48 Gastkommentar DIENSTAG, 19. JULI 2016, NR. 137 Das britische Kabinett ist eine Falle für Minister wie Boris Johnson, wittert Denis MacShane. Theresa und die drei Musketiere M it Boris Johnson, David Davis und Liam Fox hat die britische Premierministerin Theresa May drei Männer in hohe Regierungsposten ernannt, die weithin eher als ihre innerparteilichen Erzfeinde angesehen wurden. Dass sie diese drei zum Kern ihres Regierungsteams gemacht hat, stellt beträchtliches Selbstvertrauen unter Beweis. Sie ist offensichtlich bereit, Parteikollegen, die in ihrer politischen Karriere auf die eine oder andere Weise schon mehrfach persönlichen Schiffbruch erlitten hatten, eine zweite und sogar dritte Chance einzuräumen. Doch der neue Außenminister, der Brexit-Minister und der Handelsminister – Theresa Mays drei Musketiere – wären gut beraten, klipp und klar zu verstehen: Die Chefin der britischen Politik könnte ihnen eine Falle gestellt haben, der nur schwer zu entkommen ist. Die drei sind fortan qua Amt gezwungen, nicht mehr heroische Reden zu schwingen, sondern zu liefern. Sie müssen: – die EU davon überzeugen, dass das Vereinigte Königreich vollen Zugang zum Binnenmarkt behalten soll; – ein Volumen von 120 Milliarden US-Dollar an Euro-Trades und Clearing in London halten; – ihr Land dazu bewegen, EU-Verträge wie etwa jene zur Freizügigkeit der Bürger aufzukündigen. Jeder Regierungschef in der EU hat klipp und klar gesagt, dass London keine Rosinenpickerei betreiben kann. Man male sich nur aus, wie effektiv der neue britische Außenminister Boris Johnson Frau Merkel, Herrn Schäuble und Steinmeier gegenüber auftreten mag, wenn man bedenkt, dass er in seiner Churchill-Biografie von einer „Gestapo-kontrollierten Nazi-EU“ schrieb. Das war ja kein einmaliger Ausrutscher. Johnson begann seine Brexit-Kampagne, indem er sagte, dass die EU eine Hitler-Schöpfung war. Des Weiteren bestand er auf einer der großen Lügen der Leave-Kampagne, nämlich dass ein Eintritt der Türkei mit ihren 75 Millionen Bürgern in die EU unmittelbar bevorstehe und für London nicht zu verhindern sei. Um diese Menschenmassen von den Kreidefelsen von Dover fernzuhalten, bedürfe es des Brexits. Bei dem Hinweis, dass Großbritannien ebenso wie jeder andere der 27 anderen Mitgliedstaaten ein Veto gegen den Beitritt der Türkei zur EU einlegen könne, winkte Johnson rigoros ab. Da entbehrt es nicht der Ironie, dass ausgerechnet dieser Mann jetzt für die Beziehungen zur Türkei zuständig ist. Es wird Johnson nicht helfen, dass er – ganz wie Jan Böhmermann – ein „witziges“ Gedicht über Präsident Erdogan verfasst hat, das von Sex und einer Ziege handelt. Boris Johnsons wohl nächste Aufgabe als Außenminister wird es sein, nach Washington zu reisen, um London weiter des amerikanischen Rückhalts zu versichern. Da kommt es eher ungelegen, dass Johnson während der Brexit-Kampagne eine sehr prägnante Erklärung für den offensichtlich unwillkommenen Rat von Präsident Barack Obama hatte, Großbritannien sei besser bedient, in der EU zu verbleiben. Johnson führte dies unzweideutig auf die kenianische Abstammung Obamas zurück. In dessen Kopf grassiere offenbar ein mit seiner Abstammung verbundenes Ressentiment gegen das Vereinigte Königreich, Kenias einstige koloniale Vormacht. Unter solchen Vorzeichen muss man mit den hochintelligenten Beamten des britischen Au- Der Schachzug Neros, sein Pferd (!) in ein hohes Staatsamt zu hieven, trägt ganz eindeutig BorisJohnsonhafte Züge. ßenministeriums Mitleid haben. Sie müssen versucht sein, zu glauben, dass sie in einer neuen Römerzeit leben. Der Schachzug Neros, sein Pferd (!) in ein hohes Staatsamt zu hieven, trägt zweifellos Boris-Johnson-hafte Züge. Bei aller geistigen Brillanz, das völlige Unvermögen Johnsons zur Selbstbeherrschung wiegt schwer. Politik ist eben nicht nur ein zirkusähnliches Spektakel, das zur Selbstbelustigung und der Unterhaltung des Volkes dient. Dass er und seine Brexit- Kameraden die Abstimmung auf der Grundlage von massiven Lügen, wie man sie seit den 30er-Jahren nicht mehr gehört hat, gewannen, hilft ihnen bei ihren Aufgaben nicht weiter. Vielmehr könnte es ihnen zum Verhängnis werden. Wenn die drei Männer dabei scheitern, das Plebiszit in die Realität umzusetzen, kann Theresa May vor die Briten treten, ganz unschuldig ihre Hand aufs Herz legen und sagen: „Ich habe versucht, unter Respektierung des Volkswillens den Antieuropäern die Aufgabe des EU-Exits zur Exekution zu übertragen. Die drei waren leider nicht fähig, diese Aufgabe umzusetzen. Jetzt brauchen wir ein Umdenken.“ Das könnte ihr bei der Einfädelung des Wahlkampfs 2020 helfen. In Anbetracht all dessen hat es ganz den Anschein, als habe May Johnson, Davis und Fox nicht aus Großzügigkeit berufen, sondern aus einer eher machiavellistischen Motivation heraus: Aller Voraussicht nach sind die drei Musketiere zum Scheitern verurteilt – und werden dann politisch endgültig erledigt sein. Der Autor war Europa-Minister in der Regierung Tony Blair. Sie erreichen ihn unter: [email protected] Anzeige © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected].
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