32 ENDOMETRIOSE Die Rolle des Peritoneums in der Schmerzpathogenese der Endometriose Endometriose ist eine der häufigsten benignen gynäkologischen Erkrankungen, die während der reproduktiven Lebensphase der Frau aktiv ist [1]. Es handelt sich dabei um das Auftreten von Endometrium-artigen Geweben, die sich außerhalb der Gebärmutterhöhle ansiedeln, dort proliferativ aktiv sind und zu einer inflammatorischen Reaktion führen. Endometrioseläsionen können oberflächlich und auch infiltrativ wachsen und je nach Lokalisation und Art werden daher unterschiedliche Manifestationsformen unterschieden. Die Endometriosis genitalis externa ist die häufigste Form. Sie betrifft die äußeren Genitalorgane. Dabei siedeln sich Endometrioseläsionen auf dem Peritoneum (z.B. der Fossa ovarica, des Douglases, der Sacrouterinligamente, des Blasenperitoneums) an, die überwiegend oberflächlich aber auch tief infiltrierend sein können. Weiterhin kommt es aufgrund der chronischen Entzündungsreaktion zur Ausbildung von Adhäsionen und somit zur Verklebung der inneren Genitalorgane. Die Endometriosis genitalis interna beschreibt das Vorkommen solcher Läsionen innerhalb der Tuben und des Myometriums (Adenomyosis uteri). Die tief infiltrierenden Endometrioseläsionen können in benachbarte Organe, wie z.B. Blase, Darm und/oder Harnleiter, einwachsen und diese destruieren. Eine Sonderform stellt dabei die rektovaginale Endometriose dar, die im Septum rektovaginale lokalisiert ist und von dort aus in die benachbarten Strukturen wie Scheide, Darm, die SUL bzw. den Ureter einwachsen kann. Abgesehen von der Organzerstörung und Funktionseinschränkung, sind die häufigsten Symptome der Endometriose chro- 05/2016 nische Schmerzen wie Dysmenorrhoe, zyklische und azyklische Unterbauchschmerzen sowie Schmerzen beim Stuhlgang, Wasserlassen und/oder beim Verkehr, sowie Einschränkungen der Fertilität [2]. Daher zählt Endometriose zu einer stark lebensqualitätseinschränkenden Erkrankung [3]. Grundsätzlich können Endometrioseherde operativ entfernt werden. Das ist aber je nach Lokalisation und Infiltrationstiefe nicht selten nur durch komplexe operative Eingriffe möglich, bei denen, je nachdem welche Organe betroffen sind, ggf. auch Darm-, Ureter oder Blasenteilresektionen notwendig sein können. Diese Operationen erfordern eine große operative Expertise. Da oftmals Frauen mit noch nicht abgeschlossener Familienplanung betroffen sind, ist der Erhalt der Genitalorgane (Uterus und Adnexen) obligat. Aufgrund der Hormonabhängigkeit der Erkrankung und des Verbleibens von mikroskopisch kleinen Endometriosezellen oder inkompletter Entfernung der Läsionen ist es nicht verwunderlich, dass die Endometriose mit einer kumulativen Rezidivrate von 10% pro Jahr [4] einhergeht und somit eine chronische Erkrankung darstellt. Zudem bleibt mit Erhalt der Gebärmutter fast immer (weil diese in über 80% auch von Adenomyose betroffen ist) auch die Adenomyose bestehen und demzufolge können die Beschwerden durch operative Interventionen nur bei absoluter Radikalität mit Entfernung der Gebärmutter komplett behoben werden [5]. Bei ausgeprägter Adenomyosebedingter Dysmenorrhoe bleibt diese bei Organerhalt natürlich bestehen. Daher ist in den meisten Fällen – wenn kein aktiver Kinderwunsch be- steht – eine hormonelle Langzeittherapie zur Symptomkontrolle, aber auch gleichzeitig als Rezidivprophylaxe indiziert [6]. Die hormonelle Therapie kann auch alternativ zu operativen Interventionen durchgeführt werden und in einem Großteil der Fälle diese auch komplett ersetzen. Insbesondere bei Patientinnen, die von einer tief infiltrierenden Endometriose betroffen sind, aber wenig Beschwerden haben, ist die hormonelle Therapie eine gute Alternative. Da operative Eingriffe sowohl mit intra- als auch postoperativen Komplikationen assoziiert sind, muss die Indikation immer streng geprüft werden. Im Konsens sollte daher besonders bei tief infiltrierenden Endometriosen immer zunächst der konservative Therapieversuch in Erwägung gezogen werden und operative Eingriffe erst bei Progress der Läsionen bzw. der Symptome oder bei vorliegendem Kinderwunsch erfolgen. Bei der tief infiltrierenden ovariellen Endometriose (Endometriome) ist zudem zu bedenken, dass mit jeder Zystenexstirpation auch gesundes Ovargewebe geschädigt wird und damit eine Reduktion der Follikelreserve verbunden ist, die zu vorzeitiger Ovarialinsuffizienz führen kann. Schmerzmanagement Das größte Problem im Management der Endometriose stellen die komplexen Schmerzen dar [7]. Einserseits gibt es die typischen Beschwerden wie Dysmenorrhoe, zyklische Unterbauchschmerzen in Assoziation zur Blutung, zyklische Dyschezie oder Dysurie sowie die Dyspareunie [8] Schmerzausstrahlung in den Rücken oder die Beine und noch viele mehr [9]. Die Beschwerden ENDOMETRIOSE (spezifisch und auch unspezifisch) erklären sich durch die unterschiedlichen Lokalisationen der Endometrioseläsionen. Infiltrieren die Läsionen die visceralen Organe leiden die Frauen unter visceralen Schmerzen, betreffen die Läsionen die Beckenwand oder die Beckenmuskulatur kommt es zu somatischen Schmerzen. Diese Schmerzcharakteristika sind komplett unterschiedlich. Visceraler Schmerz ist meist dumpf und krampfartig vom Charakter her, er erstreckt sich über mehrere Dermatome und ist schlechter lokalisierbar. Durch Interaktionen zwischen den sensiblen Nervenfasern, die die inneren Organe innervieren und den autonomen Nervenfasern, die gemeinsame Bahnen nutzen, kann es bei Schmerzen zu Veränderungen der visceralen Funktion kommen. So erklären sich die häufig beschriebenen vegetativen Begleitreaktionen wie zyklische Diarrhoe, Übelkeit und Erbrechen. Der somatische Schmerz hingegen ist eher gut lokalisierbar, scharf und spitz vom Charakter her. Typischerweise besteht bei den meisten betroffenen Patientinnen zudem eine kombinierte Manifestation der unterschiedlichen Endometrioseläsionen und jede kann prinzipiell die oben beschriebenen Beschwerden auslösen. Parietales Peritoneum im Fokus In diesem Artikel soll der Fokus auf die Rolle des parietalen Peritoneums in der Schmerzpathognese der Endometriose-assoziierten Beschwerden gerichtet werden. Das Peritoneum hat zwei unterschiedliche Schichten, einmal das viscerale Peritoneum, das der Serosa der visceralen Organe entspricht. Hier verlaufen die visceralen sensiblen Nervenfasern gemeinsam mit den autonomen. Sie machen aber nur 10 % der gesamten afferenten Nervenfasern aus. Möglicherweise ist dies der Grund für die schlechte Lokalisierbarkeit der visceralen Schmerzen. Das parietale Peritoneum hingegen ist stark innerviert und empfindlich für Berührung, Druck und Temperatur. Hier verlaufen die sensiblen Nervenfasern gemeinsam mit den somatischen Nerven und entstammen den entsprechenden Hinterwurzelganglien. Im Becken verlaufen daher die sensiblen Nervenfasern überwiegend mit dem N. obturatorius, welcher aus dem Plexus sacralis stammt. Die somatischen Nerven die das parietale Peritoneum innervieren versorgen auch die korrespondierenden Segmente der Haut und die Beckenbodenmuskulatur.. Hier kann es ebenfalls Interaktionen geben, wenn die sensiblen Nervenfasern des Beckens aktiviert sind, kann es zur reflektorischen Mitreaktion der Beckenbodenmuskulatur und zur Muskelkontraktion kommen, was ein wichtiger Faktor in der Pathogenese von chronischen Beckenschmerzen darstellt. Das parietale Peritoneum besteht aus zwei Schichten, dem Mesothel, welches eine einschichtige Zellschicht darstellt und das submesotheliale Bindegewebe mit Blutgefäßen, Nervenfasern und Immunzellen [10]. Es wird diskutiert, dass das Peritoneum an der Entwicklung von peritonealen Endometrioseläsionen beteiligt ist. Es gibt eine Reihe von Hinweisen, dass Veränderungen der Mesothelzellen das Andocken und die Entwicklung von retrograd translokalisierten abgeschilferten endometrialen Zellen erst ermöglichen [10]. Sind diese erst einmal adhärent führt die Interaktion beider Zellarten zur Weiterentwicklung der Läsionen. Durch die Sekretion von Molekülen wie Zelladhäsionsmolekülen und Metalloproteinasen wird die Invasion der Zellen ermöglicht. Weiterhin führen Veränderungen der Immunantwort wie z.B. eine verminderte Anzahl an Natürlichen Killerzellen, die normalerweise ortsfremde Zellen erkennen und eliminieren, zu einer Verhinderung des Abbaus dieser Zellen. Auf der anderen Seite Abb1: Histologisches Bild einer peritonealen Endometrioseläsion mit Epithel- Stroma- und Muskelzellen führt die Zunahme von Makrophagen, die sich im Verlauf aber zu M2Makrophagen entwickeln, zu einer Toleranz gegenüber den ortsfremden Zellen. Die Expression von NCadherin und Metalloproteinasen erlaubt die weitere Invasion und die Weiterentwicklung der Zellen zu ectopen Läsionen. Möglicherweise befinden sich in den retrograd translozierten Endometriumzellen Stammzellen, die – wenn diese zur Invasion kommen – die Potenz besitzen sich in Epithel- Stroma- sowie Muskelzellen zu entwickeln (E Abb. 1) und sich somit die ectopen Läsionen histologisch wie Miniatur-Uteri darstellen [11,12]. Wie erklärt sich die Scherzentstehung durch peritoneale Läsionen? Diese ist in weiten Bereichen ungeklärt, bzw. es sind noch viele Fragen offen. Besonders spannend ist zunächst einmal die Tatsache, dass peritoneale Läsionen überhaupt Schmerzen verursachen, während eine ausgedehnte peritoneale Manifestation bei Ovarialkarzinom weitestgehend asymptomatisch verläuft. Weiterhin ist erstaunlich, dass manche Patientinnen mit wenigen peritonealen Läsionen starke Schmerzen haben, andere Patientinnen mit mehr Läsionen aber schmerzfrei sein können. Was geht also in peritonealen Endometriosläsionen vor? Das Gewebe, bestehend aus Epithel, Stroma- und Muskelzellen, sieht 05/2016 33 34 ENDOMETRIOSE Abb2: Neurogene Inflammation in Endometrioseläsionen. Die Freisetzung von inflammatorischen Zytokinen (Interleukine, Prostaglandine) und Nervenwachstumsfaktoren (NGF, NT3) führt zu einer Einsprossung von sensiblen Nervenfasern (seNF) in das Gewebe, diese setzen wiederum sensible Neurotransmitter (SP und CGRP) frei, die zu einer Vasodilatation und Chemotaxis von Immunzellen (IZI) führen, die wiederum aktiviert ebenfalls weitere Botenstoffe (NGF, TNF, Interleukine, Histamin) freisetzen und die chronische Inflammation unterhalten. Dies führt zu einer Deletion von sympathischen Nervenfasern (syNF) und damit zu einer verminderten Konzentration von sympathischen Neurotransmitter (Noradrenalin), das eher anti-entzündlich wirkt. Smit kommt es zu einem Ungleichgewicht zugunsten der eher pro-inflammatorisch wirkenden sensiblen Neurotransmitter. Tatsächlich besteht zwischen peritonealen Nervenfasern und peritonealen Nocizeptoren eine enge topographische Verbindung [14]. Die zyklische Freisetzung von Schmerzmediatoren mit entsprechender Aktivierung der Nozizeptoren beschreibt den typischen zyklischen nocizeptiven Schmerz, der durch die hormonell bedingte Abhängigkeit der Läsionen oft zyklisch ist und sich daher auch mit hormonellen Therapien oder mit NSAP bessert. Dennoch beschreiben ca. 1/3 aller Frauen therapieresistente Unterbauchschmerzen, die sich nicht mit NSAP therapieren lassen und bei denen dann während einer Laparoskopie zu über 90 % Endometriose nachgewiesen werden kann. Weiterhin kann es nach anfänglicher Besserung der Schmerzen nach Beginn einer hormonellen Therapie im weiteren Verlauf zu eher chronischen azyklischen Schmerzen kommen. Dem scheint ein weiterer Pathomechanismus zu Grunde zu liegen, der sich in einem Wechsel von eher zyklischen zu azyklischen Schmerzen charakterisiert und einen Progress der Erkrankung mit Entkopplung vom hormonellen Zyklus darstellt. Abb3: Inflammatorisch verändertes Peritoneum im Rahmen einer peritonealen Endometriosemanisfestation zwar im Gewebeschnitt relativ harmlos aus, ist aber sehr aktiv. Es werden Schmerzmediatoren, Wachstumsfaktoren und inflammatorische Zytokine freigesetzt, die zu einer ausgedehnten inflammatorischen Reaktion mit Chemotaxis von Immunzellen führen [13]. Diese beeinflussen und fördern die Neuroimmunomodulation, die Neurogenesis, die Angiogenesis, die Lymphangiogenese sowie die Muskelzellmetaplasie. 05/2016 Ein Erklärungsmodell für diesen Schmerzzustand stellt das der neurogenen Inflammation dar. Neben den Schmerzmediatoren scheinen die Ausschüttung von Nervenwachstumsfaktoren und eine lokale Östrogensynthese zu einer Aussprossung von sensiblen Nervenfasern in das Endometriosegewebe zu fördern. Sensible Nervenfasern setzen lokal die Neurotransmitter Substanz P und Calcitonin Gene- Related Peptide (CGRP) frei, die wiederum eine neurogene Inflammation mit Vasodilatation und Chemotaxis von Immunzellen triggern. Auf der anderen Seite scheinen die lokalen Östrogene sowie Semaphorine, die von Makrophagen freigesetzt werden, zu einer Deletion von sympathischen Nervenfasern im Gewebe zu führen. Der Neurotransmitter Noradrenalin der sympathischen Nervenfasern wirkt hingegen antiinflammatorisch. Durch diese Innervationsveränderungen verschiebt sich das Gleichgewicht der mehr pround antiinflammatorischen Neurotransmitter zugunsten der proinflammatorischen Neurotransmitter (E Abb. 2). Dies ist ein Prozess, der auch in rheumatoider Arthritis gut untersucht ist und als wesentlicher Faktor in der Schmerzgenese angesehen wird [15,16]. Einhergehend mit der inflammatorischen Reaktion werden auch die Bildung von Blutund Lymphgefäßen aktiviert. Demzufolge findet sich ein hoher Anteil an unreifen Blut- und Lymphgefäßen im peritonealen Endometriosegeweben [14,17]. Diese umfangreichen inflammatorischen Reaktionen können vermutlich Gewebsdefekte des Peritoneums verursachen, die ebenfalls an der Schmerzpathogenese beteiligt sind und sicherlich auch prädisponierend für die Entwicklung weiterer peritonealer Herde. Interessanterweise konnte eine amerikanische Studie, in der makroskopisch unauffälliges Peritoneum, das sich nach Überspülung mit Patentblau markiert hatte und dann elektronenmikroskopisch untersucht wurde, in diesen Geweben Mesothelzelldefekte nachweisen [18] und untermauern diese Hypothese. Viele dieser proinflammatorischen Faktoren lassen sich auch in der Douglasflüssigkeit, die die Organe im kleinen Becken umspült, von Patientinnen mit Endometriose nachweisen. So kann man auch die bei Endometriosepatientinnen oftmals bestehenden ausgedehnten inflammatorischen Veränderungen im Peritoneum erklären, ohne dass typische Endometrioseläsionen vorliegen müssen (EAbb. 3). Periphere Sensitivierung von Nervenfasern Doch neben den lokalen Veränderungen ist ein weiterer wichtiger ENDOMETRIOSE Faktor der Schmerzgenese auch die Aktivierung von ruhenden Schmerzfasern, den sog. silent C-fibers. Über eine periphere Sensitivierung werden diese aktiviert und leiten den Schmerz über die Hinterwurzelganglien in die Hinterwurzel des Rückenmarkes weiter. Ein wichtiger Aktivator ist hier der Vanilloid-Rezeptor (TRPV1). Dieser ist in Endometrioseassoziierten Nervenfasern insbesondere bei Patientinnen mit starken Schmerzen hochreguliert. Dies ist ein erster wichtiger Hinweis, dass eine periphere Sensitivierung im Zusammenhang mit der Schmerzstärke besteht. Endometriose-assoziierte Muskelzellen Eine weitere Komponente der Endometrioseläsionen, die bisher kaum Beachtung gefunden hat, sind die Endometriose-assoziierten Muskelzellen (E Abb. 1), die Charakteristika der Uterusmuskulatur (Östrogenund Progesteronrezeptor-Expression, sowie Oxyctocin- und Vasopressinrezeptor-Expression) aufweisen. Diese sind nicht nur in peritonealen Läsionen sondern auch in allen anderen Endometriosetypen nachweisbar und machen einen nicht unerheblichen Anteil der peritonealen Läsionen aus [11]. Neben den uterotonen Rezeptoren exprimieren sie auch funktionelle Faktoren, wie z.B. Myosin heavy-chain Kinase (mhkC), und scheinen somit die funktionelle Voraussetzung zur Kontraktion zu besitzen [19]. Somit können sie ebenfalls einen wesentlichen Faktor in der Pathogenese Endometriose-assoziierter Unterbauchschmerzen darstellen. Hier ist denkbar, dass sie ähnlich der Uterusmuskulatur kontrahieren und so peritoneale Nociceptoren reizen und so zyklische Blutungs-assoziierte Unterbauchschmerzen bedingen. Experimentelle Studien, die dieses Konzept geprüft haben, stehen aber leider noch aus. Die dargestellten Faktoren des Peritoneums sind Teilaspekte der periphe- Abb. 4: Übersicht der Schmerzmechanismen, die bei Endometriose-assoziierten Schmerzen eine Rolle spielen ren Sensitivierung, die neben der zentralen Sensitivierung Teil der komplexen Pathogenesemechanismen der Endometriose-assoziierten Schmerzen sind. Patientinnen mit Endometriose, die unter zyklischen aber auch azyklischen Schmerzen leiden, haben oftmals zudem eine erniedrigte Schmerzschwelle insbesondere im Bereich des Unterbauches – die Schmerzschwelle im Bereich der Hand ist unverändert. Dies ist Ausdruck einer spinalen Hyperalgesie [20]. Die Mechanismen der zentralen Hyperalgesie (eine normale Berührung wird als Schmerz empfunden) sind z.B. im Bereich von Kopf- oder Zahnschmerzen gut untersucht, im Bereich der Endometriose jedoch unzureichend. Dennoch scheint die zentrale Hyperalgesie ein wesentlicher Faktor in der Schmerzgenese sowie im Chronifizierungsgeschehen eines chronischen Schmerzsyndroms zu sein. Nicht selten entwickeln Patientinnen mit einer chronisch schlecht therapierten Endometriose ein chronisches Schmerzsyndrom, das mit einer ausgeprägten Hyperalgesie im Bereich des Beckens, der Scheide und der Beckenbodenmuskulatur einhergeht. Hier helfen nur multimoda- le schmerztherapeutische Ansätze. Aber auch hormonelle sowie psychologische Aspekte beeinflussen die Schmerzsensitivierung und das Schmerzgeschehen, so dass bei chronischen Schmerzen eine ganzheitliche Therapie basierend auf einer suffizienten hormonellen Einstellung mit Einleitung einer therapeutischen Amenorrhoe (nach Ausschluss von Organdestruktion durch Endometrioseläsionen), sowie einer adäquaten Schmerztherapie in Kombination mit manuellen Therapien (wie z.B. Osteopathie, TENS, Beckenbodenentspannungstechniken) erfolgen sollte. Es wird angeraten, die Patientinnen in einem Schmerzentrum zur multimodalen Schmerztherapiezu behandeln. Hier sollte neben der psychologischen Evaluation auch die Erlernung von Schmerzbewältigungsstrategien angeboten werden. Überschneidungen der verschiedenen Schmerzmechanismen machen deutlich, dass Endometriose-assoziierte Schmerzen sehr komplex sind und noch viele Schritte nötig sind, um alle Aspekte bis ins Detail zu verstehen (E Abb. 4). 05/2016 35 36 ENDOMETRIOSE Zusammenfassung: Schmerzen sind das größte Problem von Patientinnen mit Endometriose und stellen im Management dieser Erkrankung die größte Herausforderung dar. Durch die verschiedenen Lokalisationen der Herde kommt es zu einem sehr heterogenen Beschwerdebild mit visceralen und somatischen Schmerzen. Die Patientinnen leiden unter typischen Beschwerden wie Dysmenorrhoe, zyklischen Unterbauchschmerzen aber auch Dysurie, Dyschezie oder Dyspareunie. Neben den typischen Beschwerden gibt es auch eine ganze Reihe eher unspezifischer Beschwerden, wie z.B. unspezifische Blasen- und Darmbeschwerden, Schmerzausstrahlung in die Beine und in den Rücken, vegetative Begleitreaktionen wie Übelkeit, Erbrechen, zyklische Diarrhoe und vieles mehr. Diese Beschwerden können zyklisch, azyklisch sowie chronifiziert auftreten. Viscerale und somatische Schmerzen sind vom Charakter her sehr unterschiedlich und können daher auch die starke Variation der Beschwerden erklären. Eine mögliche Interaktion der visceralen sensorischen Nervenfasern mit den autonomen Nervenfasern kann weiterhin die vegetativen Reaktionen wie Übelkeit und Erbrechen bedingen. Allgemein liegt der Schmerzgenese eine äußerst komplexe Aktivierung von peripheren und zentralen Sensitivierungsmechanismen zugrunde. Ein Teilaspekt, der bisher nur wenig in der Schmerzpathogenese der Endometriose untersucht wurde, ist die Rolle des Peritoneums sowie der peritonealen Läsionen. Die Interaktion der peritonealen Läsionen mit Freisetzung von Schmerzmediatoren, den Nervenfasern und Immunzellen scheint zu einer neurogenen Inflammation zu führen, die die peripheren Nerven sensitivieren. Neben der operativen, hormonellen und analgetischen Therapie sollte daher auch ein professionelles Schmerzmanagement mit Erlernung von Schmerzbewältigungsstrategien im Therapiekonzept mit inbegriffen sein, besonders bei chronischen Schmerzen.. Sehr hilfreich ist hier auch der Einsatz einer osteopathischen Therapie, um Muskelverspannungen und Blockaden zu lösen, die durch Fehlstellungen zur weiteren Schmerzverstärkung führen. Das Schmerzmanagement bei Endometriosepatientinnen ist sehr komplex und erfordert immer ein individuelles Management, um insbesondere auch unnötige Operationen zu vermeiden, denn wenn sich erst einmal ein chronisches Schmerzsyndrom manifestiert hat, ist es schwer den Kreislauf zu durchbrechen. Literatur: 1. Mettler L.Endometriose 2000; L M, editor. Kiel: pmi Verlag AG. 2. Cramer DW, Missmer SA. The epidemiology of endometriosis. Ann N Y Acad Sci 2002; 955:, 396–406. 3. Guo SW (2009) Recurrence of endometriosis and its control. 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