Wohlfahrtsmärkte Schriften des Zentrums für Sozialpolitik Band 28 Herausgegeben von Gerd Glaeske, Karin Gottschall, Stephan Leibfried, Philip Manow, Frank Nullmeier, Herbert Obinger, Heinz Rothgang und Stefan Traub Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen Stephan Köppe, Dr. rer. pol., ist Lecturer in Social Policy am University College Dublin, Irland. Stephan Köppe Wohlfahrtsmärkte Die Privatisierung von Bildung und Rente in Deutschland, Schweden und den USA Campus Verlag Frankfurt/New York Gekürzte Fassung der Dissertation »Martexpansion und Einbettung: Wohlfahrtsmärkte im historischen Vergleich«, Universität Bremen, Mai 2014. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-50272-4 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2015 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Umschlaggestaltung: Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Druck und Bindung: CPI buchbücher.de, Birkach Gedruckt auf Papier aus zertifizierten Rohstoffen (FSC/PEFC). Printed in Germany Dieses Buch ist auch als E-Book erschienen. www.campus.de Inhalt Vorwort .................................................................................................................... 9 1 Einleitung ...................................................................................................... 11 2 Wohlfahrtsmarkt als politikwissenschaftliches Konzept ...................... 23 2.1 Ökonomische und soziologische Marktdefinitionen ..................... 24 2.2 Wohlfahrtsmarkt .................................................................................. 28 2.2.1 Literaturüberblick der Wohlfahrtsmarktkonzepte ............. 29 2.2.2 Soziale Güter und Marktmechanismen ............................... 38 2.2.3 Vermarktlichung ...................................................................... 51 2.2.4 Wohlfahrtsmarkttypen ........................................................... 55 2.2.5 Fazit ........................................................................................... 61 3 Wohlfahrtsmärkte im Vergleich ................................................................ 63 3.1 Fallauswahl ............................................................................................ 65 3.1.1 Länder: Deutschland, Schweden, USA................................ 67 3.1.2 Politikfelder: Renten- und Bildungsmärkte......................... 69 3.1.3 Zeitraum: 1990–2010.............................................................. 74 3.2 Untersuchungsmethoden .................................................................... 75 3.3 Erklärungsansätze zur Entstehung und Varianz von Wohlfahrtsmärkten .............................................................................. 78 6 4 WOHLFAHRTSMÄRKTE Expansion des Marktvolumens ................................................................. 95 4.1 Rente..................................................................................................... 107 4.1.1 Internationaler Vergleich der Rentenmärkte .................... 107 4.1.2 Vermarktlichung öffentlicher Rentensysteme in Deutschland, Schweden und den USA? ............................ 116 4.1.3 Vermarktlichung in allen Dimensionen – Ausblick auf die Rentenmärkte ........................................... 145 4.2 Bildung ................................................................................................. 148 4.2.1 Internationaler Vergleich der Bildungsmärkte ................. 148 4.2.2 Ausbau der Privatschulen in Deutschland, Schweden und den USA.......................................................................... 155 4.2.3 Zusammenfassung – Subventionierte Privatschulen ...... 187 4.3 Wachstum des Marktvolumens ohne Rückzug des Staates – Eine Zusammenfassung .................................................................... 188 5 Regulierung der Wohlfahrtsmärkte......................................................... 193 5.1 Analytischer Rahmen ......................................................................... 196 5.2 Deutschland – Brüche und Kontinuität ......................................... 203 5.2.1 Rentenmarkt: Das Erbe Bismarcks in der Riester-Rente .......................................................................... 203 5.2.2 Bildungsmarkt: Die religiösen Ursprünge der Privatschulfinanzierung ........................................................ 227 5.2.3 Fazit – Rekalibrierung deutscher Sozialpolitik? ............... 247 5.3 Schweden – Die Neuerfindung des schwedischen Modells........ 253 5.3.1 Rentenmarkt: Universelle Prämienrente und sozialdemokratischer Konsens............................................ 254 5.3.2 Bildungsmarkt: Freie Schulen – Vereinheitlichung, Dezentralisierung und Privatisierung ................................. 278 5.3.3 Sozialdemokratische Neuerfindung des schwedischen Modells .................................................................................... 303 5.4 USA – Pionier und regulative Vielfalt ............................................ 306 5.4.1 Rentenmarkt: Flexibel und übertragbar............................. 307 5.4.2 Bildungsmarkt: School Choice zwischen Konflikt und Konsens .......................................................................... 328 5.4.3 Fazit – Liberale Einbettung ................................................. 359 INHALT 6 7 Wachstum, Varianz und Einbettung im Vergleich .............................. 363 6.1 Historischer Vergleich ....................................................................... 365 6.2 Vergleich der Politikfelder ................................................................ 373 6.3 Ländervergleich .................................................................................. 376 6.4 Diskussion der Grundannahmen und Fazit .................................. 379 7 Konklusion und Ausblick......................................................................... 383 7.1 Wohlfahrtsmarkt als flexibles Konzept .......................................... 383 7.2 Wohlfahrtsmarktexpansion trotz Vertrauenskrise........................ 385 7.3 Einbettung und Innovation .............................................................. 388 Tabellenverzeichnis ............................................................................................ 391 Abbildungsverzeichnis....................................................................................... 393 Literatur................................................................................................................ 394 Vorwort Als ich die Arbeit über Wohlfahrtsmärkte begann, merkte ich schnell, dass sowohl Kollegen als auch Freunde und Bekannte mit dem Begriff zum Teil wenig anfangen konnten und keine Vorstellung von meinem Forschungsfeld hatten. Mein Standardbeispiel in Konversationen wurde schnell die deutsche Riester-Rente, um die Vermarktlichung und Privatisierung von Sozialprogrammen zu illustrieren. Normalerweise würgen solche Themen jedes Gespräch ab, weil keiner über komplexe Finanzanlagen über einem Bier oder bei Kaffee und Kuchen sprechen möchte. Ich erlebte aber das Gegenteil. Schnell kamen Fragen auf, ob ich denn auch schon eine Riester-Rente abgeschlossen hätte und welchen Anbieter beziehungsweise welches Produkt ich empfehlen würde. Ich musste meine Gesprächspartner immer enttäuschen, weil ich ihnen zwar ans Herz legte eine Riester-Rente abzuschließen, aber selber noch keine abgeschlossen hatte. Für Betriebsrenten habe ich mich nie aktiv entschieden, sondern war immer automatisch versichert. Häufig waren meine Gesprächspartner an dieser Stelle enttäuscht, weil sie hofften, Insidertipps zu bekommen, um auch endlich eine Entscheidung über ihre private Vorsorge zu treffen. Ich erläuterte dann meist etwas beschämt und umständlich, dass ich lediglich die Regulierung und den politischen Entstehungsprozess der Vermarktlichung untersuche. An dieser Stelle wurden die Gespräche wieder lebhafter und es folgten zum Teil stundenlange Debatten über das Für und Wider von Privatisierungen und Märkten. All diese Gespräche waren hilfreich, um zu erkennen, wie politisch umstritten die Einführung von Wohlfahrtsmärkten ist. Ebenso wird an meiner eigenen Versichertenlaufbahn deutlich, wie irrational Menschen in Wohlfahrtsmärkten agieren und welchen Einfluss die Regulierung der Märkte hat. Trotz besseren Wissens habe ich nie eine Riester-Rente abgeschlossen. Die Diskussionen darüber haben zu meinem Verständnis beigetragen, welchen Einfluss die 10 WOHLFAHRTSMÄRKTE Regulierung der Wohlfahrtsmärkte auf das Verhalten von Menschen hat und wie politisch umkämpft das Feld ist. Mein Dank gilt also diesen vielen Gesprächspartnern auf Konferenzen, Feiern und ähnlichen Anlässen. Die Hauptarbeit ist am Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen entwickelt und durchgeführt worden. Weitere institutionelle Unterstützung erhielt ich von der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS), dem Swedish Institute for Social Research (SOFI, Universität Stockholm) und den Universitäten Edinburgh, St Andrews und Dundee. Außerdem gilt mein Dank dem ZeS und der Phorms Education SE für Druckkostenzuschüsse. Dabei möchte ich betonen, dass die finanzielle Unterstützung keinerlei Einfluss auf den Inhalt der Arbeit hatte. Viele Kollegen haben mich an verschiedenen Stellen der Arbeit unterstützt und viele sind gute Freunde geworden. Maßgeblich haben Frank Nullmeier und Herbert Obinger diese Arbeit von Anfang an begleitet und meine Argumente kritisch und konstruktiv beleuchtet. Namentlich möchte ich vor allem Hayley Bennett, Catherine Blair, Florian Blank, Stefanie Börner, Irene Dingeldey, Benjamin Ewert, Karin Gottschall, Ralf Götze, Karl Hinrichs, Gitta Klein, Tanja Klenk, Clémence Ledoux, Stephan Leibfried, Steffen Mau, Ingela Naumann, Jonas Pieper, Tanja Pritzlaff, Patrick Sachweh, Peter Starke, Thomas Wachtendorf und Philine Weyrauch für konstruktive Kommentare zu Entwürfen und Ideen in verschiedenen Arbeitszusammenhängen danken. Viele weitere Menschen haben diese Arbeit begleitet und geholfen sie erfolgreich abzuschließen, auch ihnen sei hiermit gedankt. Besonderer Dank gilt Karl Loxbo von der Linnaeus Universität (Växjö, Schweden), dessen Experteninterviews ich einer Sekundäranalyse unterziehen konnte. Ebenso wäre die Arbeit nicht ohne die ausführlichen Informationen meiner Interviewpartner möglich gewesen. Persönlich möchte ich mich bei Simone Lempart bedanken, die mich ermunterte überhaupt eine Promotion anzugehen. Dank auch an Jessica Poeschel, die maßgeblich zur sprachlichen Verbesserung beitrug und für den stilistischen Feinschliff sorgte. Schließlich gilt mein besonderer Dank Theda Grabow für die ausdauernde und liebevolle Unterstützung in allen Lebenslagen. Dundee, November 2014 Stephan Köppe 1 Einleitung »A ›welfare state‹ is a state in which organized power is deliberatively used (through politics and administration) in an effort to modify the play of market forces« (Briggs 1961: 228). »Das Konzept ›Wohlfahrtsmarkt‹ zieht auch deshalb viel Interesse und Aufmerksamkeit auf sich, weil es die Unterscheidung zwischen ›Wohlfahrtsstaat‹ und ›Markt‹ in Frage stellt und aufhebt.« (Berner 2009: 288). Diese Studie untersucht Wohlfahrtsmärkte.1 Also Sozialprogramme, die privat finanziert werden, nicht-staatliche Anbieter involvieren und Wahlfreiheiten für die Wohlfahrtsnutzer ermöglichen. Im Fokus steht der empirische Vergleich von Wohlfahrtsmärkten in zwei Politikfeldern (Rente und Bildung) und drei unterschiedlichen Wohlfahrtsregimen (Deutschland, Schweden, USA). Bisher dominierten Fallstudien zur Vermarktlichung und Privatisierung von Sozialpolitik die Wohlfahrtsmarktforschung und diese Arbeit soll vergleichend zu diesem Themenkomplex beitragen und somit eine Forschungslücke im gegenwärtigen Forschungsstand schließen. In dieser Studie werden vor allem vier Beiträge zur Wohlfahrtsmarktliteratur geleistet. Erstens wird das Konzept Wohlfahrtsmarkt theoretisch umfassend hergeleitet. Zweitens werden verschiedene – teilweise innovative – Indikatoren ausgewertet, um ein möglichst umfassendes Bild des Marktvolumens zu zeichnen. Drittens werden die institutionellen Unterschiede zwischen Wohlfahrtsmärkten untersucht, folglich gilt es, die institutionelle Einbettung der Marktmechanismen in die Wohlfahrtsregime zu vergleichen. Und viertens werden basierend auf der existierenden sozialpolitischen Literatur Erklärungen für die Entstehung, den Wandel und die Einbettung von Wohlfahrtsmärkten diskutiert. Warum beschäftigt sich aber eine sozialpolitische Studie mit Märkten? Oder genauer gefragt: Warum sind Wohlfahrtsmärkte ein relevantes sozialpolitisches Forschungsfeld? Mit Sozialpolitik werden sehr unterschiedliche Konzepte verbunden, die einem historischen Wandel unterliegen. Die Wurzeln der Sozialpolitik liegen in lokalen Selbsthilfevereinen, kommu- —————— 1 In dieser Arbeit wird die männliche Schreibweise für Personen verwendet, um den Lesefluss nicht zu behindern. Gemeint sind aber Personen beiderlei Geschlechts, wenn nicht anderweitig angegeben. 12 WOHLFAHRTSMÄRKTE nalen Armenhäusern, betrieblichen – teilweise paternalistischen – Leistungen und familiären Unterstützungsnetzwerken. Seit der Einführung von Sozialversicherungen und einer Verrechtlichung der sozialpolitischen Leistungen wurde Sozialpolitik vornehmlich als eine nationalstaatliche Aufgabe aufgefasst. Der Wohlfahrtsstaat – oder auch der im deutschen Sprachraum gebräuchliche Sozialstaat – wurde sinnbildlich für sozialpolitische Leistungen und versprach gesellschaftlichen Fortschritt (Alber 1988; Alber/ Behrendt 2001; Briggs 1961; Kaufmann 2000; Köppe u.a. 2011). Wie das Eingangszitat von Briggs (1961) zeigt, wurden wohlfahrtsstaatliche Programme explizit als Gegengewicht gegenüber Marktkräften implementiert. In der Expansionsphase der Wohlfahrtsstaaten, dem sogenannten »Goldenen Zeitalter«, wurde bis in die 1970er Jahre hinein der Wohlfahrtsstaat auf eine nationale, staatliche und monofunktionale Institution verengt. Erstmals schien es, dass der »welfare state had now gained parity with market forces« (Leibfried/Obinger 2000: 281). Erst in den letzten zwei Dekaden wurde die ursprüngliche sozialpolitische Pluralität in der sozialpolitischen Forschung wieder stärker aufgegriffen. Beispielsweise ignoriert die nationale Verengung lokale, regionale, supranationale und internationale Institutionen, die ebenso zur Wohlfahrt von Gesellschaften beitragen (Leibfried/Zürn 2006b). Monofunktionale Perspektiven betrachten nur einen Aspekt der Sozialpolitik, wie zum Beispiel die Vermeidung von Armut und sozialen Risiken, begrenzt auf einige wenige Politikfelder, ohne die komplexen und politikfeldübergreifenden Zusammenhänge zu berücksichtigen (u.a. Zohlnhöfer 2007a). Die Engführung auf den Staat lässt außer Betracht, dass andere gesellschaftliche Sektoren ebenfalls an der Wohlfahrtsproduktion beteiligt sind, wie Märkte, Verbände und Familien (Esping-Andersen 1987; 1990; Evers/Olk 1996; Zapf 1984). Diese mehrdimensionale Auffassung von Sozialpolitik erweitert den Handlungsspielraum der sozialpolitischen Akteure, verschiedene Steuerungsformen anzuwenden (Köppe u.a. 2011). Diese Studie wird genau einen Aspekt der sozialpolitischen Pluralität näher betrachten: Verschiebungen auf der sektoralen Achse zum Markt. Das Interesse der Studie richtet sich auf die Finanzierung und Bereitstellung von sozialpolitischen Gütern mit marktförmigen Mitteln, sogenannten Wohlfahrtsmärkten. Zu Wohlfahrtsmärkten zählen unter anderem freiwillige Rentenversicherungen, private Pflegedienste, die Wahl zwischen obligatorischen Krankenversicherungen, Bildungsgutscheine für Privatschulen und Eingliederungsmaßnahmen der Arbeitsämter und viele andere Sozial- EINLEITUNG 13 programme und soziale Dienstleistungen, die Marktmechanismen enthalten. Mit dem Begriff Wohlfahrtsmarkt werden diese Veränderungen der Sozialpolitik zunächst konzeptionell erfasst (Berner 2009; Nullmeier 2001; Taylor-Gooby 1999). Außerdem können die neuen Marktformen unter dem Begriff Wohlfahrtsmarkt empirisch untersucht werden. Kurz gesagt sind Wohlfahrtsmärkte eine Sozialpolitik mit den Mitteln des Marktes. Demnach dienen Wohlfahrtsmärkte, wie auch der Wohlfahrtsstaat, der sozialen Risikoabsicherung oder Versorgung mit sozialen Diensten, die sozialen Institutionen beinhalten jedoch Marktmechanismen, um die Sozialleistungen zu finanzieren, zu produzieren und zu verteilen. Dadurch werden die Wohlfahrtsnutzer zu Konsumenten, wenn sie aufgefordert werden, zwischen den Optionen im Wohlfahrtsmarkt, das heißt Produkten und Anbietern, zu wählen. Exemplarisch werde ich kurz die Marktmechanismen in Wohlfahrtsmärkten anhand der Anfang der 2000er Jahre eingeführten deutschen Riester-Rente veranschaulichen. Die Riester-Produkte werden zuallererst von Versicherungen, Banken und Fondsgesellschaften angeboten, also privaten Marktakteuren. Den Wohlfahrtsnutzern steht es nun frei, aus einer Produktpalette an Riester-Produkten zu wählen. Diese Rentenversicherungen werden nach Marktpreisen von den Versicherten finanziert und sie wählen die Produkte selbst aus. Zusammengenommen werden die Riester-Renten auf einem Rentenmarkt gehandelt und getauscht. Die spezielle Regulierung der Riester-Rente führt dazu, dass ein eigenständiger Wohlfahrtsmarkt entsteht, der sich von benachbarten Rentenmärkten oder Altersvorsorgeprodukten unterscheidet und von den Nutzern und Anbietern als ein separater Markt wahrgenommen wird. Trotz dieser Marktmechanismen sind die angebotenen Rentenversicherungen ein soziales Gut, weil mit einem Riester-Vertrag, wie auch bei einer staatlichen Sozialversicherung, ein Einkommen im Alter bereitgestellt wird. Dieses Beispiel verdeutlicht die komplexen Marktmechanismen eines konkreten Wohlfahrtsmarktes. Derartige Wohlfahrtsmärkte variieren erheblich in ihrem Marktvolumen und den institutionellen Eigenschaften. Folglich sind wesentliche Unterschiede zwischen Nationen und Politikfeldern zu vermuten. Dabei können die Unterschiede zwischen den Politikfeldern genauso hoch sein wie zwischen den Ländern (vgl. Bode 2008; Gingrich 2011). Beispielsweise ist die Riester-Rente ein Wohlfahrtsmarkt mit relativ vielen Marktmechanismen im Gegensatz zum schwedischen 14 WOHLFAHRTSMÄRKTE Bildungsmarkt der sogenannten »freien Schulen« (fristående skolor). Der schwedische Bildungsmarkt wird weiterhin vollständig steuerfinanziert, wohingegen privaten Beiträgen zur deutschen Riester-Rente dominieren. Dennoch haben beide Märkte gemein, dass private Akteure um die Wohlfahrtskonsumenten konkurrieren. Ziel dieser Arbeit ist, diese Unterschiede zwischen den Wohlfahrtsmärkten herauszuarbeiten und die Gründe für diese Variationen zu untersuchen. Forschungsüberblick Aus einem Alltagsverständnis heraus werden derartige sozialpolitische Institutionen wie die Riester-Rente als Märkte bezeichnet. Trotz verschiedener konzeptioneller Vorarbeiten, die marktförmige Sozialprogramme als Wohlfahrtsmärkte definieren (Berner 2009; Nullmeier 2001; Taylor-Gooby 1999), konnte keins der Wohlfahrtsmarktkonzepte eine universelle Definition vorlegen, die möglichst alle marktförmigen Sozialprogramme historisch und international adäquat umfasst.2 Neben der fehlenden konzeptionellen Bearbeitung des Gegenstandes bestand lange Zeit eine empirische Forschungslücke über marktförmige Sozialpolitik – von wenigen frühen Forschungsarbeiten einmal abgesehen (u.a. Esping-Andersen 1987; Zapf 1984). In der letzten Dekade hat sich zwar die sozialpolitische Forschung zunehmend mit diesem Bereich befasst, allerdings sind vergleichende Forschungsarbeiten über mehrere Politikfelder und Länder weiterhin rar. Es ist zum einen festzustellen, dass wenig über das Marktvolumen von Wohlfahrtsmärkten bekannt ist. Offene Forschungsfragen sind in diesem Kontext, wie relevant die Märkte sind, wie sie finanziert werden und wie viele Nutzer auf diesen Märkten agieren. Vereinzelt existieren Studien, die das Marktvolumen einzelner Wohlfahrtsstaaten (für Großbritannien Burchardt 1997; Smithies 2005) oder Politikfelder erhoben haben. Beispielsweise ist das Marktvolumen von privaten Rentenversicherungen relativ gut dokumentiert, zum Teil sogar in vergleichenden Studien (Casey/Yamada 2004).3 Trotz dieser Verbesserungen der Datenlage fehlen weitgehend historische Analysen über die Entwicklung dieser privaten und —————— 2 Andere Begriffe wie Quasi-Markt umfassen ebenfalls nur Teilaspekte marktförmiger Sozialprogramme (u.a. Le Grand 1991). 3 Seit den 2000er Jahren auch verschiedene internationale Datenbanken (Adema 1999; Adema u.a. 1996; Adema/Ladaique 2005; OECD 2009a; Pearson/Martin 2005). EINLEITUNG 15 marktförmigen Sozialprogramme. Ebenso bestehen bei der Erhebung des Marktvolumens Messungenauigkeiten, die bisher nicht thematisiert wurden. Und schließlich ist das Marktvolumen jenseits von privaten Rentenversicherungen nach wie vor weitgehend unerforscht. Zum zweiten sind die Institutionen von Wohlfahrtsmärkten ein weiteres Desiderat. Während die Institutionen des Wohlfahrtsstaates ausgiebig erforscht wurden, ist das Wissen über die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte weiterhin fragmentarisch. Ebenso ist bisher wenig über die Variation der Wohlfahrtsmarktinstitutionen sowie über die Ursachen dieser Unterschiede bekannt. Diese Informationslücke betrifft auch hier vor allem systematische Vergleichsstudien über mehrere Länder und Politikfelder. In der letzten Dekade wurden viele Fallstudien zu Wohlfahrtsmärkten in einzelnen Ländern und Politikfeldern veröffentlicht, die zumindest zu einem kumulativen Wissenszuwachs geführt haben. Wie auch beim Marktvolumen beschäftigte sich das Gros der sozialpolitischen Forschung mit privaten Rentensystemen und -versicherungen und nur vereinzelt mit Politikfeldern wie Gesundheit (Glennerster/Le Grand 1995; Rothgang u.a. 2008) und Bildung (Barrow 1998; Vandenberghe 1998).4 Dennoch wurde auch eine steigende Anzahl von Studien veröffentlicht, die systematisch einzelne marktförmige Sozialprogramme mehrerer Wohlfahrtsregime vergleichen, unter anderem in Politikfeldern wie Arbeitsmarkt (Bredgaard/Larsen 2008), Renten (Hippe 2007; 2009; Leisering 2011), Schulen (Gingrich 2011; Klitgaard 2007a; 2007b; 2008; 2009; 2010; Whitty u.a. 1998), Gesundheit und Pflege (Gingrich 2011) oder Hochschulen (Regini 2011). Diese institutionellen Vergleiche werden um einige allgemeinere Sammelbände zur Privatisierung von Sozialpolitik ergänzt, ohne jedoch das Augenmerk auf die Besonderheiten von Marktmechanismen zu legen (Béland/Gran 2008b; Greve 2009b; Seeleib-Kaiser 2008b). In diesem Kontext sind auch Diskursanalysen über Wohlfahrtsmärkte zu erwähnen, die untersuchen, wie Märkte im öffentlichen Diskurs legitimiert (Bode —————— 4 In Fallstudien wurden sehr detailliert die Institutionen der Rentenmärkte dargestellt und Erklärungen für die Regulierung der Märkte diskutiert (Berner 2009; Bridgen/Meyer 2005; Emmerson 2003; Hacker 2002; Marschallek 2005). Sammelbände haben einige Fallstudien zu privaten Rentensystemen zusammengetragen und ermöglichen somit einen kumulativen Vergleich (Clark/Whiteside 2003; Ebbinghaus 2011; Feldstein/Siebert 2002; Gale u.a. 2004; Leisering 2011; Meyer u.a. 2007; Rein/Schmähl 2004). Ferner wurden in einfachen Überblicksstudien die regulativen Unterschiede von privaten Rentensystemen oberflächlich zusammengetragen (OECD 2008a; 2009b), ohne jedoch konsistent die Marktmechanismen herauszustellen. 16 WOHLFAHRTSMÄRKTE 2008; Leisering/Vitić 2009; Seeleib-Kaiser 2008b) und wie sie von der Bevölkerung wahrgenommen werden (Cebulla 2000; Rowlingson 2002). Schließlich widmet sich ein Strang in der Literatur den Nutzern von Wohlfahrtsmärkten und wie sie mit ihrer Wahlfreiheit umgehen. In der theoretischen Debatte wird auf den Wandel vom Sozialstaatsbürger zum Wohlfahrtskonsumenten abgestellt (Baldock 2003; Baldock/Ungerson 1993; Clarke 2006; Greve 2003). Neben institutionellen Analysen der Wahloptionen in Fallstudien (Blank 2009; Blomqvist 2004) wurde das tatsächliche Verhalten der Nutzer, ebenfalls vor allem im Rentenbereich, untersucht (Benartzi/Thaler 2001; Corneo u.a. 2007; Madrian/Shea 2001; Mann 2005; Peggs 2000; Rowlingson 2002; Vidler 2002). Abgesehen von Sammelbänden mit Fallstudien (Blank u.a. 2012; Greve 2009b) gibt es keine systematischen Ländervergleiche zum tatsächlichen Wahlverhalten von Nutzern in Wohlfahrtsmärkten. Fragestellung Obwohl vermehrt marktförmige Sozialprogramme und soziale Dienstleistungen Gegenstand von Forschungsarbeiten sind, bleiben mehre Fragen offen. In dieser Studie werden diese theoretischen und empirischen Forschungsdesiderate aufgegriffen. Wie erwähnt ist das Verständnis von Wohlfahrtsmärkten bisher konzeptionell nur unzureichend entwickelt und bedarf genauerer Abgrenzung und Konkretisierung. Deshalb wird der einleitende theoretische Teil der Studie die stellenweise widersprüchlichen Konzepte diskutieren und Wohlfahrtsmärkte aus politikwissenschaftlicher Sicht systematisch konzeptualisieren. Die so gewonnene Definition von Wohlfahrtsmärkten ist dann Grundlage für die weitere empirische Analyse. Die Fülle der vereinzelten Fallstudien und der (gleichwohl kleiner werdende) Mangel an komparativen Arbeiten zeigt eine Forschungslücke für vergleichende Arbeiten in diesem Feld auf. Die länderspezifischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wohlfahrtsmärkten wurden bisher nur unzureichend herausgearbeitet. Diese Studie vergleicht deshalb systematisch die Wohlfahrtsmärkte in den drei Ländern Deutschland, Schweden und den USA. Diese drei Länder repräsentieren drei verschiedene Wohlfahrtsregime und ihr systematischer Vergleich soll zeigen, ob diese Unterschiede auch bei den Wohlfahrtsmärkten festzustellen sind. EINLEITUNG 17 Vor allem sind aber Forschungsarbeiten rar, die über Alterssicherungssysteme hinausgehen. Um diesen Rentenbias in den empirischen Arbeiten über Wohlfahrtsmärkte aufzubrechen, wird zusätzlich zu den Wohlfahrtsmärkten der Alterssicherung die Vermarktlichung des Bildungssektors analysiert. Dieses Untersuchungsdesign ermöglicht zum einen, auf eine breite empirische Basis im Rentenbereich zurückgreifen zu können. Zum anderen erweitert die Untersuchung von Bildungsmärkten die Forschungsperspektive auf ein zusätzliches Politikfeld und ermöglicht weitergehende Generalisierungen. Außerdem weisen die Renten- und Bildungspolitik innerhalb der Untersuchungsländer bereits erhebliche Unterschiede auf, wodurch die Varianz der Vergleichsfälle erhöht wird. Aus den aufgezeigten empirischen Forschungslücken in Bezug auf das Marktvolumen und die Institutionen von Wohlfahrtsmärkten ergeben sich zwei zentrale Fragen dieser Arbeit: 1. Hat eine Vermarktlichung von Sozialpolitik stattgefunden und wenn ja, wie stark ist sie ausgeprägt? Mithin berührt diese Frage, wie hoch das Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte ist und ob das Marktvolumen angestiegen ist. 2. Findet eine Entwicklung zu einem Typ von Wohlfahrtsmärkten statt oder werden die neuen Märkte national politisiert und reguliert? Treten also institutionelle Unterschiede zwischen den Wohlfahrtsmärkten auf oder gleichen sich die implementierten Marktmechanismen? Die Frage nach den Unterschieden bezieht sich explizit auf Unterschiede zwischen Ländern und Politikfeldern gleichermaßen. Diese beiden Hauptfragen nach dem Marktvolumen und den institutionellen Unterschieden der Wohlfahrtsmärkte sind der Kern dieser Untersuchung. Beide Fragestellungen beschäftigen sich nicht nur mit der Beschreibung der Entstehung und Ausgestaltung von Wohlfahrtsmärkten, sondern auch damit, wie der Wandel und die Unterschiede erklärt werden können. 18 WOHLFAHRTSMÄRKTE Grundannahmen Basierend auf der bereits erwähnten Literatur (Details s. Kapitel 3) können drei Grundannahmen über das zu erwartende Marktvolumen und die Regulierung von Wohlfahrtsmärkten abgeleitet werden.5 In Bezug auf das Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte deuten die diskutierten Forschungsarbeiten darauf hin, dass marktförmige Strukturen in den letzten zwei Dekaden zugenommen haben. Daraus ergibt sich die erste Grundannahme: 1. Seit den 1990er Jahren ein Wachstum der Wohlfahrtsmärkte festzustellen. Ziel dieser Studie ist also, den Ausbau und Anstieg der Wohlfahrtsmärkte nachzuweisen. In der Literatur ist allerdings bisher ungeklärt, wann genau Wohlfahrtsmärkte in den einzelnen Ländern und Politikbereichen entstanden sind und wie hoch deren Marktvolumen im Vergleich zu anderen Wohlfahrtsregimen und zur öffentlichen Sozialpolitik ist. Bei aller Marktrhetorik wird häufig übersehen, dass die Wohlfahrtsstaaten weiterhin einen Großteil der sozialen Sicherung garantieren, womit die Frage im Raum steht, wie relevant diese neuen Wohlfahrtsmärkte überhaupt sind. Ziel dieser Studie ist es, ein genaueres Bild des Marktvolumens zu zeichnen. Dabei wird untersucht, ob Konvergenzen des Marktvolumens festzustellen sind (Holzinger u.a. 2007a; Knill 2005). Die bereits erwähnten Forschungsarbeiten liefern in diesem Punkt Hinweise auf erhebliche Unterschiede zwischen den Wohlfahrtsregimen und Politikfeldern. Daraus kann folgende zweite Grundannahme abgeleitet werden: 2. Trotz eines Anstiegs des Marktvolumens bleiben wesentliche Unterschiede zwischen Wohlfahrtsregimen und Politikfeldern bestehen. Beispielsweise ist in liberalen Wohlfahrtsregimen dieses Wachstum vermutlich früher und stärker festzustellen als in konservativen und sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimen. Der zweite Fragenkomplex beschäftigt sich mit der Regulierung der Wohlfahrtsmärkte. Wenn Wohlfahrtsmärkte neu entstehen, werden neue —————— 5 Da es sich hier um keine Hypothesen prüfende Studie (im Sinne von quantitativen Methoden) handelt, erscheint der Begriff Grundannahme geeigneter, um auch den theoretischen Beitrag dieser Studie zu betonen. EINLEITUNG 19 Institutionen (im Sinne von Regeln) gegründet. Verschiedene Studien konnten bereits zeigen, dass die Institutionen von Wohlfahrtsmärkten variieren (u.a. Gingrich 2011). Diese Studie zielt darauf ab, diese strukturellen Unterschiede systematisch herauszuarbeiten. In Anlehnung an den politischen Institutionalismus der Marktsoziologie (Fligstein 2001) konnte in anderen Märkten gezeigt werden, dass benachbarte existierende Institutionen als Vorbilder (templates) für neue Marktinstitutionen verwendet werden. Die neuen Märkte werden also in das bestehende Institutionengefüge eingebettet. Geprägt von Pfadabhängigkeiten ähneln die neuen Märkte bereits existierenden Märkten und öffentlichen Institutionen. Wohlgemerkt liegen der Marktgründung politische Entscheidungen zugrunde. Machtvolle Akteure versuchen, eine für sie vorteilhafte Marktregulierung zu implementieren und profitieren am meisten davon, wenn die neuen Märkte in das existierende Institutionengefüge eingebettet werden. Dieser Prozess der institutionellen Einbettung kann auf Wohlfahrtsmärkte übertragen werden, woraus sich folgende dritte Grundannahme ableitet 3. Die dominanten sozialpolitischen Akteure haben ein ureigenes Interesse, dass die Wohlfahrtsmärkte in das existierende Wohlfahrtsregime institutionell eingebettet werden, damit sie ihre Machtposition behaupten können. Folglich werden Wohlfahrtsmärkte nach dem Vorbild der existierenden sozialpolitischen Institutionen gestaltet. Die Wohlfahrtsmärkte replizieren damit bestehende institutionelle Eigenschaften. Grundannahme drei lässt sich wieder am Beispiel der deutschen Riester-Rente illustrieren: Demnach orientiert sich die Regulierung der neugegründeten Riester-Rente an dem existierenden deutschen Rentensystem. Angestellte, Beamte und Selbstständige hatten vor der Einführung der Riester-Rente unterschiedliche Altersvorsorgesysteme, bei der Marktregulierung der Riester-Rente wurden diese Statusunterschiede aufrechterhalten und für Selbständige eine separate Rürup-Rente gegründet. Im Vergleich dazu war das schwedische Rentensystem vor der Reform Ende der 1990er Jahre universell und obligatorisch, ebenso wie der neue Rentenmarkt der Prämienrente. Die institutionelle Einbettung ist in beiden Ländern anhand dieses Beispiels dadurch gekennzeichnet, dass die Marktregulierung benachbarten existierenden Institutionen gleicht. 20 WOHLFAHRTSMÄRKTE Im Rahmen dieser Studie werden diese Formen der institutionellen Einbettung von Wohlfahrtsmärkten herausgearbeitet. Grundsätzlich können alle gesellschaftlichen Akteure je nach ihrer Machtposition die Regulierung von Wohlfahrtsmärkten beeinflussen, weshalb sowohl Parteien, Gewerkschaften, Unternehmen, Verbände und Verfassungsgerichte in die Analyse einbezogen werden. Jeder dieser Akteure versucht, seine Präferenzen bei der Gründung und regulativen Einbettung der Wohlfahrtsmärkte durchzusetzen. Damit stellt sich die Frage, wie die formulierten Grundannahmen erklärt werden können. Welche Faktoren befördern das Wachstum der Wohlfahrtsmärkte (Grundannahme 1), tragen zu den Unterschieden im Marktvolumen bei (2) und führen zur Einbettung der Wohlfahrtsmärkte in das existierende Wohlfahrtsregime (3)? Dabei werden soweit wie möglich verschiedene Theorieschulen der Wohlfahrtsstaatsforschung berücksichtigt, der Schwerpunkt liegt aber auf institutionellen (Pierson 1994; 2000; Streeck/Thelen 2005b) und akteurszentrierten (Gingrich 2011; Kitschelt 2001; Korpi 1983; Korpi/Palme 2003; Schmidt 1996) Erklärungsansätzen. In der empirischen Analyse, so das Hauptargument dieser Studie, konnten Institutionen und Akteure als zentrale Einflussfaktoren identifiziert werden. Wobei die existierenden Institutionen maßgeblich zur Einbettung beitragen und auch das Wachstum der Wohlfahrtsmärkte begrenzen. Die dominanten Akteure verstärken die positiven Feedback-Effekte der Institutionen, weil sie vom Erhalt der institutionellen Eigenschaften in den Wohlfahrtsmärkten profitieren. Wie bereits in der dritten Grundannahme anklang, sind die Institutionen die Hauptfaktoren für das Wachstumspotenzial, die Varianz und die Einbettung der Wohlfahrtsmärkte. Allerdings können Akteure institutionelle Pfade durchbrechen und Innovationen einführen. Allein die Einführung und das Wachstum von Wohlfahrtsmärkten gehen auf einen institutionellen Wandel zurück, der von Akteuren angestoßen wurde. Zusätzlich handeln Akteure unter ökonomischen und gesellschaftlichen Zwängen, die ihre Präferenzen formen. Anders ausgedrückt, Institutionen stabilisieren nicht nur die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte und bewahren die Unterschiede der Märkte, sie bestimmen auch zum großen Teil das Wachstumspotenzial. Die beteiligten Akteure versuchen, die Wohlfahrtsmärkte nach ihren Präferenzen zu gestalten, neue Akteure können jedoch nur marginale Innovationen in Marktreformen durchsetzen. Und schließlich können die sozio-ökonomischen EINLEITUNG 21 Rahmenbedingungen das Wachstum beschleunigen oder abmildern und im öffentlichen Diskurs können bestimmte institutionelle Regulierungsoptionen von vornherein ausgeschlossen sein, dennoch besitzen die Institutionen eine hohe Persistenz und begrenzen den Spielraum von Marktwachstum und sozialer Einbettung erheblich. Das Hauptaugenmerk dieser Studie liegt auf dem empirischen Vergleich der Wohlfahrtsmärkte und inwiefern die leitenden Überlegungen von Expansion des Marktvolumens und Kontinuität der Länderunterschiede bestätigt werden können. Die Effekte und Wirkungen der Wohlfahrtsmärkte sind explizit nicht Gegenstand dieser Studie, nur an einigen Stellen wird auf Verteilungseffekte und Ungleichheiten verwiesen, um die institutionellen Unterschiede der Marktregulierung zu veranschaulichen. Das vergleichende Forschungsdesign ermöglicht, einerseits generelle Einflussfaktoren für den beobachteten Wandel zu identifizieren und zu überprüfen, andererseits können die Zusammenhänge aufgrund der geringen Fallzahl nicht statistisch getestet werden. Ein weiterer Beitrag des qualitativen Untersuchungsdesigns liegt in der Theoriebildung zur Erklärung von Entstehung und Varianz von Wohlfahrtmärkten. Ein weiteres zentrales Element der Studie ist die Konzeptualisierung des Begriffes Wohlfahrtsmarkt. Aufbau der Studie Die Gliederung orientiert sich an den Forschungsfragen. Zunächst wird in Kapitel zwei der theoretische Rahmen gespannt und das Konzept der Wohlfahrtsmärkte in den sozialpolitischen Diskurs eingeordnet. Im darauf folgenden Kapitel werden die Fallauswahl und das methodische Vorgehen ausführlich dargelegt sowie die Erklärungsansätze für die Grundannahmen diskutiert. In den Kapiteln vier und fünf erfolgt die eigentliche empirische Analyse. Das Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte wird in Kapitel vier erhoben und dargestellt. Dazu werden verschiedene Indikatoren internationaler und nationaler Datenbanken ausgewertet. Der Vergleich der Regulierung erfolgt in Kapitel fünf, gegliedert nach Ländern und Politikfeldern. In diesem Kapitel werden auch die Interessen und Motivationen der Akteure untersucht und wie sie die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte tatsächlich beeinflusst haben. Ein abschließendes Vergleichskapitel trägt die Ergebnisse aus den empirischen Kapiteln zusammen und diskutiert sie vor dem Hintergrund der Erklärungsansätze aus Kapitel drei. In einem ab- 22 WOHLFAHRTSMÄRKTE schließenden Fazit wird ein Ausblick auf den Zusammenhang von Sozialpolitik und Wohlfahrtsmärkten gegeben. Allgemeingültige Muster und Entwicklungstrends, die über den sozialpolitischen Kontext hinausgehen, werden aufgezeigt. 2 Wohlfahrtsmarkt als politikwissenschaftliches Konzept Der Staat spielte in den Anfängen der Sozialpolitik nur eine Nebenrolle, denn kommunale, betriebliche, kirchliche und private Träger waren gleichwertige Akteure bei der Gründung sozialpolitischer Programme (Kaufmann 2003; Pohl 1991; von Stein 1850). Erst im Zeitverlauf verengte sich der Begriff auf staatliche Sozialleistungen – konkretisiert im Konzept des Wohlfahrtsstaates (Alber/Behrendt 2001; Neumann/Schaper 2008; Schmidt 2005; Schmidt u.a. 2007). Sozialpolitik wurde und wird primär als staatliche Politik aufgefasst und betrieben, obwohl die Ursprünge eben gerade nicht dort liegen. Infolgedessen beschäftigte sich die sozialpolitische Forschung hauptsächlich mit der Staatstätigkeit und dem Wohlfahrtsstaat, eine Forschungsperspektive, die bis heute dominiert (Alber 1987; 1988; Briggs 1961; Flora 1986; Flora/Alber 1981; Katznelson 1988). Trotz dieser Verengung ist aber selbst die Definition des Wohlfahrtsstaates nicht immer eindeutig und klar umgrenzt (Barr 2004: 6). In anderen sozialpolitischen Forschungsansätzen wurde die sektorale Pluralität der Sozialpolitik allerdings immer adressiert vgl. Köppe u.a. (2008). Unter Begriffen wie Wohlfahrtspluralismus oder Wohlfahrtsmix wurde jenseits der öffentlichen Leistungserbringung die betriebliche, freiwillige, private, kirchliche und familiäre Wohlfahrtsproduktion berücksichtigt (Evers/Olk 1996; Powell 2007; Titmuss 1963 [1956]; Zapf 1984). Meist werden vier wesentliche Wohlfahrtssektoren genannt: Staat, Markt, Verbände (bzw. der Dritte Sektor) und Familien. Allerdings sind die Grenzen zwischen den Sektoren dabei immer weniger auszumachen und verschwimmen zusehends. Hybride Wohlfahrtsarrangements entstehen, die Eigenschaften mehrerer Wohlfahrtssektoren aufweisen. Beispielsweise wurden betriebliche Renten mehr und mehr privaten Rentenversicherungen angepasst, sodass sie Eigenschaften beider Sektoren aufweisen (Berner 2009; Greener 2008: 97). 24 WOHLFAHRTSMÄRKTE Im Rahmen dieser Arbeit interessiert vor allem die Erbringung von Wohlfahrtsleistungen mithilfe von Marktmechanismen im konkreten Untersuchungsgegenstand von Renten- und Bildungsmärkten. Als heuristisches Konzept zur Analyse dieser marktförmigen Sozialpolitik verwende ich den Begriff Wohlfahrtsmarkt, der in diesem Kapitel definiert wird. In der Konzeptualisierung werden die Eigenschaften von Wohlfahrtsmärkten dargelegt, die Operationalisierung von Vermarktlichung diskutiert und verschiedene Wohlfahrtsmarkttypen definiert. Im Rahmen der Fokussierung auf die Marktmechanismen sozialpolitischer Programme und Dienstleistungen liegt das Hauptaugenmerk der Studie – und damit auch der folgenden konzeptionellen Diskussion – auf dem Wechselverhältnis von Staat und Markt, ohne andere Wohlfahrtssektoren explizit zu berücksichtigen.6 Im Folgenden werden die Begriffe Markt, Wohlfahrtsmarkt und Vermarktlichung diskutiert und definiert, sowie verschiedene Schattierungen von Wohlfahrtsmarkttypen auf der Achse Staat-Markt differenziert. Zuerst werden die unterschiedlichen ökonomischen und soziologischen Marktdefinitionen präsentiert. In das politikwissenschaftliche Konzept des Wohlfahrtsmarktes werden Elemente aus beiden Disziplinen aufgenommen und Brücken zu ihnen geschlagen, Märkte werden aber insbesondere als politisch konstituierte Arenen des Tauschs betrachtet (Fligstein 1996; 2001). Anschließend werden in einem Literaturüberblick Wohlfahrtsmarktkonzepte diskutiert. Im darauf folgenden Abschnitt wird das in dieser Studie verwendete Wohlfahrtsmarktkonzept definiert. Im Anschluss an die Definition von Wohlfahrtsmärkten wird Vermarktlichung als ein Wandel zu Wohlfahrtsmärkten konkretisiert sowie die Wohlfahrtsmarkttypen ausführlich dargestellt. 2.1 Ökonomische und soziologische Marktdefinitionen Ökonomen und Soziologen haben unterschiedliche Zugänge zu Märkten. In der Ökonomie wird definitorisch meist von einem perfekten Markt —————— 6 Betriebliche Sozialpolitik ist häufig eng mit Wohlfahrtsmärkten verbunden und wird in den empirischen Kapiteln aufgegriffen, insbesondere in der Rentenpolitik. Konzeptionell wird aber nur das Verhältnis zwischen Wohlfahrtsmarkt und Wohlfahrtsstaat diskutiert. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 25 ausgegangen, der nur selten real existiert. Soziologen sind hingegen vor allem an den Interaktionen der Marktteilnehmer interessiert. Im Gegensatz zu den meisten Ökonomen gehen sie nicht von einem idealen Markt aus, sondern definieren minimale gesellschaftliche Bedingungen, unter denen Märkte entstehen. Beiden akademischen Disziplinen ist gemein, dass Märkte soziale Institutionen des Tausches von Gütern und Dienstleistungen sind. Allgemeiner formuliert: Auf Märkten findet der Tausch von Eigentumsrechten statt. Ökonomische Perspektive Märkte müssen nach ökonomischer Lesart die vier Standardannahmen vollständiger Wettbewerb, vollkommene Märkte, Abwesenheit von Marktversagen und vollständige Informationen erfüllen (Barr 2004: 73–79). Rational handelnde Marktakteure handeln unter diesen Bedingungen ausschließlich zur individuellen Nutzenmaximierung Waren und Dienstleistungen. Laut neoklassischer Auffassung reguliert sich der Markt weitgehend selbst durch den Preismechanismus und die staatliche Aufgabe besteht lediglich darin, Eigentumsrechte zu garantieren (Nachtwächterstaat). Zentral ist im Folgenden die erste der vier Standardannahmen – vollständiger Wettbewerb –, weil sich die ökonomische Definition von Wettbewerb von der soziologischen Definition unterscheidet. Ein vollständiger Wettbewerb liegt laut ökonomischer Theorie vor, wenn Marktakteure Preisnehmer sind und Machtgleichheit herrscht. In einem Markt mit einer atomistischen Akteursstruktur, das heißt vielen Anbietern und Nachfragern (Czada 2007: 73) und ohne Eintrittsbarrieren, ist kein Akteur fähig, die Preise zu diktieren. Folglich müssen alle Akteure die auf dem Markt angebotenen Preise annehmen. Aufgrund der vielen Anbieter ist das »Wettbewerbssystem im Großen und Ganzen unpersönlich« (Samuelson 1955: 40). Diese Definition von Märkten ist überwiegend Konsens unter Ökonomen, die Wirkungen werden jedoch teilweise höchst unterschiedlich interpretiert oder die vier Standardannahmen werden ergänzt beziehungsweise spezifiziert. Reale Märkte erfüllen nicht immer die Standardannahmen und wenn es zu einem Marktversagen kommt, dann werden die angenommenen positiven Wohlfahrtseffekte der Märkte nicht erreicht (Barr 2004). 26 WOHLFAHRTSMÄRKTE Soziologische Perspektive Die Marktsoziologie ist im Vergleich zur Wirtschaftswissenschaft stärker an den sozialen Interaktionen interessiert, die den Tausch von Gütern und Dienstleistungen ermöglichen (Aspers 2011; Beckert u.a. 2007; Fligstein/ Dauter 2007; Maurer 2008; Slater/Tonkiss 2001; Smelser/Swedberg 2005). Märkte sind demnach »Arenen sozialen Handelns« (Aspers/Beckert 2008), also keine abstrakten unpersönlichen Gebilde, sondern basieren auf konkreten menschlichen Interkationen.7 Die »Vertragsarena« (Zintl 2003) steht im Mittelpunkt der soziologischen Betrachtung und weist drei Grundeigenschaften auf: Erstens dient ein Markt dem Austausch von Eigentumsrechten. Die Marktakteure tauschen Güter oder Dienstleistungen direkt oder mithilfe eines Tauschmittels (z.B. Geld). Die Marktarena bildet die soziale Struktur sowie die institutionelle Ordnung, die zur Bewertung, zum Erwerb und zur Veräußerung der Eigentumsrechte nötig ist. Zweitens findet der Austausch unter Wettbewerbsbedingungen statt. Mindestens drei Akteure müssen an dem Austausch beteiligt sein, damit Wettbewerb entsteht. Zwei Konsumenten konkurrieren somit um ein Angebot oder zwei Anbieter konkurrieren um einen Kunden. Dieses minimale Wettbewerbskonzept steht im Widerspruch zum aufgezeigten atomistischen Wettbewerbsmodell der Ökonomie. Drittens bildet ein Markt den Rahmen für »freiwillige Kooperationen« (Zintl 2003: 31). Marktteilnehmer können aufgrund der Freiwilligkeit der Tauschbeziehungen selbst bestimmen, ob ein Tausch der Eigentumsrechte stattfindet. Ohne die Freiwilligkeit des Tausches wären die Akteure nicht mehr autonom und somit der Wettbewerb eingeschränkt. Die Arena verbindlicher Kollektiventscheidungen (Politik, Staat) ist laut Weber (2005 [1922]: 493) der Gegenpol zur freiwilligen Vertragsarena (Zintl 2003). Diese soziologische Minimaldefinition ist erweiterbar und offen für weitere theoretische Eingrenzungen oder Annahmen. Insgesamt liegt der Fokus der soziologischen Marktkonzepte auf den Marktindividuen und ihrem Handeln innerhalb der Marktinstitutionen. —————— 7 Arena wird in diesem Zusammenhang meist im systemtheoretischen Kontext verwendet. Eine Arena ist ein soziales System, das funktional ausdifferenziert ist. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 27 Bedeutung für die Sozialpolitik Wie gezeigt haben beide Disziplinen – Ökonomie und Marktsoziologie – sehr unterschiedliche Fragestellungen und Grundannahmen. Aus sozialpolitischer Perspektive stellt sich jedoch folgende zentrale Frage: Welche Güter sollen auf Märkten gehandelt und welche vom Wohlfahrtsstaat bereitgestellt werden? Laut ökonomischer Theorie stellen vollkommene Märkte alle Güter und Dienstleistungen zur Verfügung, für die Individuen bereit sind zu zahlen (Barr 2004: 74). Einige Güter sind jedoch so beschaffen, dass in kapitalistischen Gesellschaften keine natürlichen Märkte für diese Güter entstehen (u.a. öffentliche Güter, nicht versicherbare Risiken). Vor allem die funktionalen Eigenschaften der Güter bestimmen aus ökonomischer Perspektive, ob ein Markt entstehen kann oder nicht. Bei Gütern, deren Märkte nicht natürlich entstehen, obwohl ein öffentliches Bedürfnis nach diesen Produkten besteht, ist eine öffentliche Finanzierung, Bereitstellung oder Regulierung legitim. Soziologische Studien haben gezeigt, dass die Marktkompatibilität von Gütern auch normativ bestimmt wird und bestimmte fiktive Produkte wie Lebensversicherungen oder Finanzderivate erst auf einem Markt gehandelt werden können, wenn ihre Tauschfähigkeit normativ akzeptiert worden ist (MacKenzie/Millo 2003; Quinn 2008). Diese beiden Sichtweisen zeigen, dass der Handel von Produkten und Dienstleistungen einerseits von den Eigenschaften der Güter abhängt, andererseits aber auch davon, ob diese Güter im Rahmen sozialer Konstruktion als handelbare Güter aufgefasst werden. Die Grenzen von handelbaren Gütern werden ständig neu ausgelotet und unterliegen kulturellem und gesellschaftlichem Wandel. Für die Sozialpolitik stellt sich somit erstens die Frage, ob sozialpolitische Güter Eigenschaften besitzen, die einen Handel auf Märkten ermöglichen, und zweitens, ob die sozialpolitischen Güter auch als handelbare Güter aufgefasst werden. Die Definition von Wohlfahrtsmärkten wird diese beiden Aspekte der Handelbarkeit von Produkten und Dienstleistungen aufnehmen. 28 2.2 WOHLFAHRTSMÄRKTE Wohlfahrtsmarkt Märkte werden üblicherweise nach den gehandelten Produkten und Dienstleistungen differenziert. Beispielsweise wird der Automobilmarkt vom Lebensmittelmarkt unterschieden. Energie- und Telekommunikationsmärkte sind aus der öffentlichen Daseinsvorsorge bekannt. Im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit wird beispielsweise der Begriff »Military Market« verwendet (u.a. Leander 2006). Das Wohlfahrtsmarktkonzept ist ein heuristisches Konstrukt, um die marktförmige Allokation von sozialen Gütern gegenüber anderen Gütermärkten abzugrenzen. Ebenso macht der Begriff Wohlfahrtsmarkt deutlich, dass die Allokation nicht hierarchisch wie im Wohlfahrtsstaat erfolgt, sondern in marktförmigen Strukturen. Nicht alle Studien, die sich diesem Themenkomplex widmen, verwenden den Begriff Wohlfahrtsmarkt, sondern sprechen beispielsweise schlicht von Märkten im »Wohlfahrtsstaat« oder »öffentlichen Sektor« um das Phänomen von Marktmechanismen im Kontext von Sozialprogrammen zu beschreiben (Gingrich 2011; Greener 2008). Ziel der theoretischen Diskussion ist hier eine begriffliche Kohärenz herzustellen, die verschiedene Ansätze und Definitionen vereint. Allerdings ist der Begriff Wohlfahrtsmarkt aus sozialpolitischer Perspektive ein Oxymoron: ein Kompositum aus zwei sich widersprechenden Begriffen. In der sozialpolitischen Forschung konnte immer wieder gezeigt werden, dass Märkte (insbesondere der Arbeitsmarkt) soziale Risiken verursachen und zu sozialen Ungleichheiten führen. Die Aufgabe des Wohlfahrtsstaates ist unter anderem dieses Marktversagen auszugleichen.8 In diesem Kontext erscheint es widersprüchlich, dass nun Märkte, obwohl Ursache für soziale Risiken und Ungleichheiten, diese verhindern oder reduzieren sollen (s. auch S. 32). Das Konzept Wohlfahrtsmarkt bezieht sich explizit auf Wohlfahrtsprogramme, die Marktmechanismen bei der Allokation von Transferleistungen, Sachleistungen und Dienstleistungen verwenden. Marktmechanismen werden, als ein sozialer Steuerungsmechanismus wie auch Hierarchien oder Netzwerke, zur Bereitstellung sozialer Güter verwendet. —————— 8 Der Wohlfahrtsstaat wurde im engen Sinne als Intervention in Märkte verstanden (Katznelson 1988: 517) oder als ein »effort to modify the play of market forces« (Briggs 1961: 228; vgl. auch Esping-Andersen 1985: »politics against markets«). WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 29 In kritischer Lektüre der existierenden Literatur zu Wohlfahrtsmärkten wird im Folgenden das Konzept weiterentwickelt. Dieses Konzept wird dann konkret auf die Politikfelder Rente und Bildung angewendet. Tabelle 1: Wohlfahrtsmarktansätze Autor Kriterien einbezogene Politikfelder Stärken und Schwächen Öffentliches Gut Historisch-regulativ Konstruktivistisch Taylor-Gooby (1999) Öffentliche Güter (keine Rivalität, kein Ausschluss) Nullmeier (2001, 2002) - marktförmige Strukturen - soziale Güter - ehemals staatlich - sozialpolitische Regulierung Berner (2007) Sozialpolitik (Gesundheit, Rente, sozialer Wohnungsbau), Stressreduzierung, öffentliche Sicherheit + Definition anhand der Guteigenschaften – Beispiele passen nicht zur Definition – nicht auf Sozialpolitik begrenzt Sozialpolitik (Rente, Pflege, KV) Sozialpolitik (insbesondere Rente) + konkreter sozialpolitischer Bezug − einseitig temporal − Betonung der Sozialversicherung + diskursanalytisch + hybride Institutionen − internationaler Vergleich eingeschränkt Sozialpolitische Zuschreibung Quelle: eigene Darstellung 2.2.1 Literaturüberblick der Wohlfahrtsmarktkonzepte Basierend auf der existierenden Literatur können drei Konzepte von den Autoren Taylor-Gooby (1999), Nullmeier (2001; 2002a; 2004) und Berner (2009) unterschieden werden, die unterschiedliche Vor- und Nachteile besitzen. Die ausführliche Darlegung der drei Konzepte wird im Folgen- 30 WOHLFAHRTSMÄRKTE den zeigen, wie das Konzept weiterentwickelt und kohärenter ausformuliert werden kann. Tabelle 1 fasst die drei Ansätze der Wohlfahrtsmärkte zusammen und bietet einen Überblick über die verschiedenen Konzepte, die in den folgenden Abschnitten näher erläutert werden. Der öffentliche Güter Ansatz (Taylor-Gooby) Erstmals verwendet Taylor-Gooby (1999) den Begriff »welfare market« zur Beschreibung von marktförmigen Sozialprogrammen.9 Theoretisch und konzeptionell problematisch ist die beiläufige Einführung des Begriffes, als ob der Begriff bereits definiert sei, dennoch kann zwischen den Zeilen herausgelesen werden, was genau Taylor-Gooby unter dem Begriff Wohlfahrtsmarkt versteht.10 Die Innovation von Taylor-Gooby besteht darin, Wohlfahrtsmärkte ausschließlich über ihren Gutcharakter zu definieren, das heißt als Märkte, auf denen öffentliche Güter angeboten werden (Taylor-Gooby 1999: 100). Lediglich die Eigenschaft der öffentlichen Güter unterscheidet Wohlfahrtsmärkte von normalen Gütermärkten. Öffentliche Güter zeichnen sich dadurch aus, dass sie weder durch Rivalität gekennzeichnet sind (keine Konkurrenz um knappe Güter), noch Konsumenten vom Verbrauch der Güter ausgeschlossen werden können (keine Exklusion). Dazu zählen Güter wie die öffentliche Rundfunküber- —————— 9 Peter Taylor-Gooby verwendet den Begriff bereits ein Jahr zuvor (1998) für den Titel eines von ihm editierten Sammelbandes, ohne im Text auf den Begriff näher einzugehen. Eine Suche über den Social Science Citation Index ergab lediglich zweierlei: Einige Übersetzungen der »sozialen Marktwirtschaft« als »Welfare Market Economy«, sowie zufällige Überschneidungen von Titel und Untertitel (»… social welfare – market forces …«) führten zu positiven Treffern, die jedoch nichts mit dem Kompositum im Sinne Taylor-Goobys gemein haben. Eine zusätzliche Suche über GVK-PLUS Katalog führte zu einem Artikel, der den Begriff »welfare market« zwar im Kontext der Sozialpolitik verwendet, diesen aber nicht näher definiert und in drei unterschiedlichen Kontexten anwendet: Erstens im ökonomischen Kontext zur allgemeinen Steigerung der Wohlfahrt und des Glücks, was durch die Einführung von Auswahlmöglichkeiten in welfare markets erreicht wird; zweitens als Synonym für Quasi-Märkte (vgl. Fußnote 10); und drittens als subsystem eines omnipotenten Marktkapitalismus (Lai 1994). 10 Taylor-Gooby entwickelt seine Konzeption der Wohlfahrtsmärkte in direktem Bezug auf die Quasi-Markt-Debatte, grenzt sich dennoch von ihr ab. Quasi-Märkte führen Wettbewerb unter den Anbietern sozialer Leistungen ein, die Finanzierung der Leistungen übernimmt aber weiterhin der Staat (Bartlett u.a. 1998; Glennerster/Le Grand 1995; Le Grand 1991; 1993). Siehe auch Kapitel 2.2.4 Ausschreibungs- und Vouchermarkt. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 31 tragung. Das Rundfunksignal kann von allen Bürgern im Sendegebiet empfangen werden (keine Exklusion) und das Produkt ist nicht knapp, denn die Übertragung wird nicht davon beeinflusst, ob mehr oder weniger Zuschauer einschalten (keine Konkurrenz). Bei öffentlichen Gütern kommt es zu einem Marktversagen, weil keine natürlichen Märkte entstehen. Gleichzeitig wird ein breites gesellschaftliches Interesse für öffentliche Güter angenommen, weshalb der Staat deren Produktion übernimmt und über Steuergelder finanziert (Jansen/Priddat 2007). Öffentliche Güter – laut Taylor-Gooby so disparate Güter wie öffentliche Sicherheit, öffentliche Gesundheit, allgemeine Reduzierung von Stress – können deshalb nicht adäquat auf einfachen Gütermärkten bereitgestellt werden, weshalb er gegenüber Wohlfahrtsmärkten eher eine kritische Haltung einnimmt (Taylor-Gooby 1999). Wohlfahrtsmärkte produzieren zwar soziale Güter, allerdings würden damit wohlfahrtsstaatliche Ziele wie Gleichheit, Gerechtigkeit, Sicherheit nicht erreicht. Es bestehe ein Zielkonflikt zwischen den Marktmechanismen (market means) und den Wohlfahrtszielen (welfare ends) (Taylor-Gooby 2004b; Taylor-Gooby u.a. 2004). Alles in allem verwendet Taylor-Gooby zwar ein etwas vages Konzept von Wohlfahrtsmärkten, aber dennoch wird deutlich, dass die Eigenschaften der Güter den Wohlfahrtsmarkt konstituieren. Wenn öffentliche Güter, die eigentlich laut ökonomischer Theorie nicht handelbar sind, auf Märkten getauscht werden, sind diese Märkte Wohlfahrtsmärkte. Damit bietet das Wohlfahrtsmarktkonzept von Taylor-Gooby eine knappe Definition, die auf verschiedene Märkte angewendet werden kann und einfach zu operationalisieren ist. Allerdings sind viele wohlfahrtsstaatliche Leistungen wie die besagte öffentliche Gesundheit keine öffentlichen Güter. Patienten konkurrieren sehr wohl um die beste Versorgung und können von Leistungen ausgeschlossen werden. Obwohl als Wohlfahrtsmarkt bezeichnet, umfasst das Konzept von Taylor-Gooby nicht sozialpolitische Leistungen, sondern öffentliche Güter. Trotz dieser zentralen Einschränkung führte Taylor-Gooby mit dem Oxymoron Wohlfahrtsmarkt einen Begriff in den sozialpolitischen Diskurs ein, der ein augenscheinlich widersprüchliches Begriffspaar vereint. Damit wird die Trennung des Verteilungsmechanismus (Markt/Staat) von den sozialpolitischen Zielen verdeutlicht. Obwohl Taylor-Gooby bezweifelt, dass Marktmechanismen sozialpolitische Ziele erreichen können, suggeriert 32 WOHLFAHRTSMÄRKTE der Begriff Wohlfahrtsmarkt zunächst genau das und entideologisiert somit Märkte als Allokationsmechanismus in der Sozialpolitik. Märkte sind demnach ein Mechanismus der sozialpolitischen Güterallokation unter vielen. Der Fokus auf »traditionelle« Sozialpolitik und Regulierung (Nullmeier) In der deutschen Diskussion wurde Taylor-Goobys Begriff »welfare market« von Nullmeier (2001) aufgegriffen. Der Begriff erfährt dabei, trotz der wörtlichen Übersetzung, eine engere Definition als die britische Variante. »Unter Wohlfahrtsmärkten (vgl. Taylor-Gooby 1999) sollen alle marktförmigen wirtschaftlichen Strukturen verstanden werden, die auf die Produktion und Verteilung von Gütern und Diensten gerichtet sind, die traditionell unter dem Schutz des Sozialstaates als Leistung zur Schaffung sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit stehen oder standen, und als Märkte weiterhin einer sozialpolitischen Regulation unterliegen. Unter Wohlfahrtsmärkten sind voll entwickelte Märkte ebenso zu fassen wie staatlich hochgradig regulierte und finanzierte Märkte, innerstaatliche Quasimärkte (Le Grand 1993) oder Marktprozesse nur nachahmende Wettbewerbsprozesse ohne Beteiligung privater Anbieter. Von Wohlfahrtsmärkten soll jedoch nur dann gesprochen werden, wenn eine sozialpolitische Gesetzgebung als Marktrahmen oder Marktregulation fortbesteht« (Nullmeier 2001: 647). Wohlfahrtsmärkte müssen demnach vier Bedingungen erfüllen: Erstens müssen Marktmechanismen institutionalisiert sein. Zweitens produzieren oder verteilen sie sozialpolitische Güter. Drittens muss die Produktion oder Verteilung vorher vom Staat erbracht worden sein. Und viertens muss weiterhin eine sozialpolitische Regulierung erkennbar sein. Ebenso wie Taylor-Gooby weist Nullmeier auf die widersprüchliche sozialpolitische Wirkung der Wohlfahrtsmärkte hin (s.o. Oxymoron): »Vom Markt erzeugte soziale Risiken werden jetzt durch Wohlfahrtsmärkte ausgeglichen« (Nullmeier 2001: 646; 2002a: 270; 2004). Allerdings zieht Nullmeier einen anderen Schluss als Taylor-Gooby und meint, dass Wohlfahrtsmärkte sehr wohl sozialpolitische Ziele erreichen können. Es komme auf die staatliche Regulierung der Wohlfahrtsmärkte an, ob sie die Wohlfahrtsziele erreichen können. Beispielsweise sei es Aufgabe der staatlichen Sozialpolitik, die Nutzer – in Nullmeiers Worten die Verbraucher – der Wohlfahrtsmärkte zu unterstützen, indem beispielsweise Marktinformationen bereitgestellt werden und die Bürger zu gut informierten und souveränen Verbrauchern ausgebildet werden (Nullmeier 2002b; 2004). WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 33 Der zentrale Beitrag von Nullmeier ist, dass seine Definition sehr viel konkreter auf Sozialpolitik gemünzt ist als die von Taylor-Gooby. Das zweite Kriterium der sozialen Güter bezieht Nullmeier im Gegensatz zu Taylor-Gooby lediglich auf jene Güter, die der Absicherung beziehungsweise der Kompensation von Risiken, die durch den Arbeitsmarkt entstehen, dienen. Wohlfahrtsmärkte sind für ihn insbesondere Sozialversicherungsmärkte. Als konkrete Politikfelder benennt und untersucht er die Rentenversicherung (Nullmeier 2001), die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung (Nullmeier 2002a). Soziale Dienstleistungen wie Bildung oder Altenpflege werden hingegen nicht explizit erwähnt. Die weitere Bedeutung der sozialen Güter ergibt sich aus dem dritten Kriterium: Wohlfahrtsmärkte sind in Nullmeiers Konzept auf die »traditionellen« Felder der Sozialpolitik beschränkt. Problematisch an dieser Einschränkung ist, dass dadurch weder Unterschiede des Wohlfahrtsmix einzelner Länder noch neue soziale Risiken ausreichend berücksichtigt werden. Erstens werden ausgeprägte Wohlfahrtsmärkte in liberalen Wohlfahrtsstaaten wie den USA per Definition ausgeschlossen, weil die Wohlfahrtsproduktion einzelner Politikfelder (u.a. Krankenversicherung) »traditionell« nie in staatlichen Sozialversicherungen organisiert war (Berner 2004: 10). Bei strenger Auslegung des Kriteriums »traditionell« werden bestehende Wohlfahrtsmärkte ausgeschlossen, die parallel zu staatlichen Sozialprogrammen überdauerten (z.B. Betriebsrenten oder Privatschulen). Zweitens ist es unerheblich, ob die Produktion traditionell in staatlicher Hand war, denn die bisherige Fokussierung allein auf das veränderte Verhältnis von Staat und Markt ignoriert die familiäre Wohlfahrtsproduktion. Wohlfahrtsmärkte können auch entstehen, wenn die sozialen Güter bisher von Familien erbracht wurden und der Staat nicht substanziell an der Güterallokation beteiligt war.11 In dieser Arbeit wird zwar auch der Hauptfokus auf das Verhältnis von Staat und Markt gelegt, dennoch sollte eine universelle Definition von Wohlfahrtsmärkten andere Wohlfahrtssektoren nicht per se ausschließen. Drittens wurden neuere soziale Problemlagen und Risiken erst in den letzten Jahren als sozialpolitisch relevant aufgegriffen und haben zunehmend staatliche Interventionen hervorgerufen, wie zum Beispiel in —————— 11 Dies trifft zum Teil im Bereich der Altenpflege und Kinderbetreuung zu, die in einigen Wohlfahrtsstaaten typischerweise direkt von der Familie auf private Marktanbieter übertragen wurde. 34 WOHLFAHRTSMÄRKTE Deutschland im Bereich der Kinderbetreuung (Armingeon/Bonoli 2006; Bonoli 2005; Taylor-Gooby 2004a). Von Nullmeiers Definition werden diese neuen Risiken nicht ausdrücklich berücksichtigt und gehören auch nicht zum »traditionellen« Kern der Sozialpolitik. Die drei Einwände zeigen, dass die Beschränkung auf »traditionelle« Sozialpolitik nur eine Entwicklungsrichtung von Wohlfahrtsmärkten zulässt – vom Staat zum Markt. Allerdings kann die Entstehung von Wohlfahrtsmärkten sowohl der Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Sozialpolitik vorgelagert sein (zeitlich) als auch einer Veränderung mehrerer Wohlfahrtssektoren zugrunde liegen (räumlich). Das dritte Kriterium, die sozialpolitische Regulierung der Märkte, führt eine normativ-politische Dimension ein. Für Nullmeier (2001) ist die »sozialpolitische Gesetzgebung« essenziell bei der Marktrahmung und Marktregulierung. Die staatliche Aufsicht und Kontrolle der im Markt agierenden Unternehmen ist demnach eine neue sozialpolitische Staatsaufgabe. Die Sozialpolitik bedient sich dabei des Instrumentariums der Banken- und Finanzaufsicht und des Verbraucherschutzes. Es wird nicht näher erläutert, was genau eine sozialpolitische Regulierung von normaler Regulierung unterscheidet. Die Instrumentarien die Nullmeier benennt, sind nicht originär sozialpolitisch. Ebenso ist die von ihm exemplarisch herangezogene Riester-Rente nicht in das SGB eingebunden, sondern ein eigenständiges Gesetz.12 Angesichts der Einschränkungen von Nullmeiers Konzeptualisierung der Wohlfahrtsmärkte bleibt festzuhalten, dass die Stärke der Definition in dem eindeutigen Bezug auf Sozialpolitik liegt. Nullmeiers Verständnis von Wohlfahrtsmärkten bietet besonders gute Anknüpfungspunkte zu Sozialprogrammen des Wohlfahrtsstaates, wenn auch soziale Dienstleistungen eher ignoriert werden. Außerdem wird von verschiedenen Graden der Marktmechanismen ausgegangen, wenn sowohl »voll entwickelte« Märkte als auch Quasimärkte einbezogen werden. Allerdings muss auch angemerkt werden, dass die Definition relativ restriktiv in Bezug auf die historische und räumliche Anwendbarkeit in der vergleichenden Sozialpolitikforschung ist. —————— 12 Im Online-Portal der Bundesregierung taucht es aber zusammen mit dem SGB auf (http://gesetze.bmas.de). Das Argument einer spezifisch sozialpolitischen Regulierung wurde auch von Leisering (2007) aufgegriffen. In der Folge wendet sich Leisering (2011) aber eher vom Begriff Wohlfahrtsmarkt ab und richtet die Forschungsperspektive ausschließlich auf den »regulativen Staat« (vgl. Gilbert/Gilbert 1989; Majone 1994). WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 35 Der konstruktivistische Ansatz (Berner) Berner (2009) konzeptualisiert Wohlfahrtsmärkte ausschließlich aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive. Von einem Wohlfahrtsmarkt könne man nur sprechen, »wenn sich das politische Bewusstsein der staatlichen Verantwortung für die Wohlfahrt der Gesamtbevölkerung und ein sozialstaatlich begründeter Gestaltungsanspruch auf Märkte oder einen Komplex von Marktbereichen erstrecken« (Berner 2009: 289). Ähnlich wie Nullmeier betont Berner die »wohlfahrtsstaatliche Einbettung« einzelner Märkte in den Verantwortungsbereich der staatlichen Sozialpolitik. Letztlich definieren nicht die Eigenschaften der Güter und Dienstleistungen einen Wohlfahrtsmarkt, sondern »ob diesen Gütern oder Dienstleistungen sozialpolitische Bedeutung beigemessen wird« (Berner 2009: 291). Die sozialpolitische Regulierung der Wohlfahrtsmärkte wird folglich in Abgrenzung zu Nullmeier irrelevant, denn es gibt »sozialpolitisch begründete Regulierung, nicht jedoch sozialpolitische Regulierung ›an sich‹. Wenn man von den Begründungen und Zielsetzungen absieht, beinhaltet etwa das Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz Maßnahmen, die auch in anderen, nichtsozialpolitischen Kontexten eingesetzt werden oder eingesetzt werden könnten« (Berner 2009: 291, Hervorhebungen Autor). Weder ein besonderer Regulierungstyp entstehe in Wohlfahrtsmärkten, noch weisen sie notwendigerweise eine stärkere regulative Intervention auf. Epistemologisch stellt sich somit die Frage, ob Wohlfahrtsmärkte und Marktmechanismen überhaupt an objektiven Kriterien festgemacht werden können. In den weiteren Ausführungen unterlässt es Berner, Markteigenschaften zu spezifizieren, und lässt offen, wie der Austausch von Eigentumsrechten im Kontext von Sozialpolitik erfolgt. Ergänzend zur konstruktivistischen Perspektive betont Berner (2009) die Hybridität sozialer Ordnungen. Seines Erachtens existiert keine deutliche Trennung Staat und Markt, sondern Mischformen, die Elemente aus beiden Wohlfahrtssektoren in Abstufungen kombinieren. Folglich sind derartige hybride Institutionen eher der Regelfall als die Ausnahme. Die konstruktivistische Perspektive ist eine konzeptionelle Weiterentwicklung, die insbesondere die kulturelle Markteinbettung hervorhebt. Die konstruktivistische Konzeption hat jedoch Nachteile für Vergleichsstudien von Wohlfahrtsmärkten, hauptsächlich wenn konkrete sozialpolitische Programme miteinander verglichen werden. Die ausschließlich konstruktivistische Betrachtung kann dazu führen, dass je nach kulturellem und zeit- 36 WOHLFAHRTSMÄRKTE lichem Hintergrund ein und derselbe Markt entweder als Wohlfahrtsmarkt oder als normaler Gütermarkt im nationalen Kontext definiert wird. Da die Marktregulierung im öffentlichen Diskurs eines Landes nicht als sozialpolitisch relevant erachtet wird, wäre sie qua Definition nicht existent und könnte entsprechend nicht Gegenstand politikwissenschaftlicher Analyse sein. Ferner erschweren zeitliche Veränderungen der normativen Zuschreibungen zusätzlich die Fallauswahl für vergleichende Politikfeldanalysen. Der konstruktivistische Ansatz von Berner hebt vor allem die diskursive sozialpolitische Zuschreibung von Märkten hervor und erscheint besonders vorteilhaft für diskursanalytische Forschungsarbeiten.13 Ebenso werden mit den hybriden Organisationsformen verschiedene Grade von Märkten verdeutlicht, die Elemente staatlicher Steuerungsmechanismen integrieren. Gleichwohl wirft der konstruktivistische Ansatz die epistemologische Frage auf, ob überhaupt objektive Kriterien für Wohlfahrtsmärkte festgelegt werden können. Laut Berner existieren verschiedene Konzepte von Wohlfahrtsmärkten in Raum und Zeit. Allerdings verwendet auch Berner implizit ein Marktkonzept. In seiner empirischen Untersuchung der deutschen Rentenmärkte werden individuelle Rentenversicherungen als Vergleichsgröße gegenüber staatlichen und betrieblichen Rentenversicherungen verwendet, ohne jedoch explizit zu benennen, anhand welcher Eigenschaften individuelle Renten nun vermehrt Marktmechanismen beinhalten. Selbst wenn also ein konstruktivistischer Ansatz verwendet wird, ist eine Definition von Marktmechanismen vonnöten, um als Vergleichsdimension zu fungieren. Erst durch die Formulierung idealtypischer Marktmechanismen ist auch ein historischer und räumlicher Vergleich des Diskurses über die sozialpolitische Bedeutung von Wohlfahrtsmärkten möglich. Diskussion der existierenden Wohlfahrtsmarktkonzepte Die Vor- und Nachteile der drei diskutierten Wohlfahrtsmarktkonzepte sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Alle Ansätze haben gemeinsam, dass —————— 13 Bode (2008) untersucht beispielsweise explizit den öffentlichen Diskurs über Wohlfahrtsmärkte, aber auch andere Studien sind theoretisch anschlussfähig an Berners Konzept (Béland 2007b; Boyd 1993). Ebenso bestehen theoretische Überschneidungen zur Einstellungsforschung gegenüber Wohlfahrtsmärkten (Cebulla 2000; Rowlingson 2002). WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 37 ein universelles Konzept angestrebt wird, das auf mehrere sozialpolitische Bereiche angewendet werden kann. Ebenfalls wird jedes Konzept theoretisch hergeleitet und anschließend empirisch angewendet. Taylor-Gooby definiert Wohlfahrtsmärkte – basierend auf einem ökonomischen Marktverständnis – nach den Eigenschaften der gehandelten Güter. Nullmeier verknüpft Wohlfahrtsmärkte stärker mit Sozialpolitik und verankert sein Konzept stärker in der Politikwissenschaft, indem die staatliche Regulierung hervorgehoben wird. Schließlich leitet Berner Wohlfahrtsmärkte aus der soziologischen Theorie her, mit dem Interesse, die soziale Konstruktion von sozialen Ordnungen zwischen Staat und Markt im Bereich der Sozialpolitik zu untersuchen. Der Vorteil aller drei Konzeptionen ist die Resonanz, die der Begriff hervorruft. Im sozialpolitischen Diskurs wird der Begriff mittlerweile relativ beiläufig verwendet, ohne jedoch den Bedeutungsgehalt konkret zu definieren. Ebenso wurde der Begriff gut gegenüber konkurrierenden Begriffen wie Privatisierung und Kommerzialisierung abgegrenzt.14 Außerdem haben Nullmeier und Berner stichhaltig herausgearbeitet, dass Wohlfahrtsmärkte keine absolute Kategorie darstellen. Vor allem Berner betont, dass die Unterscheidung zwischen Markt und Staat, öffentlich und privat ein Kontinuum zwischen zwei Gegenpolen ist. Hybride Institutionen sind eher der Normalfall als die Ausnahme in der realen Sozialpolitik. Allerdings lassen die diskutierten Konzeptualisierungen Validität vermissen, weil sie theoretisch unpräzise das empirische Phänomen beschreiben. Wie gezeigt wurde, treffen die Definitionen von Taylor-Gooby und Nullmeier nicht auf alle Felder der Sozialpolitik zu. Ebenso weisen die Konzepte Defizite in der Operationalisierung und Kohärenz auf. Die diskutierten Vor- und Nachteile der drei Wohlfahrtsmarktkonzepte verdeutlichen, dass jedes Konzept für bestimmte Forschungsfragen jeweils geeigneter ist. In der folgenden Konzeptualisierung der Wohlfahrtsmärkte werden die diskutierten Vor- und Nachteile abgewogen und bilden die Grundlage für eine Weiterentwicklung des theoretischen Konzepts. Ziel dieser Rekonzeptualisierung ist, eine einheitlichere Definition zu entwickeln, die möglichst umfassend marktförmige Sozialprogramme erfasst und gleichzeitig möglichst eindeutige Kriterien für Wohlfahrtsmärkte festlegt (vgl. Gerring 2001: 35–64). —————— 14 Mit dem Privatisierungsbegriff werden sehr unterschiedliche Phänomene bezeichnet (Klein 1984; Kuptsch 2001; Mayer 2006; Starr 1988; Whitty/Power 2000). Borgmann (2006: 195) definiert Kommerzialisierung als allgemeine Ausweitung der Marktkultur. 38 WOHLFAHRTSMÄRKTE 2.2.2 Soziale Güter und Marktmechanismen Die folgende Definition von Wohlfahrtsmärkten kombiniert Nullmeiers und Berners Ansätze, entwickelt sie aber kritisch unter Berücksichtigung der Marktsoziologie und Wohlfahrtsökonomie weiter (u.a. Barr 2004; Fligstein 1996; 2001; Powell 2007). Zuerst wird das politikwissenschaftliche Grundverständnis von Märkten dargelegt, anschließend werden die beiden Grundkriterien (soziale Güter und Marktmechanismen) erläutert. In den letzten beiden Abschnitten wird die Operationalisierung der Marktmechanismen in drei Dimensionen (Finanzierung, Produktion, Wahlfreiheit) konkretisiert, der Prozess der Vermarktlichung als Kontinuum zwischen Staat und Markt diskutiert und verschiedene Markttypen idealtypisch hergeleitet. Märkte als politisch konstituierte Institutionen Laut dem ökonomischen und soziologischen Marktverständnis sind Märkte entweder natürliche und anonyme Strukturen oder Arenen sozialen Handelns (vgl. Abschnitt 2.1). Allerdings sind diese Ansätze ungeeignet für eine politikwissenschaftliche Betrachtung von Märkten, weil politische Akteure und Machtverhältnisse nur unzureichend Beachtung finden. Besonders gewinnbringend für eine (sozial-)politikwissenschaftliche Analyse von Märkten ist Fligsteins politisch-institutioneller Ansatz (Fligstein 1996; 2001). Die Marktschaffung ist demnach ein politischer Aushandlungsprozess – Fligstein spricht von »markets as politics« –, in dem die institutionellen Grundlagen für einen Markt gelegt werden. Die politisch einflussreichen Akteure bestimmen beispielsweise, welche Güter gehandelt werden können und welche Wettbewerber zugelassen sind. In Bezug auf sozialpolitische Güter bedeutet diese politische Perspektive für die Gründungsphase von Märkten, dass zentrale politische Akteure definieren, welche sozialpolitischen Güter handelbar sind. Märkte werden demnach in dieser Arbeit basierend auf Fligsteins (1996; 2001; 2008) politisch-institutionellem Ansatz als originär politisch konstituierte institutionelle Ordnungen aufgefasst. Bei Wohlfahrtsmärkten werden die Mittel des Marktes politisch eingesetzt, um ein sozialpolitisches Ziel zu erreichen. Marktakteure – wie Unternehmen, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Wohlfahrtsanbieter und Wohlfahrtsnutzer – ringen in der politischen Arena (Zintl 2003) um die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte. Diese Politisierung von Märkten verankert sie im politischen Raum und WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 39 bringt sie ins Zentrum von politischen Entscheidern und Interessengruppen. Wie bei wohlfahrtsstaatlichen Programmen ist die konkrete Regulierung der Wohlfahrtsmärkte demnach ein Aushandlungsprozess der politischen Akteure (vgl. auch Gingrich 2011).15 In den diskutierten Konzepten blieb dieser politische Aspekt von Märkten weitgehend unbeachtet. Die Konzeption von Wohlfahrtsmärkten als politisch geformte Institutionen betont die Gemeinsamkeiten zu wohlfahrtsstaatlichen Programmen und ermöglicht somit einen Anschluss an die etablierte Wohlfahrtsstaatsforschung. Zwar wird in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung der Einfluss der politischen Akteure unterschiedlich bewertet (u.a. zu Parteien Kitschelt 2001; Korpi/Palme 2003; Schmidt 1996; 2010b), dennoch steht außer Frage, dass Wohlfahrtsmärkte öffentlich regulierte Institutionen sind. Letztlich wird die Regulierung von Wohlfahrtsmärkten von politischen Entscheidungen bestimmt, gleichwohl kann der Einfluss der politischen Akteure schon im Vorfeld durch andere Faktoren (Globalisierung, wirtschaftliche Entwicklung, Normen und Diskurse etc.) abgemildert werden. Obwohl an dieser Stelle die politischen Akteure und existierenden institutionellen Rahmenbedingungen als zentrale Faktoren für die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte herausgestellt wurden, sind andere soziale und ökonomische Einflussfaktoren nicht ausgeschlossen, um die Entstehung und den Wandel von Wohlfahrtsmärkten zu erklären. Solche Faktoren würden den direkten Einfluss von den politischen Akteuren und Marktinstitutionen abschwächen oder in andere Bahnen lenken. Wohlfahrtsmarktkriterien Die Herausforderung bei der Rekonzeptualisierung von Wohlfahrtsmärkten liegt darin, einfache Kriterien festzulegen, die aber für möglichst alle Felder der Sozialpolitik zutreffen und gleichzeitig nicht beliebig sind. Im Endeffekt gilt es die Kriterien von Nullmeier zu lockern, ohne das Feld der Sozialpolitik zu verlassen wie bei Taylor-Gooby. In diesem Sinne sind Wohlfahrtsmärkte spezielle Märkte, die zwei Voraussetzungen erfüllen —————— 15 Gingrich (2011) betont in ihrer Untersuchung von Dienstleistungsmärkten ebenfalls die politischen Akteure und die institutionelle Einbettung der Märkte. Allerdings vermeidet sie den Begriff Wohlfahrtsmarkt und spricht von »Markets in the Welfare State«, wodurch auch eine umfassende Definition der Wohlfahrtsmärkte ausbleibt. 40 WOHLFAHRTSMÄRKTE müssen: Erstens werden auf ihnen soziale Güter getauscht und zweitens wirken Marktmechanismen. Ein Kriterium allein definiert noch keinen Wohlfahrtsmarkt, deshalb entstehen Wohlfahrtsmärkte nur, wenn beide Kriterien zusammen erfüllt sind. Dementsprechend existieren Wohlfahrtsmärkte, wenn soziale Güter in marktförmigen Institutionen getauscht, verteilt und bereitgestellt werden. Sämtliche Institutionen, die Marktmechanismen enthalten, zählen dazu und bilden ein Kontinuum zwischen Staat und Markt. Das bedeutet, je nach Grad der Marktmechanismen besteht ein vollentwickelter Wohlfahrtsmarkt oder ein partieller Wohlfahrtsmarkt. Hybride Institutionen, die sowohl Elemente des Wohlfahrtsmarktes als auch des Wohlfahrtsstaates enthalten, können entstehen und sind sogar eher die Regel als die Ausnahme. Als soziale Güter sind alle Güter zu verstehen, die ein sozialpolitisches Ziel erfüllen sollen (wie beispielsweise Armutsvermeidung, Lebensstandardsicherung, Absicherung sozialer Risiken, Reduzierung von Ungleichheit oder Erhöhung der sozialen Inklusion). Diese weite Definition von Wohlfahrtsmärkten basiert explizit nur auf diesen zwei Kriterien, damit die Konzeption auf viele Bereiche der Sozialpolitik und verschiedene Marktformen angewendet werden kann. Die konkrete Operationalisierung von Wohlfahrtsmärkten hängt vom Forschungsgegenstand ab und kann auf spezifische Politikfelder zugeschnitten werden, indem weitere Kriterien ergänzt werden. In den folgenden zwei Abschnitten wird näher erläutert, was unter sozialen Gütern und Marktmechanismen zu verstehen ist und wie sie in der empirischen Analyse verwendet werden. Soziale Güter Soziale Güter sind einzelne handelbare Dienstleistungen oder Produkte. In einem Vertrag oder einem ähnlichen formellen Rahmen muss eindeutig umrissen sein, welches sozialpolitische Ziel erreicht werden soll. Indem den handelbaren Gütern eine sozialpolitische Funktion zugeschrieben wird, können sie dem Bereich der Sozialpolitik untergeordnet werden. Beispielsweise werden Anwartschaften auf eine Rente wie ein Produkt verkauft und diese Anwartschaften sollen eine Lebensstandardsicherung im Alter ermöglichen. Weitere Beispiele für handelbare soziale Güter sind spezifische Dienstleistungen wie Pflege im Altenheim, die Verwaltung und WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 41 Auszahlung von Sozialhilfe durch private Dienstleister (s.u. Ausschreibungsmarkt) oder eine Unterrichtsstunde.16 Diese Güter sind soziale Güter, weil sie eine sozialpolitische Funktion erfüllen sollen. Diese Funktionszuschreibung unterliegt sozialem und kulturellem Wandel und ist folglich sozial konstruiert (Überblick bei Köppe u.a. 2008). Damit stellt sich die Frage, was eigentlich die Aufgabe des Wohlfahrtsstaates ist und welche Politikfelder zur Sozialpolitik hinzugezählt werden. Je nach historischem und kulturellem Hintergrund wurde diese Frage höchst unterschiedlich beantwortet (Alber 1988; Béland 2010; Briggs 1961; Cahnman/Schmitt 1979; Katznelson 1988; Kaufmann 2000). Sozialpolitik ist ein normativ sehr umstrittenes Konzept. Außerdem wurde der Bereich der Sozialpolitik in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgedehnt und weitere Politikfelder und Funktionen wurden zur Sozialpolitik hinzugezählt. Neuere sozialpolitische Funktionsbeschreibungen heben vor allem das ganzheitliche Zusammenspiel verschiedener Sozialprogramme und benachbarter Politikfelder hervor, um eine soziale Inklusion aller Gesellschaftsmitglieder zu erreichen und um das Wohlergehen jedes einzelnen Bürgers zu erhöhen (vgl. Goerne 2010; Luhmann 1981; Sen 1985; Zohlnhöfer 2007a). Zu diesen neueren sozialpolitischen Politikfeldern zählen beispielsweise Migrations- und Bildungspolitik, obwohl Bildungspolitik in einigen Wohlfahrtssystemen traditionell zum Aufgabenbereich der Sozialpolitik gezählt wurde. Trotz dieser Unschärfe des sozialpolitischen Aufgabenbereichs können beispielsweise aus dem sozialpolitischen Diskurs in einschlägigen Zeitungen, wissenschaftlichen Zeitschriften und Lehrbüchern sowie aus der allgemeinen Sozialstatistik folgende Ziele aktueller Sozialpolitik identifiziert werden:17 – die Sicherung des Existenzminimums (durch direkte staatliche Transfers wie z.B. Sozialhilfe), – die Reduzierung sozialer Ungleichheit (z.B. durch eine progressive Einkommenssteuererhebung) – die Lebensstandard-/Einkommenssicherung, wenn soziale Risiken auftreten (typischerweise durch Versicherungen bei Risiken wie Unfall, Rente, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Pflege), —————— 16 Das soziale Gut kann aber auch informelle Leistungen enthalten, die nicht explizit aufgeführt werden (vgl. dazu im Bereich sozialer Dienstleistungen Möhring-Hesse 2008). 17 Für ausführlichere Auflistungen sozialpolitischer Ziele siehe Barr (2004: 10–13) und Köppe u.a. (2008). 42 WOHLFAHRTSMÄRKTE – die Absicherung sozialer Risiken durch Dienstleistungen im Bedarfsfall (Krankenversorgung, Altenpflege), – die Eingliederung in den Arbeitsmarkt (beispielsweise Grundbildung, aktive Arbeitsmarktpolitik aber auch Bereitstellung von Kinderbetreuungsplätzen) – die Förderung von Aufstiegschancen und sozialer Mobilität (u.a. durch Bildung) – oder die soziale Teilhabe und Inklusion breiter Bevölkerungsschichten am gesellschaftlichen Leben (Bildung, Migrationspolitik). Diese Auflistung verschiedener sozialpolitischer Ziele ist erstens nicht vollständig und zweitens politisch umstritten, trotzdem erfasst sie die Essenz der wichtigsten sozialpolitischen Ziele. Soziale Güter sind dadurch charakterisiert, dass mit den handelbaren Produkten und Dienstleistungen mindestens eines dieser sozialpolitischen Ziele angestrebt wird. Diese Ziele unterliegen einem zeitlichen Wandel und räumlicher Variation, weshalb tatsächlich wie Berner (2009) unterstreicht, kein fester funktionaler Kern sozialer Güter definiert werden kann. Außerdem kann trotz der sozialpolitischen Zielformulierung das angestrebte Ergebnis verfehlt werden, weshalb die Absichtsbekundung zentrales Element sozialer Güter ist.18 Explizit wird somit eine weite Definition sozialer Güter verwendet, um konzeptionell offen für einen normativen Wandel sozialpolitischer Ziele zu sein. Zudem schließt diese weite Definition sozialer Güter nicht a priori neuere Funktionszuschreibungen der Sozialpolitik aus, sondern bleibt offen für sozialen Wandel und neue sozialpolitische Ziele und Risiken. Dennoch wird deutlich, dass soziale Güter nicht Funktionen wie öffentliche Sicherheit oder Deichschutz umfassen, wie es Taylor-Goobys Begriff der öffentlichen Güter nahelegen würde. Das hier verwendete Konzept der Wohlfahrtsmärkte schließt mit dem weiten Verständnis sozialer Güter grundsätzlich alle sozialpolitischen Politikfelder ein. Ergänzend zu Berner (2009) stellt die hier verwendete Definition aber heraus, dass die sozialpolitischen Ziele zwar einem Wandel unterliegen, die eigentlichen sozialen Güter aber handelbare Güter oder Dienstleistungen sein müssen. Letztlich hängt es vom konkreten Forschungsgegenstand ab, welche spezifischen sozialen Güter untersucht werden. Konzeptionell wird hier also eine weite Definition von sozialen Gütern verwendet, um das weite sozialpolitische Feld —————— 18 Das gilt selbstverständlich auch für staatliche Sozialprogramme, die angestrebte sozialpolitische Ziele verfehlen oder sogar das Gegenteil bewirken können. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 43 erfassen zu können. Forschungspraktisch muss aber für jeden Einzelfall bestimmt werden, welche sozialen Güter untersucht werden. Basierend auf diesem weiten Verständnis von sozialen Gütern werden im Rahmen dieser empirische Untersuchung zwei konkrete soziale Güter untersucht: Renten und Schulbildung (zur Begründung der Fallauswahl siehe Kapitel 3). Soziale Güter können aber auf verschiedene Art und Weise verteilt und bereitgestellt werden, das heißt staatliche, marktförmige und andere Allokationsmechanismen können herangezogen werden. Beispielsweise können die Bildungsdienstleistungen von staatlichen Schulen angeboten werden, ohne dass eine Wahlfreiheit zwischen Anbietern besteht und es somit auch zu keinem Handel der Bildungsdienstleistung kommt. Das Kriterium »soziales Gut« allein konstituiert noch keinen Wohlfahrtsmarkt, weshalb das zweite Kriterium »Marktmechanismen« notwendigerweise erfüllt sein muss, um einen Wohlfahrtsmarkt zu konstituieren. Marktmechanismen Das zweite Kriterium der Marktmechanismen basiert auf der bereits erläuterten soziologischen Marktdefinition. In diesem Abschnitt wird erläutert, was das grundsätzlich für den Handel sozialer Güter auf Wohlfahrtsmärkten bedeutet. Wie bereits erwähnt sind Märkte in ihrer Grundform eine Arena des Tausches von Eigentumsrechten. Dieser Tausch von Gütern erfolgt nach Marktmechanismen, wenn die zwei Bedingungen Wettbewerb und Wahlfreiheit erfüllt sind. Grundsätzlich werden beide Kriterien durch die institutionellen Rahmenbedingungen und das Agieren der Marktakteure bestimmt. Das bedeutet, die Marktregulierung gibt vor, welche Wettbewerbsformen und Wahlfreiheiten legal sind, die Akteure entscheiden aber letztlich, welchen Wettbewerb sie führen wollen und welche Wahloptionen sie präferieren. Beispielsweise können gemeinnützige und profitorientierte Unternehmen auf einem Markt zugelassen sein, doch die Unternehmen entscheiden, welche Betriebsform sie annehmen. Für beide Charakteristika gilt grundsätzlich, je stärker der Wettbewerb und je höher die Wahlfreiheit, desto stärker wirken die Marktmechanismen in einem Wohlfahrtsmarkt. Wettbewerb entsteht bereits bei der soziologischen Minimaldefinition von drei Marktakteuren (Aspers 2011), also entweder konkurrieren zwei Anbieter um einen Konsumenten oder zwei Konsumenten bieten für ein 44 WOHLFAHRTSMÄRKTE Produkt (z.B. bei einer Auktion). Ein vollständiger Wettbewerb entsteht erst, wenn die ökonomische Standardannahme von atomistischen Märkten, das heißt viele Anbieter und viele Nachfrager, erfüllt wird. Wettbewerb kann aber auch nur nachgeahmt werden (vgl. Nullmeier 2001), beispielsweise in Form von Benchmarks, die eine Wettbewerbsdynamik innerhalb von staatlichen Verwaltungen entfalten können. Vollständiger Wettbewerb besteht jedoch erst, wenn die Güterallokation durch den Preismechanismus erfolgt, ein Gewinninteresse besteht und private Anbieter dominieren. Wettbewerb ist somit als ein Kontinuum von schwachen Wettbewerbsformen bis zu vollständigem Marktwettbewerb zu verstehen. Wahlfreiheit ist die abgeschwächte Form der Freiwilligkeit, die in der soziologischen Marktdefinition erfüllt sein muss (s. Kapitel 2.1). Allerdings sind Wohlfahrtsmärkte nicht immer freiwillig, weil Wohlfahrtsnutzer zur Teilnahme am Markt gezwungen werden können. Individuen können im Vergleich zu freien Gütermärkten dazu verpflichtet werden in eine private Rentenversicherung zu investieren, aber sie besitzen die Wahlfreiheit, zwischen verschiedenen Rentenversicherungen und Anbietern ein präferiertes Produkt auszuwählen (das ist z.B. der Fall bei der privaten schwedischen Prämienrente).19 Werden die beiden Bedingungen Wettbewerb und Wahlfreiheit zusammengenommen, existiert ein Markt in den folgenden beiden Beispielen: Einerseits kann ein Patient zwischen zwei Hausärzten auswählen: Hier stehen die Hausärzte in Konkurrenz zueinander und versuchen, den Patienten mit möglichst attraktiven Angeboten anzulocken. Andererseits kann ein Hausarzt auch sehr beliebt sein und neue Patienten werden nur nach einer Warteliste in die Praxis aufgenommen. In diesem Fall konkurrieren die Patienten um die Aufnahme in die Praxis. In beiden Fällen bestehen somit Wettbewerb und Wahlfreiheit. Basierend auf dieser Minimaldefinition von Wettbewerb und Wahlfreiheit können diese Marktmechanismen in den Dimensionen Anbietertyp, Gewinninteresse und Preismechanismus ausgeweitet werden. In Märkten ist der Anreiz für die Wettbewerber üblicherweise ein Preisvorteil, allerdings können mit Benchmarks andere Anreize gesetzt werden wie Qualität, Kundenservice und ästhetisches Erscheinungsbild. Je mehr private Anbieter auf einem Markt agieren und staatliche oder gemeinnützige Anbieter verdrängen, desto eher entspricht ein Wohlfahrtsmarkt dem gewinnorientierten —————— 19 Derartige obligatorische Märkte existieren auch für andere Gütermärkte, beispielsweise eine obligatorische KFZ-Haftpflichtversicherung. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 45 Idealbild eines Marktes. Allerdings kann Wettbewerb auch unter Akteuren des öffentlichen und dritten Sektors wie Behörden, Krankenkassen, Stiftungen, Kirchen und Genossenschaften herrschen. In Wohlfahrtsmärkten können somit komplexe und pluralistische Anbieterstrukturen entstehen. Beispielsweise ist es in Märkten der Kinderbetreuung üblich, dass Gemeindekindergärten mit kirchlichen und privaten Anbietern konkurrieren oder auch kooperieren. Schließlich gilt es nicht nur die rechtliche Organisationsform der Marktanbieter zu bedenken, sondern auch ob sie ein Gewinninteresse verfolgen. Theoretisch ist ein stärkerer Wettbewerb zu vermuten, wenn alle oder einzelne Akteure danach streben Gewinne zu erzielen. Der Privatisierungsgrad von Anbietern und der Anteil der privaten Finanzierung ist folglich ein wichtiger Bestimmungsfaktor von Wettbewerb, jedoch nicht der einzige. Im anschließenden Abschnitt werde ich die Unterscheidungskriterien Anbietertyp, Gewinninteresse und Preismechanismus bei der Operationalisierung von Wohlfahrtsmärkten aufgreifen. Wie bereits deutlich wurde ist das Spektrum der Marktmechanismen sehr weit gefasst. Quasi-Märkte (Le Grand 1991), die Wettbewerb oder Wahlfreiheit nur simulieren, wie beispielsweise Benchmarks in öffentlichen Verwaltungen, sind ebenso einzubeziehen wie Wohlfahrtsmärkte, auf denen vollständiger Wettbewerb und Wahlfreiheit besteht. Ziel dieser weiten Definition ist, alle möglichen Variationen an Marktmechanismen theoretisch erfassen zu können und anschließend empirisch zu operationalisieren, zu messen und letztlich zu vergleichen. In Abschnitt 2.2.4 werden zentrale Wohlfahrtsmarkttypen herausgearbeitet, um diese Komplexität auf einige wenige idealtypische Fälle zu reduzieren. Zusammenfassend existieren Wohlfahrtsmärkte, wenn die beiden Basiskriterien gelten: Soziale Güter werden mit Marktmechanismen getauscht. Ein berechtigter Einwand gegen diese Definition von Wohlfahrtsmärkten ist vor allem die weit gefasste Definition von sozialen Gütern. Kritiker könnten einwenden, dass auch Wasser-, Energie- oder Immobilienmärkte als Wohlfahrtsmärkte aufgefasst werden könnten. Diese Grauzone betrifft jedoch nicht nur Wohlfahrtsmärkte, sondern auch den Wohlfahrtsstaat. In Großbritannien wird seit einigen Jahren selbstverständlich im öffentlichen und akademischen Diskurs von Wasser- oder Energiearmut gesprochen mit direktem Bezug auf die steigenden Kosten und Ungleichheiten auf diesen Märkten der Daseinsvorsorge (Snell/Bradshaw 2009; Thomson/Snell 2013). Diese Märkte werden zunehmend sozialpolitisiert. Bisher hat dies noch zu keiner allgemeinen Akzeptanz von 46 WOHLFAHRTSMÄRKTE sozialpolitische Interventionen in diese Märkte geführt. Die Diskussion ist aber ein Beispiel dafür, wie Märkte der Daseinsvorsorge zu Wohlfahrtsmärkten werden können: Wenn diesen Märkten eine sozialpolitische Bedeutung zugeschrieben wird und mit politischer Intervention versucht wird, sozialpolitische Ziele zu erreichen (in diesem Fall Armutsvermeidung und -verringerung), werden diese Märkte zu Wohlfahrtsmärkten. Ein weiteres prominentes Beispiel für ein »Wobbly Pillar under the Welfare State« ist das Wohnungswesen (Torgersen 1987). Lowe u.a. (2012: 106) stellen pointiert heraus, dass einige akademische Verwirrung darüber besteht, ob »housing should be thought of as a core welfare state pillar or as a commodity bought and sold in a market«. Wohlfahrtsstaatliche Interventionen im Wohnungswesen reichen von Mietzuschüssen über lokale Wohnungsgenossenschaften bis zu Zuschüssen für den Eigentumserwerb. Vor allem Steuererleichterungen zum Eigentumserwerb sind in liberal geprägten Wohlfahrtsstaaten wie den USA und Großbritannien wichtige Pfeiler einer Sozialpolitik im Verborgenen (Howard 1997). In diesen Ländern übernimmt Wohneigentum eine wichtige soziale Schutzfunktion gegen Risiken wie Altersarmut und Pflege (»asset-based welfare«, Lowe u.a. 2012). Die Regulierung direkter und indirekter Märkte im Kontext von Wohneigentum (Immobilienmarkt, Hypotheken, Hypothekentilgungsversicherungen) kann mit einer sozialpolitischen Zielsetzung verknüpft werden. Eine derartige sozialpolitische Zuschreibung ist stark kontextabhängig, ermöglicht aber, verschiedene Märkte mit sozialpolitischer Relevanz zu untersuchen. Letztendlich sind die Ränder der Sozialpolitik Grauzonen, die zeitlich und räumlich variieren. Dabei ist es unerheblich, welcher Steuerungsmechanismus dominiert. Dieses Problem der Grauzone von sozialen Gütern betrifft nicht nur Wohlfahrtsmärkte sondern auch die Abgrenzung von wohlfahrtsstaatlicher Politik gegenüber anderen staatlichen Politikfeldern. Die hier präsentierte Definition problematisiert diese soziale Konstruktion sozialer Ordnung, schlägt aber auch vor, wie der Kern der Sozialpolitik bestimmt werden kann. Dominante sozialpolitische Zuschreibungen in Politik, Medien und Wissenschaft sind ein Gradmesser für den Kern wohlfahrtsstaatlicher und -marktlicher Interventionen. Im folgenden Abschnitt wird genauer spezifiziert, was unter den Marktmechanismen Wettbewerb und Wahlfreiheit zu verstehen ist und wie sie operationalisiert werden können. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 47 Operationalisierung der Marktmechanismen Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass Wohlfahrtsmärkte politisch geformte Institutionen sind. Damit bestimmt die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte, welche Marktmechanismen überhaupt zugelassen sind. Folglich hängt es maßgeblich von den Entscheidungen der politischen Akteure ab, welche Anbieter zugelassen sind, wie die Märkte finanziert werden und welche Wahlfreiheiten bestehen. Das tatsächliche Marktvolumen, also das Ausmaß der Marktmechanismen eines Wohlfahrtsmarktes wird letztendlich aber von den Marktakteuren bestimmt. Wenn beispielsweise Wahlmöglichkeiten eingeräumt werden, diese aber von den Wohlfahrtsnutzern nicht genutzt werden, besteht zwar offiziell ein Markt, das tatsächliche Marktvolumen wäre jedoch gering. Die Regulierung der Märkte legt somit grundsätzlich fest, welche Marktmechanismen legal sind. Das tatsächliche Ausmaß der Märkte beruht darauf, ob Wettbewerb und Wahlfreiheit auch von den Marktakteuren genutzt werden und ihre Wirkung entfalten können. Eine weitere Grundannahme ist, dass Wohlfahrtsmärkte variieren. Sowohl die Regulierung der Märkte als auch das tatsächliche Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte ist vielfältig. Wohlfahrtsmärkte entstehen in verschiedenen sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Kontexten, wodurch die Charakteristika der Wohlfahrtsmärkte zwischen Ländern und Politikfeldern variieren. Einige empirische Studien können die Pluralität von marktförmigen Sozialprogrammen untermauern (Bode 2005; Gingrich 2011; Hippe 2009). Die konzeptionelle Frage ist nun, wie die Unterschiede der Marktmechanismen operationalisiert werden. In Anlehnung an Burchardt (1997) können Marktmechanismen in drei Dimensionen untergliedert werden, mit denen das Marktvolumen gemessen werden kann (vgl. Burchardt u.a. 1999; Hills 2004: 141–159): Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit. Die Finanzierungsdimension bezieht sich auf die Verteilung der Tauschmittel während des Güteraustausches, mit der Produktionsdimension wird der Wettbewerb unter den Marktteilnehmern untersucht und mit der Wahlfreiheitsdimension werden die Wahloptionen und das tatsächliche Wahlverhalten in Märkten erhoben. 1. Finanzierungsdimension. Der Gütertausch erfolgt in entwickelten Märkten üblicherweise mit Geld. Für einen vorher ausgehandelten Preis erhalten die 48 WOHLFAHRTSMÄRKTE Konsumenten ein Produkt oder eine Dienstleistung.20 Je mehr private Finanzierungsquellen zur Finanzierung von Wohlfahrtsmärkten herangezogen werden, desto stärker ist der Grad der Vermarktlichung und desto höher ist das Marktvolumen. Beispielsweise können Versicherte höhere Beiträge zahlen und Schüler müssen Schulgeld entrichten. Mit diesen Beiträgen wird das Tauschverhältnis der Güterallokation gestärkt.21 Die Wohlfahrtsnutzer erwarten im Austausch für ihre Beiträge eine Gegenleistung, damit wird ein gegenseitiges Tauschverhältnis gegründet. In diesem Fall erwerben die Wohlfahrtsnutzer – egal ob Versicherte, Patienten oder Schüler – einen direkten Anspruch auf eine Gegenleistung, wie üblich in Gütermärkten. Wird hingegen ein Sozialprogramm nicht mit Beiträgen finanziert, sondern mit Steuermitteln, besteht kein direktes Tauschverhältnis. Dies ist zum Beispiel der Fall bei steuerfinanzierten Schulgutscheinen; für die Anbieter und Wohlfahrtsnutzer wird damit ein direkter Preiswettbewerb ausgehebelt. An die Stelle von Preisen können aber Benchmarks wie Leistungstabellen von Schulen ein Qualitätssignal an die Eltern und Schüler geben. Der Wettbewerb erfolgt in diesem Beispiel idealerweise nicht über den Preis sondern über die Qualität.22 Zusätzlich wird mit der Finanzierungsdimension auch ein Preiswettbewerb operationalisiert, denn unterschiedliche Beitragshöhen geben den primären Wohlfahrtsnutzern direkte Anreize Produkte und Anbieter zu wechseln. Ein Beispiel dafür ist das sozialwirtschaftliche Dreieck des deutschen Gesundheitssystems (Bäcker u.a. 2010: Bd. 2, 560). Die Beitragszahler können ihre gesetzliche Krankenkasse nach dem günstigsten Tarif beziehungsweise den geringsten —————— 20 Wenn Benchmarks benutzt werden, fungieren sie als Preissignale und indirekt können mehr Ressourcen zur Verfügung stehen. 21 Der Begriff »Beitrag« wird in dieser Arbeit Synonym für »Prämie« (z.B. Lebensversicherung) verwendet, um eine einheitliche Begriffsverwendung sowohl für öffentliche und private Versicherungen zu erreichen. Damit wird hier eher dem englischen Sprachgebrauch gefolgt. Relevante Unterscheidungskriterien wie öffentliche oder private Beiträge und obligatorische oder freiwillige Beiträge bleiben jedoch bestehen. Der Begriff »Gebühren« wird meist im Kontext von Dienstleistungen verwendet und der Begriff »Beitrag« im Kontext von Sozialversicherungen. In beiden Fällen ist eine Gegenleistung für die entrichtete Gebühr oder den geleisteten Beitrag zu erwarten. Gebühr und Beitrag unterscheiden sich somit nicht wesentlich von Preisen und Prämien. Zentrales Unterscheidungskriterium bleibt, wer diese »Beiträge« entrichtet und ob öffentliche oder private Anbieter diese »Beiträge« einziehen bzw. erhalten. 22 In der Realität sind derartige Benchmarks nicht unbedingt vorteilhafter als Preiswettbewerb. Beispielsweise legt Green (2005) den zweifelhaften Nutzen und die mangelnde Effektivität von derartigen Schulleistungstabellen für Großbritannien dar. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 49 Zuzahlungen auswählen. Als Patient variiert der Leistungskatalog hingegen kaum, weil die meisten Behandlungen gesetzlich vorgeben sind. 2. Produktionsdimension. Mit der Produktionsdimension werden Anbieterwettbewerb und Nachfragekonkurrenz erfasst. Zentrale Dimensionen zur Operationalisierung sind (a) die Anbieter- und Produktanzahl, (b) die rechtliche Verfassung der Anbieter, (c) das Gewinninteresse der Anbieter und (d) schließlich die Anzahl der Wohlfahrtsnutzer beziehungsweise der gehandelten sozialen Güter und Dienstleistungen. (a) Ein Wohlfahrtsmarkt nähert sich dem atomistischen Marktideal, je mehr Anbieter auf dem Markt ihre Produkte anbieten. Je mehr Produkte von möglichst verschiedenen Anbietern angeboten werden, desto mehr Wettbewerb besteht. Wohlgemerkt gelten Mono- und Oligopole als wettbewerbshinderlich, sodass auch eine hohe Marktkonzentration einiger weniger Anbieter auf begrenzten Wettbewerb in einem Wohlfahrtsmarkt hindeuten würde. (b) Drei Hauptanbietertypen können unterschieden werden: staatliche, private und hybride (wie Stiftungen, Vereine, Verbände und Genossenschaften). Werden die sozialen Güter und Dienstleistungen von privaten Unternehmen angeboten, besteht der größte Grad der Vermarktlichung, wohingegen staatliche Anbieter den Gegenpol darstellen (vgl. auch formelle Privatisierung in Mayer 2006). Hybride Organisationsformen sind zwischen diesen beiden Polen zu verorten, die genaue Zuordnung hängt von der jeweiligen rechtlichen und organisatorischen Ausgestaltung ab (Möhring-Hesse 2008). Die rechtliche Organisationsform, beziehungsweise der Privatisierungsgrad, ist ein Platzhalter für den Grad der Vermarktlichung, denn letztlich können private Unternehmen intern ähnlich verfasst sein wie staatliche Behörden und umgekehrt. Für die Messung des Grades der Vermarktlichung ist eine derartige Differenzierung aber überaus hilfreich und wird in den empirischen Kapiteln am häufigsten verwendet, weil der Privatisierungsgrad meist sehr reliabel erhoben werden kann. (c) Üblicherweise verfolgen nur private Unternehmen ein Gewinninteresse im Gegensatz zu staatlichen Behörden und Anbietern des Dritten Sektors. Das Gewinninteresse kann aber vom rechtlichen Status abweichen, weshalb diese zusätzliche Differenzierung zentral ist, um den Grad der Vermarktlichung zu erfassen. Beispielsweise kann es verboten sein, in einem Wohlfahrtsmarkt einen Gewinn zu erzielen oder Ge- 50 WOHLFAHRTSMÄRKTE winne müssen in das Unternehmen reinvestiert werden. Trotz dieser Einschränkung agieren auf solchen Märkten formal betrachtet private Firmen (z.B. Privatschulen in Deutschland), allerdings können sie keine Gewinne an Aktionäre oder Teilhaber ausschütten. (d) Die Produktionsdimension beinhaltet neben der Angebotsseite auch die Nachfragekonkurrenz. Einerseits kann nur ein Nachfrager auf einem Wohlfahrtsmarkt agieren, wie im Falle von offenen Ausschreibungen. Ein Beispiel dafür sind die britischen »Welfare to Work«Programme, in denen verschiedene private und Dritte Sektor Anbieter um öffentliche Aufträge konkurrieren (Finn 2009). Anderseits können viele Nachfrager von den Anbietern umworben werden, wie im Falle von privaten Rentenversicherungen und Schulen. Empirisch kann das Marktvolumen in der Produktionsdimension somit auch anhand der unterzeichneten Verträge und der Anzahl der Wohlfahrtsnutzer erfasst werden. Im Rahmen dieser Arbeit werden ausschließlich Wohlfahrtsmärkte mit vielen Nachfragern untersucht, weshalb dieser Aspekt des Vermarktlichungsgrades neben den anderen Indikatoren der Produktionsdimension analysiert wird. Zusammenfassend gilt je mehr Anbieter, Produkte und Dienstleistungen angeboten werden und je mehr Wohlfahrtsnutzer diese Produkte nachfragen, desto höher ist der Wettbewerb. Vollständiger Wettbewerb existiert allerdings erst, wenn private Anbieter, die ein Gewinninteresse verfolgen, miteinander konkurrieren. Deshalb gilt: je mehr private Anbieter auf dem Markt agieren, desto höher ist der Grad der Vermarktlichung und desto höher ist das Marktvolumen. 3. Wahlfreiheitsdimension. Wird die Wahlfreiheit der Wohlfahrtskonsumenten erhöht beziehungsweise der Zwang zu bestimmten Tauschhandlungen verringert, können mehr Marktmechanismen wirken. Diese Dimension bezieht sich auf die Wahloptionen und das tatsächliche Wahlverhalten. Die Wahloptionen erstrecken sich nicht nur auf die Auswahl zwischen verschiedenen Produkten (choice) sondern auch auf Entscheidungen über Markteintritt und -austritt (exit) und spätere Wechseloptionen nach der ursprünglichen Wahl.23 Ebenso können Wahloptionen nicht direkt den —————— 23 Siehe auch Haarmann u.a. (2010) für eine Diskussion und Erweiterung von Hirschmans Exit-Option (vgl. Hirschman 1970). Zur Operationalisierung ausführlicher in den methodischen Überlegungen von Kapitel 4. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 51 Wohlfahrtsnutzern (agent) zur Verfügung stehen, sondern Experten (principal) treffen stellvertretend die Entscheidungen für die Wohlfahrtsnutzer. Beispielsweise treffen Unternehmen stellvertretend für ihre Beschäftigten die Investitionsentscheidung über die Betriebsrenten. Somit entstehen sekundäre Wohlfahrtsmärkte, ohne die Wohlfahrtsnutzer direkt einzubeziehen (vgl. Berner 2009). Das tatsächliche Wahlverhalten hängt eng mit den Wahloptionen zusammen, gleichwohl können sich die eigentlichen Entscheider, seien es die Wohlfahrtsnutzer oder Experten, mehr oder weniger als Konsumenten verhalten. Wenn sie häufig die Wahloptionen nutzen, entfalten sich mehr Marktmechanismen und entsprechend ist das Marktvolumen größer. Im Wesentlichen gilt: je höher die privaten Beiträge und Gebühren, je mehr private Anbieter Produkte und Dienstleistungen anbieten und je größer die Wahloptionen beim Tausch sozialer Güter sind, desto größer ist das Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte. Die Trennung der Marktmechanismen in die drei Dimensionen Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit ermöglicht eine präzise Operationalisierung und eine detaillierte Analyse des Marktvolumens. Ein Wohlfahrtsmarkt kann beispielsweise so beschaffen sein, dass viele private Anbieter zugelassen sind, die Finanzierung aber weiterhin öffentlich erfolgt und auch die Wahloptionen eingeschränkt sind. In diesem Fall ist nur ein partieller Wohlfahrtsmarkt entstanden, der andere sozialpolitische Wirkungen hat als ein vollständiger Wohlfahrtsmarkt. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Wohlfahrtsmärkte politisch geformte Institutionen sind. Ein Wohlfahrtsmarkt ist die sozialpolitische Instrumentalisierung von Marktmechanismen, wenn erstens soziale Güter getauscht werden und zweitens Marktmechanismen wirken. Die Operationalisierung der Marktmechanismen erfolgt anhand der drei Dimensionen Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit. 2.2.3 Vermarktlichung Da im Diskurs über marktförmige Sozialprogramme viele verwandte Begriffe wie beispielsweise Privatisierung oder Kommerzialisierung verwendet werden,24 wird in diesem Abschnitt dargelegt, wie der Begriff Ver- —————— 24 vgl. Fußnote 14. 52 WOHLFAHRTSMÄRKTE marktlichung im Kontext von dem skizzierten Wohlfahrtsmarktkonzept verwendet wird. Vermarktlichung beschreibt den Prozess der Ausweitung von Marktmechanismen beim Tausch von sozialen Gütern. Dieser Prozess ist prinzipiell unabhängig vom Ausgangspunkt der Entwicklung. Ob nun vormals staatliche Sozialleistungen stärker nach Marktmechanismen produziert werden oder familiäre Sozialleistungen (z.B. Kinderbetreuung) an private Unternehmen externalisiert werden, beide Entwicklungen sind unter dem Begriff Vermarktlichung zusammenzufassen. Konkret bedeutet die Zunahme von Marktmechanismen die Einführung von Wettbewerb und Wahlfreiheit, wie bereits in der Definition erläutert. Obwohl Vermarktlichung lediglich gesellschaftlichen Wandel beschreibt und prinzipiell unabhängig vom Ausgangspunkt ist, kann der Ausgangspunkt der Vermarktlichung politisch und gesellschaftlich eine entscheidende Rolle spielen. Wenn bereits viele Marktmechanismen wirksam sind, werden Marktreformen politisch anders bewertet, als bei Sozialprogrammen, die bisher kaum Marktmechanismen enthielten. Ebenso ist die gesellschaftliche Wirkung der Vermarktlichung tiefgreifender, wenn Marktmechanismen neu eingeführt werden, als in Sozialprogrammen, die bereits marktförmige Elemente beinhalten. Beispielsweise ist der Grad einer Vermarktlichung moderat, wenn in einem staatlichen Gesundheitssystem Wahlfreiheit zwischen einzelnen staatlichen Anbietern eingeführt wird. Existiert diese Wahlfreiheit bereits und sie wird nun auch auf zertifizierte private Anbieter ausgedehnt, ist der Grad der Vermarktlichung ebenfalls als moderat einzuschätzen. Würde die Wahlfreiheit in einem staatlichen Gesundheitssystem aber in einem Reformschritt auf private Anbieter ausgedehnt, würden die staatlichen Anbieter schlagartig unter sehr großen Anpassungsdruck geraten. In diesem Fall ist der Grad der Vermarktlichung höher als bei der schrittweisen Vermarktlichung. Die graduellen Abstufungen der Marktmechanismen sind also relevante Determinanten des Veränderungsprozesses, weshalb der Ausgangspunkt der Vermarktlichung wichtig für die politische Bewertung und gesellschaftliche Evaluierung des Wandels ist. Bei der Betonung der Vermarktlichung als Prozess stehen Staat und Markt nicht kategorisch einander gegenüber. Das steht im Widerspruch zur Literatur zum Wohlfahrtspluralismus, in der Staat und Markt als diametrale eindeutig abgrenzbare Wohlfahrtssektoren definiert werden (Burchardt u.a. 1999; Evers 1993; Evers/Laville 2004; Evers/Wintersberger 1990; Johnson WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 53 1999; Powell 2007). Märkte sind in diesen Konzeptionen eine klar umrissene Kategorie neben Staat, Verbänden, Betrieben und Familien. Die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Wohlfahrtssektoren wird in solchen Konzeptionen zu einer absoluten Kategorie, die jedoch den hybriden Organisationsformen aus hierarchischer und marktförmiger Güterallokation in der Realität nicht entspricht. Basierend auf der hier verwendeten Wohlfahrtsmarktkonzeption zeigt der Prozess der Vermarktlichung hingegen ein Kontinuum zwischen beiden Polen Staat und Markt auf (vgl. auch Béland/Gran 2008b; Hacker 2002: 29–30; Seeleib-Kaiser 2008a). Wenn beispielsweise einzelne Marktelemente in staatliche Sozialprogramme implementiert werden, entspricht dieser Prozess einer Vermarktlichung unabhängig von der sektoralen Zuordnung des neuen sozialpolitischen Arrangements. Die Abgrenzung zwischen den Sektoren Staat und Markt ist somit immer unscharf (»always fuzzy«, Béland/Gran 2008a: 8), dennoch bedeutet eine Ausweitung von Marktmechanismen stets eine Vermarktlichung. Damit rücken sowohl die konkreten Marktmechanismen selbst in den Vordergrund als auch der politische und gesellschaftliche Prozess hinter der Vermarktlichung. Dieser Blick auf die Prozesse der Vermarktlichung ermöglicht in der empirischen Analyse auch Fälle zu untersuchen, die weiterhin hauptsächlich staatliche Steuerungsmechanismen enthalten, aber auch Marktmechanismen aufweisen. Diese schrittweise, beziehungsweise inkrementelle, Vermarktlichung erweitert das Konzept der Wohlfahrtsmärkte und ermöglicht, empirisch verschiedene Marktmechanismen in der Sozialpolitik mit einem theoretischen Konzept zu untersuchen. Die quantitative Operationalisierung der Vermarktlichung erfolgt anhand der bereits erläuterten drei Dimensionen des Marktvolumens – Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit:25 Die Finanzierungsdimension erstreckt sich von hundertprozentiger öffentlicher Steuerfinanzierung über partielle direkte staatliche Transfers, Sozialbeiträge, indirekte Steuererleichterungen und Subventionen bis zur individuellen privaten Finanzierung ohne jegliche öffentliche Unterstützung. —————— 25 Eine mögliche vierte Dimension der Vermarktlichung wären Diskurse (vgl. SeeleibKaiser 2008a). Eine normative Verschiebung zu marktkonformen Werten würde eine diskursive Vermarktlichung implizieren, z.B. wenn häufiger Zielorientierungen wie Effizienz und Gewinnorientierung in öffentlichen Diskursen auftauchen. Da in dieser Arbeit ausschließlich realexistierende marktförmige Sozialprogramme untersucht werden, wird eine diskursive Vermarktlichung nicht berücksichtigt. 54 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die Produktionsdimension erstreckt sich ebenfalls auf einer kontinuierlichen Skala zwischen staatlicher Bereitstellung und vielen konkurrierenden profitorientierten Unternehmen. Dazwischen existieren unter anderem staatseigene Unternehmen, Public-Private-Partnerships, Wohlfahrtsverbände und gemeinnützige Anbieter. Die Wahlfreiheitsdimension zeigt wiederum den Grad der Wahloptionen und des Wahlverhaltens an. Je mehr Entscheidungen Individuen freiwillig treffen können und je weniger Zwang der Staat ausübt, desto stärker wirken Marktmechanismen. Das Spektrum erstreckt sich von Pflichtversicherungen, Ausstiegsoptionen (Opt-out), Wechseloptionen (Opt-within) bis hin zu vollständig freiwilligen Märkten (Opt-in). In dieser Studie werden alle drei Dimensionen – Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit – verwendet. Der multidimensionale Ansatz wird verwendet, um den Wandel zu Wohlfahrtsmärkten möglichst umfassend darzustellen. Dadurch sollen insbesondere zwei Aspekte von Vermarktlichung deutlich werden. Erstens ermöglichen die drei Dimensionen den Wandel zu Wohlfahrtsmärkten im Wohlfahrtsmix darzustellen, das heißt eine Verschiebung des Wohlfahrtsmix von Staat, Verbänden und Familien zum Markt. Zweitens können mit den drei Dimensionen auch Verschiebungen innerhalb von Märkten untersucht werden; im Sinne einer Ausweitung von Marktmechanismen innerhalb existierender Märkte. Ein Beispiel kann beide Effekte der Vermarktlichung in den drei Dimensionen verdeutlichen. Die Vermarktlichung von Schulen kann in den Dimensionen Finanzierung und Produktion stattfinden. Erstens würde eine Verschiebung im Wohlfahrtsmix dann deutlich, wenn der Anteil der privaten Anbieter an der Produktion steigt. Diese Verschiebung kann ohne eine Ausweitung der privaten Finanzierung der Schulen geschehen. Mehrere Dimensionen der Vermarktlichung können also zeigen, in welchen Bereichen die Vermarktlichung stattfindet und wie sich der Wohlfahrtsmix verändert. Zweitens kann eine genauere Analyse der Produktionsdimension zeigen, ob innerhalb des Marktes Marktmechanismen zugenommen haben. Beispielsweise können gemeinnützige Schulen gegenüber profitorientierten Schulen Marktanteile verlieren. Dies wäre ein Indiz für eine interne Vermarktlichung, weil Wettbewerb unter profitorientierten Unternehmen schärfer geführt wird. Beide Beispiele wären Evidenzen für eine Vermarktlichung der Sozialpolitik und ein gestiegenes Marktvolumen. Vermarktlichung findet also generell in den genannten drei Dimensionen statt. Entlang dieser drei Dimensionen kann Vermarktlichung hin- WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 55 reichend abgegrenzt und einer empirischen Überprüfung unterzogen werden. Für die Analyse von Wohlfahrtsmärkten sind die drei Dimensionen ein quantitativer Gradmesser für das Ausmaß der Vermarktlichung. Die konkreten Indikatoren zur Erhebung der Finanzierungs-, Produktions- und Wahlfreiheitsdimension werden in Kapitel 4 operationalisiert, spezifiziert und analysiert. Ergänzend zur Vermarktlichung als quantitatives Konzept wird insbesondere in Kapitel 5 dieser Arbeit die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte qualitativ analysiert. In diesem Kontext werden die Schlüsselbegriffe Marktgründung und -liberalisierung verwendet. Die erstmalige Einführung von Marktmechanismen in einem Sozialprogramm wird als Marktgründung bezeichnet. Eine regulative Ausweitung von Marktmechanismen durch politische Reformen wird in Abgrenzung zur quantitativen Vermarktlichung als Marktliberalisierung bezeichnet. Teilweise bestehen aber Überschneidungen zwischen Vermarktlichung und Marktliberalisierung. Wenn beispielsweise die Ausweitung von Wahloptionen quantifiziert wird, basiert dies auf einer Analyse der regulativen Reformen. 2.2.4 Wohlfahrtsmarkttypen Aus den Dimensionen der Vermarktlichung können sieben idealtypische Wohlfahrtsmarkttypen hergeleitet werden. Diese Idealtypen sind lediglich ein heuristisches Konstrukt (Weber 1988), um die Multidimensionalität der Vermarktlichung auf wenige einfache Typen zu reduzieren. In der sozialen Realität bleibt die Vielschichtigkeit und Komplexität der Wohlfahrtsmärkte bestehen. Hybride Steuerungsformen sind vermutlich eher die Regel als die Ausnahme (Berner 2009). Verschiedene Wohlfahrtsmärkte idealtypisch zu ordnen ist nicht neu (Bode 2005; Gingrich 2011; Hippe 2009), allerdings berücksichtigt keine der vorgelegten Typologien alle drei Dimension von Marktmechanismen (Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit). Die bisherigen Typologien entwerfen jedoch schematische Idealtypen mit klaren Abgrenzungen zwischen den Feldern der Matrix. Mit den folgenden Wohlfahrtsmarkttypen sollen jedoch stärker die Marktschattierungen zwischen Staat und Markt betont werden als absolute Kategorien herauszuarbeiten. Stellen wir uns die jeweiligen Pole der Marktmechanismen einerseits als hierarchischer Staat und andererseits als vollentwickelter Markt vor, ergibt sich aus diesen drei Dimensionen eine kontinuierliche Skala wie in Abbildung 1 dargestellt. Aus den drei Dimensionen ergeben sich acht 56 WOHLFAHRTSMÄRKTE Idealtypen, wovon sieben Marktmechanismen enthalten. Wohlgemerkt ist diese Einteilung sehr schematisch und reduziert die soziale Realität auf einen idealtypischen Wohlfahrtsstaat und sieben Markttypen. Diese Matrix ist aber hilfreich, um zu verdeutlichen, welche Markttypen Gegenstand dieser Arbeit sind, welche Marktmechanismen und -strukturen sie enthalten und welchem Wandel sie unterlagen. Abbildung 1: Wohlfahrtsmarkttypen Markttyp a) Steuerfinanzierter Wohlfahrtsmarkt (Grundrente) b) Beitragsstaat* (Sozialversicherung ohne Zuschuss) c) Konsumentenmarkt* (Magnet Schools, z.T. Charter Schools) d) Ausschreibungsmarkt (Welfare to Work, z.T. Charter Schools) e) Öffentlicher Dienstleistungsmarkt (VHS) f) Vouchermarkt* (fristående skolor) g) Obligatorischer Markt* (staatl. Rentenfonds, z. T. Prämienrente) h) Regulierter Markt* (Riester-Rente, k(401) Betriebsrenten) Dimension der Vermarktlichung Finanzierung Wahlfreiheit Produktion Finanzierung, Wahlfreiheit Produktion, Wahlfreiheit Finanzierung, Produktion Finanzierung, Produktion, Wahlfreiheit Quelle: eigene Darstellung Legende: Alle drei Dimensionen staatlich. Eine Dimension vermarktlicht. Zwei Dimensionen vermarktlicht. Alle drei Dimensionen vermarktlicht * Wohlfahrtsmarkttypen, die Gegenstand dieser Arbeit sind. a) Steuerfinanzierter Wohlfahrtsstaat Der steuerfinanzierte Wohlfahrtsstaat weist in keiner der drei Dimensionen Marktmechanismen auf: Staatliche Behörden finanzieren, verwalten und entscheiden über soziale Produkte und Dienstleistungen. Beispielsweise wird bei einer Grundrente ausschließlich politisch über die Leistungen des WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 57 Rentensystems entschieden, die Finanzierung erfolgt aus dem allgemeinen Staatsbudget und eine staatliche Behörde verwaltet die Rentenkonten und zahlt monatlich die Renten aus. Lediglich auf der Verwaltungsebene sind interne Märkte möglich, die eine Marktumgebung simulieren. Die New Public Management (NPM) Debatte verdeutlicht, wie innerhalb von Behörden unterschiedliche marktförmige Anreizsysteme implementiert werden können, um Wettbewerb nachzuahmen (Rüb 2003). Als Schlagworte wären zu nennen: Budgetierung, Controlling, Benchmarking, Leistungsbesoldung, Projektmanagement und partielle Autonomie von Referaten. Die eigentliche Bereitstellung der Sozialleistungen wird aber nicht vermarktlicht, weil nur auf der internen Organisationsebene marktförmige Anreize gesetzt werden können. b) Beitragsstaat Werden für öffentliche Dienstleistungen Beiträge oder Gebühren erhoben, zum Beispiel in Form von Sozialbeiträgen, Eintrittsgeldern oder Gebühren, bleibt der Staat der zentrale Anbieter, aber die Finanzierung der staatlichen Leistung enthält Marktelemente. Verpflichtende Sozialbeiträge für Sozialversicherungen lagern zwar die Finanzierung aus dem Staatsbudget aus, da der Staat aber Monopolist ist, entsteht kein direkter Wettbewerb. Deshalb erscheint hier die Bezeichnung Beitragsstaat angebrachter, weil kein Marktwettbewerb entsteht. Im Falle von obligatorischen Sozialversicherungen sind die Marktelemente äußerst gering, allerdings operieren sie häufig nach dem Vorbild des Äquivalenzprinzips privater Versicherungen. Die Finanzierung über Sozialbeiträge verändert den Charakter der Sozialleistungen, denn sie bekommen einen marktsimulierenden Vertragscharakter. Der Bürger wird zwar noch nicht zu einem Kunden, aber zu einem Sozialstaatsklienten, der Leistungen einklagen kann. Außerdem können Ermäßigungen oder Strafzahlungen konformes Verhalten begünstigen, was auch ein Marktmechanismus ist (z. B. Praxisgebühr, weitere Beispiele aus der Verhaltensökonomie in Thaler/Sunstein 2009). c) Konsumentenmarkt Der einzige Markt im Rahmen von staatlicher Finanzierung und Produktion ist ein Konsumentenmarkt, wenn die Wohlfahrtsnutzer frei zwischen staatlichen Dienstleistungen wählen können. Das ist beispielsweise der Fall, 58 WOHLFAHRTSMÄRKTE wenn Schüler zwischen öffentlichen Schulen wählen dürfen, anstatt dass ihnen eine Schule zugewiesen wird (vgl. Abschaffung des Schulsprengels in einigen Bundesländern, Riedel u.a. 2010; oder Magnet Schools in den USA). Die staatlichen Anbieter stehen also untereinander in einem Wettbewerb um Nutzer ihrer Dienstleistungen. d) Ausschreibungsmarkt Beim Ausschreibungsmarkt konkurrieren private Anbieter, die Finanzierung ist aber weiterhin staatlich, was in der Literatur auch als Quasi-Markt bezeichnet wird (Le Grand 1991). Diese Märkte werden aus Steuergeldern refinanziert, private Anbieter konkurrieren jedoch um direkte staatliche Aufträge. Beim Ausschreibungsmarkt agieren staatliche Behörden weiterhin als Prinzipal für die Kunden (principal purchaser split). Dies ist beispielsweise der Fall bei Ausschreibungen des englischen nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) und den britischen »Welfare to Work« Programmen. Im letzteren Fall schreibt die britische Regierung die Aufgaben der Arbeitsvermittlung (vgl. Agentur für Arbeit) für private Dienstleister aus. Der Anbieter mit dem preiswertesten und effektivsten Angebot gewinnt die Ausschreibung eines Einzugsgebietes für einige Jahre und muss sich danach wieder um den Auftrag bewerben. e) Öffentlicher Dienstleistungsmarkt Im Vergleich zum Beitragsstaat entfaltet der direkte Bezug zwischen eigenen Beiträgen und staatlichen Leistungen erst Wettbewerbswirkung, wenn die Klienten zu Kunden werden und selbst über die Verwendung entscheiden können. In einem öffentlichen Dienstleistungsmarkt haben die Bürger die Wahlfreiheit staatliche Angebote zu nutzen, müssen dafür aber entsprechende Gebühren entrichten. Dazu zählen beispielsweise die Angebote der Volkshochschulen, die zu rund 50 Prozent über Beiträge der Kunden finanziert werden. Volkshochschulen gehören als Weiterbildungsträger eher zu einem randständigen Feld der Sozialpolitik, allerdings ist mir kein weiteres sozialpolitisches Beispiel bekannt, bei dem Finanzierung und Wahlfreiheit als Wohlfahrtsmarktkriterien erfüllt sind. WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 59 f) Vouchermarkt In Ergänzung zum Ausschreibungsmarkt können die Kunden in einem Vouchermarkt selbst wählen, welchen Anbieter sie bevorzugen. Dieser Markttyp ist relativ häufig bei sozialen Diensten zu finden. Der Staat finanziert üblicherweise pauschal pro Kopf eine bestimmte soziale Dienstleistung (z.B. jährliche Schulbildung) und private Anbieter liefern die gewünschte Dienstleistung. Die Wohlfahrtsnutzer können dabei frei zwischen den Anbietern wählen, sodass die Anbieter versuchen, Kunden mit möglichst guten Angeboten für den Pauschalpreis zu gewinnen. Innerhalb dieses Markttyps können erhebliche Variationen bei der Marktregulierung bestehen, beispielsweise können ggf. zusätzliche Gebühren anfallen, gewinnorientierte Anbieter sind verboten oder Kopfpauschalen können je nach individuellem Aufwand variieren (z.B. höhere Vergütung für Kinder mit Lernschwierigkeiten oder Migrationshintergrund). Beispiele für Vouchermärkte sind die freien Schulen in Schweden, Bildungsgutscheine in den USA, Kindergärten in Hamburg (Arlt 2002) und Bildungsgutscheine in der aktiven Arbeitsmarktpolitik (Kruppe 2009). g) Obligatorischer Markt Bei obligatorischen Wohlfahrtsmärkten ist lediglich die Wahlfreiheit eingeschränkt, die Finanzierungs- und Produktionsdimension sind zu einem hohen Grad vermarktlicht. Das idealtypische Beispiel ist eine Pflichtversicherung, wie die schwedische Prämienrente oder eine obligatorische private Krankenversicherung. Im Beispiel der schwedischen Prämienrente werden die Wohlfahrtsnutzer verpflichtet eine private Rentenversicherung abzuschließen, das heißt die Wahlfreiheit ist an zentraler Stelle eingeschränkt, die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Rentenfonds und Versicherungskonzernen bleibt aber gewahrt (Opt-within). Stärkere Einschränkungen der Wahlfreiheit, wie zum Beispiel die Zuweisung eines Versicherungsanbieters, entsprächen diesem Idealtyp eines obligatorischen Marktes. Die meisten realexistierenden obligatorischen Märkte operieren jedoch nach dem Prinzip der Pflichtversicherung, bei freier Wahl der Anbieter. Betriebsrenten mit automatischer Versicherung entsprechen dem Subtyp quasi-obligatorischer Wohlfahrtsmärkte. Die Beschäftigten haben die Option aus der Betriebsrente auszuscheiden, werden aber bei Beschäftigungsbeginn automatisch versichert (Opt-out). 60 WOHLFAHRTSMÄRKTE h) Regulierter Markt Der Wohlfahrtsmarkt mit dem größten Grad der Vermarktlichung ist der regulierte Wohlfahrtsmarkt. Private Anbieter agieren hier, die Finanzierung erfolgt durch private Quellen (Bürger, Unternehmen, Spenden) und die Wohlfahrtsnutzer haben viele und weitreichende Wahlfreiheiten. Der staatliche und politische Einfluss auf diese Märkte beschränkt sich auf die Marktregulierung. Beispiele für diesen Markttyp sind die deutsche RiesterRente und die individuellen Rentenversicherungen in den USA (individual retirement account – IRA). Einschränkend ist aber anzumerken, dass diese Beispiele keine reinen regulierten Wohlfahrtsmärkte repräsentieren, weil der Staat über Subventionen, Zuschüsse und Steuererleichterungen an der Finanzierung beteiligt bleibt. Die sieben idealtypischen Ausprägungen von Wohlfahrtsmärkten finden sich selten in Realtypen. Die konkreten Ausformungen der Sozialprogramme können selten eindeutig einem Markttyp zugeordnet werden und Eigenschaften der realexistierenden Markttypen überschneiden sich mit zwei oder mehr Idealtypen. Insbesondere in den Dimensionen Finanzierung und Konsumentenentscheidungen sind verschiedene Abstufungen der Autonomie und Mischfinanzierung zu beobachten, bei der Produktionsdimension kann hingegen oft trennschärfer zwischen Staat und Markt unterschieden. Dennoch verwischen auch auf der Anbieterseite die Grenzen. Beispielsweise nutzen Public Private Partnerships (PPP) explizit die Vorteile öffentlicher und privater Trägerschaft, eine eindeutige Zuordnung hängt auch hier vom Einzelfall ab. Bei aller Ungenauigkeit ist der Vorteil dieser Martktypen, dass verschiedene Formen der Vermarktlichung deutlich werden und entsprechend sehr unterschiedliche Regulierungspotenziale herausgearbeitet werden können. Dies hat weitere Implikationen für die politische Intervention in diese Märkte und den institutioneller Wandel zu mehr Marktmechanismen. Folglich ergeben sich aus diesen Idealtypen einige theoretische Schlussfolgerungen bezüglich der zu erwartenden Umverteilungswirkungen, Politisierung und Akteurskonstellationen: Bezüglich des Umverteilungspotentials legen die Wohlfahrtsmarkttypen nahe, dass die Möglichkeit zur progressiven Umverteilung vom steuerfinanzierten Wohlfahrtsstaat zum regulierten Markt kontinuierlich abnimmt. Je weniger staatliche Intervention in Produktion, Finanzierung und Wahlfreiheit besteht, desto stärker wirken Marktmechanismen und die WOHLFAHRTSMARKT ALS POLITIKWISSENSCHAFTLICHES KONZEPT 61 soziale Ungleichheit wird verstärkt. Allerdings können auch kleine organisatorische Änderungen große Wirkungen entfalten und den Marktcharakter fundamental verändern. Beispielsweise kann der Unterschied zwischen regulierten und obligatorischen Märkten äußerst gering erscheinen, da lediglich eine Versicherungspflicht den Unterschied ausmacht. Alle anderen Markteigenschaften wie öffentliche Zuschüsse und private Anbieter würden sich gleichen. Eine Pflichtversicherung bewirkt gleichwohl, dass alle Bürger über einen Versicherungsschutz verfügen. In diesem Beispiel entfaltet eine Regeländerung erhebliche Umverteilungswirkung, verändert aber die anderen Markteigenschaften nur geringfügig. Die tatsächlichen Umverteilungswirkungen können aber von den theoretisch implizierten Umverteilungswirkungen abweichen und müssen in jedem Einzelfall zunächst empirisch bestätigt werden. Dazu zählen auch politisch unbeabsichtigte Wirkungen, die zunächst anhand der Regulierungseigenschaften nur begrenzt vorhersehbar waren. Außerdem variiert der politische Instrumentenkasten zur Regulierung der Wohlfahrtsmärkte erheblich zwischen den Typen. Bei refinanzierten Wohlfahrtsmärkten stehen starke finanzielle Regulierungsinstrumente zur Verfügung, wohingegen bei regulierten Wohlfahrtsmärkten lediglich Regeln wie Marktzugang, Garantien und Standards eingesetzt werden können. Mithilfe der Wohlfahrtsmarkttypen kann aber auch untersucht werden, ob bestimmte Markttypen in einem Wohlfahrtsregime dominieren. Ferner ergeben sich aus den Typen höchst unterschiedliche Akteurskonstellationen, was sowohl Marktakteure als auch politische Akteure betrifft. Mit der Zunahme der Marktmechanismen sind grundsätzlich mehr Marktakteure und komplexere Akteurskonstellationen zu erwarten. Folglich sind auch mehr Akteure am politischen Prozess der Marktregulierung beteiligt. Zusätzlich zu primär politischen Akteuren wie Parteien, Mandatsträgern, Parlamentariern und Beamten in den staatlichen Sozialbehörden kommen Marktanbieter und deren Interessenverbände hinzu. Beispielsweise gewinnen bei der privaten Altersvorsorge Versicherungskonzerne, Banken und Verbraucherverbände an politischer Bedeutung. 2.2.5 Fazit Wohlfahrtsmärkte wurden in diesem Kapitel als politisch geformte Institutionen definiert, in denen soziale Güter unter Anwendung von Marktmechanismen getauscht werden. Das Konzept kann auf alle Politikfelder 62 WOHLFAHRTSMÄRKTE der Sozialpolitik übertragen werden, allerdings wird es im Weiteren lediglich auf die Alterssicherungs- und Bildungspolitik angewendet. Für die empirische Analyse wird das Marktvolumen anhand von drei Dimensionen (Finanzierung, Produktion, Wahlfreiheit) erhoben, damit lässt sich sowohl das aktuelle Ausmaß der Wohlfahrtsmärkte ermitteln als auch der Prozess der Vermarktlichung. Basierend auf diesen drei Dimensionen wurde eine Wohlfahrtsmarkttypologie entworfen, die zentrale Unterschiede zwischen idealtypischen Wohlfahrtsmärkten herausstellt. Dieser konzeptionelle Rahmen ermöglicht mir, die beiden Hauptforschungsfragen dieser Arbeit zu beantworten. Sind erstens Wohlfahrtsmärkte in Deutschland, Schweden und den USA in den letzten zwei Dekaden entstanden? Kann zudem ein allgemeiner Anstieg im Marktvolumen in der OECD-Welt festgestellt werden? Die drei Dimensionen der Vermarktlichung sind ein heuristisches Werkzeug, um den Anstieg der Wohlfahrtsmärkte quantitativ zu operationalisieren. Der zweite Fragenkomplex untersucht die politisch geformten Institutionen der Wohlfahrtsmärkte. Wie wurden sie institutionell ausgestaltet? Welche Akteure haben die Regulierung der Märkte politisch beeinflusst? Welche Wohlfahrtsziele können in der Regulierung identifiziert werden? Korrespondiert eine bestimmte Regulierung mit einem Politikfeld? Inwiefern gleichen sich Wohlfahrtsmarkt und Wohlfahrtsstaat eines Landes? Das hier verwendete Wohlfahrtsmarktkonzept bietet auch für diesen Fragenkomplex die Grundlage zur qualitativen Operationalisierung. Die institutionalisierten Marktmechanismen und die gehandelten sozialen Güter sind die Grundeigenschaften der Wohlfahrtsmärkte und geben Aufschluss über die Konstituierung der Märkte. Ebenso betont das verwendete Wohlfahrtsmarktkonzept die politische Einbettung der Wohlfahrtsmarktinstitutionen. 3 Wohlfahrtsmärkte im Vergleich Der Gegenstand dieser Studie – Wohlfahrtsmärkte – wurde bisher kaum stringenten vergleichenden Analysen unterzogen. Wie bereits in der Einleitung erläutert, existieren verschiedene Fallstudien zum Thema oder einige area studies, die en detail ein Land oder Politikfeld untersuchen. Béland und Gran (2008: 279) fordern deshalb »[to] explore the economic, political, and ideological conditions under which pathdeparting changes to the public-private dichotomy for social policy are not only possible but likely. This type of analysis could take the form of small-N, qualitative comparisons between countries«. Laut Lijphart (1971: 685) diene die vergleichende Methode im Rahmen von small-N Ländervergleichen insbesondere der Exploration von Hypothesen eines bisher wenig untersuchten Forschungsgegenstandes, die später in einem statistischen Modell untersucht werden könne. Im Gegensatz zu Fallstudien werden »mindestens zwei Fälle bezüglich mindestens zweier Variablen analysiert« (Siegel 2007: 104). Aufgrund der begrenzten Anzahl von Fällen und Variablen der vergleichenden Analyse sind Generalisierungen und Kausalitäten im Vergleich zu multivarianten large-N Forschungsdesigns in der Tat eingeschränkt. Dennoch hat die vergleichende Methode gegenüber einzelnen Fallstudien den Vorteil, allgemeine Trends zu identifizieren und über den Bereich der Fallstudie hinaus weitergehende Schlussfolgerungen zu ermöglichen (King u.a. 1994; Seawright/Gerring 2008). Das vergleichende small-N Untersuchungsdesign überbrückt somit die Vor- und Nachteile von Fallstudien und large-N Vergleichen. Ziel dieser Untersuchungsanordnung ist sowohl explorativ zur Theorieentwicklung beizutragen, als auch generelle Erklärungsansätze für die Entstehung, die Unterschiede und den Wandel von Wohlfahrtsmärkten herauszuarbeiten. Gleichwohl besteht somit auch die Gefahr, die Nachteile beider Methoden zu übernehmen. Mit einer wohlüberlegten Fall- und Variablenauswahl wird versucht, diese Nachteile möglichst zu minimieren. 64 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die folgende Auswahl der Fälle und Variablen orientiert sich grundlegend an den forschungsleitenden Fragen: Erstens ist ein genereller Trend zu Wohlfahrtsmärkten festzustellen und zweitens wie werden diese wachsenden Wohlfahrtsmärkte reguliert? Um das Problem vieler Variablen und weniger Fälle zu minimieren, empfiehlt Lijphart (1971: 686–691), einerseits möglichst die Fallanzahl zu erhöhen, andererseits aber nur die wichtigsten Variablen zu berücksichtigen und vergleichbare Fälle zu untersuchen. Mit der Auswahl des geeigneten Untersuchungsdesigns soll einerseits das Ziel nach möglichst hoher Tiefenschärfe erreicht werden und andererseits sollen generelle Schlüsse anhand der empirischen Ergebnisse gezogen werden. Beide Ziele müssen nicht nur gegeneinander abgewogen werden, sondern auch noch forschungspraktisch handhabbar bleiben (King u.a. 1994). Für explorative Studien, die ein neues soziales Phänomen untersuchen, ist es besonders hilfreich möglichst unterschiedliche Fälle auszuwählen, um die Pluralität des Forschungsgegenstandes abzubilden und daraus Erklärungen und Theorien zu generieren. Für derartige explorative Studie ist ein diverse case design am ergiebigsten, weil alle möglichen Ausprägungen der Variablen in den möglichst unterschiedlichen Fällen untersucht werden können (Seawright/Gerring 2008: 300–301). Die Varianz der Fälle ermöglicht, mehrere kausale Pfade zu identifizieren und somit notwendige Bedingungen für die Ausprägung der abhängigen Variable herauszukristallisieren. Da bisher kaum vergleichende Studien über Wohlfahrtsmärkte durchgeführt wurden, erscheint ein diverse case design besonders angebracht, um die Pluralität der Wohlfahrtsmärkte erkunden zu können. Um Generalisierungen und Erklärungen zu ermöglichen wird ein Drei-Länderund Zwei-Politikfelder-Vergleich gewählt. Damit können Trends und Kausalzusammenhänge auf Länder- und Politikfeldebene identifiziert und verglichen werden, die über die Fallstudien hinausgehen. Außerdem konzentriert sich die Analyse vornehmlich auf institutionelle und akteursbezogene Erklärungsansätze, was auch der Komplexitätsreduzierung zuträglich ist. Die folgenden Abschnitte werden nun darlegen, welche Fälle und Variablen in der vergleichenden Studie berücksichtigt werden. Zuerst wird die Auswahl der Fälle begründet (3.1). In Kapitel 3.2 werden die Untersuchungsmethoden erläutert und im darauf folgenden Kapitel die berücksichtigten unabhängigen Variablen und möglichen Einflussfaktoren diskutiert (3.3). 65 WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH Tabelle 2: Zeitpunkte der Wohlfahrtsmarktgründung und zentrale Reformen Name Markttyp Marktgründung Marktreformen regulierter WM Vouchermarkt 2002 2004, 2006 Bildung Riester-, Rürup-Rente Privatschulen ca. 1850, erneut 1949 um 1987 (fragmentiert) Schweden Rente Prämienrente obligatorischer WM Vouchermarkt 1995/2000a 2010 ca. 1800, bzw. 1960er 1992, 1997/2003 ca. 1950er 1974/1981 um 1868 seit 1990 (fragmentiert) seit 1991 (fragmentiert) Deutschland Rente Bildung USA Rente freie Schulen (fristående) IRAs, 401(k) Bildung School Vouchers Charter Schools regulierter WM Vouchermarkt Ausschreib./ Konsum. 1991 Anmerkungen: Zeitpunkte beziehen sich auf Implementierung, a) 1995: ersten Beiträge erhoben, 2000: erste Rentenfondswahl 3.1 Fallauswahl Um die beiden Hauptfragen zum Wachstum und zur Regulierung von Wohlfahrtsmärkten in einem diverse case design zu beantworten, müssen sich die Fälle sowohl im Marktvolumen als auch in den Regulierungseigenschaften unterscheiden. David Levi-Faur (2006a; 2006b) plädiert für eine Kombination von Länder- (national patterns) und Politikfeld-Vergleich (policy sector), um einen hohen Grad der Generalisierung zu erreichen. Wenn diese Kriterien zusammengenommen werden, bieten sich die Länder Deutschland,26 Schweden und die USA und die Politikfelder Rente (private Rentenversicherung) und Bildung (private Primar- und Sekundarschulen) als Untersuchungseinheiten an. —————— 26 Vor der Wiedervereinigung bezieht sich die Untersuchung auf die Bundesrepublik Deutschland (1949–1990). Der Hauptuntersuchungszeitraum bezieht sich aber auf das wiedervereinigte Deutschland nach 1990. 66 WOHLFAHRTSMÄRKTE Zusätzlich wird Anzahl von Fällen dadurch erhöht, indem mehrere Erhebungszeitpunkte berücksichtigt werden (Gerring 2004). Der Hauptuntersuchungszeitraum erstreckt sich von 1990 bis 2010 und wird teilweise auf frühere Perioden ausgedehnt, wenn es der Analyse und Erklärung dient. Damit wird der Vergleich von Ländern und Politikfeldern um einen intertemporalen Vergleich ergänzt. Tabelle 2 bietet einen Überblick über die untersuchten Fälle und zentralen Reformen, die in der Studie berücksichtigt werden. Von den Rentenmärkten werden die deutsche Riester-Reform Anfang der 2000er Jahre untersucht, sowie die anschließenden Ergänzungen und Novellierungen, wenn auch nicht mit derselben Genauigkeit. In Schweden wurde in etwa zeitgleich die obligatorische Prämienrente eingeführt. USamerikanische Rentenmärkte von Relevanz existieren rund seit den 1950er Jahren, allerdings liegt der Fokus der Untersuchung auf den Individual Retirement Accounts (IRAs, 1974) und den betrieblichen 401(k) Renten (1981). Diese Rentenmärkte können den regulierten (Deutschland, USA) und obligatorischen (Schweden) Wohlfahrtsmarkttypen zugeordnet werden, die zum Teil auch refinanziert werden durch öffentliche Zuschüsse und Steuererleichterungen (vgl. Abbildung 1). Die untersuchten Bildungsmärkte erstrecken sich auf das deutsche Privatschulsystem, die schwedischen freien Schulen (fristående skolor) und USamerikanische Schulgutscheine sowie Charter Schools. Privatschulen im modernen Sinne existieren auf deutschem Boden seit rund 1850, die entscheidende Marktgründung für den aktuellen Privatschulmarkt erfolgte aber erst mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb wird diese entscheidende Phase nach dem zweiten Weltkrieg betrachtet, als auch die entscheidende Liberalisierungsphase um 1987. In Schweden wurden Privatschulen bis 1960 weitgehend von den öffentlichen Schulen zurückgedrängt und gegen Ende der 1970er Jahre wurden verschiedene Reformen verabschiedet, die eine neuerliche Marktgründung 1992 vorbereiteten. Der Fokus der Analyse liegt jedoch auf die Gründungsphase 1992 und die folgenden transformativen Reformen. In den USA existierte nach dem Zweiten Weltkrieg immer ein substantieller Privatschulmarkt von 10 bis 15 Prozent (s. Kapitel 4), der als regulierter Wohlfahrtsmarkt beschrieben werden kann. Für diese Studie entscheidend ist allerdings der Zeitraum seit den 1990er Jahren, als verschiedene Voucher-, Ausschreibungs- und Konsumentenmärkte im Privatschulbereich implementiert wurden. Gegenstand dieser Studie sind zum einen der Ausschreibungs- WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 67 und Konsumentenmarkt der Charter Schools und zum anderen die Vouchermärkte im Rahmen von Schulgutscheinen. Im Folgenden werde ich ausführlicher die Auswahl der Länder, der Politikfelder und des Zeitraums begründen und erläutern, warum sie besonders zum Vergleich geeignet sind. 3.1.1 Länder: Deutschland, Schweden, USA Die sozialpolitischen Arrangements sind in Wohlfahrtsstaaten sehr unterschiedlich ausgestaltet, weshalb verschiedene Typologien entwickelt wurden, um die Unterschiede zwischen Wohlfahrtsstaaten zu kategorisieren (u. a. Arts/Gelissen 2002; Aspalter u.a. 2009; Bambra 2004; Castles/Mitchell 1993; Esping-Andersen 1990; 1999; Korpi/Palme 1998; Leibfried 1993; Schelkle 2009; Scruggs/Allan 2009; Svallfors 2003). Für das hier verwendete diverse case design sollten die Untersuchungsländer möglichst unterschiedliche Wohlfahrtsregime repräsentieren. Die einflussreiche Regimetypologie von Esping-Andersen (1990) klassifiziert die Wohlfahrtsstaaten anhand der Dimensionen De-Kommodifizierung, Stratifizierung und Wohlfahrtsmix in drei Typen, bestehend aus sozialdemokratischen, konservativen und liberalen Wohlfahrtsregimen. Die drei Untersuchungsländer repräsentieren laut Esping-Andersen (1990) jeweils die drei Wohlfahrtsregime: Schweden wird als sozialdemokratischer, Deutschland als konservativer und die USA als liberaler Wohlfahrtsstaat betrachtet. Diese zentralen Unterschiede der öffentlichen Sozialpolitik in den drei Ländern wurden in verschiedenen Studien im Großen und Ganzen bestätigt (s. o. und vor allem Arts/Gelissen 2002; Bambra 2004; Ferragina/Seeleib-Kaiser 2011). Für die Fallauswahl ist vor allem die Dimension des Wohlfahrtsmix zwischen Staat, Markt und Familie relevant. Laut Esping-Andersen (1990) überwiegt im sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime die staatliche Wohlfahrtsproduktion, im konservativen Regime die familiäre Produktion und im liberalen Regime dominieren Märkte. Obwohl der Wohlfahrtsmix häufig ein Teil der Untersuchungsdimensionen ist, beziehen sich die verschiedenen Wohlfahrtsstaatstypologien überwiegend auf öffentliche Sozialprogramme. Doch Seeleib-Kaiser weist darauf hin, dass sich öffentliche und private Wohlfahrtsregime zu einem Wohlfahrtssystem ergänzen (SeeleibKaiser 2001; 2008a; 2009). In einem Wohlfahrtssystem bilden Wohlfahrtsstaat und Wohlfahrtsmarkt komplementäre Einheiten, die funktional- 68 WOHLFAHRTSMÄRKTE äquivalente Aufgaben der Sozialpolitik erfüllen. Außerdem wurden einige theoretische Typologien von Wohlfahrtsmärkten entwickelt, die unterschiedliche regulative Eigenschaften von Wohlfahrtsmärkten betonen (Blank 2006; Bode 2005); allerdings wurden sie bisher nur auf die nationalen Unterschiede von deutschen Wohlfahrtsmärkten angewendet. Lediglich Hippe (2007; 2009) und Klitgaard (2007a) untersuchen systematisch die Unterschiede von Renten- beziehungsweise Bildungsmärkten in Deutschland, Schweden und den USA.27 Beide Studien bestätigen, dass auch zwischen den Wohlfahrtsmärkten der drei Länder charakteristische Unterschiede bestehen. Dennoch bleiben einige Forschungsfragen unbeantwortet. Hippe (2007; 2009) bezieht lediglich kapitalgedeckte Rentenversicherungen in den Vergleich ein, wodurch die regulativen Einflüsse von benachbarten Institutionen wie öffentlichen und betrieblichen Rentenversicherungen nicht berücksichtigt werden. Außerdem bleibt bei Hippe offen, wie die regulativen Unterschiede der Wohlfahrtsmärkte erklärt werden können. Klitgaard (2007a) fokussiert seine Analyse auf die Einführung von Bildungsmärkten in den drei Ländern (Deutschland, Schweden, USA), ohne aber die systematischen Regulierungsunterschiede der Bildungsmärkte zu untersuchen. Die Wohlfahrtsmärkte von Deutschland, Schweden und den USA wurden also zum Teil schon erforscht, aber eine systematische Untersuchung des Marktvolumens und der Marktregulierung fehlt bisher. Mit dieser Fallauswahl werden somit drei sehr unterschiedliche Wohlfahrtsregime untersucht, was laut der theoretischen und empirischen Literatur sowohl auf die öffentlichen als auch die marktförmigen Sozialprogramme zutrifft. Diese Studie geht der Frage nach, worin diese Unterschiede bestehen und wie diese Unterschiede entstanden sind, sofern sie denn festzustellen sind. Neben den sozialpolitischen Unterschieden besteht auch eine hohe Varianz in Bezug auf politische Variablen. Die Länder besitzen unterschiedliche Regierungssysteme, Parteiensysteme, Staatsstrukturen und Vetospielerkonstellationen (Ismayr 2003a; Lijphart 1999; Tsebelis 2002).28 —————— 27 Andere Studien vergleichen auch die Märkte in verschiedenen Wohlfahrtsregimen (u.a. Gingrich 2011; Leisering 2011), untersuchen aber andere Länder. 28 Die drei Länder sind jedoch eher Konsensdemokratien als Konkurrenzdemokratien, weil die jeweiligen Parteiensysteme (Deutschland, Schweden), die Staatstrukturen (Deutschland, USA), die Vetopunkte (Deutschland, USA) und das Regierungssystem (Deutschland, Schweden) tendenziell politischen Konsens erzwingen. Die politische Einbindung von Deutschland und Schweden in die Europäische Union kommt als wei- WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 69 Insgesamt besteht also eine sozialpolitische und politisch-institutionelle Varianz zwischen den Untersuchungsfällen, wodurch mehrere Einflussfaktoren auf das Marktvolumen und die Marktregulierung überprüft werden können. 3.1.2 Politikfelder: Renten- und Bildungsmärkte Die folgenden Ausführungen legen zuerst dar, warum Bildungsmärkte als sozialpolitisches Politikfeld neben Rentenmärkten untersucht werden. Anschließend erfolgt die Begründung der Fallauswahl und welche Varianz und Gemeinsamkeiten die Fälle aufweisen. Zum Ende des Abschnittes werden einige Begrifflichkeiten von Renten- und Bildungsmärkten erläutert, die für die weitere Analyse relevant sind. Aus deutscher Perspektive ist Bildung als Feld der Sozialpolitik zunächst ungewöhnlich. Im angelsächsischen Raum war Bildungspolitik schon immer integraler und konzeptioneller Bestandteil der Sozialpolitik (Mare 1981; Marshall 1992), wurde aber auch dort meist in der sozialpolitischen Forschung missachtet. Seit dem PISA-Schock und den dort enthaltenen detaillierten Wirkungsanalysen der Bildungssysteme nahm das sozialpolitische Interesse an der Bildungspolitik in Deutschland zu, was sich in diversen sozialpolitischen Publikationen niederschlug (u.a. Busemeyer/ Nikolai 2010; Opielka 2005; Schmidt 2010a; Schmidt 2007b).29 Die Bil- —————— tere Variation hinzu, wobei anzumerken ist, dass Schweden erst 1995 der EU beigetreten ist und weiterhin nicht an der Währungsunion (EMU) teilnimmt. 29 Generell wendete sich auch die internationale Politikwissenschaft in der letzten Dekade verstärkt der Bildungspolitik zu (Busemeyer/Trampusch 2011; Jakobi u.a. 2010), obwohl einige ältere Veröffentlichungen bereits das Verhältnis von Sozial- und Bildungspolitik untersuchten (u.a. Heidenheimer 1973; 1981; Kaelble 1981). Von der Literatur mit sozialpolitischem Bezug sind drei Schwerpunkte zu unterscheiden: Der erste Strang der Literatur untersucht die öffentlichen Bildungsausgaben international vergleichend (Busemeyer 2006a; Schmidt 2002; 2007a; 2010a; Wolf 2008; Zohlnhöfer 2007b), aber auch die privaten Bildungsausgaben sind untersucht worden (Busemeyer 2006b; 2007; Schmidt 2004; 2007a; Wolf 2009; Wolf/Zohlnhöfer 2009). Im zweiten Schwerpunkt werden verschiedene Bildungsregime verglichen, institutionelle Unterschiede herausgearbeitet und in welchem Verhältnis diese zu Wohlfahrtsregimen stehen (Allmendinger/Leibfried 2003; Hega/Hokenmaier 2002; Schmid u.a. 2011). Im dritten Forschungsstrang wird der Schwerpunkt auf die Wirkungen der Bildungsinstitutionen gelegt (u.a. Kohlrausch 2009; Leuze 2010; Reimer/Pollak 2005). Für die Untersuchung von Wohlfahrtsmärkten sind davon vor allem jene Studien interessant, die das Wahlverhalten der Schüler und Eltern zwischen öffentlichen und privaten Schulen untersuchen 70 WOHLFAHRTSMÄRKTE dungspolitik steht, anders als Rentenpolitik, sinnbildlich für einen investierenden Sozialstaat, der vorsorgt und das Potenzial der Bürger aktiviert, anstatt sie nur zu alimentieren und die Ursachen von sozialer Ungleichheit und Benachteiligung im Nachhinein abzumildern (Esping-Andersen 2005; Morel u.a. 2011). Hohe Bildungsabschlüsse erhöhen die Partizipationschancen und senken das individuelle Armuts-, Krankheits- und Arbeitslosigkeitsrisiko (BMAS 2005: 85–95). Die untersuchten Politikfelder sollen ebenso wie die untersuchten Länder ein breites Spektrum sozialpolitischer Leistungen abdecken und gleichzeitig typische und wichtige Politikfelder umfassen. Die Renten- und Bildungsausgaben sind jeweils der größte beziehungsweise drittgrößte sozialpolitische Haushaltsposten in der OECD-Welt (OECD 2007), was die Relevanz beider Politikfelder unterstreicht. Beide Politikfelder decken zudem aufgrund ihrer Leistungsstruktur und dem Zeithorizont der sozialen Wirkung eine hohe sozialpolitische Bandbreite ab: (a) Die Leistungsstruktur unterscheidet sich wie folgt: Renten sind soziale Transfers, wohingegen Bildung eine soziale Dienstleistung ist. Die Untersuchung von sozialen Dienstleistungen und Transferleistungen umfasst ein breites Spektrum der Sozialpolitik, insbesondere deshalb, weil soziale Dienstleistungen im Vergleich zu sozialen Transferleistungen tendenziell ein Forschungsdesiderat darstellen (vgl. Jensen 2010). Außerdem ist das Vermarktlichungspotential sozialer Dienstleistungen gegenüber Transferleistungen grundverschieden. (b) Sozialpolitische Programme können zeitlich vor dem eigentlichen sozialen Problem wirksam werden – ex ante – oder sie kompensieren Risiken bereits eingetretener sozialer Problemlagen – ex post. Bildungspolitik wirkt insbesondere in den ersten Lebensjahren, im Gegensatz dazu kompensieren Renten den Einkommenswegfall aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit im Alter. Bei Rentenversicherungen kommt zusätzlich ein langer Zeithorizont der Beitragszahlung hinzu, der bei umlagefinanzierten Rentensystemen mehrere Generationen umfasst. Eine Gemeinsamkeit von Bildungs- und Renteninvestitionen besteht darin, dass sie sich über einen langen Zeitraum auszahlen (u.a. BMAS 2005; Legros 2006; Poterba u.a. 1999). —————— (Köppe 2012; Kruppe 2009; Noreisch 2007a; 2007b; Riedel u.a. 2010) und die Leistungsunterschiede von öffentlichen und privaten Schulen vergleichen (u.a. Ladd 2002; Neal 2002). WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 71 Die beiden Politikfelder repräsentieren auch verschiedene Potenziale der Vermarktlichung: Private Rentenversicherung kumulieren mit öffentlichen Sicherungssystemen zu einem Gesamtversorgungsniveau, wohingegen die Vermarktlichung von Schuldienstleistungen substitutiv erfolgt, weil nur entweder eine öffentliche oder eine private Schule besucht werden kann (vgl. Busemeyer 2006a: 316). Die Konkurrenz zwischen öffentlichen und privaten Trägern ist also im Bildungsmarkt viel schärfer als im Rentenmarkt. Schließlich ist noch anzumerken, dass die Literatur zu Wohlfahrtsstaatsregimen gemeinhin Bildung nicht berücksichtigt. Allerdings bestätigen verschiedene Studien auch hier eine grundsätzliche Varianz zwischen Deutschland, Schweden und den USA (Schmid u.a. 2011).30 Vor allem die Ausgabenprioritäten in Bezug auf die öffentlichen Bildungs- und Sozialausgaben variieren erheblich (vgl. Kaganovich/Zilcha 1999; Wolf/ Zohlnhöfer 2009): Liberale Wohlfahrtsstaaten wie die USA investieren hauptsächlich in Bildung, sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten wie Schweden weisen sowohl bei den Sozialversicherungen als auch im Bildungsbereich hohe Ausgaben auf und konservative Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland legen die Priorität ausschließlich auf Sozialversicherungen. Die drei Länder repräsentieren also in beiden Politikfeldern drei exemplarische Wohlfahrtsregime, deren institutionelle Rahmenbedingungen variieren und unterschiedliches Vermarktlichungspotenzial aufweisen. In den folgenden zwei Unterkapiteln werden einige grundlegende Begriffe der Renten- und Bildungsmärkte erläutert, auf die in der empirischen Analyse verwiesen wird. —————— 30 Im »Varieties of Capitalism«-Diskurs wird beispielsweise der Zusammenhang zwischen Berufsausbildung und den Produktionsmerkmalen den landestypischen Spielarten des Kapitalismus betont (Überblick bei Busemeyer/Trampusch 2012; Estévez-Abe u.a. 2001: 154; Shire/Gottschall 2007). Mit Bezug auf die Allgemeinbildung können Allmendinger und Leibfried (2003) klare Regimeunterschiede sowohl bei den Kompetenzleveln als auch bei der Kompetenzverteilung ausmachen: Das schwedische Bildungssystem zeichnet sich tendenziell durch ein hohes Kompetenzlevel und hohe Gleichheit aus (sogenannter »central type«). Deutschland kann weder hohe Kompetenzen noch hohe Gleichheit aufweisen (sogenannter »centrifugal type«). Die USA entziehen sich in diesem Fall einer klaren Typisierung. 72 WOHLFAHRTSMÄRKTE Rentenmärkte Mit Rentenmärkten sind alle marktförmigen Sozialprogramme gemeint, die der Einkommenssicherung im Alter dienen.31 Ein Rentensystem besteht üblicherweise aus verschiedenen Säulen, die zur Einkommenssicherung im Alter beitragen.32 Mit Bezug auf Köppe (2009) können fünf Rentensäulen identifiziert werden: steuerfinanzierte Grundrenten, obligatorische Sozialversicherungen, Betriebsrenten, individuelle private Rentenversicherungen und schließlich allgemeines Sparen (u.a. Lebensversicherungen, Wohneigentum). Der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt auf individuellen privaten Rentenversicherungen, weil dort die meisten Marktmechanismen implementiert werden können und zugleich ein eindeutiger Bezug zur Einkommenssicherung im Alter besteht.33 Partielle Rentenmärkte können aber auch in den anderen Säulen des Rentensystems entstehen. Beispielsweise besitzen die Versicherten von Betriebsrenten zusätzliche Wahloptionen, wenn sie ihre Beiträge in verschiedene Fonds investieren können (vgl. Kapitel 2, quasi-obligatorische Wohlfahrtsmärkte). Entsprechend werden derartige benachbarte Rentenmärkte berücksichtigt, wenn sie relevant sind; der empirische Schwerpunkt liegt aber auf individuellen privaten Rentenversicherungen. Beispielsweise werden in den USA auch Betriebsrenten —————— 31 Im Gegensatz zur reinen Rentenpolitik, die nur die staatliche Sozialversicherung betrachtet, bezieht sich Alterssicherungspolitik auf das Gesamtversorgungsniveau im Rentenalter (Hinrichs 2000a; 2000b). Alterssicherungspolitik beinhaltet aber nur die Einkommenssicherung im Alter und nicht wie Alterspolitik oder Generationenpolitik eine holistische Betrachtung mehrer altersrelevanter Politikfelder wie Pflege, Gesundheit, Familienpolitik, Bildung etc. (Lüscher/Liegle 2003: 210–230). Ich verwende für die Einkommenssicherung im Alter trotzdem weiterhin den geläufigeren Begriff Rente. 32 In der international vergleichenden Literatur wird entweder zwischen Bismarck- und Beveridge-Systemen oder zwischen Einsäulenmodellen und Mehrsäulenmodellen differenziert. Bismarck-Systeme basieren, im Gegensatz zu universellen steuerfinanzierten Beveridge-Systemen, auf dem Versicherungs- und Beitragsprinzip (Bonoli 2000: 11; Hinrichs 1999: 12). Einsäulenmodelle vertrauen bei der Altersvorsorge nur auf einen Typ der Absicherung, also entweder auf steuerfinanzierte Grundrenten (Beveridge), umlagefinanzierte Sozialversicherungen (Bismarck), Betriebsrenten oder individuelle Kapitaldeckungsverfahren. Jede Säule besitzt spezifische Vor- und Nachteile, die unabhängig von den anderen Säulen bestehen. Mehrsäulenmodelle – mittlerweile in fast allen Wohlfahrtsstaaten üblich – kombinieren die verschiedenen Durchführungswege der Einkommenssicherung und stimmen die einzelnen Säulen aufeinander ab (Bonoli 2003: 400–402). 33 Allgemeines Sparen kann zwar zur Einkommenssicherung im Alter beitragen, ist jedoch nicht spezifisch genug, weil keine automatische Annuität besteht. WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 73 untersucht, da sie vielfältige Marktmechanismen enthalten und für viele US-Amerikaner häufig die wichtigste Rentenversicherung darstellen. Bildungsmärkte Bei Bildungsmärkten können drei Leistungen vermarktlicht werden: (1) Die Lerninhalte und entsprechende Infrastrukturleistungen können von privaten Trägern vermittelt und angeboten werden (Privatschulen, Privatuniversitäten, Nachhilfe). (2) Akkreditierungsagenturen können auf einem sekundären Bildungsmarkt die Lizenzierung einzelner Bildungsorganisationen oder Ausbildungsgänge anbieten (Akkreditierung von BA/MAStudiengängen). (3) Und schließlich kann sich ein Markt zur Finanzierung von Ausbildungszeiten entwickeln, insbesondere zur Finanzierung eines Studiums (Bildungssparen, Studienkredite). Eingangs hatte ich die sozialpolitische Relevanz von Bildungspolitik im Allgemeinen herausgearbeitet (S. 69). Neben der frühkindlichen Bildung hat die Schulbildung die größte sozialpolitische Wirkung im Sinne von der Vermeidung von Armut und der Erzielung gleicher Bildungschancen (vgl. u.a. Barr 2004; Esping-Andersen 2002; Keeley 2007). In dieser Studie werden die Primar- und Sekundarschulen untersucht, weil sie im Gegensatz zur frühkindlichen Bildung einen größeren Ausgabenposten darstellen. Außerdem verringert sich die Varianz der Wohlfahrtssektoren bei einer Fokussierung auf die Schulbildung, denn bei der frühkindlichen Bildung kommt eine starke familiäre Produktion hinzu, die aber nicht im Fokus dieser Untersuchung steht. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf den Bildungsmärkten für Privatschulen, es steht also die Konkurrenz zwischen privaten und öffentlichen Schulbetreibern im Mittelpunkt der Untersuchung, da diese die primären Bildungsanbieter sind. Zur Bildungsmarktregulierung zählen auch Bildungsgutscheine, Steuererleichterungen (Tuition Tax Credit) und Zuschüsse, die den Besuch einer Privatschule (oder öffentlichen Schule außerhalb des Schulbezirkes) ermöglichen. Diese sind insbesondere in den USA und Schweden relevant, wie die empirischen Kapitel darlegen. Die sekundären Märkte für Akkreditierungsagenturen und Bildungssparanlagen werden nicht untersucht, obwohl in den USA beide als spezifische Wohlfahrtsmärkte existieren, aber Vergleichsmärkte in Deutschland und Schweden fehlen. 74 WOHLFAHRTSMÄRKTE Bei der Fallauswahl kommt hinzu, dass die Bildungspolitik in Deutschland und den USA Aufgabenhoheit der Gliedstaaten ist. Die Bildungsmärkte können also höchst unterschiedlich in den Bundesländern und den US-Bundesstaaten reguliert werden. In Deutschland ist der Bildungsmarkt für Privatschulen relativ einheitlich, sodass auf eine Auswahl von Bundesländern für gliedstaatliche Fallstudien verzichtet wird. Dagegen ist der USamerikanische Bildungsmarkt föderal fragmentierter. Erstens bestehen zwei unterschiedliche Marktformen: Charter Schools und Schulgutscheine für Privatschulen (sogenannte School Voucher). Charter Schools sind öffentliche Schulen, die aber den Schulbetrieb an private Betreiber ausschreiben können und Schülern den Zugang außerhalb des zugewiesenen Schulbezirks ermöglichen. Schulgutscheine ermöglichen Schülern den Besuch einer Privatschule. Zweitens sind diese Marktformen in den USA ungleich verteilt. Charter Schools sind in rund 40 US-Bundesstaaten vertreten, wohingegen Schulgutscheine bisher nur in zwei US-Bundesstaaten (Wisconsin, Ohio) und dem District of Columbia implementiert wurden. Außerdem scheiterten einige Schulgutschein-Gesetze an Gerichtsentscheidungen und mussten wieder zurückgenommen werden (u.a. Florida, Kalifornien). Die detaillierte Analyse der Marktregulierung erfolgt deshalb nur in vier typischen US-Bundesstaaten (Wisconsin, Ohio, Florida, Kalifornien), die eine hohe Varianz an implementierten und gescheiterten Bildungsmärkten aufweisen.34 3.1.3 Zeitraum: 1990–2010 Seit den 1970er Jahren gelten die meisten Wohlfahrtsstaaten als ausgereift mit geringem Wachstumspotenzial. Im Silbernen Zeitalter der Wohlfahrtsstaaten (seit 1980), so die verbreitete These, kam es zu Kürzungen und Umstrukturierungen des Wohlfahrtsstaates (Leibfried/Zürn 2006a; TaylorGooby 2002). Allerdings erwiesen sich die Wohlfahrtsstaaten trotz aller Kürzungsrhetorik relativ robust gegenüber massiven Kürzungen (Pierson 1994). Zwar waren die USA und Großbritannien in den 1980er Jahren Vorreiter für Vermarktlichungen und Privatisierungen, allerdings betrafen —————— 34 Nach Möglichkeit werden aber auch mehrere Charter-School-Gesetze untersucht (vgl. Kapitel 5.4.2). WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 75 die ersten Privatisierungen lediglich Transport-, Strom-, Telekommunikations- und Logistikmärkte (Zohlnhöfer u.a. 2008).35 Marktförmige Sozialprogramme wurden überwiegend erst in den 1990er Jahren eingeführt, sodass der Zeitraum davor größtenteils vernachlässigt werden kann (vgl. Forschungsüberblick in der Einleitung). Allerdings wurden in einigen Ländern (vor allem USA) schon frühzeitig Rentenund Bildungsmärkte implementiert. Folglich wird in den Fallstudien zur Marktregulierung der Zeitraum seit der Marktgründung berücksichtigt. Das trifft vor allem auf die Rentenmärkte in den USA zu, die bereits in den 1970/80er Jahren liberalisiert wurden. Aber auch im Bildungsbereich existierten Privatschulen schon meist vor 1990, gleichwohl erfolgten weitreichende Marktliberalisierungen erst in den letzten zwei Dekaden. Wohlfahrtsmärkte wurden überwiegend zwischen 1990 und 2010 konstituiert und ausgebaut, weshalb ein Fokus auf diesen Zeitraum besonders interessant ist. Wenn also wesentliche Marktgründungen und -liberalisierungen vor 1990 stattfanden, werden sie in der Analyse berücksichtigt, ansonsten bezieht sich der Untersuchungszeitraum auf die Zeitspanne von 1990– 2010. 3.2 Untersuchungsmethoden In der Einleitung hatte ich bereits aufgezeigt, dass die Datengrundlage über das Marktvolumen und die Institutionen von Wohlfahrtsmärkten insgesamt unzureichend ist, weshalb nur begrenzt auf existierende Erhebungen zurückgegriffen werden kann. Zum Teil existieren zwar international vergleichende Datenbanken über das Marktvolumen und Regulierungseigenschaften (z.B. für einige Rentenindikatoren Adema/Ladaique 2005; OECD 2008a), dennoch bestehen erhebliche Datenlücken, um die Entstehung, den Wandel und die Unterschiede von Wohlfahrtsmärkten zu untersuchen. Im Rahmen dieser Studie wird deshalb ein Methodenmix angewendet, der auf verschiedene Datenquellen zurückgreift und unterschiedliche Analysemethoden entsprechend der Datengrundlage und Fragestellung anwendet. Für die beiden Hauptforschungsfragen nach dem Wachstum und den regulativen Unterschieden sind jeweils unterschiedliche Methoden angebracht, —————— 35 Der größte Privatisierungsschub erfolgte im Großteil der OECD-Welt sogar erst in den 1990er Jahren. 76 WOHLFAHRTSMÄRKTE die im Folgenden diskutiert werden (vgl. Embedded Research Design in Creswell/Plano Clark 2011). Für den ersten Fragenkomplex nach dem Wandel des Marktvolumens wird eine Zeitreihenanalyse durchgeführt (Zucchini u.a. 2009). Die Analyse im Zeitverlauf stützt sich vornehmlich auf deskriptive Maßzahlen wie relative Häufigkeiten und prozentuale Verteilungen. Anhand von internationalen und nationalen Datenbanken werden verschiedene Indikatoren verwendet, um das Ausmaß der Wohlfahrtsmärkte in den Dimensionen Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit im Zeitverlauf zu erheben. Die verwendeten Indikatoren werden in Kapitel 4.1 genauer erläutert. Der besondere Forschungsbeitrag dieser Arbeit ist, dass internationale und nationale Datenquellen zusammengetragen und unter einer Fragestellung analysiert werden. Durch diesen Datenabgleich und die Verwendung unterschiedlicher Indikatoren werden reliablere Ergebnisse bei der Erhebung des Marktvolumens erzielt. Im Rahmen der zweiten Hauptfrage werden die regulativen Unterschiede der Wohlfahrtsmärkte untersucht. Zum Teil existieren Datenbanken einzelner regulativer Details; diese sind jedoch nicht ausreichend, um die institutionelle Einbettung der Wohlfahrtsmärkte mit den vormals bestehenden Institutionen zu vergleichen. Da mit quantitativen Methoden die komplexen Zusammenhänge der Entstehung, des Wandels und der Unterschiede von Wohlfahrtsmärkten nur unzureichend untersucht werden können, werden für jedes Land (Deutschland, Schweden, USA) und Politikfeld (Renten, Bildung) vergleichende Fallstudien durchgeführt. In Kapitel 5 werden somit sechs vergleichende Fallstudien durchgeführt. Damit die Vergleichbarkeit der Fallstudien gegeben ist (vgl. Jensen/ Rodgers 2001), werden die Regulierungseigenschaften anhand von fünf Regulierungsdimensionen (Zugangsvoraussetzungen, Leistungsstruktur, Finanzierungsmechanismus, Verwaltung, Wahlfreiheit) kategorisiert, die in Kapitel 5.1 ausführlicher erläutert werden. In den Fallstudien selbst wird auf verschiedene qualitative Datenquellen zurückgegriffen. Neben einer ausführlichen Analyse der Sekundärliteratur werden als primäre Dokumente vor allem die Gesetzestexte auf die regulativen Details und Änderungen der Renten- und Bildungsmärkte hin untersucht. Außerdem werden Parlamentsprotokolle, Pressemitteilungen, Stellungnahmen von zentralen politischen Akteuren und weitere primäre Dokumente ausgewertet. WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 77 In dem vergleichenden Untersuchungsdesign wird ein besonderer empirischer Schwerpunkt auf die zwei schwedischen Fallstudien gelegt, weil hier die Sekundärliteratur und Dokumentenanalyse nur unzureichend Aufschluss über den politischen Prozess der Marktgründung lieferte. Deshalb wurden zusätzlich Experteninterviews durchgeführt und ausgewertet, um eine tiefenscharfe Analyse des politischen Prozesses zu ermöglichen (Gläser/Laudel 2004; Legard u.a. 2003). Es wurden 7 Leitfadeninterviews (persönlich und telefonisch) mit Politikern und Experten durchgeführt, die maßgeblich an den Marktgründungen in Schweden beteiligt waren. Zusätzlich stehen Interviews mit schwedischen Rentenexperten für eine Sekundäranalyse zur Verfügung (Loxbo 2007).36 Aufgrund dieser zusätzlichen Primärerhebung in Schweden kann in einigen Aspekten ein detaillierteres Bild der Reformprozesse gezeichnet werden als in den Sekundäranalysen allein. Allerdings fußen die Sekundäranalysen in Deutschland und den USA auf ausführlichen Quellenstudien, sodass sie den schwedischen Fallstudien nicht nachstehen. Zusammen ergeben alle drei Länderstudien ein umfassendes Bild der Regulierung und Reformprozesse von Renten- und Bildungsmärkten. Da das Hauptforschungsinteresse dieser Studie der Vergleich von Wohlfahrtsmärkten ist, werden die Ergebnisse der Fallstudien in Kapitel 6 durch drei Vergleichsperspektiven (historischer Vergleich, Länder- und Politikfeldvergleich) zusammengefasst. Im folgenden Abschnitt wird nun erläutert, welche Erklärungsansätze in den Fallstudien schwerpunktmäßig untersucht werden. —————— 36 In einigen Fallstudien zur Vermarktlichung der Renten- bzw. Bildungspolitik wurden bereits ausführliche Experteninterviews mit zentralen politischen Akteuren geführt (Berner 2009; Klitgaard 2007a; 2008; 2010; Loxbo 2007; Marier 2008) Von diesen konnte ich Loxbos Interviews einer Sekundäranlyse unterziehen (s. Tabelle 20). Ergänzend dazu habe ich drei entscheidende Personen des Rentennetzwerks interviewt, die Loxbo seinerzeit nicht erreichen konnte. Da die schwedischen Bildungsexperten bisher noch nicht interviewt wurden, beinhalten die Analysen dieses Datenmaterials originellere und detailliertere Ergebnisse als die ausschließlichen Sekundäranalysen. 78 3.3 WOHLFAHRTSMÄRKTE Erklärungsansätze zur Entstehung und Varianz von Wohlfahrtsmärkten Sozialpolitische Theorien setzen sich mit drei Hauptfragen auseinander (vgl. Köppe u.a. 2008): Wie entstehen Sozialprogramme, wie verändern sie sich und warum unterscheiden sie sich? Einige theoretische Ansätze zielen darauf ab, alle drei Aspekte von Entstehung, Wandel und Varianz der Sozialprogramme zu erklären, wohingegen andere Ansätze nur für einen Aspekt besonders aussagekräftig sind. Im Endeffekt können vier Theorieströmungen unterschieden werden (Amenta 2003; Castles u.a. 2010; Lessenich 2000; Myles/Quadagno 2002; Schmidt u.a. 2007; Schneider/ Janning 2006; Skocpol/Amenta 1986; Starke 2006): Erstens betonen funktionale Ansätze sozioökonomische Faktoren von Gesellschaften wie Wirtschaftskraft, demografischen Wandel, Erwerbsquoten, öffentliches Defizit usw. als Antriebskräfte der Sozialpolitik. Basierend auf dem Literaturüberblick erscheinen diese Theorien besonders erklärungskräftig bei Fragen zur Entstehung und zum Wandel von Sozialprogrammen, ihre Erklärungskraft sinkt gemeinhin in Bezug auf das Beharrungsvermögen und die Varianz von Wohlfahrtsstaaten (Flora 1986; Wilensky 1975; 2002). Zweitens versuchen akteurszentrierte Ansätze, anhand der relativen Machtpositionen von Parteien, Interessenverbänden (Wirtschaft, Gewerkschaften), Kirchen, sozialen Bewegungen oder einzelnen Individuen alle drei Aspekte zu erklären. Verschiedene Studien haben ihre Erklärungskraft sowohl zur Entstehung, als auch zum Wandel sowie zur Varianz von Sozialprogrammen und Wohlfahrtsstaaten erhärtet (Allan/Scruggs 2004; Anderson/Meyer 2003; Castles/Obinger 2007; Iversen 2001; Kitschelt 2001; Korpi 1983; Korpi/Palme 2003; Swenson 2004; van Kersbergen 1995). Drittens untersuchen institutionelle Ansätze den Einfluss von Regeln und Organisationen auf die Sozialpolitik. Ein Strang der Forschung konzentriert sich auf die bestehenden sozialpolitischen Institutionen, diese Ansätze haben in verschiedenen empirischen Studien besonders die Stabilität und fortdauernde Varianz von Sozialprogrammen untermauert. Regeln und Organisationen stabilisieren tendenziell eine politische Ordnung, wobei positive Rückkopplungseffekte den Stabilisierungseffekt im Zeitverlauf noch verstärken (Hacker/Pierson 2002; Pierson 1994; 2000; Streeck/ Thelen 2005b). Ein anderer Strang institutioneller Ansätze berücksichtigt WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 79 den Einfluss politischer Institutionen – wie Regierungssysteme, Vetospieler, die territoriale Gliederung oder das Wahlsystem – auf Sozialprogramme. Diese Theorieschulen untersuchen wie politische Institutionen sozialpolitischen Wandel erleichtern oder verhindern. Beispielsweise konnten empirische Studien zeigen, dass ein föderales Regierungssystem die Einführung von nationalen Sozialprogrammen eher verhindert, wohingegen ein Mehrheitswahlsystem einschneidende sozialpolitische Reformen befördert (Immergut 1990; Obinger u.a. 2005b; Weir u.a. 1988). Und viertens berücksichtigen ideelle Ansätze Normwandel und Ideentransfer als treibende Kräfte hinter sozialpolitischem Wandel. Ideen existieren jedoch nicht im freien Raum, sondern werden von Akteuren verfolgt oder sind institutionell verankert, weshalb sie häufig mit institutionellen und akteurszentrierten Ansätzen kombiniert werden. Ideelle Ansätze können je nach Fokus Entstehung, Wandel, Stabilität und Varianz erklären, ihre Stärke liegt insbesondere in der Erklärung von Einstellungswandel gegenüber sozialpolitischen Programmen (Béland 2005a; 2006; Béland/Shinkawa 2007; Blyth 2002; Fraser 1990; Kildal/Kuhnle 2005; Quinn 2008; Steensland 2006; Taylor-Gooby 2005; Weyland 2008). All diesen theoretischen Ansätzen ist gemein, dass sie sich meist auf wohlfahrtsstaatliche Programme beziehen. Eine wachsende Anzahl von Studien haben diese Theorien auf private Sozialprogramme oder Wohlfahrtsmärkte übertragen (vgl. Béland/Gran 2008a), dennoch hat sich noch kein vergleichbarer Theoriekanon wie bei der Wohlfahrtsstaatsforschung herausgebildet, der die Entstehung, den Wandel und die Varianz von Wohlfahrtsmärkten erklärt. Deshalb werden die existierenden sozialpolitischen Theorieschulen aufgegriffen, müssen aber auf den Kontext der Wohlfahrtsmärkte angepasst werden, weil die zugrunde liegenden politischen Mechanismen teilweise konträr zu denen staatlicher Sozialpolitik verlaufen. Mit der vergleichenden Methode können nicht alle möglichen Einflussfaktoren berücksichtigt werden, die aus der (Sozial-) Politikforschung bekannt sind, weshalb in die empirische Analyse lediglich die wesentlichen Variablen einbezogen werden (vgl. Lijphart 1971). Bei der Analyse bin ich zunächst offen an das empirische Material herangegangen und habe theoretische Ansätze existierender Fallstudien herangezogen (u.a. Apple 2006; Berner 2009; Busemeyer 2006a; Hacker 2002; Helgøy 2006; Klitgaard 2007a; 2007b; 2008; 2009; Loxbo 2007; 2008; Lundberg 2003; Marier 2008; Vergari 2007). Dabei bin ich explorativ vorgegangen und habe die Ergeb- 80 WOHLFAHRTSMÄRKTE nisse auf verschiedene Erklärungsansätze hin untersucht. Aufgrund des diverse case designs wurden in den untersuchten Fällen zum Teil höchst unterschiedliche und widersprüchliche Erklärungen für die Entstehung, den Wandel und die regulative Einbettung gefunden. Bedingt durch die Auswahl des empirischen Materials und der Untersuchungsmethoden konnte weder eine umfassende Diskursanalyse wie bei ideellen Forschungsansätzen noch eine umfangreiche Analyse der sozioökonomischen Einflussfaktoren erfolgen. Außerdem sind funktionale Einflussfaktoren wie Staatsdefizit, Wirtschaftswachstum oder Altersquotienten eher in quantitativen Forschungsdesigns überprüfbar. In Interviews können Akteure zwar auf diese internen und externen Einflussfaktoren verweisen, aber es ist letztlich ihre Interpretation der Sachlage. Ebenso verhält es sich mit ideologischen Determinanten wie öffentlichen Diskursen und normativen Zuschreibungen. In dieser Arbeit werden zwar öffentlich verfügbare Quellen einer Sekundäranalyse unterzogen, aber nicht mit dem Ziel, den kompletten öffentlichen Diskurs darzustellen. Es geht darum, selektiv anhand der wichtigsten Dokumente die Positionen und Handlungen der Akteure nachzuvollziehen. Die verwendete Methodik lässt nur wenige Rückschlüsse auf funktionale und ideologische Determinanten zu, dennoch werden sie soweit wie möglich als Kontextfaktoren in der Analyse berücksichtigt. Folglich verengte sich der analytische Fokus auf institutionelle und akteurszentrierte Einflussfaktoren, ohne funktionelle oder ideelle Erklärungsansätze gänzlich zu verwerfen. Basierend auf dieser Konzentration auf Akteure und Institutionen erwies sich Neil Fligsteins Ansatz zur Erklärung von Marktgründungen und reformen als hilfreicher Theorierahmen, um die verschiedenen Einflussfaktoren in ein kohärenteres theoretisches Konzept zu integrieren (Fligstein 1996; 2001). Zudem bietet Fligsteins Ansatz verschiedene Anknüpfungspunkte für etablierte Theorien der Wohlfahrtsstaatsforschung. Im Folgenden wird nun Fligsteins Ansatz auf die Entstehung und regulative Einbettung von Wohlfahrtsmärkten übertragen. Dabei wird ausführlicher die Rolle von Akteuren und Institutionen diskutiert. Fligsteins politisch-institutionelle Einbettung Fligsteins Ansatz zur Erklärung von Marktgründungen und -wandel kombiniert akteurszentrierte und institutionelle Ansätze miteinander (Fligstein 1996; 2001). Als Vertreter der Marktsoziologie gehört sein Ansatz nicht WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 81 zum sozialpolitischen Theoriekanon, dennoch kann gerade damit eine Brücke zwischen Ökonomie, Soziologie und Politikwissenschaft geschlagen werden. Fligsteins Ansatz weist einige Ähnlichkeit zum akteurszentrierten Institutionalismus auf (Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 2000), der auch die Akteurskonstellationen und institutionellen Rahmenbedingungen als zentrale Determinanten von Politikgestaltung hervorhebt. Allerdings ist der akteurszentrierte Institutionalismus in Bezug auf die konkreten politischen Mechanismen im Rahmen von Marktregulierung relativ unspezifisch. Fligstein hingegen benennt sehr genau die Motive und Handlungsspielräume von Marktakteuren im Hinblick auf die politische Regulierung. Vor allem die Entstehung und der Wandel von Märkten werden explizit in mehreren Thesen ausgeführt und empirisch untermauert. Fligsteins Hypothesen können im Gegensatz zu Scharpfs relativ unspezifischem Ansatz konkret auf das Feld der Wohlfahrtsmärkte übertragen werden und erheblich zur Erklärung der politischen Regulierung beitragen. Bei der Marktgründung hebt Fligstein die richtungsweisende Rolle von politischen Akteuren, insbesondere der Regierung hervor (2001: 38): »Most market institutions were the outcome of political struggles whereby one group of capitalists captured government and created rules to favor themselves over their political opponents«. Marktinstitutionen sind deshalb abhängig von (1) der staatlichen Leistungsfähigkeit zu intervenieren, zu regulieren und zu moderieren und (2) der relativen Macht sozialer Gruppierungen, ihre Interessen in politisches Handeln umzusetzen (Fligstein 2001: 42–44). Märkte sind keine rein funktionalen Strukturen zum Warenaustausch, sondern politisch geformte Institutionen, die politische Konflikte der Vergangenheit widerspiegeln. Die Regeln des Marktes sind demnach ein System von politischer Macht, denn Allianzen von Firmen, Arbeitnehmern und staatlichen Vertretern versuchen, durch die Gestaltung der Marktregeln ihre Interessen durchzusetzen. Einmal konstituiert, stabilisieren die Regeln den Markt und die Machtverhältnisse. Folglich wird Marktwandel maßgeblich von den formellen und informellen Institutionen bestimmt, die auch die Konstituierung neuer Märkte beeinflussen: »Initial formation of policy domains and the rules they create affecting property rights, governance structures, and rules of exchange shape the development of new markets because they produce cultural templates that determine how to organize in a given society. The initial configurations of institutions and the balance of power 82 WOHLFAHRTSMÄRKTE between government officials, capitalists, and workers at that moment account for the persistence of, and differences between, national capitalisms« (Fligstein 2001: 40). Dieser stabilisierenden Effekt von Institutionen wurde auch für staatliche Sozialprogramme festgestellt (Pierson 1994; 2000). Auf Wohlfahrtsmärkte übertragen bedeutet das, dass einmal gegründete Marktinstitutionen die Machtkonstellation der Gründungsphase (eine sogenannte critical juncture) konservieren. Der institutionelle Rahmen entfaltet positive Rückkopplungseffekte (positive feedback), wodurch sich die Institutionen immer mehr verfestigen und dauerhaft etablieren. Allerdings konnten Streeck und Thelen (2005a) auch zeigen, wie inkrementelle institutionelle Änderungen zu weitreichenden Änderungen führten. Vor allem Wohlfahrtsmärkte konnten unter diesem inkrementellen Wandel wachsen. Streeck und Thelen (2005a) konnten fünf Mechanismen des inkrementellen Wandels identifizieren: – Verdrängung / displacement (untergeordnete Institutionen verdrängen langsam dominante Institutionen) – Überlagerung / layering (an bestehende Institutionen werden neue Elemente hinzugefügt, die allmählich deren grundsätzliche Struktur verändern) – Abweichung / drift (unterlassene institutionelle Modernisierung führt zu Abwanderung bzw. Untergrabung) – Umwidmung / conversion (neue Ziele werden mit alten Institutionen erreicht) – Erschöpfung / exhaustion (allmählicher Abbau der bestehenden Institution) Akteure können somit strategisch inkrementelle Marktreformen anstreben, um langfristig die staatlichen Institutionen zurückzudrängen. Beispielsweise kann eine private Rentenversicherung anfangs nur als Ergänzung zur staatlichen Vorsorge gedacht sein, sie verdrängt aber zusehends die dominante Vorgängerinstitution (displacement). Fligstein nimmt darüber hinaus an, dass existierende Institutionen als Vorlage neuer Institutionen dienen. »New markets borrow conceptions of control from nearby markets, particularly when firms from other markets choose to enter the new market« (2001: 78). Das Hauptziel ökonomischer Akteure (in seinem Sinne Unternehmen) sei es, möglichst stabile Märkte zu schaffen. Dominante Unternehmen wollen ihre Marktmacht erhalten und WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 83 etablieren mit den Institutionen des Marktes eine Wettbewerbskultur, die ihre herausgehobene Stellung zementiert. Akteure streben im Gegensatz zur Rational Choice Theorie nicht nach dem maximalen Profit, sondern wollen das Überleben ihrer Firma sichern (Fligstein 2001: 17).37 Überträgt man diese Annahme Fligsteins auf die Konstituierung von Wohlfahrtsmärkten, wäre zu erwarten, dass nicht nur existierende Märkte als Vorlage dienen, sondern auch existierende staatliche Programme. Sozialpolitische Akteure wie Beamte der Sozialverwaltung, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften wollen in den neuen Wohlfahrtsmärkten nicht an Einfluss verlieren und wären darauf erpicht, Anleihen bei den Institutionen zu nehmen, die ihnen bisher eine Machtposition gesichert haben. Ebenso wären die Marktakteure in benachbarten Märkten (z.B. Privatschulen) darauf bedacht, ihre Position in den neuen Wohlfahrtsmärkten (z.B. Schulgutscheine) von vornherein zu behaupten. Der Begriff Einbettung wird in Fligsteins Ansatz sehr weit verwendet. Als Vertreter der Marktsoziologie fußt Fligsteins Einbettungsbegriff auf der Annahme, dass alle Märkte soziale Konstrukte sind, die in soziale Netzwerke, Normen und Institutionen eingebettet werden (vgl. u.a. Beckert u.a. 2007; Ebner/Beck 2008; Granovetter 1985; Polanyi 1957 [1944]; Smelser/Swedberg 2005). Im Weiteren verwende ich hier ein enges Verständnis von institutioneller Einbettung (vgl. Deutschmann 2008). Unter Einbettung sollen strukturelle Gemeinsamkeiten von Institutionen verstanden werden. Werden Wohlfahrtsmärkte nach dem Vorbild von benachbarten Institutionen, das heißt staatlichen Sozialprogrammen oder privaten Gütermärkten, gegründet, sind sie strukturell eingebettet. Bestehen dagegen erhebliche Neuerungen und Abweichungen zum vorherigen institutionellen Arrangement liegt keine Einbettung vor. Konzeptionell besteht eine Nähe zu Pfadabhängigkeiten (Mahoney 2000; Pierson 2003), allerdings wird in diesen Theorien die institutionelle Kontinuität bestehender Organisationen und Regeln betont. Im Gegensatz dazu können im Rahmen von institutioneller Einbettung neue Organisationen und Regeln entstehen; diese beziehen sich jedoch auf die Vorgängerinstitutionen oder Nachbarinstitutionen und gleichen diesen. Kontinuität besteht also auf inhaltlicher Ebene und zu geringerem Ausmaß auf organisatorischer Ebene. In dieser Studie soll vor allem die institutionelle —————— 37 Hier bezieht sich Fligstein auf Theorien zur Populationsökologie, die Wettbewerb als den Überlebenskampf von Organisationen beschreiben (Beck 2008; Hannan/Freeman 1977). 84 WOHLFAHRTSMÄRKTE Einbettung qualitativ aufgezeigt werden. Detaillierte Vergleiche der existierenden Vorgängerinstitutionen mit den neugegründeten Marktinstitutionen sollen strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufdecken. Dabei geht es weniger darum, eine Quantifizierung oder Bestimmung von Graden der Einbettung, sondern darum, die zugrunde liegenden politischen und institutionellen Prozesse herauszuarbeiten, die dazu führen, dass bestimmte institutionelle Eigenheiten auf neue Institutionen übertragen werden oder warum es zu Abweichungen und Innovationen kommt. Trotz des qualitativen Ansatzes, werden sich aus dem Vergleich relative Schlussfolgerungen wie »erscheint stärker eingebettet als …« ergeben. Hauptsächlich dient der Vergleich aber dazu, prinzipielle Unterschiede der Marktregulierung zu untersuchen und herauszufinden, wie die Einbettung in den jeweiligen Wohlfahrtsregimen erfolgt. Mithilfe von Fligsteins Ansatz können somit Marktgründung und Marktwandel und die Einbettung der Wohlfahrtsmärkte in das bestehende Wohlfahrtsregime erklärt werden. Zusammenfassend können aufgrund dieser Überlegungen zwei, bereits in der Einleitung erwähnte, Grundannahmen abgeleitet werden. Grundannahme drei besagt: 3. Die Regulierung von Wohlfahrtsmärkten bedient sich benachbarter Institutionen als Vorbilder wie staatliche Sozialprogramme und ähnliche Güter- und Dienstleistungsmärkte. Vor allem dominante Akteure aus dem benachbarten Sozialpolitik- und Marktumfeld haben ein Interesse, die existierenden Regulierungseigenschaften auf die neuen Wohlfahrtsmärkte zu übertragen und werden ihre politischen Einflusskanäle nutzen, um die Wohlfahrtsmärkte nach ihren Präferenzen zu formen. Insgesamt trägt diese Tendenz zu einer Kontinuität der nationalen Regulierungseigenschaften bei. Dadurch gilt Grundannahme zwei nicht nur für das Marktvolumen sondern auch für die Regulierungseigenschaften: 2. Wesentliche Unterschiede der Wohlfahrtsregime bleiben auch bei der Regulierung der Wohlfahrtsmärkte erhalten, weil sie in die bestehenden Institutionen eingebettet werden. Anhand der in Kapitel 5.1 konkretisierten Regulierungsdimensionen Zugang, Leistungsstruktur, Finanzierung, Verwaltung und Wahlfreiheit bedeutet das für die drei untersuchten Wohlfahrtsregime Folgendes. In liberalen Wohlfahrtsregimen wie den Vereinigten Staaten wäre zu erwarten, dass Statusunterschiede beibehalten werden und der Zugang häufig nach WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 85 Bedürftigkeit geregelt wird. Leistungen sind somit einerseits bedarfsgeprüft für niedrige Einkommensschichten und einkommensbezogen für die restliche Bevölkerung. Liberale Wohlfahrtsmärkte würden stark von Steuererleichterungen abhängen oder bei Bedarfsprüfung auch direkte Steuerzuschüsse enthalten. Die Verwaltung wird soweit wie möglich privaten Agenturen und Konzernen übertragen, zum Teil auf gliedstaatlicher Ebene. Bei der Wahlfreiheit sind viele Wahloptionen zu erwarten mit einem hohen Grad an Freiwilligkeit, lediglich einige zusätzliche Verbraucherrechte würden implementiert. Im Rentenbereich beträfe das zum Beispiel Übertragungsrechte oder Schutz vor Insolvenz. Außerdem wären weiche Elemente der Verbrauchersteuerung zu erwarten, die auf dem Konzept des »libertären Paternalismus« (Thaler/Sunstein 2009) beruhen (z.B. automaticenrolment). In Deutschland als konservatives Wohlfahrtsregime wäre zu erwarten, dass ebenfalls Statusunterschiede auf die Wohlfahrtsmärkte übertragen werden, allerdings ohne die starke Bedarfsprüfung liberaler Wohlfahrtsmärkte. Leistungen wären stark einkommensbezogen oder würden andere »soziale Beiträge« wie Familienpflege bei der Leistungsberechnung anerkennen. Die Finanzierung konservativer Wohlfahrtsmärkte würde sowohl auf individuellen Beiträgen als auch Steuerzuschüssen fußen. Steuerzuschüsse würden eher an Organisationen ausgezahlt oder besondere Bedarfe berücksichtigen als Individuen über Steuererleichterungen zu finanzieren. In der Verwaltung sollten Dritte-Sektor-Anbieter oder parastaatliche Selbstverwaltung dominieren, aber nur wenn diese Verwaltungsmodi bereits existieren. Sollten private oder staatliche Vorbilder im Politikfeld vorliegen, können sie auch auf die konservativen Wohlfahrtsmärkte übertragen werden. Wahlfreiheit bezieht sich im konservativen Regime traditionell eher auf Ausstiegsoptionen (vgl. Subsidiaritätsprinzip). Dennoch ist eine größere Wahlfreiheit im Rahmen von Wohlfahrtsmärkten zu erwarten, die aber stärker eingeschränkt wird als im liberalen Regime. Beispielsweise wäre zu erwarten, dass einige Risiken der Wahlfreiheit abgefedert werden. Aufgrund der geringen Erfahrung mit Wahlfreiheit im konservativen Regime, sind hier besonders innovative Ansätze zu erwarten. Wohlfahrtsmärkte im sozialdemokratischen Regime – und besonders im schwedischen Modell – basieren auf einem hohen Universalismus, der allen Einwohnern einen Zugang zu den Märkten ermöglicht. Entweder sind die Wohlfahrtsmärkte obligatorisch oder es gibt kaum Zugangshürden. Leistungen sind generös und bieten eine hohe Qualität. Vermut- 86 WOHLFAHRTSMÄRKTE lich sogar über dem staatlichen Niveau, wenn die Märkte eine Ergänzung zu staatlichen Programmen sind (z.B. Rente). Je nach Politikfeld ist entweder ein ausschließliche Steuerfinanzierung zu erwarten, um jegliche Segregation zu verhindern; oder es gibt nur geringe staatliche Zuschüsse, weil die Märkte ohnehin obligatorisch sind beziehungsweise lediglich als Ergänzung für Besserverdienende gedacht sind. Staatliche Behörden bleiben die zentralen Verwaltungsinstanzen, private Akteure werden nur zugelassen, wenn eine starke öffentliche Kontrolle möglich bleibt. Wie im konservativen Regime bestehen keine institutionellen Vorbilder für Wahlfreiheit. In Anlehnung an den »libertären Paternalismus« (s.o.), der Freiheiten vorsichtig einschränkt, wären aber die Vorzeichen in einem »sozialdemokratischen Paternalismus« umgekehrt. Grundsätzlich ist die Wahlfreiheit eingeschränkt und wird nur innerhalb eines staatlich kontrollierten Settings ermöglicht. Beispielsweise ist die Teilnahme am Markt obligatorisch, innerhalb des Marktes bestehen dann aber viele Wahloptionen (Opt-within). Außerdem bestehen in jedem Markt öffentliche Standardoptionen, die alle auffangen, die keine Wahl treffen. Diese Grundannahmen postulieren relativ allgemeine Zusammenhänge von Akteuren und Institutionen bei der Marktgründung und weitergehenden Reformen. In den folgenden Abschnitten werden die Zusammenhänge spezifiziert und diskutiert, welche dominanten Akteure und welche politischen Institutionen die Marktgründung und Regulierung von Wohlfahrtsmärkten prägen. Akteure Die bisherige Forschung untersuchte vor allem, welche Akteure Märkte präferieren. Theoretische Modelle der Akteurspräferenzen zur Marktregulierung fehlen überwiegend noch und werden im Folgenden deduktiv aus der theoretischen Literatur hergeleitet. Wichtige Akteure bei der Gründung von Wohlfahrtsmärkten sind Parteien, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Beamte und Interessenverbände. Beginnend mit den politischen Parteien ist die Grundannahme der Parteiendifferenztheorie (Hibbs 1977), dass bürgerliche Parteien Märkte präferieren, wohingegen linke Parteien Märkte grundsätzlich ablehnen. Die Forschungsergebnisse in Bezug auf die Einführung von Wohlfahrtsmärkten sind jedoch nicht so eindeutig. Zwar kann bestätigt werden, dass WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 87 konservative Parteien überwiegend die Einführung von Wohlfahrtsmärkten anstoßen (Apple 2006; Coulsen 1999; Hacker 2002; Howard 1993; Wolf 2009; Wolf/Zohlnhöfer 2009), aber auch sozialdemokratische Parteien haben Wohlfahrtsmärkte eingeführt (Anderson u.a. 2008; GreenPedersen 2003; Klitgaard 2007b; Schmidt 2003). Nach der Nixon-goes-to-China Logik können nur Parteien glaubhaft weitreichende Reformen erfolgreich durchführen, die ihren Kernpräferenzen widersprechen. Entsprechend dieser Logik sind Sozialdemokraten die einzigen Parteien, die glaubhaft Wohlfahrtsmärkte einführen können (Cukierman/Tommasi 1998; Green-Pedersen 2003; Kitschelt 2001; Ross 2000; Starke 2006: 108). Nur die Sozialdemokraten können demnach einen externen Reformdruck glaubhaft kommunizieren, weil sie ideologisch Märkten gegenüber skeptisch eingestellt sind. Gingrich (2011) argumentiert weiterhin, dass linke Parteien unter bestimmten Rahmenbedingungen Märkte als second-best-Option präferieren. Sie stimmen der Einführung von Wohlfahrtsmärkten zu, wenn sie ihr Ziel nach mehr sozialer Sicherung im Rahmen des Wohlfahrtsstaates nicht erreichen können. Obwohl Sozialdemokraten also unter bestimmten Umständen für die Einführung von Wohlfahrtsmärkten stimmen, präferieren sie immer eine strenge Regulierung der Märkte nach dem Vorbild öffentlicher Sozialprogramme. Wenn linke Parteien also Wohlfahrtsmärkte einführen, sind die Marktmechanismen auf ein Minimum begrenzt. In diesem Kontext gilt es, auch die Positionen von christdemokratischen und grünen Parteien zu untersuchen, denn auch ihre Präferenzen gegenüber staatlichen Sozialprogrammen sind ambivalenter als ein einfaches Rechts-Links-Schema nahelegen würde (vgl. Egle u.a. 2003; SeeleibKaiser 2002b; van Kersbergen 1995; van Kersbergen/Manow 2009). Christdemokraten lehnen zwar tendenziell Märkte mit profitorientierten Anbietern ab, befürworten aber dritte Sektor Anbieter, vor allem christliche gemeinwohlorientierte Organisationen. Insbesondere christliche Privatschulen werden von christdemokratischen Parteien unterstützt. Auch grüne Parteien unterstützen zum Teil Privatschulen, wenn dadurch reformpädagogische Alternativen im Schulsystem gefördert werden. Zusammengenommen befürworten nur liberale und säkular-konservative Parteien Wohlfahrtsmärkte. Allerdings führen auch linke oder christlich-konservative Parteien Wohlfahrtsmärkte ein, wenn sie damit andere Ziele wie die Verteidigung eines öffentlichen Sozialprogramms oder christliche Pluralität an Schulen erreichen können. Diese eher marktkritischen 88 WOHLFAHRTSMÄRKTE Parteien versuchen Marktmechanismen einzugrenzen und die Marktregulierung nach ihren Präferenzen zu gestalten, wenn sie schon eine Marktgründung nicht verhindern können. Zu erwarten wäre, dass Sozialdemokraten universelle Wohlfahrtsmärkte nach dem Vorbild eines sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates präferieren. Christdemokraten akzeptieren Wohlfahrtsmärkte, die Statusunterschiede beibehalten, das Subsidiaritätsprinzip stärken und eine religiöse Pluralität der Anbieter ermöglichen. Grüne Parteien würden Wohlfahrtsmärkte zustimmen, die ähnlich wie universelle sozialdemokratische Sozialprogramme organisiert sind, ohne aber einen starken Zentralstaat zu präferieren. Individuelle Autonomie und die Stärkung von Graswurzelbewegungen innerhalb des Marktes wäre ein grünes Anliegen, ebenso wie die Stärkung von Verbraucherrechten (Lamla 2008). Da die bisherige Forschung noch wenig zu den genauen Regulierungspräferenzen der Parteien beigetragen hat, wird in den Fallstudien ein besonderes Augenmerk auf die parteipolitischen Differenzen in Bezug auf die Markteigenschaften gelegt. Jenseits des Regierungsapparates können insbesondere Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände einflussreiche Akteure sein. Laut dem Machtressourcenansatz haben Gewerkschaften eine Präferenz für staatliche Sozialprogramme. Demnach verhindert ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad die Einführung von Wohlfahrtsmärkten (Korpi 1983; Starke 2006: 108). Insbesondere wenn die Vermarktlichung nur einen Teil der Beschäftigen betrifft (z.B. Lehrer an öffentlichen Schulen), ist ein starker Widerstand der Spezialgewerkschaften zu erwarten (so bei der American Federation of Teachers (AFT), Busemeyer 2006a: 123). Allerdings trifft das nicht auf alle Gewerkschaftsbewegungen zu, denn sie können ihren betrieblichen Einfluss stärken, wenn betriebliche Sozialleistungen und Ausbildungsgänge eingeführt werden (Berner 2009; Harrysson 2000; Trampusch 2008). Je nach den (sozial-)politischen Rahmenbedingen befürworten Gewerkschaften beispielsweise Betriebsrenten mit geringen Marktmechanismen, weil sie dadurch mehr direkten politischen Einfluss erlangen (Hacker 2002; Swenson 2004). Gewerkschaften lehnen private Rentenversicherungen tendenziell ab, aber im Rahmen von Verhandlungen mit Regierungsparteien (package deals) sind sie zu Zugeständnissen bereit, wenn andere gewerkschaftliche Kernforderungen erfüllt werden (Anderson/Meyer 2003). Gewerkschaften verfolgen aber auch Partikularinteressen und können Marktmechanismen begrüßen, wenn ihre Kernklientel (z.B. männliche Arbeitnehmer) davon profitiert (Anderson/Meyer 2003). WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 89 Folglich sind Gewerkschaften zwar grundsätzlich gegen die Einführung von Wohlfahrtsmärkten, befürworten aber unter bestimmten Umständen betriebliche oder private Sozialprogramme, wenn sie nur auf diesem Weg ihre Kernforderung nach adäquater sozialer Sicherung der Beschäftigten erreichen können (vgl. Berner 2008; Trampusch 2004; Wiß 2011). Im Gegensatz zu den Gewerkschaften präferieren Arbeitgebervertreter tendenziell betriebliche und private Sozialprogramme über staatlichen Lösungen. Bei privaten Sozialprogrammen fallen gemeinhin geringere obligatorische Sozialbeiträge für Arbeitgeber an und der staatliche Einfluss bleibt gering (Hacker/Pierson 2002). Allerdings ist auch hier das empirische Bild nicht einheitlich und Arbeitgeber befürworteten staatliche Sozialprogramme, wenn es ihnen opportun erscheint (Hacker/Pierson 2004; Swenson 2004). Folglich würden Arbeitgeber eine Marktregulierung präferieren, die Finanzierungsverantwortung und potenzielle Risiken der Gemeinschaft oder Arbeitnehmern aufbürdet. Die konkreten Marktmechanismen sind vermutlich eher zweitrangig, weil Arbeitgeber davon nicht betroffen sind. Schließlich sind jene Interessengruppen hervorzuheben, die direkt entweder als Leistungserbringer oder als Nutzer der Sozialleistungen in der Politikformulierung beteiligt sind. Dazu zählen Beamte, Unternehmen, Versicherte und Eltern von Schülern. Beamte von Sozialbehörden verteidigen im Regelfall ihre öffentliche Organisation und versuchen, eine Vermarktlichung zu unterbinden, weil sie einen geringeren Einfluss ihrer Behörde fürchten (Marier 2005; Schulze/Jochem 2007). Glennerster und Le Grand (1995) zeigen jedoch, dass Spitzenbeamte von einer Vermarktlichung profitieren können. Da gemeinhin Regulierungsbehörden mit der Einführung von Wohlfahrtsmärkten gegründet werden, behalten hochqualifizierte Spitzenbeamte weiterhin starken Einfluss in dem Politikfeld, wohingegen die Mitarbeiter mit Kundenkontakt ihren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst verlieren. Öffentlich Beschäftigte sind also nicht per se gegen eine Vermarktlichung und können auch für die Einführung von Wohlfahrtsmärkten eintreten. Alle Branchen die in benachbarten Märkten aktiv sind, profitieren von einer Vermarktlichung vormals staatlicher Sozialprogramme. Wenn bereits ein starker Wohlfahrtsmarkt besteht, wehren sich diese Branchen gegen eine zu starke staatliche Intervention, wenn sie befürchten ihre Geschäftsgrundlage sei bedroht (vgl. Fligstein 2001). Beispielsweise begrüßt grundsätzlich die Finanzbranche die Einführung und öffentliche Förderung von 90 WOHLFAHRTSMÄRKTE privaten Rentenversicherungen (Kemmerling/Neugart 2009; Wehlau 2009). Die verschiedenen Akteure der Finanzbranche versuchen dabei, die politische Entscheidung so zu beeinflussen, dass eine ihnen vorteilhafte Marktregulierung implementiert wird. Beispielsweise präferiert die Versicherungsbranche eine Regulierung der Rentenmärkte, die Versicherungen gegenüber Rentenfonds begünstigt (Wehlau 2009). Im Bildungsbereich sind derartige Lobbytätigkeiten von Privatschulen und Privatschulverbänden bisher nicht untersucht worden. Ebenso ist wenig über die Präferenzen und Lobbytätigkeit von Dritte-Sektor-Anbietern bekannt, die in Wohlfahrtsmärkten in Konkurrenz zu profitorientierten Anbietern treten (vgl. Möhring-Hesse 2008), allerdings ist zu vermuten, dass auch sie versuchen, die Marktregulierung nach ihren Präferenzen zu beeinflussen. Schließlich sind noch Kirchen und Elterninitiativen, als Befürworter von Privatschulen hervorzuheben. Empirische Untersuchungen in den USA und Deutschland haben vor allem den Einfluss von Kirchen und religiös motivierten Bürgerbewegungen auf die Finanzierung und Regulierung von Bildungsmärkten aufgezeigt (Apple 2006; Herbst 2006; Wolf 2009). Christliche Interessengruppen treten üblicherweise für starke Privatschulen ein, präferieren jedoch geringe staatliche Intervention in die Bildungsinhalte und wollen Wettbewerb mit profitorientierten säkularen Schulen vermeiden. Folglich sollen die Bildungsmärkte zwar Bildungsalternativen ermöglichen, jedoch möglichst wenige Marktmechanismen beinhalten. Die genannten Akteure werden in den Fallstudien besonders berücksichtigt. Ihre Präferenzen zur Einführung und Regulierung von Wohlfahrtsmärkten werden untersucht und miteinander verglichen. Insgesamt zeigte der Literüberblick, dass »sociopolitical actors with neoliberal orientations advocate for private policies« (Gran/Béland 2008: 273). Allerdings hängen der Einfluss und die Präferenzen der Akteure von den sozialpolitischen Rahmenbedingungen ab. Viele Akteure haben zwar eindeutige Kernpräferenzen für oder gegen marktförmige Sozialprogramme, sind aber bereit davon abzuweichen, wenn sie ihre Interessen mit beziehungsweise ohne Marktmechanismen eher erreichen können. In den Fallstudien werden diese unterschiedlichen Präferenzen und Rahmenbedingungen dargelegt. WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 91 Politische Institutionen Akteure sind in politische Institutionen eingebunden, die ihnen bestimmte Handlungsoptionen eröffnen oder Handlungsspielräume einschränken, wenn sie Wohlfahrtsmärkte gestalten. Wie eingangs erläutert, können die Theorien zur Entstehung von Wohlfahrtsstaaten zwar Hinweise geben, welche politischen Institutionen wichtig sind, allerdings ist anzunehmen, dass die politischen Institutionen auf die Einführung, Regulierung und den Wandel von Wohlfahrtsmärkten andere Wirkungen haben als wohlfahrtsstaatliche Programme. Basierend auf einem Literaturüberblick sind drei politische Institutionen im Kontext von Wohlfahrtsmärkten besonders relevant: Föderalismus, Referenden und Verfassungsgerichte. 1. Föderalismus. Föderale Strukturen verhindern tendenziell den Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen (Obinger u.a. 2005b), dennoch können die institutionellen Hürden mit Bypass-Strategien umgangen werden. In den USA entwickelte sich ein sozialpolitischer »Flickenteppich« und in Deutschland ein starker Parafiskus, wobei gerade letztere Bypass-Strategie zu hohen staatlichen sozialpolitischen Ausgabenniveaus führen kann (Obinger u.a. 2005a: 555). Föderale Strukturen würden demnach auch den Ausbau von Wohlfahrtsmärkten verhindern, weil die Länderkammern einschneidende Sozialreformen blockieren. Klitgaard (2008) argumentiert hingegen, dass föderale Strukturen auch Innovationen auf gliedstaatlicher Ebene ermöglichen. Im Falle der US-amerikanischen Schulgutscheine konnten so vereinzelt Bildungsmärkte eingeführt werden, allerdings erreichten sie nicht die erwünschte Reformdynamik und sind weiterhin selten. Föderale Strukturen erschweren tendenziell eine national einheitliche Marktregulierung, fehlende öffentliche Sozialprogramme aufgrund des Föderalismus begünstigen aber die Entstehung privater und marktförmiger Institutionen. Vereinzelt können aber föderale Strukturen die Einführung gliedstaatlicher Experimente mit marktförmigen Sozialprogrammen begünstigen, die bei lokalen Erfolgen auf das gesamte Land ausgedehnt werden. Sollten jedoch öffentliche Sozialprogramme existieren, wäre zu erwarten, dass föderale Strukturen eher zum Status quo beitragen und die Einführung von Wohlfahrtsmärkten verhindern. 2. Referenden. Als weitere institutionelle Hürde für eine expansive Sozialpolitik erweisen sich Formen der direkten Demokratie (Wagschal/Obinger 2000). In Staaten mit starken direktdemokratischen Elementen wurden 92 WOHLFAHRTSMÄRKTE wohlfahrtsstaatliche Programme spät eingeführt und kostenintensive Sozialprogramme häufig verhindert. In dem Untersuchungssample dieser Studie existieren nur auf der Ebene der US-Bundesstaaten substanzielle Formen von Direktdemokratie. Die wenigen empirischen Studien deuten darauf hin, dass in den USA durch fakultative Referenden die Einführung von Schulgutscheinen wiederholt verhindert wurde (Kenny 2005; Klitgaard 2008). Ein ähnlicher Effekt wäre in Deutschland zu vermuten, weil dort nach der Wiedervereinigung in allen Bundesländern Gesetze für Volksentscheide erlassen wurden (Ismayr 2003b), bisher wurden aber keine empirischen Studien durchgeführt, die diesen Zusammenhang untersucht haben.38 Zusammengenommen scheinen Referenden einen Status quo zu begünstigen, unabhängig davon, ob es um die Expansion staatlicher oder marktförmiger Sozialprogramme geht; Regulierungsunterschiede scheinen Referenden nicht zu beeinflussen. 3. Verfassungsgerichte. Schließlich sind noch Verfassungsgerichte als wichtige politische Institutionen hervorzuheben. Zunächst sind Verfassungsgerichte, die vor allem in Deutschland und den USA besonders stark sind (Ismayr 2003b; Shell 2004), Vetospieler gegen Reformvorhaben (vgl. Tsebelis 1995; 2002). Eine machtvolle Verfassungsgerichtsbarkeit kann somit potenziell sozialpolitische Reformen, inklusive der Einführung von Wohlfahrtsmärkten, verhindern.39 In den USA gibt es mehrere Evidenzen, dass durch die bundesstaatlichen und gliedstaatlichen Verfassungsgerichte die Einführung von Schulgutscheinen verhindert wurde (Kemerer 2002; Omand 2003). Über den Einfluss der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit auf die Gründung von Wohlfahrtsmärkten existieren keine empirischen Studien, ebenso wenig wie im Rentenbereich. Außerdem können Verfassungsgerichte existierende Regeln uminterpretieren und bestehende Marktregeln neu auslegen (s.o. conversion). Dieser Einfluss von Verfassungsgerichten ist bisher wenig untersucht und bedarf genauerer Untersuchung im Kontext von Wohlfahrtsmärkten. Wie deutlich wurde, beeinflussen die politischen Institutionen (Föderalismus, Referenden, Verfassungsgerichte) vor allem die erfolgreiche Einführung von Wohlfahrtsmärkten. Föderalismus, Referenden und Verfas- —————— 38 Die konsultativen Referenden in Schweden können nicht effektiv Gesetzesinitiativen verhindern (Jahn 2003). 39 Da in Schweden keine Verfassungsgerichtsbarkeit existiert, wird dieser Aspekt in den schwedischen Fallstudien nicht berücksichtigt (Jahn 2003: 120). WOHLFAHRTSMÄRKTE IM VERGLEICH 93 sungsgerichte erschweren überwiegend die Wohlfahrtsmarktgründung, auf die Regulierung der Märkte haben die politischen Institutionen jedoch kaum Einfluss. Die Regulierungseigenschaften der Wohlfahrtsmärkte werden, wie oben diskutiert, maßgeblich von den existierenden Institutionen und dominanten Akteuren geprägt. In diesem Kapitel wurden die Fallauswahl, das methodische Vorgehen und Theorien zur Entstehung und Wandel von Wohlfahrtsmärkten diskutiert. Insgesamt basierte die Fallauswahl überwiegend auf theoretischen Überlegungen und einer kritischen Studie der Literatur. Im weiteren Verlauf der Studie wird dieser analytische Rahmen angewendet. Einige Konzepte und Indikatoren werden dabei am Anfang jedes Kapitels ausführlicher vorgestellt als es hier erfolgte (Kapitel 4.1 und 5.1). In Kapitel 6 werden die Ergebnisse der empirischen Kapitel vergleichend diskutiert. 4 Expansion des Marktvolumens In diesem Kapitel wird die erste Frage dieser Arbeit untersucht: Sind Wohlfahrtsmärkte in den letzten zwei Dekaden gewachsen? Das Hauptaugenmerk liegt somit auf dem Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte. Dazu werden die Renten- und Bildungsmärkte separat analysiert. Die beiden Unterkapitel beginnen jeweils mit einem internationalen Vergleich von OECD-Ländern. Darauf folgen je detaillierte Fallstudien Deutschlands, Schwedens und den USA im historischen Vergleich. Zur Untersuchung werden die drei Dimensionen des Marktvolumens (Finanzierung, Produktion, Wahlfreiheit) zugrunde gelegt. Der analytische Schwerpunkt liegt auf der Finanzierung und Produktion der Wohlfahrtsmärkte, wobei zwei Indikatoren verwendet werden: die gesamtgesellschaftliche Relevanz und der Public-Private-Mix. Relevanz misst die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Wohlfahrtsmärkte, beispielsweise die Rentenbeiträge (Finanzierung) und Rentenrücklagen (Produktion) in Prozent des BIP. Daran wird abgelesen werden, wie wichtig die Wohlfahrtsmärkte in einem Land insgesamt sind. Der Public-Private-Mix gibt den jeweiligen privaten Anteil an der Finanzierung oder Produktion im Vergleich zu den staatlichen Aufwendungen an. Anders ausgedrückt wird damit die private und öffentliche Finanzierungsverantwortung und Arbeitsteilung erhoben. Alle diese Indikatoren werden sowohl international verglichen, um Unterschiede zwischen den Ländern herauszuarbeiten, als auch historisch ausgewertet, um Veränderungen des Marktvolumens aufzeigen zu können. Die einzelnen Indikatoren und Bezugsgrößen werden in den folgenden methodischen Überlegungen ausführlicher diskutiert und in den jeweiligen Kapiteln weiter konkretisiert. Dabei wird vor allem auf deskriptive Analysen des Datenmaterials zurückgegriffen, um das Marktvolumen und den Wandel aufzuzeigen. 96 WOHLFAHRTSMÄRKTE Diese systematische Untersuchung wird dreierlei belegen: Erstens zeigen die verwendeten Indikatoren, dass Wohlfahrtsmärkte sozialpolitisch relevant sind. Zweitens zeigt die historische Analyse, dass eine Verschiebung zu mehr Marktmechanismen stattgefunden und das Marktvolumen insgesamt zugenommen hat. Drittens zeigt der Vergleich erhebliche Unterschiede je nach Land, Politikfeld und verwendeten Indikatoren auf. Insbesondere die bisher nur theoretisch vermuteten Unterschiede zwischen Deutschland, Schweden und den USA werden empirisch belegt. Methodische Überlegungen Im Folgenden wird ausführlich die Konstruktion der Indikatoren dargestellt. Leser, die weniger an den detaillierten methodischen Überlegungen interessiert sind, können diesen Abschnitt überspringen und sogleich zu den Ergebnissen in den nächsten Kapiteln blättern. Die Datenlage über das Ausmaß und das Wachstum von Wohlfahrtsmärkten ist sowohl international als auch national sehr fragmentarisch und unzureichend.40 International vergleichbare Datenbanken wurden zwar in den letzten Jahren aufgebaut (Adema/Ladaique 2005; OECD 2008b; 2009b), sie weisen aber noch erhebliche Datenlücken auf. Es fehlen häufig Beobachtungszeitpunkte vor den 2000er Jahren, wichtige Länder sind nicht enthalten oder die Daten sind schlichtweg nicht reliabel und valide genug erhoben (beispielsweise Global Pension Statistics in OECD 2009a; Education Database in OECD 2009c). Nimmt man alle diese Einschränkungen zusammen, kann der Wandel von Wohlfahrtsmärkten mit OECDDaten also nur unzureichend dargestellt werden. Die verfügbaren OECDDaten sind dennoch geeignet, das aktuelle Ausmaß der Wohlfahrtsmärkte zu vergleichen und die drei Länder international zu verorten. Um den tatsächlichen Wandel genauer nachzuzeichnen, werden weniger vergleichbare, dafür aber zuverlässigere Daten der nationalen Statistikbehörden für den historischen Vergleich von Deutschland, Schweden und den USA herangezogen. Die Operationalisierung des Marktvolumens bezieht sich auf die bereits in der Definition der Wohlfahrtsmärkte erwähnten Dimension der Vermarktlichung (vgl. Kapitel 2: Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit). Demnach steigt das Wohlfahrtsmarktvolumen je höher der Anteil privater —————— 40 Eine der wenigen positiven Ausnahmen sind Burchardt (1997) und Smithies (2005), die den Public-Private-Mix von Großbritannien detailliert gemessen haben. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 97 Finanzierungsquellen, je mehr private Anbieter involviert sind und je mehr Wahlfreiheit die Marktteilnehmer besitzen. Basierend auf diesen Dimensionen der Vermarktlichung werden verschiedene Indikatoren zur Messung des Marktvolumens herangezogen. Das Marktvolumen wird, wie diese methodische Diskussion und die folgende Untersuchung in diesem Kapitel zeigt, jedoch hauptsächlich anhand der Finanzierung und Produktion gemessen und in den detaillierteren historischen Ländervergleichen noch um die Dimension der Wahlfreiheit ergänzt. Insbesondere die Finanzierungs- und Produktionsdimension sind relativ gut dokumentiert und bilden die Grundlage dieses Kapitels. Beispielsweise sind die (Renten-)Beiträge41, (Schul-)Gebühren und öffentliche Zuschüsse beziehungsweise Steuererleichterungen ideal als Indikatoren für die Finanzierung von Wohlfahrtsmärkten. Je höher beispielsweise die privaten Beiträge sind, desto höher wäre das Marktvolumen in der Finanzierungsdimension. Als typische Indikatoren für die Produktionsdimension im Rentenmarkt werden die gebildeten Rentenrücklagen, ausgezahlte Rentenleistungen, Anzahl der privat Versicherten, abgeschlossene Verträge usw. verwendet. Im Bildungsmarkt werden Indikatoren wie Anzahl der Privatschüler und Privatschulen ausgewertet. Bisher gibt es keine etablierten Indikatoren zur Wahlfreiheit die regelmäßig erhoben werden, daher erwies sich die Suche nach geeigneten Indikatoren als schwieriger, vor allem die Suche nach international einheitlich erhobenen Indikatoren. Die konkrete Messung der Wahlfreiheit bezieht sich auf zwei Aspekte: Einerseits können die Wahloptionen erhoben werden. Zum Beispiel können Konsumenten eine Wahloption über den Markteintritt besitzen (freiwillige vs. obligatorische Teilhabe). Andererseits kann sich Wahlfreiheit auch auf das Wahlverhalten, also die tatsächlich praktizierte Wahl, beziehen. Indikatoren für diese Subkategorie von Wahlfreiheit sind beispielsweise die Wechselquoten von Produkten und Anbietern sowie die Austrittsquoten der Konsumenten aus der angebotenen Standardoption (z.B. Austritt aus der Betriebsrente). Grundsätzlich sind alle verwendeten Indikatoren unabhängig voneinander; beispielsweise kann ein hohes Marktvolumen in der Finanzierungsdimension festgestellt werden, aber ein niedriges bei der Produktions- —————— 41 Vgl. Fußnote 21. 98 WOHLFAHRTSMÄRKTE dimension, wodurch die untersuchten Märkten den verschiedenen Wohlfahrtsmarkttypen (Kapitel 2.2.4) zugeordnet werden können. Indikatoren der Finanzierungs- und Produktionsdimension Die Primärindikatoren anhand derer die Finanzierungs-, Produktions- und Wahlfreiheitsdimension untersucht werden, sagen in absoluten Zahlen wenig über das Marktvolumen aus. Erst wenn die Primärdaten, wie zum Beispiel die Anzahl der Privatschulen, in Relation zu wohlfahrtsstaatlichen, gesamtwirtschaftlichen und demografischen Bezugsgrößen gesetzt werden, wird ihre sozialpolitische Bedeutung anschaulich. Damit können dann aussagekräftige Vergleiche zwischen Ländern durchgeführt werden. Aus diesem Grund werden aus den primären Daten durch den Bezug zu ökonomischen und demografischen Rahmendaten sekundäre Indikatoren gebildet. Die Tabelle 3 illustriert die sozialpolitische Bedeutung der sekundären Indikatoren in Abhängigkeit von der Finanzierungs- und Produktionsdimension auf der einen Seite und der jeweiligen Bezugsgröße (PublicPrivate-Mix oder BIP/Pro-Kopf) auf der anderen Seite, wodurch entweder die Finanzierungsverantwortung, die Arbeitsteilung oder die Relevanz des Marktvolumens abgebildet wird (vgl. Tabelle 3): Public-PrivateBIP oder Mix (I) Population (II) Bezugsgröße Tabelle 3: Sozialpolitische Bedeutung der sekundären Indikatoren in Abhängigkeit von Bezugsgröße und Dimension des Marktvolumens (Finanzierung und Produktion) Finanzierungsdimension Finanzierungsverantwortung Beispiel: Anteil der privaten Rentenbeiträge an allen Rentenbeiträgen. Produktionsdimension Arbeitsteilung Beispiel: Anteil der Privatschulen an allen Schulen gesamtgesellschaftliche Relevanz Beispiele: Anteil der gesamten Rentenbeiträge am BIP, Anteil der Versicherten an der Bevölkerung, Investitionen in Schulen pro Kopf Quelle: eigene Darstellung Der Public-Private-Mix (I), das heißt der Anteil der privaten Beiträge oder Anbieter an der Gesamtanzahl der Beiträge oder Anbieter, weist eine EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 99 unterschiedliche sozialpolitische Bedeutung je nach Finanzierungs- und Produktionsdimension auf. Entweder kommt die Finanzierungsverantwortung (Finanzierungsdimension) oder die Arbeitsteilung (Produktionsdimension) zum Ausdruck. 1. Finanzierungsverantwortung. In Bezug auf die Finanzierungsdimension gibt der Anteil der privaten Beiträge an den Gesamtbeiträgen eines sozialpolitischen Politikfeldes wieder, wer die Finanzierungsverantwortung für die soziale Absicherung trägt. Sind staatliche oder andere öffentliche Träger die Hauptfinanzierungsquelle der Wohlfahrtsmärkte oder private Quellen, wie Haushalte und Unternehmen? Der private Anteil wird in der Finanzierungsdimension als Prozent der Gesamtbeiträge ausgedrückt und gibt somit den Public-Private-Mix an. Ein hoher Anteil privater Beiträge erhöht das Marktvolumen, weil durch die private Finanzierung eine marktförmige Verknüpfung zwischen den Beitragszahlern und der angebotenen Leistung entsteht. Detailliertere Differenzierungen werden im Rentenkapitel vorgenommen (öffentlich/betrieblich/individuell, Arbeitnehmer-/Arbeitgeberbeiträge). 2. Arbeitsteilung. In der Produktionsdimension wird mit dem Public-PrivateMix die Arbeitsteilung zwischen staatlichen und privaten Anbietern gemessen. Dargestellt wird die Arbeitsteilung beispielsweise als prozentualer Anteil der Privatschulen an der Gesamtproduktion, das heißt aller Schulen. Je höher der Anteil der privaten Anbieter, desto höher ist das Marktvolumen der Märkte. Der Anteil privater Anbieter wird gleichzeitig auch zur Maßzahl für den Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Anbietern, denn je höher der Anteil der privaten Anbieter ist, desto stärkeren Druck üben sie auf öffentliche Anbieter aus und desto größer ist somit ihr politischer Einfluss.42 3. Relevanz. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz eines Wohlfahrtsmarktes ergibt sich aus den primären Indikatoren des Marktvolumens —————— 42 Zusätzlich zu den Maßzahlen der Anbieter (Versicherungen, Schulen), der Produkte (Versicherungsverträge, Abschlüsse, etc.) und der Kunden (Versicherte, Schüler) können auch vereinzelt Ausgabendaten zur Messung der Arbeitsteilung herangezogen werden. Im Gegensatz zu Beiträgen sind Ausgaben ein Indikator für die Produktion der sozialen Güter, beispielsweise sind Rentenauszahlungen die eigentliche Leistung einer Versicherung. Deshalb sind Ausgaben der Produktionsdimension hinzuzurechnen, obwohl es ein monetärer Indikator ist, der fälschlicherweise der Finanzierungsdimension zugeordnet werden könnte. 100 WOHLFAHRTSMÄRKTE in Relation zum BIP oder zur Population, womit die relativen Finanzierungs- und Produktionsprioritäten pro Land verglichen werden können. Beispielsweise können die Bildungsausgaben in einem Land gesamtwirtschaftlich sehr relevant sein (hoher Anteil am BIP), wodurch das gesamte Marktvolumen in diesem Land größer wäre als in einem Land mit geringeren Bildungsausgaben. Andere sekundäre Indikatoren für die gesellschaftliche Relevanz sind Versichertenquoten (Anteil der öffentlich und privat Versicherten an der Bevölkerung) und der Anteil der gesamten Rentenbeiträge in Prozent des BIP. In diesem Kapitel wird die gesamtgesellschaftliche Relevanz meist nicht zwischen Finanzierungs- und Produktionsdimension differenzieren, weil das gesamte Marktvolumen erhoben werden soll. Im Mittelpunkt der Analyse der gesamtgesellschaftlichen Relevanz steht, in welchem Land Wohlfahrtsmärkte die größte Bedeutung besitzen, wodurch die Unterschiede der Finanzierungs- und Produktionsdimension in den Hintergrund treten. Beispielsweise ist für die Frage, wie relevant in einem Land überhaupt private Rentenversicherungen sind, die Darstellung aller Beiträge in private Rentenversicherungen als Prozent des BIP ein geeigneter Indikator. Ebenso können die gesamten Rentenrücklagen privater Rentenversicherungen als Prozent des BIP herangezogen werden. Der erste Indikator gibt die Relevanz in der Finanzierungsdimension an und der zweite in der Produktionsdimension. Je höher beide Indikatoren sind, desto höher ist das gesamte Marktvolumen und desto bedeutender ist der Wohlfahrtsmarkt in dem untersuchten Land. Indikatoren zur Messung von Wahlfreiheit Wahlfreiheiten ergeben sich für Individuen zu vier verschiedenen Zeitpunkten. Individuen haben die Wahlfreiheit am Markt teilzunehmen (Marktzugang t1), über Produkte und Anbieter im Markt (Wahloptionen t2), eine Entscheidung zu revidieren und das Produkt zu wechseln (Wechseloption t3) und schließlich die Freiheit den Markt wieder zu verlassen (Marktausstieg t4). Wahloptionen Die grundsätzlich möglichen Wahloptionen werden beim Marktzugang und den Wechseloptionen institutionell, das heißt regulativ oder vertraglich bestimmt, wie zum Beispiel durch das grundsätzliche Verbot von Rentenversicherungen ohne Leibrente oder das Verbot von konfessionellen EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 101 Privatschulen. Obwohl die Wahloptionen über Produkte und Anbieter institutionell beeinflusst werden, ist die Angebotsvielfalt auch davon abhängig, wie die Anbieter den institutionellen Spielraum nutzen, um vielfältige Produkte anzubieten. Im Folgenden wird das Analyseraster für Wahloptionen genauer erläutert. 1. Marktzugang. Der erste Zeitpunkt für Wahloptionen ergibt sich aus der Regulierung des Marktzugangs: Ist der Wohlfahrtsmarkt obligatorisch oder freiwillig? Wenn der Wohlfahrtsmarkt obligatorisch ist, besteht zu diesem Zeitpunkt keine Wahloption. Ist der Wohlfahrtsmarkt freiwillig, existieren zwei Mechanismen wie die Freiwilligkeit institutionell gestaltet werden kann: entweder als Opt-in oder als Opt-out. Bei der Opt-in-Variante ist die Teilnahme am Markt grundsätzlich allen freigestellt und Individuen entscheiden aktiv über eine Marktteilnahme. Sie erwerben eine Versicherungspolice oder nehmen eine soziale Dienstleistung auf ihre eigene Initiative hin in Anspruch. Beispielsweise ist der Abschluss eines RiesterVertrags eine aktive Entscheidung des Versicherten. Im Gegensatz dazu ist bei der Opt-out-Variante eine definierte Nutzergruppe automatisch im Markt – also Versicherte, Schüler, Patienten oder Pflegedürftige – und Individuen können auf Anfrage aus dem Markt ausscheiden. Einige Betriebsrenten in den USA funktionieren nach diesem Prinzip der automatischen Einschreibung (automatic enrollment). Teilweise wird dieser Zugangsweg auch als quasi-obligatorisch bezeichnet. Jeder Beschäftigte ist bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrags automatisch versichert, es sei denn, er entscheidet sich explizit dagegen und tritt aus der betrieblichen Versicherung aus. Im Vergleich zu Opt-in-Rentensystemen haben Opt-out-Systeme eine höhere Versichertenquote, weil Individuen bei derartigen Entscheidungen ein hohes Beharrungsvermögen aufzeigen (inertia) und häufiger bei der Standardoption bleiben, als sich aktiv für oder gegen eine Marktteilnahme zu entscheiden (Madrian/Shea 2001; Thaler/ Benartzi 2004). 2. Wahloptionen. Nachdem die erste Wahl über den Marktzugang positiv ausgefallen ist, kommen im zweiten Schritt die eigentlichen Wahloptionen im Wohlfahrtsmarkt zum Tragen. Individuen können auf dem Markt zwischen Produkten, Dienstleistungen und Anbietern wählen und haben eine bestimmte Anzahl von Wahloptionen innerhalb des Marktes (Opt-within). Indikatoren für die Wahloptionen im Wohlfahrtsmarkt sind die Anzahl der 102 WOHLFAHRTSMÄRKTE am Markt erhältlichen Produkte (Produktpalette) und die Unterschiede zwischen den einzelnen Produkten. Im Gegensatz zu den bisher diskutierten relationalen sekundären Indikatoren können Wahloptionen valider mit nominalen Primärindikatoren gemessen werden.43 Die optimale Anzahl von Angeboten ist indes umstritten (Irons/Hepburn 2007; Iyengar/Lepper 2000; Norwood 2006; Schwartz 2004). Einerseits sollte das Angebot möglichst groß sein, damit Wettbewerbsmechanismen wirken können, andererseits aber auch überschaubar sein, um nicht die Informationsverarbeitungskapazität der Marktteilnehmer zu überfordern. 3. Wechseloptionen. Wenn einmal eine Wahlentscheidung getroffen wurde, das heißt ein Individuum hat sich für ein Produkt entschieden, kann die Option bestehen, die Entscheidung sofort oder nach einem bestimmten Zeitpunkt zu revidieren und ein anderes Produkt zu wählen. Grundsätzlich stehen dem Individuum die gleichen Wahloptionen aus Zeitpunkt t2 zur Verfügung. Der entscheidende Punkt für die verfügbaren Wahloptionen ist aber, ob ein Wechsel legal ist. Mit einem Wechsel können aber auch zusätzliche Kosten, sogenannte Transaktionskosten (Greve 2009a; Le Grand 2007), verbunden sein. Die Wohlfahrtsnutzer müssen Informationen über die Anbieter einholen, ggf. Wechselgebühren entrichten und gerade bei sozialen Diensten sind auch emotionale Transaktionskosten involviert (Greener 2008; Hanushek u.a. 2007). Je höher die vorgeschriebenen Transaktionskosten sind (z.B. Wechselgebühren), desto geringer sind die Wechseloptionen. 4. Ausstiegsoptionen. Die Option den Markt zu verlassen ergibt sich meist aus dem Marktzugang. Wenn der Marktzugang freiwillig ist, kann meist auch ein Marktausstieg vorgenommen werden (vgl. Hirschman 1970). Allerdings —————— 43 Wahloptionen stehen jedem Individuum zur Verfügung und sind damit unabhängig von der Bevölkerungsgröße. Als Beispiel stellen wir uns einen Nutzer in Land A mit 100 Millionen Einwohnern und in Land B mit einer Million Einwohnern vor, den jeweils 100 Anbieter mit rund 500 Alterssicherungsprodukten umwerben. Pro Kopf kommt in Land A ein Anbieter auf eine Million Einwohner, wohingegen in Land B ein Anbieter auf 10.000 Einwohner kommt. Trotz dieser relativen Differenzen bleiben auf individueller Ebene die Wahloptionen konstant. Dieses Beispiel zeigt, dass mit nominalen Indikatoren eine höhere Validität in Bezug auf Wahloptionen erreicht wird als mit relationalen Indikatoren. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 103 können Kündigungsgebühren anfallen oder ein Marktausstieg kann nur erfolgen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Anhand dieser vier Zeitpunkte kann untersucht werden, inwiefern die institutionell verankerten Wahloptionen von den Marktanbietern tatsächlich eröffnet werden. Wahlverhalten Der zweite Indikator der Wahlfreiheit nach den Wahloptionen ist die tatsächlich ausgeübte Wahl. Das Wahlverhalten im Wohlfahrtsmarkt ergibt sich aus individuellen Entscheidungen im Möglichkeitsraum der Wahloptionen. Das Wahlverhalten lässt sich anhand von Wechsel- und Kündigungsquoten messen. Weitere Indikatoren sind die Häufigkeit einzelner Optionen und die Häufigkeit der Abweichung von Standardoptionen. Diese Indikatoren müssen aber im Spiegel der regulativen Vorgaben betrachtet werden (z.B. Transaktionskosten), denn je nach regulativem Rahmen können beispielsweise hohe Wechselquoten entweder einem funktionierenden oder einem versagenden Markt zugeschrieben werden. In einem Markt ohne Transaktionskosten für die Nutzer sind hohe Wechselquoten ein Zeichen eines funktionierenden Marktes. Die Nutzer üben ihr Wechselrecht aus, sodass die Anbieter gezwungen sind, die Nutzer mit einem besseren Angebot langfristig zu binden. Fallen hingegen hohe Transaktionskosten für die Nutzer bei einem Wechsel an (z.B. Wechselgebühren, Verlust des sozialen Netzes, etc.), ist vor allem die erste Wahlentscheidung von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Marktteilnahme der Nutzer. Die Wechselquoten sind ein Indikator für eine geringe Markttransparenz bei der ersten Wahlentscheidung, wenn trotz hoher Transaktionskosten viele Wechsel durchgeführt werden. Die Nutzer versuchen, ihre erste suboptimale Wahlentscheidung zu korrigieren, müssen dafür aber hohe Transaktionskosten in Kauf nehmen, anstatt bei der ersten Wahl bereits das gewünschte Produkt beziehungsweise den gewünschten Anbieter gefunden zu haben. Noch negativer wirken sich Kündigungen – insbesondere von Kapitalanlagen – aus, weil sie unter hohen Verlusten ausgezahlt werden und ihren sozialpolitischen Verwendungszweck verlieren. Kündigungen oder Austritte aus Versicherungsverträgen sind somit Ausdruck praktizierter Wahlfreiheit, diese Entscheidungen sind jedoch mit Transaktionskosten und geringer sozialer Absicherung verbunden. 104 WOHLFAHRTSMÄRKTE In den zwei folgenden Renten- und Bildungskapiteln werden die genannten Indikatoren zur Finanzierungs- und Produktionsdimension (Relevanz, Finanzierungsverantwortung und Arbeitsteilung) als auch die Indikatoren zur Wahlfreiheitsdimension (Wahloptionen und Wahlverhalten) verwendet und weiter spezifiziert, indem sie jeweils auf das Politikfeld angepasst und je nach Datenlage modifiziert werden. Operationalisierung des Konzepts Rentenmarkt Die verwendeten Indikatoren zum Rentenmarkt beziehen sich ausschließlich auf Rentenversicherungen, weil ein direkter Bezug zur Altersvorsorge besteht (vgl. Kapitel 3.1.2).44 Zur Messung der Finanzierung von Rentenversicherungen sei einleitend auf drei mögliche Finanzierungsquellen hingewiesen, weil sie sowohl für den internationalen als auch für den historischen Vergleich relevant sind. Die drei Finanzierungsquellen von öffentlichen und privaten Renten können der Staat, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sein. In Bezug auf den Staat ist zunächst anzumerken, dass der Staatshaushalt zwar aus Steuereinnahmen – also aus Abgaben von Bürgern und Unternehmen – gespeist wird, diese sind aber nicht zweckgebunden und werden deshalb nicht dezidiert der Alterssicherung zugeordnet. Der Staat kann qua seiner Steuereinnahmen gleichwohl Rentenversicherungen finanzieren: Entweder direkt mit Zuschüssen zu den aktuellen Rentenleistungen wie bei einer öffentlichen Rentenversicherung oder Grundrente (die sogenannte Steuerfinanzierung) oder indirekt als Anreiz zum Abschluss einer privaten Rentenversicherung. Letzteres wird üblicherweise durch Steuererleichterungen, das heißt indirekte öffentliche Beiträge des Staates, erreicht, aber auch direkte öffentliche Zuschüsse in private Rentenversicherungen sind möglich (z.B. Zulagen zur deutschen Riester-Rente). Die anderen beiden Finanzierungsquellen von Rentenversicherungen sind direkte Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie werden entweder mit der Lohnsteuer als Sozialversicherungsbeiträge einbehalten oder individuell in eine Rentenversicherung eingezahlt. Sozialversicherungsbeiträge sind zwar private Beiträge, sie unterscheiden sich jedoch —————— 44 Obwohl nicht Schwerpunkt der Untersuchung wurde das Marktvolumen der Lebensversicherungen als eine Form der Altersvorsorge auch untersucht. Die Ergebnisse bestätigen sowohl die Unterschiede in Deutschland, Schweden und den USA als auch das Wachstum der Wohlfahrtsmärkte (Insurance Indicators, OECD 2009c). EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 105 signifikant von individuellen Beiträgen. Im Gegensatz zu individuellen Beiträgen sind Sozialversicherungsbeiträge obligatorisch und finanzieren ein öffentliches Sozialversicherungssystem. Sozialversicherungsbeiträge sind deshalb – laut Wohlfahrtsmarktkonzept – nur teilweise vermarktlicht, weil die Produktion weiterhin öffentlich erfolgt und keine Wahlfreiheit besteht. Sozialbeiträge sind dennoch private Beiträge in eine Rentenversicherung, wodurch ein versicherungswirtschaftlicher Bezug zwischen Beitrag und Leistung hergestellt wird, der in steuerfinanzierten Rentenversicherungssystemen nicht besteht. Individuelle Beiträge in private Rentenversicherungen erfüllen eher die Kriterien eines Wohlfahrtsmarktes, weil Marktmechanismen wie Preiswettbewerb und Freiwilligkeit wirken. Die Beiträge in private Rentenversicherungen sind deshalb ein besserer Indikator für das Finanzierungsvolumen von Wohlfahrtsmärkten, dennoch sind sie erst aussagekräftig im Vergleich zu den gesamten privaten Rentenaufwendungen, die obligatorische Sozialbeiträge einschließen. Arbeitgeberbeiträge als eigenständige Rentenbeiträge zu betrachten ist umstritten, weil sie letztendlich auch von den Arbeitnehmern bezahlt werden. Denn entweder refinanzieren Arbeitgeber die Mehrausgaben über geringere Bruttolöhne oder sie stellen weniger Personal ein, was wiederum die Arbeitnehmer mit geringeren Beschäftigungschancen »bezahlen« (Glennerster 2009: 40). Meines Erachtens ist die Differenzierung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen wichtig, erstens um die Legitimation von Rentenversicherungen unter Arbeitgebern zu analysieren und zweitens um zwischen betrieblicher und individueller Rentenversicherung zu unterscheiden. Insbesondere letzteres illustriert die unterschiedlichen Finanzierungsquellen betrieblicher und individueller Rentenversicherungen. In der Produktionsdimension wird ebenfalls zwischen staatlichen, betrieblichen und individuellen Renten unterschieden. Das größte Marktvolumen ist bei den individuellen Renten gegeben, weil sie typischerweise mehr Wahlfreiheit für die Versicherten bedeuten. Soweit wie möglich wird das Augenmerk deshalb auf individuelle Rentenversicherungen gelegt, ohne aber Betriebsrenten zu ignorieren, wenn sie ein hohes Marktvolumen aufweisen. 106 WOHLFAHRTSMÄRKTE Operationalisierung des Konzepts Bildungsmarkt Bei sozialen Dienstleistungen (benefits in-kind) wie Bildung erfolgt die Implementierung von Marktmechanismen auf andere Weise als bei sozialen Transfers (benefits in-cash) wie Renten, weshalb zum Teil andere Indikatoren verwendet werden, um das Marktvolumen im Bildungsbereich messen zu können. Wenn nicht anders angegeben liegt der Schwerpunkt des Kapitels auf den Primar- und Sekundarschulen ohne Berufsschulen (vgl. Kapitel 3.1.2). Allerdings wird anfangs beim internationalen Vergleich auch der tertiäre Bildungssektor berücksichtigt, um einen Überblick über das Marktvolumen des ganzen Bildungsbereichs zu gewinnen. Auch im Bildungsbereich wird das Marktvolumen anhand der drei eingangs diskutierten Dimensionen gemessen: Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit. (1) In der Finanzierungsdimension werden selbstverständlich die Schulgelder oder andere private Gebühren zur Ermittlung des Marktvolumens berücksichtigt. Sie sind Indikatoren für die Bildungsausgaben privater Haushalte. Aber auch die öffentlichen Ausgaben – in Form von Zuschüssen – zählen zur Finanzierungsdimension, weil sie ebenso als Einnahmen der Schulen zu berücksichtigen sind. Es wäre aber zu erwarten, dass private und öffentliche Schulen einen unterschiedlichen Einkommensmix aus privaten und öffentlichen Quellen aufweisen. Die OECD erhebt den Indikator »Bildungsausgaben nach Quelle«, womit die Bildungsausgaben nach den eigentlichen Finanzierungsquellen aufgeschlüsselt werden. Dieser Indikator ist daher im Endeffekt eine valide Darstellung der Finanzierungsdimension. So kann bei der Darstellung der Bildungsausgaben zwischen Staat, Privathaushalten und Unternehmen als Finanzierungsquellen unterschieden werden. Wird der private Anteil der gesamten »Bildungsausgaben nach Quelle« in Prozent dargestellt, kann somit die private Finanzierungsverantwortung gemessen werden. (2) Das Bildungsmarktvolumen der Produktionsdimension wird direkt anhand der Anzahl der Anbieter und Personen im Bildungsmarkt gemessen.45 Erfasst werden die Anzahl der Anbieter (Schulen, Bildungsunter- —————— 45 In internationalen Vergleichsstudien werden üblicherweise die institutionellen Bildungsausgaben herangezogen (u.a. Busemeyer 2006a; Busemeyer 2006b; Wolf 2009; Wolf/Zohlnhöfer 2009), allerdings werden hier die Ausgaben von Privatschulen häufig nicht valide erhoben. Robustere Ergebnisse zum tatsächlichen Ausmaß des Marktvolumens lassen sich anhand der direkten Output-Indikatoren wie Anzahl der Schulen und Schüler ermitteln. Gegenüber den institutionellen Bildungsausgaben messen diese EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 107 nehmen) und die Schülerzahlen. Dargestellt als Public-Private-Mix messen auch diese direkten Produktionsindikatoren die Arbeitsteilung. 4.1 Rente In diesem Kapitel wird das quantitative Wachstum der Rentenmärkte diskutiert. Dieses Wachstum wird in allen drei Dimensionen der Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit seit den 1990er Jahren untersucht. Im internationalen Vergleich werden die Besonderheiten zwischen Deutschland, Schweden und den USA herausgearbeitet. Dabei wird gezeigt, dass die USA als liberales Wohlfahrtsregime das höchste Rentenmarktvolumen aufweisen. Schweden hat allerdings anhand mehrerer Indikatoren ein höheres Rentenmarktvolumen als Deutschland, obwohl zu erwarten wäre, dass ein sozialdemokratisches Wohlfahrtsregime wie Schweden eher ein geringeres Marktvolumen aufweisen würde als Deutschland als konservatives Wohlfahrtsregime. Im folgenden Abschnitt (4.1.1) wird zunächst das Marktvolumen der Rentenmärkte international untersucht und verglichen. Dabei liegt das Augenmerk auf den Marktvolumina der drei Länder Deutschland, Schweden und USA. Anschließend erfolgt ein historischer Überblick über die Entwicklung in den drei Ländern, um ein detaillierteres Bild des Marktvolumens und dessen Wandels zeichnen zu können (4.1.2). Im Fazit werden die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert (4.1.3). 4.1.1 Internationaler Vergleich der Rentenmärkte Der internationale Vergleich des Marktvolumens arbeitet heraus, dass vor allem sehr große Unterschiede zwischen den Rentenmärkten in den OECD-Ländern bestehen. Ebenso können Evidenzen für eine Rentenmarktexpansion in der OECD-Welt gefunden werden. Im internationalen Vergleich wird zuerst die Finanzierungsdimension diskutiert, gefolgt von der Produktionsdimension. —————— Indikatoren die tatsächliche Bildungsproduktion, das heißt die erfolgte Dienstleistung. Wohlgemerkt bieten die institutionellen Bildungsausgabendaten gewisse Vorteile für internationale Vergleiche und multivariate Analysen. 108 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die Finanzierungsdimension von Renten – Dominanz der Beitragsfinanzierung? Anhand der Beiträge in private Rentenfonds und der Steuererleichterungen für individuelle Renten kann die gesamtgesellschaftliche Relevanz der privaten Finanzierung gut abgelesen werden. Diese beiden Indikatoren messen also wie bedeutend die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind, aber auch wie bedeutend öffentliche Zuschüsse in private Rentenversicherungen sind. Beide Indikatoren sind jedoch in ihrer Aussagekraft beschränkt, weil entweder Daten zu Schweden und den USA fehlen (Beiträge in private Rentenfonds) oder die erhobenen Daten Schwächen in der Reliabilität und Validität aufweisen (Steuererleichterungen). Beiträge in private Rentenfonds Die OECD erhebt Beiträge in private Rentenfonds seit 2001 (Global Pension Statistics, OECD 2009a). Für den Zeitraum 2001–2007 habe ich den privaten Beitragsanteil in Prozent des BIP ermittelt. Aufgrund der fehlenden Werte für Schweden und die USA werde ich an dieser Stelle nur kurz auf die wichtigsten Ergebnisse eingehen. Zunächst besteht eine erhebliche Streuung des Beitragsvolumens zu privaten Rentenfonds (0,4–12,2 % in 2007). Vor allem Länder mit quasiobligatorischen Betriebsrenten weisen ein hohes Beitragsvolumen auf (vor allem skandinavische und angloamerikanische Wohlfahrtsstaaten, OECD 2009b: 40). Obwohl in der OECD-Datenbank nicht erhoben, ist eine vergleichbares privates Beitragsaufkommen in Schweden zu vermuten, weil auch dort quasi-obligatorische Renten vorherrschen (Sjögren Lindquist/ Wadensjö 2006). Deutschland gehörte 2007 zur Schlussgruppe mit 0,5 Prozent Beitragsaufkommen gemessen am BIP. Demnach sind private Rentenfonds relativ irrelevant in Deutschland, was auf ein geringes Marktvolumen hindeutet. Im Untersuchungszeitraum von 2001 bis 2007 ist der Anteil der privaten Rentenbeiträge am BIP ist durchschnittlich um 0,8 Prozentpunkte angestiegen. Deutschland verzeichnete hier relativ betrachtet ein hohes Wachstum von 0,1 auf 0,5 Prozent, allerdings war das Beitragsniveau 2001 auch das niedrigste. Zusammengenommen verdeutlichen die privaten Beiträge in Rentenfonds eine hohe Varianz zwischen den Staaten und ein Wachstum des Marktvolumens. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 109 Steuererleichterungen Als zweiter Indikator der Finanzierungsdimension werden die öffentlichen Zuschüsse in Form von Steuererleichterungen für private Renten herangezogen (Adema/Ladaique 2005).46 Die Steuervergünstigungen werden aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert und sind im Endeffekt öffentliche Beiträge für eine private Versicherung. Die Steuervergünstigungen sollen die private Vorsorge fördern. Die Nettobelastung der Beitragszahler für private Rentenversicherungen sinkt durch die Steuererleichterungen, weshalb sie als Indikator für die staatlichen Beiträge zu privaten Rentenversicherungen verwendet werden. Abbildung 2 zeigt die Steuervergünstigungen für private Renten in Prozent des BIP durch die dunklen Balken (Steuererleichterungen). Im Vergleich dazu zeigen die helleren Balken die staatlichen Ausgaben für öffentliche Rentensysteme. Ziel dieser Gegenüberstellung ist es unterschiedliche öffentliche Ausgabenprioritäten zu identifizieren. In Abbildung 2 ist zu sehen, dass vor allem angloamerikanische Wohlfahrtsstaaten relativ geringe staatliche Ausgaben für öffentliche Rentensysteme aufwenden, jedoch hohe Steuererleichterungen für private Renten gewähren (vgl. Großbritannien, Australien, Kanada, Island, Irland, USA). Die Steuererleichterungen sollen Anreize schaffen, zusätzlich zur geringen öffentlichen Alterssicherung eine private Rentenversicherung abzuschließen. Allerdings steuern nicht alle Länder so die Nachfrage nach privater Altersvorsorge. Beispielsweise ist in Dänemark, der Schweiz und den Niederlanden die private Vorsorge obligatorisch, weshalb auch keine steu- —————— 46 Dieser Indikator besitzt eine geringe Reliabilität, trotz erheblicher Verbesserungen seit 2001. Einige Länder berichten neben der Subventionierung in der Sparphase auch die besonderen Einkommenssteuerregime für Rentner in der Auszahlungsphase. Ebenso erfolgt die Abgrenzung öffentlicher und privater Renten nicht einheitlich. Beispielsweise zeigte eine Abgleichung mit der deutschen amtlichen Statistik, dass die Steuererleichterungen für Riester-Renten nicht berücksichtigt sind. Die Werte zur schwedischen Prämienrente sind ein weiteres Beispiel für Messfehler. Obwohl die Beiträge zur Prämienrente ebenso wie die Beiträge zur Einkommensrente in Schweden voll von der Einkommenssteuer abzugsfähig sind, werden sie nicht als Steuererleichterungen aufgeführt. Außerdem werden freiwillige zusätzliche Vorsorgeverträge seit langer Zeit steuerlich begünstigt (Prop. 2007/08:26). Trotz dieses Wissens ist es nicht möglich, mit den öffentlich zugänglichen Daten die OECD-Erhebung zu korrigieren. Diese beiden Beispiele lassen weitere Messfehler vermuten, sodass dieser Indikator nur bedingt aussagekräftig ist. 110 WOHLFAHRTSMÄRKTE erlichen Anreize zum Abschluss einer privaten Rentenversicherung nötig sind. Abbildung 2: Öffentliche Rentenausgaben in Prozent des BIP, 2005 AUT 0.1 DEU 0.9 ITA <0.01 FRA GRC POL 0.2 SWE <0.01 HUN PRT 0.1 JPN 0.1 FIN 0.1 ESP 0.3 CZE 0.1 BEL 0.2 GBR 1.2 DNK NOR 0.6 CHE AUS 1.9 USA 0.8 CAN 1.7 NLD NZL 1.3 LUX ISL 1.0 TUR IRL 1.4 KOR 1.4 MEX 0.1 0.9 0 12.7 11.2 11.6 10.9 10.8 10.4 9.6 8.8 8.7 8.6 8.5 7.9 7.5 7.2 6.1 7.3 6.3 6.6 4.4 5.2 3.8 5.5 4.2 5.2 3.8 4.8 2.9 5 10 Prozent des BIP 15 Steuererleichterungen Öffentliche Rentenversicherung Quelle: Adema/Ladaique (2005), OECD (2007; 2008c) Anmerkungen: Sortiert nach Gesamtausgaben aus Summe von indirekten Steuererleichterungen und direkten öffentlichen Rentenausgaben, angegebene Werte beziehen sich jeweils auf letztere. Fehlende Werte keine Angabe. Portugal 2004. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 111 Tendenziell weisen alle Länder mit unterdurchschnittlichen Steuererleichterungen für private Renten, höhere Staatsausgaben für öffentliche Rentensysteme auf. Das bedeutet, es gibt einen Substitutionseffekt zwischen öffentlichen Beiträgen in private Rentenfonds oder öffentliche Rentenversicherungen. Wohlfahrtsstaaten können nicht beide Altersvorsorgeformen fördern, sondern legen den Schwerpunkt auf eine Form der Altersvorsorge. Die kontinentalen Wohlfahrtsstaaten wie zum Beispiel Deutschland und Österreich wiesen nur geringe Beiträge für private Renten und eine geringe öffentliche Förderung auf. Alles in allem deuten die Ergebnisse auf ein vergleichsweise geringes Rentenmarktvolumen in Deutschland hin.47 Obwohl das hier diskutierte Datenmaterial Schwächen hinsichtlich der Reliabilität aufweist, konnte dennoch gezeigt werden, dass erhebliche Länderunterschiede im Marktvolumen bestehen. Ebenso konnten Evidenzen für ein Marktwachstum im Bereich der Finanzierungsdimension gefunden werden, wenn auch nicht besonders starke, weil nur relativ kurze Erhebungszeiträume in die Analyse einflossen. Die Produktionsdimension von Rentenversicherungen Nach der Finanzierungsdimension wendet sich dieser Abschnitt nun der Produktionsdimension zu. Das Marktvolumen der Rentenleistungen wird zuerst anhand der ausgezahlten Renten und anschließend anhand der angesparten Rücklagen gemessen. Rentenauszahlungen Abbildung 3 zeigt die ausgezahlten Renten, das heißt die privaten und öffentlichen Ausgaben für Renten. Dabei sind die privaten Ausgaben (hellgrau) den öffentlichen (dunkelgrau) gegenübergestellt. Die Länder sind absteigend nach den Gesamtausgaben geordnet. —————— 47 In Deutschland waren Kapitallebensversicherungen bis Ende der 1990er Jahre die häufigste und wichtigste private Altersvorsorge, die mit Steuererleichterungen gefördert wurde. Für die Selbstständigen waren sie sogar meist die alleinige Altersvorsorge (Börsch-Supan 2004). Dennoch sind auch im OECD-Vergleich die deutschen Beiträge zu Lebensversicherungen im hinteren Mittelfeld und geringer als in den USA und Schweden (eigene Berechnung basierend auf OECD 2009a). 112 WOHLFAHRTSMÄRKTE Abbildung 3: Öffentliche und private Rentenauszahlungen in ausgewählten OECD Ländern in Prozent des BIP, 2006 öffentlich Italien Österreich (1) Schweiz Deutschland (2) Großbritannien Polen Finnland 1.1 Belgien Niederlande Dänemark Schweden Portugal Spanien Ungarn Tschechien (3) Australien Norwegen Kanada (4) Neuseeland Luxemburg (5) Island 0.4 Korea 1.3 Mexiko 0.7 0 privat 0.3 0.2 12.0 12.1 5.5 6.7 0.1 11.7 3.1 7.5 0.0 10.4 9.2 1.3 8.1 3.6 4.2 5.4 4.8 1.1 1.0 0.6 0.1 0.3 7.7 7.5 7.8 8.1 7.2 3.6 4.4 3.6 3.7 4.0 3.6 0.9 0.2 2 3.7 1.4 2.1 1.5 0.1 4 6 8 Prozent 10 12 14 Quelle: OECD (2009b: Abbildung 1.1) Anmerkungen: Verwaltungsausgaben sind inbegriffen, die tatsächlichen Rentenleistungen sind also geringer. 1) Private Auszahlungen beziehen sich nur auf Pensionskassen. 2) Private Auszahlungen beziehen sich nur auf Pensionskassen und Pensionsfonds. 3) Private Auszahlungen beziehen sich auf das Jahr 2007. 4) Private Auszahlungen beziehen sich nur auf »trusteed pension funds«. 5) Private Auszahlungen beziehen sich nur auf Rentenfonds, die von der Finanzmarkt Regulierungsbehörde (CSSF) und der Versicherungskommission (Commissariat aux Assurances) beaufsichtigt werden. Die Rentenauszahlungen weisen ein ähnliches Muster wie bei der Rentenfinanzierung auf. Außerdem wird deutlich, dass neben eher liberalen Wohl- EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 113 fahrtsregimen (u.a. Schweiz, Australien) auch einige sozialdemokratische Regime (u.a. Island, Finnland, Dänemark) einen großen Anteil privater Renten – insbesondere Betriebsrenten – aufweisen. Damit kann zwar eine hohe Relevanz privater Altersvorsorge festgestellt werden, aber nur ein begrenztes Marktvolumen, weil Betriebsrenten typischerweise weniger Marktmechanismen aufweisen als individuelle Rentenversicherungen (vgl. Diskussion S. 105). Laut der Wohlfahrtsregimetheorie (Esping-Andersen 1987; 1990) stellt der insgesamt hohe Anteil privater Rentenleistungen in skandinavischen Ländern einen Widerspruch zum idealtypischen sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime mit dominanten öffentlichen Rentenversicherungen dar. In den skandinavischen Ländern bewirken aber die (quasi-)obligatorischen Betriebsrenten den hohen privaten Anteil an der Rentenproduktion, was ursprünglich von Esping-Andersen (1987) aber nicht berücksichtigt wurde. Ein detaillierter Blick auf den Rentenmarkt in Deutschland zeigt einen relativ geringen Anteil privater Rentenleistungen. Weitere eher konservativ geprägte Wohlfahrtsstaaten (u.a. Österreich, Italien) vermitteln ebenfalls das Bild einer Dominanz öffentlicher Rentenversicherungen in konservativen Wohlfahrtsregimen.48 Rentenrücklagen Im Gegensatz zu den privaten Rentenleistungen sind die Daten über akkumulierte Rücklagen von Rentenfonds vollständiger verfügbar, inklusive aller Fallstudien (Deutschland, Schweden, USA). Tabelle 4 zeigt die akkumulierten Rentenrücklagen in private Rentenfonds in Prozent des BIP für verschiedene OECD-Länder. Die Rentenrücklagen verteilten sich 2007 wieder nach einem länderspezifischen Muster. Die angloamerikanischen Wohlfahrtsstaaten und diejenigen mit obligatorischen privaten Rentensystemen (vor allem Betriebsrenten) bildeten dabei hohe Rücklagen gemessen am BIP. Die privaten Rentenrücklagen waren also insbesondere in den Ländern hoch, in denen die Versicherten nur geringe Leistungen aus dem öffentlichen Rentensystem erwarten konnten. Die Rentenmärkte bilden anscheinend ein funktionales Äquivalent für die fehlende öffentliche Alterssicherung. —————— 48 Ein Vergleich mit den USA ist aufgrund fehlender Daten leider nicht möglich. 114 WOHLFAHRTSMÄRKTE Tabelle 4: Anteil privater Rentenrücklagen am BIP (2001, 2007) und Anteil individueller und betrieblicher Renten (2007) Dänemark Island Niederlande USA Schweiz Australien Kanada Großbritannien Finnland Schweden Irland Portugal Mexico Polen Neuseeland Ungarn Spanien Norwegen Frankreich Österreich Tschechien Slowakei Deutschland Belgien Italien Durchschnitt 2001 96,0 84,7 102,6 110,5 102,5 75,3 103,9 72,0 56,0 32,4 43,7 11,5 4,3 2,4 14,7 3,9 5,8 5,5 3,8 2,9 2,3 0,0 3,4 5,5 2,2 37,9 2007 140,6 138,3 138,1 125,7 119,2 109,5 103,5 78,9 78,1 57,4 46,6 15,5 12,4 12,2 11,1 10,9 9,0 7,0 6,9 4,8 4,7 4,2 4,1 4,0 3,3 49,8 Wandel 44,6 53,6 35,4 15,2 16,7 34,2 -0,4 6,9 22,1 25,0 2,9 4,0 8,1 9,8 -3,6 7,0 3,2 1,6 3,1 1,9 2,4 4,2 0,7 -1,5 1,0 11,9 individuell 15,5 12,5 betrieblich 84,5 87,5 39,0 61,0 31,8 68,2 5,8 25,0 94,2 75,0 13,5 72,2 98,6 36,3 86,5 27,8 1,4 63,7 53,5 46,5 67,2 32,8 18,8 37,7 81,2 62,3 Quelle: OECD (2009a), Alle Vertragstypen, N = 25 (15), eigene Berechnung. Anmerkungen: Absteigend sortiert nach Höhe der Rentenrücklagen 2007. Wandel zeigt die Veränderung der Rentenrücklagen in Prozentpunkten 2001–2007. Leere Felder fehlende Werte. Über sechzig Prozent der Rentenrücklagen waren 2007 in Betriebsrenten angelegt. Ein zentraler Faktor in diesem Zusammenhang scheinen die häufig quasi-obligatorischen Betriebsrenten zu sein, die zwangsläufig insgesamt höhere Rücklagen bilden als freiwillige individuelle Rentenversicherungen. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 115 Im Zeitverlauf zeigt sich in Tabelle 4 ein vergleichbarer Anstieg der Rentenrücklagen wie bei den privaten Beiträgen zwischen 2001 und 2007. Es liegt also der Schluss nahe, dass durchschnittlich die Relevanz der privaten Rentenfonds zugenommen hat. Das Marktvolumen ist also angestiegen.49 Von den drei Untersuchungsfälle weisen – wie auch bei den vorherigen Finanzierungsindikatoren – die USA das höchste Marktvolumen auf, gefolgt von Schweden und Deutschland. Trotz aller Unterschiede im Marktvolumen ist ein deutliches Wachstum der Rentenmärkte in allen drei Fallstudien festzustellen, das in Schweden am höchsten war. Insgesamt ist also das Marktvolumen in der Produktionsdimension angestiegen. Zusammenfassung des internationalen Vergleichs der Rentenmärkte Der internationale Vergleich der Finanzierungs- und Produktionsdimension zeigte in Bezug auf Rentenmärkte drei wesentliche Ergebnisse. Erstens sind die Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Rentensystemen der Länder beträchtlich. Die angloamerikanischen Wohlfahrtsstaaten haben einen großen Anteil an privater Vorsorge, der steuerlich bezuschusst wird und freiwillig ist. In den skandinavischen und einigen kontinentalen Staaten (z.B. den Niederlanden und der Schweiz) ist die private Vorsorge ebenfalls sehr relevant. Dort wird die private Altersvorsorge aber kaum steuerlich begünstigt. Aufgrund der (quasi-) obligatorischen privaten Vorsorge sind keine finanziellen Anreize notwendig. Die übrigen kontinentalen Staaten vertrauen überwiegend auf öffentliche Systeme und subventionieren die private Vorsorge kaum. Zweitens zeigen alle Indikatoren, dass ein Anstieg der privaten Vorsorge stattgefunden hat. Die privaten Haushalte investieren mehr in private Rentenfonds, Steuererleichterungen für private Rentenversicherungen sind gewachsen und private Rentenfonds weisen höhere Rücklagen auf. Trotzdem sind die Wohlfahrtsmärkte insgesamt nur moderat gewachsen. Und drittens offenbarte der Vergleich eine Ausgabenkonkurrenz zwischen öffentlicher und privater Vorsorge (Substitutionseffekt). Hohe Steuererleichterung für die private Vorsorge und hohe Rentenrücklagen waren —————— 49 Die Finanzkrise von 2008 ist hier jedoch noch nicht abgebildet, sodass unklar ist welchen Einfluss die Krise auf die Rücklagen hatte. Aktuelle Studien legen aber nahe, dass die Rentenfonds hohe Kapitalverluste durch die Krise abschreiben mussten (Habbard 2011; OECD 2011). 116 WOHLFAHRTSMÄRKTE eher in Ländern mit schwachen öffentlichen Rentensystemen vorhanden. Wenn die öffentliche Hand die private Altersvorsorge unterstützt, bleiben offenbar weniger Ressourcen für ein ausgebautes öffentliches Rentensystem übrig. In Bezug auf die Fallauswahl bestätigten die verwendeten Indikatoren die hohe Varianz zwischen den drei Ländern. Deutschland, Schweden und die USA variieren erheblich sowohl in der gesamtwirtschaftlichen Relevanz der Wohlfahrtsmärkte, in der Finanzierungsverantwortung des Staates als auch in der Arbeitsteilung zwischen öffentlicher und privater Hand. Die drei Länder stehen exemplarisch für sehr unterschiedliche Ausgangsniveaus für die Einführung und das Wachstum von Wohlfahrtsmärkten. Die USA wiesen – wie zu erwarten für ein liberales Wohlfahrtsregime – insgesamt das höchste Marktvolumen auf. Unerwartet hoch waren das Marktvolumen und die Wachstumsraten Schwedens als ein sozialdemokratisches Wohlfahrtsregime. Schließlich wurde in Deutschland ein relativ geringes Marktvolumen des Rentenmarktes festgestellt, das auch im Vergleich zu anderen konservativen Wohlfahrtsregimen unterdurchschnittlich war. Die öffentlichen Rentensysteme weisen zwar einige Ähnlichkeiten auf (s. Kap. 3.1.2), im Zusammenspiel mit der privaten Vorsorge sind die Unterschiede zwischen den drei Ländern aber beträchtlich. Der folgende Abschnitt wird sich detaillierter mit dem Wandel der Rentenmärkte in Deutschland, Schweden und den USA auseinandersetzen. Dabei werden die bereits bekannten Indikatoren um nationale Daten ergänzt, die ermöglichen, ein detaillierteres Bild der Veränderungen zu zeichnen. Neben dem detaillierteren historischen Vergleich ermöglichen die nationalen Daten eine zuverlässigere Erhebung des tatsächlichen Marktvolumens als die vorher herangezogenen OECD-Daten. 4.1.2 Vermarktlichung öffentlicher Rentensysteme in Deutschland, Schweden und den USA? Wie Tabelle 2 zu entnehmen ist, sind die Einführungszeitpunkte von Wohlfahrtsmärkten und deren Reformen zwischen Deutschland, Schweden und den USA sehr unterschiedlich. Die deutsche Riester-Rente und schwedische Prämienrente wurden Anfang der 2000er Jahre als Ergänzung zu weiterhin generösen, jedoch gekürzten, öffentlichen Sozialversicherungen eingeführt. In den USA existierten schon seit der Gründung der öffentlichen Rentenversicherung zusätzliche betriebliche und private Ren- EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 117 tensysteme, die seit den 1970er Jahren einen Wachstumsschub erlebten, wie Individual Retirement Accounts (seit 1974) und 401(k) Betriebsrenten (seit 1982). In diesem Abschnitt werden diese Länder detaillierter untersucht und insbesondere die unterschiedliche Entwicklung der privaten Vorsorge in den letzten 20 Jahren nachgezeichnet. Die folgende Frage steht damit im Mittelpunkt: Hatten sich die beobachteten Unterschiede der privaten Rentenmärkte schon in den 1990er Jahren manifestiert oder entwickelten sich die Differenzen erst mit den Reformen der zurückliegenden zwei Dekaden? Die Analyse der Wohlfahrtsmärkte im Bereich Altersvorsorge wird um die Dimension Wahlfreiheit ergänzt, damit zusätzlich zur Finanzierungsund Produktionsdimension auch die Effekte auf Wettbewerb, Anbieter und Konsumenten untersucht werden können. Die Zunahme von Marktmechanismen in der Altersvorsorge kann auf diese Weise multidimensional im direkten Ländervergleich gemessen werden. Finanzierungsdimension – Höhere Beiträge und mehr Kapitaldeckung Im vorherigen internationalen Vergleich wurde die jeweilige Relevanz der privaten Vorsorge gemessen in Prozent des BIP analysiert. In diesem Abschnitt steht die Entwicklung der Finanzierung privater Renten im Vergleich zur öffentlichen Rentenversicherung im Vordergrund. Die folgende Analyse fokussiert deshalb auf die Finanzierungsverantwortung zwischen Staat, Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dazu werden sowohl gesetzliche Beitragssätze als auch tatsächlich gezahlte Beiträge einander gegenübergestellt. Der Abschnitt beginnt mit den gesetzlich vorgegebenen Beitragssätzen, darauf folgt eine detaillierte Analyse der tatsächlich gezahlten Beiträge. Insgesamt wird der Abschnitt vor allem belegen, wie der private Beitragsanteil seit 1990 angestiegen ist, was ein Indiz für ein Wachstum der Wohlfahrtsmärkte in der Altersvorsorge ist. Gesetzliche Beitragssätze Tabelle 5 listet die gesetzlich festgelegten Beitragssätze in Prozent des Bruttolohns seit 1990 für ausgewählte Jahre auf. Wie bereits aus dem internationalen Vergleich der tatsächlichen Beiträge für Rentenversicherungen deutlich wurde, ist der gesetzliche Beitragssatz zur öffentlichen Rentenversicherung in den USA erheblich geringer als in Deutschland und Schweden 118 WOHLFAHRTSMÄRKTE und hat sich seit 1990 auch kaum verändert. Der schwedische Beitragssatz zur öffentlichen Rentenversicherung wurde seit 1990 mehrmals gesenkt und näherte sich dem US-amerikanischen Niveau an. Zusätzlich schlägt aber der obligatorische Beitragssatz zur privaten Prämienrente mit 2,3 Prozent zu Buche.50 In Deutschland ist der öffentliche Beitragssatz im selben Zeitraum leicht auf 19,9 Prozent gestiegen. Um jedoch das Sicherungsniveau aus dem Jahr 2000 zu halten, wird erwartet, dass die Versicherten zusätzlich vier Prozent ihres Einkommens in die freiwillige Riester-Rente investieren. Bei der Gegenüberstellung der privaten Beitragssätze ist zu bedenken, ob sie freiwillig oder obligatorisch sind und wie flexibel sie variiert werden können. Lediglich die Beiträge zur schwedischen Prämienrente sind obligatorisch und unveränderlich. In Deutschland gilt hingegen ein gesetzlicher Mindestbeitragssatz, dieser ist aber freiwillig und den Versicherten steht es frei, mehr zu investieren.51 Grundsätzlich gilt in den USA, dass die Versicherten meist sehr flexibel und jährlich wechselnd ihren Beitrag einzahlen können. Die privaten Beitragssätze in Tabelle 5 weisen für die USA zwei verschieden Werte aus. Bis 2001 wird der maximale Beitragssatz aufgeführt, seitdem existiert keine prozentuale Beitragssatzbegrenzung mehr.52 Deshalb führt die Reihe in Tabelle 5 seit 2002 den durchschnittlichen Maximalbeitragssatz für Betriebsrenten aus, das heißt die vertraglich definierten Beitragssatzgrenzen. Daran wird deutlich, dass trotz der Abschaffung des gesetzlichen Maximalbeitragssatzes die Vertragsklauseln der Betriebsrenten weiterhin das Marktvolumen begrenzen. Diese Grenze —————— 50 Der schwedische Beitragssatz wird meist mit 18,5 % angegeben, wovon 2,5 % in die Prämienrente fließen. Dieser Wert bezieht sich aber auf den Nettolohn. Auf die in international gängigere Bruttogröße umgerechnet ergibt sich ein Beitragssatz von 17,21 %. Auf dieser Grundlage wurden die gesetzlichen Beitragssätze für die öffentliche und private Säule in Tabelle 5 berechnet. 51 Für Geringverdiener gilt ein Mindesteigenbeitrag von 60 € pro Jahr. 52 Bis 2001 existierte in den USA sowohl eine absolute Beitragsgrenze als auch eine prozentuale Beitragssatzgrenze vom Gehalt. Mit dem Economic Growth and Tax Relief Reconciliation Act of 2001 (EGTRRA) wurden die absoluten Beitragssatzgrenzen beibehalten (vergleichbar mit Fördergrenzen), aber die prozentuale Beitragssatzgrenze wurde abgeschafft. Versicherte mit kleinem Einkommen können somit theoretisch 100 % ihres Einkommens in eine Betriebsrente investieren, wenn ihr jährliches Einkommen unter der absoluten Beitragsbemessungsgrenze liegt. Diese Variante kann beispielsweise für Paare attraktiv sein, bei denen ein Partner nur ein geringes Einkommen hat, aber eine eigenständige Rente aufbauen möchte. 12,12 16,0 50/33 öffentlich privat (freiwillig)c Arbeitgeberanteil öffentlich/privatd USA Quelle: (BMAS 2008c: tab 7.7; ESV 2003: 25; Palmer/Scherman 1993: 54; SSA 2009b) 50/33 16,0 12,4 50/33 16,0 12,4 65,6 95,0 Arbeitgeberanteil öffentlich und privat 100 2,0 öffentlich 2,0 50/- 20,3 privat (obligatorisch)b 50/- 18,6 1998 18,18 20,45 50/- 18,7 1995 17,86 Schweden Arbeitgeberanteil öffentlich/privat privat (freiwillig)a öffentlich Deutschland 1990 50/33 16,0 12,4 59,3 2,3 14,91 50/- 19,3 2000 50/33 16,5 12,4 59,3 2,3 14,91 50/0 1,0 19,1 2002 50/33 17,2e 12,4 59,3 2,3 14,91 50/0 2,0 19,5 2004 50/33 18,3 12,4 59,3 2,3 14,91 50/0 3,0 19,5 2006 59,3 2,3 14,91 50/0 4,0 19,9 2008 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 119 verschob sich jedoch weiter nach oben und ermöglicht den Versicherten, einen hohen Anteil ihres Einkommens in Betriebsrenten zu investieren. Tabelle 5: Gesetzliche Beitragssätze zur öffentlichen und privaten Altersvorsorge in Prozent des Bruttolohns, 1990–2008 120 WOHLFAHRTSMÄRKTE Anmerkungen: Beitragssatz in Prozent vom Bruttolohn, Arbeitgeberanteil in Prozent; a) Mindestbeitragssatz, höherer Eigenbeitrag möglich, b) obligatorisch, c) bis 2001 gesetzlicher Maximalbeitragssatz, seit 2002 durchschnittlicher Maximalbeitragssatz von Betriebsrenten (kursiv), kein Minimum definiert, d) Ein Drittelzuschuss des Arbeitgebers meist bis zu 6 % des Einkommens, keine gesetzliche Vorgabe, e) 2003. Wenn davon ausgegangen wird, dass in Deutschland und den USA die freiwilligen Beitragssätze, die zur einer Lebensstandardsicherung als notwendig erachtet werden, tatsächlich gezahlt werden, ergibt sich folgendes Bild der zu erwartenden Beitragsbelastung.53 Die gesamte theoretische Beitragsbelastung ist in Deutschland mit 23,9 Prozent des Bruttolohns am höchsten, gefolgt von den USA mit 18,4 Prozent und am niedrigsten in Schweden mit 17,21 Prozent. Der Beitragssatzanteil in private Rentenversicherungen an der gesamten Beitragsbelastung ist hingegen in den USA mit 32,6 Prozent am höchsten. Der Beitragsanteil für private Rentenversicherungen ist in Deutschland (16,7 %) und Schweden (13,4 %) vergleichsweise gering. Die relativ hohe Beitragsbelastung in Deutschland und den USA widerspricht der zu erwartenden mittleren beziehungsweise geringen Beitragsbelastung in konservativen beziehungsweise liberalen Wohlfahrtsstaaten. Theoretisch wäre zu erwarten, dass im sozialdemokratischen Schweden das generöseste Rentensystem mit den höchsten Beiträgen existiert. Wohlgemerkt sind die privaten Beiträge in Deutschland und den USA freiwillig; sie werden aber als notwendig erachtet, um eine ausreichende Alterssicherung aufzubauen. In Schweden ist die obligatorische Beitragsbelastung in den 1990er Jahren stark reduziert worden, wohingegen sie in Deutschland sogar ohne die zusätzliche Riester-Rente angestiegen ist. Dieses unerwartete Ergebnis des Vergleichs ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung der öffentlichen und privaten Beiträge. Wenn die öffentlichen und privaten Beiträge getrennt betrachtet werden, fallen zwei Besonderheiten auf: Erstens beruht die theoretische Gesamtbeitragslast auf der Annahme, dass die freiwilligen Beiträge in Deutschland und den USA von allen Bürgern entrichtet werden, obwohl sie von individuellen Entscheidungen, der Profession oder der Branche abhängen. In Schweden besteht diese Wahlfreiheit nicht, denn die privaten Beiträge sind ebenso obligatorisch wie die öffentlichen. Im Abschnitt Wahlfreiheit werde ich detaillierter auf die Effekte von obligatorischen und freiwilligen Rentenversicherungen eingehen. —————— 53 Betriebsrenten in Deutschland und Schweden werden nicht berücksichtigt, ebenso wenig wie individuelle Privatrenten in den USA. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 121 Zweitens ist der hohe Anteil der Beiträge für private Rentenversicherungen in den USA äußerst typisch für einen liberalen Wohlfahrtsstaat. Die niedrigen öffentlichen Beiträge werden durch vergleichsweise hohe private Beiträge (in diesem Fall ein Drittel der Beiträge) ergänzt, um eine ausreichende Absicherung im Alter zu garantieren. Außerdem ermöglicht Tabelle 5 zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen zu unterscheiden. In Schweden ist der Arbeitgeberanteil insgesamt erheblich gesunken. Der Arbeitgeberanteil in der Einkommensund Prämienrente ist identisch, das heißt auch der neue Wohlfahrtsmarkt wird mit Arbeitgeberbeiträgen finanziert. Die betrieblichen Versorgungssysteme werden jedoch weiterhin zu hundert Prozent von Arbeitgeberbeiträgen finanziert (nicht in Tabelle, s. Sjögren Lindquist/Wadensjö 2006: 185). In Deutschland und den USA sind die Beträge zur öffentlichen Rentenversicherung unverändert paritätisch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgeteilt. Im Gegensatz zur paritätischen Finanzierung der öffentlichen Renten beteiligen sich die Arbeitgeber nur geringfügig an der privaten Vorsorge. In den USA variieren die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge je nach Vorsorgeplan. Am häufigsten ist jedoch eine Arbeitgeberzulage von 50 Prozent zu jedem eingezahlten Dollar bis zu einem Beitragssatz von 6 Prozent, das heißt der privat Versicherte trägt zwei Drittel der Beiträge (McGill u.a. 2005: 380; Vanguard 2008). Die Riester- und Rürup-Renten werden in Deutschland ausschließlich von den Arbeitnehmern finanziert. Die steuerliche Förderung der Betriebsrenten (Entgeltumwandlung) ermöglicht einige Zuschüsse der Arbeitgeber. Der Anteil der Arbeitgeberbeiträge ist bei der Entgeltumwandlung relativ gering und beträgt maximal rund 20 Prozent der gesamten Beiträge zur Betriebsrente. Die Entgeltumwandlung bewirkte seit 2002 eine Ausweitung der Mischfinanzierung und Reduzierung der ausschließlichen Arbeitgeberfinanzierung (Berner 2008: 405–406).54 Die theoretisch zu entrichtenden Beitragssätze zu Rentenversicherungen deuten auf einen Anstieg von Marktmechanismen hin: Erstens ist der Anteil der Beitragssätze zu privaten Rentenversicherungen angestiegen und zweitens ist der Anteil der Arbeitnehmer an den gesamten Beitragssätzen leicht angestiegen. Insgesamt ist somit die Erwartung des Gesetz- —————— 54 Anderweitige Betriebsrenten ohne Riester-Förderung wurden nicht berücksichtigt. 122 WOHLFAHRTSMÄRKTE gebers, dass die Bürger privat für die Alterssicherung vorsorgen, angestiegen. Tatsächliche Beiträge Die theoretisch einzuzahlenden Beitragssätze, seien sie nun gesetzlich festgelegt wie in Deutschland und Schweden oder vertraglich festgeschrieben wie in den USA, beeinflussen zwar die tatsächlich eingezahlten Beiträge, sie determinieren aber nicht Beitragszahlungen, besonders wenn sie freiwillig entrichtet werden. Dieser Abschnitt widmet sich deshalb der Frage, wie viel tatsächlich für die private Vorsorge aufgewendet wird. Der Abschnitt geht der Frage nach, ob die gesetzlichen Änderungen Auswirkungen auf die tatsächliche Sparquote hatten. Der Abschnitt wird zeigen, dass die tatsächlichen Beiträge tendenziell den theoretischen entsprechen, mit Ausnahme von Deutschland. Zusätzlich werden Steuererleichterungen bei den Berechnungen der tatsächlichen Beiträge berücksichtigt, weil sie wie quasistaatliche Beiträge einbezogen werden können. Tabelle 6 enthält eine detaillierte Auflistung der tatsächlich geleisteten Beiträge in private Rentenversicherungen basierend auf den amtlichen nationalen Statistiken. Die Zahlen beziehen sich in Deutschland ausschließlich auf die förderungsfähigen Produkte im Rahmen der RiesterRente, in Schweden auf die Prämienrente und in den USA auf 401(k) Vorsorgepläne. Die erste Länderzeile gibt die gesamtwirtschaftliche Relevanz in Prozent des BIP wieder. In der zweiten Zeile werden die privaten Beiträge in Relation zum öffentlichen Rentensystem betrachtet und als Prozent der gesamten Beiträge ausgewiesen. Dieser zweite Indikator misst somit die Finanzierungsverantwortung. Und schließlich zeigt die dritte Zeile das Beitragsaufkommen pro Kopf für jedes Land. Tabelle 6 zeigt deutlich, dass in den USA ist die private Vorsorge mit Abstand am wichtigsten ist, gefolgt von Schweden und Deutschland. In allen drei Ländern hat die gesamtwirtschaftliche Relevanz der privaten Vorsorge im jeweiligen Untersuchungszeitraum zugenommen. In den USA hat die private Vorsorge eine lange Tradition und war zur Lebensstandardsicherung stets nötig, was sich im frühzeitig hohen Anteil der eingezahlten privaten Beiträge widerspiegelt. Der tatsächliche private Beitragsanteil stimmte in den USA weitgehend mit dem theoretisch erwarteten überein (jeweils rund ein Drittel). 123 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 822 1038 1154 1221 596 172 US $ pro Kopf 396 32,9 32,7 29 28,4 35,4 % Total 23,8 2,4 2,2 1,7 2,3 % BIP USA Schweden Deutschland 32,3 2,8 2,9 2,8 442 389 265 US $ pro Kopf 235 353 11,5 11,3 10,5 12,2 % Total 10,6 0,9 1 % BIP 0,8 0,9 0,9 164 107 64 6 US $ pro Kopf 32 2,5 1,6 0,2 % Total 0,8 < 0,1 % BIP 0,1 0,2 0,3 1975 1990 1995 2000 2002 2005 2006 2007 2008 0,4 Tabelle 6: Tatsächliche Beiträge zur privaten Vorsorge, 1975–2007 (ausgewählte Jahre) Quelle: eigene Berechnungen, gerundet (BMAS 2009b: Tabelle 25; DRV 2009; OECD 2009c; SCB 2009: verschiedene Jahrgänge; SSA 2009a: table 4.3, OASIDI; U.S. Department of Labor 2009a: table A4, verschiedene Jahrgänge). Anmerkungen: Deutschland: Riester-förderungsfähige Produkte, Schweden: Prämienrente, USA: 401(k) Vorsorgepläne. % Total = Prozent der Beiträge in private Rentenversicherungen von den gesamten Rentenbeiträgen, US $ pro Kopf = US Dollar pro Einwohner, jährlicher durchschnittlicher Wechselkurs. Für Schweden wurden die privaten Beiträge nur nach 2000 berechnet, weil vorher die privaten Beiträge nur durch eine Dummy-Variable ermittelt werden konnten, die auf den gesetzlichen Beitragssätzen basiert. Aus den gesetzlichen Regeln kann geschlossen werden, dass vor 1994 keine Beiträge für die private Prämienrente existierten. Von 1995 bis 2000 wurden 2 % des Bruttolohns in die private Vorsorge investiert, was in der Beitragsstatistik nicht dokumentiert ist. Ab 2000 wird das private Beitragsaufkommen dokumentiert und sollte theoretisch 13,4 % aller Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge ergeben. 124 WOHLFAHRTSMÄRKTE Detaillierte Untersuchungen der tatsächlichen Beiträge deuten darauf hin, dass die Abschaffung der maximalen Beitragssatzgrenze nicht zu einer Erhöhung der Beitragsraten über 16 Prozent geführt hat (Benartzi/Thaler 2007: 86). Insgesamt führte die Abschaffung einer gesetzlichen Maximalbeitragssatzgrenze nicht zu höheren, sondern tendenziell zu niedrigeren Beitragssätzen. Als zweiten Effekt der regulativen Vorgaben haben die vertraglich festgelegten Arbeitgeberzuschüsse einen starken auf die tatsächlichen Beiträge. Im Median beträgt der private Beitrag sechs Prozent und richtet sich nach der üblichen Förderhöchstgrenze der Arbeitgeber (eigene Berechung, Vanguard 2008).55 Die meisten Versicherten investieren gerade so viel in die Betriebsrente, dass die höchsten Arbeitgeberbeiträge garantiert sind. In Schweden bewirkte die Einführung der obligatorischen Prämienrente einen drastischen Anstieg und hohes Niveau der privaten Beiträge von Anfang an. Die gesetzliche Beitragssatzregelung wird vermutlich ohne politische Intervention keinen weiteren substanziellen Anstieg bewirken, lediglich ein Reifen bis zum theoretisch zu erwartenden Niveau von 13,4 Prozent der gesamten Beiträge, wenn die Übergangsjahrgänge (1938–1953) pensioniert sind. Im Vergleich zu Schweden war das Wachstum des Beitragsaufkommens der freiwilligen Riester-Rente in Deutschland relativ gering, die Wachstumsraten waren aber trotzdem beachtlich. Das Wachstum der Riester-Rente beruhte auf einer stetig steigenden Versichertenquote (vgl. Abbildung 7) und den stufenweisen Erhöhungen des gesetzlichen Beitragssatzes. Beispielsweise verdoppelte sich das Beitragsaufkommen zwischen 2005 und 2006. Dieser Anstieg basierte hauptsächlich auf der Einführung der vorletzten Riester-Stufe, als der gesetzliche Beitragssatz von zwei auf drei Prozent erhöht wurde (vgl. Tabelle 5). Insgesamt zeigt der Vergleich der theoretischen und tatsächlichen Beiträge, dass Individuen in Wohlfahrtsmärkte investieren, wenn die institutionellen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Die privaten Beiträge sind hoch wenn sie obligatorisch sind wie Schweden. Außerdem begünstigt eine hohe Notwendigkeit zur privaten Vorsorge und steuerliche Förderung wie in den USA hohe Beiträge. —————— 55 Die Daten von Vanguard – einem Anbieter von Betriebsrenten – sind nicht repräsentativ, weil ausschließlich die eigens angebotenen und verwalteten Betriebsrenten analysiert werden. 125 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS Finanzierungsquellen Der restliche Abschnitt der Finanzierung analysiert die Finanzierungsquelle der tatsächlichen Beiträge genauer. Die Analyse konzentriert sich auf die Finanzierungsquellen der tatsächlichen Beiträge, die nach Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeschlüsselt werden, wie in Abbildung 4 gezeigt. Abbildung 4: Finanzierungsquelle der privaten und öffentlichen Beiträge, 2006 STAATLICH PRIVAT Deutschland Deutschland Staat 30% Arbeitgeber 35% Staat 27% Arbeitnehmer 61% Selbstständige 12% Arbeitnehmer 35% Schweden Schweden Staat Staat 10% 10% Arbeitgeber 53% Arbeitnehmer 36% Arbeitgeber 53% Arbeitnehmer 36% USA USA Staat 3% Staatl. Steuererleichterungen 24% Arbeitgeber 43% Arbeitgeber Arbeitnehmer 49% 49% 33% Arbeitnehmer 126 WOHLFAHRTSMÄRKTE Quelle: eigene Berechnungen (Adema/Ladaique 2005, aktueller Datensatz direkt von Maxim Ladaique als Excel-Tabelle erhalten; BMAS 2009b: Tabelle 25; DRV 2009; OECD 2009c; SCB 2009: Jahrgang 2006; SSA 2009a: table 4.A3, OASIDI; U.S. Department of Labor 2009a: table A4). Anmerkungen: In Schweden Dummy-Variablen für den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil, die Berechnung des Anteils basiert auf dem gesetzlichen Beitragssatz. Steuererleichterungen der USA basieren auf OECD-Daten. USA Privat bezieht sich auf das Jahr 2005 und beinhaltet nur Betriebsrenten (das heißt ohne IRAs, etc.). Deutschland Privat sind Riester-Zulagen (Staat), Beiträge zur Riester-Rente (Arbeitnehmer) und Basis-Rente (Selbstständige). Deutschland. Die Deutsche Rentenversicherung wird vom Bund aus allgemeinen Steuermitteln bezuschusst. Abbildung 4 zeigt sehr deutlich, dass die öffentliche Rentenversicherung in etwa zu je einem Drittel von Staat, Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert wird.56 Erstaunlich ist, dass der Staat seinen Finanzierungsanteil auch bei der privaten Riester- und Rürup-Rente beibehält. Knapp ein Drittel der Beiträge stammen weiterhin aus öffentlichen Zuschüssen, das heißt mit der Riester- und Rürup-Rente hat sich der Staat nicht zurückgezogen, sondern behält eine beachtliche Finanzierungsverantwortung bei.57 Individuell können die staatlichen Zulagenquoten zum Teil noch höher sein als die aggregierten Durchschnittsdaten nahelegen. Beispielsweise erreichten Frauen 2005 eine durchschnittliche Zulagenquote von 42,1 Prozent, aufgrund der Kinderzulagen und des geringen Mindestbeitrags (Stolz/Rieckhoff 2006: 312). Das Tortendiagramm zeigt auch, dass die Arbeitgeber nicht mehr an der Finanzierung der privaten Altersvorsorge beteiligt sind, was bereits anhand der Analyse der gesetzlichen Beitragssätze zu erwarten war. Als neue Gruppe tauchen Selbstständige auf, die jedoch seit jeher allein für ihre Beiträge aufkommen mussten. Da es sich bei den verwendeten Daten um Aggregatdaten handelt, ist das Tortendiagramm etwas irreführend in Bezug auf Selbstständige und Arbeitnehmer. 12 Prozent der Beiträge in Riesteroder Rürup-Produkte werden von Selbstständigen entrichtet, die Selbst- —————— 56 Für die Berechnung wurden die Daten der ZfA verwendet, die tendenziell die Zulagen und Steuererleichterungen unterschätzen, im Vergleich zur Schätzung des Statistischen Bundesamtes (Rieckhoff u.a. 2010). 57 Die Berechnungen für Deutschland berücksichtigen die steuerliche Absetzbarkeit der Riester-Beiträge, nicht jedoch die steuerliche Absetzbarkeit der Arbeitnehmerbeiträge zur öffentlichen Rentenversicherung. Die individuelle Beitragsquote kann sich also im staatlichen Tortendiagramm noch zugunsten der Arbeitnehmer verschieben, wenn dieser Finanzierungsmechanismus berücksichtigt wird. Der staatliche Finanzierungsanteil der Deutschen Rentenversicherung wäre damit noch etwas höher als 30 % anzusetzen. Mir sind aber keine Datenquellen bekannt, um diese Finanzierungskomponente in der Berechnung zu berücksichtigen. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 127 ständigen bekommen staatliche Zuschüsse für die Rürup-Rente, finanzieren aber nicht die Riester-Renten der Arbeitnehmer und umgekehrt. Das Tortendiagramm illustriert deshalb nur den Beitragsanteil der Selbstständigen an allen förderungsfähigen privaten Vorsorgeprodukten. Dem Tortendiagramm ist nicht zu entnehmen, dass die staatliche Förderung für die Riester- und Rürup-Rente in absoluten Zahlen jährlich gewachsen ist (BMAS 2009b: Tabelle 25), weil die Anzahl der förderberechtigten Versicherten anstieg. Der Finanzierungsanteil des Staates hat sich dadurch aber nicht verändert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Finanzierungsverantwortung in Deutschland individualisiert wurde. Die kollektive Verantwortung der paritätischen Finanzierung ist seit 2001 einer individuellen Verantwortung der Arbeitnehmer gewichen. Erstaunlicherweise blieb die staatliche Finanzierungsverantwortung auf dem gleichen Niveau, obwohl der Finanzierungsmechanismus verändert wurde. Schweden. Das schwedische Tortendiagramm aus Abbildung 4 zeigt, dass im neuen schwedischen Rentensystem zehn Prozent der Beiträge aus dem Steueraufkommen finanziert werden.58 Die staatlichen Beiträge finanzieren vor allem die sogenannten »Kinderjahre«, das heißt die Zeit in der Eltern ihre Kleinkinder pflegen und erziehen (Köppe 2007: 179). Im alten ATPRentensystem betrug dieser Anteil noch 21,6 Prozent (1995). Zwei Aspekte sind erstaunlich für einen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat. Erstens wird, obwohl eine stärkere öffentliche Förderung der öffentlichen Rentenversicherung zu erwarten wäre (vgl. Esping-Andersen 1990), die private und öffentliche Altersvorsorge gleich behandelt. Im sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat Schwedens sind keine Unterschiede zwischen öffentlicher und privater Finanzierung festzustellen, was auf eine Gleichbehandlung beider Rentenversicherungstypen hindeutet. Zweitens wird die Rentenversicherung nicht direkt mit staatlichen Pauschalbeiträgen bezuschusst, sondern individuell und durch Einkommenssteuererleichterungen. Die individuelle staatliche Förderung erfolgt indem —————— 58 Die Finanzierung der schwedischen Grundrente bleibt im staatlichen Tortendiagramm unberücksichtigt, weil sie nicht beitragsfinanziert ist. Wenn sie berücksichtigt wird, würde sich der staatliche Anteil erhöhen. Ich habe jedoch darauf verzichtet, weil dann auch die deutsche Grundsicherung im Alter berücksichtigt werden müsste. Um eine höhere Vergleichbarkeit zu erreichen, wurden deshalb nur die beitragsfinanzierten öffentlichen Rentenversicherungen in Abbildung 4 berücksichtigt. 128 WOHLFAHRTSMÄRKTE der Staat die Rentenbeiträge für pflegende Eltern in die öffentliche und private Rentenversicherung einbezahlt. Außerdem sind alle Rentenbeiträge einkommenssteuerfrei (s. Fußnote 46), das heißt sowohl Beiträge in die öffentliche Einkommens- und private Prämienrente. Zusammenfassend zeigt der schwedische Fall eine unerwartete Verteilung der Finanzierungsverantwortung für einen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat, weil die staatliche Förderung insgesamt gering erscheint und öffentliche und private Vorsorge auf die gleiche Art und Weise finanziert werden. USA. Die Tortendiagramme der USA zeigen einen erwartet geringen staatlichen Beitragsanteil bei der öffentlichen Rentenversicherung (OASDI). Das öffentliche Rentensystem ist größtenteils von öffentlicher Finanzierung unabhängig, was politisch intendiert ist (Béland 2005b; Hacker 2004). Im Kontrast dazu sind die privaten Rentenversicherungen hochgradig staatlich subventioniert. Die enormen Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Rentenversicherungen können bei den Arbeitgeberund Arbeitnehmeranteilen nicht nachgewiesen werden; sie beteiligen sich in etwa zu gleichen Teilen sowohl bei den öffentlichen als auch bei den privaten Rentenbeiträgen. Eine eingehendere Untersuchung der aggregierten privaten Rentenversicherungsbeiträge offenbart jedoch weitere Unterschiede im Zeitverlauf: Erstens besteht eine hohe Varianz des Arbeitgeberanteils je nach Rentenversicherungstyp. Außerdem ist der Arbeitgeberanteil bei den privaten Rentenversicherungen seit 1970 stark gesunken. Die aggregierte und punktuelle Auswertung des Jahres 2006 täuscht darüber hinweg, dass große Unterschiede zwischen Betriebsrenten mit Leistungszusage (DB) und Beitragsorientierung (DC) bestehen. Bei den alten Betriebsrenten mit Leistungszusage trägt der Arbeitgeber weiterhin fast hundert Prozent der Beiträge. Die neueren und mittlerweile häufigeren beitragsorientierten Betriebsrenten waren Anfang der 1990er Jahre noch zu fünfzig Prozent von den Arbeitgebern finanziert. Der Arbeitgeberanteil ist seitdem aber auf 37 Prozent gesunken, was in etwa dem bereits erwähnten und üblichen 50prozentigen Arbeitgeberzuschuss für die geleisteten Arbeitnehmerbeiträge entspricht. Außerdem beziehen sich die Daten nur auf betriebliche Rentenpläne, denn Individual Retirement Accounts, bei denen überhaupt keine Arbeitgeberbeiträge vorgesehen sind, werden von der Beitragsstatistik nicht erfasst. Der tatsächliche durchschnittliche Arbeitgeberanteil aller 129 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS privaten Rentenversicherungen ist also vermutlich noch viel geringer als in Abbildung 4 angegeben. Alles in allem müssen die Arbeitnehmer einen immer höheren Beitragsanteil aufwenden, wodurch das Risiko der Altersvorsorge individualisiert wird (Hacker 2006). Abbildung 5: Arbeitgeberbeiträge zur öffentlichen (OASDI) und privaten Altersvorsorge in Prozent des Bruttolohns, USA (1948–2009) 7 6 Prozent 5 4 3 2 Arbeitgeberbeiträge zu Betriebsrenten 1 Arbeitgeberbeiträge zu OASDI 0 1948 1958 1968 1978 Jahr 1988 1998 2008 Quelle: eigene Berechnung (BEA 2012). Trotz des Rückgangs der Arbeitgeberbeiträge muss erwähnt werden, dass die Arbeitgeberbeiträge in die private Altersvorsorge weiterhin substanziell sind im Vergleich zu den Arbeitgeberbeiträgen in die öffentliche Rentenversicherung (OASDI). Abbildung 5 zeigt die prozentualen Arbeitgeberbeiträge sowohl zur öffentlichen als auch zur privaten Altersvorsorge. Entgegen dem in der Literatur betonten Rückgang der Arbeitgeberfinanzierung (Clark/Mitchell 2005; Hacker 2002) sind die Arbeitgeberbeiträge weiterhin enorm wichtig. Wohlgemerkt sind in Abbildung 5 Beschäftigte des öffentlichen und privaten Sektors zusammengefasst, vor allem erstere profitieren weiterhin von hohen Betriebsrenten mit Leistungszusage. Insgesamt wird auch deutlich, dass traditionell weitaus mehr Arbeitgeberbeiträge in die Betriebsrenten fließen als in die öffentliche Rentenversicherung (OASDI) und zwar schon seit dem Zweiten Weltkrieg. Die betriebliche Altersvorsorge war von Anfang an viel wichtiger als die 130 WOHLFAHRTSMÄRKTE öffentliche Rentenversicherung. Das ist ein weiteres Indiz für die frühe Gründung und Einbettung der betrieblichen Altersvorsorge in das Rentensystem der USA. Die USA sind dadurch ein Pionier der Rentenmärkte und weisen deshalb auch das höchste Marktvolumen auf. Zweitens ist der Anteil der Steuererleichterungen für private Rentenversicherungen seit 1993 leicht gesunken (von 28 auf 24 Prozent). Die Versicherten entrichteten folglich höhere Beiträge, was auf eine Privatisierung der Finanzierungsverantwortung hindeutet. In Anbetracht der weiterhin vergleichsweise hohen staatlichen Steuererleichterungen ist dieser Anstieg allerdings zu relativieren. Drittens zeigt die Aufschlüsselung nach verschiedenen Rentenvorsorgeplänen, dass im Zeitverlauf unterschiedliche Anlageformen besonders beliebt sind und steuerlich gefördert werden. Beispielsweise sind die Steuererleichterungen für Individual Retirement Accounts (IRAs, 1993– 2005, -85 %) und 401(k)-Betriebsrenten rückläufig, lediglich die Steuervergünstigungen für Keogh-Vorsorgepläne stiegen im selben Zeitraum um 56 Prozent an (Berechnungen basieren auf Adema/Ladaique 2005). Alles in allem wird deutlich, dass private Rentenversicherungen in den USA durch staatliche Beiträge weitaus stärker unterstützt werden als die öffentliche Rentenversicherung. Außerdem konnte in der Zeitreihenanalyse beobachtet werden, dass der Anteil der Arbeitnehmerbeiträge zu den privaten Rentenversicherungen angestiegen ist, was ein weiteres Indiz für eine Expansion von Marktmechanismen ist. Vergleich. Insgesamt sind die jeweiligen Finanzierungsanteile von Staat, Arbeitgebern und Arbeitnehmern in allen drei Ländern sehr unterschiedlich. Dabei gibt der institutionelle Rahmen vor, welche Beiträge entrichtet werden müssen. Öffentliche Zuschüsse für die private Vorsorge werden eingesetzt, um Investitionsanreize in freiwilligen Wohlfahrtsmärkten zu schaffen. Ebenso existieren Anreize oder explizite Regeln, welchen Beitragsanteil Arbeitgeber und Arbeitnehmer entrichten. Der Vergleich zeigt auch, dass sich der Staat nicht gänzlich aus der Finanzierungsverantwortung bei privaten Rentenversicherungen zurückzieht, sondern teilweise sogar mehr öffentliche Mittel aufwendet als für die öffentliche Rentenversicherung. Tendenziell müssen Arbeitnehmer einen größeren Anteil an den Beiträgen schultern als noch Anfang der 1990er Jahre. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 131 Kurzum: die Finanzierungsdimension bestätigte die Grundannahme von wachsenden Rentenmärkten und beträchtlichen Unterschieden zwischen Deutschland, Schweden und den USA. Produktionsdimension – Private Rentenversicherung auf dem Vormarsch Dieser Abschnitt widmet sich nun der Produktionsdimension der drei Rentenmärkte in Deutschland, Schweden und den USA. Im Blickpunkt steht, ob sich die Ergebnisse der Finanzierungsdimension auch in der Produktionsdimension bestätigen. Zwei Fragen stehen im Mittelpunkt: Können dieselben Länderunterschiede in der Produktionsdimension identifiziert werden? Und zeigen die Produktionsindikatoren der Rentenmärkte ein ähnliches Wachstum in den drei Ländern wie in der Finanzierungsdimension? Der historische Vergleich konzentriert sich auf zwei Indikatoren. Erstens werden die angesparten Rentenrücklagen im Zeitverlauf betrachtet und zweitens die Entwicklung der Versichertenzahlen. Auf eine historische Analyse der Ausgabendaten, das heißt der ausgezahlten privaten und öffentlichen Renten, wird hier verzichtet, weil kurzfristig keine wesentlichen Veränderungen zu erwarten sind. Die jüngsten Reformen in Deutschland und Schweden haben zwar zu neuen Versicherten geführt, sie werden jedoch erst nach einigen Jahren zu neuen Leistungsempfängern führen, die auch die privaten Ausgaben erhöhen würden (z.B. BMAS 2009b: 277). Angesparte Rentenrücklagen und die Anzahl der Versicherten sind sensiblere Indikatoren, um eine Vermarktlichung der Produktion zeitnah zu messen. Rücklagen privater Rentenfonds Im Vergleich der drei Länder reichen die dokumentierten Rentenrücklagen maximal bis ins Jahr 1985 zurück. In Abbildung 6 sind die Rentenrücklagen in Prozent des BIP für den Zeitraum 1985–2007 angegeben: Deutschland rangiert seit Erhebungsbeginn auf vergleichsweise geringem Niveau. Trotzdem betrug die jährliche Wachstumsrate 3,9 Prozent. Der Anstieg der Rücklagen in Deutschland wirkt im Vergleich zu den USA und Schweden vergleichsweise gering (Abbildung 6), nominal beutet der Anstieg von 1,3 Prozentpunkten des BIP immerhin ein Volumen von 32 Milliarden Euro, die jährlich zusätzlich angelegt wurden. 132 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die USA nehmen bei den Rentenrücklagen eindeutig eine Vorreiterrolle der privaten Vorsorge ein und können als Pionier bei der Schaffung von Rentenmärkten bezeichnet werden (vgl. Köppe 2008: 15). Bereits vor der großen Privatisierungswelle öffentlicher Dienstleistungen Ende der 1980er Jahre, verzeichneten die USA erhebliche private Rentenrücklagen, die mehr als 50 Prozent des BIP ausmachten. Seitdem sind die Rücklagen stetig angewachsen und erreichten ihren Höchststand bereits während der Spekulationsblase im Zuge des Internetbooms Ende der 1990er Jahre. Trotz dieser Schwankungen war die jährliche Wachstumsrate über den gesamten Zeitraum in den USA mit 5,8 Prozent etwas höher als in Deutschland. Wie stark die Rücklagen nach der Weltfinanzkrise 2008 gesunken sind, kann den hier präsentierten Zahlen noch nicht entnommen werden (vgl. OECD 2011). 0 50 Prozent 100 150 Abbildung 6: Private Rentenrücklagen in Prozent des BIP, 1985–2007 1985 1990 Deutschland 1995 Jahr 2000 Schweden 2005 USA Quelle: OECD (2009a), Alle Vertragstypen. Anmerkungen: Veränderung in Deutschland 1995–2007 von 2,8 auf 4,1 %. Die höchsten Wachstumsraten der privaten Rentenrücklagen sind in Schweden zu beobachten. Die privaten Rücklagen stiegen seit 1995 jährlich um 18,6 Prozent an. Obwohl die Wachstumsraten in Schweden am höchs- EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 133 ten sind, war das Ausgangsniveau 1995 geringer als in den USA. Der Vergleich der schwedischen und US-amerikanischen Zeitreihen deutet auf ein paralleles Wachstum hin, ohne dass Schweden die USA mittelfristig einholen wird. Wegen der geringen Wachstumsraten der deutschen Rücklagen sind die Unterschiede zwischen Schweden und Deutschland seit 1995 deutlich größer geworden. Weder in Deutschland noch in Schweden hatte die Gründung der Wohlfahrtsmärkte Anfang der 2000er Jahre (Prämien- bzw. Riester-Rente) offensichtliche Auswirkungen auf die Rücklagen privater Rentenfonds. Die im Datensatz erhobenen Rücklagen beziehen sich demnach überwiegend auf andere private Vorsorgeformen wie zum Beispiel Betriebsrenten oder Lebensversicherungen. Ebenso sind die Zinseszinseffekte am Anfang der Sparphase noch nicht so deutlich spürbar, wie kurz vor der Auszahlung des Rentenkapitals. Im Vergleich zu den privaten Rücklagen stiegen auch die Rücklagen öffentlicher Rentenfonds an. In Schweden stiegen sie seit 2001 von 24,4 auf 31,7 Prozent des BIP an und in den USA von 12,0 auf 16,6 Prozent (OECD 2009a, eigene Berechnung). Der demografische Wandel belastete bisher weder die privaten noch die öffentlichen Rücklagen. Erst wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht, wird von einem Abschmelzen der Rücklagen ausgegangen, was in beiden Ländern ab 2010 zu erwarten ist (Diamond 1999; SOU 1994:20). In Deutschland wurden weder private noch öffentliche Rücklagen gebildet, um den demografischen Wandel abfedern zu können.59 Im Gegensatz dazu wurden in Schweden und den USA beachtliche öffentliche und private Rentenrücklagen gebildet, um die Renten zukünftiger Rentnergeneration auszuzahlen. Versicherte in öffentlichen und privaten Rentenversicherungen Anhand der Versichertenzahlen lässt sich ein viel stärkerer Wachstumseffekt der neuen schwedischen und deutschen Rentenmärkte ablesen, weil sie zeitnaher Veränderungen abbilden als die langsame Akkumulation von Rentenkapital. Abbildung 7 zeigt die Versicherten der öffentlichen (Linien) —————— 59 Die Schwankungsreserve der Deutschen Rentenversicherung ist gesetzlich auf Rücklagen im Gegenwert von Rentenleistungen für zwei Monate begrenzt (Heiss 2003) und somit eher ein konjunktureller Ausgleichsfonds als eine generationsübergreifende Rücklage. 134 WOHLFAHRTSMÄRKTE und privaten (Markierungszeichen) Rentenversicherungen in Prozent der Bevölkerung. 60 40 20 0 Versichertenquote in Prozent 80 Abbildung 7: Versicherte mit der öffentlichen und privaten Rentenversicherungen in Prozent der Bevölkerung, 1980–2008 1950 1960 1970 1980 Jahr 1990 2000 Deutschland privat Schweden privat USA privat Deutschland öffentlich Schweden öffentlich USA öffentlich 2010 Quelle: (BMAS 2008c; 2009a; FK 2009; PPM 2009b; SSA 2009a; U.S. Census Bureau 2009: table 533), eigene Berechnungen. Anmerkungen: Linien öffentliche Rentenversicherung, Markierungszeichen private Rentenversicherung, in Deutschland wurde 1983 und 1993 die Berechnungsgrundlage verändert. In den USA und Deutschland ist die private Quote nicht um Personen mit zwei Verträgen bereinigt, das heißt die tatsächliche Quote ist etwas geringer. Allerdings werden in den USA nur Betriebsrenten und in Deutschland nur Riester-Verträge berücksichtigt. Schweden weist sowohl bei der öffentlichen als auch bei der privaten Rentenversicherung die höchste Versichertenquote auf, gefolgt von den USA und Deutschland mit der geringsten. Die öffentliche Rentenversicherung Schwedens weist traditionell eine universelle Versichertenquote auf, weil alle Bürger pflichtversichert sind (SCB 2009: 83). In den USA wuchs der Versichertenkreis seit der Einführung der öffentlichen Rentenversicherung (Social Security 1935) ständig an und umfasst derzeit rund 95 Prozent der Erwerbstätigen beziehungsweise knapp 70 Prozent der Bevölkerung (Murswieck 2004: 652). Aufgrund des EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 135 statusbezogene Rentensystems ist die deutsche Versichertenquote relativ gering, denn Selbstständige und Beamte sind von der Deutschen Rentenversicherung ausgeschlossen. In Bezug auf die private Altersvorsorge heben sich die USA wieder als Pionier privater Vorsorgeformen ab. Die Versichertenquote der privaten Betriebsrenten hat sich in den USA von 1975 bis 2005 verdoppelt (Abbildung 7). Aber auch der Anteil der Haushalte mit einer individuellen Rentenversicherung (IRA) stieg in den USA zwischen 2000 und 2007 von 35,7 auf 39,8 Prozent (nicht in obiger Abbildung aufgeführt, siehe SSA 2009a: table 535). Hier ist also – parallel zur betrieblichen Absicherung – ein Markt entstanden, bei dem die Versicherten mehr Freiheiten bezüglich der Auswahl ihrer Absicherung haben. Viele Versicherte, die Ansprüche auf eine Betriebsrente erwerben, haben auch einen IRA abgeschlossen, weshalb die private Versichertenquote bei rund 50–60 Prozent liegen dürfte. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass rund 40–50 Prozent der Versicherten allein auf die öffentliche Rentenversicherung angewiesen sind; was für die Betroffenen bedeutet, eine Rente nahe dem Existenzminimum zu beziehen (s.a. Midgley 2009). Die Anzahl der Privatversicherten schnellte in Schweden und Deutschland nach der Einführung der Prämien- und Riester-Rente nach oben.60 In Schweden stieg die Versichertenquote aufgrund der obligatorischen Prämienrente weitaus stärker an als in Deutschland mit der freiwilligen Riester-Rente. Die schwedischen Versichertenzahlen überflügelten trotz der späteren Einführung sogleich die US-amerikanischen Versichertenquoten. Auf lange Sicht wird das Obligatorium der Prämienrente zu einem Angleichen der öffentlichen und privaten Versichertenquote in Schweden führen. In Deutschland ist die private Versichertenquote im Vergleich zu Schweden und den USA am geringsten. Ende 2008 hatten rund 18 Prozent der Bevölkerung einen Riester-Vertrag abgeschlossen. Zwar verzeichnet die Riester-Rente seit der Einführung hohe Wachstumsraten und die Popularität der Riester-Vorsorge ist weiterhin ungebrochen. Beispielsweise sind trotz der Weltfinanzkrise 2008 die Versichertenzahlen auch im Krisenjahr 2009 weiter angestiegen (BMAS 2009a). Trotzdem hätte bei gleichbleibender Wachstumsrate erst 2017 die Hälfte der Pflichtversicherten (also ein Drittel der Bevölkerung) einen Riester-Vertrag abgeschlossen. Die —————— 60 Zu Betriebsrenten siehe Oesch (2008). 136 WOHLFAHRTSMÄRKTE geringe private Versichertenquote birgt das Risiko, dass viele Pflichtversicherte im Rentenalter keine ausreichende Alterssicherung aufweisen können. Bezogen auf den Zeitraum seit 2002 ist deutlich zu erkennen, dass Länder mit einer hohen öffentlichen Versichertenquote auch eine hohe private Versichertenquote aufweisen. Daraus folgt, dass der Inklusionsgrad der privaten Rentenversicherung dem Muster der öffentlichen entspricht, wenn eine staatliche geförderte private Säule existiert. Ungeachtet der unterschiedlichen Grade der Vermarktlichung in den untersuchten Ländern zeichnete sich in allen Ländern ein Trend zu Wohlfahrtsmärkten in der Alterssicherung ab. Die privaten Beiträge, die Rücklagen und die Versichertenzahlen sind gewachsen. Hohe Wachstumsraten waren vor allem dann festzustellen, wenn regulative Eingriffe vorgenommen wurden, wie die Einführung neuer Wohlfahrtsmärkte in Deutschland und Schweden (Riester-/Prämienrente) oder die Ausweitung des Versichertenkreises. Der historische Vergleich zwischen Deutschland, Schweden und den USA offenbarte auch, dass die USA ein Pionier der privaten Altersvorsorge waren, weil schon nach dem Zweiten Weltkrieg private Rentenversicherungen immer wichtiger wurden (Hacker 2002; Hacker/Pierson 2004). In Schweden und Deutschland waren private Rentenversicherungen in verschiedenen Formen wie Betriebsrenten oder Lebensversicherungen auch schon vor den 2000er Jahren relevant. Das große Wachstum setzte aber 2001 in Schweden beziehungsweise 2002 in Deutschland mit der Einführung neuer Rentenmärkte ein. Der internationale und historische Vergleich der Finanzierung und Produktion der Rentenmärkte bestätigte also die Grundannahme (1), dass Wohlfahrtsmärkte in der Alterssicherung an sozialpolitscher Relevanz zugenommen haben. Der folgende Abschnitt wird nun untersuchen, ob auch die Wahlfreiheit auf den Wohlfahrtsmärkten ausgeweitet wurde. Wahlfreiheit – Die Qual der Wahl Dieser Abschnitt wird zunächst die Wahloptionen der Rentenmärkte in Deutschland, Schweden und den USA erheben. Im zweiten Schritt wird das tatsächliche Wahlverhalten anhand einiger ausgewählter Studien diskutiert. 137 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS Wahloptionen Rentenversicherungen Die vorhandenen Wahloptionen werden nach dem Analyseraster aus den methodischen Überlegungen (s. S. 100) nach Marktzugang, Wahloptionen und Wechseloptionen hin dargelegt. Auf die Ausstiegsoption wird im Rahmen des Marktzugangs eingegangen, weil sie meist einander bedingen.61 Tabelle 7 fasst die Ergebnisse aller Wahloptionen für individuelle und betriebliche Rentenversicherungen zusammen. Tabelle 7: Überblick Wahloptionen Wahloptionen individuelle Rente Marktzugang Wahloption Wechseloption Betriebsrente Marktzugang Wahloption Wechseloption Deutschland Schweden USA freiwillig (Opt-in) hoch hohe Transaktionskosten obligatorisch hoch keine Transaktionskosten (2001–2009), seit 2010 Wechselgebühren freiwillig (Opt-in) hoch Übertragung möglich Opt-out (Opt-in) meist keine keine Opt-out Opt-within Fondswechsel ohne Transaktionskosten, kein Wechsel zwischen Betriebsr. Opt-out / Opt-in Opt-within Übertragung möglich Quelle: eigene Darstellung. Marktzugang und Marktaustieg Der Marktzugang ist nur bei der schwedischen Prämienrente obligatorisch. Die deutsche Riester-Rente und die US-amerikanischen individuellen Rentenversicherungsoptionen (u.a. IRAs, Keogh plans) sind ausschließlich freiwillig (Opt-in). Beim Marktzugang besteht in Schweden also keine Wahloption, wohingegen in Deutschland und den USA ein hoher Grad an Wahlfreiheit besteht. —————— 61 Für diese Studie konnten keinen vergleichbaren Indikatoren für Kosten des Marktaustiegs gefunden werden (z.B. Kündigungsgebühren), weshalb dieser Aspekt der Wahloptionen nicht berücksichtigt wird. 138 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die Betriebsrenten sind in allen drei Ländern häufig quasiobligatorisch, weil die Versicherung automatisch erfolgt und ein bewusster Austritt zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen müsste (Optout). In Schweden haben über 90 Prozent der Erwerbstätigen Zugang zu quasi-obligatorischen Betriebsrenten (Sjögren Lindquist/Wadensjö 2006). Auch in den USA ist eine Zunahme von quasi-obligatorischen Betriebsrenten zu verzeichnen (Madrian/Shea 2001; Munnell u.a. 2001; Thaler/Benartzi 2004; Vanguard 2008). Deutsche Betriebsrenten waren bis Ende der 1990er Jahre überwiegend obligatorisch oder quasi-obligatorisch. Mit der Rentenreform von 2001 wurden auch freiwillige betriebliche Rentenversicherungsvarianten (z.B. Entgeltumwandlung) eingeführt (Berner 2008; Ebbinghaus u.a. 2011; Oesch 2008). Wahloptionen Individuelle Rentenversicherungen. Für Deutschland und Schweden ist die Anzahl der lizenzierten Produkte in Abbildung 8 aufgeführt.62 In Deutschland waren Anfang 2009 rund 4000 Produkte von 1890 Anbietern zugelassen (Produktanzahl dicke durchgehende Linie in Abbildung 8). Seit der Einführung der Riester-Rente haben aber schon über 2000 Anbieter auf dem Markt agiert und über 4300 verschiedene Produkte angeboten. Jeder Anbieter hat sich also mit rund zwei Produkten auf dem Rentenmarkt platziert. Eine genauere Analyse des deutschen Datensatzes zeigt, dass sich die Menge der lizenzierten Produkte und Anbieter verringert, wenn nur die Produktnamen erfasst werden. Sparkassen und andere Bankverbünde sind in der Datenbank jeweils mit ihren regionalen Vertretungen aufgeführt, sie vermarkten aber ein national/regional einheitliches Produkt. Eine genaue Aufschlüsselung der Produktnamen zeigt, dass die Altersvorsorgeprodukte der Bankverbünde überwiegend die gleichen Produktnamen verwenden. Beispielsweise vermarkten die bayerischen Sparkassen Riester-Sparpläne als RentePlus. Trotz des einheitlichen Marken- und Lizensierungsnamens der bayerischen Sparkassengruppe differieren die Zinssätze und Vertragskonditionen erheblich zwischen den einzelnen bayerischen Sparkassen (Finanztest 2005: 32). Andere in der Zertifizierungsliste aufgeführte Namen wie »Altersvorsorgevertrag nach dem Altersvermögensgesetz (Bankguthaben mit Zinsansammlung) (Referenzzins)« werden von mehreren —————— 62 Für die USA existieren keine vergleichbaren Daten zur Anzahl der lizenzierten Rentenpläne oder Anbieter. 139 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS sehr unterschiedlichen Banken und Versicherungen benutzt. Einige der Angebote sind regional begrenzt, andere werden bundesweit angeboten, was zu erheblichen regionalen Ungleichheiten führt. Der Marktzugang ist zwar für alle gleich, aber nicht alle Bürger haben Zugang zum gleichen Angebot. Abbildung 8: Anzahl der lizenzierten privaten Rentenversicherungen, 2000–2009 4000 3500 Anzahl 3000 2500 2000 1500 1000 500 2000 2002 Deutschland 2004 Jahr 2006 2008 Deutschland Produktnamen 2010 Schweden Quelle: eigene Berechnungen (BaFin 2009; PPM 2009b). Anmerkungen: Die dicke durchgehende Linie gibt Anzahl aller deutschen Riester-Produkte an, die pro Jahr auf dem Markt zugelassenen waren. Die Anzahl der Produktnamen (–···–···) gibt alle verwendeten Produktnamen wieder, als Näherungswert für die tatsächlichen Wahloptionen (Details siehe Text). Basierend auf diesen Überlegungen zur tatsächlichen Produktvielfalt kann eine alternative jährliche Produktanzahl berechnet werden, die sowohl die regional vorhandenen Wahloptionen als auch die vom Konsumenten wahrgenommen Marken und somit Produktoptionen genauer abbildet. In Abbildung 8 ist diese genauere Erhebung der Wahloptionen als Anzahl der Produktnamen angegeben (–···– Deutschland Produktnamen).63 Die An- —————— 63 Die Berechnung der Produktnamen mit dem BaFin-Datensatz ist aufgrund der Struktur des Datensatzes anfällig für Fehler. Die Beobachtungen sind in dem BaFin-Datensatz als 140 WOHLFAHRTSMÄRKTE zahl aller jemals angebotenen Riester-Produkte reduziert sich dann auf 502. Einige dieser Produkte sind wieder vom Markt verschwunden, sodass jährlich knapp 300 Riester-Produkte unter gleichem Namen angeboten wurden. Im Vergleich zu den 4000 lizenzierten Produkten wirkt die Anzahl der Produktnamen übersichtlicher für den Konsumenten. Aber selbst unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede und Marketingstrategien stehen den deutschen Konsumenten sehr viele Wahloptionen zur Verfügung. Da die Berechnung der Produktnamen nur ein Näherungswert der tatsächlichen Produktvielfalt darstellt, beziehen sich die folgenden Ausführungen ausschließlich auf die komplette Anzahl der Riester-Produkte (und -Anbieter), die als dicke durchgehende Linie in Abbildung 8 angegeben ist. Der direkte Vergleich des Angebots zwischen Schweden und Deutschland zeigt, dass die Wahloptionen in Deutschland viel größer sind als in Schweden. Dennoch gelten beide Märkte als unübersichtlich, weil individuell das Angebot von über 800 schwedischen beziehungsweise über 4000 deutschen Rentenversicherungen und -fonds kaum überblickt werden kann (Hagen/Reisch 2010; Schwartz 2004). Selbst professionellen Verbraucherorganisationen, die Produktvergleiche anstellen, ist es schier unmöglich einen vollständigen Überblick über die Wahloptionen zu erlangen und das beste Produkt auf dem Markt herauszufiltern (beispielsweise Finanztest).64 Die hohe Anzahl der Wahloptionen erschwert deshalb individuell eine optimale Entscheidung zu treffen. Im Zeitverlauf erscheint das Produktangebot seit der Einführung der Rentenmärkte in Deutschland und Schweden relativ stabil und steigt in beiden Ländern nur leicht an. Vier bis fünf Jahre nach der Einführung der schwedischen Prämienrente und der deutschen Riester-Rente ist ein kleiner Einbruch des Angebots festzustellen, um anschließend weiter anzusteigen. In beiden Ländern gab es zu diesem Zeitpunkt kleine Änderungen der Zertifizierung, die offensichtlich dazu führten, dass einige Produkte – anstatt an die neuen Vorgaben angepasst zu werden – vom Markt genommen wurden. Anschließend haben die Anbieter aber mehr Versicherungsprodukte angeboten als vor den Änderungen. —————— String-Variablen gespeichert, wodurch minimale Rechtschreibfehler oder Namensergänzungen die Berechnung verzerren. 64 Der einzige Unterschied ist, dass die schwedischen Versicherten umfassende und unabhängige Informationen von der öffentlichen Rentenbehörde zu den einzelnen Rentenfonds bekommen. Die Versicherten erhalten somit einen einfachen Überblick über den Markt, was in Deutschland für Laien nicht möglich ist (PPM 2009a). EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 141 Die Anzahl der Produktanbieter veränderte sich trotz der Produktschwankungen in beiden Ländern nicht wesentlich. In Schweden war die Anbieteranzahl von Prämienrenten stabil bei 70–80 pro Jahr im Vergleich zu knapp 2000 Anbietern in Deutschland. Die Marktkonzentration ist in Schweden also weitaus stärker als in Deutschland.65 Insgesamt kann konstatiert werden, dass die Wahloptionen für individuelle Rentenversicherungen zugenommen haben, insbesondere nach der Marktschaffung, anschließend erfolgte kaum eine Veränderung der Wahloptionen. Die Wohlfahrtsnutzer konnten seitdem zwischen einer Vielzahl von Anbietern und Produkten wählen, die jedoch für den einzelnen Versicherten sehr unübersichtlich sind. Betriebsrenten. Da in Deutschland keine Wahloptionen zwischen Betriebsrenten bestehen, werden die folgenden Absätze nur die USA und Schweden behandeln. In den USA können die Versicherten nicht zwischen den rund 700.000 verschiedene Betriebsrentenpläne wählen (U.S. Department of Labor 2009b: E1g), sondern sind an die Konditionen ihrer Arbeitgeber gebunden. Allerdings können die Versicherten von beitragsorientierten (DC) Betriebsrenten, die seit den 1980er Jahren gegenüber Betriebsrenten mit Leistungszusage (DB) dominieren, zunehmend zwischen verschiedenen Anlageoptionen wählen. So konnten die Versicherten im Jahre 2007 durchschnittlich zwischen 22,5 Rentenfonds wählen, während ihnen im Jahre 2000 durchschnittlich nur 13,2 Wahloptionen zur Verfügung standen (Vanguard 2008: 32). Ebenso wurde nicht nur die Anzahl der angebotenen Fonds erhöht sondern auch deren Diversität nahm zu (z.B. mehr internationale Fonds und Lebenszyklusfonds). Auch in Schweden wurden die Wahloptionen der Betriebsrenten ausgeweitet. In Schweden existieren insgesamt nur vier Betriebsrentensysteme, die von den vier großen Gewerkschaften verwaltet werden. Abgesehen von der Betriebsrente der Angestellten (ITP) erfolgte auch in Schweden in den letzten zehn Jahren eine Umstellung von der Leistungszusage zu beitragsorientierten Betriebsrenten. Mit der Einführung der beitragsorientierten —————— 65 Allerdings ist zu erwarten, dass sich die deutsche Anbieteranzahl ähnlich wie die Produktanzahl reduziert, wenn Bankverbünde und Konsortialanbieter zusammengefasst und als ein Akteur berücksichtigt werden. Aufgrund der angeführten Mängel im BaFin Datensatz (s. Fußnote 63) führte die entsprechende statistische Auswertung zu ungenauen Ergebnissen, weshalb sie hier nicht aufgeführt werden. 142 WOHLFAHRTSMÄRKTE Systeme wurden ebenfalls die Wahloptionen ausgeweitet. Ähnlich wie bei der Prämienrente können die Versicherten frei zwischen verschiedenen Fonds wählen (Sjögren Lindquist/Wadensjö 2006: 161–185). Wechseloption In Deutschland war ein Wechsel entweder mit hohen Transaktionskosten verbunden (Riester-Rente, u.a. AP 2008a; GDV 2008) oder überhaupt nicht möglich (Betriebsrenten). Die schwedischen Fonds der Prämienrente und Betriebsrenten konnten bis 2009 ohne individuelle Transaktionskosten gewechselt werden. Die Wechselkosten waren in den allgemeinen Verwaltungsgebühren enthalten und wurden auf alle Versicherten umgelegt. Seit 2010 erhebt die Prämienrentenbehörde geringe individuelle Wechselgebühren für jede Transaktion im Portfolio (Prop. 2009/10:44).66 Allerdings konnten die schwedischen Versicherten nicht zwischen Betriebsrenten wechseln oder Beitragskonten in einen anderen Betriebsrentenfonds übertragen. In den USA waren Wechsel zwischen Anbietern und Unternehmen kein Problem, weil seit 1974 Wechsel zwischen Rentenfonds und Betriebsrenten durch die ERISA-Gesetzgebung geschützt wurden. Rentenrücklagen konnten zwischen Betriebsrenten mit Leistungszusage (DB) kostenfrei transferiert werden (McGill u.a. 1996; 2005). Seit 2006 können auch Rentenansprüche aus DC Betriebsrenten und IRAs kostenfrei in einen neuen Vertrag übertragen werden.67 Insgesamt wurde in diesem Abschnitt deutlich, dass Versicherten seit Anfang der 1990er Jahre, trotz aller Unterschiede, mehr Wahloptionen zur Verfügung stehen. Sie können entscheiden, ob sie überhaupt eine zusätzliche private Versicherung abschließen wollen und sie können zwischen mehreren Optionen wählen. Wahlverhalten Wie wirken sich der regulative Rahmen und diese Kostenstruktur auf das Wahlverhalten aus? Die Datenlage zum tatsächlichen Wahlverhalten ist in allen drei Ländern sehr spärlich, bis auf die bereits diskutierten Versichertenzahlen, die vor allem den Marktzugang abbilden. Die folgende Diskussion des Wahlverhaltens präsentiert eher eine Auswahl an Indizien —————— 66 Weitere Details in Kapitel 1. 67 Pension Protection Act of 2006. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 143 als einen stringenten empirischen Vergleich. Dennoch veranschaulichen die verschiedenen Studien, wie die vorhandenen Wahloptionen das tatsächliche Wahlverhalten prägen. Deutschland. Das Wahlverhalten der Deutschen wurde mittlerweile gut untersucht, insbesondere der Vertragsabschluss. Anhand verschiedener Datenbanken und Umfragen wurde untersucht, welche soziodemografischen Charakteristika den Abschluss eines Riester-Vertrags und die Höhe der eingezahlten Beiträge beeinflussen (Wilke 2012). Insgesamt zeigen diese Analysen eine soziodemografische Segregation im Wahlverhalten, das heißt individuelle Charakteristika und das soziale Umfeld der Versicherten bestimmen ihr Wahlverhalten (Blank 2011a; Lamping/Tepe 2009; Rieckhoff 2011; Stolz/Rieckhoff 2005; 2006; Wilke 2012). Außerdem ist die Wechselquote im Rahmen der Riester-Rente ein wichtiger Indikator für erfolgreiche und nachhaltige Vertragsabschlüsse. In Deutschland wurden trotz der steigenden Versichertenzahlen »seit dem Start der Riester-Reform 2001 bis Ende 2007 rund 950.000 Verträge aufgelöst, gewechselt oder ruhen gelassen« (AP 2008a).68 Die wenigen veröffentlichten Schätzungen der jährlichen Kündigungsquote schwanken zwischen drei und fünf Prozent (GDV 2008; Hagen/Reisch 2010: 12). Insgesamt scheinen die hohen Transaktionskosten Wechsel und Kündigungen von Riester-Verträgen nicht zu verhindern. Wenn man die Anzahl von rund einer Million ruhenden, gewechselten oder aufgelösten Riester-Verträgen den unterzeichneten Verträgen gegenüberstellt, haben rund 10 Prozent der Versicherten ihre Riester-Vorsorge zumindest temporär ausgesetzt oder hohe Transaktionskosten für eine suboptimale erste Wahl zahlen müssen. USA. Die Haupterkenntnisse über das Wahlverhalten der US-amerikanischen Versicherten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Tendenziell wird die Entscheidung für eine private Altersvorsorge zu spät getroffen und dann auch noch zu wenig in die Rentenversicherungen eingezahlt (Venti 2006). Dieses kurzsichtige Handeln führt zu einer Unterversicherung der Bevölkerung und unzureichenden Rentenrücklagen, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Zusätzlich zu diesen Haupteffekten investieren die Versicherten in risikoarme Rentenfonds (Benartzi/Thaler —————— 68 Es fehlen leider öffentlich zugängliche und verlässliche Daten, die unabhängig von der Versicherungswirtschaft erhoben und überprüft werden können; siehe dazu vor allem Rieckhoff u.a. (2010). 144 WOHLFAHRTSMÄRKTE 1999; Madrian/Shea 2001; Thaler/Benartzi 2004) und streuen das Risiko nicht ausreichend (Benartzi/Thaler 2001). Der erste Effekt führt zu einer unterdurchschnittlichen Kapitalentwicklung und der zweite Effekt erhöht die Verlustgefahr der Rentenrücklagen. Zudem ist festzustellen, dass vor allem die oberen vier Einkommensdezile von den Steuererleichterungen profitieren (Howard 1997; Hughes/Sinfield 2004). Auch die US-amerikanischen Studien zeigen, dass die Wahloptionen die Individuen überfordern und sie dazu neigen, suboptimale Entscheidungen auf den Rentenmärkten zu treffen. Diese Verhaltensmuster verstärken die Einkommensunterschiede, die ohnehin durch die Bevorzugung der Besserverdienenden bei den Steuererleichterungen auftreten. Zum Wechselverhalten der US-amerikanischen Versicherten ist festzuhalten, dass meist zwangsläufig der Wechsel des Arbeitgebers auch zu einem Wechsel der Betriebsrente führt. Obwohl die Übertragungsregeln der Rentenrücklagen verbraucherfreundlich gestaltet sind, werden sie häufig – selbst unter hohen Straf- und Steuernachzahlungen – zweckentfremdet. Die Versicherten entscheiden sich bei einem Jobwechsel, vor allem aufgrund von Arbeitslosigkeit, für die Auszahlung der Rentenrücklagen, anstatt sie beim neuen Arbeitgeber wieder in die Betriebsrente einzuzahlen (Engelhardt 2002; 2003; Poterba u.a. 1998). Die gestiegenen Wahloptionen innerhalb der Betriebsrenten haben das Produktportfolio geringfügig von 3,1 Produkten im Jahre 2000 auf 3,7 Produkte im Jahre 2007 erhöht. Das tatsächliche Wahlverhalten hat sich im Vergleich zur Verdoppelung der Wahloptionen im selben Zeitraum kaum verändert (vgl. S. 141). Daraus wird offensichtlich, dass die Versicherten von ihren gestiegenen Wahloptionen kaum Gebrauch gemacht haben (Benartzi/Thaler 2001; Vanguard 2008: 36). Schweden. Trotz anfangs abwesender Transaktionskosten der Prämienrente wechselten die schwedischen Versicherten selten ihr Portfolio oder machten überhaupt von ihrem Wahlrecht Gebrauch (Cronqvist/Thaler 2004). Zwei Entwicklungen des Wahlverhaltens sind in Schweden bemerkenswert: Erstens entschieden sich immer weniger neue Prämiensparer für eine aktive Wahl. Während 2001 noch achtzehn Prozent der neuen Sparer eine aktive Wahl trafen, entschieden sich 2008 weniger als zwei Prozent der neuen Sparer für einen oder mehrere Fonds. Die Mehrheit der neuen Sparer (über 98 %) blieb im Standardfonds. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 145 Zweitens wechselten diejenigen, die einmal eine Wahl getroffen hatten, trotz anfänglicher aktiver Fondsverwaltung in den folgenden Jahren immer seltener ihr Portfolio. Die Rentenfonds wurden also seltener den Finanzmarktentwicklungen angepasst (PPM 2009a; 2009b). Insbesondere Frauen und Sparer mit geringen Bildungsabschlüssen hielten an ihrer ersten Wahl fest (PPM 2009a: 46). Die über 3 Millionen Transfers wurden überwiegend von einer kleinen Minderheit an Sparern vollzogen (12 % 2008). Die anfallenden Transferkosten trugen aber alle Sparer. Vor allem die häufigen Wechsel zahlten sich langfristig aus, denn je aktiver die Sparer waren, desto geringer war das Verlustrisiko und desto höher war die Wertentwicklung. Im Mai 2010 wurden die Wahloptionen und Anlagebedingungen des Standardfonds geändert; wie sich die Reform auf das Wahlverhalten ausgewirkt hat, ist jedoch noch nicht abzusehen. Zusammenfassend kann in allen drei Ländern eine Ausweitung der Wahloptionen festgestellt werden. Versicherte haben heutzutage eine Vielzahl an Alternativen, wie sie sich im Alter absichern können. Das tatsächliche Wahlverhalten zeigt aber, dass Individuen häufig suboptimale Entscheidungen treffen und nur bedingt rational handeln. Die Versicherten schieben wichtige Entscheidungen auf oder bleiben bei den schlechteren Standardoptionen. Im ungünstigsten Fall schlossen sie sogar einen Rentenvertrag ab, kündigten aber unter zu hohen Kosten ihre Altersvorsorge wieder und waren im Endeffekt sogar schlechter gestellt als ohne aktive Wahlentscheidungen. Die neuen Wahloptionen haben also einen Markt geschaffen und induzierten Wettbewerb unter den Anbietern. Dieser Wettbewerb und die individuellen Entscheidungen waren aber nicht immer optimal oder effektiv, sowohl individuell als auch für die gesamte Gesellschaft. 4.1.3 Vermarktlichung in allen Dimensionen – Ausblick auf die Rentenmärkte Der Vergleich der Rentenmärkte aus internationaler Perspektive und in den historischen Fallstudien bestätigte die Ausgangsüberlegungen: Erstens bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Wohlfahrtsmärkten in Bezug auf Relevanz, Finanzierungsverantwortung und Arbeitsteilung. Die drei Länder Deutschland, Schweden und die USA zeigen ein 146 WOHLFAHRTSMÄRKTE Muster, das zum Teil mit den bereits bekannten Wohlfahrtsregimetypologien im Einklang ist (Esping-Andersen 1987). Die USA haben als liberales Wohlfahrtsmarktregime das größte Rentenmarktvolumen und waren die Pioniere bei der Einführung von betrieblichen und individuellen Rentenversicherungen. Die marktförmigen Renten wurden sogar steuerlich mehr bezuschusst als die öffentliche Rentenversicherung (OASDI). In Deutschland, einem konservativen Wohlfahrtsregime, wurden die Rentenmärkte ausgeweitet, aber insgesamt blieb ihr Marktvolumen gering. Die Rentenmärkte sind in Deutschland eine freiwillige Ergänzung zur obligatorischen Sozialversicherung. Unerwartet hoch war das Marktvolumen im sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsregime Schwedens. Vor allem die vollständige Integration der Prämienrente in das obligatorische Rentensystem führte zu hohen Versichertenzahlen. Der private Beitragsanteil an den gesamten Beiträgen war allerdings im Vergleich zu Deutschland und den USA relativ gering. Zweitens konnte in allen Dimensionen mit verschieden Indikatoren ein Anstieg der Rentenmärkte festgestellt werden. Beispielsweise sind die privaten Rentenbeiträge gestiegen, mehr private Anbieter konkurrieren auf den Rentenmärkten und die Wahloptionen wurden ausgeweitet. Die Rentenmärkte wurden teilweise neugegründet, was zu besonders hohen Wachstumsraten führte, aber auch etablierte Rentenmärkte verzeichneten hohe Wachstumsraten. Die jüngsten Rentenmärkte sind im Bereich der individuellen Rentenversicherung entstanden. Sie weisen die höchsten Wachstumsraten auf, zeigen die meisten Marktmechanismen und eröffnen die größten Wahloptionen, weshalb sie aus der Forschungsperspektive dieser Studie am interessantesten sind. Das gestiegene Marktvolumen der individuellen Rentenversicherungen bestätigt somit die Fallauswahl und das Augenmerk auf die Regulierung der individuellen Rentenversicherungen in den Fallstudien (Kapitel 5). Ebenso werfen insbesondere die extrem unterschiedlichen Wachstumsraten der individuellen Rentenversicherungen einige Fragen auf, wie beispielsweise: Warum hat Schweden als skandinavischer Wohlfahrtsstaat ein so hohes Marktvolumen gegenüber Deutschland? Die neuen individuellen Rentenmärkte sind im Vergleich zu den Betriebsrenten ein neues Phänomen und ihre Entstehung, ihr Wachstum und ihre institutionellen Merkmale sind zu weiten Teilen noch unerforscht. Drittens fallen die beobachteten Rentenmärkte grob in zwei Kategorien von Wohlfahrtsmärkten (vgl. Abbildung 1). Obwohl alle Rentenmärkte EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 147 öffentlich bezuschusst werden, überwiegt doch die marktförmige Finanzierung, sodass entweder regulierte (Deutschland, USA) oder obligatorische (Schweden) Wohlfahrtsmärkte entstanden sind. Aufgrund der Mischfinanzierung sind die beobachteten Wohlfahrtsmärkte eher hybride Typen mit Elementen von Vouchermärkten, insgesamt überwiegt aber die Vermarktlichung der Finanzierung. Der internationale Vergleich unterstreicht diese Beobachtung von überwiegend regulierten und obligatorischen Wohlfahrtsmarkttypen im Bereich der Altersvorsorge. 148 4.2 WOHLFAHRTSMÄRKTE Bildung Das Bildungskapitel weist dieselbe Struktur wie das Rentenkapitel auf. Im Bildungskapitel erfolgt zuerst ein internationaler Vergleich des Marktvolumens in den OECD-Ländern, um die spezifischen Länderunterschiede herauszuarbeiten. Darin werden lediglich die Finanzierungs- und Produktionsdimension untersucht, weil keine Daten über die Wahlfreiheit vorhanden sind. Dieser Vergleich zeigt, dass die Variation zwischen den Ländern genauso hoch ist wie die Variation zwischen dem primären, sekundären und tertiären Bildungssektor. Die Unterschiede des Marktvolumens zwischen den untersuchten Ländern verändern sich somit, je nachdem auf welchem Bildungssektor der Fokus liegt. Im Anschluss an den internationalen Vergleichs folgt ein historischer Vergleich der Bildungsmärkte in Deutschland, Schweden und den USA – jeweils mit dem Schwerpunkt auf Primar- und Sekundarschulen. Die historische Analyse soll zeigen, dass Privatschulen in allen drei Ländern seit 1990 einen Boom erlebt haben. Die steigende Zahl der Privatschüler und der Anstieg der Wahlfreiheiten gehen aber nicht mit einer Privatisierung der Finanzierung einher. Der Vergleich der Privatisierung zeigt eine getrennte Entwicklung von Finanzierung und Produktion. Das erste Unterkapitel (4.2.1) zeigt zuerst das Volumen der Bildungsmärkte international vergleichend auf. Im zweiten Teil (4.2.2) wird das Ausmaß der Bildungsmärkte in Deutschland, Schweden und den USA ausführlicher untersucht. Das Kapitel beinhaltet einen Exkurs über Charter Schools und Schulgutscheine in den USA, die mit den üblichen Indikatoren für Wohlfahrtsmärkte nicht gemessen werden können und deshalb separat behandelt werden. Zum Schluss erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse in einem Fazit (4.2.3). 4.2.1 Internationaler Vergleich der Bildungsmärkte Der internationale Vergleich beginnt mit den Bildungsausgaben nach öffentlichen und privaten Finanzierungsquellen, um anschließend die private Produktion von Bildung zu untersuchen. Ziel des internationalen Vergleichs ist es Unterschiede der Bildungsmärkte herauszuarbeiten und diese mit den Wohlfahrtsregimen zu kontrastieren. Dies verdeutlicht zum einen die beträchtlichen Unterschiede im Marktvolumen von Bildungsmärkten und zum anderen wird betont wie repräsentativ die Fallstudien EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 149 Deutschland, Schweden und die USA für verschiedene Bildungsmärkte sind (vgl. Kapitel 3). Finanzierungsdimension der Bildungsmärkte Bei der Finanzierungsdimension stehen die Unterschiede zwischen öffentlicher und privater Bildungsfinanzierung und die Relevanz der einzelnen Bildungssektoren im Vordergrund. Bisherige Schätzungen des Bildungsmarktvolumens haben sich vor allem auf die gesamte Bildungsfinanzierung konzentriert (Wolf 2009; Wolf/Zohlnhöfer 2009; Zohlnhöfer 2007b). Diese Ländervergleiche der gesamten Bildungsfinanzierung bestätigen im Großen und Ganzen die Aufgabenverteilung zwischen privaten und öffentlichen Finanzierungsquellen, die auch Esping-Andersen (1990) für die Finanzierung der sozialen Sicherung annimmt. Demnach kann in skandinavischen Wohlfahrtsstaaten eine hohe öffentliche Finanzierungsquote, in kontinentalen Wohlfahrtsstaaten eine mittlere und in angloamerikanischen Wohlfahrtsstaaten eine geringe nachgewiesen werden. Betrachtet man die gesamte Bildungsfinanzierung als Anteil am BIP, werden ebenfalls unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der Wohlfahrtsstaaten deutlich. Diese werden insbesondere im Vergleich zu den Sozialausgaben relevant. Die angloamerikanischen Wohlfahrtsstaaten investieren – relativ betrachtet – einen größeren Anteil ihres Sozialproduktes in Bildung als in die Sozialtransfers, um die Chancengleichheit zu erhöhen. In den nordischen Wohlfahrtsstaaten wird versucht, sowohl eine hohe Chancengleichheit durch Bildung als auch eine hohe Ergebnisgleichheit zu erreichen, was zu hohen Ausgabenquoten sowohl im Bildungs- als auch im Sozialbereich führt. Die kontinentalen Wohlfahrtsstaaten weisen eher geringe Bildungsausgaben auf und fokussieren somit ihre Ausgaben stärker auf lebensstandard- und statussichernde Sozialtransfers (vgl. dazu auch Heidenheimer 1981). Diese Länderunterschiede gelten nur für die Finanzierung aller Bildungseinrichtungen. Sie zeigen nicht die Finanzierung der sozialpolitisch viel relevanteren primären und sekundären Bildung (Schulen), weil hier frühzeitig Weichen für Bildungs- und Berufskarrieren gestellt werden. Deshalb zeigt die folgende Abbildung die Finanzierung von Schulen.69 —————— 69 Im Text wird auf weitere, hier nicht abgebildete, Auswertungen Bildungsausgaben der Hochschulen und Berufsschulen verwiesen. 150 WOHLFAHRTSMÄRKTE Abbildung 9 zeigt den prozentualen Anteil privater Finanzierungsquellen als Balken und die gesamten Bildungsausgaben in Prozent des BIP als Punkte auf einer Linie (vgl. ähnliche Darstellungsweise der gesamten Bildungsausgaben in Wolf 2009): 10 5 13.2 14.2 14.9 15.2 16.4 17.1 15 0.1 0.1 0.8 1.6 2.1 3.2 3.4 3.8 4.0 4.5 4.5 5.3 6.4 6.5 7.5 9.0 9.9 9.9 10.1 20 6 5 4 3 2 1 0 0 PRT SWE FIN POL DNK IRL ISL ITA NLD AUT HUN BEL GRC ESP FRA USA JPN CZE CAN CHE NZL GBR DEU AUS MEX KOR Prozent der privaten Bildungsausgaben 25 Prozent des BIP 23.0 Abbildung 9: Schulausgaben nach Finanzierungsquelle: Prozent der privaten Ausgaben, Ausgaben in Prozent des Bruttosozialprodukts, 2005 Private Schulausgaben in % der gesamten Schulausgaben (linke Achse) Gesamte Schulausgaben in Prozent des BIP (rechte Achse) Quelle: OECD (2008b: Indicators B2.2, B3.2a). Anmerkungen: Balken: Prozent privaten Ausgaben, Linie: Ausgaben in Prozent des BIP; nur Primar- und Sekundarstufe ohne post-sekundäre nicht-tertiäre Bildung Am auffälligsten ist, dass die Wohlfahrtsstaatstypen Esping-Andersens nicht mehr so offensichtlich bei den Schulausgaben zu erkennen sind. Die öffentlichen Finanzierungsquellen dominieren für Primar- und Sekundarschulen in sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten, allerdings gilt das auch für andere Länder wie Portugal, Polen und Irland. Die drei genannten Länder investieren jedoch erheblich weniger öffentliche Mittel in tertiäre und vorschulische Bildungseinrichtungen als skandinavische Länder. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 151 Von den angloamerikanischen Staaten widersprechen insbesondere die USA dem erwarteten Muster. Private Bildungsfinanzierung floss 2005 primär in die tertiäre Bildung, während die öffentliche Finanzierung in die schulische Bildung floss. Deutschland weist entgegen der vorherigen gesamten Bildungsfinanzierung einen hohen Anteil privater Finanzierungsquellen für Schulen auf. Insgesamt zeigen sich andere Ländergruppen bei den Finanzierungsquellen für Schulen im Vergleich zu allen Bildungsbereichen. Der Vergleich der privaten und öffentlichen Finanzierungsquellen veranschaulicht insgesamt, dass die öffentliche Finanzierung bei Schulen dominiert und durchschnittlich über 90 Prozent beträgt (OECD 2008b: 252– 253). Im Gegensatz dazu liegt die öffentliche Finanzierungsquote in den OECD-Ländern in der vorschulischen Bildung bei rund 80 Prozent und in der tertiären Bildung bei rund 70 Prozent. Hiermit wird die sozialpolitische Relevanz der primären und sekundären Bildung an Schulen unterstrichen, denn ihnen kommt in allen Ländern der höchste öffentliche Finanzierungsanteil zu. Eine Vermarktlichung dieses Bildungssektors wäre in diesem Kontext besonders dramatisch für die Betroffenen, denn fehlende öffentliche Bildungsausgaben müssten durch private Mittel aufgefangen werden. Mit Blick auf die Bildungsausgaben in Relation zur Wirtschaftsleistung (als Linie in Abbildung 9 dargestellt) konzentriert sich die folgende Analyse nur auf die drei Fallstudien Deutschland, Schweden und die USA. Anhand dieser drei Länder lässt sich die unterschiedliche Relevanz der Bildungsmärkte zwischen schulischer und tertiärer Bildung besonders gut veranschaulichen. Zunächst fällt auf, dass Deutschlands Bildungsausgaben vornehmlich in die primäre und sekundäre Bildung investiert werden. Die relativ geringe Gesamtausgabenquote ist vor allem auf fehlende Investitionen in den Hochschulsektor zurückzuführen (1,1 %).70 Schweden hingegen investierte in alle Bildungsbereiche relativ viel Geld und weist daher die höchste Ausgabenquote für Schulen im Vergleich der drei Staaten auf. Die USA investierten wiederum relativ stark in den Hochschulsektor (2,9 %), weshalb sie bei den privaten und öffentlichen Schulausgaben in Relation zur Wirtschaftsleistung unterdurchschnittlich abschneiden. —————— 70 Das Ausbildungsniveau der Dualen Berufsausbildung (post-sekundäre nicht tertiäre Bildung) entspricht in Deutschland in einigen Teilbereichen der tertiären Bildung in anderen Ländern und kann entsprechend diese Ausgabenlücke zum Teil erklären. 152 WOHLFAHRTSMÄRKTE Zusammenfassend zeigen die Finanzierungsindikatoren demnach, dass die Relevanz der Bildungsausgaben und die Finanzierungsverantwortung unabhängig voneinander sind, weil kein Zusammenhang zwischen den beiden Indikatoren festgestellt werden konnte. Die beobachtete Verteilung von öffentlicher und privater Finanzierung der Schulen entspricht nicht dem erwarteten Ländermuster von konservativen, sozialdemokratischen und angloamerikanischen Wohlfahrtsstaaten, sondern zeigt vor allem Deutschland als ein Land mit höheren privaten Schulausgaben als die USA.71 Produktionsdimension der Bildungsmärkte Dieser Abschnitt widmet sich der tatsächlichen Aufgabenverteilung zwischen Staat und Markt, das heißt dem Anteil der privaten Akteure im Bildungssystem. Der hier verwendete – und aussagekräftigste – OECDIndikator ist die Anzahl der Schüler an privaten und öffentlichen Schulen.72 Abbildung 10 zeigt deshalb die Verteilung der Schüler auf öffentliche und private Schulen im Ländervergleich. In Abbildung 10 wird deutlich, dass die postulierten Wohlfahrtsregime überhaupt nicht mehr zu erkennen sind. Beispielsweise weisen angloamerikanische Staaten sowohl geringe Anteile von Privatschülern auf (wie z.B. Irland), wie auch mittlere (z.B. USA) als auch hohe (z.B. Australien). Außerdem sind die Privatschüleranteile in den drei Fallstudien Deutschland, Schweden und USA auf einem ähnlichen mittleren Niveau. Darüber hinaus zeigen weitere, nicht abgebildete, Auswertungen, dass der Anteil der Privatschüler in Sekundarschulen 2005 in den meisten OECD-Ländern höher war als an Grundschulen. Der Trend zu mehr privaten Bildungseinrichtungen bei steigendem Bildungsgrad setzt sich im tertiären Bildungsbereich fort, sodass das höchste Marktvolumen – gemessen an der Produktionsdimension – dort nachzuweisen ist. Trotz dieser Privatisierungstendenz der Bildungsanbieter mit ansteigendem Bildungsniveau ist aber anzumerken, dass der überwiegende Teil der Privatschüler —————— 71 Wie auch schon bei den methodischen Überlegungen diskutiert sind die OECD-Daten nicht sehr reliabel im Vergleich zu nationalen Statistiken. Eine ausführlichere Diskussion erfolgt daher im Abschnitt Deutschland auf Seite 158. 72 Andere mögliche Indikatoren zur Messung der Produktion sind nicht in internationalen Datenbanken verfügbar (Beschäftigte, Abschlüsse) oder reliabel erhoben (Schulen). Diese Indikatoren werden erst in den Fallstudien mithilfe von nationalen administrativen Daten ausführlicher analysiert. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 153 Schulen besucht, die mehr als 50 Prozent ihres Haushaltes aus öffentlichen Zuschüssen finanzieren (OECD 2008b: 346–347). Die Privatisierung der Produktion von Bildung muss also nicht automatisch mit einer Privatisierung der Finanzierungsverantwortung einhergehen. Abbildung 10: Anteil der Schüler an öffentlichen und privaten Schulen, 2005 Quelle: OECD (2008b: table C2.4). Anmerkungen: ungewichteter Durchschnitt der Primar-, Untersekundar- und Obersekundarschulen, Niederlande = 2004 (2009c, Students enrolled by type of institution). Vermarktlichung der Produktion aber nicht der Finanzierung Welche Schlüsse können aus dem internationalen Vergleich von der Finanzierungs- und Produktionsdimension gezogen werden? Dieser Abschnitt fasst generelle Beobachtungen zusammen und erläutert die besonderen Charakteristika des Bildungsmarktvolumens. Die verwendeten Daten erlauben einen robusten Vergleich von 1998 bis 2005, sodass überprüft werden kann, ob eine Privatisierungstendenz in den OECD-Ländern festzustellen ist. In diesem Zeitraum stiegen die institutionellen Ausgaben an (von 11,9 auf 13,7 Prozent) und auch der Anteil der Privatschüler erhöhte sich leicht (von 12,5 auf 13,3 Prozent; OECD 2001: 93, 136; 2008b: 251–254, 346). Der höchste Anstieg ist im tertiären Bildungsbereich zu verzeichnen. Beim Anteil der privaten Finanzierung sind keine Veränderungen festzustellen. Die Effekte der Privatisierung sind jedoch nicht besonders stark, weshalb wir von einer schleichenden Privati- 154 WOHLFAHRTSMÄRKTE sierung der Bildungsinstitutionen sprechen können, das heißt langsam übernehmen Privatschulen oder andere private Anbieter mehr und mehr Unterricht. Diese schleichende Privatisierung des primären und sekundären Bildungssektors bleibt hinter der weiterhin überwiegend öffentlichen Finanzierung verborgen. Insgesamt gibt dieser kurze Zeitraum nur begrenzt Auskunft über generelle Trends in allen OECD-Ländern. Ebenso ist zu bedenken, dass der Durchschnittstrend gegenläufige oder extremere Privatisierungstendenzen in einzelnen Ländern nicht erfasst. Der internationale Vergleich zeigt deutliche Unterschiede im Marktvolumen der Bildungsmärkte zwischen den Ländern, vor allem hinsichtlich des Bildungsgrades, des Anteils der privaten Finanzierungsbeteiligung, des Anteils der Privatschüler und auch der gesamten Bildungsausgaben. Das Ziel des Vergleichs war, Bildungsregime zu identifizieren und den Wohlfahrtsstaatsregimen gegenüberzustellen. Die beobachteten Ländergruppen variierten erheblich, je nachdem welcher Indikator verwendet wurde und es konnten keine eindeutigen Wohlfahrtsmarktregime anhand des Marktvolumens identifiziert werden. Die wichtigste Erkenntnis aus der Analyse des Marktvolumens ist, dass Relevanz, Finanzierungsverantwortung und Produktion von Bildungsdienstleistungen voneinander unabhängige Dimensionen sind. Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem Anteil der privaten Finanzierung, dem Anteil der privaten Produktion und der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung (Ausgaben in Prozent des BIP). Der Anteil der privaten Produktion (wie die Anzahl der Privatschulen und -schüler auf dem Bildungsmarkt) ist nicht von der Verteilung der Finanzierungsverantwortung (z.B. Anteil privater Schulgebühren oder Spenden) abhängig. Der Vergleich der Finanzierungsverantwortung und der Produktion zeigt deutlich, dass ein hoher Privatschüleranteil sowohl mit einem hohen öffentlichen als auch mit einem hohen privaten Finanzierungsanteil zu beobachten ist. Die fehlenden Interdependenzen deuten darauf hin, dass vor allem die staatliche Regulierung ausschlaggebend für das Marktvolumen ist. Diese gestaltet die Attraktivität der privaten Investitionen in die eigene Bildung und die Verteilung der öffentlichen Gelder an private Institutionen. Von der Regulierung der Bildungsmärkte hängt es ab, ob Anreize für private Haushalte existieren, in private Bildungseinrichtungen (Schulen, Hochschulen) zu investieren und ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken. Da keine Vergleichsdaten existieren, welche Regularien implementiert wurden und welche Anreizstrukturen das Marktvolumen beeinflussen, wird an- EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 155 schließend in den Fallstudien Deutschlands, Schweden und den USA untersucht, wie vor allem die öffentlichen Bildungsausgaben verteilt werden, wie attraktiv private Schulen sind und wie die institutionellen Rahmenbedingungen die Bildungsmärkte überhaupt erst geschaffen haben. Das folgende Kapitel wird deshalb die Entwicklung des Marktvolumens in Deutschland, Schweden und den USA genauer untersuchen. 4.2.2 Ausbau der Privatschulen in Deutschland, Schweden und den USA Im Folgenden wird mit dem historischen Vergleich des Ausbaus von Privatschulen gezeigt, wie sich Wohlfahrtsmärkte in Deutschland, Schweden und den USA entwickelt haben, dort jeweils das Marktvolumen angestiegen ist und inwiefern diese Entwicklungen von regulativen Veränderungen abhängig waren. Um die historische Entwicklung des Marktvolumens nachzeichnen zu können, wird auf die zuverlässigere und validere nationale amtliche Statistik in den drei Ländern zurückgegriffen werden. Die Argumentation expandierender Bildungsmärkte in Deutschland, Schweden und den USA stützt sich hauptsächlich auf die Produktionsdimension. Die Datenlage ist diesbezüglich in allen drei Ländern sehr gut und kann teilweise bis Ende des 19. Jahrhunderts lückenlos zurückverfolgt werden. Allerdings ist die Datenlage der Finanzierungsdimension nicht sehr zuverlässig. Die Erhebungen von Schulgeld und öffentlichen Zuschüssen für Privatschulen sind häufig sehr lückenhaft. Zusätzlich zur Finanzierungs- und Produktionsdimension wird soweit wie möglich das Ausmaß der Wahlfreiheit für die drei Fallstudien erhoben und miteinander verglichen. Aufgrund fehlender Daten ist der historische Vergleich dieser Marktdimension nur eingeschränkt möglich. Ein Messproblem zur Eruierung des Bildungsmarktvolumens besteht in der Definition der Privatschulen in den USA, wodurch systematisch private Schulformen und Bildungsmärkte unterschätzt werden.73 Im Exkurs —————— 73 Typischerweise wird in der amtlichen Statistik die »Privatschule« durch das Organisationsprinzip, das heißt ob ein öffentlicher (Staat, Gliedstaat, Gemeinde) oder privater (Unternehmen, Stiftungen, Kirchen) Träger die Schule betreibt, definiert. Diese Art der Messung bezieht sich insbesondere auf die formale Privatisierung, das heißt den rechtlichen Status der Institution (vgl. Mayer 2006: 19–20). Unter dem Begriff »Privatschulen« sind demnach alle Schulen zu verstehen, die nicht in öffentlicher Trägerschaft sind. Aber auch die Erhebung »normaler« Privatschulen ist zum Teil nicht reliabel (Cooper 1988). 156 WOHLFAHRTSMÄRKTE auf Seite 169 werden diese Bildungsmärkte der Charter Schools und School Vouchers (sogenannte Schulgutscheine) separat erhoben, weil sie nicht direkt mit den Definitionen der Privatschulen in Deutschland und Schweden vergleichbar sind Trotz aller Einschränkungen hat der historische Vergleich den Vorteil, dass die Entwicklung der Bildungsmärkte über einen längeren Zeitraum betrachtet werden kann, was im vorherigen Abschnitt beim internationalen Vergleich nicht möglich war. Ein weiterer Vorteil der amtlichen Statistik ist, dass aktuellere Daten verwendet werden können, sodass bereits ein höherer Grad der Vermarktlichung aufgezeigt werden kann als mit den Daten der OECD. In dem gesamten Abschnitt wird verdeutlicht, dass im Zeitraum von 1990 bis 2010 das Marktvolumen für Privatschulen in den drei untersuchten Ländern gewachsen ist.74 Der Anteil der öffentlichen Finanzierung am allgemeinen Schulwesen stagnierte oder wurde sogar ausgeweitet. Im Gegensatz dazu ist bei der Produktion ein Anstieg der privaten Schulen und Schüler festzustellen. Diese Vermarktlichung der Produktionsdimension zeigt sich auch an hohen öffentlichen Zuschüssen für Privatschulen. Ebenso wurde die Wahlfreiheit in vielen Bereichen ausgeweitet. Dieser Anstieg des Marktvolumens basiert auf politischen Reformen (Marktschaffung, Marktliberalisierung) beziehungsweise den unterlassenen Modernisierungen des öffentlichen Schulwesens (Abwanderung in Privatschulen). Wie beim internationalen Vergleich werde ich zunächst mit der Finanzierung beginnen und anschließend den Anstieg der privaten Produktion diskutieren. Im dritten Abschnitt folgt eine Analyse der Wahlfreiheit im primären und sekundären Bildungsbereich. Finanzierung der Privatschulen Der Anteil privater Finanzierung öffentlicher Schulen ist in allen drei Ländern zu vernachlässigen, weil sie seit den 1960er Jahren ausschließlich —————— 74 Ich werde hier nicht auf die historische Entwicklung eingehen. Als kurze Referenz sei jedoch darauf hingewiesen, dass eine umfassende öffentliche Bildung ein Phänomen des 20. Jahrhunderts ist und nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre stark ausgebaut wurde. In den Jahrhunderten davor wurde Schulbildung überwiegend privat finanziert und bereitgestellt (Coulsen 1999; Herbst 2006). EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 157 steuerfinanziert und somit kostenfrei sind.75 Deshalb wird in diesem Abschnitt nur der Anteil der privaten Finanzierung für Privatschulen, das heißt von Haushalten und Unternehmen, betrachtet. Zuerst werden die OECD-Daten der Privatschulfinanzierung präsentiert und im zweiten Schritt die nationalen amtlichen Statistiken hinzugezogen. Zwischen 1997 und 2005 war der private Finanzierungsanteil für Privatschulen in Schweden und den USA überaus stabil, wobei der Anteil der privaten Finanzierung in Schweden zu vernachlässigen ist, weil er so gering ist (0,1 %). In den USA lag hingegen der Anteil der privaten Ausgaben stabil bei durchschnittlich 9 Prozent.76 In Deutschland fielen die privaten Ausgaben für Privatschulen hingegen von gut 20 auf 15 Prozent im Untersuchungszeitraum (eigene Berechnungen, private Ausgaben inklusive der öffentlichen Zuschüsse für Privatschulen; OECD 2009c). Die beobachtete Stabilität beziehungsweise der sinkende Anteil der privaten Finanzierungsquellen widerspricht der Grundannahme, dass Wohlfahrtsmärkte im Zeitraum von 1997–2005 gewachsen sind. Allerdings führte das nicht zu einer Reduzierung der Ressourcen für Privatschulen. In allen drei Ländern sind die öffentlichen Bildungsinvestitionen gestiegen, die auch in private Schulen geflossen sind: »The increase in private investment has gone hand in hand with increased public financing« (OECD 2010: 223). Der sinkende Anteil in Deutschland resultiert anscheinend aus einem Anstieg öffentlicher Investitionen in die Privatschulen und bedeutet somit ein größeres Finanzvolumen für die Privatschulen. Da die Gesamtausgaben für Privatschulen in allen drei Ländern laut der OECD angestiegen sind, kann also auf ein größeres Marktvolumen für Privatschulen geschlossen werden. Die OECD-Daten sind jedoch aufgrund geringer Reliabilität mit Vorsicht zu interpretieren. Deshalb folgt nun ein detaillierter Blick auf die jeweiligen nationalen Statistiken in Deutschland, Schweden und den USA, um den Anteil der privaten Finanzierung genauer zu bestimmen. —————— 75 Eine Ausnahme sind öffentliche Berufsschulen in Deutschland, die zum erheblichen Teil von Unternehmen finanziert werden (OECD 2010: 227). 76 Busemeyer (2007: 104) stellt hingegen einen relativen Anstieg der öffentlichen Bildungsausgaben in den USA fest. 158 WOHLFAHRTSMÄRKTE Deutschland Laut dem deutschen Bildungsfinanzbericht sind die öffentlichen Zuschüsse für Privatschulen zwischen 1995 und 2005 um 60 Prozent gestiegen, wohingegen die Ausgaben für öffentliche Schulen nur um 11,4 Prozent gewachsen sind (Destatis 2009: 38). Die folgende Tabelle 8 bildet die Ausgaben pro Schüler ab und illustriert die steigenden öffentlichen Zuschüsse für Privatschüler zwischen 1995 und 2005. Tabelle 8: Öffentliche Ausgaben pro Schüler nach Schulart 1995–2005, Deutschland Jahr Ausgaben je Schüler an öffentliche Schulen in Euro Öffentliche Zuschüsse je Privatschüler in Euro 1995 4 300 € 3 900 € 2005 4 700 € 4 500 € Öffentliche Zuschüsse für Privatschüler in Prozent der Ausgaben für Schüler an öffentlichen Schulen 90,6 % 95,7 % Quelle: Destatis (2009: Tabellen 4.2.5-1 und 4.2.6-3), eigene Berechnung, nicht inflationsbereinigt. Der öffentliche Zuschuss für Privatschüler ist im Vergleich zu den Ausgaben für Schüler an öffentlichen Schulen deutlich angestiegen. Privatschulen werden stärker bezuschusst als zehn Jahre zuvor, wodurch sich das gesamte Finanzierungsvolumen des Bildungsmarktes mithilfe von Steuergeldern erhöhte.77 Laut Tabelle 8 bleibt nur noch eine Finanzierungslücke von fünf Prozent der Kosten an öffentlichen Schulen, die Privathaushalte mit Schulgebühren schließen müssten. Die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes weisen 2005 für alle allgemeinbildenden Schulen, das heißt öffentliche und private Schulen, sogar nur einen privaten Finanzierungsanteil von drei Prozent aus (Destatis 2009: 21). Andere Autoren argumentieren hingegen, dass die öffentlichen Zuschüsse nicht ausreichend sind und zu einer strukturellen Unterfinanzierung der Privatschulen beitragen (Klein 2007). Allerdings wurden dabei nicht die gestiegenen öffentlichen Zuschüsse berücksichtigt (Stand 2003). Ebenso ist wenig über die tatsächlich entrichteten Schulgebühren im Zeitverlauf bekannt. Tabelle 9 zeigt die jährlichen Aufwendungen von —————— 77 Weitere Zuschüsse erhalten die Eltern direkt für ihre Bildungsausgaben. Eltern können 30 % der anfallenden Schulgebühren steuerlich geltend machen bis zu einem Höchstbetrag von 5.000 Euro pro Jahr. Allerdings werden die Steuerentlastungen nicht systematisch erhoben (Wilhelm 2006). Vergleiche Fußnote 78 zu den Steuererleichterungen der USA. 159 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS Eltern für Bildungsdienstleistungen wie Schulgebühren, aber auch für Nachhilfe oder Musikschulen. Erst aus der Differenz zwischen den Aufwendungen für öffentliche und private Schulen kann man grob den Anteil der Schulgebühren schätzen. Offensichtlich geben Eltern, deren Kinder eine Privatschule besuchen, erheblich mehr pro Jahr aus als wenn das Kind eine öffentliche Schule besucht. Allerdings geben über 50 Prozent der Eltern weniger als 1.200 Euro pro Jahr für Privatschulgebühren aus, was auf relativ moderate Schulgebühren in den meisten Fällen hindeutet. Vor allem ist bemerkenswert, dass rund sieben Prozent der Eltern überhaupt keine Schulgebühren für Privatschulen entrichten. Tabelle 9: Prozentuale Verteilung der familiären Ausgaben für Bildungsdienstleistungen pro Jahr (2009) Schulen Nichts 1 - 499 € 500 - 1.199 € 1.200 - 2.399 € 2.400 - 3.599 € > 3.600 € öffentlich 18,43 59,32 13,45 6,23 1,68 0,89 privat 6,85 23,37 22,94 27,24 9,99 9,61 total 17,91 57,69 13,88 7,18 2,06 1,28 Quelle: Pisa 2009, gewichtet (Köppe 2012). Die Datenlage ist in Deutschland also sehr unübersichtlich. Allerdings deuten die Analysen darauf hin, dass die öffentlichen Zuschüsse für Privatschulen gewachsen sind, wodurch sich die Einnahmen für Privatschulen insgesamt erhöht haben. Das Marktvolumen des Bildungsmarktes ist somit zwischen 1995 und 2005 in der Finanzierungsdimension angestiegen. Schweden Die OECD-Daten sind für den Zeitraum von 1997–2005 im Einklang mit der schwedischen Statistik. Wie später die schwedische Fallstudie ausführlicher erläutern wird, wurde den Privatschulen ab 1997 verboten Schulgebühren zu erheben, wenn sie weiterhin staatliche Zuschüsse erhalten wollten. Allerdings wurden die öffentlichen Zuschüsse für Privatschulen denen der öffentlichen Schulen angeglichen, sodass Privatschulen seitdem ausschließlich aus öffentlicher Hand finanziert werden (Skolverket 2005). Wie wurden aber die Privatschulen vor der Reform finanziert? Tabelle 10 zeigt 160 WOHLFAHRTSMÄRKTE die Ergebnisse einer einmaligen Erhebung der Haupteinnahmequellen und weiterer Eckdaten der Privatschulen im Schuljahr 1991/92 (SOU 1992:38). Tabelle 10: Eckdaten zu den schwedischen privaten Grundschulen vor der Vermarktlichung (Schuljahr 1990/91 und 1991/92) 1. Schulen und Schüler 1991/1992 Anzahl der Grundschulen Anteil der Privatschüler in Schweden 77 0,9 % 2. Finanzierung 1990/91 gesamte öffentliche Finanzhilfe davon staatliche Finanzhilfe kommunale Finanzhilfe Schulgebühren Andere Einnahmen (Elternbeiträge, Spenden, Sponsoring) 52 % 27 % 25 % 30 % 18 % 3. Kosten pro Schüler 1990/91 laut Buchführung versteckte Kosten tatsächliche Kosten in SEK 29.000 SEK 11.000 SEK 40.000 SEK 4. Schulgebühren pro Schüler 1991/92 Durchschnitt aller Schulen Durchschnitt der Schulen die Schulgebühren verlangen höchste jährliche Schulgebühr Anteil der Schulen ohne Gebühr in % der öffentl. Schulen 62 % 24 % 86 % 6.500 SEK 8.000 SEK 43.100 SEK 28 % 5. staatliche Finanzhilfe pro Schüler 1990/91 Staat 9.240 SEK Kommunen (Durchschnitt) 7.100 SEK Kommunen (Streuung) 0–22.900 SEK Quelle: (SOU 1992:38), alle Angaben pro Schuljahr, eigene Zusammenstellung. Vor der Reform 1997 deckte die staatliche und öffentliche Finanzhilfe rund 50 Prozent der Kosten und 30 Prozent des Schuletats wurden aus Schulgebühren finanziert. Insgesamt war die Höhe der Einnahmen extrem gestreut. Zunächst zu den Schulgebühren: Rund ein Drittel der Schulen erhob überhaupt keine Gebühren. Im Durchschnitt betrugen die Gebühren unter 100 Euro pro Monat in inflationsbereinigten Preisen von 2009 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 161 (8.000 SEK). Allerdings erhoben einige Schulen auch erheblich mehr. Zusätzliche Einnahmen wurden durch Spenden generiert. Nicht zu unterschätzen waren auch informelle Einnahmen in Form von ehrenamtlicher Arbeit der Eltern (s. versteckte Kosten), die somit das offizielle Budget der Privatschulen entlasteten. Ebenso wie die Schulgebühren waren die kommunalen Zuschüsse extrem gestreut. Obwohl die durchschnittlichen Einnahmen 1991/92 zwischen den Schulen stark variierten, wird der grundlegende Unterschied im Vergleich zur Situation nach 1997 deutlich. Der Bildungsmarkt für Privatschulen wird seitdem ausschließlich steuerfinanziert, wodurch sich die Einnahmen der meisten Privatschulen erhöhten und sich gleichzeitig die Erwartungssicherheit der Einnahmen verbesserte. Insgesamt ist damit das öffentliche Finanzierungsvolumen in Schweden angestiegen und gleichzeitig ging die Belastung für Privathaushalte zurück, weil die Schulgebühren wegfielen. USA In den USA können Privatschulen öffentliche Zuschüsse erhalten, aber das National Center for Education Statistics bemerkt dazu nur lapidar: »Some private elementary and secondary school revenues come from federal, state, and local sources. However, comprehensive data are not available to delineate the sources of revenues for private schools« (NCES 1995: 36). Die einzige offizielle und regelmäßig erhobene Information zur Finanzierung der Privatschulen sind die eingenommenen Schulgebühren pro Schüler.78 Tabelle 11 zeigt die durchschnittlichen Schulgebühren für Privatschulen von 1987–2003 und setzt sie in Relation zum Familieneinkommen und den Ausgaben öffentlicher Schulen pro Schüler. Wie auch in Schweden war die Streuung der Schulgebühren in den USA sehr hoch. Beispielsweise bezahlten rund fünf Prozent der Schüler weniger als 2.500 US-Dollar, aber über 50 Prozent bezahlten mehr als 10.000 US-Dollar (alle Zahlen 2003).79 Erhebliche Unterschiede bestanden —————— 78 Außerdem existieren verschiedene steuerlich absetzbare Bildungssparanlagen. Nach dem Vorbild der Individual Retirement Accounts (IRAs) wurden auf bundesstaatlicher Ebene 1997 Education Savings Accounts (ESA) eingeführt (seit 2001 Coverdell ESA). Insgesamt ist die Anzahl der Sparpläne von 1998 bis 2001 um 53 % angestiegen, das heißt Privathaushalte sparen mehr für die Bildung ihrer Kinder, um später Schul- und Studiengebühren bezahlen zu können (Dynarski 2004; Jackson 2006). In einigen Bundesstaaten existieren auch Steuererleichterungen für Schulgebühren (Levin/Belfield 2003). 79 Eigene Berechnung (NCES 2009b: table 59). 162 WOHLFAHRTSMÄRKTE auch zwischen konfessionellen und säkularen Privatschulen. Während katholische Schulen im Durchschnitt nur 4.254 US-Dollar pro Schüler verlangten, mussten Schüler an säkularen Schulen rund das Dreifache bezahlen (13.419 $). Die hohe Streuung der Schulgebühren deutet auf einen sehr heterogenen Markt hin. Tabelle 11: Schulgeld für private Grund- und Sekundarschulen in Relation zum Familieneinkommen und den öffentlichen Pro-Kopf-Ausgaben in US-Dollar (1987– 2003), USA Jahr Durchschnittliches Schulgeld pro Schüler 1987 1.915 $ 1993 3.116 $ 1999 4.689 $ 2003 6.600 $ laufende Ausgaben öffentlicher Schulen pro Schüler (in US-$) Schulgeld in Prozent der öffentlichen Ausgaben pro Schüler 4.240 $ 5.767 $ 7.394 $ 8.900 $ 45,2 % 54,0 % 63,4 % 74,2 % Familieneinkommen in US-Dollar (Median) Schulgeld in Prozent vom Familieneinkommen 30.970 $ 36.959 $ 48.950 $ 52.680 $ 6,2 % 8,4 % 9,6 % 12,5 % Quelle: (NCES 1991: table 55; 1995: table 60; 2009b: table 30, 59), eigene Berechnung, nicht inflationsbereinigt. Um den relativen Anteil der privaten Haushalte an der gesamten Finanzierung der Privatschulen näherungsweise bestimmen zu können, wurden zwei Indikatoren konstruiert: Erstens wurde der Anteil der Schulgebühren im Vergleich zu den Kosten eines Schülers an einer öffentlichen Schule berechnet. Im Untersuchungszeitraum 1987–2003 ist der Anteil von rund der Hälfte auf rund drei Viertel angestiegen. Der Schluss liegt nahe, dass die Schulgebühren einen größeren Teil des Budgets einer Privatschule abdecken müssen. Dies wäre ein Hinweis darauf, dass öffentliche Zuschüsse und andere Einnahmequellen für Privatschulen rückläufig waren und deshalb die Schulgebühren stärker erhöht werden mussten, um die sinkenden Einnahmen auszugleichen. Zweitens wurde berechnet wie viel Prozent des Medianeinkommens eine Familie jährlich an Schulgeld aufbringen müsste, um ein Kind an eine EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 163 Privatschule zu schicken. Wie Tabelle 11 zu entnehmen ist, stieg der relative Anteil von rund sechs auf zwölf Prozent an, das heißt Familien müssen mehr als doppelt so viel von ihrem Einkommen aufwenden um ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken. Somit sind die Belastungen für private Haushalte gestiegen. Die vorliegenden Analysen legen nahe, dass die privaten Haushalte höhere Schulgebühren entrichten mussten und vermutlich einen größeren Anteil ihres Einkommens für die Privatschulen aufwendeten. Laut den bereits diskutierten OECD-Daten ist aber der Anteil der privaten Haushalte an den Gesamteinnahmen von Privatschulen stabil geblieben. Anhand der nationalen Daten drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass in den USA das Finanzierungsvolumen für Privatschulen gesunken ist, weil private Haushalte erheblich mehr für Privatschulen aufwenden mussten. Mehr öffentliche Zuschüsse oder gestiegene Schulgebühren? Aufgrund der Auswertung der amtlichen Statistik relativiert sich auch die Schlussfolgerung aus dem Finanzierungsabschnitt des internationalen Vergleichs mit den OECD-Daten (s. S. 149), dass die USA geringere private Bildungsausgaben haben als Deutschland. Obwohl, wie bereits erläutert, keine Zeitreihenanalyse der deutschen Statistiken möglich ist, wurden Indizien gefunden, dass der private Finanzierungsanteil in Deutschland doch geringer als in den USA ist und dieser im Untersuchungszeitraum nicht gewachsen ist. Die verwendeten amtlichen Statistiken deuten darauf hin, dass private Haushalte in Deutschland weniger für Privatschulen aufwenden müssen und mehr öffentliche Zuschüsse erhalten als in den USA. Es scheint auch so, dass seit den 1990er Jahren die öffentlichen Zuschüsse in Deutschland in Relation zu den privaten Ausgaben gewachsen sind und in den USA ein umgekehrter Trend zu verzeichnen war. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Finanzierungsdimension im Bildungsbereich keinen eindeutigen Anstieg der privaten Finanzierung. In Deutschland und Schweden scheint die öffentliche Finanzierung ausgeweitet worden zu sein und im Umkehrschluss scheint der Anteil der privaten Haushalte gesunken zu sein. Lediglich in den USA sind die Schulgebühren für Privatschulen stärker angestiegen als die Löhne. Insgesamt unterstreicht die Auswertung zumindest die weiterhin hohe öffentliche Finanzierung der Schulbildung, schließt aber nicht aus, dass private Produktionsformen und Wahlfreiheiten zugenommen haben, wie die folgen- 164 WOHLFAHRTSMÄRKTE den Abschnitte zeigen werden. Dies bedeutet aber auch, dass sowohl öffentliche als auch private Schulen überwiegend von öffentlichen Zuschüssen abhängen, mit Ausnahme der USA, obwohl auch hier die Datenlage sehr unzureichend ist. Produktionsdimension des Bildungsmarktes Der historische Vergleich der Produktionsdimension konzentriert sich auf die tatsächliche private Produktion, dazu wird die Anzahl der Privatschulen und Privatschüler im Zeitverlauf untersucht. Anteil der Privatschulen In der folgenden Abbildung 11 ist der Anteil der Privatschulen an den gesamten Schulen von 1970–2009 im Vergleich der drei Länder Deutschland, Schweden und den USA dargestellt. Der Privatschulanteil ist in allen drei Ländern seit 1970 angestiegen. In den USA ist der Anteil der Privatschulen im verfügbaren Untersuchungszeitraum um 7,8 Prozentpunkte gestiegen, stagniert aber seit Mitte der 1990er Jahre.80 Der US-amerikanische Bildungsmarkt erscheint somit stabil und deutet auf eine Marktsättigung hin. Für Schweden sind kontinuierliche Daten vor 1994 nicht vorhanden, sondern nur punktuelle Erhebungen. Im Jahre 1981 operierten 35 Privatschulen in Schweden, wovon 8 (22,9 %) staatliche Zuschüsse erhielten (SOU 1981:34: 23). Man geht davon aus, dass zwischen 1980 und 1990 weniger als ein Prozent der Schulen in privater Trägerschaft war (vgl. Tabelle 10). Im kontinuierlichen Erhebungszeitraum (1994–2008) verzeichnete Schweden mit einem Plus von 15 Prozentpunkten das stärkste Wachstum der Privatschulen (sogenannte »freie Schulen«, fristående skolor) aufgrund einer umfassenden Reform und Marktliberalisierung der Privatschulfinanzierung. Ausgehend von einem sehr geringen Niveau Anfang der 1990er Jahre haben die Privatschulen in Schweden mittlerweile einen vergleichsweise hohen Anteil. Die jährlichen Wachstumsraten lassen auch noch kein Ende des Wachstums erkennen. —————— 80 Zur Entwicklung vor 1980 im Detail siehe Cooper (1988) und Herbst (2006). 165 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 5 10 Prozent 15 20 25 30 Abbildung 11: Anteil der Privatschulen an den gesamten Schulen (1970–2008) 1970 1980 Deutschland 1990 Jahr 2000 Schweden 2010 USA Quelle: verschiedene Jahrgänge (Destatis 2000: Tabelle 1.10; 2008b: Tabelle 8.2; NCES 2009b: table 5; Skolverket 2009: verschiedene Tabellen; eigene Berechnungen). Anmerkungen: USA: Erhebung der Privatschulen nur alle zwei Jahre, Schweden: Privatschulen sind alle fristående skolor inklusive internationale Schulen und Internate; Deutschland: bis 1990 Westdeutschland. In Deutschland waren Privatschulen auch auf dem Vormarsch, aber insgesamt auf vergleichsweise niedrigem Niveau und mit moderaten Wachstumsraten.81 Die Wohlfahrtsmarktentwicklung zeigt zwar ein stetiges Wachstum seit 1950,82 der Bildungsmarkt erscheint aber im Vergleich zu Schweden und den USA unterentwickelt. Die durchschnittlichen Privatisierungsanteile berücksichtigen nicht, dass in allen drei Ländern mehr private Sekundarschulen als private —————— 81 Die Berufsschulen wurden in Deutschland nicht berücksichtigt. Der Anteil der Privatschulen ist bei den Berufsschulen höher und betrug beispielsweise 1996 rund 14 % (Hummelsheim/Timmermann 1999: 28). 82 Als deutsche Besonderheit ist das starke Ost-West-Gefälle des Privatschulanteils zu erwähnen. Da im SED-Regime keine privaten Schulen zugelassen waren, ist die gesamtdeutsche Quote der Privatschulen Anfang der 1990er Jahre zunächst einigungsbedingt gesunken (Klein 2007: 18). Bei alleiniger Betrachtung der alten Bundesländer war ein kontinuierliches Wachstum seit 1950 zu verzeichnen. 166 WOHLFAHRTSMÄRKTE Primarschulen existierten. Beispielsweise betrug der Privatschulanteil schwedischer Grundschulen 14,2 Prozent (2008), private Gymnasien (43,8 Prozent) waren indessen fast gleichauf mit öffentlichen Gymnasien. In den USA und Deutschland sind die Unterschiede nicht so extrem, dennoch auch zu beobachten. Trotz dieser Unterschiede der Primar- und Sekundarschulen verzeichnen alle Privatschulen ein Wachstum. Ein Großteil der Privatschulen wird in Deutschland und den USA von Religionsgemeinschaften betrieben (Cooper 1988; Herbst 2006; 66 % in Deutschland 2004/05, Klein 2007: 11; 76 % in den USA 2003/04, NCES 2009b: table 59).83 Wenngleich Konfessionsschulen in Schweden anfangs noch relativ häufig vertreten waren, ist ihr Anteil seit Mitte der 1990er Jahre kontinuierlich rückläufig (Skolverket 2005: 26; 10 % Grundschule, 1,5 % Gymnasium 2008/09, Skolverket 2009). Unter nicht-säkularen Schulen waren insbesondere die Waldorfschulen in Deutschland und Schweden stark vertreten, ihr Marktanteil ist allerdings auch in Schweden rückläufig und sie sind kaum noch relevant. Anteil der Privatschüler In einem zweiten Schritt wird nun die Entwicklung der Privatschülerzahlen verglichen, weil die Anbieter auf dem Markt (Schulen) nur einen Aspekt der Produktion beleuchten und nicht genau angeben wie viele Kunden (Schüler) wirklich die Schulen besuchen. Außerdem sind die Schülerzahlen besser dokumentiert und ermöglichen die Untersuchung eines längeren Zeitraums. Abbildung 12 zeigt den Anteil der Privatschüler gemessen an der gesamten Schülerzahl. Insgesamt zeigt sich ein ähnliches Wachstum bei der Entwicklung der Privatschülerzahlen wie bei den Privatschulen, allerdings sind auch Unterschiede festzustellen (vgl. Abbildung 11). In Deutschland und Schweden stieg der Anteil der Privatschüler seit den 1990er Jahren an, während sich ihr Anteil in den USA leicht verringerte.84 —————— 83 Historisch war der Anteil der Konfessionsschulen häufig erheblich höher. Beispielsweise besaßen in Preußen 95 % der öffentlichen Schulen ein konfessionelles Profil und auch in den USA dominierten öffentliche Konfessionsschulen (Herbst 2006). 84 Die »Education at a Glance« Berichte der OECD zeigen für die Periode 1998–2006 denselben Trend. In den OECD Daten wird die Anzahl der Privatschüler jedoch systematisch unterschätzt (Deutschland -0,3 %, Schweden -1,1 %, USA -1,3 %). 167 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 0 5 Prozent 10 15 Abbildung 12: Anteil der Privatschüler an der gesamten Schülerschaft 1950 1960 1970 Deutschland 1980 Jahr 1990 Schweden 2000 2010 USA Quelle: verschiedene Jahrgänge (Destatis 2008b: Tabelle 9.2 für Deutschland 1992–2007; Klein 2007: 18 für Deutschland 1950–1990; NCES 2009b: table 3; Skolverket 2009: verschiedene Tabellen; eigene Berechnungen). Anmerkungen: USA: Erhebung der Privatschulen nur alle zwei Jahre, fehlende Werte wurden ergänzt, vor 1964 Daten nur für 1950 und 1959; Schweden: Privatschulen sind alle fristående skolor inklusive internationale Schulen und Internate; Deutschland: bis 1990 Westdeutschland. In den USA ist aber in absoluten Zahlen die Anzahl der Privatschüler von 1990 bis 2004 um rund ein halbe Million gestiegen. Wenn die absoluten Zahlen der Privatschüler (und Privatschulen) angestiegen sind, aber ihr Anteil am gesamten Schulwesen sank, folgt daraus, dass das öffentliche Schulwesen stärker expandierte als das private. Es scheint, als ob öffentliche Bildungseinrichtungen in den USA schneller auf den gestiegenen Bildungsbedarf reagieren konnten; was sich auch mit der Bildungsexpansion um die Jahrhundertwende im 19. Jahrhundert deckt, als die öffentlichen Schulen schneller expandierten als die privaten (Busemeyer 2006a; Herbst 2006). Der mehr oder weniger konstante Privatschüleranteil um die 13 Prozent deutet auf einen gesättigten Bildungsmarkt hin, der kein Wachstumspotenzial hat. In Deutschland ist der Anteil der Privatschüler stetig auf 7,4 Prozent (2007) angestiegen. Trotz einigungsbedingten kurzzeitigen Rückgangs ist 168 WOHLFAHRTSMÄRKTE die Privatschülerquote ununterbrochen gewachsen. Im Vergleich zu den USA ist die gesamte Schüleranzahl in Deutschland aber seit den 2000er Jahren rückläufig gewesen.85 In einem Umfeld sinkender Nachfrage konnten sich also die Privatschulen behaupten und sowohl absolut wachsen als auch Marktanteile gewinnen. Um die historische Entwicklung in Schweden mit den USA und Deutschland vergleichen zu können, muss an dieser Stelle auf verschiedene historische Quellen zurückgegriffen werden. Da diese Erhebungen nicht ohne Weiteres mit den administrativen Daten der 1990er Jahre zu vergleichen sind, sind die Auswertungen nicht in Abbildung 12 aufgeführt. Von 1919 bis 1981 wurde der Bildungsmarkt mehr oder weniger marginalisiert (vgl. Tabelle 10). Um 1959 besuchten noch rund fünf Prozent der Gymnasialschüler eine Privatschule. In den folgenden zwanzig Jahren reduzierte sich der Anteil der Privatschüler weiter und sank unter ein Prozent (Schätzungen von 1919–1981 basierend auf SOU 1981:34: 19).86 Seit 1990 ist im abgebildeten Untersuchungszeitraum der umgekehrte Trend in Schweden festzustellen mit einer jährlichen Wachstumsrate von 15,3 Prozent (s. Abbildung 12). Die schwedische Privatschülerquote überflügelte nicht nur die deutsche – wie schon bei den Privatschulen – sondern auch die US-amerikanische87 und erreichte 2009 ein Niveau von 12,8 Prozent. Im Gymnasialbereich profitierten die Privatschulen insbesondere von einem expandierenden Markt. Die Schüleranzahl an Gymnasien ist von 1992 bis 2008 um 86.075 Schüler gestiegen, allein 72.240 davon gingen auf Privatschulen (84 %), das heißt die Bildungsexpansion im Gymnasialbereich wäre ohne die neuen Privatschulen überhaupt nicht möglich gewesen. —————— 85 Von 2000–2007 sank die gesamte Schülerschaft von knapp 10 Mio. auf unter 9,2 Mio. Umgekehrt zum demografischen Trend existieren 2007 rund 1000 Privatschulen mehr als 1992 mit rund 230.000 zusätzlichen Privatschülern (Destatis 2008a; 2008b). 86 Im Jahre 1981 gingen 0,20 % der Grundschüler auf eine Privatschule, die staatliche Zuschüsse erhielt, und 0,38 % der Grundschüler auf eine Schule ohne staatliche Zuschüsse. Auf private Gymnasien ging derselbe Anteil an Schülern (0,58 %) sie verteilten sich jedoch etwas anders auf Privatschulen mit staatlichen (0,43 %) und ohne staatliche (0,15 %) Zuschüsse. 87 Die Entwicklung der schwedischen Privatschülerquote für das Jahr 2009 legt diesen Schluss nahe, kann aber noch nicht bestätigt werden, weil die US-amerikanischen Daten nur bis zum Jahr 2006 vorliegen. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 169 Marktexpansion in der Produktionsdimension Insgesamt zeigt die Entwicklung der Privatschulen und -schüler seit den 1990er Jahren in Deutschland und Schweden einen Aufholeffekt zum USamerikanischen Niveau (catch-up). Während der Bildungsmarkt in den USA gesättigt erscheint, ist der Privatschüler- und Privatschulanteil in Deutschland und Schweden stetig angestiegen. Sowohl in Schweden als auch in Deutschland ist bisher keine Abschwächung des Wachstums zu erkennen. In Schweden ist die Expansion so stark, dass mittelfristig eine höhere Privatisierungsquote als in den USA zu erwarten ist. Da die deutschen Wachstumsraten bisher eher moderat sind, erscheint ein Überholen der USA langfristig eher als unwahrscheinlich. In Bezug auf alle Produktionsindikatoren – den Privatschulen und schülern – zeigte dieser Abschnitt einen Anstieg der Bildungsmärkte insbesondere in Deutschland und Schweden. In den USA konnte dieser Trend zwar vor 1990 festgestellt werden, aber nicht mehr für den relevanten Untersuchungszeitraum dieser Studie seit 1990. Deshalb wird sich der folgende Abschnitt genauer zwei Phänomenen des US-amerikanischen Bildungsmarktes widmen: Mit Charter Schools und School Vouchers wurden in den 1990er Jahren jeweils zwei Bildungsmarkttypen geschaffen, allerdings tauchen sie in den bereits diskutierten Indikatoren aus verschiedenen Gründen nicht auf. Der folgende Exkurs wird deshalb diese zwei speziellen und zum Teil verborgenen Bildungsmärkte und ihr Marktvolumen genauer untersuchen. Exkurs Charter Schools und School Vouchers Die bisher herangezogene Definition der Privatschulen hat zwei Besonderheiten des US-amerikanischen Bildungsmarktes nicht erfasst, weshalb ich im folgenden Exkurs das Augenmerk auf Charter Schools und School Vouchers (sogenannte Schulgutscheine) lenken möchte. Warum werden diese Bildungsmärkte beziehungsweise Privatschulen nicht ausreichend in den bereits diskutierten Indikatoren der Finanzierungs- und Produktionsdimensionen berücksichtigt? Erstens sind Charter Schools öffentliche Schulen, die von Schülern frei angewählt werden können und für die sie keine Gebühren entrichten müssen. Da sie formal öffentliche Schulen sind, werden sie in der Statistik als öffentliche Schulen aufgeführt, sie unterscheiden sich aber fundamental 170 WOHLFAHRTSMÄRKTE von klassischen öffentlichen Schulen wie die weiteren Ausführungen zeigen werden. Zweitens besteht eine hohe innerstaatliche Variation in den USA bezüglich des Ausbaus von Charter Schools und School Vouchers. Beispielsweise existieren öffentliche Schulgutscheinsysteme nur in zwei Schulbezirken (Milwaukee, Ohio). Deshalb unterschätzen nationale Aggregatdaten das beträchtliche Marktvolumen in einigen Bundesstaaten. Zusätzlich ist eine Analyse beider Bewegungen äußerst interessant, weil die Gründung von Charter Schools und die Einführung von Vouchers politisch sehr umstritten ist (Levin 2001: 4). Unterhalb der nationalstaatlichen Ebene ist also ein größeres Marktvolumen zu vermuten, als zunächst die amtliche Statistik nahelegt. Soweit es möglich ist, werden die folgenden Abschnitte auf die gliedstaatliche Variation eingehen und das spezifische Marktvolumen der Bildungsmärkte in einzelnen Bundesstaaten aufzeigen. Der erste Teil des Exkurses behandelt Charter Schools und der zweite Teil diskutiert School Vouchers. Charter Schools Seit 1991 wurden in 41 US-Bundesstaaten Charter School Gesetze erlassen (NCES 2011a; Vergari 2000), lediglich kleinere bevölkerungsarme Bundesstaaten haben bisher keine entsprechenden Gesetze erlassen. Charter Schools vereinen Elemente »usually associated with both public and private schools« (Miron/Nelson 2002: 213). Als öffentliche Schulen werden Charter Schools vom kommunalen Schulvorstand – sogenannte School Boards – geführt, in denen demokratisch gewählte Repräsentanten des Schulbezirks über die Schulpolitik entscheiden. Die School Boards haben aber viel mehr Freiheiten als an öffentlichen Schulen und schließen einen Vertrag (die sogenannte Charter) mit einem unabhängigen Betreiber der Schule ab. Anfangs waren die Betreiber engagierte lokale Lehrerkollegien oder Elterninitiativen, also vergleichbar zu Akteuren des Dritten Sektors. Sie betreiben meist nur eine Schule und verfolgen kein Gewinninteresse. Außerdem können sich diese lokalen Initiativen zusammenschließen und mehrere Schulen betreiben, die als Charter Management Organizations (CMOs) bezeichnet werden.88 Mittlerweile dürfen Charter Schools in meh- —————— 88 Sie können auch gemeinnützig sein, verfolgen aber in erster Linie kein Gewinnziel (Lake u.a. 2010). EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 171 reren Bundesstaaten verschiedene Dienstleistungen an profitorientierte Betreiber, sogenannte Education Management Organizations (EMOs), ausschreiben (Vergari 2007: 19).89 Profitorientierte Schulbetreiber bieten typischerweise dem Schulvorstand einer Charter School Erziehungsdienstleistungen an und vermieten nach Bedarf auch Schulgebäude und Schulausstattungen. Die EMOs erheben häufig auf das Schulkurrikulum, den Schulnamen sowie auf das Schulprofil Eigentumsrechte (Miron/Nelson 2002: 179). Die Grenzen von privatem und öffentlichem Eigentum verwischen in den Bundesstaaten, die profitorientierte Betreiber zulassen. Hatcher (2003: 5) nennt diese profitorientierten Schulen deshalb auch »quasi-voucher schools«. Charter Schools befinden sich damit im doppelten Wettbewerb mit normalen öffentlichen Schulen und mit Privatschulen. Im Kern bleiben sie jedoch öffentliche Schulen, weil der Vertrag zwischen öffentlichem Schulvorstand und privaten Schulbetreibern geschlossen wird. In dieser Arbeit werde sie als Quasi-Privatschulen betrachtet, weil sie innerhalb eines Wohlfahrtsmarktes operieren. Die Marktmechanismen werden an zwei Stellen deutlich: Erstens können die Schüler frei zwischen den Charter Schools wählen, wie bei einem Konsumentenmarkt. Zweitens können verschiedene Dienstleistungen an CMOs und EMOs ausgeschrieben werden, wodurch ein Anbietermarkt entsteht. Die CharterSchool-Märkte, an denen profitorientierte EMOs zugelassen sind, weisen den höchsten Grad der Vermarktlichung auf. Der Charter-School-Markt ist somit ein hybrider Markt mit Elementen von Konsumenten- und Ausschreibungsmarkt (vgl. Abbildung 1). Ein weiterer Schultyp, sogenannte Magnet Schools, ist in diesem Kontext zu erwähnen, weil er Vorbild für die Charter Schools war und eine ähnliche Wahlfreiheit ermöglicht wie die Charter Schools. Da die Finanzierung (steuerfinanziert) und Produktion (keine EMOs) dieser Schulen ausschließlich staatlich ist, sind sie keine Privatschulen im weiteren Sinne. Insgesamt sind die Marktmechanismen der Magnet Schools im Vergleich zu den Charter Schools deutlich geringer und beschränken sich auf die Wahlfreiheit der Schüler über die Schuleinzugsbereiche hinweg (Konsumentenmarkt). Tabelle 12 vergleicht die Entwicklung der Charter und Magnet Schools in Bezug auf die Anzahl der Schulen und der unterrichteten Schüler in Prozent der gesamten Schulanzahl und Schülerschaft. —————— 89 Profitorientierung ist nur in Hawaii, Iowa, Mississippi und Tennessee verboten. 172 WOHLFAHRTSMÄRKTE Tabelle 12: Charter und Magnet Schools (Anteil in Prozent aller Schulen), 1999– 2007 Jahr 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Charter Schools Schulen Schüler 0,6 0,3 1,7 0,7 2,1 1,0 2,5 1,2 2,7 1,4 3,1 1,6 3,5 1,8 3,9 2,1 4,3 2,4 Magnet Schools Schulen Schüler 1,3 2,2 1,5 2,4 1,6 2,6 1,9 3,0 2,1 3,2 2,2 3,3 2,2 3,4 2,8 4,3 2,3 3,2 Wandel Wachstumsrate (jährlich) 3,7 29,0 1,0 7,4 2,1 29,7 1,1 5,2 Quelle: eigene Berechnung (NCES 2009a). Anmerkungen: Der Anteil bezieht sich auf alle Bundesstaaten inklusive District of Columbia (51), obwohl in dem Untersuchungszeitraum 10–15 Bundesstaaten keine Charter Schools zuließen. Allein in der letzten Dekade ist der Anteil der Charter Schools an den gesamten Schulen sprunghaft angestiegen. Im Schuljahr 2006–2007 waren über eine Million Schüler in über 4200 Charter Schools eingeschrieben. Die relativ jungen Charter Schools hatten Ende der 1990er Jahre einen geringen Anteil als die Magnet Schools, in der letzten Dekade verzeichneten sie aber viel höhere Wachstumsraten und erreichten 2007 fast einen doppelt so hohen Anteil wie Magnet Schools. Der Schüleranteil der Charter Schools wird in den nächsten Jahren vermutlich auch den der Magnet Schools übertreffen, wenn die Wachstumsraten weiterhin so hoch bleiben (Tabelle 12). Die Charter Schools erzielen eindeutig immer größere Marktanteile, tauchen aber in der offiziellen Privatschulstatistik nicht auf. Wie gesagt sind Charter Schools steuerfinanziert, weshalb die Vermarktlichung nur die Dimensionen Produktion und Wahlfreiheit betrifft. Noch deutlicher wird das gestiegene Marktvolumen im Bereich der Charter Schools, wenn die Education Management Organisations (EMOs) untersucht werden. In 31 Staaten waren profitorientierte EMOs als Betreiber von Charter Schools zugelassen (2008). Sie betrieben 733 Charter Schools im Schuljahr 2008/2009. Die Schüleranzahl ist von 1999 bis 2009 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 173 von rund 50.000 auf rund 350.000 Schüler angestiegen (Molnar u.a. 2009: 11). Tabelle 13: Anteil der EMOs an Charter Schools, 1999–2007 Jahr 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Schulen 25,8 15,1 14,3 15,7 16,2 15,6 15,7 13,8 11,8 Schüler 27,5 28,4 25,4 27,3 23,5 19,8 Quelle: eigene Berechnung (Molnar u.a. 2009; NCES 2009a). Anmerkungen: Berechnung beruht auf der Annahme, dass alle EMOs Charter Schools betreiben. Laut Molnar u.a. (2009) sind 94 % der von EMOs betriebenen Schulen Charter Schools. Tabelle 13 zeigt nun den Anteil der EMOs an allen Charter Schools. Damit wird praktisch der Anteil der Charter Schools angegeben, die den höchsten Grad der Vermarktlichung aufweisen. Erstaunlicherweise ist, trotz des absoluten Wachstums der profitorientierten EMOs, ihr relativer Anteil gesunken. Molnar u.a. (2006: 5) und Ziebarth u.a. (2005: 17) zeigen ebenfalls einen schwindenden Marktanteil der EMOs.90 Der sinkende Anteil der EMOs beruht auf einem Anstieg der nicht-profitorientierten Charter Management Organizations (CMOs). Lokale Schulbetreiber hatten bis 2009 noch den größten Anteil am Charter School Markt (Lake 2010), allerdings wiesen CMOs das größte Wachstumspotenzial auf (Bowen u.a. 2012; Lake 2005: 37). Außerdem sind zwischen den Bundesstaaten erhebliche Unterschiede festzustellen: Einige Bundesstaaten hatten keine einzige Charter School. Ferner erlaubten nicht alle Bundesstaaten EMOs. In Michigan und Ohio wurden beispielsweise 75 und 33 Prozent der Charter Schools von EMOs —————— 90 Die jeweilige Schätzung variiert jedoch im Vergleich zu Tabelle 13. Molnar u.a. überschätzen den Anteil mit rund 19 %, wohingegen Ziebarth u.a. den Anteil mit 10 % eher unterschätzen. Die Datenerhebung von Molnar u.a. wurde 2009 überarbeitet und zeigt einen starken Anstieg der EMOs. Da noch keine Daten vom NCES vorliegen, kann die neue Messung noch nicht in Tabelle 13 berücksichtigt werden. 174 WOHLFAHRTSMÄRKTE betrieben, in Staaten wie Arizona und Wisconsin liegen die Werte unter fünf Prozent (Miron/Nelson 2002: 173; Ziebarth u.a. 2005: 17). Obwohl die Charter Schools mit Steuergeldern finanziert sind und keine Schulgebühren erheben dürfen, stehen Charter Schools unter einem erheblichen Druck private Finanzierungsquellen zu erschließen. Da sie nur einen Anteil der Pro-Kopf-Ausgaben öffentlicher Schulen erhalten, müssen sie die Finanzierungslücke entweder mit geringeren Ausgaben schließen (effizientere Mittelverteilung, geringer Leistungen) oder zusätzliche Einnahmequellen erschließen (z. B. Fundraising oder Elternarbeit, Wells/ Scott 2001: 241–248). Schließlich ist noch hervorzuheben, dass die Charter Schools die Selektion ihrer Schülerschaft eigenständig vornehmen. Viele Schulen verlangen Eignungstests, Vorstellungsgespräche mit Eltern und Schülern oder ehrenamtliche Leistungen. Diese Selektionsmöglichkeiten der Schulen schränken die Wahlfreiheit der Schüler ein. Die Wahlfreiheit ist an Bedingungen geknüpft, die insbesondere Schüler und Eltern aus niedrigeren sozialen Schichten (arm, bildungsfern, etc.) seltener erfüllen (Wells/Scott 2001). Zusammenfassend haben Charter Schools dreierlei bewirkt: Erstens haben sie die Wahlfreiheit erhöht, da Eltern und Schüler zwischen vielfältigen Schultypen und pädagogischen Profilen wählen können. Zweitens verblieb die Finanzierung öffentlich, weil der Staat die Finanzierungsverantwortung behielt und somit auch Familien mit geringen finanziellen Ressourcen Wahloptionen ermöglicht wurden, ohne dass sie dafür Schulgebühren entrichten mussten. Drittens wurde die Produktionsdimension privatisiert und vermarktlicht. Die profitorientierten EMOs teilen sich den neuen Bildungsmarkt aber mit gemeinnützigen CMOs. Die ungleiche Verteilung der profitorientierten EMOs über die einzelnen Bundesstaaten legt den Schluss nahe, dass die komparativen Vorteile in einigen Bundesstaaten größer sind als in anderen. Möglicherweise gründen profitorientierte EMOs Charter Schools nur in Staaten, deren Marktregulierung lukrative Gewinne verspricht. School Vouchers Zeitgleich zur Charter School Bewegung wurde in zwei Bundesstaaten öffentliche Schulgutscheinsysteme eingeführt. Schulgutscheine oder School Voucher funktionieren nach dem Prinzip, dass Schüler von einem Gutscheingeber (z.B. Staat oder Stiftung) einen Gutschein erhalten. Mit diesem EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 175 Gutschein können sie sowohl öffentliche als auch private Schulen besuchen. Teilnehmende Schulen bekommen für jeden Schüler vom Gutscheingeber eine feste Summe überwiesen. Schüler können dadurch frei zwischen privaten und öffentlichen Schuloptionen wählen, indem sie Gutscheine erhalten, die die Schulgebühren decken.91 Metcalf und Tait (1999) betonen, dass öffentliche Gutscheinsysteme finanziell am besten ausgestattet sind und somit die meisten Schüler unterstützen, private Gutscheinsysteme sind jedoch weiter verbreitet (s.a. Tucker/Lauber 1995).92 Die Finanzierungsgrundlage für private Gutscheinsysteme basiert auf Spenden und Stiftungskapital. Sie ermöglichen Schülern in ländlichen Gegenden den Besuch von privaten Schulen, wenn keine öffentliche Schule in der Nähe ist (LAG 2000: VI-2). Öffentliche Gutscheinsysteme größeren Ausmaßes wurden nur in den Bundesstaaten Wisconsin mit dem Milwaukee Parental Choice Program (MPCP) und in Ohio mit dem Cleveland Scholarship and Tutoring Program (CSTP) auf lokaler Ebene in Cleveland und später im ganzen Bundesstaat Ohio mit dem Educational Choice Scholarship Program (EdChoice) eingeführt, die im Folgenden ausführlicher präsentiert werden.93 Im Regulierungskapitel wird auch auf die gescheiterten Gesetzesinitiativen in anderen Bundesstaaten eingegangen, im folgenden Abschnitt steht aber die tatsächliche Marktexpansion im Vordergrund. Das ältere Programm von beiden – das Milwaukee Parental Choice Program (MPCP) im Bundesstaat Wisconsin – verzeichnet seit der Gründung 1990 hohe Wachstumsraten (Kava 2007). In Tabelle 14 ist die Entwicklung der Finanzierungs- und Produktionsdimension angegeben. Einerseits wird auf der Finanzierungsdimension der maximal abrufbare Gutscheinwert angeben, aber auch wie viel tatsächlich pro Schüler ausgegeben wurde. Andererseits werden auf der Produktionsdimension die beteiligten Schulen und die Anzahl der geförderten Schüler seit 1991 aufgelistet. In der Finanzierungs- und Produktionsdimension können beachtliche Wachstumsraten festgestellt werden, wobei die Schüleranzahl am stärksten angestiegen ist (jährlich um 26 Prozent). Diese hohen Wachstumsraten —————— 91 Die Friedman Foundation dokumentiert aktuelle Entwicklungen der School Choice Programme (www.edchoice.org/School-Choice/School-Choice-Programs.aspx). 92 Ende der 1990er Jahre existierten 14 private Schulgutscheinsysteme gegenüber zwei öffentlichen in amerikanischen Städten. Ebenso existieren in Maine und Vermont seit über 100 Jahren zwei öffentliche Schulgutscheinsysteme. 93 Zum DC Opportunity Scholarship Program (DCOSP) in Washington siehe Seite 339 ff. 176 WOHLFAHRTSMÄRKTE beruhen insbesondere auf einer regulativen Änderung im Jahre 1999 (LAG 2000), denn seit dem Schuljahr 1999/00 dürfen auch religiöse Schulen an dem Programm teilnehmen. Das Reformjahr ist somit eine Ausnahme einer anhaltenden Wachstumsphase nach der Gründung des Schulgutscheinprogramms, denn die Schülerzahl erhöhte sich im Reformjahr 1998 schlagartig um 400 Prozent. Seitdem dominieren konfessionelle Privatschulen das MPCP.94 Tabelle 14: Entwicklung des Milwaukee Parental Choice Program (MPCP) Jahr Privatschulen Schüler 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 7 6 11 12 12 17 20 23 83 90 100 102 102 106 117 125 124 122 127 300 512 594 704 771 1.288 1.616 1.497 5.761 7.575 9.238 10.497 11.304 12.882 14.071 14.604 17.088 18.558 19.428 % aller Schüler 0,7 1,4 11,7 Maximaler Voucher in $ $ pro Schülera Gesamtausgaben in Mio. $ 2.446 2.643 2.745 2.985 3.209 3.667 4.373 4.696 4.894 5.106 5.326 5.553 5.783 5.882 5.943 6.351 6.501 6.501 6.607 2.446 2.643 2.745 2.985 3.209 3.667 4.373 4.696 4.894 5.106 5.326 5.553 5.721 5.827 5.874 6.290 6.443 6.438 6.540 0,7 1,4 1,6 2,1 2,5 4,6 7,1 7,0 28,7 39,1 49,0 59,4 65,6 76,2 87,4 93,7 110,1 119,5 127,1 Quelle: DPI (2010), eigene Berechnung. Anmerkungen: Jahr bezieht sich auf das Frühjahrshalbjahr und das vorherige Herbsthalbjahr des angegebenen Jahres; $ pro Schüler und Prozent aller Schüler eigene Berechnung; a) kursiv Abweichung gegenüber maximaler Fördersumme. Leere Zellen keine Daten vorhanden. —————— 94 Ebenso wurde regelmäßig die maximale Anzahl der förderfähigen Schüler erhöht. Seit 2006/07 ist die Anzahl auf 22.500 begrenzt (Kava 2007). 177 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS Die hohen Wachstumsraten deuten bisher auf keine Sättigung des Marktes hin. Das Wachstum wurde jedoch durch die Tatsache limitiert, dass Schüler grundsätzlich nur nach einer Einkommensprüfung berechtigt sind an dem Programm teilzunehmen (vgl. Kapitel 5.4.2). Der Kreis der Berechtigten ist somit von vornherein begrenzt, weil die Schulgutscheine nicht allen Schülern offenstehen und somit eine natürliche Wachstumsgrenze erreicht wäre, wenn alle berechtigten Schüler am MPCP teilnehmen würden. Für das Schuljahr 2011 wurde beispielsweise die Einkommensgrenze angehoben, sodass eine zentrale Einschränkung für unbegrenztes Marktwachstum aufgeweicht wurde. In den ausgewerteten Statistiken konnte diese regulative Änderung noch nicht berücksichtigt werden. Tabelle 15: Entwicklung des Cleveland Scholarship and Tutoring Program (CSTP) Jahr Privatschulen Schüler 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 58 61 61 58 53 50 49 45 45 44 44 46 45 1.994 2.914 3.674 3.404 3.797 4.523 5.281 5.887 5.710 5.813 6.116 6.272 5.590 % aller Schüler Maximaler Voucher in $ a $ pro Schüler Σ-Ausgaben in Mio. $ 2.451 2.827 2.896 3.045 14,2 17,3 18,2 17,0 2.000 2.500 3.000b 9,2 3.450 11,1 Quelle: (CSTP 2010). Anmerkungen: Jahr bezieht sich auf das Frühjahrshalbjahr und das vorherige Herbsthalbjahr des angegebenen Jahres; a) nur Änderungen werden angegeben, b) high schools erhielten 2004–2006 maximal 2.700 $. Leere Zellen keine Daten vorhanden. Das jüngere Cleveland Scholarship and Tutoring Program (CSTP) im Bundesstaat Ohio erreicht nicht ganz das Volumen vom MPCP, ließ aber im Gegensatz zu Milwaukee von Anfang an religiöse Schulen zu. Das Gesetz für das CSTP wurde 1995 verabschiedet und die ersten Schüler gingen im Schuljahr 1996/97 auf private Schulen. Die folgende Tabelle 15 veran- 178 WOHLFAHRTSMÄRKTE schaulicht die Entwicklung des Cleveland Scholarship and Tutoring Program (CSTP) wie die vorherige Tabelle anhand derselben Indikatoren der Finanzierungs- und Produktionsdimension. Das CSTP 2009 war um zwei Drittel kleiner als das MPCP - gemessen an den Schülerzahlen. Der CSTP Gutschein war rund die Hälfte des MPCP Gutscheins wert, das heißt das Programm war weniger lukrativ für profitorientierte Schulen. Das Programm expandierte bis zur vollen Implementierung 2007, weil jedes Jahr eine Jahrgangsstufe hinzukam. Allerdings sind die gesamten Förderanträge kontinuierlich zurückgegangen, wodurch die Wachstumsraten zurückgingen (CSTP 2010). Seit der Einführung der Vouchers ist die Anzahl der teilnehmenden Schulen rückläufig. Keine der Schulen war 2009 profitorientiert, d h. der Gutscheinwert scheint zu gering, um für gewinnorientierte Privatschulbetreiber attraktiv zu sein. Ebenso wie in Milwaukee dominieren christliche Konfessionsschulen im CSTP. Insgesamt ist die Expansion also regulativ induziert, wegen der schrittweisen Ausweitung auf alle Jahrgänge, und beruht nicht auf einer gestiegenen Nachfrage (wie z.B. in Milwaukee). Trotzdem bewirkte die Marktschaffung immerhin eine Beteiligungsquote von rund 10 Prozent der Schüler, die faktisch in der amtlichen Statistik nicht berücksichtigt werden. Im Schuljahr 2006/07 startete Ohio – der Bundesstaat von Cleveland – ein landesweites Gutscheinsystem namens Educational Choice Scholarship Program (EdChoice). Die Zugangsvoraussetzung weicht von dem CSTP95 dahingehend ab, dass nicht das Familieneinkommen zur Teilnahme berechtigt, sondern dass die bisherige Schule wiederholt unterdurchschnittlich bei der jährlichen landesweiten Schulevaluation abgeschnitten hat. Im ersten Jahr (2006/07) nahmen 2.713 Schüler an dem EdChoice Programm teil. Die Teilnahme stieg in den folgenden fünf Jahren auf 13.213 Schüler an (FEC 2011a: 50–51; 2011b). Teilnehmende Schulen erhielten maximal 4.250/5.000 (elementary/high school) US-Dollar pro Schüler (Enlow 2008: 28–29). Wenn abschließend die Privatschüleranteile, die durch Schulgutscheine in Milwaukee und Cleveland/Ohio gefördert werden, mit der nationalen Statistik verglichen werden (vgl. Abbildung 10 und Abbildung 12), wird deutlich, dass sich der starke Anstieg auf lokaler Ebene nicht auf der nationalen Ebene widerspiegelt. Aus Cleveland ist bekannt, dass Voucher zum großen Teil einen Substitutionseffekt der Finan- —————— 95 CSTP Schüler können nicht an EdChoice teilnehmen. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 179 zierung bewirken, das heißt die Schüler besuchten vorher Privatschulen, erhalten nun aber öffentliche Zuschüsse für die zu entrichtenden Schulgebühren (Kisida u.a. 2008; Plucker u.a. 2006), daher liegt keine tatsächliche Änderung auf der Produktionsdimension vor. Die Bildungsgutscheine werden allerdings zu einer neuen öffentlichen Finanzierungsquelle von Privatschulen und ersetzen die private Finanzierung durch die Eltern (Verstaatlichung der Finanzierung). Dieser Exkurs ist essenziell, um die verborgene Privatisierung und Vermarktlichung in den USA darzustellen, die aus den nationalen Aggregatdaten allein nicht ersichtlich werden. Am Beispiel der Charter School Bewegung und anhand der Schulgutscheine kann eine Privatisierung und Vermarktlichung der Produktion festgestellt werden, die mit einer Aufrechterhaltung (Charter Schools) oder Erhöhung (School Voucher) der öffentlichen Finanzierung einhergeht. Die jeweiligen Förderprogramme übernehmen im Regelfall alle Schulgebühren der privaten Anbieter, womit den (berechtigten) Individuen der freie Zugang zu Privatschulen beziehungsweise öffentlichen Schulen mit privaten Betreibern ermöglicht wurde. Dadurch entstanden hybride Bildungsmärkte (Konsumenten-, Voucher-, Ausschreibungsmarkt), in dem Schüler frei zwischen Schulen wählen können und die Schulen miteinander konkurrieren. Wahlfreiheit – Konfessionsschulen als Alternativen In diesem Abschnitt wird die Ausweitung der Wahlfreiheit in der Schulbildung aufgezeigt und diskutiert, wie sich die Nutzer tatsächlich als Konsumenten verhalten. Wenn die vormaligen Wohlfahrtsklienten zusehends als Konsumenten agieren, entspricht das einer Ausweitung der Marktmechanismen. Dabei geht es um die Wahlfreiheit der primären Nutzer und Entscheider. Im Schulkontext sind die Nutzerrollen auf mehreren Schultern verteilt. Schüler sind die primären Bildungsnutzer in der Primar- und Sekundarstufe. Im Vergleich zu anderen Wohlfahrtsnutzern (z.B. Rentenversicherten) treffen aber meist Eltern die Wahlentscheidungen über die geeignete Schule stellvertretend für ihre Kinder, zumindest bis zu einem bestimmten Alter (vgl. »proxy consumer«, Lubienski 2003: 421). Diese Trennung von primären Konsumenten (Schülern) und sekundären Entscheidern (Eltern) hat großen Einfluss auf die Konsumentenrolle im Schulbereich (Köppe 2012). 180 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die Diskussion der Wahlfreiheit wird anhand von drei Hauptfragen erörtert: Welche Wahloptionen ermöglichen die neuen Bildungsmärkte? Wie häufig werden Wahlentscheidungen getroffen (Wahlverhalten)? Und wer macht von diesen Wahlmöglichkeiten Gebrauch? Die erste Fragestellung eruiert vor allem das Marktvolumen, wohingegen die zwei folgenden Fragen auf die Wirkungen der Märkte abstellen. Letztere werden nur kursorisch angerissen, um zu verdeutlichen, wie unterschiedliche Grade der Wahlfreiheit auf Wohlfahrtsnutzer wirken. Sowohl zu den Wahloptionen als auch zum Wahlverhalten fehlen weitgehend quantitativ-vergleichende Datensätze und Analysen.96 Im konkreten Bezug auf die Fallstudien sind jedoch detailliertere Aussagen zu den vorhandenen Wahloptionen und deren Wandel möglich. In den folgenden drei Abschnitten wird jedes Land ausführlicher diskutiert; zuerst werden jeweils die Wahloptionen dargestellt und im zweiten Teil das tatsächliche Wahlverhalten erläutert. Deutschland Die regulativen Vorgaben zur Wahlfreiheit sind relativ restriktiv und limitieren deshalb auch die angebotenen Wahloptionen (s. Kapitel 5), dennoch existieren Wahloptionen und die Eltern und Schüler verhalten sich als Konsumenten, indem sie zwischen Schulen wechseln. 1. Wahloptionen. Die Wahloptionen wurden zwar laut OECD (2010) regulativ ausgeweitet, allerdings manifestiert sich das kaum substanziell in vielseitigen Angeboten. Mit den meisten Bildungsinnovationen wurde vor 1985 experimentiert und neue pädagogische Ansätze hielten langsam Einzug in die Schulprofile öffentlicher und privater Schulen (u.a. Gesamtschulen, Reformpädagogik, etc.). Eine der wenigen neuen Optionen im öffentlichen Schulwesen war bilingualer Unterricht (OECD 2010: Appendix 3). Der Privatschulmarkt wurde wie bereits gesagt von Kon- —————— 96 Die OECD (2010) hat 2009 erstmals erhoben welche Wahloptionen in Bildungssystemen bestehen. Darin heißt es, »opportunities for school choice have expanded in the last 25 years« (OECD 2010: 419). Die erhobenen Daten sind aber äußerst unreliabel, weil sie auf einer retrospektiven qualitativen Umfrage unter Bildungsministerien basieren. Anschließend wurden die Antworten quantifiziert, wobei einige Aussagen als eine Expansion der Wahloptionen interpretiert wurden, die nicht unbedingt vergleichbar sind. Zum Schulwahlverhalten dominieren Fallstudien (inter alia Ball 1993; Hoxby 2003; Merrifield 2008; Plank/Sykes 2003). EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 181 fessionsschulen dominiert, deren pädagogisches Konzept insbesondere auf traditionellen Werten und klassischer Didaktik beruht. Reformpädagogische Konzepte werden sowohl in öffentlichen als auch in privaten Schulen angeboten (z.B. Montessori, Freinet). Der größte unabhängige Anbieter sind die freien Waldorfschulen, die in den 2000er Jahren rund 0,8 Prozent der gesamten Schüleranzahl unterrichteten und rund 12 Prozent aller Privatschüler (BdFWS 2011; Destatis 2008a; Institut für Bildungsökonomie 2012). Ausdrücklich ist häuslicher Unterricht in Deutschland verboten (Spiegler 2008), sodass Privatschulen die einzige Alternative gegenüber öffentlichen Schulen darstellen. In Deutschland existieren pädagogische und weltanschauliche Schulalternativen, welche seit 1990 auch absolut gewachsen sind, allerdings sind in den letzten 25 Jahren kaum innovative Schulkonzepte hinzugekommen. 2. Wahlverhalten. Trotz der staatlichen Akkreditierung sind für Deutschland keine administrativen Daten zu ausgeführten Schulwechseln zwischen öffentlichen und privaten Schulen verfügbar. Vereinzelte Studien haben das Wahlverhalten der Eltern und Schüler in Deutschland untersucht, die im Folgenden kurz wiedergeben werden. Die regulativen Vorgaben schränken die Wahlfreiheit insgesamt ein (s. Kapitel 5), aber trotz dieser Einschränkungen verhalten sich rund ein Viertel der Eltern und Schüler als Konsumenten (Köppe 2012). Eltern nutzen offizielle (Anträge) und inoffizielle (Scheinadressen) Wege, um ihre Kinder an einer anderen Grundschule einzuschreiben als die offiziell zugewiesene (Noreisch 2007a; 2007b: 79–80; Riedel u.a. 2010: 102). Ebenso umgehen Eltern die Lehrerempfehlung zur weiterführenden Schule (Ditton/ Krüsken 2009; Jonkmann u.a. 2010). Die zitierten Studien dokumentieren, dass sich zwischen 12 und 35 Prozent der Eltern als Konsumenten verhalten, indem ihre Kinder eine andere als die zugewiesene öffentliche Schule besuchen. Zu den Eltern, die ihre Wahloptionen im öffentlichen System nutzen, kommen die rund sieben Prozent der Schüler an Privatschulen. Dieses Wahlverhalten ist nicht gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt, denn insbesondere Eltern aus höheren sozialen Schichten und ohne Migrationshintergrund nutzen die Wahlfreiheit für ihre Kinder (Gresch u.a. 2010; Jonkmann u.a. 2010; Kristen 2008; Lohmann u.a. 2009; Noreisch 2007b; Riedel u.a. 2010). Im Kontext der Privatschulwahl ist noch zu ergänzen, dass Eltern als Koproduzenten erheblich mehr freiwillige Arbeit an Privatschulen als an öffentlichen Schulen leisten (Köppe 2012). Tenden- 182 WOHLFAHRTSMÄRKTE ziell führt das beobachtete Wahlverhalten zu einer sozialen Segregation der Schülerschaft und kann in Ungleichheiten der Bildungschancen und leistungen resultieren. Schweden Das 1992 eingeführte Gutscheinsystem hat in Schweden Wahlfreiheiten eröffnet und vergrößert (Miron 1994). Seitdem sind die Wahloptionen zwischen öffentlichen und privaten Schulen gestiegen und auch das Wahlverhalten der Schüler hat sich verändert. 1. Wahloptionen. Insgesamt sind die verfügbaren Wahloptionen im gesamten Bildungssystem angestiegen. Sowohl die öffentlichen als auch die privaten Schulen sind pluraler geworden. Die vorhandenen Wahloptionen in Bezug auf Privatschulen (fristående skolor) im Rahmen des Gutscheinsystems zeigen große Veränderungen in Bezug auf die geografische Verteilung und die angebotenen Schulprofile. Insbesondere in urbanen Zentren sind viele freie Schulen gegründet worden, jedoch existieren kaum neue Wahloptionen in ländlichen Gegenden. In städtischen Siedlungsgebieten können die neuen Wahloptionen gut verglichen werden und ohne lange Transportwege ausgeschöpft werden (Skolverket 2005). In Bezug auf die Schulprofile war der Privatschulmarkt vor der Einführung des Gutscheinsystems 1981 zu rund gleichen Teilen zwischen Waldorfschulen (28 %), Konfessionsschulen (26 %) und Schulen für Sprachminderheiten (23 %) aufgeteilt.97 Nach der Einführung der Schulgutscheine waren drei Wellen des Wachstums der freien Schulen festzustellen (Eiken 2009: 6): Während der ersten Welle (rund 1992–1998) wurden vor allem Konfessionsschulen und Reformpädagogische Schule (Waldorf, Montessori) gegründet. Die zweite Welle (1998–2003) war von engagierten Eltern und Kooperativen geprägt, die einzelne Schulen gründeten. Die dritte Welle (2004–heute) ist zusehends von profitorientierten Schulketten geprägt, die mehrere Schulen nach einem einheitlichen pädagogischen Konzept betreiben (2004 rund 70 Prozent Marktanteil). Obwohl Konfessionsschulen, reformpädagogische Schulen und Elternkooperativen große Marktanteile verloren haben, sind sie absolut nicht weniger geworden —————— 97 eigene Berechnung (SOU 1981:34: 23). EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 183 (eigene Berechnungen, Miron 1993: 39; Skolverket 2005: 26; Skolverket 2009: 104, 199). Die Wahloptionen sind insgesamt aufgrund dieser Schulanbieter vielseitiger geworden (pädagogisch, konfessionell, ethnisch), allerdings dominieren seit Mitte der 2000er Jahre Schulketten mit weniger Pluralität. Der Wettbewerb mit freien Schulen ging außerdem nicht spurlos an den kommunalen Schulen vorbei. Die private Konkurrenz hat auch deren Schulentwicklung positiv beeinflusst und zu mehr Vielfalt geführt (Skolverket 2005: 44). Einige Kommunen gründeten kommunala friskolor (kommunale freie Schulen), die eine größere Autonomie haben als die traditionellen kommunalen Schulen und von der Organisation privaten freien Schulen gleichen. Vor allem in Kommunen mit vielen freien Schulen reagierten die Schulverwaltungen auf die gestiegene Konkurrenz und boten eine größere Vielfalt an (Skolverket 2003: 75, 96). 2. Wahlverhalten. Das Wahlverhalten der Schüler wird nicht administrativ dokumentiert, weshalb sich die folgenden Aussagen auf verschiedene Umfragen stützen. Eine Umfrage unter Kommunen zeigt, dass 2003 die meisten Wechsel von einer kommunalen zu einer freien Schule vor dem Eintritt in die erste Klasse und nach der neunten Klasse zum Übergang ins Gymnasium stattfanden (Skolverket 2005: 38). Die Wechsel zu einer freien Schule werden also überwiegend dann vorgenommen, wenn ein Schulwechsel ohnehin ansteht. Dies kann als Hinweis auf die emotionalen Transaktionskosten eines Schulwechsels gewertet werden. Rund acht Prozent der Kommunen – vor allem städtische Kommunen mit vielen freien Schulen – gaben jährliche Wechselquoten von über zehn Prozent an. Trotz dieser Wechselquoten ist festzuhalten, dass Wechsel zwischen kommunalen Schulen (40 %) etwas häufiger stattfanden als Wechsel von kommunalen zu freien Schulen (37 %). Dennoch entschieden sich Schüler sehr selten wieder an eine öffentliche Schule zurückzukehren (Skolverket 2005: 38). Weitere Studien deuten darauf hin, dass das Wahlverhalten auch mit dem lokalen Angebot zusammenhängt: Je mehr Privatschulen sich in der Nähe befinden, desto mehr wird vom Wahlrecht Gebrauch gemacht (Skolverket 2003). Unabhängig von der gewählten Schulform hat die Mehrheit der Gymnasialschüler ihre Schule eigenständig ausgewählt (92 %), das heißt Eltern waren bei älteren Schülern kaum bei 184 WOHLFAHRTSMÄRKTE der Schulauswahl beteiligt und agierten nicht als Stellvertreterkonsumenten (Nordung 2001). Die Einführung des Bildungsmarktes hat die Segregation der Schülerschaft insgesamt erhöht, allerdings sind die Effekte zwischen den Schulprofilen der freien Schulen sehr unterschiedlich. Beispielsweise ist der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund an Waldorfschulen geringer als im Durchschnitt der Schülerpopulation, an Konfessionsschulen ist ihr Anteil hingegen höher (Skolverket 2005: 33; 2009: 122). Weitere segregierende Effekte sind nach dem Bildungsniveau und dem Einkommen der Eltern festzustellen (Folin 2003: 38). Zusammenfassend wurden die Wahloptionen in Schweden insgesamt ausgeweitet und Schüler können zwischen privaten und kommunalen Schulen wählen. Die Optionen und das Wahlverhalten sind jedoch höchst ungleich verteilt. Die Optionen sind erstens regional sehr unterschiedlich verteilt. Zweitens ist die ursprüngliche pädagogische und konfessionelle Pluralität der privaten Schulen zugunsten weniger großer Aktiengesellschaften gesunken. Und drittens erhöhte das Wahlverhalten die soziale Segregation der Schülerschaft. USA In den Vereinigten Staaten von Amerika wurden die Wahlfreiheiten mit den Charter Schools und den Schulgutscheinen erhöht. Dieser Abschnitt stellt zuerst die Schulgutscheinsysteme (Voucher) und als zweites die Charter Schools vor. Jedes dieser Unterkapitel diskutiert Wahloptionen und Wahlverhalten separat. 1. Voucher. (1) Wahloptionen. Die Zulassung religiöser Schulen hat die Wahloptionen deutlich erhöht, denn sie bieten eine Alternative zu den säkularen öffentlichen Schulen (Kisida u.a. 2008; LAG 2000). Außerdem sind Schulprofile mit künstlerischen Programmschwerpunkten und Nachmittagsbetreuung hinzugekommen, die äußerst populär sind (Kisida u.a. 2008: 13). Zusammenfassend haben die US Vouchersysteme Wahloptionen erhöht (weltanschauliche/künstlerische Programmschwerpunkte), die pädagogische Vielfalt hat sich hingegen nicht erhöht. (2) Wahlverhalten. Die Evaluationen aus Milwaukee und Cleveland legen nahe, wenn sich Schüler einmal für eine Privatschule entschieden haben, bleiben sie im Regelfalle bei dieser. Außerdem hatten beispielsweise EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 185 60–70 Prozent der Schüler in Cleveland vorher meist schon eine Privatschule besucht. Es führen eher externe Ereignisse (wie beispielsweise Umzüge) zu einem Schulwechsel als der Wettbewerb unter den Schulen (Kisida u.a. 2008; Plucker u.a. 2006). Von den Wahlmöglichkeiten machen überwiegend Schüler aus der weißen Mittelschicht Gebrauch (Kisida u.a. 2008; Ladd 2002; Plucker u.a. 2006). Die Segregation der Schülerschaft trat auf, obwohl beide Programme ausdrücklich arme Familien fördern sollten und Einkommensnachweise verlangten. In diesem Kontext konnte eine Selbstselektion beobachtet werden, weil Eltern Privatschulen präferierten, deren Schülerschaft denselben sozio-ökonomischen Hintergrund aufweist wie sie selbst. 2. Charter Schools. (1) Wahloptionen. Der Anstieg der Charter Schools zeigt, dass die Wahloptionen innerhalb des öffentlichen Systems zugenommen haben. Vielen Schülern eröffneten sie den Zugang zu Bildungsalternativen, insbesondere wenn sie von Chartered Management Organizations (CMOs) betrieben wurden, die sich auf soziale und kulturelle Besonderheiten ihrer lokalen Schülerschaft einstellen (Gross/Pochop 2008). Charter Schools waren bis auf einige Ausnahmen jedoch selten pädagogisch und kurrikular innovativ. Ihr Programm basierte auf etablierten Unterrichtsmethoden, die jedoch eine Alternative gegenüber den existierenden lokalen öffentlichen Schulen darstellten (Lubienski 2003: 418). Beispielsweise bieten profitorientierte Bildungsanbieter (EMOs) zwar für einzelne Schulbezirke eine pädagogische Alternative, wenden ihr Schulprogramm aber als Franchise bundesweit an (Miron/Nelson 2002). Die hohe Marktkonzentration der EMOs und ihr restriktiver Markenschutz verringerten ebenso Wahloptionen. (2) Wahlverhalten. Eltern entscheiden meist, ob ihr Kind eine Charter School besucht. Dies ist ein Beleg für die eingangs erwähnte Hypothese, dass Eltern im Endeffekt stellvertretend für ihre Kinder die Schulwahl als »proxy consumer« treffen (Lubienski 2003: 421). Charter Schools scheinen insbesondere Schüler anzuziehen, die bereits Privatschulen besucht haben (Miron/Nelson 2002: 85). Die öffentlichen Charter Schools sind somit eine direkte Konkurrenz zu Privatschulen und bewirken, dass einige Eltern wieder eine öffentliche Schule präferieren. Eltern, die sich für EMOs entschieden, gaben eher ideologische Gründe für die Schulwahl an. Eltern erwiesen sich dabei als sehr konservative Kon- 186 WOHLFAHRTSMÄRKTE sumenten, die insbesondere etablierte und erprobte Schulkonzepte bevorzugten (Lubienski 2003). Verschiedene soziodemografische Merkmale beeinflussen die CharterSchool-Wahl. Die Belege zu den Effekten der Charter Schools auf Schüler aus kulturellen Minderheiten oder ärmeren Haushalten sind jedoch widersprüchlich (Gross/Pochop 2008: 10; Miron/Nelson 2002). Insgesamt stehen in den USA viele Wahloptionen zur Verfügung. Charter Schools sind weit verbreitet im Gegensatz zu School Vouchers, weshalb Charter Schools in der Fläche mehr Wahlfreiheit eröffnen (Kane/ Lauricella 2001). Jenseits der Charter Schools und School Voucher können Schüler erstens gegen Gebühr Privatschulen besuchen und zweitens zu Hause unterrichtet werden (sogenanntes Homeschooling). Der Anteil der schulpflichtigen Kinder, die zu Hause unterrichtet werden, ist in den letzten Jahren stark gestiegen (Princiotta/Bielick 2006). Ähnlich wie im Privatschulbereich, der von konfessionellen Einrichtungen dominiert wird, liegen ebenfalls überwiegend religiöse Motive zugrunde, wenn Eltern ihre Kinder zu Hause unterrichten (FEC 2011a; Lubienski 2003). Das Wahlverhalten wurde maßgeblich von verschiedenen sozioökonomischen Faktoren beeinflusst. Viele Studien konnten belegen, dass die Wahloptionen stärker von der weißen Mittelschicht genutzt wurden und somit zu einer Segregation der Schülerschaft beitragen. Mehr Wahlfreiheit und Segregation Die Wahlfreiheit wurde in allen untersuchten Ländern ausgeweitet. Insbesondere die Wahloptionen haben sich für Schüler und Eltern erhöht. Die höheren Wahloptionen auf der nationalen oder regionalen (bundesstaatlichen) Ebene führen aber nicht in jedem Fall zu mehr Wahloptionen in der Kommune. Vor Ort haben sich die Wahloptionen nur in bestimmten Gegenden erhöht, meist in städtischen Gebieten wo die Wege kurz genug sind, um ohne hohe Transaktionskosten eine andere Schule zu besuchen. Das Wahlverhalten im Optionsraum zwischen privaten und öffentlichen Schulen offenbart ebenso soziale Ungleichheiten. Familien aus höheren sozialen Schichten machen stärker von ihren Wahlrechten Gebrauch und ermöglichen ihren Kindern den Zugang zu Privatschulen beziehungsweise entscheiden sich bewusst für eine gute öffentliche Schule. Insgesamt EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 187 haben die höheren Wahloptionen und das sozial determinierte Wahlverhalten die Segregation der Schülerschaft erhöht. 4.2.3 Zusammenfassung – Subventionierte Privatschulen Die Ergebnisse der Bildungsmärkte können wie folgt zusammengefasst werden. Erstens steigt der Grad der Vermarktlichung und Privatisierung vom primären zum tertiären Bildungsbereich. Folglich werden, im Vergleich zu Primar- und Sekundarschulen, die meisten privaten Bildungsinstitutionen und höchsten privaten Aufwendungen im universitären Bildungsbereich nachgewiesen. Zweitens variiert der Privatisierungsgrad der Bildung je nach Messniveau und Bildungssektor und entzieht sich einer allgemeingültigen Einordnung in Länderfamilien. Weder die gesamtwirtschaftliche Relevanz der Bildung, die finanzielle Aufgabenverteilung noch die institutionelle Aufgabenverteilung stehen in einem signifikanten Zusammenhang, was den Schluss nahelegt, dass die politische Regulierung im jeweiligen Staat maßgeblichen Einfluss auf das Marktvolumen besitzt. Drittens wird der Primar- und Sekundarbereich immer noch überwiegend öffentlich finanziert; wenn eine Vermarktlichung stattfindet, ist sie nur in der Produktions- und Wahlfreiheitsdimension festzustellen. Dadurch sind je nach Fall Voucher- (Deutschland, Schweden, USA), Ausschreibungs- (z.T. Charter Schools) oder Konsumentenmärkte (Magnet Schools, z.T. Charter Schools) entstanden (vgl. Abbildung 1). Viertens zeigen die drei Länderstudien, dass der Grad der Privatisierung von politischen Veränderungen beeinflusst wird. In Schweden hat die Gründung eines Vouchersystems zu einem rasanten Anstieg des Marktvolumens geführt, insbesondere im Gymnasialbereich. In Deutschland, wo keine großen regulativen Veränderungen stattgefunden haben, ist eher eine schleichende Privatisierung zu beobachten. In den USA ist vor allem auf gliedstaatlicher und kommunaler Ebene ein Vermarktlichung zu beobachten (Schulgutscheine/Charter Schools), ohne dass dies in der amtlichen Statistik adäquat erhoben wurde. Fünftens hat sich die Wahlfreiheit erhöht. Schülern stehen mehr Wahloptionen zur Verfügung, doch das Wahlverhalten führt zu Segregation, weil nicht alle Schüler in gleichem Maße von ihren Wahloptionen Gebrauch machen. 188 WOHLFAHRTSMÄRKTE Trotz der beträchtlichen Wachstumsraten bleiben die Bildungsmärkte für Privatschulen in den drei untersuchten Ländern noch marginal und ergänzen eher das öffentliche Bildungswesen und sind bisweilen keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Eine Ausnahme sind lediglich die privaten Gymnasien in Schweden, die zunehmend die öffentlichen Schulen verdrängen. Allerdings sind die privaten Gymnasien vollständig öffentlich finanziert und somit abhängig von staatlicher Regulierung. 4.3 Wachstum des Marktvolumens ohne Rückzug des Staates – Eine Zusammenfassung Das Kapitel begann mit der Frage, ob Wohlfahrtsmärkte im Renten- und Bildungsbereich gewachsen sind. Anhand der Dimensionen Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit konnte gezeigt werden, dass im internationalen Vergleich und in den drei detailliert untersuchten Ländern Wohlfahrtsmärkte gewachsen sind. Wohlfahrtsmärkte haben an Relevanz zugenommen und auch zu einer neuen Aufgabenverteilung zwischen Staat und Markt geführt (Zusammenfassung der Ergebnisse in Tabelle 16). In der Produktionsdimension konnte neben dem Anstieg von privaten Anbietern wie Privatschulen, Versicherungskonzernen und Banken auch festgestellt werden, dass nach der Markteinführung zunehmend profitorientierte Konzerne gemeinnützige Unternehmen langfristig verdrängen (vor allem im Bildungssektor). Bei der Finanzierungsdimension kann dieser Trend zu mehr Marktmechanismen nur für den Rentenmarkt bestätigt werden, denn im Bildungsbereich besteht weiterhin eine hohe staatliche Finanzierungsverantwortung, weil die Privatschulen größtenteils staatlich subventioniert und reguliert werden. Die erste Hauptannahme wachsender Wohlfahrtsmärkte konnte in allen drei Ländern bestätigt werden. Ein Ende des Wachstums ist im Großen und Ganzen nicht zu erwarten. Die Dimension Wahlfreiheit zeigte eine Ausweitung der Wahloptionen. Sowohl im Renten- als auch im Bildungsmarkt zeigt das Wahlverhalten ineffiziente, ungerechte und segregierende Auswirkungen. Wechsel- und Kündigungsquoten sowie steigende Pro-Kopf-Kosten legen den Schluss nahe, dass die Entscheidungen der Wohlfahrtsnutzer nicht immer zu opti- 189 EXPANSION DES MARKTVOLUMENS malen und effizienten Ergebnissen führen. Außerdem zeigen beide Märkte segregierende Effekte in Bezug auf zentrale sozioökonomische Merkmale. Tabelle 16: Zusammenfassung des Wandels Rente Finanzierung Produktion Wahlfreiheit Bildung Finanzierung Produktion Wahlfreiheit Deutschland Schweden USA höherer freiwilliger privater Beitrag, leicht steigender Pflichtbeitrag, keine Kürzung des staatlichen Zuschusses, geringere Arbeitgeberfinanzierung geringer Anteil privat Versicherter, aber Wachstum höherer privater Beitragsanteil, sinkender Gesamtbeitrag, geringere Arbeitgeberfinanzierung sehr viele Anbieter und Produkte Wahlpflicht, viele Anbieter stabiler staatlicher Pflichtbeitrag, sinkende durchschnittl. private Beiträge, privater Maximalbeitrag gestiegen, geringere Arbeitgeberfinanzierung hohes Niveau privat Versicherter, stetiges Wachstum über langen Zeitraum mehr Wahloptionen bei Betriebsrenten hohe öffentliche Zuschüsse, leichtes Wachstum der öffentlichen Zuschüsse geringes Marktvolumen, geringes Wachstum öffentlich, keine Veränderung Wahloptionen stark eingeschränkt, zunehmende Konsumentenrolle hoher Anstieg der Wahloptionen und Wechselquoten Quelle: eigene Darstellung hohes Wachstum und hohe Versicherungsquote der privaten Vorsorge hohes Wachstum und zum Teil sehr hoher Marktanteil von Privatschulen geringe öffentliche Zuschüsse, Anteil der privaten Finanzierung angestiegen stabiler Privatschulmarkt auf hohem Niveau, hohes Wachstum bei Charter Schools viele Wahloptionen und leichter Anstieg der Wechselquoten 190 WOHLFAHRTSMÄRKTE Trotz des allgemeinen Trends zu mehr Wohlfahrtsmärkten zeigen die Analysen interessante Unterschiede zwischen den Ländern und Politikfeldern und werfen einige Fragen auf. Erstens offenbarte der Vergleich, dass Schwedens Wohlfahrtssystem wider Erwarten stark vermarktlicht ist. Sowohl der Renten- als auch der Bildungsmarkt wiesen in den letzten beiden Dekaden so hohe Wachstumsraten auf, dass Schweden stärker vermarktlicht ist als Deutschland. Warum konnte das Marktvolumen in einem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat so stark ansteigen? Welche politischen Kräfte haben diese Marktexpansion durchgesetzt oder haben diese Märkte eine Besonderheit inne, die weiterhin zum sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime passt? Zweitens konnte für die Rentenmärkte ein größeres Marktvolumen festgestellt werden. Die investierten Summen sind gesamtgesellschaftlich größer und die Versicherungsunternehmen agieren global und profitorientiert. Im direkten Vergleich scheinen Rentenmärkte weitaus größere Gewinne zu versprechen und sind auch im Bewusstsein der Bevölkerungen als Märkte verankert. Die ersten Privatschulen wurden zwar weit vor den ersten Versicherungskonzernen gegründet, allerdings operieren sie nicht unbedingt als profitorientierte Unternehmen, häufig sind sie sogar gemeinnützig. Trotz dieser Unterschiede zeigte die Analyse auch, dass vermehrt profitorientierte Schulketten auf den Bildungsmärkten aktiv sind, die mehrere Schulen unter einem Firmennamen betreiben. Außerdem zeigte die Analyse des Marktvolumens, dass sehr unterschiedliche Wohlfahrtsmarkttypen in den Renten- und Bildungsmärkten entstanden sind (vgl. Abbildung 1). Die Rentenmärkte wurden meist in allen drei Dimensionen vermarktlicht, was einem regulierten Wohlfahrtsmarkt entspricht. Lediglich die schwedische Prämienrente fällt in die Kategorie obligatorischer Wohlfahrtsmarkt. Die Bildungsmärkte weisen üblicherweise weiterhin eine hohe staatliche Finanzierung und zum Teil Produktion auf, sodass sie hybride Formen zwischen Konsumenten-, Voucher- und Ausschreibungsmarkt bilden. Die schwedischen und deutschen Bildungsmärkte entsprechen am ehesten einem Vouchermarkt. Im US-amerikanischen Fall sind Mischformen von allen drei genannten Markttypen zu finden. Drittens kann trotz der wachsenden Marktanteile privater Anbieter und der größeren Belastungen für private Finanzierungsquellen kein Rückzug des Staates festgestellt werden. Sowohl öffentliche und private Finanzierung als auch öffentliche und private Produktion ergänzen einander. EXPANSION DES MARKTVOLUMENS 191 Beispielsweise sind im Bildungsbereich sowohl öffentliche als auch private Schulen ausgebaut worden (Schweden, USA). Rentenmärkte sind gewachsen, ohne dass die Finanzierung der öffentlichen Renten im selben Maße zurückgefahren wurde (USA, Deutschland). In Schweden wurde zwar der Beitragssatz reduziert, zukünftige Belastungen werden aber aus den hohen staatlichen Rentenrücklagen finanziert. Eine staatliche Finanzierungsverantwortung wurde also in beiden Märkten beibehalten. Die Analyse des Marktvolumens konnte keinen Substitutionseffekt feststellen, das heißt die staatlichen Renten und Schulen wurden nicht von den privaten verdrängt. Eine Substitution wäre festzustellen, wenn die Finanzierungsverantwortung des öffentlichen Rentensystems radikal reduziert und die private Finanzierung die öffentliche ersetzten würde. Eine Reduzierung der Leistungen könnte auch als Substitution gelten, weil sie neue private Bedarfe erzeugt, um die öffentliche Leistungslücke zu schließen. Kürzungen können allerdings ebenso dazu dienen das öffentliche System zu erhalten, um sie für den demografischen Wandel zu stabilisieren (z.B. Erhöhung des Rentenalters). Einzig der negative Zusammenhang von Steuererleichterungen für Renten und öffentlichen Rentenausgaben zeigte einen Substitutionseffekt. Entweder liegt die staatliche Finanzierungspriorität auf öffentlichen oder privaten Rentenversicherungen. Historisch ist dieser Effekt aber nicht als Substitution entstanden, sondern als Kumulation. Da die öffentliche Rentenversicherung in den USA keine ausreichende Sicherung im Alter garantieren konnte, wurden private Rentenversicherungen steuerlich gefördert. Sie ergänzen die geringe öffentliche Vorsorge. Insgesamt ist der Staat in allen Märkten weiterhin als Regulierer wichtig und häufig auch in seiner Finanzierungsverantwortung. Die Produktion der Wohlfahrtsleistung wird von privaten Anbietern erbracht, jedoch ohne dass sie vermögen den Staat komplett zu verdrängen. Der demokratische Wohlfahrtsstaat und die Politik bewahren also Einfluss auf die Märkte, allerdings bleibt zu hinterfragen, wie schwer der Machtverlust der politischen Akteure wiegt. Aus diesen Ergebnissen leiten sich folgende Fragen ab: Warum haben einige Märkte eine größere Dynamik entwickelt als andere? Welche historischen Vorbilder wurden bei der Schaffung der Wohlfahrtsmärkte verwendet? Welche Interessengruppen profitieren von den Märkten? Welche politischen Akteure haben die unterschiedlichen Wohlfahrtsmarktreformen durchgesetzt? Worin unterscheidet sich die Regulierung der Märkte? Wie 192 WOHLFAHRTSMÄRKTE sind die Märkte reguliert, um sozialpolitische Ziele wie Effizienz, Fairness oder Gleichheit zu erreichen? Die Hauptfrage dieses Kapitels war, wie stark Marktmechanismen eingeführt wurden. Obwohl die Marktmechanismen zugenommen haben, sind sie in keinem Land zur dominierenden Form der Sozialpolitik geworden. Der zweite Teil der Arbeit wird nun die regulativen Unterschiede untersuchen und erklären, wie es zum Anstieg kam und sich verschiedene regulative Traditionen ausbilden konnten. Folglich stehen zwei Fragen im Vordergrund: Wie werden die Wohlfahrtsmärkte reguliert und welche politischen und institutionellen Faktoren haben dazu beigetragen? 5 Regulierung der Wohlfahrtsmärkte »Initial regulatory institutions shape the development of new markets because they produce cultural templates that affect how to organize.« (Fligstein 1996: 661) Im vorherigen Kapitel wurde der gemeinsame Trend zu Wohlfahrtsmärkten in Deutschland, Schweden und den USA untersucht. Darauf aufbauend werden in diesem Kapitel die institutionellen Unterschiede und Reformen analysiert, die dieses Wachstum zum Teil ausgelöst haben. Auf den folgenden Seiten steht der qualitative institutionelle Vergleich von Wohlfahrtsmärkten im Vordergrund. Ebenso stehen die politischen Akteure, die die Institutionen der Wohlfahrtsmärkte geformt haben, und die Frage, welche Ziele sie dabei verfolgten, im Fokus der Analyse. Das Hauptargument dieses Kapitels ist, dass die neuen Wohlfahrtsmärkte überwiegend in das existierende nationale Wohlfahrtsregime eingebettet werden und dieselben institutionellen Eigenschaften übernehmen. Die nationalen Wohlfahrtsregime geben die Richtung des Wandels vor, was an einer Übertragung der institutionellen Eigenschaften auf die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte deutlich wird. Allerdings determinieren die Wohlfahrtsregime nicht den Wandel, denn politische Akteure können die Pfadrichtung zum Teil verändern. Die Fallstudien zeigen aber, dass die dominanten Akteure, das heißt Parteien, Verbände oder Unternehmen, vornehmlich die positiven Feedback-Effekte der Institutionen verstärken, anstatt zu verringern. Die Akteure wollen insgesamt ihre politische und wirtschaftliche dominante Stellung verteidigen und auf die Wohlfahrtsmärkte übertragen, weshalb sie eine Regulierung der Märkte anstreben, die ihre Macht konserviert. Durch dieses Streben ihre Marktmacht zu erhalten, wird die Pfadabhängigkeit der Institutionen verstärkt, denn die Akteure haben ein originäres Interesse die Eigenschaften des Wohlfahrtsregimes, von denen sie bisher profitierten, auf die Wohlfahrtsmärkte zu übertragen. Diesen Prozess der strukturellen Einbettung werde ich kurz an einem Beispiel erläutern. Im sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime Schwedens wurde, wie die Fallstudie detaillierter ausführen wird, Anfang der 1990er Jahre von der bürgerlichen Regierung ein Bildungsmarkt eingeführt. Viele 194 WOHLFAHRTSMÄRKTE Eigenschaften des sozialdemokratischen Bildungsregimes wurden bei der Gründung des Bildungsmarktes übernommen (u.a. staatliche Verwaltung, Leistungsstruktur), allerdings wurden segregierende Schulgebühren weiterhin erlaubt, was im Kern dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime widersprach. Im Anschluss an diese wegweisende Reform betteten insbesondere die Sozialdemokraten den neuen Bildungsmarkt immer stärker in das sozialdemokratische Regime ein, indem sie die Schulgebühren abschafften. Seitdem sind die Privatschulen ausschließlich steuerfinanziert und ein universeller Zugang für alle Schüler wird ermöglicht. Faktisch bestehen kaum noch Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Schulen, weil sie die gleichen öffentlichen Zuschüsse erhalten. Der Bildungsmarkt wurde vollständig in das existierende Bildungsregime eingebettet, verändert hat sich lediglich die Zulassung privater Anbieter und die Tatsache, dass mehr Wahloptionen zur Verfügung stehen. Das Beispiel verdeutlicht auch, dass sowohl linke als auch bürgerliche Parteien die Marktregulierung nach ihren Präferenzen beeinflussen. Wenn auch Sozialdemokraten überwiegend skeptisch gegenüber Märkten sind, so versuchen sie, die Wohlfahrtsmärkte nach sozialdemokratischen Prinzipien zu regulieren. Neben den politischen Parteien sind die dominanten Anbieter benachbarter Märkte machtvolle Akteure, die tendenziell den Status quo bevorzugen, weil sie der aktuellen Marktregulierung ihre herausgehobene Marktmacht verdanken und sie auf Marktgründungen und -liberalisierungen übertragen beziehungsweise beibehalten wollen. Beispielsweise plädierte der schwedische Privatschulverband nach der Marktgründung Anfang der 1990er Jahre vehement für eine Beibehaltung der ursprünglichen Regulierung, weil jegliche Änderungen als Gefahr für das Geschäftsmodell der existierenden Privatschulen betrachtet wurden. In diesem Fall versucht ein dominanter Marktakteur (existierende Privatschulen), die bisherige Machtbasis gegenüber möglichen neuen Privatschulmodellen zu verteidigen. Dieses Beispiel illustriert, dass die existierenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen den Spielraum bei der Marktschaffung begrenzen, sodass überwiegend die Eigenschaften des jeweiligen Wohlfahrtsregimes in die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte übernommen werden. Die politischen Akteure und dominanten Marktanbieter verstärken den Effekt der Pfadabhängigkeit, weil sie ihre Macht auf die Wohlfahrtsmärkte ausbauen wollen. Folglich verteidigen dominante Akteure jeglicher Couleur, das heißt Parteien, Gewerkschaften, Unternehmen und Verbände, nach der Markt- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 195 gründung die aktuelle Marktregulierung, weil jede Veränderung der Regulierung einen Machtverlust bedeuten könnte. Innovationen und Pfadbrüche sind in diesem Kontext selten und beschränkten sich überwiegend auf die Einführung von Wahlfreiheit, allerdings wird auch diese in das existierende nationale Wohlfahrtsregime eingebettet. Neue Akteure streben hingegen eine Änderung der Marktregulierung an, um mehr politischen Einfluss auf die Marktregulierung zu erreichen und höhere Marktanteile zu erzielen. Innovationen sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie inkrementell erfolgen und erst über längere Zeiträume die dominante Institution verdrängen. Außerdem sind Innovationen einfacher durchzusetzen, wenn politische Institutionen Reformgegnern wenig Vetomacht einräumen (Zentralstaat, keine Referenden, schwaches Verfassungsgericht). Diese Pfadabhängigkeit trifft auf einige Fälle stärker zu (u.a. Schweden, deutsche Privatschulen) als auf andere (u.a. deutsche Riester-Rente). Dennoch kann in allen Fällen die Übernahme von bestehenden institutionellen Eigenschaften nachgewiesen werden. Das Eingangsbeispiel des schwedischen Bildungsmarktes zeigt aber auch, dass die Angleichung an das existierende Wohlfahrtsregime nicht linear verlaufen muss. Zum Zeitpunkt der Marktgründung können einige Eigenschaften eingeführt werden, die im Widerspruch zum existierenden Wohlfahrtsregime stehen. Dies ist beispielsweise der Fall bei der deutschen Riester-Rente, die mehrere Abweichungen zum bisherigen Wohlfahrtsregime aufweist. Für derartige Pfadabweichungen bedürfen vor allem die Akteurskonstellationen einer genaueren Untersuchung. In den folgenden Fallstudien wird dieser politische Prozess der Markteinbettung und Regulierung ausführlich untersucht. Zunächst wird der analytische Rahmen von fünf Regulierungsdimensionen vorgestellt. Die Regulierungsdimensionen (Zulassungsvoraussetzungen, Leistungsstruktur, Finanzierungsmechanismus, Verwaltung und Wahlfreiheit) dienen als Gradmesser, inwiefern die institutionelle Einbettung der Wohlfahrtsmärkte stattgefunden hat. Mit dem analytischen Rahmen können Gemeinsamkeiten zwischen den Wohlfahrtsmärkten und den benachbarten Institutionen herausgearbeitet werden. In den darauffolgenden drei Länderkapiteln wird der analytische Rahmen angewendet, um den institutionellen Wandel zu Wohlfahrtsmärkten zu untersuchen. Die Fallstudien in den Länderkapiteln sind jeweils in drei Teile gegliedert. In den ersten beiden Unterkapiteln erfolgt die Analyse der 196 WOHLFAHRTSMÄRKTE zwei Politikfelder »Rente« und »Bildung« anhand der vorgestellten Regulierungsdimensionen. Die Analysen beginnen jeweils mit einer Beschreibung der Renten- und Bildungsinstitutionen Anfang der 1990er Jahre. Anschließend wird untersucht, welche Marktreformen bis 2010 eingeführt wurden. Dabei werden ebenfalls die Akteurs- und Machtkonstellationen berücksichtigt. Einige Fallstudien berücksichtigen außerdem den Zeitraum vor 1990, wenn die Wohlfahrtsmarktgründung bereits vorher erfolgte.98 Jedes Länderkapitel schließt mit einer Zusammenfassung und einem Vergleich beider Politikfelder. 5.1 Analytischer Rahmen99 Wie im vorherigen Kapitel dargelegt – und entgegen Esping-Andersens (1990) Wohlfahrtsregimetypologie – existieren Wohlfahrtsmärkte in der einen oder anderen Form in allen Wohlfahrtsregimen. Das Marktvolumen scheint nicht mehr hinreichend Unterschiede zwischen Wohlfahrtsregimen zu erklären. Die Fragen lauten vielmehr, unter welchen institutionellen Rahmenbedingungen diese Wohlfahrtsmärkte entstanden sind, worin sich die Marktregulation unterscheidet und wie sich dadurch die Wohlfahrtsregime verändert haben. Dazu bedarf es klarer Vergleichskriterien, damit die Institutionen der Wohlfahrtsregime mit den Institutionen der neuen Wohlfahrtsmärkte verglichen werden können. Im Folgenden werden fünf Regulierungsdimensionen (Zulassungsvoraussetzungen, Leistungsstruktur, Finanzierungsmechanismus, Verwaltung und Wahlfreiheit) definiert, anhand derer die aktuellen Marktinstitutionen analysiert werden können. Die Eigenschaften der Renten- und Bildungssysteme Anfang der 1990er Jahre dienen hier als Vergleichsfolie, um zu verstehen, ob und wie diese Eigenschaften auf Wohlfahrtsmärkte übertragen wurden. Wenn überwiegend dieselben institutionellen Eigenschaften in den Wohlfahrtsmärkten wie in den Renten- und Bildungssystemen Anfang der 1990er Jahre nachgewiesen werden können, wurden sie hochgradig eingebettet und eine Kontinuität der Wohlfahrtsregime wäre zu konstatieren. Der institutionelle Wandel würde nicht über die Einführung von Marktmechanismen hinausgehen, —————— 98 Das trifft für die deutschen und schwedischen Bildungskapitel zu und den USamerikanischen Rentenmarkt. 99 Weniger methodisch interessierte Leser mögen diesen Abschnitt überspringen. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 197 was üblicherweise eine Ausweitung an Wahlfreiheit bedeutet. Diese Wohlfahrtsmärkte würden hauptsächlich die institutionellen Eigenschaften der Vorläuferinstitutionen beibehalten (vgl. Fligstein 1996: 661). Damit diese Formen der institutionellen Einbettung untersucht werden können, werden im Folgenden fünf Regulierungsdimensionen vorgestellt, anhand derer die institutionellen Eigenschaften verglichen werden. Dabei beziehe ich mich auf den Ansatz von Palier (2001) zur Messung von institutionellem Wandel. Gegenüber den in Kapitel 1 und 3 diskutierten Ansätze zur Messung und Strukturierung der Marktregulierung kann Paliers Ansatz auf zwei disparate Politikfelder wie Rente und Bildung angewendet werden. Außerdem ermöglicht Paliers Analyseraster sowohl marktförmige als auch staatliche Wohlfahrtsinstitutionen mit einigen Modifikationen zu vergleichen. Palier misst die institutionellen Charakteristika von Wohlfahrtsstaaten anhand von vier Regulierungsdimensionen: 1. Zugangsvoraussetzungen, 2. Leistungsstruktur, 3. Finanzierungsmechanismus und 4. Verwaltung (Palier 2001: 111–113). Um sowohl die Spezifika von Wohlfahrtsstaaten als auch die von Wohlfahrtsmärkten umfassend erheben zu können, werde ich Paliers Ansatz leicht anpassen und ergänzen. Erstens werden zwei zusätzliche Unterkategorien in die Dimensionen aufgenommen: Die Dimension Leistungsstruktur wird um den Aspekt Leistungsgarantien ergänzt und die Dimension Finanzierungsmechanismus wird um den Aspekt Risikoadjustierung erweitert. Zweitens wird die Kategorie Wahlfreiheit als fünfte Dimension hinzugefügt, weil sie in Bezug auf Marktmechanismen besonders relevant ist (vgl. Kapitel 2 und 4). Dennoch können Wahloptionen in hochgradig hierarchisch organisierten Sozialprogrammen existieren, sodass die Wahlfreiheitsdimension auch auf staatliche Sozialprogramme angewendet wird. Anhand dieser fünf Vergleichsdimensionen können sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in der Regulierung von Wohlfahrtsmärkten und Wohlfahrtsstaaten herausgearbeitet werden. Im Folgenden werden die fünf Regulierungsdimensionen ausführlich vorgestellt und diskutiert, wie damit die Marktregulierung strukturiert erhoben wird: 1. Zugangsvoraussetzungen. Der rechtliche Zugang zu Leistungen kann von verschiedenen Parametern abhängen wie zum Beispiel Staatsbürgerschaft, 198 WOHLFAHRTSMÄRKTE Bewohnerstatus100, Profession und Berufsgruppe, Bedürftigkeit, Beschäftigungsverhältnis, Beitragszahlungen oder ein privates Vertragsverhältnis. Die Zugangsvoraussetzungen sind zentral, um zu untersuchen, welche Bevölkerungsgruppen an einem sozialpolitischen Programm Interesse haben und wie stark die politische Unterstützung für ein Sozialprogramm ist. Zugangsvoraussetzungen können entweder universell, fragmentiert oder individuell sein. Ein universeller Zugang zum Wohlfahrtsmarkt ist beispielsweise gegeben, wenn jeder Staatsbürger oder Bewohner eines Landes Zugang zu Sozialleistungen hat. Ein fragmentierter Zugang, der nach Berufsgruppen differenziert, führt zu branchenspezifischen Ungleichheiten, innerhalb der Branche besteht aber überwiegend ein gleicher Zugang zu staatlichen und privaten Leistungen. Ein vollständig individualisierter Zugang besteht beispielsweise, wenn eine Bedarfsprüfung stattfindet. In diesem Fall haben nur die Schwächsten der Bevölkerung Zugang zum System (Korpi/Palme 1998). Eine institutionelle Einbettung liegt demnach vor, wenn beispielsweise die Statusdifferenzen des öffentlichen Systems auf die Wohlfahrtsmärkte übertragen werden. 2. Leistungsstruktur. Sozialleistungen können entweder als Dienst- und Sachleistungen angeboten (in-kind) oder als Geldtransfers verteilt werden (incash). Die Leistungshöhe hängt meist von den Zugangsregelungen ab und kann sich nach Bedarf, Einkommen oder nach bereits gezahlten Beiträgen richten. Eine einheitliche Leistungshöhe ist auch möglich (flat-rate). Soziale Dienstleistungen werden überwiegend entweder nach individuellem Bedarf oder einheitlich festgesetzt, die Geldtransfers sind hingegen häufig abhängig von Einkommen und Beiträgen. Innerhalb der Wohlfahrtsmärkte ist, anders als bei den Wohlfahrtsstaaten, nicht notwendig gesichert, ob Leistungsgarantien bestehen. Nach Palier ist bei wohlfahrtsstaatlichen Leistungen davon auszugehen, dass eine bestimmte Leistungshöhe rechtlich definiert und auch garantiert ist. Beispielsweise garantiert die Rentenformel einer öffentlichen Rentenversicherung, welche Rentenleistungen unter welchen Bedingungen ausgezahlt werden. Der Rechtsanspruch kann allerdings politisch geändert werden, wodurch die Leistungsstruktur öffentlicher Sozialprogramme nicht grundsätzlich vor Wandel geschützt ist. —————— 100 Bewohnerstatus bezieht sich auf die sozialen Rechte als Einwohner eines Landes (denizenship), ohne Staatsbürger (citizenship) zu sein (Brubaker 1989). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 199 Wenn Sozialleistungen in Wohlfahrtsmärkten von privaten Anbietern bereitgestellt werden, kann der Staat nicht direkt die Leistungsstruktur beeinflussen. Beispielsweise können private Rentenversicherungen unterschiedliche Vertragskonditionen haben, ebenso kann die Rentenhöhe in hohem Maße von Kapitalmärkten abhängen. Die Leistungsstruktur von Produkten, die auf Wohlfahrtsmärkten angeboten werden, kann allerdings Leistungsgarantien enthalten (z.B. garantierte Verzinsung der Rentenrücklagen). Diese Leistungsgarantien werden in die Untersuchung der Leistungsstruktur einbezogen, wenn sie vorhanden sind. 3. Finanzierungsmechanismus. Sozialleistungen werden aus Steuern, einkommensbezogenen Beiträgen oder aus individuellen Beiträgen finanziert (Palier 2001). Der Finanzierungsmechanismus bestimmt, wer an der Finanzierung der Sozialleistungen beteiligt ist und wie stark die Sozialleistungen von vorher geleisteten Beiträgen abhängig sind. Von dem Finanzierungsmechanismus hängt auch die Legitimation der jeweiligen Sozialprogramme ab. Die beitragsabhängigen Systeme haben eine hohe Legitimation, weil die Leistungsempfänger vorher Beiträge entrichtet haben. Je stärker die zu erwartende Leistungshöhe und -qualität von vorher geleisteten Beitragszahlungen abhängt, desto höher ist die Legitimierung des Sozialprogramms (Rothstein 1998). Allerdings sind mithilfe von Steuererleichterungen und Zuschüssen auch Kombinationen aus Beitrags- und Steuerfinanzierung möglich. Diese genauen Unterschiede des Finanzierungsmechanismus sind Gegenstand dieser Dimension. Als weiterer Aspekt der Finanzierungsdimension ist die Risikoadjustierung im Finanzierungsviereck von Beitragszahler, Kostenträger, Leistungserbringer und Nutzer (Leistungsbezieher) zu bedenken (vgl. Bäcker u.a. 2010: Bd. 2, 560). Öffentliche Sozialversicherungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Beiträge aller Versicherten die Leistungen der wenigen Leistungsempfänger finanzieren. Das Risiko wird kollektiviert (Risikopooling, Barr 2004). Palier (2001) berücksichtigt in der Finanzierungsdimension jedoch nicht, dass sich Wohlfahrtsmärkte tendenziell durch individualisierte Beiträge und Leistungen auszeichnen. Bei privaten Versicherungen reflektieren die entrichteten Beiträge das individuelle Risiko, ob der Versicherungsfall eintritt und wie lange Leistungen gewährt werden müssen; im Kontext sozialer Dienstleistungen können individuelle Dienstleistungspakete zusammengestellt werden, für die insbesondere Personen 200 WOHLFAHRTSMÄRKTE mit mehr Bedürfnissen (z.B. dauerhafte Pflege) mehr bezahlen müssen. Diese sogenannten risikoadjustierten Beiträge und Leistungen variieren erheblich und sind abhängig von den individuellen Risiken und Bedürfnissen der einzelnen Person. Eine derartige Individualisierung des sozialen Risikos hat wiederum unterschiedliche Folgen, abhängig davon, wo im Finanzierungsviereck die Risikoadjustierung stattfindet und ob der Wohlfahrtsmarkt öffentlich refinanziert wird (z.B. Voucher-/Ausschreibungsmarkt). Im ersten Fall sozialer Dienstleistungen können die Kostenträger die Kostenerstattung für Leistungserbringer nach den Bedürfnissen der Nutzer variieren. Beispielsweise kann eine risikoadjustierte Kostenerstattung für Schulen bedeuten, dass für Schüler aus bildungsfernen Familien höhere Pro-Kopf-Kosten erstattet werden, wodurch der höhere pädagogische Förderbedarf finanziell aufgefangen wird und kein Anreiz mehr besteht diese Schüler gezielt auszuschließen (sogenanntes cream-skimming, Barr 2001). Eine Risikoadjustierung der Pro-Kopf-Kosten würde folglich die Inklusion erhöhen und eine progressive Umverteilungswirkung entfalten. Im zweiten Fall von Versicherungen haben risikoadjustierte Beiträge von Beitragszahlern an die Kostenträger (Versicherungen) eine entgegengesetzte Wirkung. Wenn also individuelle risikoadjustierte Beiträge von den Beitragszahlern verlangt werden, müssen die Beitragszahler mit höherem Risiko höhere Versicherungsbeiträge für die gleiche Leistung entrichten. Risikoadjustierte Beiträge haben in diesem Kontext also eine regressive Umverteilungswirkung. Dabei gilt zu bedenken, dass auch öffentliche Sozialversicherungen auch regressive Wirkungen entfalten können (Ståhlberg 1990). In Ergänzung zu Palier (2001) wird die Risikoadjustierung zu einer zentralen Stellschraube für die Regulierung von staatlichen und marktförmigen Sozialprogrammen. Es wäre zu erwarten, dass zwischen den Wohlfahrtsregimen Unterschiede in der Risikoadjustierung der Beiträge und Kostenerstattung bestehen, die deshalb zusätzlich untersucht werden. Palier (2001) betont auch, dass die Beiträge sozialpolitischer Programme häufig sowohl von Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern entrichtet werden. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen einzahlen, spricht man von paritätischer Finanzierung. Diese analytische Unterscheidung, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen, ist insbesondere von politisch-symbolischem Wert, um die Finanzierungsverantwortung der Arbeitgeber zu betonen (s.a. Kapitel 4.1). Diesem Aspekt der Finanzierung wird deshalb hier analytisch Rechnung getragen, um die sym- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 201 bolische Einbettung der Wohlfahrtsmärkte zu analysieren. Allerdings ist zu bedenken, dass die Arbeitgeberbeiträge faktisch in die Bruttolohnsumme eingerechnet werden und deshalb als private Arbeitnehmerbeiträge zu betrachten sind (Glennerster 2009).101 Für die Umverteilungswirkung ist die analytische Differenzierung zwischen öffentlicher (Steuern, Zuschüsse etc.) und privater (Beiträge, Gebühren etc.) Finanzierungsquelle wichtiger als die Differenzierung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen. 4. Verwaltung. Die Verwaltung der sozialen Sicherungssysteme kann von staatlichen Behörden, in Selbstverwaltung, in Sozialpartnerschaft (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) oder von privaten Akteuren erfolgen.102 Je nach Verwaltungsaufgabe der Akteure werden sie bei Reformen als legitime politische Akteure eingebunden. Daraus leitet sich ab, ob sie Reformerfolge für sich verbuchen können oder ob ihnen eher eine »Schuld« zugewiesen werden kann, wenn die Reformen scheitern (creditclaiming vs. blame avoidance). Sind viele Akteure beteiligt, verschwimmt die politische Verantwortung und es kann kein einzelner Akteur zur Verantwortung gezogen werden beziehungsweise kein Akteur der Adressat von politischem Widerstand sein (Palier 2001: 112; Pierson 1994). In den Wohlfahrtsmärkten können die privaten Unternehmen das primäre Produkt anbieten, dennoch kann ein Teil der Verwaltung, beispielsweise die Verwaltung der individuellen Rentenkonten, weiterhin von einer staatlichen Behörde erfolgen. Eine staatliche Verwaltung ist also nicht per se im Wohlfahrtsmarkt ausgeschlossen. 5. Wahlfreiheit. Der Grad der Wahlfreiheit kann empirisch anhand der Optionen und dem eigentlichen Wahlverhalten gemessen werden, wie in Kapitel vier geschehen. Die Marktinstitutionen geben jedoch vor, welche Anbietertypen und Produktvarianten im Wohlfahrtsmarkt zugelassen wer- —————— 101 Selbst wenn analytisch die Arbeitgeberbeiträge auf die Bruttolohnsumme angerechnet werden, ist zu bedenken, dass eine Änderung die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer schwächt. Wenn Wohlfahrtsmärkte ohne Arbeitgeberbeiträge eingeführt werden, vormals aber Arbeitgeberbeiträge Teil des öffentlichen Systems waren, müssen entsprechende Lohnerhöhungen erst ausgehandelt werden, um gegebenenfalls den Wegfall der Arbeitgeberfinanzierung zu kompensieren. 102 Private Akteure, beispielsweise Versicherungsunternehmen, Privatschulen oder Industrieverbände, wurden von Palier (2001) nicht bedacht, können aber im Kontext von Wohlfahrtsmärkten potenziell zentrale Verwaltungsaufgaben übernehmen. 202 WOHLFAHRTSMÄRKTE den, wann Wahlen getroffen werden und wie Wechsel zwischen Anbietern und Produkten vollzogen werden. Die Dimension Wahlfreiheit ist nicht nur für Wohlfahrtsmärkte relevant, sondern auch in den staatlichen Wohlfahrtsprogrammen. Die Wahlfreiheit zwischen staatlichen Dienstleistungen oder zwischen Transferoptionen erhöht die Legitimation von staatlichen Wohlfahrtsprogrammen, weil die Bürger das Gefühl haben, sie können ihre Sozialleistungen nach ihren Präferenzen auswählen (u.a. Ball 1993). Die Forschungsergebnisse der Verhaltensökonomie haben auch aufgezeigt, dass das Design der Wahloptionen die sozialen Wirkungen von sozialpolitischen Programmen und Dienstleistungen – ungeachtet der staatlichen oder marktförmigen Güterallokation – maßgeblich beeinflusst (u.a. Thaler/Sunstein 2009; Weber/Dawes 2005). Ob die Sozialprogramme auch die von den politischen Entscheidungsträgern intendierten Ziele erreichen, hängt vom Design der Wahloptionen ab, die den Wohlfahrtsnutzern zur Verfügung stehen, und davon, welche Anreizstrukturen das Handeln der Wohlfahrtsnutzer lenkt. Wie bereits in Kapitel vier gezeigt, erhöht eine Ausweitung der Wahlfreiheit tendenziell soziale Ungleichheit, weil Bürger je nach sozialem Hintergrund ihre Wahloptionen unterschiedlich nutzen.103 Vor allem gebildetere und einkommensstarke Haushalte profitieren von der größeren Wahlfreiheit, sei es in privaten oder in öffentlichen Sozialprogrammen. Folglich ist zentral für die Untersuchung, welche Ungleichheiten durch die Wahloptionen gestärkt oder abgemildert werden. Mit diesen fünf Regulierungsdimensionen lassen sich detailliert institutionelle Unterschiede herausarbeiten und institutioneller Wandel messen. Die Ergänzungen zu Paliers ursprünglichen Dimensionen ermöglichen, die Besonderheiten von Marktinstitutionen zu erfassen. Folglich kann mit diesen Dimensionen empirisch untersucht werden, ob die bestehenden Institutionen auf neue Märkte übertragen werden. Kurz gesagt, ob die existierenden Eigenschaften der Institutionen als Vorbilder (templates) zur Regulierung der neuen Märkte fungieren, wie im Eingangszitat postuliert (vgl. Fligstein 2001). —————— 103 Zur allgemeinen Diskussion zum Verhältnis von Wahlfreiheit und Ungleichheit siehe Greve (2009a). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 5.2 203 Deutschland – Brüche und Kontinuität Deutschland gilt als konservativer Wohlfahrtsstaat (Palier/Martin 2008). Ebenso fußt besonders das deutsche Bildungssystem auf einer religiösen Prägung, was ein weiteres Merkmal konservativer Wohlfahrtsstaaten ist (van Kersbergen 1995; van Kersbergen/Manow 2009). Die beiden deutschen Fallstudien der Renten- und Bildungsmärkte untersuchen, ob die Merkmale des deutschen Wohlfahrtsstaates auch in den Wohlfahrtsmärkten Bestand haben. Der analytische Fokus wird auf die dominanten politischen Akteure gelenkt und die Frage, inwieweit sie die Eigenschaften des deutschen Wohlfahrtsstaates in die Wohlfahrtsmärkte übertragen. Dabei wird untersucht, welche Akteure ein Interesse am Erhalt der »konservativ« geprägten sozialpolitischen Institutionen haben. In diesem Kapitel werden der Rentenmarkt und der Bildungsmarkt jeweils einzeln analysiert. Im Rentenkapitel wird untersucht, inwieweit die Eigenschaften der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) Anfang der 1990er Jahre in den neuen Wohlfahrtsmärkten der Riester-Rente beibehalten wurden. Die Marktschaffung des Bildungsmarktes erfolgte bereits 1948/49, weshalb der Vergleich der Regulierung über einen längeren Zeitraum erfolgt als im Rentenkapitel. Mit diesen Untersuchungen sollen einerseits die Akteure des Wandels aufgezeigt, sowie die wesentlichen institutionellen Eigenschaften herausgearbeitet werden. 5.2.1 Rentenmarkt: Das Erbe Bismarcks in der Riester-Rente In der rentenpolitischen Literatur wird häufig der umfassende Wandel des Rentensystems seit der Einführung der Riester-Rente im Jahr 2001 hervorgehoben. Die Riester-Rente sei eine Abkehr von den bisherigen konservativen Regimeeigenschaften der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) (Hinrichs 2004; Kangas u.a. 2006; Schmähl 2003a).104 Diese Beobachtung ist insofern richtig, als die Einführung von Märkten an sich und die Abkehr von der paritätischen Finanzierung als Parameter verwendet werden. Der Vergleich der Regulierungsdimensionen wird aber zeigen, dass einerseits Eigenschaften der GRV auf die neue Riester-Rente übertragen wurden und —————— 104 Die Gesetzliche Rentenversicherung heißt seit 2005 Deutsche Rentenversicherung, in der Analyse wird jedoch einheitlich der Begriff Gesetzliche Rentenversicherung verwendet, um die institutionelle Kontinuität herauszustellen. 204 WOHLFAHRTSMÄRKTE andererseits existierende private Rentenversicherungen als Vorbilder für die Riester-Rente dienten. Maßgeblich für die Übertragung der Eigenschaften der existierenden Institutionen waren unter anderem die Gewerkschaften und die Verbände der Versicherungswirtschaft. Gerade die Gewerkschaften traten als Bewahrer des Status quo auf, weil sie ihre Machtstellung im Rentensystem verteidigten und befürchteten, in den neuen Wohlfahrtsmärkten sonst ihre Mitbestimmungs- und Einflussmöglichkeiten zu verlieren. Sowohl die Gewerkschaften als auch die Verbände der Versicherungswirtschaft agierten somit als dominante Akteure und argumentierten mit Nachdruck für eine Übertragung der existierenden institutionellen Eigenschaften auf die Regulierung der Riester-Rente. Allerdings trug vor allem die Versicherungswirtschaft zu einer Liberalisierung und Abkehr von traditionell Bismarck’schen Eigenschaften bei. Trotz dieser Adaption fußen die regimefremden Eigenschaften der Riester-Rente auf vorherigen Institutionen. Im Folgenden werden zunächst die Eigenschaften der GRV Anfang der 1990er Jahre beschrieben. Abschließend werden die institutionelle Einbettung der Riester-Rente und die Rolle der beteiligten Akteure diskutiert. Die Gesetzliche Rentenversicherung vor der Reform Anstatt hier die lange Geschichte der GRV zu wiederholen, werde ich mich auf den Zustand des Rentensystems Anfang der 1990er Jahre konzentrieren.105 Das System der Alterssicherung aus den 1990er Jahren wurde am Abend des Mauerfalls verabschiedet und 1992 implementiert. Dies war die letzte größere Änderung vor 2001 und bestand hauptsächlich aus einer einheitlichen Kodifikation und kleineren Sachreformen (Ruland 2007). Die Regimeeigenschaften des deutschen Rentensystems Mitte der 1990er Jahre werden mithilfe der fünf Regulierungsdimensionen folgendermaßen zusammengefasst (vgl. Tabelle 17). —————— 105 Ausführliche und detaillierte Informationen zur Geschichte der GRV vor 1990 sind in der angegebenen Literatur zu finden (Berner 2009; Hegelich 2006; Hinrichs 2000a; Klenk 2008: 25–121; Lühning 2006; Manow 2000; Nullmeier/Rüb 1993; Schmähl 2003b; 2007; Schulze/Jochem 2007; Stahl 2003). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 205 Tabelle 17: DEUTSCHLAND RENTE – Regulierung der deutschen RiesterRente im Vergleich zur Gesetzlichen Rentenversicherung Anfang der 1990er Jahre Typ Zugang Leistungsstruktur Finanzierung Gesetzliche Rentenversicherung (Anfang 1990er) beruflicher Status, Bedarfsprüfung Beitragsbezug Steuerzuschüsse für Parafiskus, Rentenauszahlung überwiegend steuerfrei, Umlagefinanzierung paritätische Sozialbeiträge Verwaltung Selbstverwaltung (Parastaatlichkeit) Wahlfreiheit gering, obligatorisch für die meisten Berufsgruppen, einige freiwillige Option deutsche Riester-Rente (Ende 2000er) beruflicher Status, Bedarfsprüfung Beitragsbezug, Beitragssicherung nominale Zuschüsse, Beiträge steuerfrei*, Kapitaldeckung Arbeitnehmerbeiträge (Arbeitgeberzuschuss bAV) Selbstverwaltung (ZfA), plus Staat (BaFin) und Markt freiwillig (Opt-In) Quelle: eigene Darstellung, Abweichung gegenüber dem öffentlichen System kursiv, ein Sternchen (*) deutet auf eine zeitgleiche Änderung im öffentlichen System hin 1. Zugangsvoraussetzungen. Anfang der 1990er Jahre war die GRV obligatorisch für alle Arbeiter und Angestellten. Allerdings waren mehrere Berufsgruppen in Sondersystemen versichert. Beamte erhielten eine staatliche Pension; Selbstständige versicherten sich privat, meistens über steuerbegünstigte Lebensversicherungen oder berufsständische Versorgungswerke (z.B. Ärzte, Anwälte, Landwirte, Künstler etc.). Diese Statussegregation ist typisch für konservative Wohlfahrtsregime (Palier/Martin 2007). In der folgenden Analyse dient die GRV für Arbeiter und Angestellte als Vergleichsfolie für die Riester-Rente, weil sie 2002 für über 90 Prozent der Bevölkerung im Rentenalter die Haupteinkommensquelle war (Heien u.a. 2007: 38).106 —————— 106 Obwohl noch die rechtliche Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten bestand, existierten seit 1957 faktisch keine beitrags- oder leistungsrechtlichen Unterschiede in der GRV (Stahl 2003). 206 WOHLFAHRTSMÄRKTE 2. Leistungsstruktur. Die Rentenhöhe war von vorherigen Beitragszahlungen abhängig. Im Alter von 65 Jahren erhielt jeder Versicherte eine Rente entsprechend der im Laufe des Berufslebens erworbenen Rentenpunkte.107 Die spätere Rente sollte rund 70 Prozent des Nettolohns ersetzen und stieg ebenfalls mit der Nettolohnentwicklung an.108 Eine Grundrente existierte nicht. Rentner ohne ausreichende Rentenleistungen aus der GRV erhielten lediglich bedarfsgeprüfte Leistungen der Sozialhilfe. 3. Finanzierungsmechanismus. Ursprünglich wurde die GRV mit Kapitaldeckung finanziert (Heiss 2003), 1957 wurde aber auf das Umlageprinzip umgestellt.109 Die Finanzierungsquellen der Rentenversicherung setzten sich zu rund zwei Dritteln aus Sozialbeiträgen und zu einem Drittel aus Steuern zusammen. Die Sozialbeiträge wurden zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt (paritätische Beitragsfinanzierung). Die GRV erhielt einen steuerfinanzierten Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zur Finanzierung beitragsfreier Leistungen (s. Fußnote 107). Die Sozialversicherungsbeiträge mussten versteuert werden, allerdings waren die Rentenleistungen weitgehend steuerfrei (BMGS 2003). 4. Verwaltung. Die GRV war seit ihrer Gründung eine selbstverwaltete Organisation (Klenk 2008; Klenk u.a. 2009). In Sozialwahlen entsendeten Arbeitnehmer und -geber ihre Repräsentanten in die Verwaltungsgremien der Rentenversicherung (Braun u.a. 2009). Aufgrund der präzisen gesetzlichen Vorgaben, bestand nur geringer Handlungsspielraum bei der Selbstverwaltung. Allerdings konnten personelle und organisatorische Fragen autonom von der GRV entschieden werden (vgl. Klenk 2008). 5. Wahlfreiheit. Pflichtversicherte hatten im Rahmen der GRV keine Wahloptionen. Die Rentenbeiträge wurden allerdings nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze110 erhoben, sodass Versicherte mit überdurchschnittlichem Einkommen die Beiträge, die über der Beitragsbemessungsgrenze lagen, in andere Altersvorsorgeprodukte (z.B. Lebensversicherungen) in- —————— 107 Beitragsfreie Zeiten weichten das Beitragsprinzip zum Teil auf, z.B. Kindererziehung, Ausbildung (Schmeisser/Bischoff 2003). 108 1957–1992 Bruttolohnanpassung. 109 Lediglich eine äußerst geringe Schwankungsreserve von 0,2 bis 2 Monatsausgaben blieb als Kapitaldeckung erhalten. 110 Die Summe belief sich auf etwa das Doppelte des Durchschnittsgehalts (Köppe 2007: 175). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 207 vestieren konnten. Einige Gruppen von Selbstständigen konnten freiwillig Beiträge in die GRV einzahlen. Ebenso existierten freiwillige Zusatzversicherungen wie Betriebsrenten oder Lebensversicherungen, diese richten sich jedoch vornehmlich an Besserverdienende (Berner 2009). Abgesehen von der eher geringen Wahlfreiheit wies die GRV Anfang der 1990er Jahre alle typischen Merkmale einer Sozialversicherung in einem konservativen Wohlfahrtsregime auf und dient somit als Vergleichsfolie für den neuen Wohlfahrtsmarkt der Riester-Rente. Die institutionellen Vorbilder der Riester-Rente Eingangs ein kurzer Überblick über die Gründungsphase der RiesterRente: Im Jahr 2001 wurde ein Rentenreformpaket unter der Federführung des Bundesarbeitsministers Walter Riester verabschiedet und in wesentlichen Teilen im Januar 2002 in Kraft gesetzt. Mit diesem Reformpaket wurde das gesamte Rentensystem grundlegend reformiert. In der GRV für die Angestellten und Arbeiter wurden massive Kosteneinsparungen vorgenommen, die unter anderem zur Folge hatten, dass die zu erwartende Lohnersatzrate zukünftig sinken wird (Blank 2011b: 76; Ruland 2007).111 Zeitgleich dazu wurden die Grundsicherung für Ältere und die RiesterFörderung implementiert.112 Die neue Riester-Förderung wurde schrittweise zwischen 2002 und 2008 implementiert. Seit 2008 können die Arbeitnehmer auf freiwilliger Basis einen Riester-Vertrag abschließen. Entgegen dem häufig in der Literatur vertretenen Standpunkt eines umfassenden Wandels (Hinrichs 2004; Kangas u.a. 2006; Schmähl 2003a), besitzt die Riester-Rente erstaunlicherweise nach wie vor Eigenschaften des deutschen Rentenversicherungssystems. In Tabelle 17 sind in einer Gegenüberstellung der GRV und der Riester-Rente die Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgelistet, die Abweichungen sind kursiv hervorgehoben. Die folgenden Abschnitte legen —————— 111 Die Kosteneinsparungen wurden vor allem durch verschiedene Veränderungen der Indexierung und Rentenberechnung zwischen 2001 und 2004 erreicht. Mit dem Altersvermögensgesetz wurde von der Nettolohnentwicklung auf die Bruttolohnentwicklung umgestellt (AVmG 2001) und mit dem Alterseinkünftegesetz wurde der Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt (AltEinkG 2004). 112 Die Grundsicherung für Ältere fällt unter die Regelung des Sozialhilfegesetzes und wird seit 2003 allen Rentnern ab 65 ausgezahlt, deren Renteneinkünfte unter dem Sozialhilfeniveau liegen (GSiG 2001; Hinrichs 2001; Steffen 2008). 208 WOHLFAHRTSMÄRKTE die Positionen der politischen Akteure dar und welchen Einfluss sie auf die Regulierung der Riester-Rente hatten und inwiefern der neu entstandene Wohlfahrtsmarkt vom konservativen Wohlfahrtsregime abweicht. Der Einfluss der politischen Akteure und Marktanbieter Die entscheidende politische Phase für das institutionelle Design der Riester-Rente war die parlamentarische Diskussion zwischen 1999 und 2001. In dieser Gründungsphase, welche von großen Konflikten zwischen den politischen Akteuren geprägt war, wurden die Grundsteine für die institutionellen Eigenschaften der Riester-Reform gelegt. Die Korrekturen und Ergänzungen nach 2001 wurden jedoch jeweils im politischen Konsens verabschiedet und waren politisch nicht sonderlich umkämpft.113 Neben den politischen Parteien werden auch die Positionen und der Einfluss der Gewerkschaften und der Finanzbranche herausgearbeitet. Die Analyse wird zeigen, dass vor allem die Versicherungswirtschaft eine herausgehobene Machtstellung in der privaten Altersvorsorge innehatte und mit Erfolg anfangs auch bewahren konnte. Alle Reformanstrengungen unter der konservativ-liberalen KohlRegierung sollten das Sozialversicherungssystem bewahren. Zwar wurden immer wieder Reformvorschläge unterbreitet, die entweder eine Mindestsicherung oder eine dritte private Säule vorschlugen, allerdings wurde keiner dieser Vorschläge von der konservativen Regierung aufgenommen. Norbert Blüm, der damals zuständige Minister für Arbeit und Sozialordnung von 1982–1998, verteidigte vehement die Gesetzliche Rentenversicherung und versuchte mit seinem letzten Reformpaket von 1997 noch das Sozialversicherungssystem als alleinige Säule zu erhalten, indem er Änderungen ausschließlich innerhalb des Versicherungssystems vorschlug. Zusätzlich zur CDU-Regierung unterstützte die Selbstverwaltung das EinSäulen-Modell, unter anderem weil linke und gewerkschaftliche Kräfte in den Verwaltungsgremien an der öffentlichen Rentenversicherung festhielten (Anderson/Meyer 2003: 34). Alle Rentenreformen bis Anfang der 1990er Jahre waren von einem allgemeinen Konsens zwischen den politischen Akteuren geprägt (u.a. Nullmeier/Rüb 1993). Die ursprüngliche Reformidee Walter Riesters sah eine betriebliche Pflichtversicherung im Rahmen von sogenannten Tariffonds vor. Ihm —————— 113 Ich beziehe mich hier auf die Teile der Riester-Rente. Andere Aspekte wie die Rente mit 67 sind trotz der Verabschiedung weiterhin politisch umkämpft. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 209 schwebte also eher eine obligatorische Betriebsrente vor als eine freiwillige individuelle Rentenversicherung mit vielen Marktmechanismen (Riester 2004). Ein derartiges Obligatorium hätte das Rentensystem sozialdemokratischer, im Sinne des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes, erscheinen lassen und einen Pfadbruch mit dem konservativen Rentensystem bedeutet. Anderson und Meyer (2003) stellen die Vermutung auf, dass die rot-grüne Koalition drei Aspekte hätte sozialdemokratischer gestalten können (vgl. Anderson/Meyer 2003: 36–37). Erstens hätte die Riester-Rente als eine Pflichtversicherung eingeführt werden können. Dies hätte zu einem universelleren Zugang geführt und ein obligatorischer Wohlfahrtsmarkt wäre entstanden. Als dieser Weg politisch nicht mehr durchzusetzen war, hätten zweitens höhere Steuererleichterungen für Besserverdiener vermieden werden sollen. Sozialdemokratischer wären höhere Zulagen für alle Versicherten gewesen, insbesondere weil davon diejenigen am meisten profitiert hätten, die am stärksten von den Rentenkürzungen betroffen wären. Drittens hätte eine richtige Mindestrente eingeführt werden sollen. Da diese originär sozialdemokratischen Elemente nicht implementiert wurden, wirft das die Frage auf, warum die Riester-Rente mehr liberale und konservative Regulierungseigenschaften aufweist als sozialdemokratische, obwohl die Sozialdemokraten zusammen mit den Grünen die Regierung stellten. Im folgenden Abschnitt wird aufgezeigt, welche Positionen die SPD tatsächlich vertrat und wie die Regulierungseigenschaften festgelegt wurden. Parteipolitische Positionen der Grünen und der Unionsparteien Mit Ausnahme der PDS hatte sich bei den im Bundestag vertretenen Parteien bereits die Sichtweise durchgesetzt, dass eine private Ergänzung zur GRV notwendig war (Wehlau 2009: 113). Ob eine private Altersvorsorge eingeführt werden sollte, stand also nicht zur Disposition. Parteipolitisch war jedoch umstritten, wie sie implementiert werden sollte, das heißt die Regulierung des Wohlfahrtsmarktes bildete den parteipolitischen Kern der Auseinandersetzung. Durch eine Öffnung des rentenpolitischen Expertennetzwerks wurde die SPD in die Lage versetzt weitreichende Reformen durchzusetzen. Das starre rentenpolitische Policy-Netzwerk bestand vor der Gründungsphase aus starken Fürsprechern für die Sozialversicherung (Nullmeier/Rüb 1993). Ende der 1990er Jahre wurde das Netzwerk durchlässiger und alte 210 WOHLFAHRTSMÄRKTE Akteure wurden durch neue aus ihren Ämtern gedrängt (Berner 2009), was Raum für innovative und pfadabweichende Ideen wie die Einführung einer marktförmigen Zusatzrente eröffnete (Wehlau 2009: 157). Da insbesondere Befürworter des Sozialversicherungsmodells das Policy-Netzwerk verlassen hatten, wurde die Idee einer privaten Rentenversicherung unter den Experten salonfähig. Allerdings nutzte die SPD diese Offenheit gegenüber neuen Ideen nur, um generell eine private Altersvorsorge einzuführen. Die sozialdemokratischen Ideen zur Regulierung der privaten Altersvorsorge wie die obligatorischen Tariffonds scheiterten jedoch frühzeitig nach harscher Kritik am Obligatorium (Riester 2004: 128–134). Als sich ein Scheitern der sozialdemokratischen Regulierungsmerkmale abzeichnete, signalisierten Riester und die SPD, dass sie zu großen Zugeständnissen bereit waren, hatte allerdings weiter keine konkreten Vorstellungen, wie eine private Altersvorsorge gestaltet werden sollte (Wehlau 2009: 137). Obwohl dem linken Lager zuzurechnen, waren die Grünen, der kleine Koalitionspartner der Sozialdemokraten, wenig an einer sozialdemokratischen Regulierung der privaten und betrieblichen Vorsorge interessiert. Die Hauptforderung der Grünen im Bundestagswahlkampf war die Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im globalen Wettbewerb zu erhalten (Schmidt 2003; Seeleib-Kaiser 2002b). Die neuen Einnahmen der Ökosteuer sollten als Steuerzuschuss für die Sozialversicherungen verwendet werden (Bündnis 90/Die Grünen 1998). Die GRV sollte nach wie vor die wichtigste Säule zur Lebensstandardsicherung im Alter sein, ohne dass jedoch die Sozialversicherungsbeiträge angehoben werden sollten. Aufgrund dieses Dogmas wurde im Koalitionsvertrag eine Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge vereinbart (SPD/Die Grünen 1998). Die Grünen haben mit ihrer Politik der Beitragsstabilität nicht nur die Einführung der Riester-Rente an sich befördert, sondern indirekt auch bewirkt, dass die Riester-Rente freiwillig abgeschlossen wird. Denn eine zusätzliche obligatorische private Altersvorsorge hätte das Dogma der Beitragsstabilität in Frage gestellt. Die Freiwilligkeit der Riester-Rente führte somit zu einem liberalen Element innerhalb des konservativen Wohlfahrtsregimes. Insgesamt war aber der politische Einfluss der Grünen auf die konkrete Ausgestaltung der Riester-Rente eher gering. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 211 Die bürgerlichen Parteien hatten aufgrund ihrer Oppositionsrolle insgesamt einen geringen Einfluss auf die Regulierung der Riester-Rente. Die Union begrüßte grundsätzlich einen Ausbau der privaten Vorsorge, was einen Bruch mit der Rentenpolitik der Ära Kohl bedeutete. Ihr Hauptkritikpunkt war eine zu starke Kürzung der Witwenrente, weil es ihrem konservativen Familienbild widersprach. Die parteipolitischen Präferenzen der CDU und der Grünen beeinflussten zum Teil die Regulierung der Riester-Rente, insgesamt kann aber mit den parteipolitischen Differenzen nicht die konkrete institutionelle Ausgestaltung der Riester-Rente erklärt werden. Erheblichen Einfluss auf die Regulierung der Riester-Rente hatten letztendlich die Gewerkschaften und die Versicherungswirtschaft, weil sie bereits machtvolle Akteure in ihren jeweiligen rentenpolitischen Bereichen waren. Die Gewerkschaften gestalteten die GRV und Betriebsrenten mit, wohingegen die Versicherungswirtschaft in der privaten Altersvorsorge, vor allem für Selbstständige, bereits aktiv war. Die folgenden zwei Abschnitte zeigen, dass die Gewerkschaften ihre politische Mitbestimmung in der GRV verteidigten, wenn auch nicht mit dem gewünschten Erfolg. Die Versicherungswirtschaft erwirkte hingegen erfolgreich eine Orientierung der Riester-Rente an den bereits üblichen Lebensversicherungen. Zusammengenommen verhinderten beide Akteure eine stärkere sozialdemokratische Regulierung der Riester-Rente und die Versicherungswirtschaft ergänzte sogar mehrere liberale Elemente. Auf die Diskussion des politischen Einflusses der Gewerkschaften folgt die Analyse der Lobbyarbeit der Versicherungswirtschaft. Gewerkschaften Der größte Widerstand gegen die private Vorsorge, und das Obligatorium im Speziellen, kam anfangs von den Gewerkschaften. Obwohl sie ideologisch links einzuordnen waren und enge Verbindungen zu den Sozialdemokraten hatten, war ihr Hauptinteresse, den Status quo der GRV zu bewahren. Zu Beginn der rentenpolitischen Reformüberlegungen hofften sie noch, das umlagefinanzierte System erhalten zu können und lehnten die Idee von obligatorischen Tariffonds ab (Riester 2004). Walter Riesters Konzept der Tariffonds beinhaltete zwar eine Rentenkürzung im Sozialversicherungssystem, hätte aber die Macht der Gewerkschaften gestärkt 212 WOHLFAHRTSMÄRKTE und gleichzeitig Marktmechanismen begrenzt, weil die zusätzliche Altersvorsorge im betrieblichen Umfeld eingebunden gewesen wäre. Noch bevor überhaupt ein Gesetzentwurf ausgearbeitet werden konnte, lehnten die Gewerkschaften jegliche Kürzungen ab. Die Gewerkschaften wähnten die SPD in diesem Aspekt auf ihrer Seite, weil sie gemeinsam gegen Rentenkürzungen in den Wahlkampf gezogen waren. Allerdings hatten SPD und Grüne auch die Stabilität der Sozialversicherungsbeiträge im Wahlkampf versprochen und konnten dieses Ziel nur mit einer Leistungskürzung der GRV erreichen, denn der Steuerzuschuss aus den zusätzlichen Einnahmen der Ökosteuer war insgesamt zu gering, um die steigenden Kosten zu decken. Den Gewerkschaften unterlief damit ein strategischer Fehler, denn Walter Riester suchte daraufhin nach anderen Möglichkeiten, um eine private Altersvorsorge als Kompensation für die Kürzungen der GRV einzuführen (Riester 2004). Als sich herauskristallisierte, dass die rot-grüne Koalition eine freiwillige private Altersvorsorge einführen würde, versuchten die Gewerkschaften möglichst viele Eigenschaften des existierenden Rentensystems zu erhalten, um ihre rentenpolitische Machtstellung zu erhalten.114 Erstens fürchteten die Gewerkschaften nun einen totalen rentenpolitischen Machtverlust, denn die ersten Vorschläge sahen nur private Rentenversicherungsanbieter vor. Die Gewerkschaften hätten ihren Einfluss über den neuen marktförmigen aber relevanten Teil des Rentensystems verloren, den sie in der selbstverwalteten GRV noch besaßen. Sie konnten ihren rentenpolitischen Einfluss nur wahren, wenn Betriebsrenten in irgendeiner Form mit in die Riester-Förderung einbezogen wurden. Zweitens kämpften sie für die Beibehaltung der paritätischen Finanzierung. Die Gewerkschaften argumentierten, dass die ausschließlich private Altersvorsorge die paritätische Finanzierung aushöhlen und die Belastung der Arbeitnehmer einseitig erhöhen würde (vgl. Reformprozess in Hegelich 2006; Wiß 2011). Insgesamt zeigt der gewerkschaftliche Widerstand, dass sie bestrebt waren ihren rentenpolitischen Einfluss zu bewahren, was sie nur erreichen konnten, wenn ebenfalls die betriebliche Säule zusammen mit der rein privaten Säule ausgebaut wurde (Hegelich 2006: 201–204; Trampusch 2004; 2006). Schlussendlich konnten die Gewerkschaften zum Teil ihre Machtstellung im neu geregelten Rentensystem bewahren. Mit der auf die —————— 114 »German union influence was conservative in terms of reform content« (Anderson/ Meyer 2003: 48). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 213 gewerkschaftliche Intervention zurückgehende Förderung der Betriebsrenten verlagerte sich ihr rentenpolitischer Einfluss auf Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern über die Konditionen der Entgeltumwandlung. Sie waren auch weiterhin in der Selbstverwaltung der GRV und ZfA vertreten (s. Tabelle 17), der faktische politische Einfluss besteht jedoch eher in informellen Netzwerken und Informationsaustausch als in direkten Einflusskanälen auf die Politikgestaltung (Wiß 2011). Ihre inhaltliche Kernforderung nach Beibehaltung der Sozialversicherung als alleinige Altersvorsorge konnten sie hingegen nicht erreichen. Zusammengenommen hatten die Gewerkschaften nur einen geringen Einfluss auf die Regulierung der Riester-Rente (Hegelich 2006: 212). Zunächst besaßen sie keine formale Blockademacht (formeller Vetospieler), sondern konnten nur durch öffentliche Proteste oder informelle Kanäle auf eine Verhinderung der Reform drängen (vgl. ideelle Vetospieler bei Tsebelis 2002). Der rentenpolitische Machtverlust lag auch darin begründet, dass ihnen ein strategischer Fehler unterlief, als sie die Idee der Tariffonds von vornherein ablehnten. Sie handelten inhaltlich im Sinne aller Beschäftigten (Schutz des Sicherungsniveaus der GRV), anstatt strategisch ihre Machtposition auf die Tariffonds auszudehnen. Anschließend konnten sie nur noch Schadensbegrenzung betreiben und zumindest ihre Marktmacht durch die Einbeziehung der Betriebsrenten in die Riester-Förderung erhalten. Damit haben sich die Gewerkschaften letztendlich wie Marktakteure verhalten, weil Marktakteure danach streben, ihre Marktmacht auf andere Felder auszuweiten und die Regulierung nach ihren Vorteilen mitzugestalten (Fligstein 2001). Die Gewerkschaften konnten nach Ablehnung der Tariffonds nur noch mit dieser letzten Strategie ihre rentenpolitische Macht erhalten, wenn nicht sogar ausbauen. Die Erfolge einiger tarifpolitischer Versorgungswerke wie der MetallRente zeigen (Burger/Clark 2011), dass die IG Metall ihre neu gewonnene tarifpolitische Macht einsetzt, um die zusätzliche Altersvorsorge auszubauen (Wiß 2011: 267). Kurz gesagt, die Gewerkschaften verhinderten durch strategische Fehleinschätzungen eine Sozialdemokratisierung der Riester-Rente und setzten letztlich nur durch, dass ihre rentenpolitische Macht auch im Rahmen der neuen Riester-Förderung bewahrt blieb. 214 WOHLFAHRTSMÄRKTE Versicherungswirtschaft115 Indes übte die Finanzbranche und insbesondere die Versicherungswirtschaft in der Reformphase 1999–2001 großen Einfluss auf die Standardisierung der Förderbedingungen aus. Grundsätzlich begrüßte die Finanzbranche die Einführung einer privaten Altersvorsorge und die Kürzung beziehungsweise die Begrenzung der öffentlichen Sozialsysteme, obwohl die Versicherungswirtschaft und die Bankenbranche unterschiedliche Interessen in Bezug auf die konkrete regulative Ausgestaltung der privaten Altersvorsorge verfolgten (Wehlau 2009). In Bezug auf die regulative Ausgestaltung war die Versicherungswirtschaft relativ erfolgreich, weil sie frühzeitig ein eigenes Reformkonzept in die Diskussion einbrachte und ihre Vorschläge mit einer sozialpolitischen Argumentation untermauerte. Das Konzept der Versicherungswirtschaft enthielt gleich mehrere Vorschläge, die in die Gesetzgebung einflossen, womit wichtige Marktanteile im Riester-Rentenmarkt erzielt wurden. Die Versicherungsbranche argumentierte mit Nachdruck gegen eine Einbeziehung der Selbstständigen und Beamten in die GRV, wie ursprünglich im Koalitionsvertrag vereinbart (SPD/Die Grünen 1998; Wehlau 2009: 165). Hauptgrund für die Missbilligung einer Universalisierung der GRV war aber die befürchtete Erosion des existierenden Altersvorsorgemarktes. Wenn vor allem für die Selbstständigen ein Eintritt in die GRV obligatorisch geworden wäre, bestand die Gefahr, dass ein Großteil des lukrativen Lebens- und Rentenversicherungsgeschäftes weggebrochen wäre. Im Vergleich zu den Arbeitnehmern und Beamten, die lediglich zusätzlich vorsorgen, umfasst das Geschäft mit den Selbstständigen erheblich höhere Anlagesummen, weil es häufig die alleinige Vorsorgeform ist, was dieses Geschäft besonders attraktiv macht. Diese grundlegende Position konnte erfolgreich kommuniziert und durchgesetzt werden, die Statussegregation blieb zumindest für die Selbstständigen erhalten und das Altersvorsorgegeschäft der Selbstständigen konnte fortgeführt werden. Allerdings wurde die private Riester-Rente auf die Beamten ausgedehnt, was einer partiellen Universalisierung gleichkommt. Der Zugang zur Riester-Rente weist somit weiterhin traditionelle Eigenschaften des konservativen Wohlfahrtsregimes auf, als auch einen —————— 115 Die Ausführungen diese Abschnitts stützen sich überwiegend auf die exzellente Studie von Wehlau (2009) zu der Lobbytätigkeit und den Einflusskanälen der Versicherungsund Bankenwirtschaft während der Gründungsphase. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 215 Trend zu einer sozialdemokratischen Universalisierung des Zugangs (s. Tabelle 17). Umgekehrt verlief die Argumentation der Versicherungswirtschaft in Bezug auf die private Altersvorsorge für die Versicherten der GRV. Eine Kürzung der durchschnittlichen Lohnersatzrate und gleichzeitige Einführung einer privaten Vorsorge versprach eine Ausweitung des Geschäfts auf einen neuen Kundenkreis. Sogleich wurde aber von ihnen die Idee der Tariffonds abgelehnt, weil die Versicherungswirtschaft befürchtete, bei einer betrieblichen Altersvorsorge nicht als Anbieter beteiligt zu sein. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (DRV) stellte deshalb ein privates Altersvorsorgekonzept vor, das den bereits angebotenen Lebensversicherungen stark ähnelte, um einen entsprechenden Marktvorteil bei der Marktgründung zu erreichen. Folgende zentrale Regulierungseigenschaften wurden vorgeschlagen, die in leicht veränderter Form Eingang in die Regulierung der Riester-Rente fanden (GDV 2000: 9): – freiwillige Versicherung – finanzielle Förderung als Kombination aus nominalen Zuschüssen und Steuererleichterungen – Beitragshöhe von rund drei Prozent – Auszahlung als Leibrente mit der Option einer Einmalzahlung von 25 Prozent des Rentenkapitals – Garantie der Rentenauszahlung in Höhe der geleisteten Beiträge in Anlehnung an die Renditegarantie von Lebensversicherungen (Beitragsgarantie). Wenn auch die vorgeschlagenen Punkte nicht eins zu eins übernommen wurden, weist die Riester-Rente fast übereinstimmende Produktstandards auf. Besonders zentral für die Versicherungsbranche war die Einführung einer Leibrente mit Beitragsgarantie, weil die Lebensversicherer große Erfahrung mit der Risikokalkulation besaßen. Die Beitragshöhe wurde letztlich auf vier Prozent und eine optionale Einmalzahlung auf 30 Prozent begrenzt. Die Bankenindustrie verfolgte jedoch andere Interessen als die Versicherungswirtschaft. Die Banken wurden erst Ende der 1990er Jahre im Altersvorsorgemarkt mit privaten Rentenfonds aktiv und waren damit 216 WOHLFAHRTSMÄRKTE relativ neue Marktakteure.116 Im Vergleich zu den Rentenversicherungen wurden fondsbasierte Rentenrücklagen üblicherweise als Einmalzahlung ausgezahlt und Ertragsgarantien wurden nicht gewährt. Die Interessenverbände der Banken- und Investmentbranche stellten im Vergleich zum GDV kein fertiges Konzept vor und konnte daher lediglich auf die Vorschläge der Versicherungswirtschaft reagieren. Sie forderten eine steuerliche Gleichbehandlung von Rentenversicherungen und Rentenfonds und äußerten Bedenken gegenüber einer Beitragsgarantie. Da Banken kaum Expertise mit der Risikokalkulation von Annuitäten und Renditegarantien hatten, sahen sie sich benachteiligt bei einer zu starken Produktregulierung und Orientierung an Versicherungsprodukten. In ihrer Lobbyarbeit konnten die Verbände der Banken- und Investmentbranche lediglich erwirken, dass Rentenfonds überhaupt zugelassen wurden. Sie agierten somit weniger als Bewahrer der rentenpolitischen Institutionen, sondern führten regulative Innovationen in das bisherige Rentensystem ein. Obgleich in Deutschland Ende der 1990er Jahre Rentenfonds und Aktienhandel im Allgemeinen noch relativ neue Phänomene für die breite Bevölkerung waren, konnten die Verbände der Banken- und Investmentbranche ihre Produkte auf einem neuen Wohlfahrtsmarkt zumindest etablieren (Wehlau 2009). Indessen konnte die Einführung der Beitragsgarantie nicht verhindert werden. Mit der Implementierung der Null-Zins-Garantie waren die Banken und Investmentfondsverwalter gezwungen, Sicherheiten in die angebotenen Rentenfonds einzubauen, wenn sie am neuen Wohlfahrtsmarkt Altersvorsorgeprodukte anbieten wollten. Banken und Fondsverwalter mussten folglich erst Altersvorsorgeprodukte entwickeln, die die Zertifizierungskriterien (wie z.B. Beitragsgarantie und Leibrente) erfüllten. Entsprechend konnte die Bankenwirtschaft dieses Marktsegment anfangs nicht konkurrenzfähig bedienen und erzielte in den ersten Jahren nur geringe Marktanteile. Erst seit 2006 konnten Anlagen von Banken und Investmentfonds einen Marktanteil von rund 20 Prozent mit Riester-Produkten erreichen (BMAS 2009a). Die Banken hatten offensichtlich Schwierigkeiten im Rahmen der ihnen unvertrauten Regulierung adäquate Produkte anzubieten. —————— 116 Erst 1998 wurden aktienbasierte Anlageformen vom Gesetzgeber als eine Form der Altersvorsorge im Rahmen des Dritten Finanzmarktförderungsgesetztes anerkannt (Drittes Finanzmarktförderungsgesetz 1998). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 217 Im Endeffekt konnte die Finanzbranche, und vor allem die Versicherungsbranche, ihre politischen Einflusskanäle effektiv nutzen und ihre Kernposition hinsichtlich einer freiwilligen privaten Zusatzvorsorge für die Versicherten der GRV positiv beeinflussen. Die Versicherungswirtschaft erwirkte eine Orientierung der Riester-Rente nach dem Konzept einer Rentenversicherung und verschaffte sich damit gegenüber der Bankenwirtschaft einen Wettbewerbsvorteil. Trotz dieses Erfolgs der Versicherungsbranche konnten Banken aber nicht komplett von dem Wettbewerb ausgeschlossen werden, denn Rentenfonds wurden ebenfalls zugelassen, wenn sie die Beitragsgarantie erfüllten. Die Versicherungsbranche profitierte auch unmittelbar nach der Marktgründung von der vorteilhaften Regulierung und dominierte anfangs den neuen Wohlfahrtsmarkt. Schlussfolgerungen zu den politischen Akteuren Die Gewerkschaften und die Finanzbranche waren etablierte Akteure in ihren jeweiligen Marktnischen. Die Gewerkschaften besaßen durch die Selbstverwaltungsgremien der GRV rentenpolitischen Einfluss und nutzten ihre tarifpolitische Macht bei den Betriebsrenten aus; die Banken und Versicherungskonzerne agierten hingegen im Feld der zusätzlichen Altersvorsorge, insbesondere für Selbstständige. Erstaunlicherweise waren sowohl Gewerkschaften als auch die Finanzbranche der Idee der obligatorischen Tariffonds kritisch gegenüber eingestellt, obwohl davon beide hätten profitieren können. Auf der einen Seite sahen die Gewerkschaften den vorgeschlagenen Reformpfad vor allem als Leistungskürzung für ihre Klientel, was sozialpolitisch als zutreffend einzuschätzen ist. Allerdings verloren sie die Chance, eine herausragende Machtposition im Rahmen der Tariffonds einzunehmen. Die Grundidee von Walter Riester war keineswegs ausgearbeitet, aber die betriebliche Einbindung der zusätzlichen Altersvorsorge hätte den Gewerkschaften eine machtvollere Marktposition ermöglicht. Auf der anderen Seite erkannte die Finanzbranche nicht die Möglichkeiten einer obligatorischen zusätzlichen Altersvorsorge. Selbst wenn die Tariffonds primär eher einer Betriebsrente geglichen hätten,117 bestand die Möglichkeit, dass ein sekundärer Wohlfahrtsmarkt für die Rentenrücklagen entstanden wäre. Üblicherweise werden die betrieblichen Rentenbeiträge in den Kapitalmarkt inves- —————— 117 Über die genauen Marktmechanismen kann nur spekuliert werden, weil nie ein Gesetzentwurf eingebracht wurde. 218 WOHLFAHRTSMÄRKTE tiert und Versicherungen mit der Verwaltung der Rentenkonten beauftragt. Folglich hätte die Finanzbranche von obligatorischen Betriebsrenten stärker profitieren können, weil alle Bürger eine Versicherung hätten abschließen müssen (vgl. Marktvolumen der obligatorischen Renten in Schweden 4.1.2). Keiner der Akteure erkannte die Potenziale einer unbekannten Regulierung von Betriebsrenten sondern sie präferierten den Status quo (Gewerkschaften) beziehungsweise die Übertragung der bekannten Marktregulierung auf den neuen Markt (Finanzbranche). Der dominanteste Marktanbieter, in diesem Falle die Versicherungsbranche, war insgesamt am erfolgreichsten, eine politische Mehrheit für ihre Präferenzen der Marktregulierung zu finden. Nichtsdestotrotz konnten sich die bisher weniger erfolgreichen und aktiven Akteure im Bereich der zusätzlichen Altersvorsorge (Banken, Gewerkschaften) auch auf dem neuen Wohlfahrtsmarkt etablieren. In der politischen Gründungsphase konnten sie zumindest einen grundsätzlichen Marktzugang erwirken. Im Laufe der Marktetablierung konnten sie dann zunehmend ihre Marktanteile erhöhen, trotz der ursprünglich von ihnen abgelehnten Marktregulierung (u.a. Beitragsgarantie). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Reformverlauf komplex war und keinem einfachen, parteipolitischen Rechts-Links-Schema folgte, wie der geringe Einfluss der bürgerlichen Parteien zeigt. Die beteiligten politischen Akteure und Interessenverbände hatten unterschiedlichen Einfluss, einerseits die Marktgründung anzustoßen und andererseits die Marktregulierung zu gestalten. Der Anstoß zur Marktgründung kam nicht aus dem bürgerlichen Lager, obwohl Privatisierung und Vermarktlichung zu den parteipolitischen Kernpräferenzen gehören. Die Initiative der Sozialdemokraten einen Wohlfahrtsmarkt einzuführen, deutet auf eine Nixon-goes-to-China Logik hin (vgl. Kapitel 3.3 Green-Pedersen 2003; Kitschelt 2001; Ross 2000: 158). Nur die Sozialdemokraten konnten Reformvorschläge unterbreiten, die den konservativen Sozialstaat liberalisieren sollten, weil sie den Reformdruck glaubwürdiger kommunizieren konnten als die bürgerlichen Parteien (CDU/CSU/FDP). Bei der Ausgestaltung der Regulierung waren zwar parteipolitische Präferenzen erkennbar, allerdings scheiterte Riester mit seiner Idee, die Marktmechanismen durch das Obligatorium und Betriebsrenten zu begrenzen (vgl. Anderson/Meyer 2003). Vielmehr scheiterten die sozialdemokratischen Regulierungsvorschläge an der Kritik der Gewerkschaften, REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 219 der Finanzbranche und des bürgerlichen Lagers. Diese Akteure strebten nach einer Bewahrung der institutionellen Merkmale in dem neuen Rentenmarkt. Die Versicherungsbranche war am erfolgreichsten, die bestehende Regulierung der privaten Rentenversicherungen für Selbstständige auf den neuen Rentenmarkt für Angestellte, Arbeiter und Beamte zu übertragen (Wehlau 2009). Damit haben die Akteure benachbarte Institutionen (GRV, Lebensversicherungen) als Vorbilder für die Regulierung des neuen Rentenmarktes (Riester-Rente) verwendet. Der machtvollste und dominanteste Akteur (Versicherungswirtschaft) konnte dabei die meisten der präferierten Markteigenschaften durchsetzen. Vorbilder und Innovationen zwischen Universalisierung und Liberalisierung Die institutionellen Vorbilder der Riester-Rente sind sowohl in der GRV als auch in den existierenden privaten Rentenversicherungen zu finden. Benachbarte Institutionen dienten somit zwar als Vorbilder für die neuen Wohlfahrtsmärkte, allerdings wurden durch die Referenzen zu den existierenden privaten Altersvorsorgesystemen der Selbstständigen liberale Eigenschaften im deutschen Wohlfahrtsregime gestärkt. Die liberalen Elemente im deutschen Wohlfahrtsregime galten bis dato nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung, wurden aber auf alle Beschäftigten ausgedehnt (layering). Bei genauer Betrachtung wurden aber konservative Eigenschaften bewahrt, aber auch sozialdemokratische und liberale Elemente sind hinzugekommen. Im Folgenden werden die strukturellen Vorbilder und Innovationen des neuen Wohlfahrtsmarktes anhand der fünf Regulierungsdimensionen dargestellt (Überblick in Tabelle 17). 1. Zugangsvoraussetzungen. Die im Rentensystem auftretenden Statusdifferenzen blieben zum Teil bestehen, denn Riester-Verträge können nur von Arbeitern, Angestellten und Beamten abgeschlossen werden. Die Ausweitung auf Beamte ist neu und führte zu einer Universalisierung gegenüber der Gesetzlichen Rentenversicherung. Die Inklusion dieser Statusgruppe liegt darin begründet, dass auch die Beamtenpensionen gekürzt wurden. Ausgeschlossen sind weiterhin die Selbstständigen, für die jedoch im Jahre 2005 eigens die Rürup-Förderung eingeführt wurde.118 —————— 118 Die Rürup-Förderung oder auch Basis-Rente basiert im Wesentlichen auf der Regulierung der Riester-Rente. Da Selbstständige nicht in die GRV einzahlen, muss die private 220 WOHLFAHRTSMÄRKTE Außerdem besteht seitdem ein Rechtsanspruch für den Abschluss einer Betriebsrente (die sogenannte Entgeltumwandlung119), die zudem steuerlich gefördert wird. Obwohl ein Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung besteht, gelten unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen: Zunächst besteht für Beamte kein Rechtsanspruch, was die berufsständischen Statusunterschiede zumindest bei dieser Förderung beibehält. Überdies steht es den Betrieben zu einem gewissen Grad frei, wie sie die Entgeltumwandlung umsetzen, sodass erhebliche Unterschiede zwischen den Betrieben existieren (Berner 2008; Blank 2012). 2. Leistungsstruktur. Grundsätzlich besteht ein Beitragsbezug der Leistungen, wie bei der GRV. Wie auch Leistungen der GRV werden Auszahlungen der Riester-Rente voll auf die Grundsicherung im Alter angerechnet. Die Bedarfsprüfung der Grundsicherung hat also den Effekt, dass Geringverdiener kaum einen Anreiz zum Abschluss eines Riester-Vertrags haben. Da ihre geringe Riester-Rente voll auf die Grundsicherung angerechnet wird, werden sie unter Umständen netto die gleiche Rente erhalten wie Personen ohne Riester-Rente. Außerdem ist die Dynamisierung der Riester-Rente typischerweise eine Option und nicht automatisch wie bei der GRV. 3. Finanzierungsmechanismus. Finanziert wird die Riester-Rente über einen Beitrag von mindestens vier Prozent des Bruttolohns der Arbeitnehmer, der öffentlich mit nominalen Zuschüssen und Steuererleichterungen subventioniert wird.120 Das Finanzamt wählt je nach Einkommen die günstigste Fördervariante aus. Die nominalen Zuschüsse121 sind insbesondere für niedrige Einkommensschichten attraktiv. Für die mittleren und höheren Einkommensschichten sind die gewährten Steuererleichterungen122 attraktiver. Die nominalen Zuschüsse und Steuererleichterungen sind finanzielle Anreize, damit die Beschäftigten einen Riester-Vertrag abschlie- —————— Vorsorge die komplette Altersvorsorge abdecken, weshalb in die Rürup-Rente pro Jahr bis zu 20.000 Euro investiert werden können (AltEinkG 2004; BMAS 2008b). 119 Teilweise auch Eichel-Förderung genannt. 120 Obwohl mehr als der Mindestbeitrag von 4 % und über die steuerliche Förderung hinaus investiert werden kann, leisten wenige Beschäftigte höhere Beiträge (Wilke 2012). 121 Ab 2008 gelten folgende Sätze: 154,- €/Jahr Grundzulage und 300,- €/Jahr Kinderzulage, Mindesteigenbeitrag 60,- €/Jahr. 122 2.100 €/Jahr (AltEinkG 2004; AVmG 2001). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 221 ßen, und fungieren als ein funktionales Äquivalent für die Steuerzuschüsse in die GRV.123 Als weitere Nähe zu den existierenden Regelungen der GRV ist die Beitragsbemessungsgrenze zu nennen. Die Pflichtbeiträge der GRV werden nur bis zu der Beitragsbemessungsgrenze erhoben, die jährlich der durchschnittlichen Einkommensentwicklung angepasst wird. Die maximale Steuererleichterung der Riester-Rente orientiert sich an dieser Grenze, allerdings ist der Referenzpunkt der maximalen Fördersumme die Beitragsbemessungsgrenze von 2001. Da die steuerliche Förderung nicht indexiert ist, vergrößerte sich der Abstand zur Beitragsbemessungsgrenze seitdem, wodurch die Riester-Rente für überdurchschnittliche Einkommen zunehmend unattraktiver wird.124 Mit den finanziellen Anreizen zur privaten Vorsorge wurde zusätzlich die von der Versicherungsindustrie vorgeschlagene Beitragssicherung implementiert, die sicherstellt, dass die steuerlich geförderten Beiträge der Versicherten in sichere Anlage investiert werden und die Versicherten somit vor massiven Verlusten geschützt sind. Diese Garantie verringert insgesamt die potenziellen Renditeaussichten, weil die Anbieter gehalten sind, keine zu hohen Risiken mit entsprechend höheren Renditeerwartungen einzugehen. Bei der Zusammensetzung der Beiträge ist eine Abkehr von der paritätischen Finanzierung zu beobachten, denn die Beiträge für die Riester-Rente werden ausschließlich von den Arbeitnehmern entrichtet.125 4. Verwaltung. Die Administration der Riester-Rentenkonten erfolgt in Deutschland nur noch zu einem geringen Teil in Selbstverwaltung. Die —————— 123 Gegen die Äquivalenz der steuerlichen Förderung kann argumentiert werden, dass sie unterschiedlich begründet werden. Die Riester-Förderung ist ein Anreiz zum Abschluss einer freiwilligen Rentenversicherung und der Bundeszuschuss zur GRV dient der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen (BMGS 2003: 71). Doch auch die Kinderzuschüsse der Riester-Förderung enthalten Umverteilungsmechanismen wie beim Bundeszuschuss. Außerdem ist der Bundeszuschuss nicht versicherungsmathematisch berechnet, sondern ein pauschaler Beitrag. 124 Von rund 1.500 Euro auf 14.700 Euro pro Jahr (2002–2012), eigene Berechnung (DRV 2012). 125 Einige Betriebe zahlen bei der Entgeltumwandlung zusätzliche Arbeitgeberbeiträge (Berner 2008), diese sind aber Ergebnis von Tarifverhandlungen und nicht Teil der gesetzlichen Regulierung. Die Höhe der Arbeitgeberbeiträge variiert erheblich zwischen den Betrieben und viele Betriebe beteiligen sich überhaupt nicht finanziell an der Entgeltumwandlung (Burger 2012). 222 WOHLFAHRTSMÄRKTE Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) schüttet die Zulagen aus und ist der selbstverwalteten GRV angegliedert.126 Dieser Teil der Selbstverwaltung blieb zwar erhalten, wurde jedoch deutlich geschwächt zugunsten staatlicher und privater Verwaltung. Die eigentliche Produktgestaltung der Riester-Verträge und die Verwaltung der Anlagekonten obliegen den privaten Anbietern. Sie haben erheblichen Spielraum, wie die Rentenrücklagen gebildet werden und welche Leistungskonditionen sie anbieten. Den privaten Anbietern kommt somit die Hauptverwaltung der Riester-Renten zu. Die Anbieter sind profitorientierte Unternehmen (vor allem Versicherungen, Banken) im Gegensatz zu anderen Bereichen der deutschen Sozialpolitik, wo typischerweise gemeinnützige oder öffentlich-rechtliche Träger dominieren (z.B. GRV, gesetzliche Krankenkassen und soziale Dienste). Staatlicherseits bekam die Selbstverwaltung auch Konkurrenz, da die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als neuer staatlicher Akteur für die Produktzertifizierung zuständig ist und zusätzlich die Steuererleichterungen vom Finanzministerium gewährt werden (AltZertG 2001). 5. Wahlfreiheit. Die Wahlfreiheit wurde in der Riester-Förderung erwartungsgemäß ausgeweitet, gleichzeitig wurden jedoch Regulierungseigenschaften implementiert, die mit konservativen Wohlfahrtsregimen assoziiert werden können. Das liberale Hauptmerkmal ist die Freiwilligkeit (Opt-in). Zusätzlich bestehen verschiedene Wahlmöglichkeiten bei der Vertragsgestaltung (z.B. 30%ige Einmalzahlung als Opt-within oder eine breite Produktpalette). Dennoch ist die Wahlfreiheit an einigen Stellen eingeschränkt: Beispielsweise muss immer eine Leibrente127 aus dem Kapital resultieren, damit das Anlagekapital nicht zweckentfremdet werden kann. Ebenso schränken die grundsätzlichen Förderbedingungen, wie der Mindestbeitragssatz, die Wahlfreiheit ein. Außerdem werden die Verwal- —————— 126 Die GRV informiert auch über die Funktionsweise der Riester-Rente, diese Informationen erklären jedoch nur die grundsätzlichen Förderbedingungen und geben keine Auskunft über die Produkte und Anbieter auf dem Markt (www.deutscherentenversicherung.de). 127 Eine regelmäßige Rentenzahlung, typischerweise monatlich. Mögliche Rentenrücklagen fallen dem Risikopool zu, wenn Versicherte frühzeitig versterben. Im Gegensatz dazu ermöglicht eine Kapitalrente die Auszahlung des gesamten Kapitals oder die Auszahlung in unregelmäßigen Abständen. Die Rentenrücklagen fallen im Todesfall typischerweise der Erbengemeinschaft zu. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 223 tungsgebühren am Anfang fällig, ebenso wie Gebühren für Vertragswechsel und Kündigungen. Die Gebührenregelungen schränken vor allem die Wechselfreiheit ein. Insgesamt wurde die moderate Wahlfreiheit der Riester-Rente dabei an existierende freiwillige Zusatzversicherungen wie Lebensversicherungen angelehnt. Die Einschränkung der Wahlfreiheit erfolgte, um die sozialpolitische Zielsetzung der Alterssicherung zu erreichen. Nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung der Riester-Rente wurden einige kleinere Änderungen vorgenommen:128 Einige Änderungen haben den Sozialversicherungscharakter der Riester-Rente gestärkt (Unisex-Tarife) und somit das Risikopooling erhöht. Die umverteilende Wirkung wurde durch eine höhere Kinderzulage gestärkt. Die Statusdifferenzen wurden durch die Rürup-Rente noch verstärkt, anstatt sie zu verringern: die Selbstständigen wurden bisher nicht in den existierenden Wohlfahrtsmarkt integriert. Die Wahlfreiheit wurde auch mit dem Rentensparen für Wohneigentum erhöht, weil nun auch Bausparkassen die Riester-Produkte anbieten können und Wohneigentum als eine Möglichkeit der Rentenvorsorge anerkannt wird (EigRentG 2008). Diese Produktzersplitterung erhöht aber auch die Segregation, wenn auch nicht nach Berufsstatus, weil nicht nur unterschiedliche Verträge abgeschlossen werden, sondern auch unterschiedliche Förderinstrumente genutzt werden. Fazit zur Einbettung der Riester-Rente Alles in allem wurden zentrale Regulierungseigenschaften implementiert, deren Vorbilder nicht von der staatlichen GRV kamen, sondern in Anlehnung an die existierenden Lebensversicherungen gestaltet wurden. Dadurch wurden aber Eigenschaften eines liberalen Wohlfahrtsregimes gestärkt, die in Deutschland bis dato nur für eine kleine Bevölkerungs- —————— 128 Die wichtigsten Änderungen 2002–2008 (BMAS 2008a; 2008b): Die Reduzierung der staatlichen Nettorenten durch den Nachhaltigkeitsfaktor (RV-Nachhaltigkeitsgesetz 2004); Einführung der Rürup-Rente, Einführung von Unisex-Tarifen, Vereinfachung der Zertifizierungskriterien, sowie die Einführung einer nachgelagerten Besteuerung (AltEinkG 2004), Arbeiter- und Angestelltenversicherung wurden organisatorisch zusammengeführt (2005), das Regelrentenalter wurde auf 67 Jahre erhöht (RVAltersgrenzenanpassungsgesetz 2007), die Kinderzulage auf 300 Euro erhöht (Gesetz zur Förderung der zusätzlichen Altersvorsorge 2007) und Sparen für das Wohneigentum in die Förderung aufgenommen (EigRentG 2008). 224 WOHLFAHRTSMÄRKTE gruppe galten. Einige Autoren haben dies als paradigmatischen Wandel beschrieben (Hinrichs 2004; Kangas u.a. 2006; Schmähl 2003a). Diese Argumentation stützt sich auf die Annahme, dass Märkte an sich systemfremd sind und nicht zum konservativen Wohlfahrtsregime zugerechnet werden können. Lamping und Rüb (2004) halten in Bezug auf das gesamte Rentensystem dagegen, dass mehrere Regimeeigenschaften kombiniert werden und die konservativen Eigenschaften der GRV insgesamt weiterhin charakteristisch für das deutsche Rentensystem sind. Die Grundsicherung im Alter enthält Elemente eines sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates, die GRV bewahrt allein durch ihre relative Dominanz ein starkes konservatives Element und mit der Riester-Rente wurden originär liberale Regimeeigenschaften gestärkt. Das deutsche Rentensystem sei deshalb auf dem Pfad zu einem »uncertain something else« (Lamping/Rüb 2004). Bei genauer Betrachtung der Riester-Rente ist auch hier ein Verschwimmen der Regimeeigenschaften festzustellen, die sich aus unterschiedlichen Vorgängerinstitutionen speisen. Es scheint angebrachter, von einer Rekalibrierung Bismarck’scher Sozialpolitik zu sprechen (vgl. Pierson 2001). Das institutionelle Design der Riester-Rente enthält Eigenschaften, die charakteristisch für konservative Wohlfahrtsstaaten sind wie Statusdifferenzierung, partielle Selbstverwaltung mit moderaten Wahlmöglichkeiten, Beitragsfinanzierung und Bedarfsprüfung (vgl. Tabelle 17). Dennoch sind auch Innovationen festzustellen, die jedoch nicht das konservative Wohlfahrtsregime in Frage stellen. Vielmehr sind Innovationen Ausdruck von Anpassung und Rekalibrierung des Wohlfahrtsmarktes an das existierende Wohlfahrtsregime. Beispielsweise wird die Riester-Rente stark bezuschusst ähnlich wie die staatliche GRV, wenn auch mit anderen Mitteln (Kinderfreibeträge, Steuererleichterungen) Auch die Selbstverwaltung konnte als Strukturmerkmal erhalten werden, hat aber massiv Konkurrenz von staatlicher und privater Seite bekommen. Ersteres wird eher mit dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime assoziiert, wohingegen letzteres für ein liberales Wohlfahrtsregime steht. Außerdem ist die Riester-Rente ausschließlich arbeitnehmerfinanziert. Dies ist ein starkes liberales Element, allerdings ist der Effekt der paritätischen Finanzierung, wie bereits erläutert (S. 105), theoretisch umstritten und nicht unbedingt eine zentrale Eigenschaft zur Unterscheidung von Wohlfahrtsregimen. Ebenso ist fraglich, ob die Kapitaldeckung der Riester-Rente als neues Element nun originär dem liberalen oder sozialdemokratischen Wohlfahrtsmodell zugeordnet wird, denn es REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 225 können Beispiele für Kapitaldeckung in beiden Regimen festgestellt werden (s. Kapitel 4). Im Falle der Riester-Rente liegt also der Schluss nahe, dass nur eine partielle Einbettung in das existierende Wohlfahrtsregime erfolgte, obwohl existierende Institutionen wie Lebensversicherungen als Vorbilder dienten. Einige Regulierungselemente deuten neben den konservativen Charakteristika auf Eigenschaften liberaler und sozialdemokratischer Wohlfahrtsregime hin. Immer wieder aufflammende politische Diskussionen beispielsweise in Bezug auf private Pflichtversicherungen für Selbstständige oder die Einführung einer robusten Grundsicherung (FAZ 2012; SZ 2012) deuten auf ungelöste politische Konflikte hin. Die Einbettung öffentlicher und privater Rentenversicherungen scheint in Deutschland noch nicht abgeschlossen. Mit der Implementierung der Riester-Rente sind institutionelle Disparitäten entstanden, die zu einer kontinuierlichen politischen Auseinandersetzung führen. Die politische Klasse sucht offensichtlich noch nach Lösungen, wie öffentliche und private Rentenversicherung aufeinander abgestimmt werden können. Dies kann nicht nur weitere Reformen der Riester-Rente nach sich ziehen, um sie stärker der GRV beziehungsweise dem konservativen Regime anzupassen, sondern die GRV kann weiter reformiert werden, damit sie besser zur Riester-Rente passt. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass die kleinere Institution (RiesterRente) stärker in das Umfeld der größeren Institution (GRV) eingebettet wird. Die Richtung des Wandels und der Einbettung wird maßgeblich von den politischen Akteuren bestimmt werden. Insbesondere die neuen Akteure im Politikfeld Rente bewirken Innovationen, trotz eines institutionellen Erbes. Zwei neue Akteure sind hier besonders hervorzuheben. Erstens hat das Finanzministerium erhebliche Verwaltungsaufgaben übertragen bekommen und konnte somit den politischen Einfluss auf ein sozialpolitisches Feld ausweiten. Zweitens ist der Einfluss der Bank- und Investmentwirtschaft einerseits und der Gewerkschaften andererseits hervorzuheben, die sich – in Konkurrenz zur bisher dominierenden Versicherungswirtschaft im Rentenversicherungsgeschäft – durchsetzen konnten, sodass nun auch Rentenfonds und Betriebsrenten als Riester-Produkte angeboten werden. Damit erlangte ein neuer Anbieterkreis Zugang zum Rentenversicherungsmarkt, der vorher nicht auf diesen Märkten agierte beziehungsweise bis dato nicht erfolgreich Produkte für dieses Marktsegment anbieten konnte. Die Marktschaffung bewirkte also 226 WOHLFAHRTSMÄRKTE auch den Zugang neuer Akteure zum Markt, die ihre Interessen schon bei der Politikformulierung einbringen konnten.129 In der Analyse wurde vor allem deutlich, dass dominante Akteure ihre Marktmacht nutzen, um die Regulierung neuer Märkte zu beeinflussen. Die starken Akteure konnten ihre politischen Einflusskanäle besser nutzen und erreichten eine Regulierung, die ihren Alterssicherungsprodukten eine bessere Ausgangsposition auf dem Markt eröffnete. Zusammenfassend offenbarte die Analyse der Riester-Reformen, dass sich zwar auf institutionelle Vorbilder (GRV, Lebensversicherungen) bezogen wurde, eine Einbettung in das konservativ geprägte Wohlfahrtsregime fand jedoch nur unvollständig statt und ist von institutionellen Disparitäten begleitet. Neben konservativen Eigenschaften der GRV wurden auch Elemente liberaler und sozialdemokratischer Wohlfahrtsregime implementiert, die zu Spannungen führen und sich in kontinuierlichen politischen Diskussionen um die Riester-Rente niederschlagen. Komplexe Akteurskonstellationen trugen zur unvollständigen Einbettung der Riester-Rente in das konservative Wohlfahrtsregime bei. Der Anstoß zur Einführung der Riester-Rente kam von der rot-grünen Koalition, verbunden mit dem wahrgenommenen Druck die Sozialversicherungsbeiträge stabil zu halten. Nur die rot-grüne Regierung konnte die Notwendigkeit der Reform glaubhaft kommunizieren und schließlich mit Erfolg durchsetzen. Bei der konkreten Ausgestaltung der Regulierung erwies sich besonders die Sozialdemokratie als äußerst flexibel, sodass dominante Akteure im Feld der zusätzlichen Altersvorsorge, allen voran die Versicherungswirtschaft, die Regulierung maßgeblich beeinflussen konnten. Aber selbst diese dominanten Akteure bedienten sich bei bereits bestehenden Institutionen und übertrugen sie auf die zu gründende private Altersvorsorge. Die schließlich implementierten Regelungen der Riester-Rente sind eine Kombination aus Eigenschaften der GRV und der zusätzlichen Lebensversicherung. Neben der dominanten Versicherungswirtschaft konnten auch Banken und Gewerkschaften einen Marktzugang sichern, wenn auch weniger die konkrete Regulierung beeinflussen. —————— 129 Verbraucherpolitische Akteure sind auch neue Akteure auf dem Rentenmarkt, sie waren aber bei der Politikformulierung kaum beteiligt (Blank 2008). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 227 5.2.2 Bildungsmarkt: Die religiösen Ursprünge der Privatschulfinanzierung Dieses Kapitel zeigt zunächst die historischen Wurzeln des deutschen Bildungssystems und die Eigenschaften des öffentlichen Schulwesens in den fünf Regulierungsdimensionen auf. Anschließend werden die Akteurskonstellationen untersucht, die den deutschen Privatschulmarkt geschaffen haben. Darauf folgend wird die Regulierung der Privatschulen umrissen und gezeigt, wie die Regulierung des Privatschulmarktes das öffentliche Schulsystem widerspiegelt. Die folgende Analyse der Akteurskonstellationen zum Zeitpunkt der Marktschaffung legt dar, dass bereits bei der Formulierung des Grundgesetzes bürgerliche Kräfte und die christlichen Kirchen ihre Vormachtstellung im Bildungsmarkt erfolgreich institutionalisieren konnten. Die Kirchen erwirkten eine Regulierung des Bildungsmarktes, die ihren konfessionellen Privatschulen in die Hand spielte. Diese herausgehobene Machtstellung konnten die konfessionellen Privatschulen seit dem Bestehen der Bundesrepublik behaupten, weil ihr herausgehobener Status im Grundgesetz stärker geschützt war als durch die einfache Gesetzgebung. Zwar führte die Zuständigkeit der Länder in Bildungsfragen zu einem sehr fragmentierten Bildungssystem, was die Regulierung sowohl der öffentlichen als auch der privaten Schulen betrifft, dennoch ist das Grundgesetz zentral für die Regulierung der Privatschulen. Ich werde mich deshalb weitestgehend auf bundesweite Regulierungen konzentrieren und auf föderale Unterschiede nur eingehen, wenn sie für die analytischen Dimensionen relevant sind. Die Eigenschaften des öffentlichen Bildungssystems Zum Beginn des Zweiten Weltkrieges waren öffentliche Schulen zumindest unter den Volksschulen der Regelfall. Im Gymnasialbereich existierten noch bis zum Zweiten Weltkrieg viele Privatschulen und selbst die meisten öffentlichen Sekundarschulen verlangten teilweise noch bis ins Jahr 1962 Schulgeld (Riphahn 2004: 4). Seit dem Zweiten Weltkrieg dominierten aber insgesamt öffentliche Schulen das Schulwesen und der Anteil der privaten Schulen stieg nur allmählich an (vgl. Abbildung 11). Aufgrund der Bildungshoheit der Bundesländer bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede im Aufbau des Schulsystems, in Bezug auf die hier relevanten Regulierungsdimensionen betrifft die Fragmentierung des Schulsystems vor 228 WOHLFAHRTSMÄRKTE allem die (2) Leistungsstruktur und (5) Wahlfreiheit. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die allgemein gültige Regulierung des öffentlichen Schulwesens der 1990er Jahre; auf die Unterschiede wird nur eingegangen, wenn sie relevant für die Untersuchung sind: 1. Zugang. Grundsätzlich besteht in Deutschland eine Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr. Die ersten vier Jahre werden die Schüler gemeinsam in einer Grundschule unterrichtet.130 Anschließend werden die Schüler je nach Leistung auf drei Schulformen aufgeteilt (Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien; Döbert 2007). Formal besteht ein gleicher Zugang zu allen drei Schulformen, die Separierung nach Leistung determiniert jedoch sehr früh die spätere Bildungskarriere (Maaz u.a. 2010). Eine Segregation nach konfessioneller Zugehörigkeit existierte noch in den öffentlichen Schulen der Weimarer Republik (96 % öffentliche Konfessionsschulen in den 1920er Jahren; Herbst 2006: 84; WRV 1919: Art. 146). In dieser Zeit bestand zumindest aus weltanschaulichen Gründen nur ein geringer Anreiz eine Privatschule zu besuchen, weil das öffentliche Bildungswesen eine konfessionelle Wahloption eröffnete. Öffentliche Konfessionsschulen waren zwar seit 1949 nicht mehr durch das Grundgesetz geschützt, aber sie bestanden noch bis Ende der 1960er Jahre in vielen Bundesländern aufgrund eines Bestandschutzes fort. Nur in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen existieren weiterhin öffentliche Konfessionsschulen (Riedel u.a. 2010), das heißt die religiöse Segmentierung wurde in den öffentlichen Schulen überwiegend abgeschafft. 2. Leistungsstruktur. Die Leistungsstruktur unterscheidet sich innerhalb eines Bundeslandes nicht, dafür bestehen Unterschiede in der Schulausstattung zwischen den Bundesländern.131 Auf Bundesebene werden zwar gemeinsame Entscheidungen von der Kultusministerkonferenz132 (KMK) getroffen und einige grundlegende Bildungsstandards koordiniert. Beispielsweise sind alle Abschlüsse bundesweit anerkannt, selbst wenn zum Teil erhebliche Unterschiede in der Ausstattung und Kurrikulum bestehen. Im Rah- —————— 130 In Berlin, Brandenburg und teilweise in Bremen bis zur sechsten Klasse. 131 Das betrifft die räumliche Ausstattung, die von den Kommunen finanziert wird, und die Pro-Kopf-Ausgaben für Unterricht (Brückner/Böhm-Kasper 2010). 132 Der vollständige offizielle Name lautet Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 229 men des schon skizzierten dreigliedrigen Schulsystems erhalten die Schüler sehr unterschiedliche Unterrichtsleistungen je nach Schulform. 3. Finanzierungsmechanismus und 4. Verwaltung. Die öffentlichen Schulen werden aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Die Bundesländer haben das Hoheitsrecht in Bildungsfragen, deshalb obliegt ihnen die Schulgesetzgebung als auch Betrieb und Verwaltung der öffentlichen Schulen. Sie finanzieren die Schulen aus ihren Steuermitteln, wodurch die Schulausstattung auch von der Haushaltslage des jeweiligen Bundeslandes abhängt (Brückner/Böhm-Kasper 2010; Döbert 2007).133 5. Wahlfreiheit. Bei der Wahlfreiheit zwischen öffentlichen Schulen besteht ein Flickenteppich an Regelungen. Beim Eintritt in die Grundschule existiert meist keine Wahlfreiheit, die Schüler werden meist Schulbezirken (sogenannte Schulsprengel) zugeordnet. Im Einzelfall kann auf Antrag eine andere Schule gewählt werden, diese Anträge werden meist sehr restriktiv gehandhabt. In einigen Bundesländern wurden die Schulsprengel kürzlich abgeschafft (z.B. Nordrhein-Westfalen seit 2008) oder die Einzugsbereiche der Schulbezirke umfassen mehrere Grundschulen wie in Hamburg (NRW 2006; Wendt 2008), sodass neue Wahloptionen zwischen öffentlichen Grundschulen entstanden (vgl. Noreisch 2007a; 2007b). Die Schulwahl nach der Grundschule wird maßgeblich vom dreigliedrigen Schulsystem beeinflusst und »refers to a selection process rather than true choice, an Auswahl rather than a Wahl« (Herbst 2006: 135, Hervorhebungen original). Die Entscheidung der angemessenen Schulstufe beim Übergang zur Sekundarstufe erfolgt im Regelfall in einem mehrstufigen Prozess, an dem Schüler, Lehrer und Eltern gleichermaßen beteiligt sind. Wie Abbildung 13 zu entnehmen ist, sind die Entscheidungsstrukturen zwischen den Bundesländern höchst unterschiedlich. In der Hälfte der Bundesländer haben die Lehrer das letzte Wort und ihre Empfehlung ist bindend (hellgrau in Abbildung, KMK 2010). Eltern können Einspruchsverfahren einleiten, doch die professionelle Entscheidung der Lehrer wird meist durch zusätzliche Tests und Prüfungen verifiziert (u.a. —————— 133 Die Personalbedarfe werden überwiegend zentral von den Schulbehörden ermittelt und die Schulen erhalten entsprechende Mittelzuweisungen. Eine Pro-Kopf-Zuweisung besteht nicht (nachfrageorientierte Finanzierung), obwohl einige Bundesländer mit Personalbudgets experimentieren. Budgetautonomie haben die öffentlichen Schulen meist nur über Sachmittel. 230 WOHLFAHRTSMÄRKTE Füssel u.a. 2010; Weiss/Steinert 1996). In der anderen Hälfte der Bundesländer können die Eltern die Lehrerempfehlung übergehen (dunkelgrau in Abbildung 13). Abbildung 13: Entscheidungsmacht der Eltern und Lehrer beim Übergang in die Sekundarstufe (2008) Quelle: eigene Darstellung. Sobald die Schulform der Sekundarschule feststeht, können Eltern und Schüler frei aus dem öffentlichen Angebot der Schulform auswählen. Es bestehen bis auf einige Ausnahmen keine Einzugsgebiete für die Wahl der Sekundarschule, die Leistungsfähigkeit bestimmt jedoch maßgeblich welche Schulform überhaupt in Frage kommt. Das öffentliche Bildungssystem ist nicht deckungsgleich mit dem konservativen Wohlfahrtsregime und weist einige Unterschiede im Vergleich zum öffentlichen Rentensystem auf, dennoch sind viele Überschneidungen REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 231 festzustellen (vgl. Schmid u.a. 2011). Das deutsche Schulsystem weist eine für konservative Wohlfahrtsregime typische hohe Segregation auf. Der Zugang zu den Schulformen ist leistungsabhängig und führt zu einer starken Selektion nach sozialer Herkunft (Maaz u.a. 2010). Die föderale Fragmentierung führt zu einem Flickenteppich an Regulierungen. Beispielsweise ermöglichen liberalere Bundesländer Eltern und Schülern eine hohe Wahlfreiheit, wohingegen restriktivere Bundesländer die Wahlfreiheit stark einschränken. Die Leistungsstruktur ist zwar einheitlich in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung der Schulabschlüsse und einige Bildungsstandards, dennoch bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Schulformen in Bezug auf Ausstattung und Unterrichtsangebot sowie territoriale Unterschiede zwischen den Bundesländern. Tabelle 18: DEUTSCHLAND BILDUNG – Regulierung der deutschen Privatschulen im Vergleich zum öffentlichen Schulsystem Anfang der 1990er Jahre Typ Zugang Leistungsstruktur öffentliche Schulen Schulbezirk, Schülerleistung, zum Teil Konfession (fragmentiert) leistungsabhängig Finanzierung steuerfinanziert keine Gebühren Verwaltung staatliche Aufsicht (Bundesländer) gering, Schülerleistung grenzt Wahlfreiheit ein, Schulbezirke Wahlfreiheit Privatschulen Schülerleistung, Konfession, finanzielle Ressourcen (fragmentiert) leistungsabhängig, Gebührenabhängig Zuschüsse (fragmentiert) individuelle Gebühren (fragmentiert) staatliche Aufsicht (Bundesländer) freiwillig (Opt-In), Schülerleistung grenzt Wahlfreiheit ein Quelle: eigene Darstellung, Abweichung gegenüber dem öffentlichen System kursiv Die ausschließliche Steuerfinanzierung und die staatliche Verwaltung sind üblich im deutschen Bildungswesen, sind aber atypisch für konservative Wohlfahrtsregime im Allgemeinen und für deutsche Sozialprogramme im Speziellen (s. Übersicht der Eigenschaften in Tabelle 18). Wenn die Privatschulen in das existierende Schulwesen eingebettet werden, ist davon auszugehen, dass die Eigenschaften der öffentlichen Schulen auf die Privatschulen übertragen werden, ungeachtet der Eigenschaften des gesamten Wohlfahrtsregimes. In diesem Fall würden die staatliche Verwaltung und 232 WOHLFAHRTSMÄRKTE der hohe Anteil der Steuerfinanzierung auf die Privatschulen übertragen, das heißt regulative Merkmale aus anderen Sozialprogrammen werden nicht als Vorbilder für den Bildungsbereich verwendet, weil sie nicht als benachbarte Institutionen gelten. Eine wichtige Frage ist deshalb, wie diese Eigenschaften der Finanzierung und Verwaltung die Regulierung der Privatschulen beeinflussten. Der lange Schatten des Grundgesetzes auf die Regulierung der Privatschulen Das deutsche Grundgesetz definiert nur für wenige Politikfelder, wie sie konkret zu regeln sind. Bemerkenswert ist hingegen der Grundrechtsartikel sieben zu den Rechten und Pflichten der Privatschulen, worin sehr ausführlich der staatliche Schutz der Privatschulen und die Kriterien zur Anerkennung einer Privatschule ausformuliert sind. Im Folgenden werde ich zeigen, welche Auswirkungen Artikel sieben insbesondere auf die Entwicklung der Finanzierung der Privatschulen in den 1980er Jahren hatte. Mein Argument ist, dass die Garantie der Privatschulen im Grundgesetz ursprünglich vornehmlich konfessionellen Schulen galt. Befördert durch generöse Landeszuschüsse waren die konfessionellen Privatschulen nach dem Zweiten Weltkrieg finanziell erheblich besser ausgestattet als die säkularen Privatschulen. Erst ein Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1987 trug maßgeblich zur Marktliberalisierung der Privatschulfinanzierung bei (BVerfGE 1987). Das Bundesverfassungsgericht forderte eine Gleichbehandlung säkularer und konfessioneller Privatschulen. Im Zuge der vom Bundesverfassungsgericht erzwungenen Gleichbehandlung erhielten die säkularen Privatschulen fortan höhere Zuschüsse, die ursprünglich ausschließlich für die konfessionellen Privatschulen vorgesehen waren. Somit entstand in allen Bundesländern ein hochsubventionierter Bildungsmarkt für überwiegend gemeinnützige Privatschulen, ungeachtet ihrer weltanschaulichen Ausrichtung. Der Anstoß für die Marktliberalisierung kam in den 1980er Jahren nicht von der Politik, sondern durch die Klage eines benachteiligten Marktakteurs (säkularer Privatschulträger) und eine richterliche Neuauslegung der existierenden Gesetze (conversion). Die politischen Ursprünge dieses Bildungsmarktes sind allerdings im Verfassungskonvent zu suchen. Im Folgenden werden deshalb die Positionen von parteipolitischen und konfessionellen Akteuren während der Gründung der Bundesrepublik Deutschland untersucht. Ein besonderes Augenmerk wird auf die FDP REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 233 und die christlichen Kirchen gelegt, die sich während der Ausformulierung des Grundgesetzes als Fürsprecher der Privatschulen hervorgetan haben. Die Motive der FDP und der Kirchen als Wegbereiter der Privatschulregulierung Artikel sieben des Grundgesetzes weist viele Ähnlichkeiten zu den Artikeln 144 bis 149 der Weimarer Reichsverfassung auf, beispielsweise wurde das Sondierungsverbot wortwörtlich aus der Weimarer Verfassung übernommen. Im Grundgesetz heißt es, dass Schulgebühren zu keiner »Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern« führen darf (GG Art. 7 (4)), was der Schulgelderhebung sehr enge Grenzen setzt. In der Weimarer Nationalversammlung wurde 1919 auch die staatliche Finanzhilfe für Privatschulen diskutiert und von der bürgerlichen Deutschen Zentrumspartei propagiert. Das Zentrum wollte insbesondere konfessionelle Privatschulen mit öffentlichen Mitteln unterstützen. Das Zentrum, die SPD und die Deutsche Demokratische Partei einigten sich schließlich auf Artikel 147 der Weimarer Verfassung, der lediglich die Zulassungskriterien für Privatschulen darlegt, unter der Bedingung, dass ein Reichsgesetz die finanzielle Unterstützung von Privatschulen regelt. Allerdings ist ein solches Gesetz nie verabschiedet worden (BVerfGE 1987: 58). Dieser politische Konflikt über die Finanzierung der Privatschulen brach schließlich während der demokratischen Neugründung der Bundesrepublik im Jahre 1948 wieder auf.134 Im Parlamentarischen Rat, dem verfassungsgebenden Gremium der Bundesrepublik Deutschland, wollte die nationalkonservative Deutsche Partei (DP) eine Pflicht des Staates zur Finanzierungshilfe von Privatschulen durchsetzen. Die DP schlug im Endeffekt ein Gutscheinsystem vor, dass hundert Prozent der Kosten übernommen hätte. Dieser Vorschlag wurde von den Vertretern der SPD, der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) und der FDP scharf kritisiert, weil die Privatschulen das öffentliche Schulwesen unterlaufen hätten. Folglich wurde der Antrag der DP komplett abgelehnt. Wenig später reichte die FDP aber einen Antrag ein, der die Existenz von Privatschulen garantierte, ohne den Zusatz der staatlichen Bezu- —————— 134 Konfessions- und Privatschulen wurden erst relativ spät im Parlamentarischen Rat behandelt. Die entscheidenden Diskussionen sind in den Akten und Protokollen des Parlamentarischen Rates zu finden (Bundestag/Bundesarchiv 1981; 1993a: 258; 1993b: 811, 817, 824, 909). 234 WOHLFAHRTSMÄRKTE schussung.135 Das Hauptanliegen der FDP lag darin, die Pluralität des Schulwesens zu garantieren und ein Staatsmonopol zu verhindern. Die Unionsparteien stellten zusammen mit den Kirchen die erzieherische Autonomie der Eltern in den Vordergrund, um somit die freie Schulwahl von Konfessionsschulen zu ermöglichen. Die Kirchen (offizielle Vertreter und engagierte Laien) reichten zwischen Herbst 1948 und Frühjahr 1949 über eintausend Eingaben zur Sicherung des Elternrechts bei der Schulwahl ein. Dies erhöhte den öffentlichen Druck auf den Parlamentarischen Rat zusätzlich, in diesem Punkt Zugeständnisse an die Kirchen zu machen und die konfessionellen Privatschulen zu schützen. Die bürgerlichkonservativen Parteien unterstützten schließlich den FDP-Vorschlag, weil er die Selbstbestimmung und das Elternrecht der freien Schulwahl stärkte. Private Konfessionsschulen wurden somit als eine Alternative zur säkularen Gemeinschaftsschule im öffentlichen Bildungssystem verankert. Die politische Intention der Privatschulgarantie war, Konfessionsschulen als hybride Organisationsform zwischen öffentlichen und privaten Schulen zu erhalten. Der FDP-Vorschlag fand schließlich fast ohne Änderung auch bei den anderen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates Zustimmung und ging als Artikel sieben Absatz vier in das Grundgesetz ein. Die Ausgestaltung der Finanzhilfe sollten jeweils die Bundesländer regeln. Es gewährten schließlich alle Bundesländer Finanzhilfen und etablierten somit ein Nebeneinander von öffentlichen und privaten Konfessionsschulen. Öffentliche Konfessionsschulen wurden vollständig aus Steuermitteln finanziert, wohingegen private Konfessionsschulen Zuschüsse vom Land erhielten und die restlichen Kosten durch Quersubventionen (z.B. mietfreie Gemeinderäumlichkeiten) oder Schulgelder gedeckt wurden. Es ist anzumerken, dass auch die öffentlichen Sekundarschulen zu dieser Zeit Schulgeld erhoben, sodass in diesem Aspekt kein Unterschied zwischen den öffentlichen Sekundarschulen und privaten Konfessionsschulen bestand. Das Bundesverfassungsgericht und die Marktöffnung für säkulare Privatschulen In der Gründungsphase der Bundesrepublik waren die konfessionellen Privatschulen in einigen Bundesländern die einzigen Schulen vor Ort und —————— 135 Theodor Heuss (FDP) formulierte den Gesetzentwurf und trat in den folgenden Sitzungen als vehementer Unterstützer der Privatschulen auf. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 235 erhielten entsprechend hohe öffentliche Zuschüsse, weil sie zentrale staatliche Aufgaben übernahmen. Zwei Entwicklungen im öffentlichen Schulwesen marginalisierten jedoch die privaten Konfessionsschulen. Erstens wurden die öffentlichen Konfessionsschulen in den meisten Bundesländern bis Ende der 1960er Jahre in öffentliche Gemeinschaftsschulen umgewandelt. Damit wurden die privaten Konfessionsschulen die einzige weltanschauliche Alternative zum säkularen öffentlichen Schulwesen. Zweitens gingen die öffentlichen (Sekundar-)Schulen dazu über keine Schulgebühren mehr zu erheben, wodurch die privaten Konfessionsschulen aus finanzieller Sicht für viele Eltern unattraktiver wurden. Beide Entwicklungen marginalisierten die konfessionellen Privatschulen. Die konfessionellen Privatschulen glichen somit in ihrer Bedeutung immer mehr säkularen Privatschulen, erhielten aber weiterhin höhere Zuschüsse als ihre säkularen Schwestern. Diese Ungleichbehandlung der konfessionellen und säkularen Privatschulen wurde in den 1970er Jahren zunehmend in Frage gestellt. Erst die Klage eines benachteiligten Marktakteurs setzte eine Welle der Marktliberalisierung in Gang. Ein säkularer Privatschulträger aus Hamburg klagte gegen die Ungleichbehandlung und der Fall landete letztendlich beim Bundesverfassungsgericht. Ende der 1970er Jahre erhielten säkulare Privatschulen in Hamburg nur 25 Prozent der durchschnittlichen Schülerkosten von öffentlichen Schulen als Zuschuss, wohingegen die konfessionellen Schulen 77 bis 82 Prozent erhielten. Diese Bevorzugung konfessioneller Schulen war typisch für die Privatschulfinanzierung der Länder bis Ende der 1980er Jahre. Das Bundesverfassungsgericht urteilte aber 1987, dass die Ungleichbehandlung säkularer und konfessioneller Schulen dem religiösen Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes (GG Art. 3 Abs. 3) widerspreche und deshalb die Finanzhilfe aller Privatschulen angeglichen werden müsse. Das Bundesverfassungsgericht stellte dazu fest, dass der Staat keine Finanzierungspflicht der Privatschulen habe, allerdings müssten alle Privatschulen gleich behandelt werden (BVerfGE 1987: 67). Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil mussten viele Bundesländer ihre Finanzhilfe für Privatschulen reformieren. Wenn säkulare Privatschulen nicht bereits gleich behandelt wurden, wurden die Zuschüsse auf das Niveau der konfessionellen Privatschulen angehoben. Der politische Preis den konfessionellen Schulen die Zuschüsse zu kürzen wäre zu hoch gewesen. Es wurde ein Aufstand der christlichen Kirchen befürchtet, denn bereits während der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht ver- 236 WOHLFAHRTSMÄRKTE suchten sie, ihre angestammte Position im Bildungsmarkt zu verteidigen, wenn auch erfolglos. Die etablierten und dominierenden Marktakteure (private Konfessionsschulen) konnten zumindest erreichen, dass ihre herausgehobene Stellung und Finanzierungsgrundlage nicht angetastet wurde. Politisch konfliktfreier war die Gleichstellung säkularer Privatschulen mit konfessionellen. Damit wurde ein einheitlicher Bildungsmarkt für gemeinnützige private Schulbetreiber geschaffen. Alle Privatschulen hatten von nun an die gleichen Wettbewerbsbedingungen. Die privaten Konfessionsschulen konnten zwar die Marktliberalisierung nicht verhindern, aber immerhin erreichen, dass ihre Finanzierungsgrundlage unangetastet blieb. Sie mussten fortan mit neuen säkularen Wettbewerbern konkurrieren, durch den langfristig mit einer Verringerung ihres Marktanteils gerechnet werden musste. Solange sie aber die Schülerzahlen konstant halten konnten, hatte sie keine Einnahmeverluste zu befürchten. Diese Strategie gab ihnen auch im Nachhinein Recht, denn sie konnten ihre dominante Marktmacht auch nach der Marktliberalisierung behaupten (vgl. Kapitel 4.2.2). Diese Marktliberalisierung wurde nicht aufgrund eines politischen Programms oder einer sozialen Bewegung erzwungen, sondern aufgrund von institutionellen Regeln, die vom Bundesverfassungsgericht neu ausgelegt wurden. Der deutsche Bildungsmarkt hat zwar christlich-konservative und liberale Wurzeln, die eigentliche Marktliberalisierung in den 1980er Jahren erfolgte aber aufgrund einer gerichtlichen Auseinandersetzung von Marktteilnehmern und einer Neuauslegung der existierenden Regeln des Bundesverfassungsgerichts (conversion). Diese Marktliberalisierung resultierte jedoch nicht in einer unmittelbaren Erhöhung des Marktvolumens, denn die Wachstumsraten der Privatschulen und Privatschüler sind nach der Liberalisierung durch das Bundesverfassungsgericht nicht höher als davor (vgl. Abbildung 12). Die Marktliberalisierung führte auch nicht zu einer umfassenden Säkularisierung des Bildungsmarktes, denn der Anteil der konfessionellen Privatschulen ist weiterhin hoch.136 Seit der Liberalisierung des Marktes in den 1980er Jahren erfolgten keine weiteren grundlegenden Änderungen der Marktregulierung (die ohnehin kaum seit der Gründung der Bundesrepublik angetastet wurde) und wurde nach der Wiedervereinigung auch auf die neuen Bundesländer übertragen. Der folgende Abschnitt widmet sich nun der aktuellen politischen Auseinandersetzung um Privatschulen, die allerdings bisher zu —————— 136 Konfessionelle Privatschulen dominieren mit einem Marktanteil von 66 % weiterhin den Bildungsmarkt (2004/05). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 237 keinem regulativen Wandel geführt hat. Bemerkenswert sind aber die veränderten politischen Koalitionen, denn mittlerweile finden sich sowohl im linken als auch im bürgerlichen Lager Befürworter der Privatschulen. Aktuelle politische Positionen Am offensten fordert in den letzten fünf Jahren die FDP eine Ausweitung der finanziellen Förderung von Privatschulen. Ihr schwebt ein Finanzierungsmodell ähnlich dem Vorschlag der DP von 1949 vor. Ein allgemeines Gutscheinsystem soll eingeführt werden, welches den Wettbewerb unter den Schulen erhöhen solle. Privatschulen sollen denselben öffentlichen Zuschuss pro Schüler erhalten wie öffentliche Schulen, sodass beide Schularten in einen gleichberechtigten und fairen Wettbewerb treten. Diese Position ist jedoch nicht weit oben auf der parteipolitischen Agenda und wird eher in opportun erscheinenden Situationen vorgebracht (FDP 2009: 44; SZ 2009). Neuerdings werden aber auch ähnliche Forderungen aus dem linksliberalen Milieu laut. So fordern die Grünen mehr Autonomie der öffentlichen Schulen und sind auch Privatschulen unter bestimmten Umständen nicht abgeneigt (Füller 2011). Die Grünen adressieren somit eine bildungsbewusste Wählerschicht, die mit dem öffentlichen Schulangebot unzufrieden ist, aber keine elitären Privatschulen präferiert. Mit dem Autonomiebegriff besetzen die Grünen eine linksliberale Position und betonen weniger den Wettbewerb, sondern eher die Förderung unabhängiger und reformpädagogischer Schulkonzepte (vgl. u.a. Illich 1971). Da diese Konzepte bisher im öffentlichen Bildungssystem nicht ausreichend berücksichtigt wurden, wären Privatschulen eine Alternative, um grüne Bildungsideen durchzusetzen. Als neuer Akteur tritt der Paritätische Wohlfahrtsverband (Der Paritätische) auf und fordert aus seiner humanitären Haltung heraus ebenfalls mehr Bildungsgleichheit (Der Paritätische Hessen 2009). Die öffentlichen Schulen sind nach Auffassung des Paritätischen zu selektiv und schüren soziale Ungleichheit, anstatt sie zu bekämpfen. Deshalb initiierte der Paritätische private Gesamtschulen, die eine bessere Integration aller Leistungsniveaus und soziale Bildungsmobilität erreichen sollen. Auch in diesem Privatschulkonzept steht nicht der Wettbewerb im Vordergrund, sondern eine alternative Pädagogik zum öffentlichen Schulwesen wird angestrebt. Außerdem positioniert sich Der Paritätische als potenzieller 238 WOHLFAHRTSMÄRKTE Schulträger, denn als Betreiber von Kindergärten ist er bereits in einem benachbarten Bildungsmarkt aktiv. Die Reform der Privatschulfinanzierung in den 1980er Jahren hat zumindest eine institutionelle Grundlage für die politischen (FDP, Grüne) und unternehmerischen (Der Paritätische) Akteure gelegt, um mit einer kleinen Änderung eine weitere Marktliberalisierung zu bewirken. Ein Wohlfahrtsmarkt für Privatschulen existiert bereits, wenn auch Marktmechanismen nur in begrenztem Umfang wirken. Die Finanzhilfen werden bereits für Privatschulen gewährt und lediglich kleine Änderungen, wie beispielsweise die Zulassung profitorientierter Privatschulen oder eine Erhöhung der Zuschüsse, können zu einer massiven Ausweitung der Marktmechanismen führen. Ebenso würde die konsequente Umstellung auf eine nachfrageorientierte Bildungsfinanzierung der öffentlichen Schulen, das heißt Pro-Kopf-Beiträge, die Vergleichbarkeit zwischen öffentlichen und privaten Schulen erhöhen (vgl. Brückner/Böhm-Kasper 2010; KMK 2009). Wenn beispielsweise – wie von der FDP vorgeschlagen – die Privatschulen für jeden Schüler dieselben Kosten erstattet bekommen würden wie an öffentlichen Schulen, dann würden die privaten Schulen in direkten Wettbewerb mit den öffentlichen Schulen treten. Die Schulgebühren könnten wegfallen, womit für viele Eltern die zentrale finanzielle Hürde der Privatschulen verschwunden wäre. Ein weiterer strategischer Vorteil ist die föderale Fragmentierung. So kann eine Reform der Privatschulfinanzierung auf Landesebene als ein Bildungsexperiment eingeführt werden, ohne gleich für die gesamte Bundesrepublik zu gelten. Bis Ende 2010 hatte nur die FDP eine Reform der Privatschulfinanzierung explizit auf ihrer politischen Agenda, weshalb eine Einführung derartiger Bildungsgutscheine realpolitisch kein Thema war.137 Die neuen linksliberalen Befürworter von Privatschulen (Grüne, Der Paritätische) könnten jedoch neue parteiübergreifende Koalitionen für mehr Marktmechanismen und Privatschulen im deutschen Bildungssystem bilden. Die CDU ist in ihrem Bundestagswahlprogramm von 2009 auf diesen Aspekt nicht eingegangen, das Wahlprogramm 2013 enthält lediglich politische Allgemeinplätze wie eine grundsätzliche »Unterstützung dieser Schulen« (CDU 2013: 22). Dennoch wäre die CDU gegebenenfalls einer Ausweitung des Bildungsmarktes nicht abgeneigt, denn im Grundsatzprogramm werden Privatschulen als »unverzichtbarer Bestandteil« des —————— 137 Explizit im Grundsatzprogramm 1997 und Wahlprogramm 2009 (FDP 1997; 2009), abgeschwächter im Grundsatzprogramm 2012 und Wahlprogramm 2013 (FDP 2013). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 239 Bildungswesens bezeichnet (CDU 2007: 34). Die Unionsparteien treten gegenwärtig zwar nicht aktiv für eine Ausweitung der Privatschulen ein, würden dieser aber zustimmen, wenn das der Preis für eine Koalition auf Länderebene wäre. Und wie bereits erläutert, die institutionellen Hürden sind nicht sehr hoch. Kleine Änderungen könnten fast unbemerkt durchgesetzt werden, die über längere Zeiträume einen massiven Anstieg der Privatschulen bewirken würden. Viele Privatschulen sind derzeit überlaufen und müssen Aufnahmeanträge ablehnen, weil die Nachfrage nach alternativer Bildung (bzw. gutem Schulumfeld) sehr hoch ist, wie auch Abbildung 12 zeigte. Hier zeichnet sich ein institutioneller Drift ab (vgl. Streeck/Thelen 2005b): die Regulierung des Privatschulmarktes geht zurück auf die 1980er Jahre, ohne jedoch auf die steigende Nachfrage und das veränderte Umfeld angepasst worden zu sein. Neue Akteure politisieren diese Diskrepanz aus alten Institutionen und neuen gesellschaftlichen Bedürfnissen, allerdings ohne bisher eine Reform zu bewirken. Die Regulierung der deutschen Privatschulen Nachdem die politischen Positionen zur Regulierung der Privatschulen seit 1948 dargelegt wurden, fasst dieser Abschnitt die Regulierungseigenschaften Ende der 2000er Jahre zusammen. Ziel ist es, die institutionellen Vorbilder aufzuzeigen und zu überprüfen, inwiefern der Privatschulmarkt in das Bildungssystem und Wohlfahrtsregime eingebettet wurde. Wie schon im vorherigen Abschnitt deutlich wurde, wird die Privatschulgesetzgebung maßgeblich vom Grundgesetz determiniert und wurde seit dem Bestehen der Bundesrepublik kaum verändert. Außerdem gelten zentrale Regulierungseigenschaften der öffentlichen Schulen auch für die Privatschulen. Obwohl diese Eigenschaften nicht in allen Aspekten mit dem idealisierten konservativen Wohlfahrtsregime übereinstimmen, sind zumindest die Privatschulen in das deutsche Bildungssystem eingebettet. Das Grundgesetz legt in Artikel sieben sehr genau den Spielraum für Privatschulen in der Bundesrepublik fest (GG 2009 [1949]). Die gliedstaatliche Auslegung dieses gesetzlichen Spielraums führte ebenso wie bei den öffentlichen Schulen zu regulativen Unterschieden zwischen den Bundesländern (eine aktuelle Übersicht kann bei der KMK abgerufen werden; u.a. 2006). Grundsätzlich gelten in den Bundesländern dieselben Regeln für die Privatschulen wie auch für die öffentlichen Schulen in Bezug auf die Schulformen und die Kriterien zum Erreichen eines Abschlusses (beispielsweise 240 WOHLFAHRTSMÄRKTE sind private Grundschulen nur in Berlin sechsjährig, weil auch dort die öffentlichen Grundschulen sechsjährig sind). 1. Zugang. Der Zugang zu den Privatschulen wird ebenso wie an den öffentlichen Schulen vom gegliederten Schulsystem beeinflusst, zusätzlich wird die Segregation jedoch durch den Finanzierungsmechanismus und die Auswahlkriterien der konfessionellen Privatschulen verschärft. Der Zugang zu einer weiterführenden privaten Sekundarschule wird wie bei den öffentlichen Schulen von der Schülerleistung bestimmt und hat dieselbe selektive Wirkung. Privatschulen können aber von den leistungsbezogenen Auswahlkriterien abweichen (s. Wahlfreiheit), wodurch unter Umständen die strengeren Auswahlkriterien der öffentlichen Schulen umgangen werden können. Einige konfessionelle Schulen nehmen nur Schüler mit der entsprechenden Glaubenszugehörigkeit auf, wobei die meisten nur die Teilnahme am Religionsunterricht verlangen (Kristen 2008; Riedel u.a. 2010). Wie im Abschnitt Finanzierungsmechanismus ausführlicher erläutert wird, soll durch die Regulierung der Schulgebühren ein gleicher Zugang für alle Schüler ermöglicht werden. Allerdings können schon relativ geringe symbolische Schulgebühren Eltern mit sehr geringem Einkommen davon abhalten, ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken. Der Zugang zu Privatschulen spiegelt somit die Leistungssegregation der öffentlichen Schulen wider. Zusätzlich wird eine Segregation nach Weltanschauung und finanziellen Ressourcen grundsätzlich möglich, auch wenn ein derartiger selektiver Zugang zu Privatschulen nicht explizit gefördert wird. Damit orientiert sich der Zugang größtenteils an den öffentlichen Schulen, enthält aber zusätzliche segregierende Hürden, wie sie typischerweise im deutschen konservativen Wohlfahrtsstaat bestehen. 2. Leistungsstruktur. Die Leistungsstruktur der Privatschulen entspricht im Großen und Ganzen der an öffentlichen Schulen, denn die Lehrziele dürfen »nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen« (GG Art. 7 Abs. 4). Beispielsweise müssen Privatschulen dasselbe Kurrikulum unterrichten wie öffentliche Schulen. Privatschulen bieten aber häufig anderen pädagogischen und weltanschaulichen Unterricht im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben an.138 Trotz der Ähnlichkeit der Leistungsstruktur in einem Bundesland bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Bun- —————— 138 Für Grundschulen ist ein besonderes pädagogisches Profil sogar Zulassungsvoraussetzung (BVerfGE 1992; GG 2009 [1949]: Art. 7 Abs. 5). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 241 desländern, wodurch Privatschulen genauso fragmentierte Lehrpläne und Schulformen aufweisen wie öffentliche Schulen. 3. Finanzierung. Die Finanzierung der Privatschulen ist im Grundgesetz nicht eindeutig geregelt, wurde aber durch diverse Bundesverfassungsgerichtsurteile maßgeblich beeinflusst (BVerfGE 1969; 1987; 1992). Dennoch bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern (KMK 2006; 2009). Die verschiedenen öffentlichen Finanzierungssysteme ersetzen je nach Berechnungsgrundlage, Schulform und Bundesland zwischen 50 und 137 Prozent der durchschnittlichen Schülerkosten an öffentlichen Schulen (Eisinger u.a. 2010; Klein 2007: 46). In allen Bundesländern erhalten die Privatschulen Zuschüsse pro Schüler, das heißt die Finanzhilfen funktionieren wie Schulgutscheine (Pro-Kopf-Finanzierung). Die Berechnung orientiert sich entweder an den tatsächlich anfallenden Kosten pro Schüler oder an einem Prozentsatz der durchschnittlichen öffentlichen Kosten.139 Meistens erheben die Privatschulen zusätzliche Schulgebühren. Dem setzt das Grundgesetz aber enge Grenzen, denn »eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern« darf nicht gefördert werden (GG Art. 7 Abs. 4). Das Bundesverfassungsgericht erlaubt auf Basis des Sondierungsverbotes praktisch zwei Formen der Gebührengestaltung (vgl. BVerfGE 1987): Erstens können Privatschulen eine einheitliche aber sehr geringe Schulgebühr erheben, die keine Sondierung nach den Besitzverhältnissen bewirkt. Derzeit gilt eine Schulgebühr von rund 100 Euro pro Monat als Obergrenze für diesen Finanzierungstyp. Meistens haben konfessionelle Schulen diese Form der Gebührenordnung und nehmen eher symbolische Beiträge. Die konfessionellen Schulen werden häufig von ihren Kirchen quersubventioniert und können deshalb auf hohe Schulgebühren verzichten. Zweitens können höhere Schulgebühren verlangt werden, wenn das Einkommen der Eltern bei den Gebühren berücksichtigt wird. Reiche —————— 139 Für Schüler mit besonderem Betreuungsaufwand aufgrund von Behinderungen erhalten Privatschulen häufig höhere Raten. In einigen Ländern erhalten die Privatschulen auch zusätzliche Baukostenzuschüsse. Privatschulen müssen grundsätzlich staatlich akkreditiert sein und können nach einer Wartezeit von zwei bis vier Jahren die Zuschüsse beantragen. Einige Bundesländer erstatten die Kosten aus der Wartezeit rückwirkend (z.B. Bremen). 242 WOHLFAHRTSMÄRKTE Eltern würden dann höhere Gebühren bezahlen als Eltern mit geringem Einkommen.140 Nur in einem Bundesland (Rheinland-Pfalz) sind Schulgebühren verboten, wenn die Privatschulen öffentliche Zuschüsse erhalten (PrivSchG Rheinland-Pfalz vom 08.01.2012, § 28). Außerdem sind die Schulgebühren steuerlich absetzbar. Somit werden nicht nur die Bildungsdienstleistungen mit Steuergeldern bezuschusst (inkind), sondern auch Quasi-Transferleistungen zum Erwerb der Dienstleistung geleistet (in-cash). Eltern können dreißig Prozent der Gebühren absetzen bis zu einem Limit von 5.000 € (AP 2008b), allerdings benötigen die wenigsten Eltern den vollen Beitrag (vgl. Kapitel 4.2.2). Als letzter relevanter Aspekt der Finanzierung ist die Zulassung von profitorientierten Schulen zu erwähnen. In dreizehn Bundesländern sind nur gemeinnützige Schulen zugelassen, damit wird jegliche Gewinnorientierung der Privatschulen verhindert. Die drei Ausnahmen sind Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein.141 Faktisch können aber nur in Berlin Gewinne erzielt werden. —————— 140 Internate können diese Regelungen teilweise umgehen, indem sie höhere Kosten für Unterkunft und zusätzliche Lehrangebote veranschlagen und dieser Teil der Gebühren die eigentlichen Unterrichtskosten quersubventioniert. 141 In Hamburg und Schleswig-Holstein dürfen zwar nichtgemeinnützige Unternehmen Privatschulen betreiben, dennoch können sie keine Gewinne erzielen (HmbSffG und SchulG von SH). Die Zuschüsse decken bis zu 85 % des Bedarfs der Privatschule, d.h. es muss ein Eigenanteil von 15 % durch Einnahmen aus Schulgebühren und Spenden geleistet werden. Der Zuschuss (Höchstsatz 80 % der Kosten öffentlicher Schulen) wird gekürzt, wenn die Einnahmen den Bedarf decken können. Im Endeffekt kann aufgrund dieser Regelung kein Gewinn erzielt werden. Die einzelne Privatschule als Betrieb kann aber nicht wie in einer Kapitalgesellschaft einen Gewinn als Dividende auszahlen. Ein Schlupfloch wäre lediglich darin zu sehen, dass Lizenzgebühren an einen profitorientierten Mutterkonzern abgeführt werden müssen. Derzeit umgehen nur die Phorms Schulen in Deutschland die Gewinnorientierung auf diese Weise (www.phorms.de) und führen Lizenzgebühren an die Phorms Education SE ab. Anders verhält es sich in Berlin (Brandenburg hatte bis zum 8. Januar eine ähnliche Regelung wie Berlin, der mögliche Einnahmenüberschuss betrug war mit 35 % jedoch geringfügig höher (Änderung des § 124 im BbgSchulG)). In Berlin werden 93 % der Personalkosten öffentlicher Schulen als Zuschüsse gezahlt, unabhängig von der gewerblichen Organisationsform der anerkannten Privatschule (SchulG Berlin vom 26.01.2004, § 101). Nicht gemeinnützige Privatschulen können Mehreinnahmen von bis zu 125 % der Personalkosten öffentlicher Schulen erzielen. Wenn die Einnahmen diese Höchstgrenze überschreiten, wird der Zuschuss gekürzt. In dem Zuschuss sind keine Kosten für Sach- und Betriebskosten enthalten. Die Mehreinnahmen sind also nicht als Gewinn zu betrachten, sondern werden zum Teil zur Deckung der Betriebskosten benötigt. Dennoch ermöglicht dieser Spielraum die legale Abschöpfung von Unter- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 243 In Deutschland besteht somit eine fragmentierte und gemischte Finanzierung der Privatschulen. Es bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern und sowohl öffentliche Quellen (Bund, Länder, Gemeinden) als auch Privathaushalte tragen zur Finanzierung bei. Die Steuerzuschüsse sind weiterhin erheblich, sodass Schulgebühren nur einen kleinen Anteil an der Privatschulfinanzierung ausmachen (vgl. Kapitel 4.2.2). 4. Verwaltung. Das Grundgesetz regelt sehr präzise die Verwaltung und Zulassung der Privatschulen. Im ersten Absatz von Artikel sieben heißt es: »Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.« Im vierten Absatz heißt es weiter, Privatschulen »bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen«. Die gliedstaatlichen Schulbehörden entscheiden somit über die Zulassung der Privatschulen und richten sich vornehmlich nach den Zulassungskriterien, die im Grundgesetz darlegt sind, die Länder können diese aber weiter konkretisieren und verschärfen. Zulassungskriterien im GG umfassen unter anderem das bereits erwähnte Sondierungsverbot als auch gleiche Qualifikationsstandards der Lehrkräfte wie an öffentlichen Schulen. Wie die öffentlichen Schulen obliegen Privatschulen der staatlichen Aufsicht. Entgegen dem konservativen Wohlfahrtsregime besteht also keine Selbstverwaltung der Privatschulen, beispielsweise in Form von privaten Akkreditierungsbüros oder ähnlichen Einrichtungen. Insgesamt besteht also eine starke öffentliche Kontrolle der Privatschulen durch staatliche Behörden, jedoch wird der eigentliche Unterricht eigenständig von den Privatschulen durchgeführt. 5. Wahlfreiheit. Die Wahlfreiheit ist zwar ebenfalls föderal fragmentiert, die Unterschiede sind jedoch gering. Privatschulen ermöglichen eine zusätzliche Wahlfreiheit der Eltern und Schüler hinsichtlich zweier Aspekte.142 Erstens können Eltern die Schulbezirke der Grundschulen umgehen, indem sie ihre Kinder auf eine Privatschule schicken (vgl. Noreisch 2007a; 2007b). —————— nehmensgewinnen aus den gewährten Zuschüssen, wenn die Gesamtbetriebskosten unter der 125-Prozent-Grenze liegen, aber Einnahmen in der Höhe von der 125Prozent-Grenze erzielt wurden. 142 Häuslicher Unterricht ist in Deutschland ausdrücklich als private Alternative verboten (OECD 2010: 423; Spiegler 2008). 244 WOHLFAHRTSMÄRKTE Zweitens können private Sekundarschulen gewählt werden, um die Lehrerempfehlung zu umgehen (vgl. Abbildung 13). Zwar sind generell die Auswahloptionen bundesweit aufgrund der Leistungsdifferenzierung in der Sekundarschule eingeschränkt, weil wie bereits oben erläutert der Zugang zu den Schulformen der Sekundarstufe leistungsabhängig ist. Entscheidend für die Anerkennung einer Privatschule ist die Leistung der Schüler am Ende der Schullaufbahn, aber nicht das Aufnahmeverfahren. Zum Beispiel können Privatschulen zusätzliche Auswahlkriterien festlegen, wenn sie mehr Anmeldungen als Plätze haben oder eine elitäre Schülerschaft anstreben. Oder aber sie legen geringe Auswahlkriterien fest und ermöglichen Schülern die Lehrerempfehlung beim Übergang auf die Sekundarstufe zu umgehen. Beispielsweise können somit Schüler ohne eine Gymnasialempfehlung ein privates Gymnasium besuchen, wenn sie die gelockerten Aufnahmekriterien erfüllen (vgl. BVerfGE 1969). Eltern können somit die Entscheidungsmacht der Lehrer umgehen (vgl. Abbildung 13). Zusätzlich können Eltern eine Privatschule wählen, um ihre Kinder bei einer im Bundesland nicht vorgesehene öffentliche Schulform einzuschreiben.143 Die Entscheidung eine Privatschule zu besuchen ist freiwillig und lässt sich am besten als Opt-in beschreiben. Eltern beziehungsweise Schüler müssen eine aktive Wahl für die Privatschule treffen, ansonsten besteht Schulpflicht an einer öffentlichen Schule. Die Wahloptionen sind also insgesamt größer als zwischen öffentliche Schulen, aber die faktischen Unterschiede hängen vom jeweiligen Bundesland ab. Beispielsweise wurden in Hamburg die Einzugsbereiche der Schulbezirke unlängst gelockert und die Lehrerempfehlungen sind nicht bindend, weshalb Privatschulen kaum zusätzliche Wahloptionen eröffnen. In Bundesländern mit geringeren Wahloptionen zwischen öffentlichen Schulen bieten Privatschulen hingegen weit mehr Wahloptionen. Die Regulierung des deutschen Bildungsmarktes ist in Tabelle 18 zusammengefasst. Für eine Einbettung der Privatschulen in das existierende öffentliche Schulwesen sprechen vor allem die starken regulativen Vorgaben des Grundgesetzes. Im Endeffekt entsprechen deshalb die Regulierungsdimensionen der Privatschulen im Großen und Ganzen den Eigenschaften der öffentlichen Schulen: segregierende Zugangsvoraussetzungen, —————— 143 Beispielsweise hätten Eltern in Bayern die Möglichkeit ihr Kind auf eine private Gesamtschule, die in Bayern als öffentliche Schulform bis auf zwei Schulversuche nicht vorgesehen sind, zu schicken. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 245 fragmentierte Leistungsstruktur, Dominanz der Steuerfinanzierung, staatliche Aufsichtsbehörde und moderate Wahlfreiheit. Eine bemerkenswerte Abweichung ist allerdings beim Finanzierungsmechanismus festzustellen, trotz des Sondierungsverbots. Da öffentliche Schulen kostenfrei sind, Privatschulen aber Schulgebühren erheben, besteht für einkommensschwache Familien eine erhebliche Hürde, ihren Kindern den Besuch einer Privatschule zu ermöglichen. Selbst wenn die erhobenen Gebühren neben der Steuerfinanzierung nur einen kleinen Teil ausmachen, erschweren die Schulgebühren den Zugang zu Privatschulen. Ebenso können Privatschulen bei entsprechenden Einnahmen zusätzliche Leistungen anbieten, die Schülern an öffentlichen Schulen vorenthalten bleiben. Vor allem Internate und internationale Privatschulen können andere Leistungen als öffentliche Schulen anbieten. Schließlich ist noch hervorzuheben, dass private Beiträge, und dazu gehören Schulgebühren, ein typisches Element eines konservativen Wohlfahrtsregimes sind. Außerdem ist die Bevorzugung konfessioneller Anbieter typisch für konservative Wohlfahrtsstaaten. Zwar wurde der finanzielle Vorteil der Privatschulen Ende der 1980er Jahre abgeschafft, allerdings profitieren die privaten Konfessionsschulen weiterhin von ihrer Vormachtstellung. Als gemeinnützige Organisationen besitzen sie gemeinhin hohes Ansehen und müssen keine profitorientierten säkularen Konkurrenten fürchten. Starke Kirchen und das Bundesverfassungsgericht als Akteure des deutschen Bildungsmarkt Der deutsche Privatschulmarkt zeigt deutliche Pfadabhängigkeiten auf und wurde so stark institutionalisiert, dass die Privatschulen im Grundgesetz geschützt sind. Einige Regulierungselemente des Privatschulwesens gehen bis auf die Weimarer Verfassung zurück. Die hauptsächliche Kodifizierung erfolgte aber im Parlamentarischen Rat unter starkem Einfluss der Kirchen und der FDP. Sie zielten darauf ab, konfessionelle Schulen im öffentlichen und privaten Bildungswesen zu erhalten. Damit sind die politischen Wurzeln des Bildungsmarktes christlich-liberal geprägt. Die Kernmerkmale des deutschen Bildungsmarktes sind die statusdifferenzierenden Zugangsvoraussetzungen (Leistung, Religion, Einkommen), eine fragmentierte Leistungsstruktur, begrenzte Wahlfreiheit und eine Mischfinanzierung aus staatlichen Zuschüssen und privaten Beiträgen. Diese Eigenschaften gehen zum Teil bis auf die Weimarer Republik 246 WOHLFAHRTSMÄRKTE zurück und bauen auf den Vorgängerinstitutionen auf. Zudem weist der Privatschulmarkt Eigenschaften auf, die für konservative Wohlfahrtsregime typisch sind. Beispielsweise ähnelt die Erhebung von Schulgebühren anderen zusätzlichen Eigenbeiträgen wie Krankenhausgeld, individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) oder Pflegegebühren im deutschen Sozialstaat und anderen konservativ geprägten Wohlfahrtsstaaten (vgl. u.a. Bode 2008; Ewert 2013). Der Bildungsmarkt war, wie bereits erwähnt, von außerordentlicher Kontinuität geprägt. Nach der Marktgründung in den 1950er Jahren erfolgte eine einzige Marktliberalisierung Ende der 1980er Jahre, als das Bundesverfassungsgericht die Finanzierung konfessioneller und säkularer Privatschulen gleichstellte. Die Judikative trug somit zentral zur Marktliberalisierung bei, gänzlich ohne politische Initiative der Legislativen. Dieser institutionelle Wandel ist als eine conversion einzustufen (vgl. Streeck/Thelen 2005b). Demnach erfolgte eine Uminterpretation der Zielsetzung der Privatschulfinanzierung, ohne die Kerninstitution – in diesem Fall das Grundgesetz – zu ändern. Lediglich die Landesgesetze mussten an die neue Rechtslage angepasst werden. Abgesehen von der beobachteten schleichenden Privatisierung (Anstieg der Privatschulen und -schüler, s. Abbildung 12) ist kein fundamentaler institutioneller Wandel festzustellen, was die Hypothese der conversion bis Mitte der 1990er Jahre bestätigt. Trotz der hohen institutionellen Kontinuität und Bewahrung des deutschen Schulsystems wenden sich zunehmend einige Individuen von den öffentlichen Schulen ab und nutzen den privaten Bildungsmarkt, obwohl die direkten Anreizstrukturen nicht verändert wurden. Damit werden die existierenden Institutionen untergraben und seit den 1990er Jahren deutet sich ein institutioneller Drift an. Warum diese Abwanderung in Privatschulen erfolgt ist umstritten,144 der verstärkte politische Diskurs über die Regulierung des Bildungsmarktes seit Ende der 2000er Jahre deutet jedoch auf eine Politisierung dieses Drifts hin. Neue bildungspolitische Akteure wie die Grünen und der Paritätische Wohlfahrtsverband präferieren Privatschulen unter bestimmten institutionellen Voraussetzungen. Sie scheinen, —————— 144 Herbst (2006: 134) diskutiert unter anderem verschiedene Gründe, kann sie aber kaum empirisch belegen. Einige Hinweise für individuelle Beweggründe für die Wahl einer Privatschule können Analysen des SOEP (Lohmann u.a. 2009) und der PISA Studie (Köppe 2012) aufzeigen. Von beiden Studien können nur Lohmann u.a. (2009) den Trend zu Privatschulen anhand soziodemografischer Merkmale in einer Längsschnittstudie (1995–2007) erklären. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 247 genauso wie die FDP, einen latenten Unmut über das öffentliche Bildungssystem politisch aufzugreifen und thematisch zu besetzen. Bislang ist aber eine hohe institutionelle Kontinuität festzustellen und kein unmittelbarer institutioneller Wandel deutet sich an, geschweige denn ein tiefgreifender Regimewandel. 5.2.3 Fazit – Rekalibrierung deutscher Sozialpolitik? Politikfeldübergreifend kann die Hauptvermutung bestätigt werden, dass elementare Eigenschaften der existierenden Renten- und Bildungsinstitutionen auf die neugegründeten Wohlfahrtsmärkte übertragen wurden. Überwiegend wurden die deutschen Renten- und Bildungsmärkte in das existierende Wohlfahrtsregime eingebettet, im Rentenmarkt sind aber auch Innovationen und Brüche zu beobachten, die zu institutionellen Disparitäten führen. In beiden Politikfeldern bestehen Statusdifferenzen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen (Berufsstatus, Schülerleistung), die deutschen Wohlfahrtsmärkte führen somit fragmentierte Sozialleistungen fort. Insbesondere einige Altersvorsorgewege stehen nur bestimmten Berufsgruppen offen (z.B. Rürup-Rente). Im Bildungsmarkt ist neben der Leistungsseparierung die konfessionelle und territoriale Fragmentierung hervorzuheben, wodurch ein Flickenteppich an Zugangsvoraussetzungen existiert. Ebenso sind die Renten- und Bildungsmärkte weiterhin von öffentlichen Mitteln abhängig. Gleichzeitig bewahrt der Gesetzgeber sowohl regulativ als auch monetär Einfluss auf die Wohlfahrtsmärkte. Trotz der öffentlichen Zuschüsse besteht vor allem im Rentenmarkt ein starker Beitragsbezug fort. Die möglichen sozialen Leistungen, die auf dem Rentenmarkt erworben werden, hängen, wie im konservativen Wohlfahrtsregime üblich, von den zuvor entrichteten Beiträgen ab. Schließlich spiegelt die Regulierung der Wahlfreiheit typische Eigenschaften existierender Wahloptionen im konservativen deutschen Wohlfahrtsstaat wider. Die Wahlfreiheit wurde sowohl im Renten- als auch im Bildungsmarkt ausgeweitet. Die Marktteilnahme ist freiwillig (Opt-in), gleichzeitig werden die Optionen aber durch die Lizenzierung der Anbieter und Produkte limitiert. Es wurden nur geringe Verbraucherrechte und Unterstützungssysteme für eine optimale Wahlentscheidung der Nutzer implementiert, was typisch für einen konservativen Wohlfahrtsstaat wie Deutschland ist. 248 WOHLFAHRTSMÄRKTE Wohlgemerkt sind auch untypische institutionelle Merkmale eingeführt worden. An dieser Stelle gilt es zu unterscheiden zwischen besonderen institutionellen Voraussetzungen des jeweiligen Politikfeldes und allgemeinen Trends im Rahmen des konservativen Wohlfahrtsregimes. Ersteres bezieht sich vor allem auf das Bildungssystem, das nicht Bestandteil der ursprünglichen Wohlfahrtsregimetypologie war (vgl. Esping-Andersen 1990): Die institutionellen Voraussetzungen im deutschen Bildungssystem widersprachen in einigen Regulierungsdimensionen den Eigenschaften konservativer Wohlfahrtsregime. Im Bildungsmarkt konnten nur die Eigenschaften in den Wohlfahrtsmarkt übernommen werden, die im öffentlichen Bildungssystem bereits existierten. Drei Eigenschaften waren davon betroffen: die öffentliche Verwaltung, private Schulgebühren und die territoriale Fragmentierung. Die staatliche Schulaufsicht ist im Grundgesetz fest verankert und wurde nicht mit der Marktliberalisierung angetastet. Die privaten Schulgebühren werden nicht von Arbeitgebern in den allgemeinbildenden Schulen paritätisch mitfinanziert, weil im Vergleich zur Sozialversicherung kein Beschäftigungsverhältnis besteht. Die Schulgebühren im Bildungsmarkt beinhalten aber an sich ein Element konservativer Wohlfahrtsregime, das im öffentlichen Schulwesen nicht zur Regulierungseigenschaft zählt: private Sozialbeiträge oder Gebühren. Die Erhebung von Schulgebühren rückt den Bildungsmarkt näher an das konservative Wohlfahrtsregime als die ausschließliche Steuerfinanzierung der öffentlichen Schulen. Die föderale Fragmentierung des Bildungssystems ist ebenso Bestandteil der verfassungsrechtlichen föderalen Aufgabenverteilung, wodurch eine zusätzliche Ebene der sozialen Ungleichheit hinzukommt, die in den deutschen Sozialversicherungen nicht zu finden ist. Diese föderale Fragmentierung führt zu einem ungleichen Zugang zu sozialen Leistungen, der für das konservative Regime typisch ist; wenn auch die Segregation im deutschen Wohlfahrtsstaat traditionell eher auf den Berufsstatus und ähnliche soziale Unterschiede zurückzuführen ist, anstatt auf territoriale Unterschiede. Insgesamt wurden auf den Bildungsmarkt die speziellen institutionellen Eigenschaften des öffentlichen Systems übertragen und die Abweichungen zum konservativen Wohlfahrtsregime blieben bestehen. Institutionelle Innovationen und Rekalibrierungen können insbesondere bei der privaten Altersvorsorge beobachtet werden. Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) war nicht das alleinige institutionelle REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 249 Vorbild, wodurch liberale und sozialdemokratische Regimeeigenschaften im neugegründeten Rentenmarkt gestärkt wurden. Erstens erfolgte die Abkehr von der paritätischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberfinanzierung. Wie bereits erläutert, ist dies eine Änderung gegenüber der bestehenden GRV. Es ist aber fraglich, wie gravierend diese Abkehr für die elementaren Eigenschaften des konservativen Regimes ist. Die paritätische Finanzierung erhöht zwar die Legitimation der Beitragszahlungen, der Netto-Effekt auf die Höhe der Beitragszahlung im Vergleich zum Brutto-Lohn ist freilich umstritten. Außerdem findet man die paritätische Finanzierung auch in liberalen Rentensystemen (USA, Großbritannien), zum Teil auch bei Betriebsrenten, jedoch nicht bei individuellen privaten Renten. Die paritätische Finanzierung scheint insgesamt ein ungeeigneter Indikator für Regimeunterschiede, dennoch ist es eine substanzielle Abweichung von der Vorgängerinstitution. Zweitens wurde die Selbstverwaltung der Riester-Rente mit einer staatlichen Aufsichtsbehörde und der privaten Kontenverwaltung ergänzt. Die Selbstverwaltung blieb in Teilen erhalten, die hauptsächliche Administration obliegt aber den Versicherungen. Im Gegenzug werden die privaten Marktanbieter stärker staatlich kontrolliert (BaFin). Drittens konnte auch eine leichte Tendenz zur Universalisierung der Riester-Rente festgestellt werden, was sie in diesem Aspekt näher an das sozialdemokratische Wohlfahrtsmodell rückte. Zusammengenommen treten in der Riester-Rente institutionelle Disparitäten zutage, die zu kontinuierlichen politischen Spannungen und Auseinandersetzungen führen. Die Einbettung der Riester-Rente scheint nicht abgeschlossen und bedarf weiterer Reformen, damit öffentliche und private Institutionen im Einklang sind. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Vorlagen zur Regulierung der deutschen Wohlfahrtsmärkte in benachbarten Institutionen im jeweiligen Politikfeld zu finden sind. Im Schulbereich existierte der Bildungsmarkt bereits seit der Gründung der Bundesrepublik. Dieser Wohlfahrtsmarkt wurde inkrementell für mehr private Anbieter geöffnet. Im Vergleich dazu wurde der Wohlfahrtsmarkt für die Riester-Rente völlig neu gegründet und bediente sich von Regulierungselementen der existierenden öffentlichen und privaten Institutionen wie der GRV und den Lebensversicherungen. 250 WOHLFAHRTSMÄRKTE Trotz der Übernahme von existierenden Regulierungseigenschaften haben zentrale Akteure die Regulierung der Märkte nach ihren Vorstellungen zum Teil beeinflussen und Innovationen einführen können. Die Parteien haben unterschiedliche Präferenzen bei der Einführung und der Regulierung der Wohlfahrtsmärkte, also ob sie eingeführt werden sollen und wie sie eingebettet werden sollen. Die parteipolitischen Präferenzen für die Einführung von Märkten scheinen in Deutschland nicht in ein Rechts-Links-Schema zu passen, vor allem weil keine säkularkonservative Partei Märkte, Privatisierungen und Wahlfreiheit offensiv propagiert. Wie zu erwarten sind in keinem der untersuchten Fälle die Unionsparteien als vehemente Unterstützer für mehr Marktmechanismen oder private Anbieter aufgetreten, teilweise lehnten die Unionsparteien die Einführung von Wohlfahrtsmärkten ab, wie die Verteidigung des Sozialversicherungsprinzips unter der Kohl-Regierung verdeutlichte. Die treibenden politischen Parteien für eine Wohlfahrtsmarktgründung waren die Sozialdemokraten (Rente) und die Liberalen (Bildung). Sowohl die linken (Sozialdemokraten, Grüne) als auch die bürgerlichen (FDP, Union) Parteien unterstützten die Einführung von Wohlfahrtsmärkten, wenn sie vermuteten, mit den Märkten ihre Parteiziele besser erreichen zu können. Die Linke votierte in den Bundesländern in denen sie Regierungsverantwortung hatte, noch nicht für eine Liberalisierung von Privatschulmärkten und bleibt somit die einzige etablierte Partei mit Regierungsverantwortung, die keiner Wohlfahrtsmarktreform zustimmte. Die Parteiendifferenzen werden bei der Regulierung der Wohlfahrtsmärkte viel deutlicher als bei der Einführung. Beispielsweise versuchen christlich-konservative Parteien Wohlfahrtsmärkte einzuführen, die Merkmale des konservativen Wohlfahrtsregimes aufweisen: Obwohl die CDU nicht für eine Ausweitung von Wohlfahrtsmärkten eintrat, strebte sie eine Einbettung der Märkte in das konservative Wohlfahrtsregime an. Sobald die Markteinführung unausweichlich erschien, plädierte sie für die Implementierung konservativer regulativer Merkmale. Beispielsweise unterstützte die CDU explizit die Freiwilligkeit der Riester-Rente und den Schutz konfessioneller Privatschulen. Die Analyse der anderen parteipolitischen Präferenzen offenbarte, dass Liberale, Sozialdemokraten und Grüne jeweils sehr unterschiedliche Wohlfahrtsmärkte befürworteten und versuchten, die Märkte entsprechend zu regulieren. Die linken Parteien unterstützten beispielsweise universelle Wohlfahrtsmärkte ohne Eintrittsbarrieren und möglichst mit hoher öffentlicher Finanzierung. Die Parteien versuchten, die REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 251 Märkte ideologisch zu prägen und zu gestalten. Während die christlichkonservative CDU als Bewahrerin des konservativen Wohlfahrtsregimes auftrat, versuchten die anderen Parteien, Regulierungselemente in die Märkte zu implementieren, die eher ihren Präferenzen entsprechen. Die Institutionen zeigen aber ein hohes Beharrungsvermögen und können nur in einzelnen Aspekten modernisiert werden. Trotz dieser Parteidifferenzen wurden überwiegend grundlegende Elemente des konservativen Regimes in die neuen Wohlfahrtsmärkte überführt. Entgegen Gingrich (2011), die den Parteien einen großen Einfluss auf die Regulierung zuschreibt, scheinen auch die existierenden wohlfahrtsstaatlichen Institutionen die Regulierung der Märkte stark zu beeinflussen. Neben den parteipolitischen Akteuren sind zwei weitere Akteursgruppen hervorzuheben, die den Wandel maßgeblich bestimmt haben: die dominierenden Marktanbieter zum Zeitpunkt der Marktgründung/-liberalisierung und das Bundesverfassungsgericht. Beide Akteursgruppen trugen maßgeblich zur Kontinuität und institutionellen Einbettung der Wohlfahrtsmärkte bei. Entgegen den politischen Parteien waren sie auf eine Übernahme bestehender institutioneller Rahmenbedingungen bedacht. Die dominierenden Marktanbieter konnten in beiden Fällen politische Unterstützung für eine Marktregulierung finden, die ihnen einen Marktvorteil einbringen würde (Fligstein 2001). Bei der Gründung des Rentenmarktes konnte die deutsche Versicherungswirtschaft erwirken, dass die Riester-Rente besonders vorteilhaft für sie ausgestaltet wurde und auf bestehenden Rentenversicherungen basierte. Die Gewerkschaften konnten erreichen, dass die Betriebsrenten steuerlich förderfähig sind und sie somit ihren Einfluss im reformierten Rentensystem erhalten konnten. Das gleiche Muster ist im Bildungsmarkt festzustellen. Die konfessionellen Privatschulen konnten ihre dominante Stellung mithilfe der christlichen Kirchen zunächst bei der Formulierung des Grundgesetzes verteidigen und später bei der Marktliberalisierung für säkulare Privatschulen ihre hohen öffentlichen Zuschüsse bewahren. In diesem Kontext erscheint der politische Einfluss der dominanten Marktakteure stärker zu sein als die eigentliche ideologische Präferenz der regierenden Parteien. Die dominanten Marktakteure konnten geschickt ihre Marktmacht in politische Macht ummünzen. Sie haben nicht immer eine Verbesserung der Marktregulierung in ihrem Sinne erzielt. Dennoch konnten beispielsweise die privaten Konfessionsschulen wiederholt erreichen, dass sie nach den Marktreformen wenigstens nicht benachteiligt waren. Neue Marktakteure (Banken, säkulare 252 WOHLFAHRTSMÄRKTE Privatschulen) werden als potenzielle Wettbewerber möglichst schon bei der Marktschaffung aus dem Markt gedrängt, indem ihnen die Marktzulassung verwehrt beziehungsweise erschwert wird. Durch diese Strategie verstärken die dominierenden Marktakteure die konservierende Wirkung von Institutionen. Der letzte zu erwähnende Akteur ist das starke Bundesverfassungsgericht als Wahrer des Grundgesetzes. Obwohl nur im Bildungsmarkt relevant, erwies sich das Bundesverfassungsgericht als der wichtigste Akteur, der sowohl Kontinuität als auch Wandel (conversion) bewirkte. Insbesondere das Urteil zur Gleichbehandlung konfessioneller und säkularer Privatschulen hatte wesentlichen Anteil an der Marktliberalisierung. Dieses richtungsweisende Urteil bewirkte einen technokratischen Wandel, denn in der politischen Arena wurde die Reform der Privatschulfinanzierung nicht als Marktliberalisierung wahrgenommen. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 5.3 253 Schweden – Die Neuerfindung des schwedischen Modells »Reinventing the Swedish Modell« (Anders Borg 2008, schwedischer Finanzminister 2006–2014) Für einen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat wie Schweden gilt, laut Esping-Andersen (1990) noch mehr als für Deutschland, dass marktförmige Sozialprogramme völlig untypisch sind. Diese Beobachtung trifft zwar auf die schwedische Sozialpolitik in den 1980er Jahren zu, seit den 1990er Jahren ist aber das Marktvolumen der Wohlfahrtsmärkte extrem angestiegen (vgl. Kapitel 4). In diesem Kapitel wird nun anhand der fünf Regulierungsdimensionen untersucht, wie die neuen Märkte in das bestehende sozialdemokratische Wohlfahrtsregime eingebettet wurden. Im Wesentlichen zeigt die empirische Analyse, dass eine Übertragung typischer sozialdemokratischer Eigenschaften wie Universalismus und staatliche Verwaltung auf die neuen Wohlfahrtsmärkte erfolgte. Allerdings wurde das schwedische Modell an einigen Stellen neu erfunden und modernisiert, wie es das Eingangszitat von Anders Borg (2008) prägnant auf den Punkt bringt. Zentral für diesen Wandel waren Veränderungen der ideologischen Präferenzen der politischen Akteure. Sie erzielten einen neuen sozialdemokratischen Konsens, der Märkte im schwedischen Wohlfahrtsregime akzeptiert, wenn sie bestimmte regulative Voraussetzungen wie universeller Zugang erfüllen. Obwohl bürgerliche Koalitionen die Initiative zur Einführung der Wohlfahrtsmärkte ergriffen und wichtige Reformschritte einleiteten, konnten die Sozialdemokraten die Regulierung der Märkte nach ihren parteipolitischen Präferenzen beeinflussen. Die Sozialdemokraten öffneten sich programmatisch gegenüber Märkten, favorisierten aber eine Regulierung, die ihren parteipolitischen Präferenzen näher lag.145 In dem Kapitel wird der Begriff »schwedisches Modell« verwendet, wenn spezifische Eigenschaften des schwedischen Wohlfahrtsregimes gemeint sind. Mit dem Begriff sind aber nicht nur sozialpolitische Institutionen gemeint, sondern auch ökonomische Rahmenbedingungen, poli- —————— 145 Gingrich (2011) kommt zu ähnlichen Ergebnissen der Marktreformen in den Politikfeldern Gesundheit, Pflege und Bildung. 254 WOHLFAHRTSMÄRKTE tische Traditionen und soziale Lebenslagen, die im Zusammenspiel typischerweise als schwedisches Sozialmodell charakterisiert werden.146 Das Kapitel ist folgendermaßen strukturiert: Zuerst wird die Einführung der sogenannten Prämienrente untersucht, womit ein obligatorischer Rentenmarkt in Schweden gegründet wurde. Anschließend wird die Marktliberalisierung für Privatschulen analysiert, die in Schweden als freie Schulen (fristående skolor) bezeichnet werden. In beiden Fallstudien dienen die bestehenden renten- und bildungspolitischen Institutionen vor 1990 als Vergleichsfolie. Allerdings wird bei der Analyse des Bildungsmarktes auch auf Reformen in den 1970er Jahren verwiesen, weil mehrere inkrementelle Reformen maßgeblich die Marktliberalisierung vorbereiteten. Die Ergebnisse werden am Ende des Kapitels politikfeldübergreifend diskutiert. 5.3.1 Rentenmarkt: Universelle Prämienrente und sozialdemokratischer Konsens »Das Verteilungssystem [war] das Kind der Sozialdemokraten […] und die Prämienrente war das Kind der Bürgerlichen« (Anna Hedborg – Sozialdemokratin und Generaldirektorin der Sozialversicherungsbehörde, 1996–2004). In den 1990er Jahren wurde das schwedische Rentensystem reformiert und eine zusätzliche private und obligatorische Rentenversicherung, die sogenannte Prämienrente (premiepension), wurde eingeführt. Wie auch in Deutschland wurde argumentiert, dass die Einführung der privaten Rentenversicherung ein Bruch mit dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime bedeute (Belfrage/Ryner 2009; Mahon 2007). In diesem Kapitel werde ich aber anhand der fünf Regulierungsdimensionen darlegen, dass der sozialdemokratische Pfad mit der Gründung des Rentenmarktes nicht verlassen wurde. Wesentliche Eigenschaften des schwedischen Rentensystems wurden bewahrt und die Prämienrente wurde in das modernisierte Rentensystem integriert. Ausschlaggebend für die Einbettung der neu ge- —————— 146 Häufig wird auch der Begriff »nordisches Modell« verwendet, um die Sozialsysteme der skandinavischen Staaten zu beschreiben (Hilson 2008; Kuhnle 2009). Auch dieser Begriff geht über das Wohlfahrtsregime hinaus und schließt den ökonomischen und politischen Kontext ein (Bergqvist/Lindbom 2003; Christiansen u.a. 2006; Erikson u.a. 1987; Greve 2007; Kangas/Palme 2005; Kautto u.a. 2001; Kautto u.a. 1999; Kildal/Kuhnle 2005; Sipilä u.a. 2009). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 255 gründeten Prämienrente war ein sozialdemokratischer Wertekanon der Entscheidungsträger. Basierend auf geteilten Werten wie Universalismus der Sozialsysteme konnte ein parteiübergreifender Konsens erzielt werden, der die Haupteigenschaften des schwedischen Modells bewahrte (vgl. Argumentation bei Green-Pedersen/Lindbom 2006; Kvist/Greve 2011). Bevor die Reform ausführlich erläutert wird, folgt zunächst eine Analyse des öffentlichen Rentensystems mithilfe der fünf Regulierungsdimensionen vor der Einführung des Rentenmarktes, inklusive eines kurzen historischen Überblicks. Anschließend werden die Einbettung des Rentenmarktes und das institutionelle Erbe der öffentlichen Rentenversicherung herausgearbeitet. Im letzten Abschnitt werden die Positionen parteipolitischer und weiterer zentraler Akteure analysiert und aufgezeigt, wie sie die Regulierung der privaten Prämienrente beeinflusst haben. Die historischen Wurzeln des schwedischen Rentensystems vor 1990 Das öffentliche Rentensystem wurde 1914 gegründet, allerdings hatte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht die spätere sozialdemokratische Ausprägung. Allerdings fallen in diese Zeit auch die Gründungen einer freiwilligen Zusatzversicherung (Frivillig Pensionsförsäkring) und der ersten Betriebsrenten, die auch noch Anfang der 1990er Jahre Bestand hatten (Jönsson Lundmark 1976; Sjöblom 2008). Das Anfang der 1990er Jahre gültige öffentliche Rentensystem wurde 1960 nach erbittertem politischen Kampf in Kraft gesetzt (Heese 2003; Loxbo 2007; Petersen/Åmark 2006; SOU 1990:76: 47–50) und kann folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. Zugangsvoraussetzungen. Das öffentliche Rentensystem Schwedens bestand aus zwei Säulen, die einen universellen Zugang zu Rentenleistungen garantierten. Die Basisrente (volkpension) garantierte eine Altersrente über dem Sozialhilfeniveau für alle Bürger Schwedens. Eine zusätzliche einkommensbezogene Rentenversicherung (ATP) garantierte den Lebensstandard und war obligatorisch für alle Einkommensbezieher. 2. Leistungsstruktur. Die Leistungen richteten sich nach dem vorherigen Einkommen als Leistungszusage. Die eigentliche Rentenhöhe des ATPSystems wurde durch die 15/30-Regel bestimmt: Es musste 30 Versicherungsjahre in die Rente einbezahlt werden, um Anrecht auf eine volle Rente zu erhalten. Die besten 15 Jahre bestimmten schließlich die Rentenhöhe. 256 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die maximale Rente lag jedoch nur knapp über dem Durchschnittseinkommen (rund 1,12faches Durchschnittseinkommen, Köppe 2007: 175).147 Tabelle 19: SCHWEDEN RENTE – Prämienrente Typ Zugang Leistungsstruktur Finanzierung Rentensystem Anfang 1990er universell Grundleistung & einkommensbezogene Sozialversicherung, hohe Sicherheitsgarantien Steuern Verwaltung Arbeitgeberbeiträge Staat Wahlfreiheit gering, obligatorisch Prämienrente (2012) universell, Rentenprüfung Beitragsbezug*, risikoadjustierter Standardfonds Beiträge steuerfrei, Zuschüsse für Kindererziehungszeiten* paritätisch (60/40) Staat (Pensionsmyndigheten/PPM) Obligatorium, Standardfonds, institutionalisierter Markt mit vielen Produkten, Optional: Hinterbliebenenschutz, Rentensplitting Quelle: eigene Darstellung, Unterschiede kursiv, * keine Regimeänderung wenn korrespondierende Säule berücksichtigt wird. 3. Finanzierungsmechanismus. Die Basisrente war steuerfinanziert und das ATP-System wurde ausschließlich über Arbeitgeberbeiträge finanziert. Grundsätzlich war das ATP-System ein umlagefinanziertes Rentensystem. Dennoch existierten erhebliche öffentliche Rücklagen, womit die ATPRente Elemente von privaten Rentenversicherungen enthielt (vgl. Kapitel 4.2). 4. Verwaltung. Beide Säulen der Rentenversicherung wurden von der staatlichen Rentenversicherungsbehörde (RFV – Riksförsäkringsverket) verwaltet. 5. Wahlfreiheit. Die Versicherten hatten keine Wahlmöglichkeiten, sondern alle Erwerbstätigen waren Versicherte beider Rentenversicherungen. Ledig- —————— 147 Die Lohnersatzrate lag für durchschnittliche Einkommen bei 60–65 %. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 257 lich die relativ geringe Beitragsbemessungsgrenze eröffnete die Möglichkeit, bereits bei leicht überdurchschnittlichem Einkommen zusätzlich in eine private Altersvorsorge zu investieren. Zwei Besonderheiten werden bei dieser Charakterisierung des schwedischen Rentensystems häufig übersehen. Erstens waren Betriebsrenten historisch integraler Bestandteil des schwedischen Rentensystems, insbesondere für Beschäftigte mit überdurchschnittlichem Einkommen. Die ATP-Rente hatte eine relativ geringe Beitragsbemessungsgrenze und Versicherte mit überdurchschnittlichem Einkommen waren durch Betriebsrenten abgesichert (Sjögren Lindquist/Wadensjö 2006; 2007). Rund 90 Prozent der Beschäftigten hatten Zugang zu den quasi-obligatorischen Betriebsrenten, die bis zur Rentenreform der 1990er Jahre eine Leistungszusage garantierten. Zweitens existierte von 1914 bis 1980 eine staatlich organisierte, private und freiwillige Zusatzversicherung (frivillig pensionsförsäkring), die kaum im politischen und akademischen Diskurs zur Rentenreform der 1990er Jahre Beachtung fand. Diese freiwillige Rente enthielt jedoch einige Regulierungseigenschaften, die in den 1990er Jahren wieder aufgegriffen wurden.148 Die wichtigste Eigenschaft war die staatliche Verwaltung der Rentenrücklagen. Das Reichsversicherungsamt verwaltete die individuellen Rentenkonten und investierte die Beiträge in staatliche Rentenfonds. Die Fonds waren kapitalgedeckt und die Leistungen wurden nach dem Lebenseinkommensprinzip berechnet. Allerdings bestand keine Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Fonds. Ebenso waren die Beiträge steuerfrei, gleichwohl konnten maximal 1000 SEK pro Jahr eingezahlt werden (1936), wodurch der zusätzliche Rentenmarkt begrenzt war. Seit der Einführung der ATP-Rente und dem Ausbau der Betriebsrenten gingen die freiwilligen Versicherten in den 1970er Jahren stark zurück. Die freiwillige Zusatzrente war ein Relikt aus der Gründungsphase des Rentensystems und schließlich ein Fremdkörper im sozialdemokratisierten System. Die sinkende Nachfrage besiegelt schließlich das Ende der Zusatzrente, sodass die freiwillige Zusatzrente im Jahr 1980 keine neuen Versicherten mehr aufnahm.149 —————— 148 Ausführlichere regulative Übersicht (Granqvist 1961; SFS 1962:521: 563–566; SOU 1990:76). 149 Die letzte Schätzung von 2009 ergab einen Versichertenbestand von 8.939, wovon bereits 4.839 ihre Rente bezogen (PM 2011: 75). 258 WOHLFAHRTSMÄRKTE Anfang der 1990er Jahre waren die Kerneigenschaften des schwedischen Rentensystems Universalismus, kombinierte Steuer- und Beitragsfinanzierung, staatliche Verwaltung und geringe Wahlfreiheiten (vgl. Zusammenfassung in Tabelle 19). Inwiefern konnten diese Eigenschaften im neuen Rentensystem erhalten werden? Oder waren einige alte Institutionen wie die freiwillige Zusatzrente sogar Vorbild für die Regulierung des neuen Rentenmarktes? Der folgende Abschnitt wird ausführlich die institutionellen Eigenschaften des neuen Rentensystems beschreiben und inwiefern der neue private Rentenmarkt in dieses Wohlfahrtsregime institutionell eingebettet wurde. Diese Veränderungen werden mit den Veränderungen des bestehenden Versicherungssystems verglichen, um Innovation und Pfadabhängigkeiten aufzuzeigen. Die universelle Prämienrente und die Einbettung des schwedischen Rentenmarktes Die Eckpunkte der Rentenreform wurden 1994 beschlossen und in detaillierter Form 1998 verabschiedet. Die vollständige Implementierung erfolgte in mehreren Schritten zwischen 1995 und 2001. Zunächst wurde das alte öffentliche Rentensystem, bestehend aus der Basisrente (volkpension) und der einkommensabhängigen ATP-Rente, durch die neue Garantierente (garantiepension) und Einkommensrente (inkomstpension) ersetzt. Die neue Garantierente stärkte einerseits die sozialen Rechte, weil sie erhöht wurde und nunmehr allen Bewohnern Schwedens zustand.150 Andererseits steigt die Grundrente aufgrund einer veränderten Indexierung nicht mehr so stark.151 Mit der neuen Einkommensrente wurde die 15/30-Regel des ATP-Systems durch das Lebenseinkommensprinzip ersetzt. Fortan wurden alle Beitragsjahre in die Berechnung der Rentenhöhe einbezogen. Diese Teile der Reform zielten überwiegend auf eine Kostenreduzierung ab, ohne jedoch den sozialdemokratischen Charakter des Rentensystems im Kern zu verändern (zu den Reformdetails und den genauen Übergangsregeln siehe u. a. Köhler 1999; 2004; 2007; Köppe 2007; Loxbo 2007; Palme 2001; —————— 150 Die volle Garantierente wird nach dem 65. Lebensjahr ausgezahlt und beträgt seitdem 2,13 Preisgrundbeträge (vorher 0,96) für Alleinstehende. In Schweden basiert die Höhe fast aller Sozialleistungen auf Preisgrundbeträgen als Berechnungsgrundlage. 151 Umstellung von Lohn- auf Preisindexierung. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 259 2003; Palme u.a. 2003; Scherman 2004; Settergren 2003; SOU 1994:20; Sundén 2000; 2005; 2006; Turner 2004).152 Zusätzlich wurde gleichzeitig eine kapitalgedeckte private Rentenversicherung, die sogenannte Prämienrente (premiepension), implementiert, die nun in das reformierte öffentliche Rentensystem integriert werden musste. Dadurch ergeben sich zwei Vergleichsebenen, um die Einbettung zu evaluieren: Erstens wird die Markteinbettung mit dem alten öffentlichen System verglichen und zweitens wird überprüft, welche Eigenschaften das reformierte öffentliche Rentensystem gegenüber der Prämienrente aufweist. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem zeitlichen Vergleich, das heißt vor und nach der Reform. In den folgenden Abschnitten werden zuerst die Unterschiede des öffentlichen Systems, die auch die Prämienrente betreffen, analysiert, um anschließend die Einbettung der Prämienrente in das Rentensystem zu untersuchen. Änderungen des gesamten Rentensystems Der erste Teil betrifft vor allem die zwei Regulierungsdimensionen Zugangsvoraussetzungen und Finanzierungsmechanismus: Das gesamte Rentensystem ist weiterhin universell. Alle Einwohner haben nach 40 Jahren Wohnsitz in Schweden Anrecht auf die Garantierente, die weiterhin steuerfinanziert ist. Ebenso zahlen alle Erwerbstätigen 17,21 Prozent ihres Bruttoeinkommens in die einkommensbezogene Säule ein (Einkommens- und Prämienrente).153 Die obligatorischen Beiträge sind insgesamt gesunken, sodass die zusätzliche Prämienrente keine Mehrbelastung bedeutet (vgl. Tabelle 5). Die ausschließliche Arbeitgeberfinanzierung der Beiträge wurde abgeschafft, denn auch die Arbeitnehmer bezahlen nun einen Teil der Beiträge. Die Arbeitgeber entrichten aber weiterhin einen geringfügig höheren An- —————— 152 Ein weiteres wichtiges Reformelement war die sogenannte automatische Bremse (brömsen). Das Rentenniveau sinkt demnach automatisch, wenn sich ökonomische und demografische Eckdaten schlechter entwickeln als erwartet (Palme 2003; Scherman 2004). Obwohl die Bremse politisch als unangreifbar gilt, verabschiedete die Reinfeldt Koalition eine Steuersenkung für Rentner, sodass sie netto von einer automatischen Rentenminderung nicht betroffen waren (Skatteutskottets betänkande 2009/10:SkU24). Ebenso wurde die Regelaltersgrenze flexibilisiert. Das Regelrentenalter wurde von 65 auf 67 angehoben, allerdings kann die Rente voll oder in Teilen schon ab dem 61. Lebensjahr mit Abschlägen in Anspruch genommen werden. Ein späterer Renteneintritt erhöht hingegen die Rentenleistungen (Köppe 2007: 174; Kruse 2003). Im Jahr 2011 wurde eine weitere Erhöhung der Regelaltersgrenze diskutiert (Dir. 2011:34). 153 vgl. Fußnote 50. 260 WOHLFAHRTSMÄRKTE teil als die Arbeitnehmer (~60 % des Gesamtbeitrags, vgl. Tabelle 6).154 Wie bereits erläutert, hat dieser Wandel insbesondere politisch-symbolische Bedeutung. Der fortbestehende Universalismus und die veränderte Finanzierung betreffen das gesamte Rentensystem, das heißt sowohl den privaten (Prämienrente) als auch den öffentlichen (Garantierente, Einkommensrente) Teil des Rentensystems. Die ergänzende Prämienrente wurde, wie eingangs erwähnt, häufig als Pfadbruch bezeichnet, weil eine private Rentenversicherung grundsätzlich nicht zum schwedischen Modell passe (Belfrage/Ryner 2009; Mahon 2007). Die Prämienrente wurde aber in diesen beiden Regulierungsdimensionen vollständig in die Institution eingebettet und es besteht kein Unterschied zum reformierten öffentlichen Rentensystem (Green-Pedersen/Lindbom 2006). Im Vergleich zum alten Rentensystem wurde der universelle Zugang beibehalten. Auch die Kapitaldeckung ist keine institutionelle Neuerung. Ebenso wurden Kapitalrücklagen im Wert von rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Einkommensrente gebildet (vgl. Abbildung 6). Schließlich ist die Prämienrente nur ein ergänzender Wohlfahrtsmarkt (layering), denn lediglich rund 13,5 Prozent der gesamten Beiträge fließen in das neue System. Ausschließliche Regulierung der Prämienrente Einige weitere Eigenschaften des neuen Marktes sprechen für eine Integration der Prämienrente in das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime Schwedens. Die folgenden Eigenschaften beziehen sich ausschließlich auf die Prämienrente und weisen dennoch eine Einbettung in das Rentensystem auf: 2. Leistungsstruktur. Für eine Einbettung der Prämienrente spricht der Beitragsbezug. Wie auch bei der ATP-Rente sind die Leistungen der Prämienrente von den geleisteten Beiträgen abhängig. Allerdings bedeutet die Abkehr von der Leistungszusage (DB) zur Beitragsorientierung (DC), dass die —————— 154 Bei Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze verschiebt sich der Anteil weiter zu Ungunsten der Arbeitgeber. Die Arbeitnehmerbeiträge sind mit der Grenze gedeckelt, für die Arbeitgeberbeiträge gilt diese Bemessungsgrenze nicht, weshalb der Arbeitgeberanteil bei Einkommen über 383.250 SEK (~40.000 €) pro Jahr (2010) mehr als 60 % beträgt. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 261 Versicherten nicht mehr direkt von ihren Beiträgen auf die Rentenhöhe schließen können. Die tatsächliche Rentenhöhe hängt maßgeblich von der Kursentwicklung und den getroffenen Anlageentscheidungen ab. Wohlgemerkt betrifft dieser Wandel zur Beitragsorientierung sowohl die Einkommens- als auch die Prämienrente. Das bedeutet, der Wandel betrifft das gesamte Rentensystem und nicht nur die marktförmige Prämienrente.155 3. Finanzierungsmechanismus. Wie schon in Tabelle 5 dargelegt, werden 2,3 Prozent des Bruttoeinkommens in die Prämienrente investiert (siehe auch Fußnote 50). Die Beiträge sind steuerfrei, ebenso wie die Beiträge zur Einkommensrente (14,9 Prozent). Als weitere Kosten sind die Verwaltungsgebühren für die Rentenfonds und die Prämienrentenbehörde (PPM – Pensionsmyndighet, s. Verwaltung) zu nennen. Da die Prämienrente obligatorisch ist, bestehen keine steuerlichen Anreize. 4. Verwaltung. Wie auch die Einkommensrente wird die Prämienrente staatlich verwaltet. Im Jahre 2002 wurde mit der Prämienrentenbehörde (PPM) eine neue regierungsunabhängige – aber staatliche – Behörde gegründet, deren Aufgabe darin bestand, die Anbieter und Produkte zu zertifizieren, die Anlagekonten zu verwalten, die Beiträge bei den Anbietern zentral anzulegen sowie die Bürger bei ihrer Anlagestrategie zu beraten. Im Jahr 2010 wurde die PPM mit der allgemeinen Rentenversicherung zu einer Rentenbehörde (Pensionsmyndighet) zusammengefasst, die seitdem für alle Belange des allgemeinen Rentensystems zuständig ist (Prop. 2008/09:202). Die Fondsabteilung (Fondenheten) der Rentenbehörde ist nunmehr für die Aufgaben zuständig, die vorher ausschließlich von der PPM ausgeführt wurden.156 Die Marktmechanismen wurden von der Zusammenlegung der beiden Behörden nicht tangiert, für die Versicherten besteht aber der Vor- —————— 155 Bei der Rentenhöhe ist auch anzumerken, dass die Einkommens- und Prämienrente zusammen auf die Grundrente angerechnet werden (Sundén 2000: 11). Das Berechnungsverfahren folgt dem Prinzip der »Rentenprüfung«, denn andere Einkommensquellen (Betriebsrenten etc.) werden bei der Ermittlung der Grundrente nicht berücksichtigt. Diese Integration der Rentenprüfung ist ein weiteres Indiz für die Einbettung der Prämienrente. 156 Von den rund 250 Mitarbeitern (Stand 2003, PPM 2003: 8) sind die meisten in die neue Rentenbehörde übernommen worden und alle unterstützenden Dienstleistungen (Internetauftritt, Informationsmaterial, Presseabteilung etc.) sind in der neuen Behörde aufgegangen. Die konkrete Verwaltung der Prämienrente ist lediglich als eigenständige Abteilung von 20 Mitarbeitern (2011) erhalten geblieben. Quelle: Persönliche Kommunikation mit der Rentenbehörde. 262 WOHLFAHRTSMÄRKTE teil, nur einen Ansprechpartner für alle Fragen zur Altersvorsorge zu haben. Insgesamt entspricht dieses Modell der staatlichen Kontenverwaltung und Beratung der eingangs erwähnten freiwilligen Zusatzversicherung von 1914. Die zentrale staatliche Verwaltung hat einen positiven Nebeneffekt für die Versicherten, denn die Verwaltungsgebühren der PPM sind extrem niedrig (0,3–0,5 %) im Vergleich zu anderen privaten Rentenversicherungen, weil die Fondseinlagen kollektiv anstatt individuell verwaltet werden (Prop. 1999/2000:46). 5. Wahlfreiheit. Die Wahlfreiheit wurde mit der Prämienrente zwar erhöht, blieb aber auch begrenzt, weil die private Versicherung obligatorisch ist. Die Ausweitung der Wahloptionen bestand hauptsächlich darin, dass Banken und Versicherungen Altersrenten anbieten, die nach individuellen Risikopräferenzen ausgewählt werden können (Opt-within). Die Wahlfreiheit der Rentenfonds wurde 2001 eingeführt und 2010 grundlegend reformiert, weshalb zuerst das ursprüngliche und anschließend das reformierte System der internen Wahlfreiheit erläutert wird. Wahlfreiheit 2001–2009: Zwischen 2001 und 2009 konnten die Versicherten frei wählen, in welchen der zugelassenen Fonds sie ihre Beiträge investierten. Die Wechsel zwischen den Fonds waren individuell betrachtet kostenfrei, weil die Wechselgebühren in einer globalen Verwaltungsgebühr von der PPM mit anderen Verwaltungskosten zusammengefasst wurden, die vom Versichertenkollektiv getragen wurde. Die Versicherten, die viele Wechsel durchführten, bezahlten genauso viel wie die Versicherten, die keine Wechsel vornahmen. Die kostenlosen Wechsel des Portfolios ermöglichten eine hohe Wahlfreiheit und die Korrektur von Fehlentscheidungen ohne finanzielle Transaktionskosten.157 Maximal konnten 5 Fonds im persönlichen Portfolio gehalten werden (Palme 2003: 156).158 Insgesamt bestand eine breite Angebotspalette von verschiedenen Anbietern und Produkten.159 —————— 157 Informationskosten und ähnliche indirekte Transaktionskosten fielen trotzdem an. 158 Diese Maximalregelung gilt über 2010 hinaus. 159 Jeder Fondsmanager durfte maximal 25 Rentenfonds registrieren. Konsortialanbieter, d.h. ein Zusammenschluss von Fondsmanagern (förvaltargrupp), durften maximal 50 Fonds registrieren (Prop. 2009/10:44: 27, SOU 2005:87: 171). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 263 Für jene, die von ihrer Wahloption in der Prämienrente keinen Gebrauch machten, existierte bis Ende 2009 der staatliche Prämiensparfonds (Premiesparfonden). Vom staatlichen Sjunde AP-fonden (AP7) wurde der Prämiensparfonds verwaltet.160 Wer sich jedoch einmal aktiv für einen privaten Fonds entschied, konnte nicht mehr in den öffentlichen Prämiensparfonds zurückkehren. Alle neuen Sparer erhielten anfangs von der PPM einen Brief, der zu einer aktiven Entscheidung und Anlagestrategie ermunterte, sprich sie sollten den Prämiensparfonds verlassen.161 Der Prämiensparfonds war eher konservativ zusammengestellt und schnitt insbesondere in Krisenphasen relativ erfolgreich ab. Die zweite staatlich verwaltete Alternative war der Prämienwahlfonds (Premievalfonden). Der Prämienwahlfonds war ein Mix aus festverzinslichen Fonds und Aktienfonds. AP7 bot somit eine Anlage mit mittlerem Risiko an und richtete sich mit dem Prämienwahlfonds an durchschnittliche Anleger. Das staatliche Siegel suggerierte aber fälschlicherweise eine sichere Anlage, denn der hohe Aktienanteil barg ein höheres Risiko, als es beispielsweise für ältere Versicherte empfehlenswert gewesen wäre. Zusätzlich zur freien Fondswahl wurden verschiedene Leistungsoptionen eingeführt, wie eine Teilrente (25/50/75/100 Prozent), flexibles Rentenalter ab 61 Jahren, Hinterbliebenenschutz und Rentensplitting, die letzten beiden Optionen sind nur in der Prämienrente möglich (Köhler 1999; Palmer 2000). Die Wahloptionen wurden also behutsam erweitert, die Versicherungspflicht wurde aber nicht angetastet und für alle die nicht von ihren Wahlfreiheiten Gebrauch machten, existierte ein staatlicher Fonds. Wie schon in Kapitel 4.1.2 (S. 142 ff.) diskutiert, verblieben viele Versicherte in dem staatlichen Prämiensparfonds ohne eine aktive Wahl zu treffen (u.a. Sundén 2005). Obwohl der staatliche Prämiensparfonds für —————— 160 Obwohl der Sjunde AP-fonden ein staatlich verwalteter Fond war (und ist), vergab er Teilaufträge an schwedische Privatbanken, um die Investitionen aktiv zu managen und zu verwalten, d.h. private Subunternehmer sind an dem öffentlichen Fonds beteiligt (http://www.ap7.se/sv/hur-vi-arbetar/Aktieplaceringar/Intern-och-extern-aktieforvalt ning). 161 Bis 2006 wurden alle neuen Sparer, d.h. überwiegend Berufsanfänger mit geringem Anlagekapital angeschrieben. Im Jahr 2007 änderte die PPM ihre Kommunikationsstrategie und ermunterte nur diejenigen Sparer, die größere Summen im Prämiensparfonds hatten und längere Zeit im System waren. Die Strategie war zumindest dahingehend erfolgreich, dass die Anzahl derer, die den Prämiensparfonds verließen, von 10.000 auf über 90.000 zwischen 2001 und 2007 anstieg. Dennoch verblieb die überwiegende Mehrheit der Sparer im Prämiensparfonds (Prop. 2009/10:44: 30). 264 WOHLFAHRTSMÄRKTE den Durchschnitt der Versicherten eine gute Wahl war, verloren andere Versicherte viel Geld, weil die Risikostruktur des staatlichen Fonds nicht ihren Bedürfnissen entsprach. Beispielsweise hielten ältere Versicherte kurz vor dem Renteneintritt ein relativ risikoreiches Portfolio, obwohl konservative Anlagen wie festverzinsliche Papiere und Staatsanleihen in dieser Lebensphase zu präferieren sind. Umgekehrt wurde nicht berücksichtigt, dass jüngere Versicherte in riskantere Anlagen investieren können, weil sie mögliche Kurseinbrüche über einen langfristigen Investitionszeitraum im Portfolio ausgleichen können (Legros 2006; Sjögren Lindquist/Wadensjö 2011). Wahlfreiheit seit 2010: Aufgrund dieses Anlegerverhaltens und unter Einbeziehung von Forschungsergebnissen und Experten der Psychologie und Verhaltensökonomie wurde der Prämiensparfonds 2010 grundlegend reformiert (Prop. 2009/10:44: 37; SOU 2005:87). Die Änderungen traten im Januar und Mai 2010 in Kraft. Erstens werden seit Januar 2010 für jeden Wechsel des Anlagekontos Gebühren erhoben. Die Wahlfreiheit wurde damit eingeschränkt. Hauptgrund für diese Einschränkung war das ungleiche Wechselverhalten der Versicherten. Wie in Kapitel 4.1.2 (S. 142 ff.) erläutert, wechselte nur ein kleiner Teil der Versicherten regelmäßig und häufig das Portfolio. Eine kleine Minderheit profitierte deshalb von dieser Reglung auf Kosten der Mehrheit der Versicherten. Das politische Ziel war hier mehr Gerechtigkeit zu schaffen, indem die Versicherten die Wechselkosten tragen, die sie verursachen und die Vorteile des Wechsels nutzen. Zweitens können die Fondsmanager weniger Rentenfonds anbieten.162 Diese Regelung wird zwar eine drastische Ausweitung des Angebots verhindern, dennoch besteht weiterhin Wachstumspotenzial, weil die derzeit rund 80 Anbieter die theoretisch maximale Anzahl von 2000 Fonds noch nicht ausgeschöpft haben (vgl. Tabelle 8). Drittens wurden der globale Prämiensparfonds und der Prämienwahlfonds im Mai 2010 abgeschafft. Der Sjunde AP-fonden (AP7) legte sechs neue Fonds auf, die stärker das Alter und die Risikopräferenzen der Versicherten berücksichtigen. Im Endeffekt wurden zwei grundverschiedene —————— 162 Die maximale Anzahl der Fonds pro Fondsmanager wurde einheitlich auf 25 beschränkt. Wenn Fondsmanager sich als Konsortialanbieter zusammenschließen, wird der Fonds der Konsortialanbieter seit 2010 mitgezählt (Prop. 2009/10:44: 27). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 265 Fonds aufgelegt (Aktien- und Rentenfonds) und die anderen vier angebotenen Produkte kombinieren die beiden Fonds in Anteilen (Offensiv, Balanserad, Försiktig, Såfa).163 Die Versicherten können den Mix aus Aktien- und Rentenfonds aber auch selbstständig bestimmen und andere Prozentanteile auswählen. Der Standardfonds für alle Versicherten, die keine Wahlentscheidung treffen, ist seit Mai 2010 der staatliche Lebenszyklusfonds Såfa (Statens årskullsförvaltningsalternativ). Die Risikostruktur wird automatisch dem Alter der Versicherten angepasst, sodass sich die Versicherten vertrauensvoll auf dem Sofa zurücklehnen können, wie das Akronym nahelegt.164 Der Standardfonds steht im Gegensatz zum alten Prämiensparfonds auch denjenigen offen, die sich zu einem früheren Zeitpunkt aktiv für andere Fonds entschieden hatten. Es besteht also nun die Möglichkeit, nach einer Phase des aktiven individuellen Portfoliomanagements wieder in einen staatlich gemanagten Fonds zurückzukehren. Der neue Standardfonds und die anderen fünf angebotenen staatlichen Fonds berücksichtigen das bisher beobachtete Wahlverhalten der schwedischen Versicherten besser. Die sechs neuen staatlichen Alternativen bieten sehr einfache und übersichtlichere Anlageoptionen an, die nach Risikostruktur gestaffelt sind. Wenn keine Wahlentscheidung erfolgt, wird das Portfolio automatisch dem Alter der Versicherten angepasst. Die Entscheidung das Portfolio aktiv zu managen ist nicht endgültig, sondern kann auch wieder rückgängig gemacht werden. Auf diese Weise wird dem Bedürfnis nach Sicherheit und Wahlfreiheit auf unterschiedliche Weise entsprochen: Einerseits wurde die Wahlfreiheit eingeschränkt, weil ein Fondswechsel teurer geworden ist. Seit 2010 fallen Gebühren für jeden —————— 163 Der Aktienfonds (AP7 Aktiefond) hat ein hohes Risiko, verlangt relativ hohe Gebühren (0,15 %), erhöht aber die Chance hoher Renditen. Der zweite Fonds ist ein Rentenfonds (AP7 Räntefonds) aus festverzinslichen Papieren (schwedische Staatsanleihen, Obligationen), der eine hohe Sicherheit, geringe Gebühren (0,09 %), jedoch geringere Renditen verspricht. Drei zusätzliche Fonds kombinieren den Aktien- und Rentenfonds zu verschiedenen Anteilen und ermöglichen somit zwischen individuellen Risikopräferenzen auszuwählen. Der »offensive« Fonds enthält 75 % vom Aktienfonds (AP7 Offensiv), der »gemischte« Fonds enthält 50 % vom Aktienfonds (AP7 Balanserad) und der »vorsichtige« Fonds enthält 33 % vom Aktienfonds (AP7 Försiktig). Die Differenz zu hundert Prozent wird jeweils in den Rentenfonds angelegt. 164 Bis zum Alter von 55 Jahren wird das gesamte Kapital in den Aktienfonds investiert. Danach werden jährlich drei Prozent des Kapitals in den Rentenfonds umgeschichtet, bis zum Alter von 75 Jahren, wenn 67 % des Kapitals im Rentenfonds und 33 % im Aktienfonds investiert sind (entspricht dem Försiktig-Fonds). 266 WOHLFAHRTSMÄRKTE Wechsel im Portfolio an. Diese Transaktionskosten könnten Versicherte davon abhalten, ihr Portfolio regelmäßig anzupassen. Anderseits wurde die Wahlfreiheit in Bezug auf die staatlich gemanagten Fonds erhöht. Es besteht die Möglichkeit wieder in den staatlichen Standardfonds zurückzukehren und die höhere Transparenz der staatlichen Fonds erhöht ebenfalls die Wahlfreiheit. Was bedeuten diese ganzen Optionen und Änderungen für die Wahlfreiheit insgesamt? Alles in allem wurde die Wahlfreiheit der Prämienrente in das sozialdemokratische Rentensystem eingebettet, weil eine Versicherungspflicht besteht und alle Versicherten der Einkommensrente auch eine Prämienrente erwerben. Gleichzeitig wurde die Wahlfreiheit innerhalb der Prämienrente mit der Gründung des Wohlfahrtsmarktes ausgeweitet (Optwithin), denn es bestehen viele Wahloptionen zwischen den einzelnen Fonds. Zusätzlich wurde aber ein staatlicher Standardfonds eingerichtet, der diejenigen aufnimmt, die keine Wahlentscheidung treffen. Mit der jüngsten Reform wurde der staatliche Einfluss auf die Wahlfreiheit erhöht, indem einfache Produkte angeboten werden, die individuelle Entscheidungen über das Portfolio abnehmen. Der »sozialdemokratische Paternalismus« setzt auf Pflichtversicherungen, Standardoptionen und Wahloptionen werden nur innerhalb des Wohlfahrtsmarktes unter staatlicher Kontrolle (Standardfonds, Verwaltung, Informationen) ermöglicht (vgl. Kapitel 3.3). Pfadabhängigkeit und Neuerfindung? In der Literatur wurde meist der institutionelle Wandel durch die Reform betont (Anderson/Meyer 2003; Belfrage/Ryner 2009; Mahon 2007; Schludi 2005), insbesondere die Ergänzung der Umlagefinanzierung durch das kapitalgedeckte Element der Prämienrente wurde dabei hervorgehoben (Myles/Pierson 2001). Allerdings wird hier übersehen, dass auch im öffentlichen umlagefinanzierten Rentensystem Rücklagen gebildet wurden. Zentraler für die Marktschaffung ist die Einführung von privaten Anbietern und Wettbewerb zwischen ihnen. Die Regulierung des Marktes folgt jedoch in den grundlegenden Eigenschaften dem öffentlichen Rentensystem (vgl. ähnliches Argument bei Green-Pedersen/Lindbom 2006), wie die folgenden Ausführungen unterstreichen. Wie das Eingangszitat von Anders Borg suggeriert, ist die Rentenreform und Marktgründung in den 1990er Jahren eine »Neuerfindung des REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 267 schwedischen Modells«, weil Modernisierungen behutsam und inkrementell vorgenommen wurden und weil die wesentlichen Eigenschaften der alten Institution (Universalismus, staatliche Verwaltung, Obligatorium) im gesamten reformierten Rentensystem beibehalten wurden. Ebenso teilen die Prämienrente und die Einkommensrente Regulierungsmerkmale wie Rentenprüfung, Einkommensbezug und Versicherungspflicht. Laut Anna Hedborg (AH 192) zeige das neue Rentensystem »auch den sozialdemokratischen Sieg im Herzen der Gegner. Es ist ein allgemeines [universelles] System, das gleichzeitig einkommensbezogen und umverteilend ist«.165 Die Prämienrente ist somit vollständig in das schwedische Rentensystem integriert. Man kann im Fall der Prämienrente nur bedingt von einer Anlagerung an die bestehenden Institution sprechen (layering nach Streeck/Thelen 2005b). Die Einbettung der Prämienrente in das reformierte Rentensystem erfolgte aus einem Guss, sodass man nicht direkt von einer autonomen Institution sprechen kann, die eine eigene Wachstumsdynamik entfalten kann. Der finanzielle Rahmen der Prämienrente ist klar begrenzt und entgegen der Annahme, dass viele Versicherte in private Fonds investieren würden, haben sehr viele den staatlichen Fonds gewählt. Die Eigenständigkeit der Prämienrente hat zu keinem unintendierten Wachstum geführt. In der jüngsten Reform wurde die organisatorische Autonomie sogar verringert, denn die Prämienrentenbehörde hat ihre Eigenständigkeit eingebüßt und ist nur noch eine Unterabteilung der allgemeinen Rentenbehörde. Zwar wurde das gesamte Rentensystem reformiert und mit der Prämienrente wurden Marktmechanismen implementiert, die Grundeigenschaften blieben allerdings in den untersuchten Regulierungsdimensionen erhalten. Die erhöhte Wahlfreiheit ist in diesem Kontext eine Innovation, die insbesondere in der Mittelschicht die Legitimation des schwedischen Modells erhöhte. Aber auch die neuen Wahloptionen wurden in das Rentensystem integriert und sind in diesem Sinne typisch für ein sozialdemokratisches Wohlfahrtsregime, in dem Gleichheit und Universalismus zentrale Ziele der Sozialpolitik sind. Ersten ist die private Vorsorge obligatorisch, wie auch die Einkommensrente (Universalismus). Zweitens wur- —————— 165 Wörtliche Zitate aus schwedischen Interviews und Publikation wurden in dieser Arbeit vom Autor übersetzt. Auf englische Übersetzungen wurde verzichtet, um möglichst den original Wortlaut zu erhalten. 268 WOHLFAHRTSMÄRKTE den mehrere Unterstützungssysteme für die Versicherten eingebaut, die bei der Wahlentscheidung helfen (Gleichheit). Die Rentenbehörde informiert die Versicherten umfassend über die verfügbaren Rentenfonds und der Staat bietet selbst Rentenfonds an, die zumindest das Anlagerisiko verringern. Die Gründung des Wohlfahrtsmarktes für private Rentenfonds erfolgte also im engen institutionellen Rahmen des existierenden Systems. Welche Machtkonstellation hat diese starke Einbettung begünstigt? Welche Akteure hatten ein starkes Interesse diese Einbettung in das Rentensystem zu forcieren? Der folgende Abschnitt wird insbesondere auf die weitreichende Wirkung der Rentenarbeitsgruppe (pensionsarbetsgrupp) eingehen, die in veränderten parteipolitischen Konstellationen den Reformprozess maßgeblich beeinflusste. Einbettung im Konsens hinter verschlossenen Türen Wie eingangs erläutert, wurde die Rentenreform in zwei Schritten in den 1990er Jahren ausgearbeitet und verabschiedet. Bisherige Analysen haben insbesondere die Macht der Gewerkschaften (Anderson/Meyer 2003) und der Spitzenbeamten (Marier 2005) in dem Reformprozess betont. Die folgende Analyse wird aufzeigen, dass die Reform maßgeblich durch einen parteipolitischen Konsens möglich wurde (Green-Pedersen/Lindbom 2006; Lindbom 2001). Im Prozess der Konsensfindung wurde der politische Spielraum kleiner, weil alle Parteien der Reform zustimmen mussten, weshalb die Märkte nach dem Vorbild der existierenden Renteninstitutionen und den Merkmalen des sozialdemokratischen Regimes eingebettet wurden. Als die bürgerliche Koalition, bestehend aus Konservativen (Moderaterna, M), Zentrumspartei (Centerpartiet, C), Christdemokraten (Kristdemokratiska Samhällspartiet, KD) und Liberalen (Folkpartiet liberalerna, FP), 1991 an die Macht kam, waren sozialpolitische Reformen weit oben auf der Agenda. Ein Hauptanliegen der bürgerlichen Regierung war die Kürzung von Sozialleistungen und die Privatisierung staatlicher Institutionen. Bevor die bürgerliche Regierung an die Macht kam, herrschte bereits ein breiter Konsens über die Notwendigkeit zur Reform, weil die langfristige Finanzierung des ATP-Systems nicht garantiert war. Die Wirtschaftskrise zwischen 1990 und 1993 erhöhte den Reformdruck auf die Sozialsysteme und vor allem auf das umlagefinanzierte Rentensystem. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 269 Obwohl hohe Rentenrücklagen in dem öffentlichen ATP Rentenfonds waren, geriet die Rentenversicherung in finanzielle Schwierigkeiten aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der hohen Arbeitslosigkeit. Diese ökonomischen Bedingungen unterstrichen die Position des bürgerlichen Lagers, eine Privatisierung des Rentensystems durchzusetzen und einen Wohlfahrtsmarkt für Rentenfonds einzuführen, versprechen kapitalgedeckte Rentenversicherungen doch eine Entlastung öffentlicher Haushalte. Die endgültige Verabschiedung der Reformgesetze dauerte aber bis 1998/2000, als die Sozialdemokraten an der Macht waren und der Staatshaushalt Überschüsse produzierte. Ausschlaggebend für die endgültige Verabschiedung der Rentenreform war also nicht das wirtschaftliche Umfeld, obwohl sowohl die ersten Reformentwürfe von der Wirtschaftskrise beeinflusst waren als auch die Notwendigkeit zur Reform durch die Finanzierungsengpässe offenbar wurde. Im Folgenden werde ich jedoch zeigen, welche politischen Konstellationen die institutionelle Einbettung der Prämienrente begünstigt haben. Die Rentenkommissionen und die Erzielung des Grundkonsens Die zentrale politische Institution zur Erzielung des Konsenses war die Rentenarbeitsgruppe (Pensionsarbetsgruppen – PAG). Sie wurde 1991 von Bo Könberg (BK), dem zuständigen liberalen Sozialversicherungsminister, eingesetzt. Tabelle 20 gibt einen Überblick über alle Kommissionsmitglieder sowie der Nachfolgekommission.166 Größere Reformvorhaben werden typischerweise in Schweden von Regierungskommissionen, sogenannten öffentlichen Untersuchungen (SOU – Statens öffentliga utredningar), vorbereitet (Jahn 2003). Aufgrund der Erfahrungen mit dem gescheiterten Rentenauschuss167 war Könberg daran gelegen, eine möglichst kleine Gruppe von Politikern zu formen, mit denen sowohl offene Diskussionen geführt werden können als auch poli- —————— 166 Zusätzlich gibt die Tabelle an, mit welchen Kommissionsmitgliedern Interviews geführt wurden. Die Interviews bilden neben offiziellen Dokumenten im Weiteren die Grundlage für die Analyse der politischen Einbettung der Prämienrente (Gläser/Laudel 2004; Legard u.a. 2003). 167 Könberg war von 1984–1990 Mitglied des Rentenausschusses, der ebenfalls Vorschläge zur Reform des Rentensystems erarbeiten sollte. Die Kommission scheiterte u.a., weil die vielen Mitglieder (Abgeordnete, Gewerkschaften, Industrie, Rentnerverband etc.) überwiegend Partikularinteressen vertraten und sich nicht auf eine Position einigen konnten (SOU 1990:76). 270 WOHLFAHRTSMÄRKTE tische Verhandlungen möglich wären, um eine weitreichende Reform zu erzielen (BK 31–33). Könberg versuchte mit der kleinen Kommission »so viel Vertrauen wie möglich zueinander aufzubauen, um neue Ideen einzubringen, als auch um bereit zu sein sich zurückzunehmen, wenn jemand gute Argumente dagegen hatte« (BK 56, Hervorhebungen Autor). Mit dieser Rentenkommission wurde der Entscheidungsprozess von Beginn an so gestaltet, dass eine Konsensfindung über ideologische Grenzen hinweg wahrscheinlicher wurde als auch innovative und »neue Ideen« in die Diskussion eingebracht werden konnten. Tabelle 20: Interviewte Abgeordnete und Mitgliedschaft in Rentenkommissionen (1991–2006) Abgeordnete Partei Könberg, Bo Wiklund, Pontus Westerholm, Barbro Gennser, Margit Pettersson, Åke Hedborg, Anna Thalén, Ingela Hoffman, Ulla Klingvall, Maj-Inger Björnemalm, Maud Kjörnsberg, Arne Svensson, Hans fp kd fp m c s s v s s s s PAG (1991–1994) X X X X X X X X (93–94) GG (1994–2006) X X X X (–96) X (–96/99–) X (96–99) X X X (96–99) Interviews KL SK X X X X X X X X X X X X Quelle: eigene Zusammenstellung (Loxbo 2007; Marier 2008: 109). Anmerkungen: in kursiv zentrale Akteure, v: Vänsterpartiet (Linkspartei), s: Socialdemokratiska Arbetarpartiet (Sozialdemokraten), c: Centrumspartiet (bäuerliche Zentrumspartei), m: Moderaterna (Säkular-Konservative), kd: Kristdemokraterna (Christdemokraten), fp: Folkets Partiet (Liberale Volkspartei), nd: Ny Demokrati (Rechtspopulisten) PAG: Rentenarbeitsgruppe, Pensionsarbetsgruppen (1991–1994), GG: Durchführungsgruppe, Genomförandegruppen (1994–2006); Nicht interviewt wurden folgende Mitglieder der PAG (Per Börjesson, v; Leif Bergdahl, nd) und GG (Rose-Marie Frebran, kd). Könberg und Wiklund waren auch Mitglieder im Rentenausschuss, Pensionsberedningens betänkande (1984–1990). Die letzten beiden Spalten geben an von wem die Interviews durchgeführt wurden: KL = Karl Loxbo, SK = Stephan Köppe. An dieser Stelle herzlichen Dank an Karl Loxbo, der seine Interviews für die Sekundäranalyse zur Verfügung gestellt hat. Die Hauptforderung der Liberalen und Konservativen war die Einführung einer kapitalgedeckten privaten Rentenversicherung, ebenso forderten sie REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 271 die Umstellung von der 15/30-Regel zum Lebenseinkommensprinzip. In den folgenden Verhandlungen und Diskussionen waren diese beiden Reformelemente parteipolitisch und ideologisch am meisten umkämpft, dennoch konnte frühzeitig eine Einigung mit den Sozialdemokraten erzielt werden, beide Änderungen einzuführen. Bereits im Sommer 1992 wurde ein Eckpunktepapier von der PAG verabschiedet, das die große Linie der Reform vorzeichnete (Ds 1992:89). Zum Jahreswechsel 1993/94 wurde eine detailliertere Einigung über das Lebenseinkommensprinzip erzielt und der Beitrag für die Prämienrente auf zwei Prozent festgelegt. Konkretere Eckpfeiler der Prämienrente waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden, aber die Einführung eines fondsbasierten privaten Systems war bereits Konsens. Andere Prinzipien wie Universalismus, Obligatorium und Beitragsfinanzierung waren von Anfang Konsens und nicht Teil der Verhandlungen in der Kommission. Damit waren sowohl die Markteinführung der Prämienrente als auch die Reformrichtung der einkommensbezogenen ATP-Rente umstritten, aber nicht die zentralen Eigenschaften des sozialdemokratischen Regimes wie Universalismus und Obligatorium. Könberg schildert diesen Konsens folgendermaßen: »Bei der Konzipierung der schwedischen Rentenreform war das Ziel, ein Pflichtsystem zu behalten, das allen älteren Menschen einen guten Lebensstandard bietet« (Könberg 1998: 224). Nachdem dieser Grundkonsens erzielt war, lag den zentralen Verhandlungsführern zwischen bürgerlichem Lager und Sozialdemokraten, Bo Könberg und Anna Hedborg, daran die Grundprinzipien möglichst schnell zu implementieren, um das Thema aus dem bevorstehenden Wahlkampf im Herbst 1994 zu halten (SOU 1994:20), sodass das Gesetz bereits im Sommer mit einer breiten Mehrheit verabschiedet wurde.168 Mit der Teilimplementierung 1995 wurden insbesondere die Finanzierung und die Leistungsberechnung verändert. Seit 1995 wurden zwei Prozent der Beiträge in einen staatlichen Kapitalfonds einbezahlt und die Rente wurde seitdem nach dem Lebenseinkommensprinzip berechnet. Trotz dieser grundlegenden Entscheidung für eine private Komponente im Rentensystem war die institutionelle Ausgestaltung der Prämienrente noch nicht endgültig beschlossen. Die Rentenarbeitsgruppe wurde als Durchführungsgruppe mit einer fast identischen Mitgliederkonstellation weitergeführt, um zu betonen, dass der Grundkonsens nicht mehr angetastet wird —————— 168 Zustimmung im Reichstag 85 %. 272 WOHLFAHRTSMÄRKTE und lediglich die konkrete Implementierung der Reform ausgehandelt werden müsse (vgl. Größere Reformvorhaben werden typischerweise in Schweden von Regierungskommissionen, sogenannten öffentlichen Untersuchungen (SOU – Statens öffentliga utredningar), vorbereitet (Jahn 2003). Aufgrund der Erfahrungen mit dem gescheiterten Rentenauschuss war Könberg daran gelegen, eine möglichst kleine Gruppe von Politikern zu formen, mit denen sowohl offene Diskussionen geführt werden können als auch politische Verhandlungen möglich wären, um eine weitreichende Reform zu erzielen (BK 31–33). Könberg versuchte mit der kleinen Kommission »so viel Vertrauen wie möglich zueinander aufzubauen, um neue Ideen einzubringen, als auch um bereit zu sein sich zurückzunehmen, wenn jemand gute Argumente dagegen hatte« (BK 56, Hervorhebungen Autor). Mit dieser Rentenkommission wurde der Entscheidungsprozess von Beginn an so gestaltet, dass eine Konsensfindung über ideologische Grenzen hinweg wahrscheinlicher wurde als auch innovative und »neue Ideen« in die Diskussion eingebracht werden konnten. ). Damit war das bürgerliche Lager die treibende Kraft hinter der Einführung des Rentenmarktes, die institutionelle Einbettung war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht erfolgt. Lediglich sozialdemokratische Grundpfeiler wie eine obligatorische Versicherung waren allgemeiner Konsens. Kritik von Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Spitzenbeamten Erst nach der Reichstagswahl 1994 regte sich langsam Widerstand im linken Lager der sozialdemokratischen Parteibasis und in den Gewerkschaften. Die sozialdemokratischen Verhandlungsführer waren sehr skeptisch bezüglich der Einführung von Wahlfreiheit und der daraus resultierenden Ungleichheit. Sie setzten sich vehement für den Sjunde AP-fonden ein, um allen Versicherten eine Alternative zu individuellen Rentenfonds zu bieten (BK 88). Der Hauptkonflikt entwickelte sich aber erneut an dem Lebenseinkommensprinzip. Die linke Parteibasis und insbesondere Mitglieder des feministischen Flügels kritisierten die Abkehr von der 15/30-Regel. Von der alten Regel profitierten vor allem gutverdienende Frauen, die spät ins Berufsleben eingestiegen und aufgrund von Kinderbetreuung eine längere Unterbrechung ihrer Versicherungsbeiträge aufwiesen, um später eine REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 273 hohe Rente basierend auf ihren besten 15 Jahren zu erhalten (Ståhlberg 1995a; 1995b; Ståhlberg u.a. 2006). Aus diesem Grund lehnte auch der Dachverband der Angestellten Gewerkschaften (Tjänstemannens Centralorganisation – TCO) die Abschaffung der 15/30-Regel ab. Der anfängliche Widerstand der sehr einflussreichen Arbeitergewerkschaft (Landsorganisationen i Sverige – LO) konnte jedoch gebrochen werden, indem in langen Diskussionen aufgezeigt wurde, dass vor allem weibliche gering qualifizierte Angestellte, die überwiegend Mitglieder der LO waren, von der Reform profitieren würden (Anderson/Meyer 2003). Da die LO großen politischen Einfluss auf die schwedischen Sozialdemokraten hatte, war somit zumindest ein innerparteilicher Kritiker in den Konsens eingebunden. Zwischen 1996 und 1997 stand der Kompromiss mit den Sozialdemokraten dennoch auf der Kippe, weil die Parteibasis gegen den von der PAG erzielten Grundkonsens von 1992/94 rebellierte. Erst ein vehementes Eintreten von Ingela Thalén und Hans Svensson (beide Kommissionsmitglieder der GG) auf dem sozialdemokratischen Parteitag 1997 ermöglichte die Fortsetzung der Verhandlungen unter der Auflage die Arbeitgeberfinanzierung im Reformpaket zu stärken (Loxbo 2007). Ebenso gelang es, einen möglichen internen Widerstand der bestehenden Alterssicherungsinstitutionen durch eine personelle Neubesetzung zu umgehen. Karl Gustaf Scherman war von 1981 bis 1996 Direktor des Reichsversicherungsamtes (Riksförsäkringsverket, seit 2005 Försäkringskassan) und ihm folgte Anna Hedborg, als einflussreiches Mitglied aus der Rentenarbeitsgruppe.169 Der Personalwechsel an der Spitze des Reichsversicherungsamtes war vermutlich ein entscheidendes Puzzleteil für die Durchsetzung der Rentenreform. Erstens büßte ein interner Kritiker (Scherman 2000; 2003; 2004; 2006) und potenziell starker Vetospieler eine machtvolle Position ein (KGS 19). Zweitens eröffneten sich der zentralen sozialdemokratischen Reformgruppe um Hedborg neue direkte und informelle Informationskanäle durch die Leitung des Reichsversicherungsamts. Beitragshöhe und Arbeitgeberanteil der Prämienrente In den letzten Verhandlungsmarathon Ende 1997 gingen Hedborg (AH) und Thalén mit dem Auftrag der Parteibasis, den Finanzierungsmodus neu —————— 169 Mit KG Scherman (KGS) wurde auch ein Experteninterview geführt und ausgewertet. Zur Rolle der schwedischen Bürokratie während des Reformprozesses und von Scherman im Besonderen siehe auch Marier (2005). 274 WOHLFAHRTSMÄRKTE zu verhandeln. Das Hauptanliegen der beiden sozialdemokratischen Verhandlungsführerinnen war, an dem »Grundsatz eines großen öffentlichen Rentensystems« festzuhalten (AH 36), das heißt eine Pflichtversicherung für alle Schweden zu erhalten, die Garantierente zu erhöhen und den Anteil der Prämienrente möglichst gering zu halten. Sie konnten aber nicht beides erreichen, weil es dem Grundkompromiss von 1994 widersprach. Wie das Eingangszitat von Kapitel 5.3.1 verdeutlicht, war den bürgerlichen Parteien die Prämienrente am wichtigsten. Unter allen Umständen sollte eine private Rentenversicherung eingeführt werden, die konkrete Ausgestaltung der Prämienrente war dem bürgerlichen Lager zweitrangig. Die Prämienrente war deshalb der Preis, den die Sozialdemokraten zahlen mussten, um ihre Forderung nach einer robusten Garantierente und einer Dominanz des Umlagesystems durchzusetzen. Ein letzter Konfliktpunkt war schließlich die Arbeitgeberfinanzierung. Sowohl Könberg als auch Hedborg bewerten die Diskussion um die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge als symbolische Grundsatzfrage, die in der sozialen Wirkung irrelevant sei. Die sozialdemokratische Parteibasis kritisierte jedoch scharf diesen Wechsel von der Arbeitgeberfinanzierung zur paritätischen Finanzierung. Dies widersprach allerdings den Reformprinzipien von 1994. Das bürgerliche Lager witterte deshalb die Chance, ein größeres Gewicht der Prämienrente einzufordern. Dem ursprünglichen Vorschlag von zwei Prozent waren harte Verhandlungen vorangegangen. Nur der Widerstand der Sozialdemokraten verhinderte 1994 einen größeren Anteil der Prämienrente. Da die Sozialdemokraten den Aspekt der Arbeitnehmerfinanzierung nun neu verhandeln wollten, konnten die bürgerlichen Parteien bei der Prämienrente Zugeständnisse von den Sozialdemokraten abtrotzen. Das Ergebnis der Verhandlungen war schließlich, dass die Sozialdemokraten einen größeren Arbeitgeberanteil (~60 %) durchsetzen konnten und im Gegenzug einer Erhöhung des Beitragsanteils der Prämienrente von 2 auf 2,5 Prozent zustimmten (Loxbo 2007: 103).170 Die sozialdemokratischen Kommissionsmitglieder setzen diese symbolische Politik nur wegen des Drucks der Parteibasis um. Aufgrund der symbolträchtigen Arbeitgeberbeiträge wurde ein etwas größerer Wohlfahrtsmarkt eingeführt als im ursprünglichen Kompromiss von 1994 ver- —————— 170 Der Anteil der Prämienrente an den Gesamtbeiträgen stieg dadurch von 10,8 % auf 13,5. Der Bruttoanteil stieg damit von rund 1,9 % auf 2,3 % von insgesamt 17,91 % Beitragsanteil (vgl. Fußnote 50). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 275 einbart. In diesem Punkt stand die symbolische Parteipolitik über einer rationalen Eindämmung des Wohlfahrtsmarktes. Oder anders ausgedrückt: Die sozialdemokratische Präferenz für ein stärkeres öffentliches umlagefinanziertes Rentensystem wurde für einen eher symbolischen Finanzierungsmechanismus preisgegeben. Staatliche Verwaltung und Wahlfreiheit der Prämienrente Obwohl der ursprüngliche Kompromiss von 1994 bereits die Prämienrente enthielt, waren viele Details der Regulierung der Prämienrente noch nicht ausgearbeitet, insbesondere die Verwaltung und Wahloptionen der Prämiensparkonten. Die Durchführungsgruppe beauftragte Lennart Låftman mit der Ausarbeitung eines Entwurfs. Zwischen Dezember 1994 und Juni 1996 erarbeitete Lennart Låftman relativ autonom einen Entwurf, der eine minimale staatliche Beteiligung bei der Verwaltung der Prämienrentenfonds vorsah (SOU 1996:83). Die Beiträge sollten direkt an die Fondsverwalter überwiesen werden, folglich waren keine staatliche Verwaltungsbehörde oder kein staatlicher Standardfonds in seinem Vorschlag vorgesehen. Die Ansparphase war in dem Vorschlag als individuelle Sparanlage gedacht, ohne Versicherungsfunktion. Das angesparte Kapital wäre bei einem Ableben vor dem Rentenbezug deshalb nicht in den Versicherungspool zurückgeflossen. Hans Svensson (HS) beschreibt die Ausarbeitung der Prämienrente folgendermaßen: »So that [Låftman] proposal […] was just taken away. Then we had a long discussion in this five party group and decided to - once again - see if it was possible to develop another type of system. Then we appointed Mr. Hans Jacobsson as investigator of that, and Mr. Låftman has worked with himself, with a secretariat, without nearly any contact with the ministries or the politicians. Mr. Jacobsson was working very close with my group so we had meetings almost every week or every fortnight. Discussions how to create it and then when he came back with his proposals, we put it out the way we were doing in Sweden, with everyone having opinions about it. And then taking that with us into the forthcoming bill.« (HS 41). Im neuerlichen Kommissionsauftrag zur Regulierung der Prämienrente wurde diesmal ausdrücklich eine regelmäßige Konsultation und intensive Zusammenarbeit mit der GG erwünscht (Dir. 1997:46). Ebenso wurden in dem Dokument konkrete Ideen formuliert, die später Eingang in die Regulierung der Prämienrente fanden. Im Kommissionsauftrag kommt bei- 276 WOHLFAHRTSMÄRKTE spielsweise eine Präferenz für eine staatliche Behörde zum Ausdruck, eine privatwirtschaftliche Gesellschaft (bolag) wurde jedoch noch nicht verworfen, falls sich eine staatliche Behörde als ungeeignet herausstellen sollte (Dir. 1997:46: Kapitel 5.1). Ebenso wurde festgelegt, dass die Versicherten die Verwaltungskosten (Versicherung, Fonds, Wechsel) begleichen sollten. Die Kommission sollte Vorschläge unterbreiten, wie die Versicherten informiert werden sollen (Informationen über Anlagekapital und Fondswahl) und ob eine Zinsgarantie sinnvoll sei (vgl. deutsche Riester-Rente Kapitel 5.2.1). Schließlich stand auch schon fest, dass ein staatlicher Fonds für diejenigen gegründet werden sollte, die keinen individuellen Fonds wählen. Als Ende 1997 die letzten Verhandlungen innerhalb der Durchführungsgruppe begannen, waren also schon einige Grundeigenschaften der Prämienrente einvernehmlich entschieden. Die Prämienrente sollte obligatorisch sein, eine zentrale Verwaltung sollte geschaffen werden, die Verwaltung der Konten sollte durch Gebühren finanziert werden und die Versicherten sollten eine Wahlfreiheit zwischen den Fonds während der gesamten Ansparphase und gegebenenfalls darüber hinaus haben. Dem Kommissionsauftrag kann man eine allgemeine Präferenz der Durchführungsgruppe für eine staatliche Behörde entnehmen, zumindest bestand ein Konsens über die Gründung einer unabhängigen Behörde – staatlich oder privat. In den Dokumenten und Interviews wurden zumindest keine nennenswerten Auseinandersetzungen über diese Frage erwähnt. Der Hauptkonfliktpunkt war neben dem endgültigen Beitragssatz (s.o.) die Wahlfreiheit der Versicherten. Die Sozialdemokraten setzten durch, dass der staatliche Sjunde AP-Fonden gegründet wurde, wie Hedborg betont: »Wenn man die Bürger dazu zwingt, Geld in Kapital- und Aktienfonds anzulegen, kann man nicht riskieren, dass die Bürger nicht die Chance haben das Beste zu bekommen, was man als Staat bewerkstelligen kann. Wenn man sie zum Sparen zwingt, dann muss man nach bestem Vermögen eine Nichtwahlalternative [schaffen]« (AH 125). Als Gegenleistung für den staatlichen AP-Fonds setzte das bürgerliche Lager weitreichende Wahlfreiheiten bei der Auswahl der privaten Rentenfonds durch. Die Fondswechsel wurden sehr einfach gestaltet. Die Lizenzierungskriterien schränken die Angebotspalette kaum ein, weil beispielsweise auf einen Garantiezins oder andere limitierende Kriterien verzichtet wurde. Lediglich die Anzahl der Fonds pro Anbieter wurde eher pragmatisch als ideologisch eingeschränkt (HS 96: »Swedbank called us and said REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 277 ›Hi, we’d like to offer 800 funds‹, for only one player. We realized we needed to create ceilings in the system.«). Die Sozialdemokraten setzten im Endeffekt das Obligatorium und den staatlichen AP-Fonds durch, wohingegen das bürgerliche Lager sein Ziel von individuellen Rentenfonds ohne große Lizenzierungsbeschränkungen erreichte. Fazit Prämienrente Wenn der politische Prozess insgesamt betrachtet wird, ist hervorzuheben, dass die Reform hinter verschlossenen Türen von dem kleinen Kreis in den Rentenkommissionen geschmiedet wurde. Sie beruht auf einem parteiübergreifenden Konsens, dessen Akteure das schwedische Rentensystem und damit auch die sozialdemokratischen Merkmale des Wohlfahrtsregimes langfristig erhalten wollten. Grundprinzipien des neuen Wohlfahrtsmarktes wie die Versicherungspflicht und Beitragsfinanzierung waren allgemeiner Konsens und nicht Teil der parteipolitischen Auseinandersetzung. Umkämpft waren der Grad der Wahlfreiheit und die Finanzierung (gesamter Beitragsanteil und der Arbeitgeberanteil). Die sozialdemokratische Handschrift ist selbst bei diesen Konfliktpunkten zu erkennen. Ein staatlicher Fonds wurde eingeführt, um für die »Nichtwähler« eine angemessene alternative Anlageform zu bieten. Mit der jüngsten Reform wurden die staatlichen Fonds sogar gestärkt und damit auch der sozialdemokratische Charakter der Prämienrente. Auch bei der letzten Reform verständigten sich die Parteien des ursprünglichen Kompromisses auf eine weitere einvernehmliche Zusammenarbeit und setzten 2008 eine Fortsetzungskommission ein, die über die Weiterentwicklung des Rentensystems berät (Pensionsgruppen, vgl. Tabelle 20).171 Obwohl der Beitragssatz schließlich im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag etwas höher ausfiel, ist der Anteil mit 13,5 Prozent der Gesamtbeiträge vergleichsweise gering (vgl. Tabelle 5). Auch die symbolische Arbeitgeberfinanzierung ist weiterhin höher als in Deutschland und den USA. Insgesamt konnten also Eigenschaften des sozialdemokratischen Wohl- —————— 171 Die Kommission firmiert überwiegend als Rentengruppe (Pensionsgruppen), wird aber auch als Kontrollgruppe (Kontrollgruppen) bezeichnet (http://www.regeringen.se/sb/d/ 14903). Sie setzte sich aus folgenden Abgeordneten zusammen (Stand Oktober 2014): Ulf Kristersson (m, 10–), Christina Pehrsson (m, –10), Mats Nilsson (m, –10), Lars-Arne Staxäng (m, 10–), Solveig Zander (c), Lars Gustafsson (kd), Tobias Krantz (fp, 07–09), Ulf Nilsson (fp, 09–), Thomas Eneroth (s, 07–08, 10–), Veronica Palm (s, 08–10), Kurt Kvarnström (s). 278 WOHLFAHRTSMÄRKTE fahrtsregimes auf die Prämienrente übertragen werden, weil ein parteiübergreifender Konsens dazu beigetragen hat, dieses System zu modernisieren, ohne die Grundeigenschaften der schwedischen Sozialpolitik anzutasten. Die Prämienrente wurde eng in das existierende Rentensystem eingebettet und die starke Regulierung der Beitragshöhe verhindert ein unintendiertes Wachstum des Wohlfahrtsmarktes gegenüber dem öffentlichen Rentensystem. 5.3.2 Bildungsmarkt: Freie Schulen – Vereinheitlichung, Dezentralisierung und Privatisierung »The big reform was made in 1993. Everything that has happened afterwards have been small alterations of the system, even when the social democrats came back« (Per Unckel, PU 25). »Even if the ideological battle in educational policies still is fierce, the concept of choice, the existence of independent schools and their right to public means is today accepted by practically all political parties in Sweden« (Odd Eiken, 2009: 1). Seit dem Ende der 1970er Jahre entwickelte sich in mehreren kleinen Reformschritten ein universeller Bildungsmarkt in Schweden, der seit 2002 jedem Schüler den Besuch von lizenzierten Privatschulen kostenlos ermöglicht. Die Reformen erfolgten inkrementell, weshalb in diesem Kapitel die drei Reformphasen 1979–1991, 1991–1994 und 1994–2002 einzeln behandelt werden. Die Marktschaffung 1991–1994 wird in diesem Zusammenhang ausführlicher behandelt, weil 1992 die Privatschulen für alle Schüler zugänglich wurden, indem einheitliche Schulgutscheine eingeführt wurden. Die vorhergehenden Reformschritte (1979–1991) haben die Marktschaffung (1992) substanziell vorbereitet und die folgende Phase (1994–2002) hat den Bildungsmarkt stabilisiert.172 Das erste Unterkapitel legt zunächst die Entstehung des öffentlichen Bildungswesens bis Anfang der 1980er Jahre dar. Anschließend werden die drei Reformschritte der Privatschulfinanzierung anhand der fünf Regulie- —————— 172 Die Analyse der Marktschaffung greift überwiegend auf Interviewmaterial mit politischen Akteuren zurück (Gläser/Laudel 2004), wohingegen die Analyse der restlichen Reformphasen auf einem Quellenstudium und Sekundärliteratur basiert. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 279 rungsdimensionen vorgestellt. In den jeweiligen Unterkapiteln werden auch die politischen Rahmenbedingungen für die Reform ausführlich behandelt. Das Hauptargument ist, wie auch im vorherigen Kapitel, dass die Sozialdemokraten maßgeblich zur Einbettung in das sozialdemokratische Regime beitrugen, allerdings waren sie nicht die Initiatoren für den Bildungsmarkt. Bürgerliche Parteien waren die Hauptantriebskräfte hinter der Marktschaffung 1991–1994 und kreierten ursprünglich einen liberaleren Bildungsmarkt. Den Sozialdemokraten fiel in der folgenden Reformphase die Rolle zu, an zentralen Stellschrauben zu drehen und den Bildungsmarkt stärker in das existierende Bildungssystem einzubetten. Beispielsweise bereiteten die Sozialdemokraten den Weg für einen universellen Zugang zu öffentlichen und privaten Schulen. Im Fazit wird dann die Einführung des Bildungsmarktes zusammengefasst. Das öffentliche Schulsystem unter sozialdemokratischer Hegemonie Im schwedischen Schulsystem existierten bis Anfang der 1990er Jahre kaum private Anbieter (vgl. Tabelle 10) und auch die freie Schulwahl war bis dato nicht Bestandteil des Schulsystems. Wie auch in Deutschland entwickelte sich das öffentliche Schulwesen im 19. Jahrhundert und verdrängte zu der Zeit private Schulen beziehungsweise die Unterrichtung zu Hause (Richardson 2004). Die Ursprünge des schwedischen Schulsystems ähneln zum Teil der kontinental-europäischen Entstehungsgeschichte mit privaten Grundschulen für die Eliten und Schulgebühren für die Sekundarschulen. In den 1950/60er Jahren erfolgte jedoch eine Sozialdemokratisierung des schwedischen Schulsystems. Mit der Einführung der Einheitsschule entwickelte sich ein Schulwesen, das mit der kontinentaleuropäischen Tradition brach. Die Reformanstrengungen folgten dem Ideal einer Erziehung zu verantwortungsvollen Staatsbürgern in einer gleichen und demokratischen Gesellschaft. Die Reform bewirkte aber auch eine Dominanz des Staates im Schulsystem. Seitdem waren endgültig die Lehrinhalte, die Schulfinanzierung, die Verwaltung und die Lehrtätigkeit entweder in zentralstaatlicher oder kommunaler Hand. Den meisten Privatschulen wurde die Geschäftsgrundlage entzogen und nur einige wenige etablierte Internate und städtische Gymnasien überstanden die sozialdemokratischen Reformen (Miron 1994: 7). 280 WOHLFAHRTSMÄRKTE Anders als in Kontinentaleuropa wurde Bildungspolitik in den nordischen Wohlfahrtsstaaten integraler Bestandteil der Sozialpolitik (Heidenheimer 1981; Kangas/Palme 2005: 159). Entsprechend wäre zu erwarten, dass das schwedische Bildungswesen viele Eigenschaften des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes aufweist. Und tatsächlich enthielt das schwedische Schulwesen in den Regulierungsdimensionen Anfang der 1980er Jahre Merkmale eines sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes (Eurydice 2003; Richardson 2004; Werler/Claesson 2007): 1. Zugangsvoraussetzungen. Der Zugang zu der einheitlichen Grundschule war universell. Es fand keine Segregation nach Leistung oder Herkunft statt. Im Sekundarbereich II, den sogenannten Gymnasien, wurde zwar nach Leistung differenziert, dies erfolgte jedoch innerhalb einer Institution. 2. Leistungsstruktur. Die Leistungsstruktur der öffentlichen Schulen war relativ umfassend. Der Unterricht fand ganztags statt, wodurch keine zusätzliche Nachmittagsbetreuung erforderlich war. Alle Schüler erhielten kostenfrei zusätzliche Leistungen, die über den Unterricht hinausgingen wie Mittagessen, Schultransport und Unterrichtsmaterialien. Zusätzliche pädagogische Leistungen (Nachhilfe etc.) wurden von privaten Anbietern angeboten, waren aber unüblich. 3. Finanzierungsmechanismus. Die Schulfinanzierung erfolgte aus allgemeinen Steuermitteln des Staatshaushaltes. 4. Verwaltung. Ebenso waren die Verwaltung und der Betrieb der öffentlichen Schulen streng hierarchisch organisiert. Die Zentralregierung erließ Schulgesetze und Richtlinien, die durch die zentrale Schulbehörde (Skolöverstyrelsen, SÖ) umgesetzt wurden. Der Staat war auch offizieller Arbeitgeber der Lehrer. Die zentrale Schulbehörde erteilte detaillierte pädagogische (Kurrikulum) und finanzielle (Schulbudgets) Vorgaben. Die Kommunen, die eigentlichen Betreiber der Schulen, setzten die Vorgaben lediglich um und hatten kaum Handlungsautonomie. 5. Wahlfreiheit. Eine Wahlfreiheit existierte im Grundschulbereich praktisch nicht, weil die Schuleinzugsbereiche determinierten, welche Schule für die Schüler einer Wohngegend zuständig war. Bei den Gymnasien hatten die Schüler etwas mehr Wahlfreiheit, praktisch konnte jedoch nur zwischen REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 281 den öffentlichen Gymnasien derselben Gemeinde gewählt werden, mit geringen inhaltlichen und pädagogischen Unterschieden zwischen den Schulen. Tabelle 21: SCHWEDEN BILDUNG – Die Regulierung der öffentlichen Schulen Ende der 1980er Jahre und der Privatschulen 2002 Typ Zugang Leistungsstruktur Finanzierung öffentliche Schulen (Ende 80er) universell Grundbildung (inklusive Schulmahlzeiten, Förderunterricht) Steuern Verwaltung Staat (Skolverket) Wahlfreiheit gering, Wahl zwischen öffentlichen Schulen, Privatschulen als Opt-in Privatschulen (fristående skolor) universell Grundbildung (inklusive Schulmahlzeiten, etc.), evtl. bes. pädagogisches Profil Steuern, zusätzliche Gebühren verboten Staat (Skolverket) und Kommunen sehr hoch (Opt-within), Wahl zwischen öffentlichen und privaten Schulen, große Auswahl, keine Beschränkungen Quelle: eigene Darstellung, Unterschiede kursiv. In diesem regulativen Rahmen wurden kaum noch Privatschulen betrieben und ein Bildungsmarkt existierte praktisch nicht (vgl. Kapitel 4.2). Die Finanzierung und Zulassung der Privatschulen variierte je nach Schule und wurde durch das Privatschulgesetz geregelt (SFS 1966:115). Die Finanzhilfen reichten von über Jahrzehnte gewachsenen staatlichen Zuschüssen pro Schule bis zu überhaupt keiner öffentlichen Förderung, obwohl die Schulen ein ähnliches Konzept und eine vergleichbare Struktur aufwiesen (Miron 1993; SOU 1981:34).173 Ausgehend von diesen Eigenschaften des schwedischen Bildungssystems Ende der 1970er Jahre werden die folgenden Abschnitte aufzeigen, wie schrittweise ein universeller Bildungsmarkt in Schweden eingeführt —————— 173 Von rund 35 Privatschulen erhielten neun zentralstaatliche Finanzhilfe, andere erhielten kommunale Finanzhilfen (teilweise in Sachleistungen). Zwei estnische Schulen wurden beispielsweise aus humanitären Gründen unterstützt. Die älteste Waldorfschule wurde finanziell unterstützt, um die pädagogische Vielfalt zu fördern und mit Unterrichtsmethoden zu experimentieren. Später gegründete Waldorfschulen (9) erhielten aber keine Finanzhilfe. Dasselbe Durcheinander aus Finanzhilfen fand sich bei internationalen und konfessionellen Schulen wieder. 282 WOHLFAHRTSMÄRKTE wurde. Dem gingen Veränderungen der separaten Regulierung öffentlicher und privater Schulen voraus, das heißt in den mehr oder weniger getrennten Schulgesetzen für beide Schulformen, bis schließlich die Regulierung (und insbesondere die Finanzierung) öffentlicher und privater Schulen vereinheitlicht wurde und seitdem praktisch keine separate Gesetzgebung mehr existiert. Vorbereitung der Marktliberalisierung in den 1980er Jahren Die Vorbereitung auf die Marktliberalisierung des Bildungsmarktes Anfang der 1990er Jahre begann rund zehn Jahre zuvor. Das erste Reformpaket reformierte vor allem die Finanzierungsgrundlage der privaten Schulen und das zweite Reformpaket dezentralisierte das öffentliche Schulwesen. Beide Reformen erleichterten die Marktliberalisierung 1991, weil die kleinen inkrementellen Reformen grundlegende Institutionen zur Einführung eines Bildungsmarktes implementierten. Vereinheitlichung der staatlichen Finanzhilfe und ein neuer Begriff (1979–1987) In der ersten Reformphase wurden zwei Grundvoraussetzungen für eine Marktschaffung erreicht. Erstens wurde diskursiv ein neuer Begriff für Privatschulen eingeführt und zweitens wurde die fragmentierte staatliche Finanzhilfe für Privatschulen weitestgehend vereinheitlicht. Sowohl bürgerliche als auch sozialdemokratische Regierungen führten die Reformen durch, die Hauptinitiative ging jedoch von den bürgerlichen Regierungen 1979–1982 aus.174 Die Pläne der bürgerlichen Regierungen zur Vereinheitlichung der Finanzhilfe für Privatschulen wurde kurz vor der Abwahl der bürgerlichen Regierung im Herbst 1982 umgesetzt (Prop. 1982/83:1; SFS 1983:97; SOU 1981:34). 1. Positive Begriffsbesetzung. Mit dieser Reform wurde der erste Grundstein zur Schaffung des Wohlfahrtsmarktes gelegt, dieser war allerdings weniger institutioneller oder finanzieller Natur, sondern diskursiver. Bis Ende der 1970er Jahre wurden verschiedene Begriffe zur Bezeichnung privater Schu- —————— 174 Fälldin I (1976–78, Mehrheitsregierung aus c, m, fp), Ullsten (1978–79, Minderheitsregierung fp), Fälldin II (1979–81, Mehrheitsregierung aus c, m, fp), Fälldin III (1981– 82, c, fp). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 283 len verwendet, die mehr oder weniger normativ aufgeladen waren.175 Die Reformkommission führte den ihrer Argumentation nach wertneutralen Begriff fristående skolor ein, um sich explizit von alten Vorstellungen abzugrenzen (SOU 1981:34). Wörtlich übersetzt würde es »freistehende« Schule bedeuten. Andere mögliche Übersetzungen wären aber auch »freie« oder »unabhängige« Schule, die meines Erachtens entgegen der Kommissionsauffassung eine positive Konnotation hervorrufen, ohne gleich mit konservativen oder neoliberalen Werten in Verbindung gebracht zu werden. Dieser Begriff wurde fortan einheitlich in den Gesetzestexten und Statistiken verwendet (Prop. 1982/83:1; SFS 1983:97; Skolverket 2009), womit eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz von Privatschulen allein durch eine neuartige Begriffsbesetzung erreicht wurde. Seit der Einführung des Begriffs fristående skolor wird im allgemeinen Sprachgebrauch dennoch häufig die kürzere Variante friskolor verwendet.176 Insbesondere friskolor ist positiver besetzt und kann als »freie Schulen« übersetzt werden. Die kürzere Variante ruft nicht nur positive Assoziationen hervor, sondern kann auch besser als Schlagwort und politischer Kampfbegriff verwendet werden. Die positive und eingängige Begriffsbesetzung hat somit das diskursive Feld für die Einführung eines Wohlfahrtsmarktes bereitet. 2. Vereinheitlichung der Privatschulfinanzierung. Als zweiter inkrementeller Reformschritt wurden die institutionellen und finanziellen Rahmenbedingungen für die existierenden (und potenziell auch neuen) privaten Grundund Sekundarschulen vereinheitlicht. Von der bürgerlichen Regierung wurde zunächst die Privatschulfinanzierung der Grundschulen vereinheitlicht (1983) und dieser Weg wurde von der folgenden sozialdemokratischen Regierung für die Gymnasien fortgesetzt (Prop. 1983/84:118, Februar 1984).177 —————— 175 Die eher bürokratische und altertümliche Bezeichnung skolor med enskilda huvudman (Schulen in besonderer Trägerschaft) wurde am häufigsten verwendet. Üblich waren aber auch Begriffe wie privatskola (Privatschule), enskild skola (hier im Sinne von individueller/besonderer Schule), friskola (freie Schule). 176 Eine Suche im Online Archiv der Qualitätszeitung Dagens Nyheter ergab, dass der Begriff friskola mehr als doppelt so häufig verwendet wurde wie fristående skolor. Das entspricht rund 56 Artikeln mehr pro Jahr, die den Begriff friskolor enthalten. Der Untersuchungszeitraum der Suchanfrage umfasste 2002–2011 und wurde am 21.03.2012 durchgeführt. Doppelte Artikel wurden nicht heraussortiert. 177 Die folgende Analyse stützt sich auf die Gesetzesvorlagen und Kommissionsvorschläge der Grundschulen (Prop. 1982/83:1; SOU 1981:34) und Gymnasien (Prop. 1983/84:118; SOU 1983:1). 284 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die 1983/84 implementierten Regeln zur staatlichen Finanzbeihilfe (statsbidrag) ähnelten stark den aktuellen deutschen Regeln (vgl. Kapitel 5.2.2). Privatschulen wurden nur zugelassen wenn eine pädagogische Ergänzung zu den staatlichen Schulen nachgewiesen wurde, sodass auch Konfessionsschulen ein besonderes pädagogisches Profil vorweisen mussten. Die Zulassungsregelungen für private Gymnasien wurden etwas liberaler gestaltet. Schulgebühren durften ähnlich wie in Deutschland keine segregierende Wirkung haben (vgl. Kapitel 5.2.2). Die schwedische Formel lautete jedoch, dass die Schulgebühren »angemessen« sein mussten, um eine staatliche Finanzhilfe zu erhalten.178 Dies wurde mit dem Ziel verbunden, dass die Privatschulen mehr als bisher Schüler aus allen sozialen Schichten aufnehmen sollten. Die Privatschulen mussten deshalb irgendeine Form von Gebührenermäßigung oder -befreiung einführen, die die Einkommensund Besitzverhältnisse der Eltern berücksichtigt, zusätzliche Kriterien konnten allerdings aufgestellt werden (beispielsweise Wohnortnähe o.ä., Prop. 1982/83:1: 97). Bemerkenswerterweise war ein Unternehmensgewinn nicht ausdrücklich verboten, solange die Gewinne »angemessen« waren. Die wichtigste Neuerung zur Vorbereitung einer Marktliberalisierung war, dass die Finanzbeihilfe pro Schüler gewährt wurde, was vorher nicht der Fall war. Dieser Betrag ersetzte rund 50 Prozent der tatsächlichen Gesamtausgaben pro Schüler.179 Mit der Umstellung auf die Pro-KopfFinanzierung wurden Wettbewerbsverzerrungen zwischen verschiedenen Privatschultypen abgeschafft und ein direkter Vergleich der Kosten an öffentlichen Schulen wurde möglich. Bei den privaten Gymnasien kam hinzu, dass eine Obergrenze implementiert wurde. Diese Regelung limitierte ein ungeregeltes Marktwachstum und verhinderte auch eine Konkurrenz untereinander, weil die verfügbaren Plätze zwischen den Schulen zentral zugeteilt wurden. —————— 178 Im Unterschied zu Deutschland konnten schwedische Privatschulen »unangemessene« Schulgebühren verlangen und wurden trotzdem zugelassen, gleichwohl ohne die staatliche Finanzhilfe zu erhalten. 179 Der Grundbetrag (förstärkningsresurs belopp) richtete sich nach den durchschnittlichen Bruttopersonalausgaben öffentlicher Schulen. Für existierende Privatschulen mit bislang höheren Beihilfen wurde ein Bestandsschutz gewährt, bis die neue Finanzhilfe das Niveau der alten Förderung erreichte. Für neue Privatschulen galt eine Wartezeit von drei Jahren. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 285 Außerdem wurde weiterhin von einem Primat der staatlichen Schulbildung ausgegangen: »Die Gesellschaft hat die übergreifende Verantwortung für den Schulbesuch und die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen« (Prop. 1982/83:1: 14). Im Gesetzentwurf wurde deshalb explizit darauf hingewiesen, dass aus den Regelungen kein Recht auf staatliche Finanzhilfe abgeleitet werden kann (Prop. 1982/83:1: 33). Akteure der Vereinheitlichung Der politische Prozess in der ersten Reformphase war von einem allgemeinen Konsens und technokratischer Reformtätigkeit geprägt. Die Vorschläge der SEH-Kommission wurden in beiden Reformpaketen fast wortwörtlich übernommen. Beide Male wurden die Reformpakete von einer Minderheitsregierung verabschiedet, die Vorschläge konnten also nur mithilfe der Oppositionsparteien durchgesetzt werden. Unter diesen politischen Umständen wird auch die Fortführung des eingeschlagenen Reformweges unter den Sozialdemokraten verständlich. Die Sozialdemokraten setzten die eingeleiteten Reformen der privaten Grundschulen bei den privaten Gymnasien fort, weil sie bei dem ersten Reformpaket bereits eingebunden worden waren. Sie konnten aber einer unkontrollierten Marktausweitung einen Riegel vorschieben, indem sie Obergrenzen festlegten. Dezentralisierung (1987–1991) Die Dezentralisierung tangierte Privatschulen nur am Rande, sie veränderte aber das Schulsystem so weit, dass die Einführung von Schulwahlmöglichkeiten und eine Privatisierung des Schulbetriebs mit geringerem Reformaufwand möglich wurden (Naumann/Crouch 2009; Prop. 1989/90:41; Prop. 1990/91:18: 164–168; Richardson 2004: 146–168; SOU 1988:20). Die Schulen waren nicht die einzigen sozialen Dienstleistungen, die zu dieser Zeit dezentralisiert und den Kommunen übertragen wurden (u.a. Pflegedienste; Blomqvist 2004). In Bezug auf den Schulbetrieb erhielten Kommunen mit dem Schuljahr 1990/91 die vollständige Autonomie im Rahmen des Kurrikulums.180 Die Kommunen bekamen seitdem pro Schü- —————— 180 Viele Kommunen richteten daraufhin eigene Bildungsreferate ein. Die bisher vom Staat angestellten Lehrer wurden Angestellte der Kommunen. Auch die Autonomie jeder ein- 286 WOHLFAHRTSMÄRKTE ler einen Pauschalbetrag von der Zentralregierung überwiesen und entschieden fortan selbst, wie sie die Mittel verwendeten und mit kommunalen Mitteln ergänzen konnten (Prop. 1989/90:41).181 In diesem Zuge änderten sich auch die Aufgaben der zentralen Schulbehörde (SÖ). Die alte Behörde wurde in Skolverket (Schulamt) umbenannt und hatte fortan nur noch Steuerungs- und Überwachungsaufgaben (Andersson/Nilsson 2000; Daun/Siminou 2005; Prop. 1990/91:18).182 Diese Dezentralisierung der Schulverwaltung und des Schulbetriebs tangierte die Privatschulen zumindest peripher, weil die Berechnungsgrundlage der zentralstaatlichen Pauschalbeiträge für die Privatschulen wegfiel. Im Zuge der Anpassung des Berechnungsverfahrens wurden die staatlichen Zuschüsse für die Privatschulen beachtlich erhöht, was die sozialdemokratische Regierung im Rahmen der einfachen Haushaltsgesetzgebung implementierte (Prop. 1990/91:100).183 Die Ad-hoc-Anpassung der Privatschulfinanzierung an die dezentralisierte öffentliche Schulverwaltung hatte somit indirekt einen positiven Effekt für Privatschulen: Die Privatschulen erhielten erheblich mehr Geld pro Schüler. Ebenso bestand nun eine einheitliche Berechnungsgrundlage für die Finanzierung öffentlicher und privater Schulen, obgleich noch Unterschiede in der Höhe der ProKopf-Zuschüsse erhalten blieben. Neben der Anpassung der staatlichen Zuschüsse wurden die Voraussetzungen zum Erhalt der Finanzhilfe leicht gelockert, womit die Gründung von privaten Grundschulen erleichtert wurde.184 —————— zelnen Schule wurde gestärkt, indem die Schulleitung ihr Budget eigenständig verwalten und eigene Prioritäten setzten konnte. 181 Der staatliche Beitrag pro Schüler deckte rund 50 % der Kosten der kommunalen Schulen. 182 Das Skolverket formulierte weiterhin die Bildungsziele und -standards jedoch weniger detailliert und behielt die Zuständigkeit für die praktische Aus- und Fortbildung der Lehrer. Die Leistungen der Schüler wurden von nun an jährlich vom Skolverket evaluiert. Unzureichend abschneidende Schulen werden anschließend stärker kontrolliert, dafür bietet das Skolverket aber auch zusätzliche Unterstützung für diese Schulen an. 183 Für die Grundschulen wurde der Betrag pro Schüler um rund 40 % und für Gymnasien um rund 24 % erhöht. Wenn man die durchschnittlichen kommunalen Kosten pro Schüler aus dem Jahr 1992 als Vergleichsgröße heranzieht (47.800/57.000 SEK), ersetzte der erhöhte staatliche Zuschuss 1991 rund 27/58 % der öffentlichen Kosten für Grund/Gymnasialschüler (eigene Berechnung). 184 Die Wartezeit von drei Jahren wurde abgeschafft. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 287 Akteure der Dezentralisierung Die Dezentralisierung öffentlicher Dienstleistungen war nicht nur eine Agenda der Sozialdemokraten, sondern wurde auch von den bürgerlichen Parteien unterstützt. Das politische Ziel der Dezentralisierung war es, mehr Bürgernähe zu erreichen und Bürokratie abzubauen, ohne Märkte einzuführen. Diese Reformstrategie war breiter Konsens unter den Parteien, weshalb die Dezentralisierung parteipolitisch nicht sonderlich umkämpft war. Diese Reformen stellten nicht die öffentliche Finanzierung oder Bereitstellung der sozialen Dienstleistungen in Frage. Die öffentlichen Schulen sollten weiterhin aus öffentlichen Mitteln finanziert werden und der bisherige öffentliche Betreiber (Staat) wurde durch einen anderen öffentlichen Betreiber (Kommune) ersetzt. Die Sozialdemokraten ergriffen in diesem Punkt die Initiative, weil sie erhofften somit ihr parteipolitisches Kernziel einer starken öffentlichen Hand zu verfolgen (Daun 2003; Lundahl 2002; Naumann/Crouch 2009). Fazit – Marktvoraussetzungen und -grenzen Am Ende dieser Reformen waren drei Grundvoraussetzungen für Wohlfahrtsmärkte erfüllt. Erstens existierte ein positiv besetzter Begriff für die Privatschulen. Zweitens wurde die staatliche Finanzhilfe der Privatschulen vereinheitlicht, sodass eine zentrale Steuerung der Zuschüsse erfolgen konnte. Durch die Umstellung auf eine Pro-Kopf-Allokation der Mittel haben alle Schulen theoretisch die gleichen Voraussetzungen und können um Schüler konkurrieren. Und drittens wurden die Verwaltung und der Betrieb der öffentlichen Schulen dezentralisiert, das heißt für die Regulierungsbehörde und Kommunen waren die öffentlichen Schulen autonome Einheiten wie Privatschulen. Die Hauptaufgabe des verbliebenen staatlichen Schulamtes war die Steuerung und Evaluierung autonomer Schulen. Ein einheitlicher und expandierender Bildungsmarkt wurde nur noch durch drei institutionelle Stellschrauben verhindert. Erstens waren die gewährten Zuschüsse noch so gering, dass sich viele Eltern die zusätzlichen Schulgebühren nicht leisten konnten, insbesondere im Vergleich zu den kostenlosen öffentlichen Schulen und auch trotz sozial abgestufter Gebührenordnungen. Zweitens wurde die Finanzhilfe der Gymnasien gedeckelt und verhinderte eine ungebremste Expansion. Außerdem bestand keine Konkurrenz zwischen den Schulen, weil die Verteilung der Plätze von der Schulbehörde festgesetzt wurde. Drittens war die Lizenzierung der Privat- 288 WOHLFAHRTSMÄRKTE schulen restriktiv und Finanzhilfen wurden nur gewährt, wenn sie eine Ergänzung zu den öffentlichen Schulen anboten. Diese letzten institutionellen Hürden zur Entfaltung von Marktkräften wurden in der Marktliberalisierungsphase zwischen 1991 und 1994 abgeschafft, wie der folgende Abschnitt darlegt. Tabelle 22: Experteninterviews zum schwedischen Bildungsmarkt Kürzel AHU Name Anders Hultin Datum 18.10. 2010 OE Odd Eiken Per Unckel Sven-Åke Johansson 10.10. 2010 PU SAJ 18.08. 2008 19.10. 2010 Position PA der Bildungsministerin Beatrice Ask (1991–1994), Gründer/Vorsitzender des schwedischen Privatschulverbandes (Friskolornas Riksförbund, 1995–1999), seit 1999 verschied. Positionen in Privatschulen (u.a. Kunskapsskolan 1999–2010). Staatssekretär im Schulministerium (1991– 1994), im Vorstand Kunskapsskolan (2007–) Bildungsminister (1991–1994), Mitbegründer der Kunskapsskolan 1999 Kommissionsvorsitzender der SOU 1992:38 Quelle: eigene Darstellung. Marktliberalisierung (1991–1994) Die Reformphase von 1991 bis 1994 ist im Vergleich zu den vorherigen Reformphasen die zentrale Phase der Marktliberalisierung. Die Reformschritte in den 1980er Jahren bereiteten unbewusst die Einführung des Bildungsmarktes vor, sodass die bürgerliche Regierung relativ wenig ändern musste, um ihr Wahlziel nach mehr Schulwahlmöglichkeiten und privater Konkurrenz im öffentlichen Schulsystem zu erreichen. Da die wichtige Marktschaffung in diese Reformphase fällt, wird die Regulierung und politische Machtkonstellation ausführlicher dargestellt als bisher. Neben offiziellen Dokumenten fließen in diesen Abschnitt vor allem die Experteninterviews aus Tabelle 22 in die Analyse ein. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 289 Einheitliches Finanzierungssystem als sozialdemokratischer Kommissionsauftrag Die Ad-hoc-Anpassung der staatlichen Finanzhilfe im Zuge der Dezentralisierung wurde als eine provisorische Regelung implementiert und eine grundlegende Überarbeitung wurde für die folgende Legislaturperiode geplant. Kurz vor der Reichstagswahl im Oktober 1991 setzte Göran Persson als zuständiger sozialdemokratischer Schulminister eine Kommission zur Unterbreitung von Vorschlägen zur Reform der staatlichen Finanzhilfe für Grundschulen ein. Der Auftrag der Kommission benennt sehr deutlich die Angleichung der Finanzhilfe der Privatschulen an die Finanzierung der kommunalen Schulen und eine allgemeine Gleichbehandlung der öffentlichen und privaten Schulen. Folgende zentrale Ziele wurden benannt (SOU 1992:38, Hervorhebungen und Übersetzung Autor): »Das Niveau der staatlichen Finanzhilfe für diese [privaten] Schulen soll weitaus vergleichbarer sein mit der staatlichen finanziellen Unterstützung.« (145) »Die Kommunen sollen die verfügbaren Ressourcen im Schulwesen sowohl an die kommunalen als auch an die privaten Schulen innerhalb der Gemeindegrenzen auf die gleiche Art und Weise verteilen, wie sie es auch machen würden, wenn alle Schulen in kommunaler Hand wären.« »In dem Fall, dass Schulgebühren an einer Privatschule erhoben werden, müssen sie angemessen sein. […] [Schulgebühren sollen] keine maßgebliche Finanzierungsquelle werden, ohne Gefahr zu laufen, dass sie sich lediglich zu einem segregierenden Faktor entwickeln, der Schüler mit zahlungsschwachen Eltern ausschließt« (146). Die Zitate belegen, dass die Sozialdemokraten eine stärkere Angleichung der Finanzierung der kommunalen-öffentlichen und privaten Schulen erreichen wollten. Die Verteilung der Mittel sollte nach den gleichen Regeln erfolgen, was zumindest auch einen stärkeren Wettbewerb zwischen beiden Schulformen nahelegt. Gleichzeitig deuten die beiden letzten Zitate darauf hin, dass die Sozialdemokraten ein universelles Schulsystem erhalten wollten, das allen Schülern den gleichen Zugang zu kommunalen und privaten Schulen ermöglicht. Segregierende Effekte aufgrund von Schulgebühren sollten verhindert werden. 290 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die Marktliberalisierung durch die Konservativen Nach der Reichstagswahl übernahm eine bürgerliche Koalition die Regierungsgeschäfte und Beatrice Ask (Konservative Partei) wurde zur Schulministerin ernannt. Sie fungierte somit als neue Vorsitzende der Kommission zur Ausarbeitung eines einheitlichen Finanzierungssystems. Die Reformkommission blieb zwar formal bestehen, aber die zentralen Entscheidungen über die Prinzipien der Reform wurden im kleinen Kreis des Schulministeriums gefällt, wie Per Unckel, der damalige Bildungsminister, konstatiert:185 »We were a fairly small group that decided on the principles. You should remember when we got into power in 1991 we had, just like the present government by the way,186 a fairly detailed education and science agenda, that was well worked out before we entered into the government. And that reform agenda was passed through« (PU 39). Die Stoßrichtung der Reform war von Beginn an klar. Die Wahlfreiheit sollte im Schulsystem erhöht werden und die Schüler und Eltern sollten eine Auswahl insbesondere zwischen den Lerninhalten und -methoden besitzen. Unter der Federführung von Beatrice Ask und ihrem Staatssekretär Odd Eiken, der die Details ausarbeitete und mit den Interessengruppen verhandelte (PU 41), wurde parallel zur Kommissionsarbeit bereits an einem Gesetzentwurf gearbeitet (Prop. 1991/92:95).187 Dieser erste Gesetzentwurf wurde sogar einen Monat vor dem Abschlussbericht der Kommission im April 1992 in den Reichstag eingebracht und am 9. Juni 1992 verabschiedet. Das ist sehr ungewöhnlich, weil die Ergebnisse der öffentlichen Kommissionen normalerweise abgewartet werden, um einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. Die Konservativen hatten aber ihre Reformagenda bereits ausgearbeitet und wollten sie möglichst schnell implementieren. Sie entmachteten praktisch die von den Sozialdemokraten eingesetzte Kommission. Dieser erste Teil des Reformpakets enthielt bereits die Hauptreformelemente. Ab dem Schuljahr 1992/93 sollten die Privatschulen von den Kommunen mindestens 85 Prozent des staatlichen Beitrags pro Schüler erhalten, was auch dementsprechend implementiert wurde. Laut Gesetz- —————— 185 Das Schulministerium von Beatrice Ask war dem Bildungsministerium untergeordnet. 186 die Regierung Reinfeldt. 187 Eine weitere wichtige Person des internen Kreises war Anders Hultin, weitere Details zu seiner Rolle siehe unten und Tabelle 22. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 291 entwurf wurde das Schulamt angewiesen, liberalere Zulassungsregeln zu praktizieren; genaue Details enthielt der Gesetzentwurf jedoch nicht. Ebenso fehlte eine genaue Regelung der staatlichen Finanzhilfe. Beispielsweise wurde darauf verwiesen, dass die höhere Finanzhilfe zu einer Minderung der Schulgebühren führen müsse. Ein genaues Gutachten in dieser Frage sollte aber von der im Oktober 1991 eingesetzten Kommission vorgestellt werden und schließlich ein Jahr später in einem weiteren Gesetz konkretisiert werden (Prop. 1991/92:95: 16). Als Prinzip wurde jedoch darauf verwiesen, dass eine mögliche Schulgebühr nicht ökonomisch und sozial segregieren sollte. Ein Jahr später wurde die umfassende Regulierung des Bildungsmarktes festgelegt. Das erfolgte weiterhin unter der Federführung der Konservativen (Moderaterna), denn die bereits genannten zentralen Regierungsposten waren alle von Parteimitgliedern der Konservativen besetzt. »It was very much a common project [of the coalition parties] but it was a project that was very much at the same time driven by the moderate party« (PU 45). Während die mitte-rechts-orientierte Zentrumspartei eher skeptisch gegenüber Privatschulen war, unterstützten die Christdemokraten und Liberalen vehement die Einführung von Schulgutscheinen. Die Christdemokraten drückten in den internen Verhandlungen durch, dass die Privatschulen 85 Prozent des kommunalen Beitrags erhielten, wohingegen die Konservativen eher dem Kommissionsvorschlag von 75 Prozent gefolgt wären. Die Christdemokraten gingen 1964 unter anderem aus einer Bewegung für mehr Religionsunterricht an Gymnasien hervor und waren deshalb von Anfang an Befürworter konfessioneller Privatschulen. Angesichts dieses Hintergrunds waren sie innerhalb der Koalition die stärksten Verfechter einer generösen finanziellen Unterstützung privater und insbesondere konfessioneller Schulen (OE 31). Wie Tabelle 10 zu entnehmen ist, existierten Anfang der 1990er Jahre weniger als 80 private Grundschulen in Schweden. Sie waren zu dieser Zeit nicht politisch als Verband organisiert, unter anderem weil die Privatschulen sehr heterogene Interessen verfolgten (Profilschulen, Konfessionsschulen, Internate). Dennoch bestanden vereinzelt Kontakte von engagierten Schulrektoren zu wichtigen Vertretern der Christdemokraten, der Liberalen und vereinzelt zu Mitgliedern der Konservativen. Insgesamt war ihr Einfluss auf die Regulierung eher gering, weil sie keine konsistente und machtvolle Lobbytätigkeit leisteten (OE 33). 292 WOHLFAHRTSMÄRKTE Die Oppositionsparteien waren gegen den Vorschlag, wobei die Linkspartei die Reform prinzipiell ablehnte. Die Sozialdemokraten waren zwar für eine Reform der Privatschulfinanzierung, ihnen schwebte allerdings eine andere Regulierung vor. Beispielsweise wollten sie strengere Zulassungsregeln in Bezug auf mögliche Schulprofile und engere Grenzen für Schulgebühren. Im Gegensatz zur Regierung unterstützten sie das Kommissionsgutachten (SOU 1992:38), das für eine geringere öffentliche Finanzhilfe plädierte (75 % der kommunalen Durchschnittskosten). Auch die Gewerkschaften lehnten die Reform ab, waren aber gespalten. Der Lehrerverband (Lärarförbundet – LF) vertrat den Großteil der Lehrer in den Grundschulen und lehnte die komplette Reformrichtung ab. Der Reichsverband der Lehrer (Lärarnas Riksförbundet – LR) vertrat hingegen überwiegend Lehrer an Gymnasien. Der LR war konservativer geprägt und hatte vor der Zentralisierung und Verstaatlichung des Schulwesens in den 1950er Jahren jene Lehrer vertreten, die zwar an öffentlichen Gymnasien unterrichteten, deren Schüler aber zuvor private Grundschulen besucht hatten. Der LR war zumindest den Reformvorschlägen gegenüber offener und weniger negativ eingestellt (OE 39). Der größte Widerstand kam von den Kommunen. Sie wollten mehr Einfluss auf die Zulassung der Privatschulen bekommen und ein Vetorecht erhalten. Sie fürchteten die Konkurrenz der Privatschulen und wollten sie auf lokaler Ebene verhindern können. Die Reformgruppe um Beatrice Ask und Odd Eiken setzte jedoch durch, dass die Zulassung der Privatschulen ausschließlich durch das zentrale Schulamt erfolgte (OE 41–43). Sie setzte sich über die Kritik der Kommunen hinweg, weil sie befürchteten, dass ein generelles kommunales Vetorecht jegliche Gründung von Privatschulen verhindern könnte. Die Kommunen agierten wie dominierende Marktanbieter, die ihren Marktanteil verteidigten und bewahren wollten (Fligstein 2001), bevor der eigentliche Markt gegründet wurde. Allerdings konnten die Kommunen ihre Anbietermacht nicht in politische Macht ummünzen, weil sie unter anderem formal keine politische Vetomacht hatten. Trotz dieses Widerstandes mehrerer Interessengruppen wurde die Reform am 7. Juni 1993 vom Reichstag verabschiedet, weil keiner der Akteure rechtlich ein Veto gegen die Entscheidung einlegen konnte (OE 59, Prop. 1992/93:230; Riksdag 1992). Außerdem nutze keiner der Reformgegner informelle Vetooptionen wie breitangelegte Medienkampagnen, um die Reform zu verhindern oder die Markregulierung zu beeinflussen. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 293 Die ursprüngliche Regulierung des Bildungsmarktes 1992 Im Folgenden werden die fünf Regulierungsdimensionen auf die 1992 implementierten Regeln angewendet, um einerseits die Marktliberalisierung zu verdeutlichen und andererseits einen Zwischenschritt zur Universalisierung und derzeitigen Regulierung des Wohlfahrtsmarktes aufzuzeigen. Diese Regeln bezogen sich überwiegend – aber nicht ausschließlich – auf die privaten Grundschulen.188 Mit der Auflistung der Markteigenschaften werden auch die Entstehung und das institutionelle Erbe des schwedischen Bildungsmarktes herausgearbeitet:189 1. Zugangsvoraussetzungen. Der Zugang zu den privaten Grundschulen sollte von Beginn an »offen für alle« sein (Prop. 1991/92:95: 11). Diskriminierende oder segregierende Zugangskriterien sind bis auf einige Ausnahmen verboten. Im Gesetzentwurf von 1992 wird der Gesetzentwurf von 1982 über eine halbe Seite zitiert, um auf dieses Erbe zu verweisen. Die einzigen Auswahlkriterien waren das Anmeldedatum und einige soziale Gründe.190 Schulgebühren durften erhoben werden, wenn sie angemessen waren (Details s. Finanzierung). 2. Leistungsstruktur. Die Leistungsstruktur orientierte sich an den öffentlichen Schulen. Die akkreditierten Privatschulen mussten sich an den allgemeinen Lernzielen des Lehrplans orientieren und Werte unterrichten, die im Einklang mit der Verfassung waren. Im Vergleich zu den öffentlichen Schulen waren die Privatschulen davon befreit, Schultransport, muttersprachlichen Unterricht und eine medizinische Grundversorgung anzubieten. Sonderbedarfe von psychisch oder physisch beeinträchtigen Schülern mussten ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Die Grundversorgung an —————— 188 Die meisten Regeln galten auch für private Gymnasien ab 1993/96. Der Hauptunterschied bestand in der staatlichen Finanzhilfe. Es gab einen garantierten national einheitlichen Betrag je Ausbildungsprogramm, Kommunen konnten davon aber abweichen (SFS 1993:884; SFS 1996:1206). 189 Die Ausführungen der Regulierung beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf eine detaillierte Analyse des Gesetzestextes (Prop. 1992/93:230). 190 Beispielsweise durften Schüler bevorzugt aufgenommen werden, wenn bereits ein Familienmitglied (Bruder/Schwester) die Privatschule besuchte. Ebenso durften Schüler mit besonderem Betreuungsbedarf bevorzugt aufgenommen werden, wenn die Schule auf diese besonderen sozialen Bedarfe spezialisiert war (z.B. Internate, Blindenschulen etc.). Leistungsorientierte Aufnahmekriterien mussten vom Schulamt einzeln genehmigt werden und spielten praktisch keine Rolle. 294 WOHLFAHRTSMÄRKTE Bildungsinhalten musste somit von den Privatschulen erbracht werden, sie waren jedoch nicht verpflichtet, die Sonderbedarfe einzelner Schüler zu berücksichtigen oder gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen. 3. Finanzierungsmechanismus. Die Finanzierung der öffentlichen und privaten Grundschulen wurde auf ein gemeinsames Fundament gestellt. Die einheitliche Finanzierung sollte eine gleichwertige Konkurrenz zwischen öffentlichen und privaten Schulen ermöglichen. Die privaten Grundschulen erhielten eine garantierte öffentliche Finanzhilfe von mindestens 85 Prozent des durchschnittlichen Beitrags der örtlichen Kommune. Die öffentliche Finanzhilfe konnte also, trotz der einheitlichen Regelung zwischen den Kommunen, variieren. Erstens wendeten die Kommunen unterschiedliche Beträge pro Schüler auf, wodurch der gesetzlich garantierte Zuschuss grundsätzlich zwischen den Kommunen divergierte. Zweitens konnte eine Kommune entscheiden, mehr als 85 Prozent des durchschnittlichen Beitrags zu bezahlen. Die Kommunen besaßen somit den politischen Spielraum, Privatschulen über den gesetzlich garantierten Zuschuss hinaus mit öffentlichen Mitteln zu fördern.191 Die Regierung prognostizierte, dass eine 85-prozentige Finanzhilfe ungefähr die Kosten von 90 Prozent der Schulen abdecken würde. Damit die geschätzten 10 Prozent der Privatschulen mit höheren Ausgaben ihren zusätzlichen Finanzierungsbedarf decken konnten, wurde allen Privatschulen ermöglicht, Schulgeld zu erheben. Den Schulgebühren wurden aber enge Grenzen gesetzt. Sie mussten »angemessen« sein und durften nicht nach den Einkommensverhältnissen der Eltern segregieren. Ebenso durften sie nur erhoben werden, wenn die Ausgaben nicht durch die staatliche Finanzhilfe gedeckt waren. 4. Verwaltung. Die Verwaltung der Privatschulen oblag weiterhin dem zentralen und staatlichen Skolverket. Das Skolverket prüfte die Zulassung der Privatschulen und konnte die Zulassung auch wieder entziehen. Ebenso gab das Skolverket die Lehrpläne heraus und führte die nationalen Abschlussprüfungen durch. Das Skolverket wurde somit die oberste Regulierungsbehörde des Bildungsmarktes und lizenzierte, kontrollierte und sanktionierte die Privatschulen. Die Kommunen bekamen ebenso einige durchführende Verwaltungsaufgaben übertragen, wie die Auszahlung der —————— 191 Die Finanzhilfe folgte den Schülern auch erstmals über die Gemeindegrenzen hinweg, unabhängig vom Schultyp. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 295 Finanzhilfe und die laufende Kontrolle des Schulbetriebs. Ein größerer regulativer Einfluss der Kommunen wurde verhindert, weil sie als Betreiber der öffentlichen Schulen direkte Konkurrenten der Privatschulen wurden. In der Reformgruppe wurde auch die Alternative einer unabhängigen staatlichen Behörde diskutiert. Da das Skolverket aber bereits 1991 aufgrund des Dezentralisierungsprozesses nur noch die Aufgaben einer öffentlichen Regulierungsbehörde hatte, wurde dieses integrierte Modell präferiert.192 Alles in allem wurde auf eine existierende Institution zurückgegriffen. 5. Wahlfreiheit. Schließlich wurde die Wahlfreiheit für Schüler und Eltern massiv durch den Wegfall der Zugangshürden (Schulgeld, kommunale Schuleinzugsbereiche) und der neuen Anbieterkonkurrenz ausgeweitet. Diese Erhöhung der Wahlfreiheit zeigte sich auch in den Titeln der Gesetzentwürfe. Der erste Gesetzentwurf von 1992 hieß noch »Wahlfreiheit und Privatschulen«, was auf zwei unterschiedliche Themen hindeutet (Prop. 1991/92:95). Der detailliertere Gesetzentwurf ein Jahr später hieß »Wahlfreiheit in der Schule« (Prop. 1992/93:230), das heißt die Grenze zwischen öffentlichen und privaten Schulen wurde verwischt. Die Erhöhung der Wahlfreiheit wurde als das zentrale Thema herausgestellt und suggerierte, dass Privatschulen nur einen Teil davon ausmachen würden. Man könnte jedoch einwenden, dass der neue Titel eine Privatisierung der öffentlichen Bildung maskieren und die Langzeitfolgen der Marktliberalisierung verdecken sollte. Zum Teil stimmt der diskursive Fokus auf die generelle Ausweitung der Wahlfreiheit, denn die Reform erhöhte die Wahlfreiheit sowohl zwischen öffentlichen Schulen als auch zwischen öffentlichen und privaten Schulen. Zunächst konnten die Schüler erstmals über die lokalen Einzugsbereiche und kommunalen Grenzen hinweg eine öffentliche Schule auswählen, weil die Finanzhilfe den Schülern folgte. Zudem erhielten kommunale Schulen auch die Möglichkeit, Schulprofile zu entwickeln und somit eine öffentliche Alternative gegenüber dem öffentlichen Mainstream zu etablieren. In diesem Sinne wurde die Wahlfreiheit insgesamt erhöht, das heißt die Wahlfreiheit zwischen öffentlichen Schulen (Opt-within) und die Wahlfreiheit zwischen öffentlichen und privaten Schulen (im strengen Sinne Opt-out). —————— 192 Eine Privatisierung des Zulassungsverfahrens in Form von privaten Akkreditierungsbüros (wie bei BA/MA-Studiengängen) wurde nie diskutiert (OE 74–76). 296 WOHLFAHRTSMÄRKTE In Bezug auf die Privatschulen wurde mit den gelockerten Zulassungsregeln vor allem die potenzielle Variation zwischen den Privatschulen erhöht, folglich wurden die Wahloptionen ausgeweitet. Beispielsweise war es fortan für konfessionelle Schulen einfacher eine Zulassung zu bekommen, weil sie keine besonderen pädagogischen Methoden mehr vorweisen mussten (vgl. Prop. 1992/93:230). Wie bereits anhand der Zugangskriterien erläutert, erfolgte die eigentliche Auswahl nach dem Prinzip Opt-within. Demzufolge konnten die Schüler frei zwischen kommunalen und privaten Schulen wählen. Die Privatschulen waren nicht mehr Ergänzungsschulen außerhalb des öffentlichen Bildungssystems, sondern integraler Bestandteil des Bildungssystems. Da rund 90 Prozent der Privatschulen keine Schulgebühren verlangten, fiel die ökonomische Hürde für die meisten Privatschulen weg. Der institutionelle und ökonomische Rahmen ermöglichte seitdem eine sehr hohe Wahlfreiheit. Fazit – Marktliberalisierung Nach zehn Jahren inkrementeller und vorbereitender Reformen wurde in Schweden 1992 der Bildungsmarkt so stark reformiert, dass es einer Neugründung gleichkommt. Trotz aller Vermarktlichung und konservativer Reformagenda, wie oben skizziert, behielt der Bildungsmarkt sozialdemokratische Eigenschaften. Zentrale Eigenschaften des schwedischen Schulwesens blieben in dem liberalisierten Bildungsmarkt erhalten: Der Zugang zu den Privatschulen wurde zusammen mit der Finanzierungsstruktur so gestaltet, dass die Privatschulen fast allen Schülern offen stehen (Universalismus). Ebenso verblieb die Regulierung in öffentlicher Verwaltung. Eine Abweichung von diesen Grundprinzipien stand nie zur Debatte. Die Reform wäre nicht erfolgreich gewesen, wenn die Schulen nicht offen für alle gewesen wären oder eine private Agentur die Akkreditierung übernommen hätte. Die »Gleichwertigkeit« der kommunalen und privaten Schulen in Bezug auf Zulassungskriterien und Finanzierung war allgemeiner Konsens. Die Reform wurde sogar von einem sozialdemokratischen Minister angestoßen (s. Kommissionsauftrag). Im weiteren Verlauf der Reform setzte die konservative Regierung eine höhere staatliche Finanzhilfe durch als den Sozialdemokraten vorschwebte. Auch die weitgehende Liberalisierung und Öffnung des Marktes für verschiedene Schulformen (z.B. Konfessionsschulen) geht auf die Konservativen und Christdemokraten zurück. Die REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 297 grundsätzliche Möglichkeit Schulgebühren zu erheben, ist ebenso ein konservatives wie ein liberales Regulierungselement, das, trotz aller Auflagen bei der Gebührengestaltung, potentiell segregierende Effekte auf die Schülerschaft hatte. Die weitgehende öffentliche Finanzierung, der grundsätzliche Zugang für alle Schüler und die staatliche Aufsicht waren aber sozialdemokratische Grundpfeiler, die Bestand hatten. Insgesamt erfolgte somit eine sozialdemokratische Einbettung des Marktes, allerdings enthielt die Regulierung auch liberale und konservative Elemente, die eine inkrementelle Abkehr von dem bisherigen Schulsystem darstellen. Universalisierung und Stabilisierung des Marktes (1994–2002) Wie schon in Kapitel 4 erläutert, erfreuten sich die Privatschulen einer hohen Popularität und es kam zu vielen Schulneugründungen nach 1992. Dieser Erfolg überraschte selbst die an der Reform Beteiligten (Eiken 2009). Die Sozialdemokraten konnten das System der Wahlfreiheit nicht mehr abschaffen, weil es äußerst populär in der Bevölkerung war, dennoch implementierten die Sozialdemokraten wichtige Änderungen, die liberale und konservative Regulierungseigenschaften verringerten und das Bildungswesen sozialdemokratischer in das Wohlfahrtsregime einbetteten. Nach der Initialzündung der konservativen Regierung wurde das Schulgesetz unter der sozialdemokratischen Regierung immer wieder verändert und angepasst (SFS 1994:39; SFS 1996:564; SFS 1996:1206; SFS 1999:322). Hauptsächlich betrafen die Änderungen unmittelbar nach der Regierungsübernahme nur die Höhe des Staatszuschusses, die anderen Prinzipien der Marktregulierung galten als Konsens. Zunächst kürzten die Sozialdemokraten den maximal erhältlichen Zuschuss von 85 auf 75 Prozent (implementiert zum Schuljahr 1995/96 Prop. 1994/95:157). Ziel dieser ersten Reform war es, eine Überkompensation der Privatschulen zu vermeiden, weshalb die staatliche Finanzhilfe auf das von den Sozialdemokraten bereits 1992 präferierte Niveau gekürzt wurde. Diese politische Entscheidung verringerte zwar die Ressourcen der Privatschulen, ermöglichte aber immer noch eine hohe Wahlfreiheit, denn weiterhin konnten rund 78 Prozent der privaten Schulen ohne zusätzliche Schulgebühren operieren. Das Thema war damit aber nicht vom Tisch, denn ein fortdauernder Diskussionspunkt war die »Gleichbehandlung« und »Gleichwertigkeit« von 298 WOHLFAHRTSMÄRKTE privaten und öffentlichen Schulen. Dieser Aspekt berührte vor allem den Zugang zu den privaten Schulen. Das parteiübergreifende Ziel war, die Offenheit für alle Schüler zu garantieren (s. Eingangszitat). Beispielsweise waren auch die Grünen für die Beibehaltung der Wahlfreiheit, weil sie erhofften, die Pluralität zu erhöhen und alternative pädagogische Konzepte zu stärken (PU: 45). Universelle Schulgutscheine Die Sozialdemokraten strebten jedoch nicht nur eine Offenheit für alle, sondern auch eine Gleichwertigkeit an. Sie wollten erreichen, dass kein Schüler benachteiligt sei, weil die Schule finanziell schlechter ausgestattet wäre. Dies konnte nur erreicht werden, wenn die Privatschulen den gleichen öffentlichen Zuschuss erhalten würden. Eine Erhöhung des Zuschusses eröffnete den Sozialdemokraten im gleichen Atemzug eine stärkere Einhaltung des nationalen Kurrikulums und höhere Leistungsstandards (Schulmahlzeiten, Schultransport, Schulkrankenschwester, Integration benachteiligter Schüler) zu fordern (vgl. Interview AHU und Parlamentsprotokolle: Riksdag 1996). Im Rahmen dieser Diskussionen wurde 1997 die Finanzhilfe der privaten Grundschulen universalisiert, um jedem Schüler den Zugang zu einer Privatschule zu ermöglichen (Prop. 1995/96:200). Die privaten Grundschulen erhielten fortan von der Heimatkommune des Schülers den Betrag nach denselben Prinzipien zugeteilt wie die kommunalen Grundschulen. Dafür durften die Privatschulen aber keine Schulgebühren mehr erheben, die bisher einen gleichwertigen Zugang verhinderten. Im Endeffekt wurde damit ein 100-prozentiger Schulgutschein eingeführt. Das heißt aber nicht, dass alle Privatschulen eine national einheitliche Finanzhilfe pro Schüler erhielten. Erstens blieben die kommunalen Niveauunterschiede bestehen. Zweitens gewährten die meisten Kommunen einen Grundbetrag pro Schüler, der durch Zusatzbeiträge für besondere Bedürfnisse der Schüler aufgestockt werden konnte (muttersprachlicher Unterricht, sozialer Hintergrund, Förderunterricht; s. Skolverket 2006). Im Endeffekt folgte der Schulgutschein fortan den Schülern und entsprach dem jeweiligen Förderbedarf des Schülers (vgl. Risikoadjustierung der Finanzierungsdimension Kapitel 5.1). Da die privaten Grundschulen mit den öffentlichen gleichgestellt wurden, mussten sie nun auch gleichwertige Leistungen dafür an- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 299 bieten. Sie wurden dazu verpflichtet kostenlose Schulmahlzeiten, muttersprachlichen Unterricht und so weiter anzubieten. Dieses Gesetz wurde von der Minderheitsregierung der Sozialdemokraten mit der Zustimmung der Zentrumspartei, den Linken und den Grünen durchgesetzt. Obwohl die bürgerlichen Oppositionsparteien gegen den Gesetzentwurf stimmten, waren sie für eine grundsätzliche Gleichbehandlung beider (Grund-)Schultypen (vgl. Parlamentsprotokolle: Riksdag 1996). Erstarkte Privatschulen? Diesmal waren die Privatschulen zwar stärkere politische Akteure und ermöglichten zum Teil diesen parteiübergreifenden Kompromiss, dennoch konnten sie ihre Kernforderung nicht durchsetzen. Anders Hultin, der als Redenschreiber der Bildungsministerin Beatrice Ask zum zentralen Kern der Reformgruppe gehörte, gründete nach dem Regierungsverlust den nationalen Privatschulverband (Friskolornas Riksförbundet – FR).193 Damit hatten die Privatschulen erstmals eine nationale Interessenvertretung und mit Anders Hultin einen zentralen Architekten des Wohlfahrtsmarktes als ihren Geschäftsführer. Die Privatschulen konnten ihren politischen Einfluss stärken, weil sie ihre Lobbyarbeit mit der Gründung des Privatschulverbandes professionalisierten. Außerdem wurde der Privatschulverband durch das schnelle Wachstum der Privatschulen in kurzer Zeit ein wichtiger bildungspolitischer Akteur. Das Hauptziel des Privatschulverbandes war die Aufrechterhaltung des Status quo (Interview AHU). Der Verband lehnte zunächst die Erhöhung des staatlichen Zuschusses ab, denn die Privatschulen fürchteten, mit den neuen regulativen Auflagen ihre gerade erst gewonnene Freiheit schon wieder zu verlieren. Die intensive Lobbyarbeit trug zumindest insoweit Früchte, als die neuen fristående skolor über Parteigrenzen hinweg anerkannt wurden. Keine der Parteien forderte eine Reduzierung der Finanzhilfe unter 75 Prozent. Allerdings bemerkte Anders Hultin, dass die Kernforderung nach der Bewahrung des Status quo nicht erreicht werden konnte. Daraufhin veränderte er die Strategie des Privatschulverbandes und stellte den ersten politischen Kontakt zwischen Bildungspolitikern der Sozialdemokraten und Zentrumspartei her. Beide Parteien setzten schließlich die Erhöhung des —————— 193 Die Anschubfinanzierung erfolgte vom schwedischen Arbeitgeberverband (SAF, Svenska Arbetsgivareföreningen) 300 WOHLFAHRTSMÄRKTE staatlichen Zuschusses durch. Im vorliegenden Interviewmaterial bleibt es nebulös warum der Privatschulverband seine Position änderte. Ein Grund könnte aber die potenzielle Erhöhung der Gewinnmarge für gewinnorientierte Anbieter gewesen sein, die auch erst Anfang der 2000er Jahre massiv auf den schwedischen Bildungsmarkt drängten (vgl. Kapitel 4.2.2). Insgesamt blieb der Einfluss des Privatschulverbandes auf die Regulierung des Bildungsmarktes gering, die zentralen Reformen der Regulierung waren Ausdruck parteipolitischer Differenzen. Großer Kompromiss im linken Lager Die Sozialdemokraten konnten den von dem bürgerlichen Lager eingeführten Bildungsmarkt »sozialdemokratisieren«. Das bedeutet, die Regulierung des Wohlfahrtsmarktes wurde universalisiert und in das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime eingebettet. Zum Schuljahr 2002/03 wurde der Finanzierungsmechanismus der privaten Grundschulen auf die privaten Gymnasien übertragen, seitdem dürfen auch von Gymnasien keine Schulgebühren mehr erhoben werden, wenn sie die universellen Schulgutscheine erhalten wollen. Akkreditierte Schulen mussten sich überdies stärker an das nationale Kurrikulum halten als noch Anfang der 1990er Jahre (Prop. 2001/02:35; SFS 2002:395; SOU 2002:121). Aus dem Parlamentsprotokoll der öffentlichen Debatte wird deutlich, dass auch in diesem Fall ein parteiübergreifender Kompromiss über diese Grundprinzipien der Privatschulfinanzierung bestand. Wie auch bei der Einführung universeller Schulgutscheine im Grundschulbereich wurde der Kompromiss für die Gymnasien von den Sozialdemokraten, den Linken, der Zentrumspartei und den Grünen getragen (2001/02: UbU7; Riksdag 2002: 14 §).194 Diese Sozialdemokratisierung des Bildungsmarktes schlug sich auch in den Marktanteilen der Bildungsanbieter wieder. Wie schon erläutert (s. S. 166 und 182), wurden anfangs viele konfessionelle Privatschulen gegründet. Die Christdemokraten erreichten somit eine ihrer Kernforderungen nach religiöser Pluralität im Bildungssystem. Allerdings wurden in den —————— 194 Einige Parteidifferenzen werden erst im detaillierten Abstimmungsverhalten deutlich. So votierten die Grünen zusammen mit den bürgerlichen Parteien für einen Änderungsantrag, der ein Recht auf Finanzhilfe forderte, allerdings von den Sozialdemokraten und der Linke abgelehnt wurde. Trotzdem stützten die Grünen den Vorschlag der Sozialdemokraten. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 301 2000er Jahren immer weniger Konfessionsschulen gegründet und ihr Marktanteil sinkt stetig (Skolverket 2005: 26). Nicht nur die Regulierung wurde sozialdemokratischer, sondern auch die Marktanbieter wurden säkularer und einheitlicher, was zumindest eine sozialdemokratische Parteipräferenz widerspiegelt. Fazit Bildungsmarkt Seit 2002 ist der Bildungsmarkt vollständig in das schwedische Schulsystem eingebettet. Die Regulierungseigenschaften des Marktes spiegeln die vorherigen Bildungsinstitutionen wider. Wie schon ausführlich in den vorherigen Abschnitten erläutert, weist der Bildungsmarkt folgende Haupteigenschaften auf (vgl. Tabelle 19): Die Finanzierung der öffentlichen und privaten Schulen, von der Grundschule bis zur weiterführenden Sekundarschule, wird über Steuermittel finanziert. Die Schüler können frei zwischen den Schulen wählen, dafür dürfen aber keine Schulgebühren erhoben werden. Damit besteht ein gleicher Zugang für alle Schüler. Die Pflichtleistungen der Privatschulen sind auf einem sehr hohen Niveau und gehen über rein pädagogische Leistungen hinaus (z.B. Schulmahlzeiten). Ebenso werden sowohl die privaten als auch die öffentlichen Schulen von einer staatlichen Schulbehörde lizenziert, überwacht und unter Umständen sanktioniert. Am Anfang des Millenniums kann also von einem Bildungsmarkt gesprochen werden, der in weiten Teilen Eigenschaften des sozialdemokratischen Schulsystems aufweist. Die öffentlichen Schulen konkurrieren mittlerweile wie die privaten Schulen als autonome Einheiten mit eigenem Schulprofil und Budget um Schüler. Damit verschwimmen zusehends die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Schulen, weil sie unter denselben institutionellen Rahmenbedingungen agieren. Dieser schwedische Bildungsmarkt bildete sich über einen Zeitraum von rund 20 Jahren aus. Die ersten zehn Jahre waren eine vorbereitende Phase für die umfassende Marktliberalisierung 1992. Nach der Marktliberalisierung erfolgte eine kontinuierliche Einbettung des Marktes in das sozialdemokratisch geprägte Schulsystem, denn anfangs enthielt der Bildungsmarkt Eigenschaften, die in einzelnen Regulierungsdimensionen dem inklusiven Ansatz im schwedischen Schulsystem widersprachen. Im Zeitraum 1994–2002 wurden die Marktinstitutionen jedoch so angepasst, dass ein universeller Zugang »für alle« zum Wohlfahrtsmarkt möglich wurde. Die Wahloptionen wurden in dieser Zeit wieder leicht eingeschränkt, in- 302 WOHLFAHRTSMÄRKTE dem die Zulassungs- und Leistungskriterien für Privatschulen etwas verschärft wurden. Die individuelle Wahlfreiheit wurde jedoch durch die Abschaffung der Schulgebühren erhöht. Die Initiative für mehr Wahlfreiheit und finanzielle Unterstützung der Privatschulen ging auf das bürgerliche Lager zurück (insbesondere die Konservativen und Christdemokraten). Die Einbettung in das schwedische Bildungssystem erfolgte jedoch von allen Parteien, weil sie einen gemeinsamen Wertekanon teilten (z.B. universeller Zugang). Die Sozialdemokraten spielten insbesondere bei der Universalisierung der Schulgutscheine in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine herausragende Rolle. Während der Universalisierungsphase haben linke Koalitionen die ursprünglichen sozialdemokratischen Elemente im schwedischen Bildungsmarkt wieder restauriert und gestärkt. Die institutionelle Innovation beschränkte sich deshalb auf die Wahlfreiheit, wie üblich bei der Einführung von Wohlfahrtsmärkten. Die »Neuerfindung« des schwedischen Modells im Prozess der Marktschaffung tastete die anderen Grundprinzipien des schwedischen Bildungssystems kaum an. Obwohl der Wandel zum Teil inkrementell erfolgte, treffen keine der fünf Formen des inkrementellen Wandels auf die Reformen des schwedischen Bildungsmarktes zu (vgl. Streeck/Thelen 2005b). Betrachtet man alle Reformschritte zusammen, so war die Marktliberalisierung unter der bürgerlichen Koalition eine einschneidende Weichenstellung (critical juncture), die anschließend die Marktkräfte freisetzte und in der Folge nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Mit der Marktliberalisierung wurde der gesamte Finanzierungsmechanismus auf einen Schlag so verändert, dass in kurzer Zeit viele neue Privatschulen gegründet wurden und die neuen Wahlfreiheiten von der Mehrheit der Bevölkerung begrüßt wurden. Die vorherigen inkrementellen Reformen erleichterten die Marktliberalisierung, weil zentrale administrative Strukturen bereits etabliert waren, allerdings existierte vorher kein freier Markt, der eigenständiges Wachstumspotenzial besaß. Nach der Marktliberalisierung war eine Rückkehr zum vorherigen System keine Option mehr. Den Sozialdemokraten blieb nur noch die Möglichkeit, den neuen Bildungsmarkt durch weitere inkrementelle Reformen in das sozialdemokratische Regime einzubetten. Die Einbettung verlief so erfolgreich, dass mittlerweile kein eigenständiger Markt mehr zu erkennen ist. Vielmehr ist der Wohlfahrtsmarkt mit dem öffentlichen Bildungssystem verschmolzen. Private und öffentliche (kommunale) Schulen agieren in derselben (nationalen) Institution, es kam somit REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 303 zu einer Verschmelzung alter hierarchischer Institutionen mit den neuen Marktelementen, die nicht mehr getrennt werden können. 5.3.3 Sozialdemokratische Neuerfindung des schwedischen Modells Sowohl die Reformen im Renten- als auch im Bildungsbereich haben grundlegende Eigenschaften des schwedischen Modells in öffentlichen und privaten sozialpolitischen Institutionen erhalten. Auch die bürgerliche Regierung 2006–2014 wollte das schwedische Modell nicht abschaffen, sondern – wie das Eingangszitat dieses Kapitels zeigt – »neu erfinden«. Anders Borg (2008) betonte vor allem den gemeinsamen Wertekanon, der hinter den institutionellen Eigenschaften steht und von den schwedischen Parteien geteilt wird. Die Analyse der Einführung der Wohlfahrtsmärkte im Renten- und Bildungsbereich zeigte, dass die Vermarktlichung zwar vom bürgerlichen Lager forciert wurde, die Einbettung der Wohlfahrtsmärkte aber im Konsens unter Beteiligung aller Parteien erfolgte.195 Die Sozialdemokraten konnten innerhalb dieser Konsensfindung immer wieder sozialdemokratische Merkmale in den Wohlfahrtsmärkten bewahren beziehungsweise durchsetzen. Die Einführung der Prämienrente war von einem großen parteiübergreifenden Konsens innerhalb der Rentenreformgruppe geprägt. Die Prämienrente wurde deshalb besonders deutlich in das schwedische Wohlfahrtsregime eingebettet. Die Einführung der Schulgutscheine erfolgte in mehreren inkrementellen Schritten, die einzeln betrachtet keine konsistente Einbettung in das sozialdemokratische Regime aufzeigen. Nach der Einführung der Schulgutscheine erfolgte aber eine institutionelle Einbettung über einen Zeitraum von zehn Jahren. Der Bildungsmarkt weist seitdem wieder mehr Eigenschaften des vorherigen Bildungssystems auf und besitzt Merkmale eines sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes. Im Vergleich zur Rentenreform wurde kein parteiübergreifender Konsens hinter verschlossenen Türen ausgehandelt, aber Parteien unterschiedlicher Couleur haben die institutionellen Reformen durchgeführt und den Bildungsmarkt über einen langen Zeitraum geformt. Insbesondere die endgültige —————— 195 Ausgenommen wäre hier die populistische Rechte (NyD, Ny Demokrati), die von 1991– 1994 im Reichstag vertreten war. Die national-konservativen/rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD, Sverigedemokraterna) erlangten erst 2010 Reichstagsmandate und waren folglich nicht an den Reformen beteiligt. 304 WOHLFAHRTSMÄRKTE Stabilisierung des Bildungsmarktes im Jahre 2002 zeugte von einem parteiübergreifenden Konsens. Von den fünf Regulierungsdimensionen stehen der universelle Zugang zu den Wohlfahrtsmärkten und die staatliche Verwaltung beziehungsweise Aufsicht als typisch für das schwedische Modell hervor. Sowohl im Renten- als auch im Bildungsmarkt wurden diese zentralen Merkmale in den neuen Wohlfahrtsmärkten beibehalten. Im Bildungsbereich ist auch die ausschließliche Steuerfinanzierung der Privatschulen hervorzuheben, wohingegen im Rentenbereich nur die Grundrente steuerfinanziert ist. Die Prämienrente wird aber nach denselben Beitragsprinzipien finanziert wie die öffentliche Einkommensrente und ist somit in die bestehenden Institutionen eingebettet. Die Neuerfindung innerhalb des schwedischen Modells ist die Einführung und Erhöhung der Wahlfreiheit (vgl. Kvist/Greve 2011). Per Unckel beschreibt dies als eine Liberalisierung des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes, wendet jedoch ein, dass weiterhin alle schwedischen Bürger in das Wohlfahrtssystem einzahlen und den gleichen Zugang zu den Sozialleistungen haben: »Actually if you want to put a label on it, it was a truly liberal reform. […] But it could also be called an adjustment on a Nordic welfare model to a society where people just do not accept to be told what school their kid is going to go to, what kindergarten they have to go to, or what home for the elderly to go to when they get old. […] We are prepared to pay so everybody has the same right. But we want to decide on the contents ourselves« (PU 47). Dieses Zitat verdeutlicht die Einbettung der Wahlfreiheit im Zusammenspiel mit den anderen vier Dimensionen. Die Ausweitung von Wahlfreiheiten wurde vom bürgerlichen Lager auf die Agenda gesetzt, als institutionelle Reform initiiert und durchgesetzt. Aber seit der Einführung der Wahloptionen begrüßt auch das linke Lager bestehend aus Sozialdemokraten, Linkspartei, Grünen und Gewerkschaften die gewonnene Wahlfreiheit. Die Wahlfreiheit wurde aber innerhalb der Wohlfahrtsmärkte vom linken Lager begrenzt, vor allem durch universellen Zugang und kollektiver Finanzierung. Womit die Märkte in das bestehende Wohlfahrtsregime eingebettet wurden, was die segregierenden Wirkungen von Wahloptionen zumindest eindämmte. Die Analyse der Reform verdeutlichte insbesondere das institutionelle Erbe, das in Form von zentralen Eigenschaften in den neuen Wohlfahrtsmärkten erhalten wurde. Parteipolitische Akteure nahmen bei dieser Ein- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 305 bettung eine zentrale Rolle ein, denn sie strebten danach, diese Eigenschaften zu erhalten. Jenseits politischer Institutionen und parteipolitischer Akteure wurden auch andere Einflussfaktoren diskutiert. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände (Versicherungen, Banken und Privatschulen) hatten insgesamt betrachtet nur einen geringen Einfluss auf die beiden Marktgründungen. Die Marktakteure konnten erst nach der Marktgründung ihre politische Macht ausbauen (insbesondere Privatschulen), gleichwohl blieb ihr politischer Einfluss insgesamt gering. Die wirtschaftspolitische Lage Anfang der 1990er Jahre erhöhte seinerzeit den Reformdruck, vor allem auf das Rentensystem, dennoch zeigten die langen Reformphasen in beiden Fallstudien, dass die Reformen unabhängig von kurzfristigen nationalen und globalen ökonomischen Rahmenbedingungen waren. Die Interviewpartner erwähnten auch einen Wertewandel, insbesondere die Individualisierung, innerhalb der schwedischen Gesellschaft, die in den politischen Forderungen nach mehr Wahlfreiheit Ausdruck fand. Diese generellen gesellschaftlichen Trends haben somit den Wandel begünstigt, die Bewahrung der sozialdemokratischen Eigenschaften war aber vor allem ein parteipolitischer Prozess, der durch den institutionellen Rahmen maßgeblich bestimmt wurde. Beide Wohlfahrtsmärkte wurden in die bestehenden Institutionen durch die parteipolitischen Akteure eingebettet, die sich in ihren Begründungen für die Reformen auf das institutionelle Erbe des schwedischen Wohlfahrtsstaates bezogen haben. Trotz dieser Pfadabhängigkeit blieb dennoch Spielraum für Innovationen im Bereich der Wahlfreiheit, die jedoch relativ gering geblieben sind und auch an die existierenden Institutionen angepasst wurden. 306 5.4 WOHLFAHRTSMÄRKTE USA – Pionier und regulative Vielfalt In Kapitel 4 wurde betont, dass die Vereinigten Staaten von Amerika als erstes der drei Länder private Formen der Wohlfahrt einführten, dies gilt vor allem für Bereich der Altersvorsorge. Doch diese Annahme ist nicht ohne Weiteres auf den Bildungsbereich zu übertragen. Dieses Kapitel diskutiert deshalb, warum der Rentenmarkt frühzeitig gegründet wurde und in der Folge von einer hohen Pfadabhängigkeit geprägt war. Im Vergleich zum nationalen Alterssicherungsmarkt existiert ein regulativer Flickenteppich im Bildungsbereich. Obwohl die Entstehung der Wohlfahrtsmärkte nicht unterschiedlicher sein könnte, weisen sie viele regulative Gemeinsamkeiten auf. Diese liberalen Regimeeigenschaften werden im Detail herausgearbeitet und gezeigt, welche politischen Institutionen und Akteure diese Entwicklung begünstigt haben. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, wie die Wohlfahrtsmärkte in die bestehenden Institutionen eingebettet wurden. Anhand der fünf Regulierungsdimensionen wird untersucht, welche typischen Eigenschaften in die US-amerikanischen Wohlfahrtsmärkte übernommen wurden. Die Parteien und Marktakteure stehen im Fokus der Analyse, im politischen Kontext der USA unterscheiden sich jedoch die Parteienlandschaft und die Interessenverbände erheblich von den europäischen Fallstudien (Lösche/von Loeffelholz 2004). In erster Linie ist die parteipolitische Zersplitterung durch das Zweiparteiensystem geringer als in Deutschland und Schweden, was aber nicht bedeutet, dass der inhaltliche Graben zwischen den Demokraten auf der linken und den Republikanern auf der rechten Seite des politischen Spektrums geringer wäre. Trotz dieser Parteidifferenzen ist der Zwang zur Konsensbildung im politischen System der USA sehr hoch, wenn die Präsidentschaft und die Mehrheit im Kongress auseinanderfallen (divided government). Ebenso wird die Rolle der Verfassungsgerichte196 und fakultativer Referenden in die Analyse einbezogen, die insbesondere für die Bildungsmärkte relevant waren (Shell 2004). Zuerst wird die Marktgründung im Rentenbereich anhand der fünf Regulierungsdimensionen behandelt. Anschließend werden Bildungsmärkte untersucht, und zwar Charter Schools und Schulgutscheine separat. In einem Fazit werden die Ergebnisse zusammengetragen. —————— 196 Gemeint sind sowohl der Oberste Gerichtshof der USA (U.S. Supreme Court) als auch die gliedstaatliche Verfassungsgerichtsbarkeit (State Supreme Court). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 307 5.4.1 Rentenmarkt: Flexibel und übertragbar Im Gegensatz zu anderen Staaten mit einem vergleichbaren ökonomischen Entwicklungsniveau wurde das öffentliche Rentensystem in den USA (Old Age Insurance oder Social Security) erst relativ spät 1935 gegründet (Kudrle/Marmor 1981: 83; Schmidt 2005: 182).197 Zu dieser Zeit waren bereits, im Gegensatz zu Deutschland und Schweden, Steuererleichterungen für Betriebsrenten relativ weit entwickelt und ergänzten die öffentliche Rentenversicherung sehr früh (Hacker 2002; Klein 2003; Swenson 2004). Im Falle der privaten Vorsorge in den USA kann also nicht von einer Einbettung des Wohlfahrtsmarktes in ein öffentliches Rentensystem gesprochen werden, sondern von einer gegenseitigen Beeinflussung beider Rentenversicherungsformen seit dem New Deal 1935. Die Architekten des New Deal bezogen sich explizit auf die Betriebsrenten als Vorbilder für die institutionellen Rahmenbedingungen des öffentlichen Rentensystems, das wiederum Vorbild für spätere Reformen der privaten und betrieblichen Altersvorsorge wurde. Die genaue Betrachtung der historischen Entwicklung zeigt, dass zwar die betriebliche Altersvorsorge schon frühzeitig eine wichtige Säule im Rentensystem war, diese private Altersvorsorge betraf jedoch vornehmlich nur die Vermarktlichung und Regulierung der Finanzierungs- und Produktionsdimension. Erst Ende der 1970er Jahre erfolgten die entscheidenden regulativen Veränderungen, die eine größere Wahlfreiheit der Versicherten eröffneten. Diese Marktliberalisierung kreierte neue Marktstrukturen wie die Wahl der Anbieter und Produkte. Die eigentliche Wohlfahrtsmarktliberalisierung kann somit eher auf die Jahre 1974/78 datiert werden. Im Folgenden wird deshalb zunächst die historische Entstehung und gegenseitige Beeinflussung öffentlicher und privater Institutionen vor der Marktliberalisierung nachgezeichnet. Der Fokus des Kapitels liegt auf der eigentlichen Marktliberalisierung in den 1970er Jahren, als die institutionellen Eigenschaften des Wohlfahrtsmarktes herausgebildet wurden. Als Vergleichsfolie zur Untersuchung der Einbettung dienen die Eigenschaften des Rentensystems um 1972. Das abschließende Fazit fasst die Ergebnisse zusammen und diskutiert die Rollen der politischen Akteure bei der Marktliberalisierung. —————— 197 Wohlgemerkt wurden die schwedischen Grundrente und die US-amerikanische Social Security im selben Jahr gegründet, allerdings existierte in Schweden bereits seit 1914 ein öffentliches Rentensystem. 308 WOHLFAHRTSMÄRKTE Der New Deal als Rahmen für das Wachstum privater Vorsorge ohne Wahlfreiheit Bis 1935 existierte keine allgemeine öffentliche Rentenversicherung, dennoch existierten öffentliche Sicherungssysteme für einige gesellschaftliche Gruppen wie Veteranen, Witwen und Invaliden (deserving retirees, Weir u.a. 1988). Ebenso wurden um 1929 auf bundesstaatlicher Ebene verschiedene bedarfsgeprüfte Grundsicherungssysteme für Bürger im Rentenalter gegründet. Im Unterschied zur fehlenden öffentlichen Altersvorsorge existierten bereits sehr früh diverse betriebliche Alterssicherungssysteme. Die ersten formalen Betriebsrenten mit einklagbaren Rentenleistungen wurden 1875 gegründet und waren eine substanzielle Verbesserung gegenüber informellen Hilfeleistungen der Arbeitgeber. Diese frühe Formalisierung der Betriebsrenten spiegelte sich auch in der staatlichen Regulierung und Unterstützung wider. Die ersten Steuererleichterungen für die betriebliche Alterssicherung wurden gewährt, bevor ein nationales Sicherungssystem existierte (1926; Howard 1997: 54–61; OECD 2008a: 96). Damit wurden die Betriebsrenten als benachbarte Institution zu einem gewissen Grad Vorbild für die öffentliche Rentenversicherung: »During the New Deal, private pensions sponsored by employers (and often run by insurers) were seen as an important model for federal old-age insurance, while at the same time the glaring insufficiency of these private alternatives as providers of security was taken as proof that a federal programme was needed« (Béland/Hacker 2004: 43, Hervorhebungen Autor). Der institutionelle Rahmen bestand also einerseits aus einer teilweise generösen – aber sehr limitierten – privaten Altersvorsorge für gewerkschaftlich organisierte und gutverdienende Beschäftigte und andererseits einer föderal fragmentierten und bedarfsgeprüften Grundrente für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Roosevelt und die New Dealers waren durch Kontakte zur Versicherungsindustrie von der Idee einer nationalen Sozialversicherung inspiriert (Béland/Hacker 2004: 49), allerdings sollte eine nationale Sozialversicherung die Nachteile der betrieblichen Altersvorsorge vermeiden. Die Verabschiedung des New Deal führte ein national einheitliches öffentliches Rentensystem ein, das als Social Security oder OAI (Old Age Insurance) REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 309 bezeichnet wird.198 Anhand der fünf Regulierungsdimensionen wies die OAI folgende Eigenschaften auf: Die OAI war beitragsfinanziert und bezog alle abhängig Beschäftigten ein. Für die Mehrheit der Bevölkerung war die OAI die einzige Einkommenssicherung im Alter. Obwohl ein Einkommensbezug in der Rentenversicherung bestand, war die Leistungsstruktur auf eine Grundsicherung ausgelegt, weil die Anrechnung von Einkommen und Beitragsjahren sehr progressiv gestaffelt wurde.199 Die Verwaltung erfolgte zentral von der staatlichen Rentenversicherungsbehörde (Social Security Administration – SSA). Geplant war die Rentenversicherung als ein rein kapitalgedecktes System und orientierte sich hier stark an den betrieblichen Vorbildern. Die Novellierungen (Amendements) von 1939 erhöhten aber die Leistungen für die ersten Rentenbezieher ohne äquivalente Beiträge und führten eine anteilige Umlagefinanzierung in das Rentensystem ein. Dieses öffentliche Rentensystem war in den 1935er Jahren noch eine soziale Errungenschaft, dennoch wurde schnell deutlich, dass sie mit den Erwartungen der Mittelklasse nach einkommensbezogenen Leistungen im Ruhestand nicht mithalten konnte. Eine Ausweitung der öffentlichen Leistungen blieb aber in den folgenden Jahrzenten aus, sodass eine einkommensbezogene private Säule komplementär zur öffentlichen Rentenversicherung entstand. Wachstum der Betriebsrenten und Stagnation der OAI 1935–1972 Die eigentliche Besonderheit des US-amerikanischen Rentenregimes wurde die Integration der privaten Vorsorge in Form von Betriebsrenten (und später individuellen Rentenversicherungen), die für Versicherte mit überdurchschnittlichem Einkommen viel relevanter wurden als die relativ geringen OAI-Leistungen. Die politische Auseinandersetzung drehte sich um die Frage, ob private Renten die öffentliche Rentenversicherung ergänzen oder direkt mit ihr konkurrieren sollten. Bereits bei den Verhandlungen zum New Deal 1935 initiierten republikanische Abgeordnete einen Gegen- —————— 198 Seit 1956 als OASDI bezeichnet (Old Age, Survivors and Disability Insurance). Eine föderal fragmentierte aber obligatorische öffentliche Arbeitslosenversicherung wurde ebenfalls eingeführt. 199 Faktisch betrug die Lohnersatzrate für Geringverdiener rund 80–90 % des vorherigen Einkommens, wohingegen Versicherte mit durchschnittlichem Einkommen eine Lohnersatzrate von rund 40 % erwarten konnten (Murswieck 2004). 310 WOHLFAHRTSMÄRKTE entwurf zur obligatorischen OAI, der Arbeitgebern ermöglicht hätte, aus der öffentlichen Rentenversicherung auszusteigen, wenn sie Betriebsrenten angeboten hätten (Clark amendments, Hacker 2002: 101; Howard 1997: 117). Diese Initiative scheiterte am vehementen Widerstand der Roosevelt Administration, dennoch blieb die Frage offen, wie OAI und Betriebsrenten integriert werden sollten. Nach der Einführung der OAI war das Rentensystem von Stagnation der geringen staatlichen Grundsicherung und einem Wachstum zusätzlicher Betriebsrenten geprägt. Verschiedene politische und institutionelle Rahmenbedingungen prägten diese Entwicklung: Bis 1942 war die übliche Praxis der Arbeitgeber die neuen OAILeistungen in die Leistungsberechnung zu »integrieren«, obwohl das nicht vom Gesetzgeber intendiert war. Die übliche Betriebsrente wurde nach dem Prinzip der Leistungszusage (defined benefit – DB) berechnet. Das bedeutet, den Beschäftigten wurde ein bestimmter Prozentsatz ihres Lohns im Ruhestand garantiert. Nach der Einführung der öffentlichen Rente (OAI) wurden bei der Leistungsberechnung der Betriebsrente einfach die OAI-Leistungen auf die Lohnersatzrate angerechnet. Folglich erhielten geringverdienende Beschäftigte keine Betriebsrente oder nur marginale betriebliche Leistungen ausgezahlt, weil die öffentliche Rente bereits mehr oder weniger der betrieblichen Lohnersatzrate entsprach. Diese Praxis erhöhte die Unterstützung der Arbeitgeber für den New Deal, weil für sie praktisch keine zusätzlichen Kosten anfielen. Die Integration ermöglichte es ihnen, die Beiträge für die OAI bei den Leistungen für die Betriebsrenten einzusparen (Hacker 2002: 86). Diese Praxis der Integration wurde 1942 im Revenue Act formalisiert. Eine ursprünglich vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Praxis wurde somit gesetzlich anerkannt und legitimiert (vgl. subversive conversion, Streeck/Thelen 2005b). In den folgenden zwei Dekaden nutzten Arbeitgeber ihre Betriebsrenten, um hoch qualifizierte Angestellte an ihre Firma zu binden. Die Betriebsrenten wurden so verändert, dass überwiegend nur Angestellte und gutverdienende Mitarbeiter von den Betriebsrenten profitierten (Hacker 2002: 103; Hacker/Pierson 2002). Politisch wurde diese Segregation der betrieblichen Rentenversicherungen hingenommen und nur geringfügig regulativ gegengesteuert. Ebenso legte die Regulierung der Betriebsrenten im Steuerrecht die institutionellen Grundlagen für eine unabhängige Gesetzgebung der privaten Rentenversicherungen. Die Regulierung der Be- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 311 triebsrenten wurde somit unabhängig vom Sozialrecht und der OAIGesetzgebung (Béland 2005b; Béland/Hacker 2004: 51). In der Phase von 1935–1950 stieg die Versichertenquote für Betriebsrenten von rund 6 auf knapp 20 Prozent an. Dieser Anstieg ergab sich daraus, dass die schon 1926 eingeführten Steuererleichterungen erst mit der Erhöhung der Einkommenssteuer und Gewerbesteuer in den Kriegsjahren für eine breitere Masse der Arbeitnehmer und für viele Arbeitgeber eine lukrative Steuerersparnis wurden. Vormals waren die Steuersätze so gering, dass die Steuererleichterungen für den Großteil der Beschäftigten und Arbeitgeber nicht ins Gewicht fielen. Das Wachstum der betriebliche Altersvorsorge war somit ein Nebenprodukt der Steuervermeidungsstrategie von Arbeitnehmern und Arbeitgebern (Howard 1997: 122). Weitere Expansionen des öffentlichen Rentensystems wurden zu dieser Zeit von einer Koalition aus konservativen Politikern, Arbeitgeberverbänden und Versicherungsgesellschaften verhindert, sodass die Rentenleistungen eines Beschäftigten mit durchschnittlichem Einkommen in diesem Zeitraum real gesunken sind. Ende der 1940er Jahre veränderten die Gewerkschaften ihre sozialpolitische Strategie, weil sie mit ihren Forderungen nach einer Ausweitung der öffentlichen OAI nicht erfolgreich waren. Sie setzten nun vermehrt auf eine Ausweitung der betrieblichen sozialen Absicherung und fingen an, die Betriebsrenten als Teil der Tarifverhandlungen zu betrachten. Die Gewerkschaften setzten durch, dass die Betriebsrenten für eine breitere Belegschaft zugänglich wurden. Umgekehrt erkannten die Arbeitgeber, dass sie sich mit attraktiven Betriebsrenten die Loyalität ihrer Belegschaft in einem Umfeld von Arbeitskräftemangel in diesen Jahren sichern konnten (Hacker/Pierson 2002). Die Deckungsquote stieg bis in die 1970er Jahre auf 40 Prozent und vor allem Arbeitnehmer in großen Betrieben und mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad profitierten von dieser Öffnung der Betriebsrenten für alle Mitarbeiter. Obwohl die Versichertenquote für Betriebsrenten stetig anstieg, wurde deren staatliche Regulierung nur marginal geändert. Bis Anfang der 1970er Jahre bildete sich somit ein fragmentiertes Betriebsrentensystem heraus. Die konkreten Leistungen und Eigenschaften der Betriebsrenten variierten stark zwischen den Betrieben, weil die regulativen Vorgaben gering waren und die Rechte der Versicherten in den Betrieben stark vom Verhandlungsgeschick der zuständigen Gewerkschaft abhingen. In den 1960er Jahren gab es deshalb mehrere demokratische Gesetzesinitiativen, die Rentenleistungen und -rechte für die Versicherten stärker festzuschreiben 312 WOHLFAHRTSMÄRKTE und gesetzlich zu garantieren. Sie scheiterten jedoch am Widerstand republikanischer Abgeordneter, konzertierten Interventionen der Arbeitgeber und intensiver Lobbyarbeit der Versicherungskonzerne. Diese mächtige Koalition konnte somit eine stärkere Regulierung der Betriebsrenten verhindern (Howard 1997: 127). Das Wachstum der Betriebsrenten seit dem New Deal bis in die 1970er Jahre beruhte also auf einer veränderten Strategie der Gewerkschaften, der Nachfrage nach höheren einkommensbezogenen Rentenleistungen als auch auf lukrativeren steuerlichen Anreizen aufgrund höherer Steuersätze, ohne jedoch die institutionelle Anreizstruktur der Betriebsrenten an sich zu verändern. Dieser Anstieg der Betriebsrenten kann als displacement beschrieben werden: Die schon frühzeitig implementierten Steuervergünstigungen der Betriebsrenten entwickelten sich zu einer ebenso wichtigen Altersvorsorgeinstitution wie die öffentliche OAI, obwohl dies anfangs nicht so intendiert war. Die Betriebsrenten wurden erst als attraktive Vorsorgeform erkannt, als sich die sozialen Umstände geändert hatten (Steuersätze) und machtvolle arbeitsmarktpolitische Akteure (Arbeitgeber/Gewerkschaften) ihr Potenzial – in Ermangelung öffentlicher Alternativen – erkannten. In den 1950/60er Jahren wurde zwar auch die öffentliche Rentenversicherung durch direkte institutionelle Reformen ausgeweitet, allerdings ohne das Wachstum der privaten Vorsorge zu mindern. Der Versichertenkreis wurde in diesem Zeitraum mehrmals ausgeweitet (Selbstständige, Landwirte, einige Staatsbedienstete etc.).200 Außerdem wurde Ende 1972 mit dem Supplemental Security Income (SSI) eine bedarfsgeprüfte Grundrente auf Sozialhilfeniveau eingeführt (Howard 1997; Steensland 2006). Für diese Beschäftigten blieb es weiterhin lukrativ zusätzlich eine betriebliche Altersvorsorge abzuschließen, weil die Leistungen der öffentlichen Rentenversicherung nicht real angehoben wurden und ihr Einkommen ersetzt hätten. Die öffentliche Rentenversicherung blieb trotz der moderaten Rentenerhöhungen eine Grundsicherung im Alter mit geringen Leistungen. Zusammengenommen hatte sich bis Anfang der 1970er Jahre ein duales System aus öffentlicher und betrieblicher Vorsorge zementiert (vgl. Seeleib-Kaiser u.a. 2012). Allerdings waren bis dato nur sekundäre Wohl- —————— 200 Die Inklusion wurde abermals in den 1980er Jahren erhöht. Die Zugangsvoraussetzungen schlossen seitdem über 95 % der Erwerbsbevölkerung ein. Diese letzte Ausweitung des Versichertenkreises veränderte aber nicht mehr fundamental den Inklusionsgrad Ende der 1960er Jahre. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 313 fahrtsmärkte entstanden, das heißt zwischen Arbeitgebern und Versicherungskonzernen beziehungsweise Finanzmärkten (vgl. Kapitel 2; ausführlicher Berner 2009). Ein primärer Wohlfahrtsmarkt entstand nicht, weil die primären Nutzer, das heißt die versicherten Beschäftigten, nicht direkt am Markt agierten. Die Versicherten hatten keine Wahl zwischen Anbietern, sondern waren an das Angebot ihres Betriebes gebunden. Erst in der nächsten Entwicklungsphase entstand ein primärer Wohlfahrtsmarkt. Grundlage dafür waren aber die existierenden starken Betriebsrenten mit Leistungszusage. Die Regulierung des US-amerikanischen Rentensystems bestehend aus SSI, OAI und Betriebsrenten kann folgendermaßen Anfang der 1970er Jahre zusammengefasst werden (vgl. erste Spalte in Tabelle 23): 1. Zugangsvoraussetzungen. Der Zugang variierte erheblich zwischen den drei Säulen des Rentensystems. Das Supplemental Security Income (SSI) war bedarfsgeprüft, die OAI war bis auf einige Beamte universell und der Zugang zu Betriebsrenten hing maßgeblich vom Arbeitgeber ab. Bei den Betriebsrenten ist zu ergänzen, dass die Betriebe relativ viele Freiräume hatten den Zugang zu gestalten und entsprechend groß waren die Unterschiede zwischen einzelnen Betrieben und Branchen. 2. Leistungsstruktur. Abgesehen von der Grundsicherung des SSI, waren die Rentenleistungen einkommensbezogen. OAI und die Betriebsrenten mit Leistungszusage waren ein integriertes System, dessen Rentenleistungen miteinander verrechnet wurden. Durch die Leistungszusage der Betriebsrenten existierte eine hohe Erwartungssicherheit für die Versicherten. 3. Finanzierungsmechanismus. OAI und Betriebsrenten wurden über Beiträge finanziert. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern entrichtet, wohingegen die Beiträge zu den Betriebsrenten üblicherweise ausschließlich von den Arbeitgebern aufgebracht wurden. Für beide Beitragsarten wurden Steuererleichterungen gewährt (nachgelagerte Besteuerung der Rentenauszahlung). 4. Verwaltung. SSI und OAI wurden staatlich verwaltet. Die Betriebsrenten wurden überwiegend von den Unternehmen selbst verwaltet. Versicherungsunternehmen agierten auf dem sekundären Rentenmarkt und verwalteten die Betriebsrenten für einige Unternehmen. 314 WOHLFAHRTSMÄRKTE Tabelle 23: USA RENTE – Das Rentensystem um 1972 und die Regulierung privater Rentenversicherungen (2000er Jahre) Typ Zugang Leistungsstruktur Finanzierung Verwaltung Wahlfreiheit Rentensystem 1972 Bedarfsprüfung (SSI), universell (OAI), Status (Betrieb) Grundsicherung (SSI), Leistungszusage (OAI, Betrieb) Sozialbeiträge, Steuerfreibeträge (für Arbeitgeber) paritätisch (OAI), Arbeitgeber (Betrieb) Staat, Betrieb gering (OAI, Betrieb) klassische Betriebsrente Status (Betrieb) 401(k) IRA Status (Betrieb) individuell Leistungszusage (DB) Beitragsorientierung (DC) Beitragsorientierung (DC) Beiträge, Steuererleichterungen Beiträge, Steuererleichterungen Arbeitgeber Arbeitnehmer / Arbeitgeber (1/2) Beitrage, Steuererleichterung (für Individuen) Arbeitnehmer Staat (PBGC), Arbeitgeber (Versicherungen) keine, Übertragbarkeit (vesting) Arbeitgeber, Versicherungen private Versicherungen mittel (Optout, Opt-in, zum Teil Optwithin), Übertragbarkeit (vesting) hoch (Opt-in, Opt-within), Übertragbarkeit (vesting) Quelle: eigene Darstellung, Unterschiede kursiv 5. Wahlfreiheit. Praktisch bestanden keine Wahlfreiheiten. Die OAI war eine obligatorische Sozialversicherung und auch bei den Betriebsrenten waren keine Wahloptionen vorhanden. Selbst bei den Betriebsrenten existierte meist keine Ausstiegsoption, weil die Versicherten keine Beträge entrichteten und somit auch nur Nachteile von einem Ausstieg gehabt hätten. Eine Übertragung von Rentenansprüchen war üblicherweise nicht möglich. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 315 Wie schon erläutert, baute dieses Rentensystem zwar in erheblichem Maße auf den privaten Betriebsrenten auf, allerdings waren kaum Marktmechanismen implementiert. Zusammenfassend ist dieses Rentensystem entstanden, weil ein Ausbau der öffentlichen Rentenversicherung nicht stattfand. Die Parteidifferenzen verhinderten in dieser Phase vor allem notwendige Reformen der OAI. Republikanische Abgeordnete vereitelten regelmäßig Gesetzesinitiativen zur Erhöhung der öffentlichen Rentenversicherung mit Unterstützung von Arbeitgebern und Versicherungskonzernen. Die Mehrheit der Arbeitgeber war weiterhin daran interessiert, die Loyalität ihrer Mitarbeiter mit Betriebsrenten sicherzustellen und die Versicherungskonzerne verdienten kräftig an den Betriebsrenten und fürchteten, ein generöseres öffentliches System würde ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen (Hacker/Pierson 2002). Zudem haben die Gewerkschaften mit ihrer veränderten Strategie seit den 1950er Jahren den Ausbau der Betriebsrenten vorangetrieben (Swenson 2004). Die Einbettung der öffentlichen und betrieblichen Rentenversicherung erfolgte als eine gegenseitige Beeinflussung und nicht als eine Übertragung der Eigenschaften auf eine andere Institution, vor allem weil die private Altersvorsorge parallel zur öffentlichen Vorsorge entstand und ausgebaut wurde. Außerdem war die Regulierung der betrieblichen Rentenversicherungen schwach und nur wenige Vorgaben regelten den sekundären Wohlfahrtsmarkt, was zu einer großen Pluralität, aber auch geringen einklagbaren sozialen Rechten führte. Die Eigenschaften der öffentlichen und privaten Rentenversicherung weisen zwar Ähnlichkeiten auf (Beitragsbezug, geringe Wahlfreiheit), differieren aber auch in weiten Teilen (u.a. Universalismus vs. Status). Die beiden Rentensäulen sind komplementär zueinander entstanden, das heißt die Betriebsrenten sollten Defizite der öffentlichen OAI auffangen, weshalb sie anders reguliert wurden. Diese sehr unterschiedlichen Eigenschaften bildeten im Folgenden die Grundlage für die Ausweitung von Marktmechanismen und die Regulierung neuer privater Rentenversicherungen. Nationale Vereinheitlichung der Betriebsrenten durch ERISA 1974 Ende der 1960er Jahre formierte sich unter Federführung von Senator Jacob Javits (moderater Republikaner) eine parteiübergreifende Initiative von Parlamentariern mit dem Ziel, die sozialen Rechte der Versicherten in Betriebsrenten zu verbessern. Die Gruppe von Demokraten und Republi- 316 WOHLFAHRTSMÄRKTE kanern brachte 1972 einen Gesetzentwurf ein, der erfolgreich zum Employee Retirement Income Security Act (ERISA) von 1974 führte. ERISA war das Ergebnis eines parteiübergreifenden Kompromisses zwischen der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus und Senat und dem republikanisch kontrollierten weißen Haus unter den Präsidenten Nixon und Ford, die Initiative ging aber ursprünglich und maßgeblich vom republikanischen Senator Javits aus (Howard 2007). Die vorherige parlamentarische Blockade konnte aus verschiedenen Gründen gebrochen werden. Erstens waren die Arbeitgeberverbände und Versicherungskonzerne in einer sehr schwachen Position zu dieser Zeit, weil sie an verschiedenen Fronten Gesetzesinitiativen zu verhindern versuchten und deshalb keine koordinierte Lobbyarbeit leisteten. Zweitens wurde Anfang der 1970er Jahre erstmals ausführlich über die Steuerausfälle im Rahmen der Steuererleichterungen für private und betriebliche Renten öffentlich berichtet und die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und dem Steuersystem thematisiert. Zugleich wurden Finanzierungsengpässe der öffentlichen Rentenversicherung (OAI) öffentlich in den Medien diskutiert und eine Erhöhung der Beiträge gefordert (Hacker 2002: 148–151; Howard 1997: 129). Diese günstigen politischen Umstände erhöhten den Reformdruck und erleichterten die Kompromissfindung im Kongress. Zwei zentrale Lösungen wurden gefunden, die eine parteiübergreifende Einigung ermöglichten. Erstens wurde eine Machtteilung zwischen dem Finanzministerium und dem Sozialministerium vereinbart, was vor allem die Verwaltungsdimension betraf. Das Finanzministerium bekam die Zuständigkeit für einen Teil der Regulierung der Betriebsrenten (Übertragungsregelungen, Nichtdiskriminierung, Anlageregeln), womit das Finanzministerium die zentrale Rolle in der Ausgestaltung der finanziellen Förderung der Betriebsrenten behielt. Das Sozialministerium erhielt hingegen die Zuständigkeit für die Regulierung von Berichts- und Offenlegungspflichten und die Regulierung und Abwicklung von auslaufenden oder insolventen Betriebsrenten. Innerhalb des Sozialministeriums wurde eine neue Versicherungsbehörde zur Abwicklung von insolventen Betriebsrenten gegründet. Die neue Pension Benefit Guaranty Corporation (PBGC) sicherte fortan alle Betriebsrenten mit Leistungsgarantie gegen Insolvenz ab. Der zweite Kompromiss öffnete das Tor für einen privaten Rentenversicherungsmarkt im Rahmen der betrieblichen Vorsorge. Auf Druck der Nixon Administration wurden individuelle Rentensparpläne für abhängig REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 317 Beschäftigte (Individual Retirement Accounts – IRA) in die ERISAGesetzgebung aufgenommen. Im Gegensatz zu den kollektiven Betriebsrenten mit Leistungszusage wurde abhängig Beschäftigten ermöglicht, individuelle private Rentenversicherungen abzuschließen und dabei ähnliche Steuervorteile zu genießen wie bei den kollektiven Betriebsrenten. Die IRAs sollten auch Beschäftigten ohne Zugang zu einer Betriebsrente bei einem großen Unternehmen ermöglichen, für ihren Ruhestand privat vorzusorgen. Mit der Ausdehnung der Steuererleichterungen sollten sie nicht benachteiligt werden gegenüber Versicherten mit kollektiven Betriebsrenten. Erstmals wurden die Versicherten zu primären Wohlfahrtsmarktkunden, weil sie zwischen verschiedenen Versicherungsanbietern wählen konnten und nicht mehr von ihrem Arbeitgeber abhängig waren. Diese Marktliberalisierung war somit ursprünglich als eine Ergänzung der existierenden Betriebsrenten gedacht (layering). Die institutionelle Innovation der IRA konnte bereits auf einen hohen Grad an privater Finanzierung und Produktion aufbauen, als auch regulative Eigenschaften aus den benachbarten Institutionen übernehmen, wie Steuererleichterungen und die öffentlichen Regulierungsbehörden im Sozial- und Finanzministerium. Im Endeffekt war das primäre Ziel der Reform, das duale System aus öffentlicher Rentenversicherung und Betriebsrenten zu stärken und den Versicherten mehr soziale Rechte in den Betriebsrenten zu garantieren. Das Sozialversicherungsmodell galt dabei als Vorbild für die Betriebsrenten mit Leistungszusage, indem zusätzliche Garantien und Rechte der OAI auf die Betriebsrenten übertragen wurden. Die politische Linke erkannte, dass eine Ausweitung der öffentlichen Rentenversicherung nicht mehrheitsfähig war. Gewerkschaften und Demokraten hatten sich mit den Betriebsrenten arrangiert, versuchten sie aber nach ihren Vorstellungen zu gestalten, indem die sozialen Rechte der Versicherten gestärkt wurden. Trotz der sozialpolitischen Errungenschaften der ERISA-Gesetzgebung erzielte das linke Lager nur einen Pyrrhussieg. Die IRAs entpuppten sich als Trojanisches Pferd, das eine Ausweitung der Marktmechanismen im Rentensystem bewirkte, obwohl ERISA augenscheinlich die sozialen Rechte der Versicherten zunächst erhöhte. Die IRAs waren die Initialzündung für die Entstehung eines individualisierten Wohlfahrtsmarktes und der Beginn des Niedergangs der kollektiven Betriebsrenten mit Leistungsgarantie. In den folgenden Jahren entstand ein individueller Rentenmarkt, der zwar mehr Wahlfreiheiten ermöglichte, jedoch auch das Risiko der 318 WOHLFAHRTSMÄRKTE Versicherten individualisierte. Der folgende Abschnitt zeichnet ausführlich nach, welche Marktmechanismen eingeführt wurden und wie sie zur Marktliberalisierung der bestehenden privaten Altersvorsorge führten. Individualisierung und Vermarktlichung Als Vorbild zur Regulierung der IRAs fungierten die Keogh-Plans201, die schon 1962 für Selbstständige eingeführt wurden. Selbstständige waren zwar seit 1950 in der OAI pflichtversichert, für sie waren aber klassische Betriebsrenten nach dem Vorbild großer Unternehmen häufig nicht lukrativ. Für Selbstständige lag der Vorteil von Keogh-Plans darin, dass sie mit geringem Verwaltungsaufwand Rücklagen für das Alter bilden konnten und für ihre Beiträge vergleichbare steuerliche Vergünstigungen erhielten wie abhängig Beschäftigte (IRS 2009). Die jährlichen Steuererleichterungen waren merklich höher als für die Betriebsrenten, weil Selbstständige sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerbeiträge entrichteten. Diese Rentenbeiträge konnten in Betriebsrenten ähnliche, jedoch individuell gestaltete, Altersvorsorgepläne von Versicherungskonzernen investiert werden. Selbstständige, die einen Keogh-Plan abschlossen, agierten als Kunden direkt mit den Versicherungskonzernen und konnten verschiedene Angebote einholen und vergleichen. Es existierte somit schon ein bezuschusster Rentenmarkt, jedoch nur für eine begrenzte Gruppe der Erwerbsbevölkerung. Wie mit der Gesetzgebung intendiert, wurden IRAs zunächst auf diejenigen Beschäftigten beschränkt, die keinen Zugang zu Betriebsrenten hatten.202 Der Rentenmarkt war somit als eine Ergänzung zu den existierenden Betriebsrenten gedacht. Allerdings wurde die Begrenzung 1981 von der republikanischen Reagan Regierung aufgehoben und alle Beschäftigten konnten einen IRA abschließen, entweder zusätzlich zur Betriebsrente oder als alleinige Altersvorsorge. Sie konnten anfangs 1.000 $ pro Jahr in einen Rentenfonds ihrer Wahl investieren.203 Diese individuellen Rentenfonds wurden direkt von Versicherungskonzernen angeboten. Somit war —————— 201 Manchmal auch Qualified Plans oder HR10 Plans genannt. Die geläufigste Bezeichnung Keogh Plans bezieht sich auf den Abgeordneten Eugene J. Keogh, der das Gesetz ausgearbeitet hat. 202 Weitere regulative Details bei McGill u.a. (1996; 2005). 203 Seitdem wurde der jährliche Maximalbeitrag mehrfach erhöht. Seit 2008 5.000 $ für Beschäftigte jünger als 50 Jahre und 6.000 $ für ältere Beschäftigte. Seit 2011 steigen die jährlichen Maximalbeiträge mit der Inflation in Schritten von 500 $. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 319 der Arbeitgeber nicht mehr der Vermittler der Alterssicherung, sondern die Versicherten wurden zu Kunden auf dem Rentenmarkt und konnten eigenständig ein passendes Altersvorsorgeprodukt auswählen (Bryant 2008; Friedman 2004). Die Aufhebung der Zugangsbeschränkung 1981 eröffnete neue Wahlfreiheiten für die Beschäftigten. Sie konnten erstens grundsätzlich zwischen der Standardoption im Betrieb und einer individuellen Altersvorsorge wählen und zweitens konnten sie zwischen verschiedenen Anbietern wählen. Dieses neue Element der Wahlfreiheit konstituierte aus einem sekundären Rentenmarkt einen primären. Neben den veränderten Marktbeziehungen im Rahmen der Wahlfreiheit veränderte sich auch die Finanzierungs- und Leistungsberechnung. Im Gegensatz zu den Betriebsrenten mit Leistungszusage basierend auf dem vorherigen Einkommen sind IRAs beitragsorientierte Rentenversicherungen (DC). Die spätere Rentenleistung hängt von den eingezahlten Beiträgen und der Kursentwicklung der Rentenrücklagen ab und unterliegt somit erheblichen Schwankungen. Im Gegenzug entfällt aber die Integration der Rentenleistungen in die OAI. Das bedeutet, sie werden nicht auf die OAI angerechnet und werden unabhängig von der Höhe der OAILeistungen ausgezahlt. In Bezug auf den Finanzierungsmechanismus des Marktes (vgl. Kapitel 4.1) werden alle Beiträge ausschließlich von den Beschäftigten entrichtet. Insgesamt stieg damit der Finanzierungsanteil der Versicherten und ihre Rentenleistungen sind häufig geringer, weil die Leistungszusage wegfällt, das Risikopooling geringer ist und höhere Verwaltungskosten anfallen. Unterwanderung von ERISA durch 401(k)-Betriebsrenten Die IRAs waren aber nicht die einzige Neuerung, die zu einer allgemeinen Vermarktlichung der Altersvorsorge führte. Einige Jahre nach der Verabschiedung von ERISA wurde eine weitere Liberalisierung eingeführt, die zu einer Umwälzung der klassischen Betriebsrenten führte. Die Betriebsrenten mit Leistungszusage wurden aufgrund von ERISA relativ kostspielig für die Arbeitgeber, die meist ausschließlich die Beiträge entrichteten. Die neuen regulativen Vorgaben von ERISA erhöhten den Verwaltungsaufwand und somit die Kosten für die Arbeitgeber. Außerdem unterschätzten viele Betriebsrenten erheblich die steigende Lebenserwartung und überschätzten die Kursentwicklungen an den Finanz- 320 WOHLFAHRTSMÄRKTE märkten, mit der Folge, dass nicht genügend Rücklagen gebildet wurden, um die Rentenverpflichtungen zu bedienen. Eine stärkere finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer wurde somit eine willkommene Option, um die steigenden Kosten, Unterfinanzierung und Risiken der Betriebsrenten abzudecken (Papke 1999). Seit Mitte der 1950er Jahre existierten bereits Steuererleichterungen für die Beiträge von Arbeitnehmern (»cash or deferred arrangements« – CODAs), doch für die CODAs galt seit der Einführung von ERISA ein Moratorium, weil unklar war, wie die Arbeitnehmerbeiträge steuerlich zu behandeln wären. Vier Jahre nach ERISA wurde schließlich eine verbindliche Formulierung gesetzlich verankert, die 1980 in Kraft trat. Der neue Paragraf 401(k) im Steuergesetz wurde auch Namensgeber für die neuen Rentenpläne. Paragraf 401(k) ermöglichte die steuerfreie Investition von Arbeitgeberbeiträgen in Betriebsrenten. Die neue Formulierung wurde durch eine technokratische Entscheidungsfindung ohne jegliche politische Auseinandersetzung implementiert und ist somit unterhalb des politischen Radarschirms eingeführt worden. Den politischen Entscheidern waren die damit verbundenen Optionen und Marktmechanismen der Altersvorsorge nicht bewusst. Die parlamentarischen Experten und Bürokraten im Hintergrund gingen davon aus, dass der kollektive Charakter der bisherigen Betriebsrenten mit Leistungszusage davon nicht berührt würde, wenn auch die Arbeitnehmer Beiträge einzahlten. Erst ein Experte für private Renten namens Ted Benna erkannte, dass die Neuformulierung der Steuererleichterungen im Paragrafen 401(k) auch für hochgradig individualisierte beitragsorientierte Betriebsrenten (DC) genutzt werden können. Die Idee von Benna bestand darin, den Versicherten mehr Wahloptionen beim Abschluss einer beitragsorientierten Betriebsrente zu bieten. Die Versicherten konnten in seinem Model zwischen verschiedenen Rentenfonds wählen, anstatt in einen kollektiven Betriebsfonds einzuzahlen. Als er seinen Rentensparplan zertifizieren ließ, fehlten eigentlich spezifische regulative Vorgaben, wie die beitragsorientierten Renten ausgestaltet werden sollten. Mit der späteren regulativen Konkretisierung im Jahre 1981 entfaltete sich eine große soziale Umwälzung der privaten Alterssicherung (Papke 1995). Im Rahmen der Reform wurde der steuerlich absetzbare Maximalbeitrag um ein Vielfaches höher angesetzt als bei den IRAs. Die Einführung der 401(k)-Pläne bedeutete eine fundamentale Abkehr von der Leistungszusage zum Beitragsprimat. Die neuen beitragsorien- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 321 tierten Betriebsrenten führten individuelle Anlagekonten ein, womit die spätere Rente erheblich von den geleisteten Beiträgen und von der Kursentwicklung der Finanzmärkte abhing und nicht mehr vom letzten Gehalt. Im Gegensatz zu den IRAs leisteten die Arbeitgeber weiterhin Beiträge in die beitragsorientierten 401(k)-Renten, sie waren aber erheblich geringer als bei den vorherigen Renten mit Leistungszusage. Die Arbeitgeberbeiträge waren fortan von der Höhe der Arbeitnehmerbeiträge abhängig. Je mehr die Versicherten in die Rentenfonds einzahlten, desto mehr erhielten sie als Arbeitgeberzuschuss bis zu einer Grenze von meist 6 Prozent des Bruttolohns (vgl. Kapitel 4.1). Im Vergleich zu den IRAs waren die Versicherten zwar an den Rentenanbieter beziehungsweise die Vertragsbedingungen gebunden, die der Arbeitgeber auswählte, dennoch wurden mit den 401(k)-Renten verschiedene Wahlfreiheiten eingeführt, die in den 1990er Jahren weiter ausgeweitet wurden (Papke 1999). Erstens konnten die Versicherten viel flexibler als zuvor ihre Beitragshöhe bestimmen. Der steuerlich absetzbare Maximalbeitrag der 401(k)Renten war rund zehn Mal so hoch wie der für IRAs (2010: 49.000 $). Für Personen mit hohem Einkommen, die hohe Rücklagen für ihre Rente bilden wollten, wurden die 401(k)-Pläne zur besseren Option. Im Rahmen der gesetzlichen Fördergrenzen können die Versicherten selbstständig bestimmen, wie viel sie von ihrem Einkommen investieren wollen. Wie schon in Kapitel 4.1.2 (S. 122) erläutert, ist ein Rentenbeitrag von sechs Prozent des Bruttolohns am häufigsten und die meisten Beiträge bewegen sich in der Größenordnung von drei bis fünfzehn Prozent (Munnell u.a. 2001; Papke 1995).204 Da die Rentenbeiträge freiwillig waren, wurden die Arbeitnehmer vor die Wahl gestellt, ob sie überhaupt am Rentenmarkt teilnehmen und wie viel sie in den Rentenmarkt investieren. Letztendlich mussten die Arbeitnehmer antizipieren, welches Rentenniveau sie im Alter erreichen wollen, da die spätere Rentenleistung maßgeblich von den entrichteten Beiträgen abhing. —————— 204 Anfangs galt zusätzlich zu der absoluten Beitragsgrenze auch eine prozentuale Beitragsgrenze von maximal 25 % des Bruttoeinkommens. Diese wurden aber mit dem Economic Growth and Tax Relief Reconciliation Act of 2001 abgeschafft (McGill u.a. 2005: 293). Seitdem ist es beispielsweise möglich, bei einem Einkommen unter der Beitragsbemessungsgrenze von 49.000 $ pro Jahr (2010), dieses komplett in eine 401(k)Betriebsrente zu investieren. Empirisch konnte sogar gezeigt werden, dass einige Beschäftigte tatsächlich ihr komplettes Gehalt in die Betriebsrente investieren (Benartzi/Thaler 2007: 86). 322 WOHLFAHRTSMÄRKTE Zweitens ermöglichten viele Versicherungsanbieter zwischen Risikograden oder einzelnen Rentenfonds zu wählen. Die Versicherten waren zwar an einen Versicherungsanbieter gebunden, konnten aber durch ihr Anlageverhalten und ihre Risikopräferenz an einem internen Markt teilnehmen (u.a. Vanguard 2008). Drittens bestand die Möglichkeit das Rentenkapital als Einmalzahlung zu erhalten. Im Regelfall fallen dann, vorausgesetzt Kriterien wie Alter oder Invalidität sind erfüllt, 20 Prozent Einkommenssteuer an. Wie bei den Beiträgen erhielten die Versicherten die Option, ihr Rentenkapital flexibel nach ihren Bedürfnissen zu verwenden (McGill u.a. 1996; 2005). Beispielsweise wurden partielle Auszahlungen beliebt, um eine Restschuld der Hypothek abzubezahlen (Apgar/Di 2006; Engelhardt 2002). Im Zuge der Ausweitung der individuellen privaten Rentenversicherungen wurden über die folgenden Jahre verschiedene Typen von IRAs205 und 401(k)-Betriebsrenten206 eingeführt, denen unterschiedliche Steuermodelle und Beitragsbemessungsgrenzen zugrunde liegen (Bryant 2008; IRS 2009; McGill u.a. 2005; Perun/Steuerle 2005). Durch die Einführung der verschieden IRA- und 401(k)-Altersvorsorgetypen ist die Regulierung generell komplexer und unübersichtlicher geworden. Die Beschäftigten haben eine Vielzahl von Anlageoptionen und müssen, bevor sie zwischen Anbietern wählen, herausfinden, welches Rentenmodell ihrem Lebenseinkommen den größten Steuervorteil bietet. In diese Überlegungen können sie nur ihr gegenwärtiges Einkommen und Arbeitsverhältnis einbeziehen, obwohl zu einem späteren Zeitpunkt und nach politischen Änderungen vielleicht ein anderer Rentenplan vorteilhafter wäre. Die institutionelle Einbettung der IRAs und 401(k)-Renten Insgesamt bildete sich ein neues Rentensystem heraus, das individueller und marktförmiger gestaltet war und die alten kollektiven Betriebsrenten überlagerte (layering). Die Einführung verschiedener steuerlich absetzbarer individueller Rentenversicherungen 1990–2010 wie Roth-IRAs führte den Weg der Individualisierung und Vermarktlichung nur fort. Außerdem wei- —————— 205 Roth IRAs besteuern die Beiträge, Kapitalerträge und Auszahlung sind steuerfrei (1997), SIMPLE IRAs für kleinere Betriebe und Selbstständige (1996), Education IRAs (1997, Coverdell Educational Savings Accounts). 206 Roth 401(k)-Betriebsrenten besteuern die Beiträge, dafür sind die Kapitalerträge und Auszahlungsphase steuerfrei (implementiert 2006). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 323 sen IRAs und 401(k)-Betriebsrenten Neuerungen auf, die auf eine Verstärkung der liberalen Wohlfahrtsregimeeigenschaften hindeuten, weil vor allem die Marktmechanismen gestärkt wurden im Vergleich zu den vorherigen klassischen Betriebsrenten. Tabelle 23 verdeutlicht auch die Pluralisierung der Märkte, denn es bestehen die nun durch ERISA geschützten alten Betriebsrenten mit Leistungszusage, 401(k)-Betriebsrenten und IRAs zur Auswahl, die auch miteinander kombiniert werden können. Angesichts der Komplexität dieser parallel existierenden privaten und marktförmigen Altersvorsorgewege fassen die folgenden Absätze die erfolgte Einbettung anhand der wichtigsten Regulierungsdimensionen kursorisch zusammen: 1. Zugangsvoraussetzungen. Die Betriebsrenten sind weiterhin an den Arbeitgeber gebunden, sodass die Segregation nach Erwerbstatus und Arbeitgeber fortbesteht. Die Pluralisierung der Förderwege, insbesondere von individuellen Rentenversicherungen wie IRAs ermöglicht aber, dass jeder Erwerbstätige eine Form der zusätzlichen privaten Rentenversicherung abschließen kann. Mit dem Wandel zu beitragsorientierten Betriebsrenten sank auch die Wartezeit in einigen Unternehmen und Beschäftigte konnten sogleich Rentenansprüche erwerben (Madrian/Shea 2001). Seit Mitte der Neunziger ist auch ein leichter Trend zum automatisierten Beitritt festzustellen (»auto-enrolment«, Thaler/Benartzi 2004; Vanguard 2008). Im Endeffekt blieben Statusunterschiede bestehen, dennoch wurde der formale Zugang erleichtert, weil bisher Nichtversicherte nun zumindest einen IRA abschließen können. 2. Leistungsstruktur. Der Beitragsbezug wurde durch die Umstellung von der Leistungszusage (DB) auf Beitragsorientierung (DC) gestärkt. Somit haben zwar quantitativ die beitragsorientierten Renten zugenommen (vgl. Kapitel 4.1), sie basieren aber formal auf Vorgängerinstitutionen für Selbstständige, die auch nur beitragsorientierte Rentenleistungen erhielten. Die Rentenleistungen schwanken aufgrund der Kapitaldeckung mit der Volatilität der Finanzmärkte, was die Erwartungssicherheit zusätzlich reduziert. 3. Finanzierungsmechanismus. Grundsätzlich wurde die Beitragsfinanzierung mit ergänzenden Steuererleichterungen beibehalten. Das Element der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerfinanzierung wurde gestärkt, wenn auch die alten Betriebsrenten weiterhin ausschließlich mit Arbeitgeberbeiträgen finanziert werden. Zwar wurde keine paritätische Finanzierung wie bei der OAI obligatorisch eingeführt, dennoch wurde die Idee der gemeinsamen 324 WOHLFAHRTSMÄRKTE Beitragsfinanzierung nun institutionell bei den 401(k)-Renten stärker verankert. Mit den IRAs wurde aber auch die reine Arbeitnehmerfinanzierung eingeführt, die vorher nicht üblich war. 4. Verwaltung. Die Verwaltung der Rentenrücklagen oblag von Anfang an Betrieben und Versicherungskonzernen, der Schwerpunkt verschob sich aber seit 1980 zugunsten der Versicherungskonzerne. Die Lizenzierung der Rentenversicherungen und die Verwaltung der Steuererleichterungen verblieben in staatlicher Hand, wobei aber das Finanzministerium gegenüber dem Sozialministerium gestärkt wurde. Mit der ERISA-Gesetzgebung wurden die alten Betriebsrenten mit Leistungszusage unter stärkere staatliche Kontrolle gestellt und insgesamt nahm die staatliche Regulierungstiefe in Form detaillierter gesetzlicher Vorgaben zu. 5. Wahlfreiheit. Die Wahlfreiheit wurde enorm erhöht durch eine Vielzahl an Opt-in-Varianten und die bessere Übertragbarkeit des Rentenkapitals. Die Transaktionskosten für einen Anbieterwechsel waren seit ERISA relativ gering und ermöglichten den Beschäftigten einfache Jobwechsel, ohne ihre Rentenansprüche zu verlieren, einen Wechsel zu einem günstigeren Anbieter oder die Wahl eines steuerlich vorteilhafteren Rentenversicherungstyps. Die institutionellen Eigenschaften der IRAs und 401(k)-Betriebsrenten bauen insgesamt auf benachbarten Institutionen auf. Die Regulierung der IRAs wurde nach dem Vorbild der Keogh-Renten formuliert und der Boom der 401(k)-Betriebsrenten basierte auf einer steuerlichen Begünstigung aus den 1950er Jahren. Obwohl sie auf Vorgängerinstitutionen beruhten, transformierten sie den Rentenmarkt, weil die vormals begrenzten Förderungsinstrumente für alle Erwerbstätigen geöffnet wurden und erhebliche Wahlfreiheiten eingeführt wurden. Ebenso bestehen die steuerlichen Förderungen und institutionellen Rahmenbedingungen der alten Betriebsrenten mit Leistungszusage fort, wenn auch die Unternehmen zusehends auf beitragsorientierte Renten umgestellt haben (Hacker 2006). Zusammenfassend wurden die neuen marktförmigeren Rentenversicherungen ergänzend zu den bestehenden Institutionen gegründet, entfalteten anschließend aber eine eigene, unintendierte Dynamik und verdrängten zunehmend die alten privaten Rentenversicherungen (layering). Die neuen primären Wohlfahrtsmärkte haben im Endeffekt die alten sekundären Wohlfahrtsmärkte der Betriebsrenten zurückgedrängt. Private Altersvor- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 325 sorgesysteme stehen also nicht nur in Konkurrenz zu öffentlichen Rentenversicherungen, sondern es finden auch Verdrängungsprozesse zwischen verschiedenen privaten Systemen statt (ähnliches Argument bei Béland 2007a). Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Rentenmarkt in den USA schrittweise politisch-institutionell eingebettet wurde. Zunächst entwickelte sich eine starke private Betriebsrentensäule komplementär zur öffentlichen Rentenversicherung. Diese starke Säule der Betriebsrenten wurde in den 1970er Jahren individualisiert und wandelte sich zu einem Wohlfahrtsmarkt, in dem das betriebliche Element eine zunehmend untergeordnete Rolle spielte. Fazit – Konservative Kampagnen, Kompromisse und unerwartete Folgen Die abschließende Frage ist, wie konnte die Marktliberalisierung in den 1970er Jahren entstehen und dennoch auf existierenden Institutionen aufbauen. Wie schon erläutert, bereitete eine Koalition von Republikanern, Arbeitgebern und Versicherungskonzernen inkrementell die institutionellen Voraussetzungen für einen Rentenmarkt vor. Sie verhinderten die Expansion der öffentlichen Rentenversicherung, sodass durch die entstandenen privaten Betriebsrenten der Boden für eine Marktliberalisierung bereitet wurde. Die ausschlaggebenden politischen Schritte zur Marktliberalisierung der Betriebsrenten hin zu individuellen Rentenversicherungen waren parteiübergreifende Kompromisse, die die bestehenden öffentlichen und betrieblichen Institutionen unangetastet ließen, aber neue Institutionen andockten. Die neuen IRAs und 401(k)-Betriebsrenten überlagerten jedoch mit der Zeit die alten betrieblichen Institutionen und ersetzten sie für die meisten neuen Versicherten (layering). Als die IRAs und 401(k)-Betriebsrenten im Rahmen von parteiübergreifenden Kompromissen in den 1970er Jahren eingeführt wurden, erkannte kaum einer der politischen Akteure die Tragweite der sozialen Veränderung, die die neuen Steuervergünstigungen und Marktmechanismen freisetzen würden. Die politische Initiative für die Rentenmärkte ging zwar hauptsächlich von konservativen Akteuren aus, wie republikanischen Präsidenten (Nixon, Reagan) und Kongressabgeordneten, konservativen Arbeitgeberflügeln und dominanten Marktakteuren (Versicherungskonzernen), dennoch war auch die demokratische Zustimmung für die Einführung der Rentenmärkte notwendig. Die Zustimmung zur Liberalisierung der Ren- 326 WOHLFAHRTSMÄRKTE tenmärkte in den 1970er Jahren wurde durch einen Package-Deal erreicht, weil ERISA auch die sozialen Rechte der Versicherten innerhalb der bestehenden Institutionen stärkte. Selbst die Einführung der ergänzenden Rentenmärkte wurde mit sozialen Zielen begründet: Die IRAs sollten denjenigen, die keinen Zugang zu einer betrieblichen Vorsorge hatten, eine individuelle Altersvorsorge ermöglichen. Die neuen Wahlfreiheiten und die Option des Beitragsprimats im Rahmen von Kapitel 401(k) waren lediglich als Ergänzung zum bestehenden System geplant, um eine zusätzliche Vorsorge über die Beiträge der Arbeitgeber hinaus zu ermöglichen. Die Angliederung der Rentenmärkte an das bestehende Rentensystem wurde als eine kleine Änderung für Nichtversicherte beziehungsweise Unterversicherte bezeichnet, die keine fundamentalen Folgen für die bereits Versicherten habe. Dieser Trugschluss ermöglichte die Zustimmung der Demokraten, weil sie glaubten, die hohen sozialen Sicherheiten der Betriebsrenten mit Leistungszusage nicht anzutasten (Hacker 2002; Howard 1997; 2007). Erst im Zuge weiterer inkrementeller Marktliberalisierungen wurden die neuen Vorsorgewege universalisiert und für alle Beschäftigten zugänglich, was zu deren Ausweitung in den 1980/90er Jahren beitrug. Die konservativen Akteure, allen voran die Reagan Administration, unterstützten politisch grundsätzlich eine Ausweitung der individuellen Rentenversicherungen mit Wahlfreiheiten (Hacker 2006: 120). Unter Reagan konnten die Marktliberalisierungen der 1970er Jahre greifen, weil die regulativen Hürden, die ein Wachstum der Rentenmärkte begrenzten, abgeschafft wurden. Republikanische Denkfabriken sahen die Ausweitung der individuellen Rentenversicherungen vor allem als eine langfristige Strategie, die Legitimation der öffentlichen Rentenversicherung zu untergraben. Sie hofften somit, in der Bevölkerung eine weitgehende Akzeptanz privater kapitalgedeckter Rentenversicherungen zu erreichen. Wenn glaubhaft gemacht werden kann, so die Strategie, dass diese privaten Renten effektiver den Lebensstandard sichern können als die öffentliche Rentenversicherung, würde das eine Privatisierung der öffentlichen Rentenversicherung ermöglichen (Béland 2005b; 2007a). Trotz einiger Anstrengungen unter George W. Bush die OAI zu privatisieren und Wahlfreiheiten einzuführen, scheiterten diese Versuche bisher (Béland 2007b). Umgekehrt forderten die Demokraten nie eine Abschaffung der neu eingeführten Rentensparmodelle oder schlugen ernsthaft vor, die Steuervergünstigungen zu kürzen (IRS 2012; Papke 1995). Dieser einmal eingeschlagene Weg konnte von REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 327 den Demokraten nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil bereits ein großer Anteil der Bevölkerung von den Steuererleichterungen profitierte und eine Reduzierung der staatlichen Förderung als eine Kürzung von sozialpolitischen Leistungen interpretiert worden wäre. Die Einführung der IRAs und anderer individueller Altersvorsorgewege entfaltete schließlich eine eigene Dynamik, die zu einer Überlagerung der bestehenden privaten Altersvorsorgeinstitutionen führte (layering). Viele Arbeitgeber erkannten, dass die Kosten und Risiken der individualisierten Renten für sie viel geringer sind als die althergebrachten Leistungszusagen. Die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Kosten entlastete die Arbeitgeber und das Risiko höherer als ursprünglich prognostizierter Leistungsforderungen (demografischer Wandel, Finanzmärkte) wurde auf die Versicherungskonzerne und Individuen übertragen.207 Wie in Kapitel 4 gezeigt, wird neuen Mitarbeitern überwiegend nur noch eine individuelle Betriebsrente angeboten. Die alten Betriebsrenten mit Leistungszusage wurden zum großen Teil abgewickelt und existieren nur noch für langjährige Beschäftigte und werden mit der Zeit von der Bildfläche verschwinden. Somit höhlte eine konservative Koalition aus Republikanern, Unternehmen und Versicherungskonzernen ERISA durch die Hintertür aus und schuf einen Markt, der anfangs von keinem der Akteure, zumindest in dem Ausmaß, erwartet wurde. Damit ist die Einbettung des Rentenmarktes in das USamerikanische Wohlfahrtsregime ein Beispiel für layering par excellence (Hacker 2005: 68). Ebenso zeigt der Fall den machtvollen Einfluss von konservativen Kräften bei der Gründung von Wohlfahrtsmärkten. Aus der Entstehung und folgenden regulativen Änderungen des USamerikanischen Rentenmarktes kann geschlossen werden, dass die Vorbedingung für einen umfangreichen Rentenmarkt ein starkes betriebliches Rentensystem ist. Ohne die Entstehung der Betriebsrenten von 1935–1974 wäre die spätere liberale Marktöffnung nicht möglich gewesen. Des Weiteren können individuelle private Rentenversicherungen lang etablierte kollektive Betriebsrenten verdrängen, wenn die regulativen und finanziellen Anreize, insbesondere aus Anbietersicht, verändert werden. Dies geschieht nicht per Dekret, sondern aufgrund von Marktkräften und Entscheidungen der Anbieter und Versicherten, ein Rentenprodukt dem anderen vorzu- —————— 207 Zusätzlich profitierten Arbeitgeber internationaler börsennotierter Firmen davon, dass die individualisierten Rentenpläne nicht mehr in ihren Rechnungsbüchern auftauchten. Durch die veränderte Buchhaltung vergrößert sich der Wert einer Firma, was beispielsweise bei Firmenübernahmen relevant ist. 328 WOHLFAHRTSMÄRKTE ziehen. Die inkrementellen institutionellen Pfadveränderungen wurden maßgeblich von politischen Kampagnen und Koalitionen bestimmt. Die treibenden Kräfte für die Einführung der Rentenmärkte in den USA waren säkular-konservative Akteure aus Politik und Wirtschaft. Die kleinen Änderungen mit großer Wirkung ergaben sich aber vor allem aus parteiübergreifenden Kompromissen mit dem liberalen Lager der Demokraten, die die Tragweite der inkrementellen Änderungen nicht erkannten. Die dominanten Regulierungseigenschaften des US-amerikanischen Rentenmarktes wurden aufgrund der kleinen Änderungen fundamental verändert. Zwar bezogen sich die Neuerungen auf Vorläuferinstitutionen, gesamt betrachtet wurde das Rentensystem aber stark liberalisiert. Das öffentliche OAI hat Eigenschaften eines konservativen Rentenregimes (vgl. Bonoli 1997), was zum Teil auch für die kollektiven Betriebsrenten mit Leistungszusage zutrifft, wenn man an die Statussegregation, den Einkommensbezug und die Beitragszahlungen denkt. Dieses private Rentensystem hat im Zuge der Einführung von verschiedenen Marktmechanismen diesen konservativen Charakter verloren und ist liberaler geworden. Die Risiken wurden individualisiert und die Versicherten müssen komplexe Entscheidungen über einen Großteil ihrer Altersvorsorge selber treffen. Die These der Einbettung als das Auftreten von institutionellen Ähnlichkeiten kann deshalb hier nicht vollständig vertreten werden. Zwar bestehen weiterhin einige Ähnlichkeiten zwischen OAI, klassischen Betriebsrenten und den neuen IRAs und 401(k)-Renten, allerdings bestehen nun erhebliche Unterschiede bei den Dimensionen Leistungsstruktur, Finanzierung und Wahlfreiheit. Diese Innovationen beruhen auf alten Vorgängerinstitutionen mit geringer Relevanz, durch kleine inkrementelle Änderungen konnten sie aber die alten Betriebsrenten verdrängen. 5.4.2 Bildungsmarkt: School Choice zwischen Konflikt und Konsens Das US-amerikanische Schulsystem ist föderal und lokal fragmentiert, weil sowohl die Bundesstaaten Bildungshoheit besitzen als auch die Schuldistrikte große lokale Autonomie ausüben. Aufgrund dieser lokalen und föderalen Autonomie sind sehr unterschiedliche Bildungsmärkte in den Bundesstaaten und Schuldistrikten entstanden. Im Vergleich zu Deutschland entwickelten sich größere regulative Unterschiede zwischen den Bundesstaaten und lokalen Schuldistrikten heraus, weshalb nicht von dem einen US-amerikanischen Wohlfahrtsmarkt gesprochen werden kann, son- REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 329 dern von 50 einzelnen Märkten, die sogar zum Teil zwischen Schuldistrikten variieren. Wie schon in Kapitel 4 erläutert, sind zwei Marktformen dominant: Charter Schools und Schulgutscheine (school vouchers). Charter Schools wurden in 41 Bundesstaaten eingeführt, wohingegen Schulgutscheine nur auf lokaler und gliedstaatlicher Ebene existieren (2010).208 In beiden Marktformen entwickelten sich beträchtliche regulative Unterschiede heraus, weil die nationale Rahmengesetzgebung viel Gestaltungsspielraum eröffnete. Da das Ziel dieser Untersuchung ist, die Regulierung der Bildungsmärkte zu vergleichen, stehen diejenigen Bundesstaaten im Fokus der Analyse, die tatsächlich Charter Schools und Schulgutscheine eingeführt haben. Wie schon in Kapitel 4 diskutiert, wurden bisher nur in Cleveland (Ohio) und Milwaukee (Wisconsin) beide Marktformen, also sowohl Charter Schools als auch Schulgutscheine, implementiert.209 In der folgenden Analyse wird zusätzlich Florida untersucht, weil hier ein bundesstaatliches Voucherprogramm eingeführt wurde, aber später vom Florida Supreme Court gekippt wurde. Schließlich wird ferner Kalifornien in die Analyse einbezogen, weil die Einführung eines Voucherprogramms dort ebenfalls gescheitert ist, jedoch aufgrund eines Referendums.210 Somit wird die Analyse des US-amerikanischen Bildungsmarktes anhand von zwei USBundesstaaten mit erfolgreichen und zwei mit gescheiterten Gesetzesinitiativen für Schulgutscheine durchgeführt. In allen vier Fällen Wisconsin, Ohio, Florida und Kalifornien besteht eine Charter-School-Gesetzgebung.211 Zusätzlich werden auch nationale Datenbanken der CharterSchool-Regulierung herangezogen, weil sie aufzeigen sollen, wie repräsentativ die Fallstudien für die gesamten Vereinigten Staaten sind. Das Kapital legt eingangs kurz die historische Entwicklung des USamerikanischen Bildungssystems dar. Im ersten Unterabschnitt wird die Regulierung der öffentlichen Schulen und im zweiten die Regulierung der privaten Schulen bis Ende der 1980er Jahre dargelegt. Darauf folgt zuerst die Analyse der Regulierung von School-Voucher-Programmen. Anhand der Vergleichsdimension werden typische Regulierungseigenschaften der —————— 208 Magnet Schools und häuslicher Unterricht eröffneten ebenfalls neue Wahloptionen, werden hier aber nicht behandelt (Jones-Sanpei 2008). 209 Zum DC Opportunity Scholarship Program (Washington DC) siehe Kapitel Schulgutscheine. 210 Kalifornien ist ein Beispiel für Bundesstaaten in denen Schulgutscheine auch in Volksentscheiden abgelehnt wurden (vgl. Tabelle 25). 211 US-Bundesstaaten ohne Charter-School-Gesetzgebung werden nicht berücksichtigt. 330 WOHLFAHRTSMÄRKTE Schulgutscheine herausgearbeitet. Die Kontrastierung erfolgreicher und gescheiterter Programme bekommt dabei besonderes Augenmerk. Zum Ende dieses Abschnitts wird diskutiert, welche politischen Kräfte zu der Einbettung der Schulgutscheine in das existierende Schulsystem führten. Der vierte Abschnitt wird die Einführung und Regulierung der Charter Schools nach denselben Kriterien wie die Schulgutscheine untersuchen. Im letzten Abschnitt werden die Ergebnisse zusammengefasst. Die Herausbildung öffentlicher Schulen Wie auch in Deutschland und Schweden entstand seit Mitte des 19. Jahrhundert ein öffentliches Schulsystem in den USA, das die Privatschulen zusehends verdrängte.212 Basierend auf einem Urteil des Verfassungsgerichts von Massachusetts setzte sich folgende Definition öffentlicher Schulen seit 1866 durch. Eine öffentliche Schule müsse drei Kriterien erfüllen: (1) »under the immediate control and superintendence of agents appointed by the voters of each town and city«, (2) »supported by general taxation«, und (3) »open to all free of expense« (Jorgenson 1987: 7). Diese Definition zeigt einige Besonderheiten auf, die fundamental für das USBildungssystem wurden: Erstens besteht eine ausgeprägte Autonomie der lokalen Schuldistrikte inklusive weitreichender Steuererhebungsrechten, erheblicher administrativer Steuerungstiefe und Festlegung der Schuleinzugsbereiche (Church 1976; Ignas 1981; Jorgenson 1987; Kaestle 1983). Die Schuldistrikte unterstanden direkter demokratischer Kontrolle. Die lokalen Leiter der Schulbezirke, die sogenannten Superintendenten, wurden direkt aus der Gemeinde gewählt und auch auf der Schulebene etablierten sich direkte demokratische Strukturen (School Boards). Eltern und Schüler hatten somit zwar keine Wahl zwischen Schulen, konnten die Schulpolitik allerdings direkt vor Ort beeinflussen, indem die Schulverwaltung gewählt wurde. Der Einfluss der Gliedstaaten und des Bundes wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts größer. Mit der Einführung der Schulpflicht erlangten die Gliedstaaten erheblichen finanziellen und regulativen Einfluss. Der gliedstaatliche Finanzierungsanteil von rund 45 Prozent seit den 1980 verdeutlicht in etwa auch den derzeitigen schulpolitischen Einfluss (NCES 2009b: table 171). —————— 212 Im Detail siehe Busemeyer (2006a; 2007), Heidenheimer (1973; 1981), Herbst (2006). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 331 Die Bundesregierung gewann erst seit den 1960er Jahren mehr regulativen Einfluss (Church 1976: 127; Reese 2004). Das Hauptkriterium für die Zuweisung von Bundesmitteln war der Anteil armer Kinder im Schuldistrikt und zielte darauf ab, gleiche Bildungschancen für alle zu ermöglichen. Unter dem Deckmantel der Armutsvermeidung bekam somit die Bundesebene einen Fuß in die lokale und gliedstaatliche Bildungspolitik (seit den 1980er Jahren rund 10 Prozent Finanzierungsanteil).213 Trotz dieses gestiegenen Einflusses der Bundesebene sind die Bundesmittel lediglich eine Ergänzung der hauptsächlich lokalen und gliedstaatlichen Finanzierung und Regulierung. Die ursprünglichen lokalen Institutionen wurden nicht angetastet, sondern lediglich um föderale Programme ergänzt (layering), um einige Defizite der lokalen Schulfinanzierung und -verwaltung abzumildern (Busemeyer 2006a). Als zweite historische Besonderheit ist die Trennung von staatlichen Zuschüssen und der Weltanschauung der Schulen zu nennen (Busemeyer 2006a; Nasaw 1979: 42).214 Das obige Gerichtsurteil bereitete im Endeffekt den Weg für ein strikt getrenntes Bildungssystem: Öffentliche Schulen werden demokratisch kontrolliert, auf lokaler Ebene verwaltet und aus Steuermitteln finanziert. Private Schulen haben hingegen viele Freiheiten, erhalten dafür aber keine öffentlichen Zuschüsse. Drittens wurde ein wichtiger Gleichheitszusatz institutionell verankert. Öffentliche Schulen müssten allen Schülern offen stehen. Als konkrete Garantie wird die Gebührenfreiheit genannt, um finanzielle Benachteiligungen von Schülern aus ärmeren Familien den Zugang zu öffentlicher Schulbildung zu ermöglichen, doch auch andere soziale Diskriminierungen wurden damit gesetzlich ausgeschlossen (zur Rassentrennung siehe Church 1976: 148). —————— 213 Das Schlüsselgesetz war 1965 der Elementary and Secondary School Act (EASA). Die finanzielle Ungleichheit war ursprünglich ein Proxy für Rassensegregation, um verfassungskonform Rassenunterschiede zu minimieren. Darauf folgende Bundesgesetze behielten die Zielrichtung auf finanzielle Bildungsgleichheit bei (u. a. Education for all Handicapped Children Act (EAHCA, 1975), No Child Left Behind Act (NCBA, 2001). 214 Das Common School Movement und Progressive Movement befürchteten im 19. Jhd. einen katholischen Einfluss auf öffentliche Schulen. Als Privatschulen in öffentliche Schulen umgewandelt wurden, setzte diese Bürgerbewegungen das Dogma der prinzipiellen säkularen Ausrichtung öffentlicher Schulfinanzierung durch. 332 WOHLFAHRTSMÄRKTE Öffentliche Schulen in den 1980er Jahren Um die Regulierung der öffentlichen Schulen mit den privaten zu vergleichen, werden im Folgenden die Eigenschaften der öffentlichen Schulen anhand der fünf Regulierungsdimensionen zusammengefasst. Diese Eigenschaften bilden die Vergleichsfolie für die Einbettung der Bildungsmärkte (u.a. Ignas 1981; Maloney/Mayer 2010): 1. Zugangsvoraussetzungen. Der Zugang zu den öffentlichen Schulen stand jedem offen, allerdings bestanden erhebliche regionale Unterschiede. Seit der Bürgerrechtsbewegung wurden die Antidiskriminierungsregularien maßgeblich verbessert, allerdings wird der Schuleinzugsbereich weiterhin durch die Schuldistrikte festgelegt (Witte 2000: 15), sodass die soziale und ethische Zusammensetzung des Stadtteils weiterhin zu erheblichen Ungleichheiten zwischen den Schulen führt. 2. Leistungsstruktur. Abgesehen von erheblichen regionalen Unterschieden in der Ausstattung der Schulen boten öffentliche Schulen universelle Unterrichtsleistungen auf einem Basisniveau an (Maloney/Mayer 2010). Neben dem Unterricht wurde im Regelfall auch der Schultransport übernommen. Erst auf der High School gab es unterschiedliche Ausbildungswege (akademisch, berufsqualifizierend), diese wurden aber innerhalb einer Schule angeboten. 3. Finanzierungsmechanismus. Die öffentlichen Schulen waren ausschließlich steuerfinanziert, wobei der Großteil der Finanzierung von lokalen und gliedstaatlichen Steueraufkommen abhängt. 4. Verwaltung. Im Falle der Organisation standen alle öffentlichen Schulen unter öffentlicher – vor allem lokaler – Aufsicht und Verwaltung (Cookson 1996). Eine Besonderheit der Schulverwaltung war die gleichzeitige lokale, gliedstaatliche und föderale Zuständigkeit.215 Zentrales Merkmal der öffentlichen Verwaltung war die demokratische Wahl der School Boards, womit eine sehr direkte Form der lokalen Mitbestimmung bestand und Bürger ihre Schulpolitik unmittelbar beeinflussen konnten. —————— 215 Die föderale Aufgabenteilung entsprach somit am ehesten einem marble cake Föderalismus anstatt strikter Aufgabentrennung (layer cake) (Stewart 1982). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 333 Tabelle 24: USA Bildung – Das öffentliche und private Schulsystem Ende der 1980er Jahre, Charter Schools und School Voucher um 2010 Typ Zugang öffentl. Schulen (Ende 1980er) universell, Schulbezirk Leistungsstruktur Grundbildung Finanzierung Steuern Verwaltung Wahlfreiheit öffentlich (local school board, Gliedstaat), privat (Akkreditierung) gering Privatschulen (Ende 1980er) universell, aber Selektion (Religion/ Einkommen) geringere Standards möglich Indirekte Zuschüsse Schulgebühren überwiegend selbstreguliert, Aufsicht Gliedstaaten/ Akkreditierungsbüros hoch (Opt-in) Charter Schools (2010, fragm.) universell School Voucher (2010, fragm.) Bedarfsprüfung Grundbildung orientiert an öffentlichen Schulen Steuern Steuern Gebühren verboten öffentlich (local school board, Gliedstaat), privat (Akkreditierung) hoch (Opt-in) Gebühren verboten Unterricht Privatschulen, Voucher/ Evaluation öffentlich (Gliedstaat) hoch (Opt-in), KonfessionsSchulen zugelassen Quelle: eigene Darstellung, Unterschiede kursiv Eine weitere Besonderheit des US-amerikanischen Bildungssystems war die Selbstregulierung der Schulen (Bernasconi 2004). Sechs regionale private Akkreditierungsagenturen (regional accreditation) lizenzierten und evaluierten regelmäßig die öffentlichen Grund- und Sekundarschulen. Es hängt von der jeweiligen gliedstaatlichen Regulierung ab, inwieweit die Akkreditierungsagenturen für öffentliche Schulen zuständig waren. Rund die Hälfte der Gliedstaaten betrieb öffentliche Akkreditierungsbehörden, die entweder ausschließlich oder gemeinsam mit privaten Akkreditierungsagenturen die öffentlichen Schulen überwachten (ECS 1998). Insgesamt dominierten lokale öffentliche Schulverwaltungen und private Regulierungsbehörden. 5. Wahlfreiheit. In den 1980er Jahren bestand praktisch keine Wahlfreiheit im öffentlichen Schulsystem. Die Schüler konnten nicht zwischen Schul- 334 WOHLFAHRTSMÄRKTE distrikten oder -einzugsbereichen wechseln. Die einzige Option war der Besuch einer kostenpflichtigen Privatschule. Diese Eigenschaften des öffentlichen Systems sind in Tabelle 24 in der linken Spalte noch einmal zusammengefasst. Das US-amerikanische Schulsystem wies bei der Betrachtung der öffentlichen Schulen einige typische Elemente sozialdemokratischer Bildungssysteme auf (vgl. Hega 2011), wie zum Beispiel eine universelle Einheitsschule, Steuerfinanzierung und geringe Wahloptionen. Abweichende Eigenschaften waren jedoch die regionalen Unterschiede bei der finanziellen Ausstattung, die eine soziale Segregation nach Wohnort zementieren. Die geringen föderalen Fördermittel konnten diese ungleiche Mittelverteilung nicht substanziell abmildern. Das Überleben der Privatschulen im 20. Jahrhundert Trotz des Ausbaus der öffentlichen Schulen im 19. Jahrhundert unterrichteten die Privatschulen weiterhin mit 10–15 Prozent der Schüler einen relativ hohen Anteil der Schülerschaft (vgl. Abbildung 4.19). Zum Ende der 1980er Jahre bestand für die Privatschulen ein festes institutionelles Gefüge, das seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr fundamental verändert wurde. Erst Anfang der 1990er Jahre wurden die institutionellen Weichen neu gestellt und eine Marktschaffung vor allem auf zwei Ebenen forciert: In vielen Bundesstaaten wurden Charter Schools gegründet, auf lokaler Ebene wurden School Vouchers eingeführt und in einigen Schuldistrikten entstanden auch beide Arten von Bildungsmärkten. Regulierung der Privatschulen in den 1980er Jahren Da sich Mitte des 19. Jahrhunderts bundesweit ein Verbot von öffentlichen Zuschüssen für konfessionelle und kostenpflichtige Privatschulen durchsetzte, wurden die kostenfreien öffentlichen Schulen für die meisten US-Amerikaner attraktiver. Trotz ihres relativen Bedeutungsverlusts wurde die Regulierung der Privatschulen kaum verändert,216 sodass sich die Regulierung der Privatschulen gegen Ende der 1980er Jahre folgendermaßen —————— 216 Neben den Privatschulen wurde vor allem der häusliche Unterricht (home schooling) in den 1970/80er Jahren liberalisiert. Seitdem müssen Eltern weniger Auflagen erfüllen, wenn sie ihre Kinder zu Hause unterrichten (Knowles u.a. 1992). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 335 gestaltete (Busemeyer 2006a; 2007; Heidenheimer 1973; 1981; Herbst 2006; James/Levin 1988): 1. Zugangsvoraussetzungen. Die staatlichen Vorgaben für die Auswahlprozeduren der Schüler waren gering und ermöglichten den Privatschulen daher sehr selektiv ihre Schülerschaft auszusuchen (Witte 2000). Die bereits diskutierte konfessionelle Dominanz unter den Privatschulen beförderte diese mögliche Segregation der Schülerschaft (vgl. Kapitel 4.2.2, S. 184). 2. Leistungsstruktur. Insgesamt war die Regulierung der Leistungsstruktur sehr liberal und mit wenigen Auflagen verbunden. Folglich war das Unterrichtsangebot von Privatschulen inhaltlich und weltanschaulich vielfältiger als an öffentlichen Schulen (Herbst 2006; Pierce v. Society of Sisters 1925). Außerdem bestanden keine Auflagen hinsichtlich zusätzlicher Leistungen wie Schultransport oder integrativer Unterricht. 3. Finanzierungsmechanismus. Die Privatschulen wurden laut Verfassung ausschließlich über Schulgebühren finanziert. Allerdings erhielten Privatschulen Zuschüsse in Form von bundesstaatlichen Förderprogrammen, Transportkosten, lokalen Steuerbefreiungen (property tax) sowie Zuwendungen durch steuerfreie Spenden. Cookson (1991: 187) schätzt, dass somit rund 26 Prozent der Einnahmen indirekt durch öffentliche Zuschüsse gedeckt waren.217 4. Verwaltung. Seit 1925 haben die Gliedstaaten ausdrücklich das Recht Privatschulen zu prüfen, zu überwachen, zu kontrollieren und einen gleichwertigen Ausbildungsstand der Lehrer zu fordern (Pierce v. Society of Sisters 1925). Die bereits erwähnten Akkreditierungsagenturen lizenzierten und evaluierten zusätzlich zu den Gliedstaaten die Privatschulen (ED 2000), sodass Privatschulen neben der gliedstaatlichen Aufsicht erhebliche Autonomie besaßen und sich weitgehend selbst regulierten (Witte 2000: 14). 5. Wahlfreiheit. Privatschulen boten Eltern und Schülern eine hohe Wahlfreiheit. Angesichts der geringen regulativen Auflagen konnten die Eltern —————— 217 Zum Teil auch gliedstaatliche Steuererleichterungen für Schulgebühren (Coulsen 1999: 373; Herbst 2006: 166). 336 WOHLFAHRTSMÄRKTE frei zwischen verschiedenen pädagogischen und weltanschaulichen Schulkonzepten wählen. Ebenso konnten die Privatschulen unabhängig von Schulbezirken besucht werden. Eine beträchtliche Hürde stellten allerdings die relativ hohen Schulgebühren bereits für Familien mit durchschnittlichem Einkommen dar (vgl. Kapitel 4.2.2, S. 161). Zusammenfassend waren Privatschulen eine substanzielle Alternative gegenüber den öffentlichen Schulen. Die Privatschulen erhielten zwar (offiziell) keine öffentlichen Zuschüsse, besaßen somit aber viele Freiheiten bei der Selektion der Schüler und ihrem pädagogischen und weltanschaulichen Profil. Durch die breite Angebotspalette bestanden viele Wahloptionen, die jedoch nur von finanziell bessergestellten Familien genutzt werden konnten. Dieser Bildungsmarkt bediente somit vor allem elitär und religiös motivierte Eltern. In den 1990er Jahren wurde dieser Privatschulmarkt sowohl durch Charter Schools als auch durch Schulgutscheine ergänzt (vgl. Kapitel 4.3.3). Die beiden folgenden Abschnitte erläutern ausführlich die Einbettung der Charter Schools und Schulgutscheine in das bestehende Bildungssystem. Schulgutscheine Die ersten öffentlichen Programme zur Förderung von Privatschulen entstanden Anfang der 1990er Jahre, in etwa zeitgleich mit dem schwedischen Gutscheinsystem (Klitgaard 2008: 485–488). Verschiedene gliedstaatliche Programme (z.B. in Florida (OSP – Opportunity Scholarship Program) und in Colorado) wurden von den Verfassungsgerichten als nicht verfassungskonform eingestuft und somit zu Fall gebracht (Bush v. Holmes 2006).218 Insgesamt existieren derzeit nur drei allgemeine öffentliche Programme. Das seit 1990 bestehende Milwaukee Parental Choice Program (MPCP) im Bundesstaat Wisconsin ist das älteste dieser Art. Darauf folgte 1996 das Cleveland Scholarship and Tutoring Program (CSTP) im Bundesstaat Ohio. Das zunächst lokale CSTP wurde 2005 auf den gesamten Bundesstaat Ohio unter dem Namen EdChoice ausgedehnt (Plucker u.a. 2006).219 Das jüngste —————— 218 Schüler konnten weiterhin eine öffentliche Schule ihrer Wahl im Rahmen des Florida OSP aufsuchen, jedoch keine private. 219 Wobei Schüler, die bereits am finanziell generöseren CSTP teilnehmen, vom EdChoice Programm ausgeschlossen sind, um doppelte Bezüge von Schulgutscheinen zu verhindern. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 337 DC Opportunity Scholarship Program (DCOSP) wurde 2004 in Washington DC eingeführt. Da die Hauptstadt aber unter föderaler Verwaltung steht, kommt ihr ein Sonderstatus im Vergleich zu den US-Bundesstaaten zu (NSBA 2011c).220 Regulierung Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die regulativen Gemeinsamkeiten, um die typischen Merkmale der US-amerikanischen Schulgutscheine herauszustellen. Wie eingangs erläutert, fließen in die Analyse auch Gesetzesvorlagen von schließlich nicht eingeführten oder als verfassungswidrig abgelehnten Gutscheinsystemen ein (Florida, Kalifornien), damit die grundsätzlichen Regulierungsbesonderheiten deutlich werden. Diese verbindenden Merkmale zeigen auf, wie die gliedstaatlichen Initiativen für Schulgutscheine auf einem gemeinsamen Fundament aufbauen.221 1. Zugangsvoraussetzungen. Die Programme MPCP, CSTP und DCOSP unterlagen jeweils einer ökonomischen Bedarfsprüfung. Nur wenn die Schüler aus armen Familien stammten, erhielten sie die vollen Schulgutscheine.222 Die EdChoice-Förderung (und das verfassungswidrige OSP Florida) orientierte sich am pädagogischen Bedarf. Nur Schüler aus unterdurchschnittlich abschneidenden öffentlichen Schulen hatten die Option, —————— 220 In einigen Bundesstaaten wurden Schulgutscheine ausschließlich für behinderte Schüler eingeführt, die nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind (NSBA 2011c). Außerdem führten einige Bundesstaaten Steuererleichterungen für Schulgebühren ein, die hier jedoch nicht weiter untersucht werden, obwohl sie teilweise wie Gutscheine wirken können (TTC – Tuition Tax Credit, Levin/Belfield 2003: 187–188). 221 Die Analyse basiert auf den im Folgenden zitierten Gesetzestexten. Folgende Quellen sind ebenfalls in die Analyse der Regulierungseigenschaften eingeflossen: Enlow (2003), Howell/Peterson (2006: 28–38), Myers (2001), NSBA (2011c), Witte (2000). 222 Anspruchsberechtigt waren Familien mit einem Haushaltseinkommen im MSCP mit weniger als 175 % (seit 2011 300 %), im DCOSP mit weniger als 185 % und im CSTP mit weniger als 200 % der bundesweiten Armutsgrenze. Das MPCP übernahm dann die Schulgebühren zu 100 % (max. 6.607 $), wohingegen im CSTP nur 90 % der Gebühren übernommen wurden (max. 5.300 $, 9.–12. Klasse). Wenn das Haushaltseinkommen über der Einkommensgrenze lag, wurde die Förderung im CSTP auf 75 % gekürzt (Levin/Belfield 2003). Bis 2011 konnte das Familieneinkommen im MPCP auf bis zu 220 % der Armutsgrenze steigen, bevor der Anspruch auf einen Gutschein verwirkte. 2011 wurde diese Grenze abgeschafft (Wisconsin Legislative Data 2012). 338 WOHLFAHRTSMÄRKTE staatlich gefördert eine Privatschule zu besuchen.223 Universelle Gutscheinsysteme ohne Förderbeschränkungen wurden bisher in fakultativen Referenden immer abgelehnt (Beales 1994; Shires u.a. 1994; Viteritti 2010).224 Die Zugangskriterien beruhten folglich auf einer ökonomischen oder pädagogischen Bedarfsprüfung, sodass die Gutscheine nur einer ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppe zur Verfügung standen. Der Privatschulmarkt bekam somit einen dualen Charakter:225 Einerseits bezahlten wohlhabende Eltern den vollen Preis für eine Privatschule ihrer Wahl, andererseits erhielten finanziell oder pädagogisch benachteiligte Schüler erhebliche Zuschüsse und konnten nun akkreditierte Privatschulen besuchen.226 2. Leistungsstruktur. Die lizenzierten Privatschulen mussten im Regelfall lediglich das gliedstaatliche Kurrikulum erfüllen, weitere Auflagen hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen bestanden nicht.227 Ebenso mussten die Privatschulen in jährlichen Leistungstests nachweisen, dass sich die eingeschriebenen Schüler verbessert und regelmäßig am Unterricht teilgenommen haben. Die teilnehmenden Privatschulen hatten also im Rahmen der Schulgutscheine zum Teil geringere Unterrichtsleistungen zu erbringen als öffentliche Schulen, dennoch garantierten die Orientierung am gliedstaatlichen Kurrikulum und die Leistungstests einen pädagogischen Grundstandard. —————— 223 In Florida galt eine Schule als gescheitert, wenn sie innerhalb von 4 Jahren zweimal mit der Note »F« (Failed) benotet wurde (siehe Kapitel 1002.38 für Details, Florida State Legislature 2006b). Außerdem wurden in Florida bedarfsgeprüfte Steuererleichterungen für Schulgebühren gewährt, die weiterhin als verfassungskonform gelten (Florida State Legislature 2006a). 224 Beispielsweise enthielten die geplanten Gutscheinsysteme in Kalifornien keine Förderbeschränkungen (vgl. Tabelle 25). Die kalifornischen Privatschulen hätten aber erhebliche Auflagen erfüllen müssen und wären in ihren Auswahlkriterien eingeschränkt worden (bis auf Geschlecht oder Religion der Schüler, Shires u.a. 1994: 3). 225 Die Dualismus-Hypothese geht von einer Separierung der Sozialprogramme in generöse beitragsorientierte und stigmatisierende bedarfsgeprüfte Programme aus (Emmenegger u.a. 2012; Seeleib-Kaiser 2002a), ohne bisher private Sozialleistungen theoretisch zu integrieren. In diesem Kontext gehe ich davon aus, dass einige Wohlfahrtsmärkte generös ausgestaltet sind, wohingegen andere stigmatisierenden Charakter besitzen. 226 Zur Begrenzung der Förderplätze siehe Kapitel 4.2.2. Die implementierten Programme wurden jedoch regelmäßig ausgeweitet, sodass Schüler nie abgewiesen werden mussten (LAG 2000). 227 In Florida waren die Privatschulen verpflichtet auch den Transport und Unterrichtsmaterial zu stellen (Florida State Legislature 2006b: (6) (b)). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 339 3. Finanzierungsmechanismus. Alle Programme wurden aus dem allgemeinen Steueraufkommen der Gliedstaaten finanziert, obwohl einige Schulgutscheine nur auf lokaler Ebene gültig waren, wie im Falle des MPCP und CSTP. Grundsätzlich war die zusätzliche Erhebung weiterer Schulgebühren verboten, mit der Ausnahme Ohios (CSTP/EdChoice), wo der Restbetrag in einigen Fällen durch Elternarbeit oder Sachleistungen ausgeglichen werden durfte (ORC 2012b).228 4. Verwaltung. Die Gutscheinsysteme wurden direkt von den ministeriellen Superintendenten der Gliedstaaten verwaltet. Diese zahlten die Gutscheine an akkreditierte Schulen aus,229 lizenzierten die Schulen und führten die Leistungstests durch, womit die Gliedstaaten insgesamt mehr Einfluss auf die lokale Bildungspolitik erlangten.230 An der Verwaltung waren auch private Lizenzierungsagenturen beteiligt. Beispielsweise erfolgte die pädagogische Akkreditierung der Privatschulen von privaten Akkreditierungsagenturen (ORC 2012a; 2012b; Wisconsin Legislative Data 2012: (2) 7). Private Rechnungsprüfer überprüften die Buchhaltung der Schulen und beurteilten, ob die langfristige Wirtschaftlichkeit des Schulbetriebs sichergestellt war (Wisconsin Legislative Data 2012: (7)). 5. Wahlfreiheit. Die Wahlfreiheit war im Rahmen der Schulgutscheine sehr hoch. Alle Programme waren freiwillig und boten Wahlmöglichkeiten zwischen den Schulen. Die implementierten Gutscheinsysteme ermöglichten Schülern, öffentliche Schulen außerhalb des zugewiesenen Schulbezirks oder eine Privatschule ihrer Wahl zu besuchen. Neben verschiedenen pädagogischen Profilen waren in den implementierten Gutscheinsystemen (MPCP/CSTP/EdChoice) auch Konfessionsschulen zugelassen.231 Diese Praxis wurde vom US Supreme Court 2002 bestätigt (Kemerer 2001; 2002; Omand 2003; Zelman v. Simmons-Harris 2002). Allerdings profitierten durch den bedarfsgeprüften Zugang nur ärmere Familien von den Schulgutscheinen. Die Wahloptionen waren zum Teil —————— 228 CSTP und Florida gewährten Extraleistungen für bedürftige Schüler (z.B. geistige/ körperliche Behinderungen) zur Verfügung (Florida State Legislature 2006b: (6) (d)). 229 Lediglich beim CSTP erhielten die Eltern die Schulgebühren direkt vom Ohio Superintendenten ausgezahlt (ORC 2012b: 3313.979). Damit waren die Eltern als Koproduzenten direkt an der Verwaltung beteiligt. 230 Das DCOSP ist ein Sonderfall, weil die Hauptstadt vom Bund verwaltet wird. 231 Im MPCP sind konfessionellen Privatschulen erst seit 1998 zugelassen (s. Kapitel 4.2.2). 340 WOHLFAHRTSMÄRKTE nur auf einige urbane Schulbezirke begrenzt (MPCP). Eine weitere Hürde waren die Förderanträge, die individuell von den Eltern gestellt werden mussten. Die jüngsten Ausweitungen (Gutscheinhöhe MPCP, Reichweite EdChoice) legen zwar nahe, dass die Wahlfreiheit weiter angestiegen ist, doch blieben die zusätzlichen Wahloptionen regional und sozioökonomisch limitiert. Kontinuität durch zusätzliche öffentliche Mittel Die diskutierten Schulgutscheinsysteme wurden in das existierende Bildungssystem eingebettet. Diese Einbettung kann anhand von zwei Aspekten verdeutlicht werden. Erstens sind Schulgutscheine ausdrücklich als Ergänzung zu den bereits existierenden Privatschulen gedacht. Die bestehende Regulierung der Privatschulen wurde nicht angetastet. Im Rahmen der Schulgutscheine haben die Privatschulen einige zusätzliche regulative Auflagen zu erfüllen, von denen sie ursprünglich befreit waren. Den Privatschulen steht es aber generell frei, an den Förderprogrammen teilzunehmen.232 Die private Akkreditierung der Privatschulen wurde auch beibehalten, was die lokale Autonomie und Selbstregulierung unterstreicht, die auch größtenteils bei den öffentlichen Schulen gilt. Zweitens setzten die gliedstaatlichen Schulgutscheine die bundesstaatliche Politik der selektiven Bildungsfinanzierung fort. Die Schüler erhalten die Gutscheine nur, wenn sie entweder eine arme Herkunft nachweisen können oder an einer öffentlichen Schule eingeschrieben sind, die unterdurchschnittlich in verschiedenen Leistungskriterien abschneidet. Mit anderen Worten: Nur benachteiligte Schüler werden mit Schulgutscheinen gefördert. Die Schulgutscheine sind also als sozialpolitische Intervention intendiert, damit Schüler aus benachteiligten Schulbezirken eine private Alternative wählen können. Gleichwohl sind die intendierten sozialpolitischen Wirkungen höchst umstritten (Ladd 2002; Neal 2002). Der Zugang zu den Schulgutscheinen ist auch kognitiv voraussetzungsvoll, denn die Eltern müssen Kenntnis von den Gutscheinprogrammen haben, Anträge stellen und gegebenenfalls mit Elternarbeit zusätzliche Leistungen erbringen. Die Bedarfsprüfung der Schulgutscheine verfehlt damit das eigentliche Ziel der Armutsvermeidung und nur die Eltern mit hohem kulturellen —————— 232 Während in Milwaukee die Anzahl der teilnehmenden Schulen anstieg, nahmen in Cleveland kontinuierlich weniger Schulen teil (vgl. Kapitel 4.2.2.). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 341 Kapital profitieren von den Schulgutscheinen (Kisida u.a. 2008; Plucker u.a. 2006). Die implementierten Schulgutscheine sind also ein gliedstaatlicher Zuschuss für den Besuch einer öffentlichen oder privaten Schule außerhalb des zugewiesenen Schulbezirks. In den Gliedstaaten wurde somit ein bereits existierender Bildungsmarkt zusätzlich öffentlich bezuschusst, ohne explizit die finanzielle Ausstattung der öffentlichen Schulen zu erhöhen. Diese Form des Wandels enthält somit Elemente von layering (Ergänzung zu bestehenden Privatschulen) und drift (Vernachlässigung des öffentlichen Schulsystems) zugunsten der finanziellen Förderung von Privatschulen. Institutionelle Hürden für Schulgutscheine Bei den US-amerikanischen Schulgutscheinen ist zunächst auffällig, dass relativ wenige Programme erfolgreich implementiert wurden, obwohl es mehrere politische Initiativen gab, derartige öffentliche Zuschüsse für Privatschulen zu implementieren. Die Implementierung weiterer Schulgutscheinsysteme wurde durch institutionelle Hürden verhindert, die in diesem Abschnitt diskutiert werden (vgl. Klitgaard 2008; 2010). Im darauf folgenden Abschnitt wird aufgezeigt, unter welchen Bedingungen Schulgutscheine eingeführt wurden und welche Akteurskonstellationen zu einer erfolgreichen Marktliberalisierung beigetragen haben. Erstens war das fragmentierte Bildungssystem der Hauptgrund, weshalb bisher keine nationalen Schulgutscheine implementiert wurden (vgl. Mintrom 1997). Zwar konnte die George W. Bush Administration in ihrem Zuständigkeitsbereich für Washington DC durchsetzen, dass Schulgutscheine in der Hauptstadt eingeführt wurden, der Bildungsföderalismus verhinderte allerdings eine Ausweitung derartiger Schulgutscheine auf alle Bundesstaaten. Zweitens verhinderten die starken bundes- und gliedstaatlichen Verfassungsgerichte die Einführung von Schulgutscheinen. Grundkonflikt der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung war die öffentliche Finanzierung von konfessionellen Privatschulen, was dem Verfassungsgrundsatz der religiösen Neutralität widerspreche. Die Rechtsprechung der letzten zwei Dekaden war uneinheitlich und sehr umstritten.233 Diese gerichtliche —————— 233 Im Fall Zelman v. Simmons-Harris (2002) wurde beispielsweise das CSTP als verfassungskonform anerkannt, weil in Cleveland religiöse Schulen nicht einseitig bevorzugt würden und zusätzliche säkulare Alternativen wie Charter und Magnet Schools zur Verfügung stün- 342 WOHLFAHRTSMÄRKTE Auseinandersetzung schwelt weiter, weil einerseits gliedstaatliche Verfassungen die Trennung von Staat und Kirche unterschiedlich stark betonen und andererseits die Urteile äußerst knapp mit Ein-Stimmen-Mehrheiten gefällt wurden. Es kommt also stark auf die Ausgestaltung der Schulgutscheine im Detail an und wie die Verfassungsrichter diese regulativen Unterschiede in Bezug auf die gliedstaatliche Verfassung interpretieren, ob die Einführung von Schulgutscheinen aufgrund von Gerichtsentscheidungen verhindert wird. Trotz dieser uneinheitlichen Rechtsprechung stellen die Verfassungsgerichte weiterhin eine hohe institutionelle Hürde dar, um erfolgreich Schulgutscheine in den US-Bundesstaaten einzuführen (vgl. u.a. Kemerer 2001; Kemerer/Maloney 2001). Tabelle 25: Fakultative Referenden zur Einführung von Schulgutscheinen Bundesstaat Maryland Michigan Colorado Kalifornien Washington Michigan Kalifornien Utah Jahr 1972 1978 1992 1993 1996 2000 2000 2007 Ergebnis (in Prozent) Abgelehnt 55-45 Abgelehnt 74-26 Abgelehnt 67-33 Abgelehnt 70-30 Abgelehnt 64-36 Abgelehnt 69-31 Abgelehnt 71-29 Abgelehnt 62-38 Quelle: (Egan 2003: 110; NSBA 2011a). Die dritte institutionelle Hürde zeigte sich in der Möglichkeit fakultativer Referenden. In rund der Hälfte aller US-Bundesstaaten kann nach der parlamentarischen Verabschiedung eines Gesetzes ein sogenanntes Popular Referendum (oder Veto Referendum) durchgeführt werden (NCSL 2009; Piott 2003). Alle Gesetzesinitiativen für Schulgutscheine, bei denen die Gegner von Schulgutscheinen das nötige Quorum für ein Referendum erreichten, scheiterten in der eigentlichen Abstimmung, wie Tabelle 25 zu entnehmen ist. Die Einführung der Gutscheine in Wisconsin (MPCP), Florida (OSP) und Washington DC (OSP) war unter anderem deshalb erfolgreich, weil kein Referendum in den gliedstaatlichen Verfassungen vorgesehen war. —————— den (Kemerer 2002). Der Florida Supreme Court brachte allerdings das Florida OSP mit der Argumentation zu Fall, dass erhebliche Ressourcen von den öffentlichen Schulen abgezogen würden, sodass der Staat somit seine »vorrangige« Pflicht für eine »adäquate« öffentliche Schulbildung verletze (Bush v. Holmes 2006). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 343 Lediglich in Ohio wäre ein Referendum möglich gewesen, ohne dass aber einer der Gegner von Schulgutscheinen aktiv wurde. Dieses Ergebnis bestätigt zumindest den hohen Status-quo-Effekt von Referenden, der auch in anderen Bereichen der Sozialpolitik festgestellt wurde (Wagschal/Obinger 2000). Die Wählerschaft tendiert dazu, den IstZustand gegenüber Veränderungen mit unbekanntem Ausgang zu präferieren. In Kalifornien konnten beispielsweise Gegner von Schulgutscheinen diesen Status-quo-Effekt nutzen und eine Mehrheit gegen die Schulgutscheine mobilisieren (Shires u.a. 1994). Wagschal und Obinger (2000) argumentieren, dass besonders häufig diejenigen sozialpolitischen Gesetze abgelehnt werden, die mehr staatliche Finanzierungsverantwortung mit sich bringen. Allerdings unter der Annahme, dass diese auch unter staatlicher Verwaltung stehen würden. Die mehrfache Ablehnung von Schulgutscheinen an der Wahlurne zeigt auch, dass marktförmige Sozialprogramme, die gegebenenfalls Einsparungen zur Folge haben, an Referenden scheitern. Diese Beobachtung stellt zumindest die Verhinderungswirkung der Referenden in Bezug auf einen Ausbau der Staatstätigkeit in Frage und zeigt, dass auch Gesetzesinitiativen zur Reduzierung der Staatstätigkeit im Bildungsbereich häufig scheitern. Die Befürworter von Schulgutscheinen hatten demnach drei institutionelle Hürden zu überwinden. Im Folgenden wird nun die politische Auseinandersetzung der Verfechter und Gegner von Schulgutscheinen herausgearbeitet. In der Analyse wird ein klares Rechts-Links-Schema der politischen Positionen deutlich. Akteure Schulgutscheine – Ideologische Gräben Die Initiative für die Schulgutscheine ging von konservativen Denkfabriken und religiösen Elterninitiativen aus (Apple 2006). Beispielsweise plädierte Milton Friedman schon in den 1960er Jahren für die Einführung von universellen Schulgutscheinen (Friedman 1962). Diese Idee wurde von konservativen Bewegungen aufgegriffen. Bereits in den 1970er Jahren wurde aktiv dafür geworben, allerdings war der konservative Kampagnenfokus in dieser Zeit stärker auf die Liberalisierung des Rechts auf häuslichen Unterricht gerichtet (Princiotta/Bielick 2006). Die republikanische Partei erwähnte Schulgutscheine erstmals in ihrem Wahlprogramm zur Präsidentschaftswahl 1984. In den Folgejahren widmeten sich immer mehr konservative Denkfabriken und Stiftungen dem Thema (z.B. Friedman 344 WOHLFAHRTSMÄRKTE Foundation seit 1996, vgl. Apple 2006; Chubb/Moe 1990; Cookson 1994; Lowe/Miner 1996: 78–81; Mintrom 2000; Rhodes 2011). In den Wahlprogrammen der Republikaner wurden anfangs vor allem Schulgutscheine für ärmere Familien gefordert, wie sie später auch in Milwaukee und Cleveland implementiert wurden. Gegen Ende der 1990er Jahre wurde stärker die Einführung von Schulgutscheinen für Schüler an Schulen mit mangelhaften Testergebnissen präferiert (vgl. Peters/Woolley 2012). Universelle Schulgutscheine wie in Schweden wurden von den Republikanern nicht angestrebt. Allerdings propagierten die konservativen Wahlkämpfe in den 2000er Jahren primär die Einführung von Charter Schools, ohne explizit Schulgutscheine zu erwähnen. Der veränderte politische Fokus des konservativen Lagers, ist vermutlich ein Grund dafür, dass in dieser Zeit weniger Initiativen für Schulgutscheine ergriffen und auch erfolgreich implementiert wurden. Die Privatschulen verfolgten sehr unterschiedliche Interessen in Bezug auf die Privatschulfinanzierung durch Schulgutscheine. Grundsätzlich begrüßten sie zwar die Finanzierung von Privatschulen durch Schulgutscheine, über die Regulierung der Schulgutscheine waren die Privatschulverbände jedoch uneins. Der größte Dachverband von Privatschulen, CAPE (Council for American Private Education), befürwortete beispielsweise Schulgutscheine, die nach den Einkommensverhältnissen der Eltern gestaffelt sind, weitere regulative Auflagen wie standardisierte Test wurden aber abgelehnt (CAPE 2006). Die National Association of Independent Schools (NAIS) präferierte hingegen Steuererleichterungen für Schulgebühren, machte sich aber auch stark für bedarfsgeprüfte Schulgutscheine als Alternative (NAIS 2011).234 Diese unterschiedlichen Präferenzen schwächten den politischen Einfluss der Privatschulverbände. Darüber hinaus beschränkte sich die politische Arbeit der Privatschulverbände überwiegend auf Lobbytätigkeit. In der Öffentlichkeit traten sie eher zurückhaltend für den Ausbau von Schulgutscheinen in Erscheinung und haben bisher keine großangelegten politischen Kampagnen initiiert oder unterstützt. Zusammengenommen präferierten die Privatschulverbände eine Ausweitung von Schulgutscheinen, wenn sie ihre pädagogische Unabhängigkeit nicht einschränkten. Trotz ihrer dominanten Stellung im Privat- —————— 234 Beispiele für weitere Verbände mit unterschiedlichen Positionen sind AMS (American Montessori Society), TABS (The Association of Boarding Schools), AACS (American Association of Christian Schools) und regionale Organisationen wie CCIS (Cleveland Council of Independent Schools). REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 345 schulmarkt besaßen die Privatschulverbände aber kaum politischen Einfluss, unter anderem weil sie zersplittert waren und Partikularinteressen vertraten. Das linke Lager unterstützte grundsätzlich immer die öffentliche Schulbildung. In den Präsidentschaftswahlprogrammen lehnten die Demokraten vehement jegliche öffentliche Finanzierung von Privatschulen ab. Seit 1992 präsentierte sich die demokratische Partei allerdings offener gegenüber Wahlfreiheit im öffentlichen Schulsystem, solange die Inklusion aller Schüler garantiert blieb (vgl. Wahlprogramme in Peters/Woolley 2012). Schulgutscheine in ihrer jetzigen Form mit bedarfsgeprüftem Zugang wurden folglich abgelehnt, aber auch die Alternative von universellen Schulgutscheinen wurde nicht propagiert. Zusammengenommen waren die Demokraten Gegner von Schulgutscheinen. Weitere wichtige Opponenten gegen Initiativen für Schulgutscheine waren Gewerkschaften und Interessenverbände der öffentlich beschäftigten Lehrer. Die Organisationen waren zwar zersplittert,235 betrieben aber intensive und zum Teil konzertierte Lobbyarbeit, politische Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit gegen Schulgutscheine. Beispielsweise finanzierte die größte Lehrergewerkschaft NEA die Anti-Voucher-Kampagne beim jüngsten Referendum in Utah (KSL 2007). Diese unterschiedlichen politischen Akteure und Interessengruppen hatten wiederum sehr unterschiedlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Schulgutscheine. Zentraler Konfliktpunkt war eher ob Schulgutscheine eingeführt werden sollen, als wie die Regulierung zu gestalten sei. Zunächst verhinderten die Gewerkschaften sehr erfolgreich Gesetzesinitiativen durch fakultative Referenden (Egan 2003; NSBA 2011a). Diese Strategie stand den Gewerkschaften nicht in Gliedstaaten zur Verfügung, die keine Referenden kennen. In diesem Fall unterstützten die Gewerkschaften Klagen gegen die Gutscheinsysteme, die in vielen Fällen ebenfalls erfolgreich waren (Bush v. Holmes 2006; Kemerer 2002). Die Gewerkschaften hatten also keine direkte politische Macht, nutzten aber die institutionellen Blo- —————— 235 Zwei große Gewerkschaften vertreten die Interessen der Lehrer, die aber in den letzten Jahren verstärkt kooperierten: NEA (National Education Association) und AFT (American Federation of Teachers). Zusätzlich bestehen autonome gliedstaatliche Gewerkschaften, die aber mit den Dachgewerkschaften kooperieren. NSBA (National School Boards Association) vertritt die Beschäftigten von öffentlichen School Boards und war politisch sehr aktiv gegen Vouchers vorgegangen (Egan 2003; NSBA 2011a). 346 WOHLFAHRTSMÄRKTE ckademöglichkeiten wie Referenden und Verfassungsklagen intensiv, um die Einführung von Schulgutscheinen zu verhindern. Die Republikaner konnten ihre Präferenz für die Schulgutscheine nur in den US-Bundesstaaten durchsetzen, in denen sie kein Referendum zu fürchten hatten. Alle Gutscheinsysteme wurden von republikanischen Gouverneuren angestoßen, zum Teil aber ohne eine republikanische Mehrheit im gliedstaatlichen Parlament.236 Republikanische Gouverneure sind also eine notwendige Bedingung für die Einführung eines Schulgutscheinsystems. Eine republikanische Mehrheit in der gliedstaatlichen parlamentarischen Vertretung ist vorteilhaft, um weitreichendere Schulgutscheine zu implementieren, aber auch demokratische Abgeordnete können für lokale Gutscheinprogramme gewonnen werden. Trotz der Unterstützung von konservativen Denkfabriken waren die Republikaner aber nicht sehr erfolgreich bei der Durchsetzung von Gutscheinsystemen. Die Gegner, vor allem die Gewerkschaften, nutzten die institutionellen Hürden effektiv, um mehrere Gesetzesinitiativen zu verhindern. Letztendlich blieben Schulgutscheine deshalb bundesweit noch ein Randphänomen. In den erfolgreichen Fällen wurden die Schulgutscheine überwiegend nach den Vorstellungen der Republikaner implementiert, ohne eine politische Auseinandersetzung über alternative institutionelle Eigenschaften. Auch nach der Einführung von Schulgutscheinen gab es keine Initiativen der Gegner, zumindest die Regulierung nach ihren Vorstellungen zu ändern. Charter Schools Die zweite Variante der US-amerikanischen Bildungsmärkte, die in den 1990er Jahren hohe Wachstumsraten zu verzeichnen hatten, waren Charter Schools. Abbildung 14 ist zu entnehmen, dass die meisten Marktgründungen in die 1990er Jahre fallen, danach ebbten die Marktgründungen deutlich ab (1991–2010). Zehn Bundesstaaten haben bisher noch keine CharterSchool-Gesetze erlassen. Wie bereits in Kapitel 4.2.2 dargelegt, sind Charter Schools zwar öffentliche Schulen, dennoch bestehen weitreichende Marktmechanismen. Der Charter-School-Markt ist ein hybrider Markt mit —————— 236 In Wisconsin stimmten Demokraten für das MPCP 1990 und die Ausweitung 2011 (eigene Auswertung von: NCES 2011a; NGA 2012; U.S. Census Bureau 2009: table 416). Schulgutscheinsysteme, die im ganzen Gliedstaat gelten, wurden aber immer von republikanischen Mehrheiten eingeführt. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 347 Eigenschaften eines Konsumenten- und Ausschreibungsmarktes (vgl. Abbildung 1). Die Expansion der Marktmechanismen betrifft zum einen die Wahlfreiheit der Eltern und Schüler und zum anderen private Anbieter, die als Charter Management Organizations (CMOs) oder Education Management Organizations (EMOs) den Schulbetrieb der Charter Schools übernehmen. In diesem Abschnitt wird die Regulierung der Charter Schools in den fünf Regulierungsdimensionen dargelegt und die Besonderheiten dieses Bildungsmarktes veranschaulicht. Anschließend erfolgt eine Analyse der politischen Kräfte, die zur Marktgründung beigetragen haben. Abbildung 14: Anzahl der jährlich neu verabschiedeten Charter-School-Gesetze (1991–2010) Quelle: eigene Zusammenstellung (NCES 2011a), inklusive District of Columbia, N = 51. Wie bereits in Kapitel 4.2.2 gezeigt, ist die Regulierung der Charter Schools föderal fragmentiert. In den einzelnen US-Bundesstaten sind verschiedene Grade von Marktmechanismen implementiert. Dennoch werden im Folgenden die wichtigsten Eigenschaften zusammengefasst und die Regelungen in Wisconsin, Ohio, Florida und Kalifornien im Detail als Beispiele herangezogen, um die konkrete Bedeutung der Regulierung zu illustrieren. 348 WOHLFAHRTSMÄRKTE Regulierung Die Regulierung der Charter Schools ist vielfältig und weist unterschiedliche Liberalisierungsgrade auf. Die hier präsentierten Markteigenschaften beziehen sich auf das Jahr 2010:237 1. Zugangsvoraussetzungen. Charter Schools stehen gesetzlich als säkulare Einheitsschulen allen Schülern offen. Ebenso ist eines ihrer Grundprinzipien, keine Leistungskontrolle bei der Anmeldung durchzuführen. Eltern müssen sich aber auf die Schulen bewerben und die Schulen können je nach Gesetzeslage eigene Auswahlkriterien festlegen. In den vier untersuchten US-Bundesstaaten Kalifornien, Florida, Ohio und Wisconsin können die Charter Schools Schüler aus dem Einzugsgebiet bevorzugen. Ebenso wird den Charter Schools eingeräumt, die pädagogische oder finanzielle Bedürftigkeit zu berücksichtigen, wenn das Schulprofil explizit auf diese Schülergruppen zugeschnitten ist.238 2. Leistungsstruktur. Eine Grundeigenschaft von Charter Schools ist das Prinzip möglichst großer Autonomie von zentralen Vorgaben der Schulbezirke und Gliedstaaten. Gleichzeitig müssen sie deshalb mehr Rechenschaftspflichten erfüllen. Aufgrund des Prinzips »Autonomy for Accountability« sind Charter Schools von vielen Auflagen der lokalen School Boards und gliedstaatlichen Regeln entbunden. Aufgrund der Charter, also dem spezifischen Schulvertrag, sind die Leistungsanforderungen, die vereinbarten Benchmarks und pädagogischen Ziele je Schule individuell ausgehandelt und festgelegt. In den im Detail untersuchten US-Bundesstaaten genießen die Charter Schools automatisch viele pädagogische und organisatorische Freiheiten, unterliegen aber einer externen Aufsicht: Sie müssen von einer privaten oder öffentlichen Lizenzierungsagentur zertifiziert sein. Außerdem führen die Gliedstaaten üblicherweise regelmäßige pädagogische Leistungstests durch, um zu überprüfen, ob die vereinbarten Ziele erreicht wurden. Wenn Charter Schools keine Verbesserung der Schülerleistungen nachweisen können, kann ihnen die Lizenz entzogen werden (vgl. Kane/Lauricella 2001: 5; Mintrom/Vergari 1997; Wohlstetter u.a. 2008). —————— 237 Wenn nicht anders angegeben basiert die Analyse auf einem Längs- und Querschnittsvergleich der NAPCS (National Alliance for Public Charter Schools) und ECS (Education Commission of the States) Datenbanken (ECS 2012; NAPCS 2010; 2011; 2012). 238 außer Wisconsin. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 349 3. Finanzierungsmechanismus. Charter Schools dürfen keine Schulgebühren erheben und werden mit lokalen sowie mit gliedstaatlichen Steuermitteln finanziert. Außerdem gewährt der Bund eine Anschubfinanzierung.239 Die Pro-Kopf-Beiträge sind üblicherweise etwas geringer als für Schüler an öffentlichen Schulen.240 Charter Schools können aber zusätzliche Einnahmen durch Förderanträge und Fördervereine generieren oder Ausgaben durch Kooperationen mit privaten und öffentlichen Organisationen einsparen (Kane/Lauricella 2001; Wells/Scott 2001).241 In rund dreiviertel der Bundesstaaten sind profitorientierte Schulbetreiber zugelassen (EMOs, vgl. Kapitel 4.2.2) und so auch in den vier untersuchten Bundesstaaten (Molnar u.a. 2009; NAPCS 2011).242 Von den geringeren Ausgaben pro Schüler schöpfen EMOs also noch einen Gewinn ab (Wells/Scott 2001). 4. Verwaltung. Die Gliedstaaten sind die zentralen Regulierungsbehörden. Sie legen die Regeln fest, lizenzieren die Charter Schools und überweisen die Pro-Kopf-Beiträge. Die Leistungstests werden üblicherweise von den gliedstaatlichen Behörden durchgeführt. Insgesamt verlagerte sich damit die bildungspolitische Macht von den lokalen School Boards auf die Gliedstaaten. Wie auch bei den Schulgutscheinen erfolgt die pädagogische und finanzielle Lizenzierung in der Regel von privaten Agenturen, allerdings übernehmen zum Teil auch gliedstaatliche Behörden Lizenzierungsaufgaben (Vergari 2000). 5. Wahlfreiheit. Charter Schools sind eine Schulalternative für alle Schüler, weil keine finanzielle Hürde den Schulbesuch limitiert. Lediglich einige Selektionsregeln können die Wahlfreiheit einschränken. Ebenso sind Kon- —————— 239 Der Charter School Program State Educational Agencies (SEA) Grant gewährt USBundesstaaten seit 1995 Bundesmittel zur Gründung und zum Ausbau von Charter Schools (Kane/Lauricella 2001). 240 Rund 80–90 % der durchschnittlichen Pro-Kopf-Kosten an öffentlichen Schulen. Die geringere Kostenerstattung wird mit allgemeinen Verwaltungs- und Transportkosten begründet, die von Kommunen und Bundesstaaten für alle Schulen übernommen werden (Kane/Lauricella 2001). 241 Durch Kooperationen mit Universitäten sparen Charter Schools beispielsweise Laborausstattungen. 242 Mit Einschränkungen in Wisconsin. 350 WOHLFAHRTSMÄRKTE fessionsschulen nicht zugelassen, sodass weltanschauliche Präferenzen nicht von Charter Schools bedient werden. Die Wahlfreiheit wurde in den 1990er Jahren dahingehend limitiert, dass häufig die Anzahl der Schulen und Schüler mit Obergrenzen begrenzt wurde (sogenannte Caps). Die Obergrenzen wurden aber in den folgenden Jahren regelmäßig erhöht, um der gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden, oder gänzlich abgeschafft.243 Insgesamt wurde die Wahlfreiheit mit der Gründung von Charter Schools ausgebaut und die fortschreitende Liberalisierung der Gesetzgebung erhöhte die Wahloptionen seit den 2000er Jahren weiter. Einbettung von Charter Schools zwischen öffentlichen und privaten Schulen Die Regulierung der Charter Schools greift auf bestehende Regulierungseigenschaften zurück. Am auffälligsten ist die Fokussierung auf finanziell und pädagogisch bedürftige Schüler, die bei Charter Schools bevorzugt aufgenommen werden. Diese Allokation gliedstaatlicher und föderaler Bildungsfinanzen nach Bedürftigkeit wurde bereits in den 1960er Jahren erstmals eingeführt. Außerdem werden die Charter Schools, wie der überwiegende Anteil der Schulen, von privaten Akkreditierungsbüros lizenziert. Innovativ ist die größere Autonomie und die Finanzierung der Charter Schools. Die Schulen dürfen eigene Schwerpunkte ihrer pädagogischen Arbeit setzen und erhalten eine Pro-Kopf-Pauschale. Im Gegensatz zu den Schulgutscheinen wurde mit den Charter Schools ein gänzlich neuer Schultyp gegründet. Die Schulgutscheine reformierten überwiegend nur den Finanzierungsmechanismus der Privatschulen, mit den Charter Schools entstanden neue Organisationen, die vorher so nicht existierten. Allerdings hatten die Charter Schools in den Magnet Schools eine bestehende Vorbildinstitution (vgl. Kapitel 4.2.2 Exkurs). Sowohl Magnet Schools als auch Charter Schools ermöglichten Schülern, eine alternative Schule außerhalb des Schulbezirks zu besuchen. Die limitierte —————— 243 Rund die Hälfte der US-Bundesstaaten hatte 2010 keine Obergrenzen. In den vier untersuchten US-Bundesstaaten wird die ganze Bandbreite an Regelungen deutlich. In Florida galt 1996 pro Schulbezirk eine Obergrenze, die zusehends aufgeweicht wurde (1998, 2001) bis sie 2003 komplett abgeschafft wurden (vgl. Kapitel 4.2.2 Wahlfreiheit, Finn u.a. 2000: 244; Miron/Nelson 2002: 84). In Kalifornien steigt die Obergrenze pro Jahr um 100 Schulen. In Ohio hingegen wurde die Anzahl der Schulen pro Schulbezirk nach einer speziellen Formel limitiert mit begrenztem Wachstum. REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 351 Autonomie und Anzahl der Charter Schools wies am Anfang noch große Ähnlichkeit mit den Magnet Schools auf, doch in den folgenden inkrementellen Reformen erhielten die Charter Schools immer mehr Freiheiten (z.B. Abschaffung Obergrenzen), sodass ein freier Wettbewerb zwischen Charter Schools und anderen öffentlichen und privaten Schulen entstand. Die ursprünglich als Ergänzung eingeführten Charter Schools entfalteten so eine eigenständige Wachstumsdynamik, indem die anfangs implementierten Begrenzungen der Marktmechanismen aufgeweicht wurden. Akteure Charter Schools – Geringe institutionelle Hürden und breiter Konsens Dieser beobachtete Wandel erklärt aber noch nicht, warum Charter Schools stärker verbreitet sind als Schulgutscheine. Der folgende Abschnitt erläutert, welche institutionellen Rahmenbedingungen die Einführung von Charter Schools erleichterten und welche politischen Akteure daran beteiligt waren. Im Vergleich zu den Schulgutscheinen fiel bei der Einführung der Charter Schools eine institutionelle Hürde weg. Die Charter Schools sind grundsätzlich säkulare Schulen, weshalb deren öffentliche Finanzierung nicht im Konflikt mit der Verfassung steht. Somit entfiel das Veto per Verfassungsklage als Option, um die Marktgründung nachträglich zu verhindern. Den Gegnern von Charter Schools stand aber weiterhin ein fakultatives Referendum zur Verfügung. Ferner verhinderte die föderale Gesetzgebung, dass bis dato in zehn US-Bundesstaaten keine Charter-SchoolGesetze erlassen wurden. Die einflussreichen Akteure waren – wie auch bei den Schulgutscheinen – Parteien, Gewerkschaften, Denkfabriken (Think Tanks), Stiftungen und Interessenverbände. Erstaunlich unbeteiligt waren jedoch die Privatschulverbände. Keine der Privatschulorganisationen bezog explizit Position zu den Charter Schools (u.a. CAPE, AACS). Zwar betonten sie weiterhin, dass sie öffentliche Schulwahloptionen begrüßen, forderten aber direkte finanzielle Unterstützung für die Eltern in Form von Schulgutscheinen oder Steuererleichterungen. Zum Beispiel erwähnte der Verband der unabhängigen Schulen (NAIS) in seinem Bildungskonzept mit keiner Silbe Charter Schools und plädierte für »mission-driven« und selektive Schulen, was zumindest den Grundsätzen von Charter Schools widerspricht (NAIS 2011). Obwohl Charter Schools für diese Privatschulverbände direkte 352 WOHLFAHRTSMÄRKTE Konkurrenten sind,244 wurde deren Einführung und Ausbau nicht direkt kritisiert. Lediglich der Verband der Montessori-Schulen (AMS) zeigte sich offen für Charter Schools oder andere öffentliche Schulen, die nach den Methoden von Montessori arbeiten wollen (AMS 2012). Die Privatschulverbände waren also politisch gespalten in Bezug auf die Einführung von Charter Schools oder bezogen keine direkte Position zur Debatte. Insgesamt verhielten sie sich eher neutral und waren somit kein einflussreicher Akteur bei der Einführung und Regulierung der Charter Schools. Im Gegensatz zu den Schulgutscheinen befürwortete das rechte und linke Lager Charter Schools, allerdings bestehen erhebliche politische Differenzen wie die Charter Schools reguliert werden sollen: Die Charter-School-Idee stammt ursprünglich aus akademisch und reformpädagogisch orientierten Kreisen und wurde zunächst von den politisch links stehenden Gewerkschaften aufgegriffen (Budde 1988; 1996; Kolderie 2005). Im Jahre 1988 machte vor allem Albert Shanker, der damalige Vorsitzenden der AFT (American Federation of Teachers), das Konzept der Charter Schools einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Auch nach über 20 Jahren unterstützt die AFT weiterhin »charter schools that embody the core values of public education« (AFT 2012). Laut AFT sollten Charter Schools die folgenden Regulierungsmerkmale aufweisen: der öffentliche und gleiche Zugang für alle Schüler, keine Schulgebühren, keine profitorientierten Anbieter und dieselben Bildungsstandards wie an öffentliche Schulen. Außerdem wird gefordert, dass nur qualifizierte Lehrkräfte unterrichten dürfen und dass Beschäftigte Gewerkschaften gründen und beitreten dürfen. Folglich vertritt die AFT ein Charter-School-Konzept, dass einige Freiheiten im Rahmen des öffentlichen Bildungssystems erlaubt, jedoch keine Bildungsmärkte mit profitorientierten Anbietern begünstigt. Andere Lehrergewerkschaften und Interessengruppen des öffentlichen Schulwesens waren anfangs kritisch gegenüber diesen Plänen, unterstützten in den Folgejahren aber eine ähnlich strenge Regulierung der Charter Schools und Begrenzung von Marktkräften (vgl. u.a. Vergari 2007).245 —————— 244 Denn rund 10–15 % der Schüler an Charter Schools besuchten vorher eine Privatschule (NEA 2001). 245 Die größte Lehrergewerkschaft NEA gab 2001 ihren grundsätzlichen Widerstand gegen Charter Schools auf, jedoch mit ähnlich strengen Auflagen wie die AFT (NEA 2011). Der Verband der School Boards (NSBA) unterstützt dieselbe Linie, forderte aber vor allem die Beibehaltung der lokalen School Boards. Die NSBA konnte ihre zentrale Forderung bisher aber nicht durchsetzen, denn ein Großteil der regulativen Aufgaben ging auf die 353 REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE Mehrere demokratische Abgeordnete und Senatoren hörten von der gewerkschaftlichen Charter-School-Idee und sahen darin eine Chance, im öffentlichen Schulsystem Wahloptionen einzuführen und gleichzeitig das öffentliche Schulwesen gegen Schulgutscheine zu verteidigen (Hart/Burr 1996; Kolderie 2005). Trotz der Offenheit der nationalen AFT waren die regionalen Gesetzesinitiativen der demokratischen Abgeordneten im Gewerkschaftslager zum Teil sehr umstritten und einige regionale Gewerkschaften unter dem Dach der AFT liefen Sturm gegen die Implementierung (Hart/Burr 1996). Tabelle 26: Mehrheitsverhältnisse bei der Verabschiedung der Charter-School-Gesetze (1991–2010) Gouverneur R R R R D D D D R Total Repräsentantenhaus R D D R R D D R P Senat R R D D R R D D R Anzahl 8 5 9 1 7 2 6 2 1 41 Quelle: eigene Zusammenstellung (NCES 2011a; NGA 2012; U.S. Census Bureau 2009: table 416). Anmerkungen: D = Demokraten, R = Republikaner, P = Patt. Die Demokraten konnten letztlich die Kritik der Gewerkschaften durch Kompromisse mit den Republikanern umgehen. In den folgenden Jahren begrüßten beide Parteien Charter Schools (Finn 2004; Hassel u.a. 2006). Die Clinton Administration stellte auch erhebliche Bundesmittel für die Neugründung von Charter Schools zur Verfügung, was unter anderem den Ausbau der Charter-School-Gesetze in den 1990er Jahren beschleunigte (ED 2012). Seit 1996 unterstützen alle Parteiprogramme der Republikaner und Demokraten den Ausbau von Charter Schools (Peters/Woolley 2012). Dieser parteiübergreifende Konsens wird auch an dem Abstimmungsver- —————— Gliedstaaten über, was einem substantiellen Machtverlust der School Boards gleichkommt (Hassel u.a. 2006; Hassel u.a. 2011; NSBA 2011b). 354 WOHLFAHRTSMÄRKTE halten in den US-Bundesstaaten deutlich. Tabelle 26 kann entnommen werden, dass Charter Schools in allen erdenklichen Mehrheitsverhältnissen in Kraft gesetzt wurden. Folglich verbindet die Charter-School-Bewegung »people who support […] a conservative, market-based agenda with people who consider themselves to be much more liberal and opposed to privatization« (Wells/Scott 2001: 237). Die Einführung dieser Bildungsmärkte war somit ein parteiübergreifendes Projekt. Allerdings hatten die beiden politischen Lager unterschiedliche Vorstellungen wie die Marktmechanismen der Charter Schools reguliert werden sollten. Die Demokraten präferierten eine strenge Regulierung und Begrenzung der Marktmechanismen. Beispielsweise forderten sie den gleichen Zugang für alle Schüler und eine Obergrenze für die erlaubten Charter-School-Neugründungen (Hart/Burr 1996; Kolderie 2005; s. Wahlprogramme 1990–2008 bei Peters/Woolley 2012). Die Republikaner strebten hingegen Charter-School-Gesetze an, die möglichst viele Marktmechanismen enthalten (s. Wahlprogramme 1990– 2008 bei Peters/Woolley 2012). Konservative Denkfabriken propagierten eine stark liberalisierte Charter-School-Gesetzgebung, die möglichst viele Freiheiten bietet (Enlow 2008; NAPCS 2012). Die weiteren Liberalisierungen, die der Marktgründung folgten, wurden überwiegend vom konservativen Lager auf den Weg gebracht (Hassel u.a. 2006). Für viele Republikaner waren Charter Schools ohnehin nur ein Zwischenschritt, um vor allem Schulgutscheine flächendeckend einzuführen. Mit Unterstützung religiöser Schulverbände (AMS 2012; CAPE 2006; NAIS 2011) und kirchlicher Elterninitiativen strebten sie, wie oben erläutert, die Implementierung von Schulgutscheinen an, die auch private Konfessionsschulen einschließen (Apple 2006; Coulsen 1999; Reese 2004; UCLA Charter School Study 1999). Trotz dieser bestehenden unterschiedlichen Präferenzen in Bezug auf die konkrete Regulierung der Charter Schools waren parteiübergreifende Kompromisse möglich. Die Republikaner sind derzeit die treibenden Kräfte für einen weiteren Ausbau der Charter Schools, den sie sogar auf bundesstaatlicher Ebene anstreben (House of Representatives 2011; 2014). Der aktuelle Gesetzesvorschlag The Success and Opportunity through Quality Charter Schools Act wurde Anfang 2014 von den Republikanern in das Repräsentantenhaus eingebracht und mit breiter republikanischer und demokratischer Mehrheit an den Senat übergeben (Stand: November 2014). In der jetzigen Form würde das Gesetz den Markt für Charter Schools weiter REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 355 liberalisieren. Entsprechend wird diese Gesetzesinitiative von den lokalen School Boards abgelehnt (NSBA 2014), weil das ihre Rolle als Aufsichtsinstanz beschneiden würde. Der Ausgang der Gesetzesinitiative und die genaue Regulierung sind noch offen, die Konfliktlinien über die Regulierung treten aber offen zutage. Obwohl Interessengruppen und Marktakteure die Marktgründung und -liberalisierung vorangetrieben haben, scheinen sie derzeit wenig direkten Einfluss auf die konkrete Regulierung der Charter Schools zu haben, wenn man bedenkt, wie die lokalen School Boards entmachtet werden. Parteiübergreifende Kompromisse prägen die Politikgestaltung und die Konfliktlinien verschwimmen zusehends, allerdings sind die Republikaner weiterhin die treibende Kraft für mehr Charter Schools und sie präferieren mehr Markmechanismen als die Demokraten. Zusammenfassung – Konflikte und Konsens Die US-amerikanischen Bildungsmärkte, die in den 1990er Jahren entstanden sind, ergänzen die bereits bestehenden öffentlichen und privaten Schulen. Im Falle der Schulgutscheine wurde vornehmlich der Finanzierungsmechanismus für Privatschulen verändert, sodass eher eine Marktliberalisierung stattfand (obwohl neue Institutionen gegründet wurden), ohne einen neuen Markt mit gänzlich neuen Anbietern zu schaffen. Allerdings wurden mit diesen Reformen die Lizenzierungskriterien für die bestehenden Privatschulen verschärft, wodurch zumindest ein neues Marktsegment entstanden ist, das nur für bestimmte Privatschulen zugänglich ist. Mit den Charter Schools wurde ein neuer Markt gegründet, der vorher nicht existierte. Auf diesem Markt wurden auch neue Marktakteure wie profitorientierte (EMOs) und gemeinnützige (CMOs) Schulbetreiber aktiv, die vorher nicht existierten. Die zentrale Regulierungseigenschaft der Bildungsmärkte ist die bedarfsgeprüfte Zugangsvoraussetzung. Die Charter Schools und Schulgutscheine werden aus gliedstaatlichen Zuschüssen finanziert mit dem Ziel der Armutsvermeidung. Anders ausgedrückt: Marktmechanismen werden eingesetzt, um die Bildungsnachteile durch Armut auszugleichen. Damit wurde ein Motiv der föderalen Bildungsfinanzierung aufgegriffen, das ebenfalls zur Armutsvermeidung, Förderung benachteiligter Stadtteile und Unterstützung von Schülern mit geistigen und körperlichen Behinderungen eingesetzt wurde. Defizite der lokalen Schulfinanzierung werden mit Zuschüssen aus Bundesmitteln ausgeglichen. Die Neuerung in den 1990er 356 WOHLFAHRTSMÄRKTE Jahren war, durch Wettbewerbselemente eine Leistungssteigerung der Schulen anzustreben und benachteiligten Schülern eine Wahloption zu eröffnen. Eine weitere zentrale Regulierungseigenschaft war die Übertragung der privaten Akkreditierung auf die neuen Märkte. Die privaten Schulen wurden in den USA ohnehin von privaten Akkreditierungsbüros lizenziert, aber auch öffentliche Schulen wurden so akkreditiert. Diese typische private Verwaltung wurde mit der Marktgründung und -liberalisierung ausgeweitet. Mit der Reformierung des Finanzierungsmechanismus wurde zwar mit der Bedarfsprüfung auf typische Eigenschaften der öffentlichen Bildungsfinanzierung zurückgegriffen, dennoch wurden auch Innovationen eingeführt. Gerade die Schulgutscheine stellen einen Bruch mit der vorherigen Trennung von Staat und konfessionellen Schulen dar, weshalb gerade dieses Regulierungselement besonders umstritten war. Außerdem wurde der gliedstaatliche und föderale Einfluss auf die Schulen durch die Marktelemente gestärkt. Die Wahloptionen wurden insgesamt ausgeweitet, denn die Schüler konnten nun zwischen verschiedenen Schulformen wählen, wenn auch nicht alle Schulwahlprogramme einen universellen Zugang ermöglichen. Die Ausweitung der Wahloptionen umfasste neben den Schulgutscheinen und den Charter Schools auch eine Lockerung der Schuleinzugsbereiche. Viele US-Bundesstaaten führten parallel zu den marktförmigeren Varianten auch die Möglichkeit ein, zwischen normalen öffentlichen Schulen zu wählen oder den Schulbezirk zu wechseln (Jones-Sanpei 2008; LAG 2002; NCES 2011b; Schneider u.a. 1997). Die Ausweitung der Wahlfreiheit ist also ein allgemeiner Trend, der nicht unbedingt mit der Expansion anderer Marktmechanismen einhergeht. Die Gründung und Liberalisierung der Bildungsmärkte führte zu keinem einheitlichen Markt, sondern zu zwei höchst unterschiedlichen Markttypen (Schulgutscheine/Charter Schools) und einer Variation von Marktmechanismen zwischen den US-Bundesstaaten. Die existierenden Institutionen waren bei allen Reformschritten zwar Vorbilder, die gliedstaatliche Pluralität verringerte jedoch nationale Gemeinsamkeiten. Grundsätzlich erfolgte die Einbettung in einer Kombination aus layering und drift. Die öffentlichen Schulen waren chronisch unterfinanziert und konnten dem gestiegenen Wunsch nach Wahloptionen nicht gerecht werden, folglich stieg die Unzufriedenheit von Eltern und Schülern mit den REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 357 Leistungen der öffentlichen Schulen. Diese Vernachlässigung des öffentlichen Bildungswesens (drift) eröffnete die Möglichkeit neue Märkte anzufügen (layering). Sowohl bei den Schulgutscheinen als auch bei den Charter Schools bewirkte die umfassende Marktgründung/-liberalisierung weitere inkrementelle Liberalisierungen. Im Falle der Charter Schools wurden beispielsweise allmählich Regelungen, die Marktmechanismen begrenzten, gelockert (z.B. profitorientierte EMOs, Obergrenzen). Vergleichbare schrittweise Liberalisierungen waren auch bei den Schulgutscheinen zu beobachten (Zulassung konfessioneller Privatschulen). Diese fielen allerdings weniger stark aus, weil mit den Gutscheinen bereits starke Marktmechanismen implementiert waren. Von beiden Markttypen haben vor allem Charter Schools das Potenzial, das Bildungssystem nachhaltig zu verändern. Einerseits basiert die CharterSchool-Regulierung auf institutionellen Vorbildern wie Magnet Schools und Bedürftigkeit, andererseits bedeutet die fortschreitende Abschaffung der Obergrenzen, dass Charter Schools unbegrenzt wachsen können. Durch ihren hybriden Charakter zwischen Konsumenten- und Ausschreibungsmarkt scheinen Charter Schools nicht als Fremdkörper im Schulsystem aufgefasst zu werden. Eine Dominanz der Charter Schools würde allerdings das Schulsystem fundamental verändern. Bildungspolitische Akteure und institutionelle Hürden Die flächendeckende Einführung von Wohlfahrtsmärkten im USamerikanischen Bildungswesen wurde durch drei institutionelle Hürden erschwert: (1) Der Bildungsföderalismus verhinderte eine nationale Kampagne für Bildungsmärkte, sodass nur schrittweise auf gliedstaatlicher Ebene Marktmechanismen eingeführt werden konnten; (2) die Gegner von Wohlfahrtsmärkten konnten mithilfe von fakultativen Referenden erfolgreich Schulgutscheine verhindern; und (3) den Gegnern blieb schließlich die Verfassungsklage, weil die starke Trennung von Staat und Kirche eine öffentliche Finanzierung von Privatschulen nur unter bestimmten Bedingungen erlaubte. Trotz dieser institutionellen Hürden wurden in den 1990er Jahren Marktmechanismen in das US-amerikanische Bildungswesen implementiert (vgl. gegensätzliches Argument bei Klitgaard 2010). Die Analyse der bildungspolitischen Akteure offenbarte ein ausgeprägtes Links-Rechts- 358 WOHLFAHRTSMÄRKTE Schema bei den Präferenzen gegenüber Bildungsmärkten, gleichwohl waren trotz gegensätzlicher Positionen Kompromisse möglich. Das säkular-konservative Lager präferierte primär Schulgutscheine. Die Republikaner erfuhren dabei Unterstützung von konservativen Denkfabriken, bürgerlichen Stiftungen, vermögenden Einzelpersonen und religiös-motivierten Interessengruppen (Apple 2006; Chubb/Moe 1990; Coulsen 1999; Reese 2004; Rhodes 2011). Im linken Lager stießen die Vorschläge der Konservativen zunächst auf vehementen Widerstand. Die Demokraten lehnten Schulgutscheine grundsätzlich ab, weil sie das öffentliche Bildungswesen weiter untergraben würden. Dabei wurden sie von Gewerkschaften und Lehrerverbänden unterstützt. Dennoch konnten sich die Demokraten den Forderungen nach mehr Wahloptionen nicht verschließen und entdeckten Charter Schools, um Wahlfreiheit in das öffentliche Schulwesen zu integrieren, ohne ihre Präferenz für einen universellen Zugang aufzugeben. Die parteipolitischen Präferenzen prägten die politische Auseinandersetzung über Schulgutscheine und Charter Schools sehr unterschiedlich. Einerseits wurden Schulgutscheine ausschließlich von den Republikanern eingeführt, während das linke Lager versuchte, deren Einführung mit allen Mitteln zu verhindern. Die institutionellen Hürden wie Referenden und Verfassungsklagen waren dabei effektive Mittel, um Gesetzesinitiativen des rechten Lagers zu verhindern. Insgesamt war diese politische Auseinandersetzung von starken Konflikten geprägt. Demgegenüber war die Gründung von Charter Schools von einem parteiübergreifenden Konsens geprägt. Sowohl Demokraten als auch Republikaner waren maßgeblich an der Einführung der Charter-SchoolGesetze beteiligt. Gleichwohl wurden auch hier unterschiedliche Präferenzen deutlich, denn die Republikaner streben möglichst liberale CharterSchool-Gesetze an, die viele Marktmechanismen beinhalten, wohingegen die Demokraten die Marktmechanismen begrenzten. Folglich waren die Republikaner die treibende Kraft hinter der Liberalisierung der CharterSchool-Gesetze in den 2000er Jahren. Die Linke, und vor allem die Gewerkschaften, konzentrierte sich auf die Verhinderung von Schulgutscheinen, sodass die Charter Schools relativ ungehindert wachsen konnten (Hassel u.a. 2006: 7). Fligsteins (2001) Annahme, dass dominante (Markt-)Akteure maßgeblich an der Marktgründung beteiligt sind, trifft für die US-amerikanischen Bildungsmärkte nur bedingt zu. Abgesehen von den Gewerkschaften, die REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 359 grundsätzlich sehr kritisch gegenüber jeglicher Form von Marktmechanismen eingestellt waren (Vergari 2007), waren Privatschulverbände als dominante Marktakteure kaum an den Reformen beteiligt. Die Gewerkschaften führten in ihren Argumenten gegen Wohlfahrtsmärkte zwar immer pädagogische und ökonomische Argumente an, lehnten sie aber auch deshalb ab, weil sie schlechtere Arbeitsbedingungen für ihre Klientel an öffentlichen Schulen befürchteten. Ebenso drohte ein Machtverlust, wenn Beschäftigte an Privatschulen von einer obligatorischen Gewerkschaftsmitgliedschaft entbunden wurden. Die Gewerkschaften waren vor allem sehr erfolgreich, die Einführung von Schulgutscheinen durch gut organisierte Kampagnen in Referenden und Verfassungsklagen zu verhindern. Die Privatschulverbände bezogen zwar Position für Schulgutscheine, finanzieren jedoch die Kampagnen meist nicht selbst. Konservative Denkfabriken und bürgerliche Stiftungen organisierten stellvertretend für die Privatschulverbände Kampagnen zur Einführung von Schulgutscheinen, sodass die Privatschulen nicht als starke politische Akteure in Erscheinung traten. 5.4.3 Fazit – Liberale Einbettung Die Entwicklung der Wohlfahrtsmärkte in den USA zeigte einige Besonderheiten auf, die zu einer liberalen Einbettung der Renten- und Bildungsmärkte geführt hat. Die US-amerikanischen Wohlfahrtsmärkte sind im Vergleich zu den Ergebnissen der Länderstudien Deutschland und Schweden weniger stark reglementiert und ermöglichen ein hohes Maß an Wahlfreiheit. Die speziellen politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten trugen zu dieser spezifischen Regulierung bei. Die Regulierung US-amerikanischer Wohlfahrtsmärkte Die US-amerikanischen Wohlfahrtsmärkte sind geprägt von sehr disparaten Zugangsvoraussetzungen. Einerseits bestehen Wohlfahrtsmärkte, die formal zumindest universellen Zugang ermöglichen wie IRAs oder Charter Schools. Andererseits ist der Zugang zu anderen Märkten bedarfsgeprüft (Schulgutscheine) oder abhängig vom Berufsstatus und Arbeitgeber (Betriebsrenten / individuelle Renten). Die Leistungsstruktur der Wohlfahrtsmärkte variiert ebenso stark. Einerseits werden nur minimale Grundleistungen regulativ vorgegeben, die zwischen den einzelnen Marktsegmenten 360 WOHLFAHRTSMÄRKTE variieren (vor allem Bildungsmarkt). Andererseits besteht auch ein hoher Beitragsbezug der Leistungen im Rentenmarkt und bei den normalen Privatschulen. Der Finanzierungsmechanismus variiert stark zwischen den Politikfeldern, aber grundsätzlich besteht eine öffentliche Bezuschussung der Märkte fort. Im Bildungsmarkt sind öffentliche Zuschüsse für Privatschulen und quasi-private Charter Schools allerdings eine Neuerung. Eine Besonderheit der US-amerikanischen Wohlfahrtsmärkte ist der hohe Grad der privaten Verwaltung. Die öffentlichen Behörden haben zwar weiterhin Lizenzierungs- und Überwachungsfunktionen, doch ein Großteil der Verwaltungs- und Regulierungsaufgaben erfolgt von den privaten Anbietern in Selbstregulierung. Am deutlichsten wird das im Bildungsmarkt, wo selbst die öffentlichen Schulen von privaten Akkreditierungsagenturen begutachtet werden. Und schließlich ist die Wahlfreiheit für alle Nutzer sehr hoch. Alle untersuchten Wohlfahrtsmärkte sind fakultativ und eröffnen vielfältige Wahloptionen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Für die Einbettung der Wohlfahrtsmärkte ist zunächst der Zeitpunkt der Marktgründung entscheidend. Die Rentenmärkte sind vergleichsweise früh entstanden und basierten auf einem ausgebauten Betriebsrentensystem, das Vorbild für die Marktliberalisierung war. Im Bildungsbereich konnten die Privatschulen eine starke Stellung gegenüber den öffentlichen Schulen behaupten, sodass sie als starke Vorbilder für die Marktgründung und -liberalisierung in den 1990er Jahren gelten können. In beiden Fällen waren somit die existierenden privaten Institutionen Vorbilder bei der Marktgründung und -liberalisierung. Die öffentlichen Wohlfahrtsinstitutionen konnten entsprechend die Marktregulierung weniger stark prägen, sodass Marktmechanismen einen hohen Anteil haben, wie zum Beispiel der hohe Grad der Wahlfreiheit verdeutlicht. Neben Ähnlichkeiten zwischen öffentlichen und privaten Institutionen, wurden mit den Märkten auch viele Innovationen eingeführt, wodurch das US-amerikanische Wohlfahrtsregime noch liberaler wurde. Die Leistungsstruktur wurde stärker individualisiert und Wahlfreiheiten nahmen insgesamt zu, ohne zusätzliche Garantien oder Verbraucherschutzmechanismen einzuführen. Konflikte und Kompromisse zwischen Links und Rechts Außerdem zeigten die Fallstudien der Renten- und Bildungsmärkte, dass dominante Akteure die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte maßgeblich beeinflussten. Konservative politische Kräfte waren die Hauptakteure, die REGULIERUNG DER WOHLFAHRTSMÄRKTE 361 Wohlfahrtsmärkte propagierten und die liberale Regulierung prägten. Die republikanische Partei erhielt für diese marktliberale Agenda Unterstützung von konservativen Denkfabriken, Stiftungen, Arbeitgeberverbänden und religiös-motivierten Bürgerbewegungen (u.a. Apple 2006; Hacker 2002; Hacker/Pierson 2002; Lowe/Miner 1996). Das linke Lager, bestehend aus Demokraten und Gewerkschaften, lehnte grundsätzlich Wohlfahrtsmärkte ab und präferierte starke öffentliche Sozialprogramme. Diese grundsätzliche Präferenz konnte jedoch nicht beibehalten werden und das linke Lager war zu Zugeständnissen bereit. Dabei favorisierten sie eine Limitierung der Marktmechanismen. Beispielsweise stimmten die Demokraten für eine stärkere Regulierung der Betriebsrenten in den 1970er Jahren, weil ein Ausbau der öffentlichen Rentenversicherung nicht möglich erschien. In diesem Fall eröffnete die Einführung von IRAs und anderen individuellen Rentenversicherungen allerdings sogar eine Ausweitung von Marktmechanismen. Bei den Charter Schools waren die Demokraten ebenfalls bereit, Marktmechanismen im öffentlichen Bildungssystem zu etablieren, solange das Wachstum der Charter Schools und profitorientierte Schulbetreiber limitiert wurden. Trotz dieser Präferenz für stärker regulierte Märkte im linken Lager konnten die Republikaner tendenziell ihre Marktagenda schrittweise durchsetzen. Wenn die Wohlfahrtsmärkte einmal implementiert waren, leiteten die Republikaner weitere Reformschritte ein, mit denen die Marktmechanismen ausgeweitet wurden (Rente, Charter Schools). Außerdem wurde die Marktgründung häufig durch parteiübergreifende Kompromisse verabschiedet. Die Charter Schools fanden Zustimmung in beiden politischen Lagern, weil sie eine hybride Organisationsform zwischen Staat und Markt bilden. Erst in den Regulierungsdetails dieser Schulform wurden die unterschiedlichen Parteipräferenzen deutlich. Die Gründung des Rentenmarktes in den 1970er Jahren war auch von einem Kompromiss geprägt, allerdings erkannten die Demokraten nicht sogleich das Marktpotenzial der Steuererleichterungen. Die neuen Rentenmärkte setzten Marktkräfte frei, die von den Demokraten nicht einkalkuliert waren, als sie dem Reformpaket zustimmten. Abgesehen von den parteipolitischen Akteuren waren die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und die Versicherungswirtschaft dominante Akteure. Sie versuchten, Einfluss auf die Marktgründung zu nehmen und ihre präferierte Regulierung der Wohlfahrtsmärkte zu erreichen. Bemerkenswert war hier die flexible Strategie der Gewerkschaften. Sie präfe- 362 WOHLFAHRTSMÄRKTE rierten grundsätzlich öffentliche Sozialprogramme, waren aber für die moderate Einführung von Wohlfahrtsmärkten, wenn damit entweder liberalere Marktformen verhindert werden konnten (Charter Schools) oder immerhin für ihre Kernklientel verbesserte Sozialleistungen erreicht wurden (Betriebsrenten). Wie auch Parteien (vgl. Gingrich 2011) verändern die dominanten Marktakteure ihre politische Strategie gegenüber Wohlfahrtsmärkten, wenn sie ihre Kernforderung nicht erreichen können. In diesem Fall setzten sich die Gewerkschaften für Marktformen ein, die zumindest ihrer Kernforderung näher standen als liberalere Alternativen der Marktregulierung (z.B. individuelle Rentenversicherungen, Schulgutscheine). Schließlich ist noch die besondere Rolle der institutionellen Hürden hervorzuheben, die von den Befürwortern von Wohlfahrtsmärkten überwunden werden mussten. Vor allem im Bildungsbereich verhinderten drei politische Institutionen (Referenden, Verfassungsgerichte, Föderalismus) die weitreichende Implementierung von Bildungsmärkten. Die Gegner von Schulgutscheinen nutzen erfolgreich fakultative Referenden und Verfassungsklagen, um die Einführung von Schulgutscheinsystemen zu verhindern. Diese Optionen zur Verhinderung von Gesetzesinitiativen standen im Rentenbereich nicht zur Verfügung. Die Ergebnisse der Bildungsmärkte zeigen, dass politische Institutionen nicht nur die Einführung von öffentlichen Sozialprogrammen in den USA verhinderten (Weir u.a. 1988), sondern auch die Implementierung von Wohlfahrtsmärkten erschwerten (Klitgaard 2008). Obgleich politische Institutionen Marktreformen verhindern konnten, zeigten die Fallstudien der Renten- und Bildungsmärkte, dass die dominanten Akteure diese institutionellen Hürden überwinden konnten. Die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte wurde schließlich sowohl von den existierenden Sozialprogrammen als auch den Präferenzen der dominanten Akteure beeinflusst. 6 Wachstum, Varianz und Einbettung im Vergleich Wohlfahrtsmärkte sind, wie die empirischen Kapitel vier (Marktvolumen) und fünf (Marktregulierung) gezeigt haben, kein singuläres Phänomen, sondern sind in allen untersuchten Wohlfahrtsregimen zu finden. Marktförmige Sozialprogramme und soziale Dienstleistungen existierten bereits vor der Gründung der ersten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen, überdauerten zum Teil das »Goldene Zeitalter« der Wohlfahrtsstaaten in der Nachkriegszeit und sind in jüngster Zeit wieder wichtiger geworden. Im Rahmen dieser Studie wurden viele komplexe Vergleichsebenen untersucht, weshalb ich den Fokus in diesem Kapitel auf drei wesentliche Vergleichsebenen lenke: (1) den historischen Vergleich, (2) den Vergleich zwischen Renten- und Bildungsmärkten und (3) den Ländervergleich. In den folgenden Unterkapiteln wird jede Vergleichsebene einzeln behandelt und die Essenz der empirischen Ergebnisse diskutiert. Die Hauptfragen dieser Arbeit dienen als Leitfaden des Vergleichs. Dabei soll aufgezeigt werden, inwiefern die in der Einleitung formulierten Grundannahmen zutreffen und generalisierbar sind. Die erste Kernforschungsfrage nach dem Wachstum der Wohlfahrtsmärkte betrifft hauptsächlich den historischen Vergleich und die Überlegung (Grundannahme 1), dass Unterschiede im Marktvolumen trotz des gemeinsamen Trends erhalten bleiben. Letzteres schließt an die zweite Hauptforschungsfrage nach den institutionellen Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Wohlfahrtsmärkte an und bezieht sich vornehmlich auf den Länder- und Politikfeldvergleich. Außerdem hatte ich in der Einleitung postuliert (Grundannahme 3), dass die Regulierung neuer Wohlfahrtsmärkte benachbarten Vorgängerinstitutionen gleiche und eine institutionelle Einbettung stattfinde. Bei der gesamten Diskussion steht die Frage nach einer Generalisierung der Ergebnisse im Vordergrund und ob allgemeingültige Erklärungen für das Wachstum und die Unterschiede der Wohlfahrtsmärkte gefunden werden können. Im Anschluss an den Vergleich werden die in der Einleitung 364 WOHLFAHRTSMÄRKTE formulierten Grundannahmen im Lichte der vergleichenden Ergebnisse überprüft. Die Hauptergebnisse sind in Tabelle 27 zusammengefasst. Tabelle 27: Vergleich der Fallstudien Rente Zugang Leistungsstruktur Finanzierung Verwaltung Wahlfreiheit Form des Wandels Markttyp Erklärung Deutschland Schweden USA beruflicher Status teilweise Universalisierung Beitragsbezug universell finanzieller und beruflicher Status Einkommens- Beitragsbezug Beiträge (Steuern) Beitragsbezug Beiträge und Zuschüsse / Steuererleichterungen Selbstverwaltung privat/staatlich freiwillig, hoch conversion, layering regulierter Wohlfahrtsmarkt Anstoß von Sozialdemokraten; konservativer Konsens / liberale Innovationen, Versicherungswirtschaft / Gewerkschaften prägen Marktregulierung Beiträge, Steuererleichterungen staatlich privat obligatorisch, gering hoch freiwillig, hoch layering conversion obligatorischer Wohlfahrtsmarkt Anstoß von Konservativen; sozialdemokratischer Konsens in Kommission prägt Marktregulierung regulierter Wohlfahrtsmarkt starkes liberales Erbe, weil öffentliche Säule nicht ausgebaut wurde WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 365 Tabelle 27: Fortsetzung Deutschland Schweden USA Status universell Grundleistung Grundleistung Bedarfsprüfung (voucher), universell (Charter) Grundleistung Steuern, Gebühren staatlich mittel Steuern Steuern staatlich gering hoch staatlich, privat mittel hoch Form des Wandels Markttyp drift conversion, layering, drift Vouchermarkt Vouchermarkt Erklärung Anstoß von FDP und Kirchen; Marktregulierung von konfessionellen Schulen / Gerichtsentscheidungen Anstoß von Konservativen; sozialdemokratischer Konsens prägt Marktregulierung Vouchermarkt, Konsumenten-/ Ausschreibungsm. Anstoß von Republikanern / Kirchen, Gerichte / Referenden verhindern Voucher; Charter Schools konsensueller, weniger institutionelle Hürden Bildung Zugang Leistungsstruktur Finanzierung Verwaltung Wahlfreiheit Quelle: Eigene Darstellung 6.1 Historischer Vergleich Die zentralen Ergebnisse des historischen Vergleichs gliedern sich in drei Abschnitte. Zunächst wird das Wachstum der Wohlfahrtsmärkte im Zeitverlauf diskutiert, daraufhin werden die Zeitpunkte der Marktgründung verglichen. Abschließend wird die institutionelle Einbettung über den Untersuchungszeitraum zusammengefasst (vgl. Überblick in Tabelle 27). 366 WOHLFAHRTSMÄRKTE Marktexpansion Das Marktvolumen von Wohlfahrtsmärkten ist in den letzten zwei Dekaden angestiegen. Anhand mehrerer Datenquellen finden sich zuverlässige Belege, dass Marktmechanismen in der Renten- und Bildungspolitik stärker zum Tragen kommen als noch vor dem Jahr 1990. Diese Ergebnisse gehen auch über die Hauptuntersuchungsländer hinaus, denn in der gesamten OECD-Welt ist eine Expansion von Marktmechanismen festzustellen (vgl. Kapitel 4). Wohlgemerkt ist sowohl in Ländern mit bereits hohem Marktvolumen als auch in Ländern, in denen obligatorische oder quasiobligatorische Wohlfahrtsmärkte entstanden sind, ein stärkerer Anstieg von Marktmechanismen festzustellen. Ebenso betrifft das Wachstum der Wohlfahrtsmärkte vor allem die Zunahme von privaten Anbietern und die Ausweitung von Wahlfreiheit; die Finanzierung der Wohlfahrtsmärkte bleibt zum Teil in öffentlicher Verantwortung. Pioniere und Nachzügler Die Zeitpunkte der Marktgründung und -liberalisierung konzentrieren sich auf die Zeit nach 1990, wie auch Tabelle 2 veranschaulicht. Die USA stechen dabei als Wohlfahrtsmarktpionier hervor (vgl. auch Köppe 2008). Die Marktliberalisierung des US-amerikanischen Rentenmarktes erfolgte bereits in den 1970/80er Jahren und der Bildungssektor der USA wies immer ein hohes Marktvolumen auf. Öffentliche Sozialprogramme wurden in den USA vergleichsweise spät gegründet und blieben infolgedessen chronisch unterfinanziert, um die gestiegene Nachfrage nach umfangreicheren Leistungen zu bedienen. Private Rentenversicherungen entstanden als ergänzende Alterssicherung, da die öffentliche Altersvorsorge unzureichend für die gestiegenen Ansprüche der Mittelschicht war. Die Privatschulen sicherten ihren Bestand und erreichten weiterhin ein hohes Marktvolumen, weil die öffentliche Schulfinanzierung maßgeblich von den lokalen Steuereinnahmen abhing. Schulen in benachteiligten Stadtteilen waren chronisch unterfinanziert, sodass Eltern mit dem entsprechenden Einkommen ihre Kinder auf bessere Privatschulen schickten. In den 1990er Jahren setzte eine Welle von Marktneugründungen und -liberalisierungen in allen untersuchten Ländern ein. In Bezug auf die Gründung der Wohlfahrtsmärkte sind Deutschland und Schweden demnach Nachzügler. Gegenüber der Wohlfahrtsstaatsentwicklung ergibt sich so eine umgekehrte Reihenfolge der Entstehung von Wohlfahrtsmärkten. WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 367 Während Deutschland ein Pionier staatlicher Sozialprogramme war und auch in Schweden frühzeitig staatliche Sozialversicherungen entstanden, waren die USA ein Nachzügler diesbezüglich (vgl. Alber 1987; Flora/Alber 1981; Schmidt 2005: 182). Die Wohlfahrtsmarktentwicklung erfolgte in der umgekehrten Reihenfolge mit den USA als Wohlfahrtsmarktpionier (Köppe 2008). Die Auswertungen des Marktvolumens in Kapitel 4 haben diesen Trend bestätigt. Bemerkenswert waren die zum Teil hohen Wachstumsraten der Nachzüglerländer. Vor allem das Marktvolumen in Schweden übersteigt Ende der 2000er Jahre das Marktvolumen des Wohlfahrtsmarktpioniers USA in einigen Indikatoren.246 Diese hohen schwedischen Wachstumsraten gehen auf institutionelle Charakteristika der Wohlfahrtsmärkte zurück. Beispielsweise bewirkte das Obligatorium der Prämienrente den hohen Inklusionsgrad des schwedischen Rentenmarktes, der im Vergleich zur freiwilligen deutschen Riester-Rente eine viel höhere Wachstumsrate aufwies. Aber nicht jede Marktliberalisierung führte zu einem erhöhten Wachstum. Obwohl die Privatschulfinanzierung in Deutschland 1987 liberalisiert wurde, veränderten sich die Wachstumsraten gegenüber den Vorjahren kaum. Dieser Fall verdeutlicht, dass es von der Regulierung der Märkte abhängt, welches Wachstumspotenzial sie entfalten (vgl. Pierson 2003; Pierson 2004). Im Fall der deutschen Privatschulen wurden zwar die öffentlichen Zuschüsse der säkularen Privatschulen auf das Niveau der Zuschüsse für konfessionelle Privatschulen angehoben, die finanzielle Hürde der Schulgebühren blieb aber weiterhin bestehen und verhinderte ein starkes Wachstum der deutschen Privatschulen in den 1990er Jahren. Es existierten zwar schon vor der Marktgründung und -liberalisierung private Formen der Alterssicherung und Privatschulen in den untersuchten Ländern, diese waren gleichwohl marginalisiert und häufig nur für eine Minderheit der Bevölkerung relevant. Derartige ergänzende Wohlfahrtsmärkte existierten immer parallel zu öffentlichen Wohlfahrtsprogrammen. Diese Märkte wurden nicht explizit von der Politik gefördert und waren daher ein zusätzliches Angebot zum dominierenden öffentlichen Wohlfahrtssystem.247 Die Marktmechanismen und deren Expansion in den 1990er Jahren unterscheiden sich von den vorherigen Märkten in dem —————— 246 Unter anderem wurden in Schweden 2010 mehr Privatschüler unterrichtet und der Inklusionsgrad des Rentenmarktes ist höher. 247 Die Betriebsrenten der USA stellen hier eine Ausnahme dar. 368 WOHLFAHRTSMÄRKTE Sinne, dass die Wohlfahrtsmärkte flächendeckender und umfangreicher implementiert wurden. Vor allem die Marktneugründungen im Bereich der zusätzlichen privaten Rentenversicherungen richten sich nicht nur an eine kleine besserverdienende Bevölkerungsschicht, sondern sollen ergänzend zu öffentlichen Rentenversicherungen einen zentralen Teil der sozialen Sicherheit bilden. Vorbereitende Reformen und fortwährende Marktinterventionen Im Zeitvergleich besteht die Expansion der Wohlfahrtsmärkte zum Teil aus inkrementellen Reformen. Häufig gingen den in Tabelle 2 dargestellten Phasen der weitreichenden Marktgründungen und -liberalisierungen (Campbell 2004; North 1990) inkrementelle Reformen voraus oder es folgten weitere kleinere Reformen, die die neuen Märkte in die existierenden Institutionen einbetteten (vgl. Mahoney/Thelen 2010a; Streeck/Thelen 2005b). Selbst kleine Änderungen können also langfristig zu einer Vermarktlichung beitragen und in späteren Jahren eine weitreichendere Marktliberalisierung erleichtern. Inkrementelle Reformen werden somit zur Voraussetzung für weitergehende Marktgründungen und -liberalisierungen, weil sie das Feld für Wohlfahrtsmärkte bereiten. Zu diesen vorbereitenden Reformschritten zählen unter anderem Methoden des New Public Management, Autonomie von staatlichen Leistungserbringern und leistungsorientierte Budgetierung (Osborne/Gaebler 1997; Schedler/Proeller 2000). Die Wirkung inkrementeller Reformen zeigte sich besonders wirkungsvoll bei der Marktliberalisierung des schwedischen Schulwesens, als die Autonomie der öffentlichen Schulen und die nachfrageorientierte Finanzierung (Pro-Kopf-Finanzierung) eine Übertragung dieser Mechanismen auf die Privatschulen erleichterte. Eine ähnliche inkrementelle Entwicklung ist beim deutschen Privatschulmarkt festzustellen, weil mittlerweile die Hürden für eine weitergehende Vermarktlichung gering sind, sodass mit relativ geringem Aufwand – mit entsprechendem politischen Willen und parlamentarischen Mehrheiten – Marktmechanismen implementiert werden können (vgl. Kapitel 5.2.2). Eine weitere Wirkung von inkrementellen Reformen ist die »Ansteckung« benachbarter Institutionen mit Marktmechanismen. Die Bevölkerung gewöhnt sich mit der Zeit an marktförmige und private Sozialleistungen, sodass später tiefgreifende Marktgründungen und Vermarkt- WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 369 lichungen erleichtert werden, da innerhalb der partiellen Wohlfahrtsmärkte Ängste abgebaut wurden und sich ideologische Widerstände gegenüber Märkten reduziert haben. In den USA verfolgten die Republikaner diese Strategie im Rentenbereich, bis dato hatte allerdings die Marktliberalisierung in den 1980er Jahren noch keine Rückwirkung auf die öffentliche Rentenversicherung verursacht. Vielmehr kann eine derartige »Ansteckung« benachbarter Institutionen mit Marktmechanismen nur in Schweden festgestellt werden. Die Marktliberalisierung durch die Einführung von Schulgutscheinen für Privatschulen führte zu einer Ausdehnung dieses Finanzierungsmechanismus auf das gesamte schwedische Schulwesen (vgl. Kapitel 5.3.2). Ebenso wurden die meisten Betriebsrenten nach der Gründung der Prämienrente nach dem Modell dieses Rentenmarktes reformiert (Sjögren Lindquist/ Wadensjö 2006; 2007). Das schwedische Beispiel zeigt, dass nach einer umfassenden Marktgründung weitere inkrementelle Reformen folgen können und die Marktmechanismen auf benachbarte Institutionen übertragen werden. Diese Übertragungsmechanismen hängen jedoch von den politischen und institutionellen Rahmenbedingungen während der Marktgründungsphase ab. Institutionelle Einbettung und Innovationen Jenseits des beobachteten Wandels ist im Zeitverlauf eine institutionelle Einbettung der Wohlfahrtsmärkte festzustellen. Die Wohlfahrtsmärkte wurden in den Reformphasen in das bestehende institutionelle Arrangement eingebettet und die neuen Märkte enthalten Elemente benachbarter Institutionen (Fligstein 1996; 2001). Die Unterschiede zwischen den Ländern und Politikfeldern bleiben weitgehend bestehen und eine konvergente Entwicklung zu einem Wohlfahrtsmarkttyp findet nicht statt (vgl. Holzinger u.a. 2007b; Holzinger/Knill 2005). In den Fallstudien wurden im Großen und Ganzen institutionelle Pfadabhängigkeiten bei der Wohlfahrtsmarktgründung und -liberalisierung festgestellt. Die bestehenden staatlichen und marktförmigen Institutionen dienten als Vorbilder bei der Marktgründung, wodurch die Unterschiede zwischen den Ländern und Politikfeldern bewahrt wurden. Vor allem die dominanten Akteure hatten ein Interesse auf vertraute Regeln zurückzugreifen, damit sie ihre bisherige Macht im benachbarten Politikfeld oder 370 WOHLFAHRTSMÄRKTE Markt auf die neuen Wohlfahrtsmärkte übertragen konnten (zu den Unterschieden im Detail siehe unten). Allerdings konnten auch Pfadabweichungen und Innovationen festgestellt werden. Im Rahmen der deutschen Riester-Rente und der USamerikanischen Betriebsrenten wurden Marktmechanismen eingeführt, die sich stärker an existierenden – eher marginalen – individuellen Rentenmärkten orientierten als an den dominierenden staatlichen oder betrieblichen Rentenversicherungen. Vor allem bei der deutschen Riester-Rente und den US-amerikanischen Rentenmärkten wurden somit liberale Wohlfahrtsregimeeigenschaften gestärkt, die im Widerspruch zur dominanten typisch konservativen öffentlichen Rentenversicherung stehen. Allerdings enthält die Riester-Rente einige Innovationen, aufgrund derer sie stärker dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime zugerechnet werden kann (vgl. Universalisierung). Bei den schwedischen Privatschulen konnte aber auch gezeigt werden, dass derartige »Fremdkörper« im Zeitverlauf verschwinden und langfristig die deutsche Riester-Rente wieder mehr konservative Regulierungseigenschaften aufweisen könnte. Eine derartige Angleichung der Marktregulierung bedarf aber machtvoller politischer Intervention, die bisher in Deutschland nicht festgestellt werden konnte. Folglich können Innovationen wie die deutsche Riester-Rente das konservative Wohlfahrtsregime langfristig liberalisieren. Bislang kann aber auch keine umfassende Liberalisierung konstatiert werden, weil die staatliche Deutsche Rentenversicherung weiterhin die wichtigste Altersvorsorge für den Großteil der Bevölkerung darstellt. Im US-amerikanischen Rentenmarkt wurden ebenfalls liberale Regimeeigenschaften gestärkt im Gegensatz zur öffentlichen Rentenversicherung, die zum Teil eher konservative Eigenschaften aufweist als originär liberale Regimeeigenschaften (Bonoli 1997). Aber auch die neuen Rentenmärkte im Rahmen von IRAs und 401(k)-Betriebsrenten fußten größtenteils auf marginalen Vorgängerinstitutionen (Keogh-Pläne, CODAs), die als Vorbilder für die neuen Rentenmärkte dienten und zusehends die alten dominanten Institutionen verdrängten. Gerade diese Fallstudie konnte zeigen, dass Wohlfahrtsmärkte nicht unbedingt bestehende öffentliche Sozialsysteme bedrohen und verdrängen, sondern dass auch eine erhebliche Konkurrenz zwischen marktförmigen Sozialprogrammen besteht. In diesem Fall wurden die klassischen Betriebsrenten mit relativ wenigen Marktmechanismen von dynamischeren Rentenmärkten mit erheblich mehr Wahlfreiheiten verdrängt. »Echte« Innovationen ohne institutionelle Vorbilder waren eher WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 371 selten und lediglich bei der Regulierung der Wahlfreiheit zu beobachten, wo schlicht institutionelle Vorbilder fehlten. Erklärungen zur Entstehung Dieser letzte Abschnitt des historischen Vergleichs geht der Frage nach, ob Erklärungen für die Marktexpansion sowie die Kontinuität der Regulierungseigenschaften aufgezeigt werden können. Bei der Analyse der Marktexpansion wurde kein dominanter Faktor identifiziert, der notwendigerweise zu einer Marktgründung führt. Mithilfe des empirischen Materials wurden lediglich Rahmenbedingungen identifiziert, die eine Marktgründung begünstigen: 1. Sozio-ökonomische Rahmenbedingungen. Bedingt durch die qualitativen Methoden, die geringe Fallzahl und den Fokus auf die Akteure und Institutionen sind Schlussfolgerungen über den Einfluss sozio-ökonomischer Faktoren nur begrenzt möglich, dennoch sind einige Beobachtungen erwähnenswert. Eine angespannte öffentliche Haushaltslage scheint eine Rentenmarktgründung zu begünstigen. Insbesondere in Schweden und Deutschland erhöhten akute Steuerausfälle (u.a. aufgrund von Wirtschaftskrisen und hoher Arbeitslosigkeit) als auch prognostizierte Finanzierungsengpässe (u.a. aufgrund einer alternden Bevölkerung) den Reformdruck (vgl. u.a. Fasshauer 2005; Kruse 2005). In diesem Kontext von erhöhter Haushaltsdisziplin wurde die Einführung von Rentenmärkten als eine Option der Kostenreduzierung betrachtet. In Schweden erfolgte die eigentliche parlamentarische Verabschiedung der Rentenmarktgründung allerdings in einer Phase ökonomischer Prosperität, sodass ungünstige sozioökonomische Rahmenbedingungen keine notwendige Bedingung für die Gründung von Rentenmärkten sind. Auch die US-amerikanischen Rentenmärkte sind nicht aufgrund von knappen öffentlichen Kassen und resultierenden Kürzungen entstanden, sondern weil eine Ausweitung der öffentlichen Rentenversicherung ausblieb. Bei der Einführung von Bildungsmärkten zeigten ökonomische oder demografische Rahmenbedingungen überhaupt keinen erkennbaren Einfluss. Insgesamt konnten die Fallstudien zumindest zeigen, dass politische Akteure ungünstige wirtschaftliche Rahmendaten nutzen, um die Zustimmung für Marktreformen glaubhaft zu kommunizieren. Als Drohkulisse können negative sozioökonomische Szenarien in Reformverhandlungen und -diskursen von 372 WOHLFAHRTSMÄRKTE Akteuren, die Wohlfahrtsmärkte präferieren, überzeugend eingesetzt werden. Das Zusammenspiel verschiedener sozio-ökonomischer Rahmenbedingungen und ihre Interdependenzen mit Akteurskonstellationen, konnte mit den verwendeten Daten und Methoden nicht abschließend eruiert werden. 2. Politische Institutionen. Die politischen Institutionen bilden zwar den Rahmen, in dem die Entscheidungen für Wohlfahrtsmärkte getroffen werden, aber auch sie können die Expansion und Einführungszeitpunkte nicht erklären. Beispielsweise wurden Wohlfahrtsmärkte in parteiübergreifenden Kompromissen eingeführt (z.B. in konsensuellen politischen Systemen). Wohlfahrtsmärkte wurden zum Teil aber auch mit einfachen parlamentarischen Mehrheiten implementiert. Ein weiteres Beispiel für den entgegengesetzten Einfluss politischer Institutionen sind Verfassungsgerichte. In Deutschland beförderte das Bundesverfassungsgericht die Bildungsmarktliberalisierung, wohingegen US-amerikanische Supreme Courts in verschiedenen Urteilen die Marktexpansion eher verhinderten. Förderale politische Zuständigkeiten verhindern eher eine national einheitliche Regelung der Wohlfahrtsmärkte als die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte an sich. Außerdem nutzen Reformgegner fakultative Referenden erfolgreich zur Verhinderung von Wohlfahrtsmärkten, dies bedurfte jedoch zusätzlicher politischer Mobilisierung (vgl. Kapitel 5.2.2 und 5.4.2). 3. Parteidifferenzen. Eine Gemeinsamkeit, die alle Gründungsphasen betraf, ist die ideologische Auseinandersetzung um die Märkte. Parteien haben sehr unterschiedliche Präferenzen in Bezug auf Märkte (Gingrich 2011; Klitgaard 2007b). Allerdings hatte ein einfaches Rechts-Links-Schema wenig Erklärungskraft, weil einerseits linke Parteien Wohlfahrtsmärkte eingeführt haben und andererseits christlich-konservative Parteien zum Teil Marktmechanismen einschränkten. Das linke Lager ist zum Ende des 20. Jahrhunderts offener gegenüber Wohlfahrtsmärkten geworden, obwohl es grundsätzlich öffentliche Sozialprogramme präferiert. Anscheinend hatte sich die neoliberale Marktrhetorik so weit durchgesetzt, dass selbst sozialdemokratische und linke Parteien Märkte als eine effiziente Form der Güterallokation akzeptieren (vgl. Béland 2007a; 2007b). Christlich-konservative Parteien sind, wie die Parteiendifferenztheorie nahelegt (Hibbs 1977; Schmidt 1996), eher skeptisch gegenüber Märkten, präferieren aber Arrangements mit Dritte Sektor WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 373 Anbietern wie konfessionellen Privatschulen, wenn Marktmechanismen nur begrenzt zum Tragen kommen. Insgesamt deutet der empirische Befund darauf hin, dass nicht nur liberale und säkular-konservative Parteien an Marktgründungen beteiligt waren, sondern auch Grüne, Sozialdemokraten und Christdemokraten. Über die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte haben die Parteien sehr unterschiedliche Vorstellungen. Diese unterschiedlichen Präferenzen bewahrten die Unterschiede zwischen den Politikfeldern und Ländern, die in den folgenden Abschnitten diskutiert werden. Zusammen mit den institutionellen Pfadabhängigkeiten bewirkte die parteipolitische Machtverteilung eine jeweils spezifische Einbettung der Wohlfahrtsmärkte in das bestehende institutionelle Arrangement. Die mehrdeutigen Befunde zur Erklärung der Einführung lassen kaum Generalisierungen zu. Vielmehr sind weitere Forschungsarbeiten nötig, um die Hauptantriebskräfte für die Marktgründungen zu identifizieren. 6.2 Vergleich der Politikfelder Renten- und Bildungsmärkte repräsentieren, wie in Kapitel drei herausgestellt, sehr unterschiedliche Politikfelder, wodurch insgesamt eher Differenzen als Gemeinsamkeiten deutlich werden (vgl. Tabelle 27). Den untersuchten Politikfeldern (Renten und Bildung) ist vor allem die zeitgleiche Ausweitung der Wohlfahrtsmärkte gemein. Obwohl es sich um unterschiedliche Politikfelder handelte, konzentrieren sich die Marktgründungen und -liberalisierungen auf die 1990er Jahre. Allerdings unterscheiden sich die Triebfedern für die Reformen: Bei den Gründungen der Bildungsmärkte stand vor allem die Ausweitung von Wahloptionen im Vordergrund, wohingegen die Rentenmärkte häufig eher im Kontext von Sparmaßnahmen entstanden. Die Bedeutendsten Differenzen der beiden Politikfelder sind: die Finanzierungsverantwortung, parteipolitische Präferenzen und die dominanten Akteure. 1. Finanzierungsverantwortung. Zwischen beiden Politikfeldern fällt vor allem die ungleiche öffentliche Finanzierungsverantwortung der Renten- und Bildungsmärkte auf. Die Rentenmärkte werden überwiegend durch private Beiträge finanziert, wohingegen Bildungsmärkte überwiegend mit öffent- 374 WOHLFAHRTSMÄRKTE lichen Mitteln finanziert werden. Die öffentliche Finanzierungsverantwortung blieb, trotz des Wachstums von privaten Schulanbietern und einer Ausweitung der Wahloptionen, im Bildungsbereich bestehen. Obwohl die Rentenmärkte eine geringere öffentliche Finanzierungsquote aufweisen als Bildungsmärkte, bestehen parallel zu den Rentenmärkten weiterhin öffentliche Rentenversicherungen. Diese sind aber auch überwiegend beitragsfinanziert wie die privaten Rentenversicherungen (vgl. Abbildung 4). Während der Druck des demografischen Wandels und der knappen öffentlichen Haushalte die Einführung von Rentenmärkten begünstigt, entstanden Bildungsmärkte sogar im Rahmen von steigenden öffentlichen Bildungsausgaben. Wohlfahrtsmärkte werden also nicht nur im Kontext von Kosteneinsparungen und einem Rückzug des Staates gegründet, sondern auch steigende öffentliche Ausgaben können Teil der Wohlfahrtsmarktgründung sein. Die unterschiedliche Finanzierungsverantwortung der Renten- und Bildungsmärkte schlägt sich auch in verschiedenen Wohlfahrtsmarkttypen nieder (vgl. Abbildung 1 und Tabelle 27): Die untersuchten Rentenmärkte lassen sich am ehesten regulierten und obligatorischen Wohlfahrtsmärkten zurechnen, wohingegen Voucher-, Konsumenten- und Ausschreibungsmärkte im Bildungsbereich zu finden sind, mit einer Dominanz von Vouchermärkten. Diese Unterschiede können nicht einfach als Politikerbe der Politikfelder abgetan werden. Offensichtlich besteht ein hoher länderübergreifender politischer Konsens, dass die allgemeine Schulbildung aus Steuermitteln finanziert werden sollte und selbstfinanzierte Privatschulen nur eine Ergänzung zu staatlichen Schulen darstellen. Wenn Bildungsmärkte und Privatschulen gefördert werden, ermöglichen nur Voucheroder Ausschreibungsmärkte, dass Schulgebühren wegfallen können. Voucher- und Ausschreibungsmärkte ermöglichen gegenüber regulativen Wohlfahrtsmärkten eine viel genauere Steuerung und sozialpolitische Intervention aufgrund der verbliebenen staatlichen Finanzierung. Die unterschiedlichen Markttypen geben somit auch einen Hinweis auf die politische Regulierung der Wohlfahrtsmärkte und welche sozialpolitische Wertschätzung diesen Märkten zugeschrieben wird. 2. Parteipräferenzen. Hervorzuheben sind auch die Unterschiede der parteipolitischen Präferenzen in Bezug auf die Renten- und Bildungspolitik, die WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 375 vor allem in Mehrparteiensystemen zum Tragen kommen (vgl. Ismayr 2003a; Lipset/Rokkan 1967), wie sie beispielsweise nur unzureichend von Gingrich (2011) berücksichtigt wurden. In Mehrparteiensystemen sind die ideologischen Präferenzen innerhalb des rechten und linken Lagers gegenüber Wohlfahrtsmärkten gespalten und es gibt kein eindeutiges RechtsLinks-Schema. Christlich-konservative Parteien präferieren nicht per se eine Privatisierung der Schulbildung wie säkular-konservative oder liberale Parteien. Das Hauptanliegen christlich-konservativer Parteien ist, vor allem Konfessionsschulen zu fördern und diese möglichst unter öffentlicher Regie zu betreiben (vgl. u.a. van Kersbergen/Manow 2009). Wenn christlich-konservative Parteien Privatschulen fördern, dann präferieren sie gemeinnützige Schulen. Sie lehnen also einen Bildungsmarkt ab, der von Wettbewerb unter profitorientierten Schulanbietern geprägt ist. Im Vergleich dazu haben christlich-konservative Parteien in der Rentenpolitik auch eine Präferenz für eine gemeinnützige Rentenverwaltung im Rahmen der Sozialversicherungen. Säkular-konservative Parteien und liberale Parteien sind hingegen meist uneingeschränkt für eine Ausweitung der Wohlfahrtsmärkte. Auch das linke Lager ist Wohlfahrtsmärkten gegenüber ambivalent. Die sozialistische Linke248 ist tendenziell gegen jede Art von Wohlfahrtsmärkten wohingegen Sozialdemokraten und Grüne eher zu Kompromissen bereit sind. Bemerkenswert ist hier die Position der schwedischen und deutschen Grünen. Sie sind zwar skeptisch gegenüber Märkten, präferieren aber alternative Bildungskonzepte. Gemeinnützige Privatschulen sind deshalb eine Möglichkeit, ihr Ziel nach alternativen Schulprofilen zu erreichen. In der Rentenpolitik scheinen Grüne Märkten weder besonders abgeneigt noch vehemente Fürsprecher. In Bezug auf die Politikfelder sind die bildungspolitischen Positionen der Parteien pluraler als in der Rentenpolitik. Christdemokratische und grüne Parteien präferieren zwar ein plurales Bildungssystem mit Privatschulen, sie sind aber skeptisch gegenüber Wettbewerb und profitorientierten Schulanbietern im Bildungssystem. Diese parteipolitische Spaltung ist in Bezug auf Rentenmärkte geringer ausgeprägt. 3. Akteure. Neben den unterschiedlichen Parteipräferenzen sind in den Politikfeldern auch andere Interessengruppen maßgeblich beteiligt. Ge- —————— 248 Die Linke in Deutschland, Vänsterpartiet in Schweden. 376 WOHLFAHRTSMÄRKTE werkschaften waren in beiden Politikfeldern wichtige Akteure, mit leicht stärkerem Fokus auf die Rentenpolitik. Außerdem wurde deutlich, dass Gewerkschaften auch Betriebsrenten als Alternative zu öffentlichen Rentenversicherungen unterstützen, um weitreichende Marktmechanismen im Rahmen von individuellen Rentenversicherungen zu verhindern. Im Rentenmarkt war auch die Finanzbranche stark involviert, bestehend aus Versicherungen, Banken und Investmentfonds. Im Bildungsmarkt waren wiederum die christlichen Kirchen aktiver, allerdings nicht in allen Fallstudien mit gleicher Intensität. Die deutschen und US-amerikanischen Verfassungsgerichte waren bei der Regulierung der Privatschulen sehr aktiv, indessen hatten sie im Rentenmarkt keinen Einfluss. Erstaunlicherweise hatten die Privatschulverbände in den Fallstudien nur einen geringen Einfluss auf die Marktliberalisierungen und die Regulierung der Bildungsmärkte. Häufiger hatten die Privatschulen in Kirchen oder konservativen Bürgerbewegungen einflussreiche Fürsprecher für ihre Anliegen, anstatt selbst Lobbyarbeit zu leisten. Die Fallstudien konnten aber nicht darlegen, warum im Rentenmarkt die Anbieter so viel aktiver auf die Marktregulierung Einfluss zu nehmen versuchten als die Anbieter im Bildungsmarkt. Eine Vermutung wäre jedoch, dass Lehrer und Schulrektoren an Privatschulen ein anderes Berufsethos vertreten als Beschäftigte in der Finanzbranche. Pädagogische Handlungsmaximen mögen dazu führen, dass weniger offen Lobbyarbeit getätigt wird. Eine allzu offene Lobbytätigkeit könnte auch dem öffentlich erwarteten pädagogischen Ethos widersprechen und wird deshalb eher vorsichtig betrieben, um dem öffentlichen Idealbild zu entsprechen. Diese Vermutungen müssten jedoch in einer tiefergehenden Untersuchung zur Lobbytätigkeit und politischen Einflussnahme von Privatschulen und deren Verbänden genauer untersucht werden. 6.3 Ländervergleich Deutliche Unterschiede konnten auch zwischen den untersuchten Ländern nachgewiesen werden, Gemeinsamkeiten wurden hingegen kaum identifiziert. Allen untersuchten Wohlfahrtsmärkten sind – zum Teil erhebliche – öffentliche Zuschüsse gemein, die in verschiedenen Formen vorkommen. WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 377 Beiträge in private Rentenversicherungen sind überwiegend steuerfrei und Privatschulen erhalten direkte oder indirekte Zuschüsse. Trotz einer beobachteten öffentlichen Finanzierungsverantwortung für Wohlfahrtsmärkte in allen Ländern variiert das Volumen der öffentlichen Zuschüsse erheblich. Die Marktvolumina und Regulierungsunterschiede spiegeln unterschiedliche sozialpolitische Traditionen wider und bezeugen eine institutionelle Einbettung, da bestehende Institutionen als Vorbilder für die Marktregulierung dienen und somit vorherige institutionelle Unterschiede fortgeführt werden. Varianz des Marktvolumens Wie erwartet für ein liberales Wohlfahrtsregime konnte in den USA ein hohes Wohlfahrtsmarktvolumen nachgewiesen werden. Basierend auf den drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus (Esping-Andersen 1987; 1990) wäre jedoch davon auszugehen, dass Deutschland (als konservatives Wohlfahrtsregime) ein höheres Marktvolumen als Schweden (als sozialdemokratisches Wohlfahrtsregime) aufweist. Das Gegenteil konnte in der empirischen Analyse aufgezeigt werden: Schweden verzeichnete die höchsten Wachstumsraten der untersuchten Wohlfahrtsmärkte und zum Teil auch das höchste Marktvolumen. Entgegen der theoretischen Erwartung haben sozialdemokratische Wohlfahrtsregime wie Schweden also substanzielle Marktmechanismen implementiert, was sich in einem entsprechend hohen Marktvolumen manifestiert. Die zunehmende Relevanz der Wohlfahrtsmärkte in Schweden geht auf ein zentrales Regulierungsdetail zurück. Während die Teilnahme an den Renten- und Bildungsmärkten in Deutschland freiwillig ist, erreichen die schwedischen Wohlfahrtsmärkte eine hohe Inklusion der Bevölkerung entweder durch Zwang (obligatorische private Rente) oder durch Abschaffung von Zugangshürden (keine Schulgebühren für Privatschulen). Derartige Regulierungsunterschiede der Wohlfahrtsmärkte führen vornehmlich zur Varianz im Marktvolumen. Regulierungsunterschiede Wie schon im historischen Vergleich erläutert offenbaren die Regulierungsdimensionen, dass auf die neuen Wohlfahrtsmärkte Eigenschaften aus den benachbarten Institutionen, das heißt existierende öffentliche Sozialpro- 378 WOHLFAHRTSMÄRKTE gramme und verwandte Gütermärkte, übertragen wurden (Fligstein 1996; 2001). Die existierenden Institutionen dienten dabei als Vorbilder für die neuen Marktinstitutionen, sodass die Wohlfahrtsmärkte in die bestehenden Wohlfahrtsregime eingebettet wurden. Aufgrund dieser Einbettung zeigen die Wohlfahrtsmärkte eine Kontinuität institutioneller Eigenschaften, trotz des beobachteten Wandels zu marktförmigen Strukturen. Selbst Innovationen, wie gestiegene Wahlfreiheiten, werden in die bestehenden Wahloptionen eingebettet und aufeinander abgestimmt. So wird auf den Wohlfahrtsmärkten die nationale und politikfeldspezifische Sozialpolitik fortgesetzt (vgl. Tabelle 27). Die Hauptgründe für diese institutionelle Einbettung sind selbstverstärkende positive Rückkopplungseffekte der existierenden Institutionen. Die dominanten Akteure, unter anderem Parteien, Unternehmen, Gewerkschaften und Interessenverbände, wollen ihre Vormachtstellung von den bestehenden Institutionen auf die neuen Märkte überführen. Somit verstärken die involvierten Akteure die positiven Feedback-Effekte der bestehenden Institutionen und die Unterschiede zwischen den Ländern bleiben bestehen. Trotz neuer Wohlfahrtsmärkte bleiben die nationalen Wohlfahrtsregime bestehen, wenn auch eine moderate Modernisierung und Adaption an neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen durch die Einführung von Marktmechanismen stattfindet. Vor allem nationale Interessenkoalitionen tragen zu der Bewahrung typischer Wohlfahrtsregimemerkmale bei. In Schweden bewirkte der sozialdemokratische Konsens die Einführung universeller Wohlfahrtsmärkte nach dem Vorbild des bestehenden sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes. In Deutschland setzten hingegen die dominanten Akteure (u.a. Kirchen, CDU) durch, dass die bestehenden Statusunterschiede auf die Renten- und Bildungsmärkte übertragen wurden. Auch in den USA traten die säkular-konservativen und liberalen Kräfte für eine Reformagenda ein, die Elemente des liberalen US-amerikanischen Wohlfahrtsregimes auf die neuen Wohlfahrtsmärkte übertrugen.249 Gleichwohl kann aufgrund der grundsätzlichen institutionellen Kontinuität nicht geschlossen werden, dass die neuen Wohlfahrtsmärkte dieselben sozialen Wirkungen haben wie die alten Institutionen. Die neuen —————— 249 Nicht in allen Fällen entsprach die Regulierung der Wohlfahrtsmärkte den idealtypischen sozialdemokratischen, konservativen oder liberalen Wohlfahrtsregimen (nach EspingAndersen 1987; 1990), in allen Ländern konnte aber eine Übertragung von zentralen institutionellen Merkmalen auf die Wohlfahrtsmärkte festgestellt werden. WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 379 Marktmechanismen verändern das Nutzerverhalten und führen zu neuen sozialen Ungleichheiten (vgl. Kapitel 4: Wahlfreiheit). Beispielsweise bewirken freiwillige Versicherungen eine Unterversorgung der Nichtversicherten. Die gesamtgesellschaftliche Wirkung hängt aber auch davon ab, ob die öffentlichen Sozialprogramme gekürzt wurden. Insgesamt wurden also die bestehenden Unterschiede fortgeführt. Maßgeblich für die Übertragung der Regulierungseigenschaften auf die Wohlfahrtsmärkte waren die institutionellen Rückkopplungseffekte und die dominanten Akteursstrukturen. Folglich zeigt sich keine institutionelle Konvergenz der Wohlfahrtsmärkte und die Unterschiede der Wohlfahrtsregime bleiben auch in marktförmigen Sozialprogrammen erhalten. Die Wohlfahrtsmärkte sind somit eine Fortsetzung der nationalen Sozialpolitik im neuen Gewand. 6.4 Diskussion der Grundannahmen und Fazit Der Vergleich zwischen Gründungsphasen, Politikfeldern und Ländern zeigte über die Fallstudien hinaus Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf, die einige Generalisierungen ermöglichen. Anhand der in der Einleitung postulierten Grundannahmen werden diese Generalisierungen verdeutlicht: Erstens zeigte sich im historischen Vergleich, dass eine Marktexpansion nicht nur in den untersuchten Fallstudien, sondern insgesamt auch in der OECD-Welt stattgefunden hat. Die Analyse der Gründungsphasen legt auch nahe, dass die Hauptexpansionsphase der Wohlfahrtsmärkte in den 1990er Jahren einsetzte. Genau dieser Zusammenhang wurde in Grundannahme 1 formuliert, sodass die Marktexpansion über die Fallstudien hinaus als genereller Trend in der OECD-Welt nachzuweisen ist. Zweitens wurde in Grundannahme 2 postuliert, dass Unterschiede im Marktvolumen trotz des simultanen Wachstums bestehen bleiben. Auch diese Vermutung wurde bestätigt, denn sowohl im Vergleich der Politikfelder als auch zwischen den untersuchten Ländern wurden beträchtliche Niveauunterschiede des Marktvolumens festgestellt. Es fand also ein synchroner Entwicklungstrend zu Wohlfahrtsmärkten und marktförmigen Sozialprogrammen seit den 1990er Jahren statt, ohne aber in einer Angleichung der Marktvolumina zu münden. 380 WOHLFAHRTSMÄRKTE Drittens hat sich auch Grundannahme 3 im Wesentlichen bestätigt: Wohlfahrtsmärkte werden in das jeweilige Wohlfahrtsregime eingebettet. Die bestehenden benachbarten Institutionen dienen jeweils als Vorbilder bei der Ausformulierung der Marktregulierung. Vor allem die dominanten Akteure verstärken diesen Einbettungsprozess, weil sie ihnen vorteilhafte existierende Regelungen auf die neuen Wohlfahrtsmärkte übertragen wollen (Fligstein 1996; 2001). Allerdings wurden auch regulative Innovationen beobachtet, diese sind jedoch inkrementeller Natur und erfolgten überwiegend als eine Adaption an die marktförmigen Strukturen (vgl. u.a. GreenPedersen/Lindbom 2006; Hannan/Freeman 1977). Diese Innovationen wurden insbesondere von neuen und bisher marginalisierten Akteuren in der Marktgründungsphase angeregt. Konvergente Marktexpansion? Wenn nun die Evidenzen aus den verschiedenen Vergleichsebenen zusammen betrachtet werden, stellt sich die Frage, ob die Unterschiede zwischen den Ländern im Zeitverlauf insgesamt abgenommen oder zugenommen haben. Anders ausgedrückt: Sind konvergente Entwicklungen zu Wohlfahrtsmärkten festzustellen? Vier Arten von Konvergenzen sind in diesem Fragenkomplex zu berücksichtigen (Heichel u.a. 2005; Holzinger u.a. 2007b): Erstens Sigma-Konvergenz als Reduzierung der Varianz zwischen Ländern über die Zeit. Zweitens beschreibt Beta-Konvergenz das Aufholen von Nachzüglerländern, was jedoch nicht zwingend zu einer Reduzierung der Varianz führen muss. Drittens bezieht sich GammaKonvergenz auf eine Veränderung der Rangfolge von Ländern in einem bestimmten Indikator, was implizit auch das Aufholen von Nachzüglerländern im Zeitverlauf beinhaltet (Holzinger u.a. 2007b: 20). Schließlich bedeutet, viertens, Delta-Konvergenz die simultane Annäherung an einen Idealtyp, ohne aber die Länderunterschiede zu reduzieren. Die empirischen Vergleiche kommen hier zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen im Zeitverlauf, je nachdem ob das Marktvolumen oder die Marktregulierung analysiert werden. Wie schon in Grundannahme 1 erwähnt ist eine allgemeine Expansion des Marktvolumens sowohl in der OECD-Welt als auch in den untersuchten Fallstudien festzustellen. Gleichzeitig blieben aber auch erhebliche Unterschiede im Marktvolumen zwischen den Ländern bestehen (Grundannahme 2), was für eine Delta-Konvergenz spräche – eine allgemeine Ent- WACHSTUM, VARIANZ UND EINBETTUNG IM VERGLEICH 381 wicklung zu Wohlfahrtsmärkten. Beispielsweise sind die Beiträge und Rentenrücklagen in private Rentenfonds in fast allen Ländern gestiegen. Das Wachstum war aber besonders stark in den Ländern, die schon hohe Rentenrücklagen gebildet hatten, was insgesamt die Varianz erhöhte. Sigmaund Beta-Konvergenz konnten eher bei den Privatschulen beobachtet werden. Deutschland und Schweden holten im Vergleich zu den USA auf, wodurch sich auch insgesamt die Varianz verringerte. Letztlich konnten im Drei-Länder-Vergleich auch Hinweise für Gamma-Konvergenz gefunden werden: Einige schwedische Indikatoren (Privatschüler, Versicherte der Prämienrente) überflügelten die US-amerikanischen Werte (GammaKonvergenz), sodass ebenfalls erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern bestehen blieben (keine Sigma-Konvergenz). Je nach Politikfeld sind also unterschiedliche Konvergenzen des Marktvolumens festzustellen, wobei Aufholeffekte und gleichgerichtete Entwicklungstrends offenbar dominieren (Beta- und Delta-Konvergenz). Tiefergehende Untersuchungen mit mehr Ländern sind in diesem Bereich zwingend nötig, um die verschiedenen Annäherungen und Differenzen aufzeigen zu können. Bei der Marktregulierung kann ebenfalls ein gleichgerichteter Reformtrend zu mehr Marktmechanismen, vor allem zu mehr Wahloptionen, seit 1990 festgestellt werden. Eine Ausnahme stellt der deutsche Privatschulmarkt dar: Seit Ende der 80er Jahre wurde der Bildungsmarkt nicht reformiert und der gestiegenen Nachfrage nach Privatschulplätzen angepasst. Insgesamt wurden aber in allen untersuchten Ländern und Politikfeldern weitreichende Marktreformen durchgeführt. Wie in Grundannahme 3 ausgeführt, wurden die neuen Wohlfahrtsmärkte überwiegend in das existierende Wohlfahrtsregime eingebettet, wodurch substantielle qualitative Regulierungsunterschiede bestehen blieben. Bei den deutschen und USamerikanischen Rentenformen wurden zwar liberale Regulierungseigenschaften gestärkt, dennoch kann kein einheitlicher Trend zum liberalen Marktmodell ausgemacht werden. Insgesamt spricht das für eine DeltaKonvergenz. Im Rahmen des qualitativen Untersuchungsdesigns sind derartige Trendbeschreibungen aber nur von begrenzter Aussagekraft. Im Falle der Riester-Rente wurde beispielsweise die Selbstverwaltung geschwächt ohne sie gänzlich abzuschaffen. Wann kann man also von einem gänzlich liberalen Wohlfahrtsmarkt sprechen? In der Fallstudie habe ich aufgezeigt, dass bisher noch viele konservative Regimeeigenschaften Bestand haben, weitere Forschungsarbeiten müssten aber genauer herausarbeiten, wann die 382 WOHLFAHRTSMÄRKTE Schwelle zu einem anderen Wohlfahrtsregime überschritten ist (vgl. threshold effects, Pierson 2003). Denkbare Indikatoren wären zum Beispiel Änderungen in mindestens drei Regulierungsdimensionen. Zum Teil können einige Regulierungsdimensionen auch quantifiziert werden beziehungsweise in kategorialen Variablen codiert werden. Mit einer derartigen Datengrundlage und mehreren Fällen im Zeitverlauf könnten bisher nur qualitativ erhobene Regulierungsunterschiede stringenter auf konvergente Entwicklungen hin untersucht werden. In der Zusammenschau der Evidenzen wurden die Grunderwartungen bestätigt, allerdings bedürfen die Erklärungen für die Marktexpansion und die institutionelle Einbettung weitergehender Studien, um die Ergebnisse in weiteren vergleichenden Länderstudien zu bestätigen. Die Analyse hat gezeigt, wie institutionelle Merkmale und dominante Akteure die Wohlfahrtsmarktgründung und -liberalisierung in Deutschland, Schweden und den USA maßgeblich beeinflusst haben (vgl. Mahoney/Thelen 2010b). Dennoch können auch andere Einflussfaktoren wie sozio-ökonomische Rahmenbedingungen oder politische Institutionen die Reformrichtung sowie die regulativen Entwicklungspfade beeinflussen und verändern. Trotz der Evidenzen für den maßgeblichen Einfluss von Institutionen und Akteuren ist es Aufgabe weitergehender Forschung, das Zusammenspiel dieser einzelnen Faktoren genauer zu untersuchen. 7 Konklusion und Ausblick Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Vergleich von Wohlfahrtsmärkten. Die zentralen Erkenntnisse dieses Vergleichs wurden bereits im vorhergehenden Kapitel zusammengeführt, sodass der Zweck dieses Abschlusskapitels nun vornehmlich darin besteht, die Reichweite der theoretischen und empirischen Ergebnisse über die untersuchten Fälle hinaus zu diskutieren und einen Ausblick auf weitere Forschungsdesiderate zu skizzieren. Im Folgenden werden die drei zentralen Aspekte dieser Arbeit – Konzeptualisierung, Marktexpansion und Einbettung – auf ihre Reichweite hin diskutiert und weitere Forschungslücken identifiziert. 7.1 Wohlfahrtsmarkt als flexibles Konzept Das verwendete Konzept von Wohlfahrtsmärkten ist universell und reicht über Renten- und Bildungsmärkte hinaus (Kapitel 2). Wohlfahrtsmärkte wurden als politische Institutionen konzeptualisiert, in denen soziale Güter mithilfe von Marktmechanismen produziert, verteilt und bereitgestellt werden. Die bisherigen theoretischen Konzepte stellten sich entweder als sehr eng definiert heraus (Nullmeier 2001) oder gingen über den Rahmen der Sozialpolitik hinaus (Taylor-Gooby 1999). In der empirischen Forschung werden Begriffe wie Vermarktlichung, Privatisierung und Ökonomisierung zum Teil synonym verwendet und es ist selten eindeutig, was mit den Begriffen Vermarktlichung, Wohlfahrtsmarkt und Marktmechanismus gemeint sei. Der konzeptionelle Beitrag dieser Arbeit ist es, diese widerstreitenden Definitionen von Wohlfahrtsmärkten auf ein breiteres konzeptionelles Fundament zu stellen. Mit der hier präsentierten Definition liegt ein Konzept vor, das methodisch und theoretisch flexibel an verschiedene empi- 384 WOHLFAHRTSMÄRKTE rische Forschungsprojekte angepasst werden kann. Die konzeptionelle Reichweite ist theoretisch so angelegt, dass alle marktförmigen Sozialprogramme unter den Begriff Wohlfahrtsmarkt fallen. Naturgemäß franst eine weite Wohlfahrtsmarktdefinition an den Rändern aus, bietet dafür aber auch Anschluss an interdisziplinäre sozialpolitische Felder wie sozialer Wohnungsbau oder Energiepolitik, ohne jedoch den sozialpolitischen Kern zu verlassen. Wie auch in dieser Arbeit muss die weite universelle Definition auf den konkreten Untersuchungsgegenstand heruntergebrochen werden, in diesem Fall waren es Renten- und Bildungsmärkte mit dem Schwerpunkt auf individuelle Rentenversicherungen und Privatschulen. Gerade diese hohe Reichweite des hier verwendeten Wohlfahrtsmarktkonzepts soll weitere Studien auf ein vergleichbares Fundament stellen, sodass sie einander ergänzen und kumulativ zum Verständnis von Wohlfahrtsmärkten beitragen. Ebenso wurden die Marktmechanismen, die im Rahmen von Sozialpolitik zum Tragen kommen, anhand von drei Dimensionen (Finanzierung, Produktion, Wahlfreiheit) präzisiert. Damit können Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wohlfahrtsmärkten genauer herausgearbeitet werden und von benachbarten Begriffen wie Privatisierung und Ökonomisierung abgegrenzt werden. Letztlich hat das präsentierte Wohlfahrtsmarktkonzept auch einen politischen Aspekt, der in der theoretischen Literatur bisher nicht ausreichend Beachtung fand. Wohlfahrtsmärkte sind laut der hier verwendeten Definition keine anonymen Marktstrukturen oder soziale Arenen des Tausches, sondern die politische Institutionalisierung von Marktmacht. Somit kommt der politischen Dimension eine zentrale Schlüsselfunktion zu. Dieser Fokus auf die politische Dimension auf Märkte ist nicht völlig unbekannt (Briggs 1961; Esping-Andersen 1985), jedoch wurden in diesen Diskussionen staatliche Interventionen im Rahmen der Sozialpolitik stets als Interventionen gegen Märkte betrachtet. Das zentrale Element der hier präsentierten Konzeption von Wohlfahrtsmärkten ist, dass Wohlfahrtsmärkte an sich politisch geformte Institution sind, über deren Ausgestaltung und Regulierung in der politischen Arena gestritten wird. Diese Konzeptualisierung als politische Arena geht somit über den akademischen Diskurs hinaus und unterstreicht die Relevanz für Politik und Praxis, Märkte als sozialgeformte Institutionen zu begreifen. Die Offenlegung und Thematisierung von Interessenkonflikten um die Marktregulierung zeigt, dass – trotz aller Privatisierung und Auslagerung der KONKLUSION UND AUSBLICK 385 Sozialprogramme aus dem öffentlichen Raum – weiterhin ein ausgeprägtes öffentliches Interesse an Wohlfahrtsmärkten besteht und politische Akteure Einfluss auf die Markregulierung nehmen können und auch sollten. Vor allem das Beispiel der schwedischen Sozialdemokraten zeigt, dass sie die Märkte zwar nicht verhindern, aber die Marktmechanismen nach ihren Präferenzen erheblich beeinflussen konnten. Neben parteipolitischen Akteuren und Unternehmen können sich insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure angespornt fühlen, politisch Einfluss auf die Marktregulierung zu nehmen. Einerseits scheinen Dritte-Sektor-Anbieter nach einer Ausweitung der Marktmechanismen häufig Marktanteile zu verlieren (u.a. Privatschulen in Schweden). Andererseits konnten christliche Bewegungen und Kirchen die Privatschulmärkte in den USA und Deutschland entscheidend prägen. Wohlfahrtsmärkte sind ein umkämpftes politisches Feld und bedürfen intensiver demokratischer Auseinandersetzung, ob sie ein geeigneter Steuerungsmechanismus für die Bereitstellung und Verteilung sozialer Güter sind und wie die Marktregulierung ausgestaltet werden solle, um die angestrebten sozialpolitischen und gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. 7.2 Wohlfahrtsmarktexpansion trotz Vertrauenskrise Die Evidenzen für die Marktexpansion beschränken sich nicht nur auf die im Detail untersuchten Länder Deutschland, Schweden und die USA. Im internationalen Vergleich von Kapitel 4 wurden Hinweise für eine generelle Marktexpansion in der OECD-Welt gefunden. Zudem sind Anzeichen für eine Ausweitung der Marktmechanismen in mehreren Politikfeldern zu entdecken (vgl. Béland/Gran 2008b; Gingrich 2011; Seeleib-Kaiser 2008b). Ungeachtet der umfassenden Dokumentation der Marktexpansion bleibt die Forschungsfrage offen, welche sozialen und politischen Faktoren die beobachtete Marktexpansion ausgelöst haben. Die Fallstudien deuten eher auf mehrere Ursachen hin, die eine Expansion von Marktmechanismen begünstigen. Die Fallstudien haben beispielsweise gezeigt, wie sowohl rechte als auch linke Parteien Wohlfahrtsmärkte einführten. Weitergehende Studien sind hier zwingend nötig, um vor allem die Interaktion verschiedener Einflussfaktoren genauer zu untersuchen. Insbesondere angesichts der weltweiten Finanzkrise von 2008 blieb unbeantwortet, ob in Zukunft eine weitere Expansion der Marktmecha- 386 WOHLFAHRTSMÄRKTE nismen in der Sozialpolitik zu erwarten ist (vgl. Castles 2010 zum Einfluss von Krisen auf sozialpolitische Entwicklungen). In der Krisenpolitik unmittelbar nach dem Börsencrash Ende 2008 erwiesen sich die Wohlfahrtsstaaten als äußerst interventionistisch und es wurden kurzfristige Sozialprogramme aufgelegt, um die Effekte der Krise abzumildern (Clegg 2010; Frisina Doetter/Götze 2011). In den Medien wurde bereits von einer Renaissance des Wohlfahrtsstaates gesprochen, allerdings wurden nach der unmittelbaren Krisenbewältigung vielerorts erhebliche Kürzungen der Sozialprogramme durchgeführt (Farnsworth/Irving 2011; Taylor-Gooby 2011), weshalb auf lange Sicht keine Expansion der Wohlfahrtsstaaten zu erwarten ist. Ist aber ein weiteres Wachstum des Marktvolumens und sind weitere Wohlfahrtsmarktgründungen trotz des Vertrauensverlustes in (Finanz-) Märkte zu erwarten? Weitere Rentenmarktgründungen sind unmittelbar nach der Finanzmarktkrise bisher nicht zu beobachten, eher Verstaatlichungen von vormals privatisierten Rentenversicherungen wie im Fall von Ungarn und Argentinien (Orenstein 2011). Trotz Finanzmarktkrise sind die untersuchten Rentenmärkte weiter gewachsen. Dies lässt sich beispielsweise anhand des Anstiegs der Versichertenanzahlen zeigen (vgl. Kapitel 4.2). Auch ein Großteil der Rentenrücklagen scheint sich wieder erholt zu haben (OECD 2011).250 Relativ neue Rentenmärkte, wie zum Beispiel in Deutschland und Schweden, verzeichnen also weiterhin ein Wachstum des Marktvolumens, vermutlich bis sie institutionell ausgereift sind. Weitere Marktgründungen und -liberalisierungen sind derzeit nicht zu erkennen oder deren Planung wurde aufgeschoben (vgl. Orenstein 2011). Ganz anders im Bildungsmarkt. Der in Schweden eingeführte Bildungsmarkt weist kontinuierlich hohe Wachstumsraten auf und auch in Deutschland ist der Trend zu Privatschulen ungebrochen. In den USA setzen sich weiterhin konservative Denkfabriken und Organisationen für eine Ausweitung von Bildungsgutscheinen und Charter Schools ein. In Deutschland formiert sich eine Bewegung aus linken und bürgerlichen Strömungen für mehr Wahlfreiheit im Bildungssystem (Köppe 2012). Die globale Finanzmarktkrise hat also die Skepsis gegenüber Märkten erhöht (vgl. Eurobarometer 2011), aber Wohlfahrtsmärkte nicht per se in Misskredit gebracht. Rentenmärkte waren aufgrund der börsennotierten Rentenfonds direkt von der Finanzmarktkrise betroffen (vgl. sekundäre —————— 250 Für eine kritischere Evaluation der Effekte der Finanzmarktkrise auf kapitalgedeckte Rentenversicherungen siehe Ebbinghaus/Wiß (2011). KONKLUSION UND AUSBLICK 387 Rentenmärkte bei Berner 2009). Dieser direkte Effekt verhinderte weitere Marktliberalisierungen, als die Krisenanfälligkeit kapitalgedeckter Rentensysteme offensichtlich wurde. Die bestehenden Rentenmärkte sind aber weiter gewachsen. Da Bildungsmärkte in keiner direkten Verbindung zu den Finanzmärkten stehen, wurde ihre Popularität nicht von der Krise auf den Finanzmärkten beeinflusst. Die Märkte des Bildungssektors werden im politischen Diskurs ohnehin unter dem Deckmantel der »Wahlfreiheit« versteckt. Selten wird offen von einem Bildungsmarkt gesprochen, die Rede ist meist von mehr Wahloptionen für die Schüler und Eltern (vgl. Kapitel 5). Es ist aber weiterhin schwierig, die aktuelle Marktdynamik nach der globalen Finanzmarktkrise valide und reliabel zu eruieren. Obwohl die empirischen Belege für eine Marktexpansion und die Unterschiede der Vermarktlichung zahlreicher werden, fehlen weiterhin systematische Erhebungen und Vergleiche der Marktvolumina. So offenbarte die detaillierte Untersuchung des Wohlfahrtsmarktvolumens in den Dimensionen Finanzierung, Produktion und Wahlfreiheit, dass weiterhin großer Forschungsbedarf im systematischen Länder- und Politikfeldvergleich besteht. Mithilfe von nationalen Datenbanken konnten in dieser Arbeit zwar einige Indikatoren verglichen werden, doch die unterschiedlichen Erhebungsmethoden stellen ein Problem für den systematischen Vergleich dar und verringern somit die Validität und Reliabilität der Schlussfolgerungen. Beispielsweise fehlten reliable Daten über die erhobenen Schulgebühren von Privatschulen, sodass nur begrenzt vergleichende Aussagen über die tatsächlich geleisteten Beiträge von Familien getroffen werden können. Die Produktionsdimension war in den untersuchten Fällen meist gut dokumentiert. Tendenziell scheinen in jüngster Zeit mehr Indikatoren für das Marktvolumen erhoben zu werden oder der Zugang zu administrativen Daten für Forschungszwecke wird erleichtert. Allerdings sind auch gegenteilige Entwicklungen der Datenverfügbarkeit festzustellen251 und vor allem die internationale Vergleichbarkeit der nationalen Erhebungen muss verbessert werden, um stichhaltige Schlussfolgerungen aus dem Datenmaterial ziehen zu können. Das größte Informationsdefizit besteht im Bereich der Wahlfreiheit, weil zentrale Erhebungen der Wahloptionen und des Nutzerverhaltens —————— 251 In Großbritannien wurden private Versicherungsprodukte mit sozialpolitischem Bezug (Arbeitslosigkeit, Gesundheit, Rente) seit 1994 jährlich repräsentativ erhoben (FRS 1979–2008). Allerdings wurde die Erhebung der Items 2004 eingestellt. 388 WOHLFAHRTSMÄRKTE schlichtweg fehlen. Keine einzige internationale Datenbank enthält Informationen über die zur Verfügung stehenden Wahloptionen oder darüber wie die Nutzer ihre Wahlentscheidungen treffen. Beispielsweise fehlen Informationen wie häufig Schul- oder Versicherungswechsel stattfinden. Folglich müssen mehr internationale Datenbanken aufgebaut werden, um auch das tatsächliche Nutzerverhalten auf Wohlfahrtsmärkten untersuchen zu können. Erst wenn auch dieser Aspekt der Marktmechanismen erfasst wird, können zuverlässige Aussagen über die sozialpolitischen Wirkungen von Wohlfahrtsmärkten und insbesondere Wahlfreiheit getroffen werden. Die Antwort auf die Frage, ob Wohlfahrtsmärkte auch nach der globalen Finanzmarktkrise weiter expandieren, ist also auch eine Frage der verfügbaren Daten. Basierend auf den ersten Analysen nach der Finanzmarktkrise deutet vieles auf ein temporäres Innehalten weiterer Reformschritte hin. Allerdings zeigen jüngst eingeführte Wohlfahrtsmärkte, wie die deutsche Riester-Rente oder die schwedische Prämienrente, weiteres Wachstum des Marktvolumens auf, unabhängig von den Entwicklungen auf den Finanzmärkten. 7.3 Einbettung und Innovation Das zentrale Ergebnis dieser Studie ist die Betonung der institutionellen Einbettung der Wohlfahrtsmärkte in das existierende sozialpolitische Arrangement. Dieses Argument ist in der Literatur jedoch umstritten: Einerseits unterstützen unter anderem marktsoziologische Studien, die allgemeine Gütermärkte untersuchten, dieses Argument (Fligstein 2001) und auch in der skandinavischen sozialpolitischen Diskussion wird dieses Argument vertreten (Green-Pedersen/Lindbom 2006; Kvist/Greve 2011). Weitere Studien haben zwar auch den Einfluss von Institutionen und Akteuren bei der Marktgründung betont (Gingrich 2011), doch – entgegen dem hier vertretenen Argument – den Einfluss der politischen Akteure auf die Marktregulierung höher eingeschätzt als den der existierenden Institutionen. In der deutschen sozialpolitischen Debatte wurde hingegen der Pfadbruch mit dem vorherigen institutionellen Arrangement betont (u.a. Hinrichs/Kangas 2003). Auch in dieser Untersuchung wurden einige Indizien für institutionelle Innovationen und Regimewandel gefunden, in der Gesamtschau waren die Änderungen jedoch geringer als die Übernahme KONKLUSION UND AUSBLICK 389 von Regulierungseigenschaften benachbarter Vorgängerinstitutionen. Diese widerstreitenden Forschungsergebnisse unterstreichen, dass diese Arbeit nur eine begrenzte Perspektive auf Wohlfahrtsmärkte und deren institutionelle Einbettung bieten kann. Weitere vergleichende Studien sind notwendig, um die komplexen institutionellen Strukturen und Akteurskonstellationen bei der Gründung, der Regulierung und den Wirkungen von Wohlfahrtsmärkten zu verstehen. Die in dieser Studie diskutierten theoretischen Überlegungen und dargelegten empirischen Ergebnisse sind Grundlage für weitere kumulative Arbeiten zum Themenkomplex Wohlfahrtsmarkt. Zwei konkrete Aspekte wurden bisher nicht berücksichtigt und bedürfen meines Erachtens weiterer Forschung: (1) Weitere qualitative Fallstudien können zwar detaillierte Einblicke in die institutionellen und politischen Mechanismen der Einbettung liefern, allerdings bleibt der Vergleich der institutionellen Merkmale naturgemäß auf wenige Fälle beschränkt. Aus der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung sind jedoch umfangreiche Datenbanken bekannt, die die sozialen Rechte und institutionellen Merkmale der öffentlichen Sozialprogramme erfassen (EC 2009; Scruggs 2004; SOFI 2008). Wie in der Einleitung erwähnt bestehen vergleichbare Zusammenstellungen für private Rentenversicherungen (OECD 2009b), doch sind die Daten bisher noch in keinem Format aufbereitet, dass eine multivariate Auswertung erlauben würde. Mittlerweile gibt es erste Erhebungen der betrieblichen Altersvorsorge und Weiterbildung (Trampusch u.a. 2009). Eine systematische Erhebung der Wohlfahrtsmarktregulierung wäre eine konsequente Weiterentwicklung des hier vorgezeichneten Weges, nämlich anhand von wenigen Regulierungsdimensionen die Eigenschaften der Wohlfahrtsmärkte zu beschreiben, zu vergleichen und zu erklären. (2) Weit mehr Studien als bisher sollten administrative Daten von Wohlfahrtsmärkten analysieren. Private Anbieter von Produkten und Dienstleistungen produzieren eine Unmenge an administrativen Daten über Wohlfahrtsmärkte, die – entsprechende Anonymisierung vorausgesetzt – für sozialwissenschaftliche Analysen zur Verfügung gestellt werden könnten. Beispielsweise könnten typische Vertragseigenschaften in einer Datenbank zusammengefasst werden oder das Nutzerverhalten anhand von Kundendaten ausgewertet werden. Einige Marktanbieter haben bereits ihre Datenbanken ausgewählten Forschern zur Verfügung gestellt (u.a. Burger/Clark 2011; Thaler/Benartzi 2004). Durch eine verstärkte staatliche 390 WOHLFAHRTSMÄRKTE Regulierung könnten zum Beispiel weitreichendere Informationspflichten der privaten Anbieter eingefordert werden. Derartige Offenlegungspflichten sind nicht nur aus sozialwissenschaftlicher Sicht interessant, sondern auch aus verbraucherpolitischer Perspektive höchst relevant. Verbraucher könnten sich bei entsprechender Aufbereitung der Daten einen besseren Marktüberblick verschaffen, sodass die Offenlegung von Vertragsinhalten auch zur Markttransparenz beitragen würde. Trotz aller Einschränkungen und offenen Fragen ist das Hauptargument dieser Arbeit, dass Wohlfahrtsmärkte in den letzten zwei Dekaden expandierten und institutionell in das bestehende Wohlfahrtsregime eingebettet wurden. Die dominanten Akteure streben während der Marktschaffung und -liberalisierung eine Erhaltung der existierenden Regulierungseigenschaften an. Die existierenden Eigenschaften der Wohlfahrtsinstitutionen sind auch im Kontext von Wohlfahrtsmärkten äußerst resistent und können nur inkrementell von Akteuren verändert werden. Folglich weisen die neuen Wohlfahrtsmärkte eine hohe institutionelle Einbettung auf. Gleichwohl kann nicht geschlossen werden, dass die marktförmigen Institutionen die gleichen sozialpolitischen Effekte haben wie die alten Institutionen. Aufgrund des politikwissenschaftlichen Fokus blieben die sozialen Wirkungen und Effekte der neuen Marktstrukturen unberücksichtigt und viele Fragen unbeantwortet. Welche gesellschaftlichen Gruppen profitieren von Wohlfahrtsmärkten und welche sind davon negativ betroffen? Welche Umverteilungswirkungen haben verschiedene Marktstrukturen und inwiefern werden Ungleichheiten vom Nutzerverhalten beeinflusst? Die sozialpolitischen Wirkungen der neuen Wohlfahrtsmärkte bedürfen also weitergehender Analysen, der hier vorgelegte Vergleich leistet dazu einen Beitrag, um die langfristigen sozialen und ökonomischen Wirkungen der länderspezifischen Wohlfahrtsmarktregulierung zu untersuchen. Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Wohlfahrtsmarktansätze ................................................................... 29 Tabelle 2: Zeitpunkte der Wohlfahrtsmarktgründung und zentrale Reformen ......................................................................................................... 65 Tabelle 3: Sozialpolitische Bedeutung der sekundären Indikatoren in Abhängigkeit von Bezugsgröße und Dimension des Marktvolumens (Finanzierung und Produktion) ................................................................... 98 Tabelle 4: Anteil privater Rentenrücklagen am BIP (2001, 2007) und Anteil individueller und betrieblicher Renten (2007) .....................114 Tabelle 5: Gesetzliche Beitragssätze zur öffentlichen und privaten Altersvorsorge in Prozent des Bruttolohns, 1990–2008 .......................119 Tabelle 6: Tatsächliche Beiträge zur privaten Vorsorge, 1975–2007 (ausgewählte Jahre) ......................................................................................123 Tabelle 7: Überblick Wahloptionen ................................................................137 Tabelle 8: Öffentliche Ausgaben pro Schüler nach Schulart 1995–2005, Deutschland ..................................................................................................158 Tabelle 9: Prozentuale Verteilung der familiären Ausgaben für Bildungsdienstleistungen pro Jahr (2009) ................................................159 Tabelle 10: Eckdaten zu den schwedischen privaten Grundschulen vor der Vermarktlichung (Schuljahr 1990/91 und 1991/92) ...............160 Tabelle 11: Schulgeld für private Grund- und Sekundarschulen in Relation zum Familieneinkommen und den öffentlichen Pro-Kopf-Ausgaben in US-Dollar (1987–2003), USA ..........................162 Tabelle 12: Charter und Magnet Schools (Anteil in Prozent aller Schulen), 1999–2007 .....................................................................................................172 Tabelle 13: Anteil der EMOs an Charter Schools, 1999–2007...................173 Tabelle 14: Entwicklung des Milwaukee Parental Choice Program (MPCP) ..........................................................................................................176 Tabelle 15: Entwicklung des Cleveland Scholarship and Tutoring Program (CSTP) ...........................................................................................177 Tabelle 16: Zusammenfassung des Wandels .................................................189 Tabelle 17: DEUTSCHLAND RENTE – Regulierung der deutschen Riester-Rente im Vergleich zur Gesetzlichen Rentenversicherung Anfang der 1990er Jahre .............................................................................205 392 WOHLFAHRTSMÄRKTE Tabelle 18: DEUTSCHLAND BILDUNG – Regulierung der deutschen Privatschulen im Vergleich zum öffentlichen Schulsystem Anfang der 1990er Jahre ......................................................231 Tabelle 19: SCHWEDEN RENTE – Prämienrente....................................256 Tabelle 20: Interviewte Abgeordnete und Mitgliedschaft in Rentenkommissionen (1991–2006)...........................................................270 Tabelle 21: SCHWEDEN BILDUNG – Die Regulierung der öffentlichen Schulen Ende der 1980er Jahre und der Privatschulen 2002 .......................................................................................281 Tabelle 22: Experteninterviews zum schwedischen Bildungsmarkt ..........288 Tabelle 23: USA RENTE – Das Rentensystem um 1972 und die Regulierung privater Rentenversicherungen (2000er Jahre) .................314 Tabelle 24: USA Bildung – Das öffentliche und private Schulsystem Ende der 1980er Jahre, Charter Schools und School Voucher um 2010 .........................................................................................................333 Tabelle 25: Fakultative Referenden zur Einführung von Schulgutscheinen ..........................................................................................342 Tabelle 26: Mehrheitsverhältnisse bei der Verabschiedung der Charter-School-Gesetze (1991–2010).......................................................353 Tabelle 27: Vergleich der Fallstudien ..............................................................364 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Wohlfahrtsmarkttypen ................................................................ 56 Abbildung 2: Öffentliche Rentenausgaben in Prozent des BIP, 2005 ......110 Abbildung 3: Öffentliche und private Rentenauszahlungen in ausgewählten OECD Ländern in Prozent des BIP, 2006 .....................112 Abbildung 4: Finanzierungsquelle der privaten und öffentlichen Beiträge, 2006................................................................................................125 Abbildung 5: Arbeitgeberbeiträge zur öffentlichen (OASDI) und privaten Altersvorsorge in Prozent des Bruttolohns, USA (1948–2009)...................................................................................................129 Abbildung 6: Private Rentenrücklagen in Prozent des BIP, 1985–2007 ..132 Abbildung 7: Versicherte mit der öffentlichen und privaten Rentenversicherungen in Prozent der Bevölkerung, 1980–2008 .........134 Abbildung 8: Anzahl der lizenzierten privaten Rentenversicherungen, 2000–2009 .....................................................................................................139 Abbildung 9: Schulausgaben nach Finanzierungsquelle: Prozent der privaten Ausgaben, Ausgaben in Prozent des Bruttosozialprodukts, 2005 ................................................................................................................150 Abbildung 10: Anteil der Schüler an öffentlichen und privaten Schulen, 2005 ................................................................................................................153 Abbildung 11: Anteil der Privatschulen an den gesamten Schulen (1970–2008)...................................................................................................165 Abbildung 12: Anteil der Privatschüler an der gesamten Schülerschaft ...167 Abbildung 13: Entscheidungsmacht der Eltern und Lehrer beim Übergang in die Sekundarstufe (2008)............................................230 Abbildung 14: Anzahl der jährlich neu verabschiedeten Charter-School-Gesetze (1991–2010).......................................................347 Literatur 2001/02:UbU7, Utbildningsutskottets betänkande, Fristående skolor, Stockholm: Regeringen. 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