Wiechert-a4

Wohlfahrtsstaaten im Weltsystem
Die Entstehung eines inner- und eines außereuropäischen
Wohlfahrtsstaats aus Sicht der Weltsystemtheorie
Fabian Wiechert
Hintergrund und Fragestellung
•
Die Soziologie und Sozialpolitik sind Kinder des europäischen 19. Jhd. – „Die Idee der Gestaltbarkeit der Gesellschaft ist […] für die
•
Frage nach der Anwendbarkeit der im europäischen Kontext gewachsenen Erklärungen für Wohlfahrtsstaatlichkeit weltweit liegt nahe
•
Immanuel Wallensteins Weltsystemtheorie begegnet dem Problem des methodologischen Nationalismus mit der Betrachtung des
Soziologie grundlegend.“ - (Ullrich 24)
Weltsystems der kapitalistischen Weltwirtschaft
•
Daher wird in dieser Darstellung der Forschungsfrage nachgegangen, wie gut oder schlecht sich die Entstehung des deutschen und
•
Dazu wird die These formuliert: Die Weltsystemtheorie kann die Entstehung von Wohlfahrtsstaaten gut erklären, während sie
des südafrikanischen Wohlfahrtsstaates mit der Weltsystemtheorie erklären lässt.
Unterschiede zwischen Wohlfahrtsstaaten weniger gut erklären kann.
(Potter 111)
Methodik
•
Untersuchung
der
Anwendbarkeit
der
Erklärung für die Entstehung von Wohlfahrtsstaaten?
Weltsystemtheorie
für
Entstehung
von
Wohlfahrtsstaaten in zwei Staaten: (A) Deutschland ,und (B) Südafrika
•
•
industrielle
Wirtschaft
(Modernisierung,
Urbanisierung,
Individualismus,
Reproduktion (z.B. Familie, Kirche, Adelsverpflichtung, Gildensolidarität)
Weltwirtschaft) (I.W. 31ff.)
•
Moderne
Marktabhängigkeit) Æ zerstört vorindustrielle Modi der gesellschaftlichen (E-A. 13)
Gegen abstrahierende Modelle von Geschichte und Totalität des Weltsystems (Kapitalistische
•
Zwei funktionalistisch, strukturalistische Erklärungsansätze: (E.-A. 13; Ullrich 28)
(1) “Logik des Industrialismus“ :
Die Weltsystemtheorie
•
•
Zentrum, Semi-Peripherie, Peripherie (Ibid. 48ff.)
•
Angewandt für Vergleich von Staaten mit untersch.. Entwicklungsniveaus
Zyklische Entwicklung und Veränderung über Zeit
•
Wallerstein kritisiert diese Modelle scharf
Aneignung des volkswirtschaftlichen Überschusses (Surplus) der gesamten Weltwirtschaft
(2) neomarxistische Ansätze :
durch die Länder des Zentrums (Ibid. 47) (siehe Abbildung oberhalb)
•
Wohlfahrtsstaaten
schützen
vor Dysfunktionalität
in kapitalistischer
Produktionsweise
(Konzentration von Kapital, maximale Kommodifizierung von Arbeitskraft)
- Bsp. (A) Deutschland –
•
Frühe Arbeitsschutzgesetze
Einführung Sozialversicherungen
-
-
Verbot und Regulierung minderjähriger
Fabrikarbeiter: 1839 (Preußen), 1903
(Gesamtdeutschland)
Frauenarbeitsschutzgesetz 1878
Arbeitsschutzgesetz 1891
(Gerhard 43-50; Erlinghagen 65)
Ambivalenz: schützt vor „selbstzerstörerischen Tendenz und steht Verwertungsinteressen des
Kapitals im Wege“ (Ullrich 29)
Gesetzliche Krankenversicherung 1883
Unfallversicherung 1884
Invaliden- und Altersversicherung (heute:
Rentenversicherung) 1889
Arbeitslosenversicherung 1927
Gesetzliche Pflegeversicherung 1995
Diskussion
1.: Lässt sich die Entstehung des konservativen, deutschen Wohlfahrtsstaates mit Wallersteins
•
„Landflucht“ : Einwohnerzahl Essen um 1850 = 9.000; um 1870 = 52.000 (ca. + 578%) (Gerhard 39)
Theorie erklären?
1. Ja = holistische, ökonomische Perspektive der Weltwirtschaft Æ rapide Urbanisierung u.
Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jhd. in Deutschland.
•
1883 nur ca.10 % der Bevölkerung gesetzlich versichert (Ullrich 25)
2.
•
heute inkl. mitversicherte Familienangehörige ca. 90 % der Bevölkerung (Ibid. 25)
•
Erweiterung versicherungspflichtiger Bevölkerungsgruppen: Arbeitslose (ab 1918), Seeleute
Sichtweise der “Logik des Industrialismus“ : Umschwung von Agrar- zu entlohnter
Fabrikarbeit und Verschwinden traditionellen Sicherungsmechanismen, wie die Familie,
Kirche oder der Feudalherr, Æ Bismarck führt drei der heutigen fünf Sozialversicherungen
ein; anfänglicher Adressaten- und Teilnahmekreis: vornehmlich Fabrikarbeiter
3.
neomarxistischen Perspektive : Kommodifizierung - d.h. zur Ware machen von Arbeitskraft –
ist Entwicklung im Sinne des Kapitalismus, die ihn aber gleichzeitig bei “Erfolg“ zu zerstören
drohte Æ Wohlfahrtsstaaten sind im Sinne des Marktes und werden deshalb eingeführt
4.
Weltsystem als Totalität (einzige Arbeitsteilung bei Weiterbestehen von vielfältigen
Gemeinwesen und Kulturen) kann erklären warum Wohlfahrtstaaten entstehen
5.
Wohlfahrtstaaten als notwendige Produkte von vier Jahrhunderte währender kapitalistischen
Entwicklung und der inneren Widersprüche des Kapitalismus selbst ; Erklärung nicht bei
Nicht-systemen wie Staaten oder Kulturen
-
(1927), Rentner (1956), selbstständige Landwirte (1972), Studenten (1975), Künstler (1981)
(Ibid. 25)
•
Bismarck‘sche Reformen begannen mit dem Kernbereich der Fabrikarbeiterschaft
•
„Drei Phasen“
1.
2.
3.
sozialpolitischer Entwicklung (Ibid. 27)
Expansionsphase - 19 Jh. bis Wirtschaftskrise (Ölpreisschocks 1974)
Konsolidierung - 1974 bis 1989
Restrukturierung und Abbau - 1990 bis heute (dazu z.B. Schmidt)
Größte Probleme: Erklären von unterschiedlichen Wohlfahrstsstaaten oder –typen;
und empirische Hypothesen aus neomarxistischem Ansatz abzuleiten
- Bsp. (B) Südafrika –
•
In (semi-)peripheren Staaten nicht nur klassenbasierte gesellschaftliche Entwicklung relevant
•
Semi-periphere Rolle Südafrikas aus strategischen > ökonomischen Gründen
•
Bewegung
gegen
Kolonialherrschaft
oder
Diktaturen
wurden
(Smith 23; I.W. 51f)
oftmals
durch
den
2.: Lässt sich die Entstehung des “partiellen“, südafrikanischen Wohlfahrtsstaates mit Wallersteins
Theorie erklären?
1.
Durch Aufnehmen Afrikas in die Peripherie im 19.Jhd. (I.W. 55) wurde dementsprechend
Surplus extrahiert und Industrialisierung wohlmöglich verzögert. „ […] Eingriffe von außen mit
Mitteln des Krieges, der Subversion und der Diplomatie [sind] das Schicksal peripherer
Staaten“ (Ibid. 49)
2.
In den 1920ern kommt es zu Industrialisierung und damit zu Prozessen der Proletarisierung
und Urbanisierung Æ Old Age Pensions Act of 1928 wird eingeführt; verwehrt aber
„Schwarzen“ bis 1944 das Anrecht auf Sozialleistung (Leubolt 286)
3.
Grundsätzliche (späte) Entstehung des südafrikanischen Wohlfahrtstaates mit (Semi-)
Peripheriestatus, “Logik des Industrialismus“ und Neomarxismus erklärbar, ABER die
„spezielle“ Ausgestaltung eines „rassistischen“ Wohlfahrtsstaates, der sich dem „poor white
problem“ annimmt, aber in Teilen bis heute im Bereich Sozialausgaben, -ansprüchen,
Bildungsinvestitionen, und Steuersystem diskriminierte erfasst die Weltsystemtheorie nicht
Nationalismus geeint (Leubolt 37; Smith)
•
Südafrika entscheidend vom Kolonialismus beeinflusst (ab 17. Jhd. Präsens Portugiesischer
Händler, dann holländische und britische Handelsgesellschaften und danach Kolonie
Hollands 18 Jhd. und Kolonie Englands 19. - 20. Jhd.) (Leubolt 278)
•
Schon während Kolonialzeit „racial capitalism“, später “rassistischer“ Wohlfahrtsstaat (Ibid. 92)
•
1920er Jahre wurde die Industrialisierung und damit zusammenhängende Prozesse der
Proletarisierung und Urbanisierung vorangetrieben (Ibid. 279ff)
•
Vier Perioden des „südafrikanischen Ungleichheitregimes“ (Ibid. 280):
1. „Siedler-Kolonialismus“ - 17. bis zum Anfang des 19. Jhd.
2.
„Racial Capitalism“ - 19. Jhd. bis 1948,
3.
Apartheid - zwischen 1948 und 1994
4.
Post-Apartheid Periode - ab 1994 (Präsident Nelson Mandela -1999)
Faziiitt und
Fazit
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Literatur:
Erlinghagen, Marcel; Hank, Karsten (2013): Neue Sozialstrukturanalyse. Ein Kompass für Studienanfänger. München: Fink (Soziologie studieren, 3994).
Esping-Andersen, Gøsta (1990): The three worlds of welfare capitalism. Cambridge, UK: Polity Press.
Gerhard, Wolfgang (2012): Was von Otto von Bismarck blieb, nachdem Milton Friedman kam. Esping-Andersens Wohlfahrtsstaattypologie-ist Deutschland noch ein konservativer Typus?
München: AVM Akademische Verlagsgemeinschaft München.
Leubolt, Bernhard (2015): Transformation von Ungleichheitsregimes. Gleichheitsorientierte Politik in Brasilien und Südafrika. Wiesbaden: Springer VS (Globale Politische Ökonomie).
Potter, Robert B. (2008): Geographies of development. An introduction to development studies. 3rd ed. New York: Prentice Hall.
Schmidt, Ingo (2008): Kollektiver Imperialismus, Varianten des Neoliberalismus und neue Regionalmächte. In: ders.(Hg.): Spielarten des Neoliberalismus. Hamburg.
Smith, Anthony D. (1983): State and nation in the Third World. The Western state and African nationalism. Brighton, Sussex: Wheatsheaf Books.
Ullrich, Carsten G. (2005): Soziologie des Wohlfahrtsstaates. Eine Einführung. Frankfurt am Main: Campus (Campus Studium).
Wallerstein, Immanuel (1979): Aufstieg und künftiger Niedergang des kapitalistischen Weltsystems. Zur Grundlegung vergleichender Analyse. In: Dieter Senghaas (Hg.): Kapitalistische
Weltökonomie. Kontroversen über ihren Ursprung und ihre Entwicklungsdynamik. Erstausg., 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 980), S. 31–67.
Seminar: Soziologische Analyse der Globalisierung und Transnationalisierung
Dozentin: Dr. phil. Glaucia Peres da Silva
Student: Fabian Wiechert ([email protected])
06/2016