zu 25 Jahren Haft in einem Arbeitslager. Noch einmal knapp vier Jahre später wurde Maschke
im Zuge der ersten post-stalinistischen Entlassungswellen nach Deutschland repatriiert
und ließ sich in der Bundesrepublik nieder.
Den Großteil der jetzt noch verbleibenden
120 Seiten des Buches widmet die Autorin
Maschkes recht beschwerlichem „Wiedereinstieg“ (S. 217) in die deutsche Wissenschaftslandschaft sowie seiner Etablierung und seinem Wirken als Heidelberger Professor für
Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Werner Conze hat
Maschke diesem Feld keinen eigenen Stempel aufgedrückt. Darüber hinaus zeichnet die
Autorin das Bild eines gründlich entpolitisierten, zumindest eines in politischen Dingen extrem schweigsam gewordenen Wissenschaftlers. Das Ausmaß einer möglichen individuellen Entideologisierung oder eines konsequenten Umdenkens lässt sich anhand der wissenschaftlichen Publikationen Maschkes kaum
verlässlich feststellen. Überarbeitungen alter
Texte, in denen einige wenige Versatzstücke
aus vergangenen Zeiten vielleicht aus Versehen stehen blieben, erlauben letztlich nur
Mutmaßungen (S. 277).
Ab 1959 schließlich beschäftigte sich
Maschke als Leiter einer wissenschaftlichen
Kommission im Auftrag des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und
Kriegsgeschädigte mit der Erforschung der
Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen
des Zweiten Weltkrieges. Offenbar übernahm
Maschke die Aufgabe nach dem frühen Tod
des ersten Kommissionsleiters Hans Koch
auch aufgrund seiner alten Bekanntschaft
mit dem Bundesminister für Vertriebene,
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Theodor
Oberländer. Schneider stellt dem Gesamtprojekt mit Recht ein insgesamt positives
Zeugnis aus. Dabei war seinerzeit an eine
adäquate Erforschung der Gesamtgeschichte
schon angesichts fehlender politischer Akten
nicht nur, aber gerade aus Osteuropa nicht
zu denken. Maschke ging es darum, wie
er schrieb, eine „Geschichte des Leidens“
(S. 316) festzuhalten und damit zur internationalen Versöhnung beizutragen. Dieses
Verständnis spiegelte wiederum das gängige
gesellschaftliche und möglicherweise auch
sein individuelles Opfernarrativ wider. Dass
die vielbändige Publikation keine wesentliche öffentliche Verbreitung erfuhr, war
außerwissenschaftlichen Gründen geschuldet. Seit den frühen 1960er-Jahren sprach sich
das Auswärtige Amt gegen eine Publikation
aus. Das Amt fürchtete „Gegendokumentationen“ aus Osteuropa. Außerdem wollte
man nicht vorzeitig Material bekanntgeben,
von dem man annahm, dass es in zukünftigen Friedensverhandlungen potentielle
Reparationsansprüche osteuropäischer Staaten abwehren könnte. Die bundesdeutsche
Diplomatie lenkte erst ein, nachdem der
Verlag mit juristischen Schritten gegen die
Geheimhaltung gedroht hatte. Mit dieser Beschreibung korrigiert Schneider im Übrigen
die häufige Annahme, dass die Publikationsprobleme allein in der neuen Ostpolitik der
Bundesrepublik begründet gewesen seien.
Das hier skizzierte Leben und Wirken
Maschkes ordnet die Autorin in Anlehnung
an die Wissenschaftssoziologie Ludwik Flecks
sachkundig in zeitgenössisch relevante Denkkollektive ein und rekonstruiert über die geteilten Denkstile hinaus Maschkes Interaktion mit einem breiteren Umfeld. Dabei hat
es Maschke seiner Biografin nicht leicht gemacht. Private und autobiografische Zeugnisse blieben trotz breit angelegter Archivrecherchen offenkundig Mangelware. Maschkes Nachlass bietet ebenfalls vor allem Informationen über seine wissenschaftliche Tätigkeit, und dies insbesondere für die Zeit
nach 1953. Die prägenden Aktivitäten in der
bündischen Jugend, in der Studentenzeit und
in den ersten Wissenschaftsjahren lassen sich
oftmals nur aus der Außensicht sowie auf Basis von Maschkes umfangreicher Publikationstätigkeit beschreiben.
Andererseits macht es die Autorin dem Leser ebenfalls nicht immer leicht. Konjunktive und Fragezeichen in einem Text können zwar von einer reflektierten und distanzierten Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand zeugen. Aus der hier vorliegenden Häufung von denkbaren Möglichkeiten ergibt sich jedoch mitunter nur noch
eine gewisse Unverbindlichkeit. Eine Biografie lässt sich nicht schwarz-weiß malen, und
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B. Schneider: Erich Maschke
schon gar nicht auf einer vergleichsweise
schwierigen Quellenbasis. Hier und dort hätte man sich aber durchaus klarere Konturierungen gewünscht: Was bedeutet es etwa,
wenn, so das „Resümee“, „Hinweise“ vorliegen, „die seinen [d.h. Maschkes] Namen zumindest in die Nähe von Umsiedlungsaktionen und Deportationen von Polen und Juden
bringen“ (S. 340)? Und wie groß muss man
sich „einigen Abstand zum Denkstil der Ostforschung der 1930er bzw. 1940er Jahre“ vorstellen, wenn sich Maschke in jenen Jahren
„auch“ – oder doch vor allem? – „aus innerer Überzeugung und Nähe zum Regime und
seiner Ideologie in dieser umfangreichen Art
und Weise engagierte“ (S. 339, 341)?
Ungeachtet dieser Schwächen trägt Barbara Schneiders Biografie zur weiteren Verdichtung der Debatten um Kontinuitäten und Brüche, Anschlussfähigkeiten und Umorientierungen geschichtswissenschaftlicher Akteure
vom späten Kaiserreich über die Weimarer
Republik bis hin zum Nationalsozialismus
und schließlich über 1945 hinaus bei.
HistLit 2016-3-099 / Andreas Hilger über
Schneider, Barbara: Erich Maschke. Im Beziehungsgeflecht von Politik und Geschichtswissenschaft. Göttingen 2016, in: H-Soz-Kult
05.08.2016.
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