www.mediaculture-online.de Autor/en: Zapf, Holger. Titel: Computerspiele als Massenmedien. Simulation, Interaktivität und Unterhaltung aus medientheoretischer Perspektive. Quelle: Bevc, Tobias / Zapf, Holger (Hrsg.): Wie wir spielen, was wir werden. Computerspiele in unserer Gesellschaft. Konstanz 2009, S. 11 – 25. Verlag: UVK Verlagsgesellschaft mbH. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Die Zahlen in eckigen Klammern kennzeichnen das Seitenende der Originalausgabe. Holger Zapf Computerspiele als Massenmedien. Simulation, Interaktivität und Unterhaltung aus medientheoretischer Perspektive Die gesellschaftliche Bedeutung von Computerspielen aus medientheoretischer Perspektive Computerspiele, so hört man allenthalben, sind zum neuen Leitmedium geworden. Man mag von dieser vagen Aussage halten, was man will, sicher ist, dass sie neben den anderen Massenmedien einen festen Platz in der alltäglichen Kultur erobert haben und eine Vielzahl von Menschen erreichen können. Was aber sind eigentlich die «anderen Massenmedien»? Neben Presse, Radio und Fernsehen fallen hierunter auch gedruckte Bücher, das Internet oder das Kino. Diese Medien beeinflussen – nicht nur durch die Übermittlung von Nachrichten – unser gesamtes Weltverständnis. Deshalb haben sie zahllose empirische Untersuchungen und Theorien provoziert, die sich von der Wirkung eines einzelnen Werkes über die Spezifika eines Genres bis hin zum Funktionsmodus eines ganzen Mediums mit allen Facetten ihrer Untersuchungs gegenstände befasst haben. Und so rücken auch die Inhalte, die gesellschaftliche Bedeutung populärer Genres sowie die Funktionsweise des Massenmediums Computerspiel als solchem in letzter Zeit verstärkt in das Zentrum wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Dabei interessieren sich nicht nur Medienwissenschaftler für Computerspiele als Massenmedien, auch Philosophen, Pädagogen, Soziologen, Politologen und Literaturwissenschaftler schenken diesem neuen Leitmedium verstärkt Beachtung. Die Breite des Interesses ist bedingt durch die Tatsache, dass die genannten Wissenschaften sich im Zuge einer Neuorientierung (dem «cultural turn») wieder verstärkt kulturellen Phänomenen zuwenden, zu denen zweifelsohne auch das Computerspiel 1 www.mediaculture-online.de zählt. Kurz: In all diesen Disziplinen geht es darum, die gesellschaftliche Tragweite kultureller Phänomene zu bestimmen, zu denen ohne Frage auch das Computerspiel als Unterhaltungsmedium zählt. Ein explizit medientheoretischer Zugang wird dabei jedoch eher selten vertreten. Während die empirische Medienwissenschaft Computerspiele relativ problemlos als Medien unter ihren Gegenstandsbereich subsumieren kann, gibt es literatur- und kulturwissenschaftliche Ansätze, die diesen Aspekt nur nachrangig berücksichtigen. Die Narratologie betrachtet Computerspiele vor allem als Erzählungen, die Ludologie sieht in ihnen eine besondere Art von Spielen (vgl. hierzu die Beiträge von Kücklich und Weiß im vorliegenden Band). Dadurch werden jedoch bereits methodische Vorentscheidungen getroffen, die immer wieder zu hitzigen Diskussionen und Auseinandersetzungen geführt haben. Der Versuch, Computerspiele einfach als Medien aufzufassen, spart [11] diese methodischen Vorentscheidungen aus, behält dafür aber die gesellschaftliche Relevanz des Mediums im Blick. Dabei wird davon ausgegangen, dass 1. massenmediale Kommunikation die Gesellschaft beeinflusst, indem sie Möglich keiten zur Interaktion und Informationen bereitstellt (vgl. Hunziker 1996: 98, 102) und dass 2. die Form oder Materialität des Mediums bereits mitbestimmt, welche Inhalte kommuniziert werden können (McLuhan 1966: 8-9). Diese sehr allgemeinen Überlegungen schränken die Reichweite medientheoretischer Aussagen zwar ein, erlauben es aber andererseits auch, sehr grundsätzliche Reflexionen über das Verhältnis von Computerspiel und Gesellschaft anzustellen. An dieser Stelle gilt es, eine kleine Warnung voranzuschicken: Die Betrachtung von Medien als kulturelle Größe lässt einer gesellschaftswissenschaftlich interessierten Medientheorie nicht immer Raum für jene wissenschaftliche Distanz, die wissenschaftliche Arbeit sonst auszeichnen mag. Vielmehr gilt hier: Es fallen Medientheorie, Gesellschaftskritik und Gegenwartsdiagnose in eins, so dass jedes Medium als das spezifische Symptom einer Kultur oder einer Gesellschaft gelten kann. Das Medium wird dann oftmals sogar zur – für verschiedene Deutungen offenen – Metapher bei der Beschreibung der Gesellschaft. Seinem Kommunikationsmodus wird unterstellt, dass er Denken und Wahrnehmung der Individuen grundlegend verändert (so bspw. bei McLuhan 1966: 172). Hierzu zählt z. B. auch Neil Postmans These, dass die Guckguck-Welt des Fernsehens die Fähigkeit zu rationaler Argumentation zunehmend untergräbt (Postman 2006). Diese Art von «Medienontologie» – zu ihren Vertretern zählen u. a. Friedrich Kittler, Vilém Flusser oder Jean Baudrillard – besteht oftmals aus empirisch nicht belegten Behauptungen, deren Plausibilität mit Hilfe rhetorischer Mittel erzeugt wird. Um jedes Missverständnis auszuräumen, sei hier ausdrücklich festgehalten, dass diese Art von theoretischer Beschreibung meist nicht den gängigen Kriterien von Wissenschaftlichkeit genügt, sondern eher als versuchsweise Reflexion über Medien, Menschen, Politik und Gesellschaft zu verstehen ist (vgl. hierzu auch Leschke 2003: 293-295). Da diese Deutungen hochgradig normativ aufgeladen sind, beziehen solche Medientheorien Positionen, die kaum je im Sinne empirischer Forschung objektiv, dafür aber vor allem kontrovers sind. Denn sie sollen ja vor allem 2 www.mediaculture-online.de eines: Zum Nachdenken über die Lage der gegenwärtigen Gesellschaft anregen und durch das Aufstellen von Hypothesen Orientierung ermöglichen. Wenn Gesellschaften in der Lage sind, über ihre eigenen Kommunikationsweisen zu reflektieren, scheint angesichts neuer kultureller Phänomene der Orientierungsbedarf besonders groß zu sein. Dementsprechend gibt es auch für die Auseinandersetzung mit Computerspielen als Medien zahlreiche Ansätze (vgl. hierzu u. a. die Sammel bände von Wolf/Perron 2003, Raessens/Goldstein 2005, Bevc 2007). Durch die Vielfalt an möglichen Anknüpfungspunkten in Philosophie, Medientheorie, Kommunikationswissenschaft usw. ergibt sich so insgesamt ein äußerst heterogenes, vielfach gebrochenes und so mitunter auch verwirrendes Bild auf das Massenmedium Computerspiel. Da es kaum gelingen kann, diesen Dschungel theoretischer Perspektiven in diesem Aufsatz zu referieren, noch auch es möglich ist, ihn in diesem Rahmen umfassend systematisierend darzustellen, sollen im Folgenden stattdessen einige wesentliche Überlegungen in den [12] Mittelpunkt gestellt werden. Im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Bedeutung sind insgesamt in Bezug auf alle Massenmedien vor allem die folgenden Aspekte relevant: ––Welche Inhalte können transportiert werden bzw. werden transportiert? ––Auf welche Weise erfolgt die Kommunikation? ––Liegt emanzipatorisches, subversives oder affirmatives (das Bestehende bestätigendes) Potential in der Kommunikationsweise der Medien? Für weiterführende Diskussionen vor allem der ersten und der letzten Frage sei an dieser Stelle auf andere Beiträge in diesem Band verwiesen, eine umfassende Würdigung dieser Fragestellung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen (vgl. zur Frage nach den Inhalten die vorliegenden Beiträge von Klimmt und exemplarisch Grapenthin; zur Frage nach dem gesellschaftlichen Potential die Beiträge von Fromme und Bevc). Für die hier verfolgte Fragestellung interessiert vor allem das «Wie?» der Kommunikation und allenfalls im Anschluss daran die Frage nach Inhalten und gesellschaftlichem Potential. Computerspiele als Unterhaltungsmedium: Fiktionen und Identi täten Wenn Computerspiele als Medien aufgefasst werden können, dann ist damit noch nicht viel gewonnen – kann mit Medium doch vielerlei bezeichnet werden. Es ist darum nötig, weiter zu differenzieren. Im Folgenden sollen Computerspiele als Unterhaltungsmedien angesprochen werden. Das entspricht dem Modus ihrer Nutzung und Rezeption (als Als-ob-Welten überschneiden sie sich darin mit dem zentralen Definitionskriterium des Spiels; vgl. Dörner 2001: 60-6 1). Es können dann zwar durchaus Unterschiede zu klassischen Unterhaltungsmedien angegeben werden (Frasca 2003: 223-224). Doch wenn man sich auf entsprechende Genres bei den Computerspielen 3 www.mediaculture-online.de beschränkt (also vor allem abstrakte unterhaltende Spiele wie Tetris, Suchspiele oder für den Computer adaptierte Brettspiele ausklammert), besteht zunächst einmal eine wichtige Gemeinsamkeit: Sie ermöglichen das Erproben und Nachvollziehen von (auch fiktiven) sozialen Rollen und Identitäten und den mit ihnen verbundenen Handlungs- und Erlebensweisen. Das gilt für Simulationsspiele im weitesten Sinn – vom Flugsimulator über das Adventure bis hin zum Rollenspiel oder der Wirtschaftssimulation (Grodal 2003: 142). Das Computerspiel als Unterhaltungsmedium ist der verstetigte Konjunktiv des «was-wäre-wenn …?», da in ihm Zusammenhänge simuliert werden, die mehr oder weniger auf die Realität übertragbar sind. Da es sich nur um ein Spiel handelt, kann damit gerechnet werden, dass diese simulierten Zusammenhänge vorbehaltlos angenommen und kaum kritisch hinterfragt werden (vgl. für dieses Problem in Unterhaltungsmedien Dörner 2001: 62, 240-24 1). Man kann darum annehmen, dass eine Übertragung dieser Zusammenhänge auf die Realität tatsächlich stattfindet, wie es auch empirische Untersuchungen nahelegen (vgl. hierzu im vorliegenden Band den Beitrag von Klimmt). Es ist also keineswegs so, dass nur Informationsmedien, die die Realität abbilden oder zumindest verzerrt wiedergeben, von Bedeutung für eine Gesellschaft sind (Hunziker [13] 1996: 49-67). Vielmehr spielt es für die gesellschaftliche Bedeutung eines Mediums zunächst einmal keine Rolle, ob inhaltlich ein Bezug auf die Wirklichkeit vorliegt oder ob fiktive Gehalte im Mittelpunkt stehen. Tatsächlich besteht gerade durch die mögliche Unterscheidung von Fiktion und Faktum ein erweiterter Anwendungs bereich alles Fiktionalen – der Rezipient kann selbst entscheiden, in wie weit er das in der Fiktion erfahrene auf die Wirklichkeit überträgt. Ihm werden Geschichten erzählt und Identitäten angeboten, «die, obwohl fiktiv, dem Leser doch Rückschlüsse auf die ihm bekannte Welt und auf sein eigenes Leben ermöglichen; aber Rückschlüsse, die ihm, eben weil es sich um fiktionales Geschehen handelt, freigestellt sind.» (Luhmann 2004: 104). Ebenso wie der Roman kann deshalb auch das Computerspiel als gesellschaftlich relevantes Medium untersucht werden, vielleicht kann man in ihm sogar eine Fortsetzung dessen sehen, was der Roman bereithält: Denn bereits im 18. Jahrhundert lässt sich die Form des Romans als ein Spiel von Identitäten ansehen, die dem Rezipienten angeboten und vorgeführt werden. Das ist aus gesellschaftlicher Perspektive jedoch nicht voraussetzungslos: «Die Kunstform des Romans und daraus abgeleitete fiktionale Formen der spannenden Unterhaltung rechnen mit Individuen, die ihre Identität nicht mehr aus ihrer Herkunft beziehen, sondern sie selber gestalten müssen. […] Es liegt dann verführerisch nahe, virtuelle Realitäten an sich selber auszuprobieren – zumindest in einer Imagination, die man jederzeit abbrechen kann.« (Luhmann 2004: 111) Teilt man diese Annahme und geht davon aus, dass «Bastelidentitäten» (Jürgen Habermas) ein typisches Phänomen der Gegenwart sind, so wird man die jubilatorische Aufnahme, die die virtuellen Realitäten von Second Life & co. eine Zeit lang in manchen Feuilletons erfuhren, doch deutlich relativieren müssen. Neu ist hier gerade nicht die Möglichkeit, sich eine andere Identität zuzulegen und sie in einer «virtuel4 www.mediaculture-online.de len Realität» ausprobieren zu können. Denn selbst wenn man in eine fremde Rolle schlüpft, so bleibt das Erleben doch vermittelt (also eben: medial), der Körper hat auch in der virtuellen Realität der Bildschirmwelten keinen Teil daran – ebensowenig wie in Roman und Film. Überhaupt sei an dieser Stelle angemerkt, dass der Begriff der virtuellen Realität keineswegs allein auf das beschränkt ist, was uns auf der Oberfläche unserer Computerbildschirme begegnet. Vielmehr handelt es sich dabei grundsätzlich um jede Form einer «möglichen Wirklichkeit», der Begriff beruht also auf der Unterscheidung von virtualiter (möglich) und actualiter (tatsächlich). Was ist dann aber das Eigentümliche der Computerspiele gegenüber der Gattung des Romans? Von den Parallelen aus – dem spielerisch-unterhaltsamen Nachvollziehen fiktiver Identitäten und Geschichten, die in eine virtuelle Realität eingebettet sind – lassen sich die wesentlichen Unterschiede zu klassischen Unterhaltungsmedien herausarbeiten. Wir können zwei oder drei Eigenarten feststellen. Zum einen läuft die Kommunikation in Spielen im Wesentlichen audio-visuell ab. Das haben sie mit dem großen Nachfolger des Romans im Bereich der Unterhaltung gemeinsam: dem Film. Zum anderen aber unterscheiden sie sich von diesem und vom Roman dadurch, dass Interaktion möglich und sogar notwendig ist. Durch die ununterbrochene Interaktion mit dem Medium kann es jedoch auch sein, dass eine reflektierte Beobachtung der übernommenen Identität kaum noch möglich ist, da die Aufmerksamkeit eben auf die Interaktion gerichtet [14] ist (vgl. auch Zapf 2007: 107). Für eine Reflexion über die Bedeutung dessen, was man da gerade in der Rolle von jemandem macht, bleibt dann keine Zeit – obwohl gerade dieser Aspekt gesellschaftlich von Bedeutung wäre. Während man den Roman in jedem Augenblick sinken lassen kann, um sich zu fragen: «Was bedeutet das für mich?» lässt das Spiel keine Möglichkeit, um so eine Frage zu stellen. Schließlich besteht der dritte Unterschied in der Nicht-Linearität der Handlung oder ihrer relativen Unbestimmtheit (so z. B. bei Grand Theft Auto III, 2001). Dieser Unterschied ist jedoch nicht notwendig gegeben. Zum einen gibt es Spiele, die sich stärker einem linearen Erzählverlauf annähern (und selbst wenn sie nicht-linear sind, wo werden sie im Spiel doch zunächst linear erlebt; vgl. Grodal 2003: 146), zum anderen können auch andere mediale Formate eine lineare Handlung unterlaufen. Typischerweise sind es der Comic oder die Serie, deren Protagonisten sich durch die Handlung letztlich nie verändern – Superman wird Lois Lane nie tatsächlich heiraten, auch wenn das «was-wäre-wenn»-Szenario sich durchspielen lässt. Die dargestellte Identität bleibt die gleiche, sie muss sich jedoch immer wieder mit unterschiedlichen Situationen auseinandersetzen (Eco 1984: 201-204). Auch hier gibt es also die Möglichkeit zum Experimentieren mit der Identität und mit den für den Avatar getroffenen Entscheidungen, zu der bei Computerspielen neben der Nicht-Linearität und Unbestimmtheit der Handlung meistens auch die gefahrlose Wiederholbarkeit (durch vorheriges Abspeichern) einlädt. Gewichtiger sind bei der Unterscheidung zu anderen Medien aus dieser Perspektive damit die ersten beiden Aspekte: die Kommunikation mit Hilfe von simulierten Bildern und die ständige Interaktivität. Zwar kann man der Vollständigkeit halber festhalten, 5 www.mediaculture-online.de Abb. 1: Ein Beispiel für Nichtlinearität in Grand Theft Auto III. dass keineswegs alle Computerspiele den aus Film und Fernsehen bekannten audiovisuellen Kommunikationsmodus übernehmen, doch wird man zugeben müssen, dass der [15] Großteil der erfolgreichen Spiele diese Art, mit dem Rezipienten zu kommunizieren, aufnimmt. Neben dem Photorealismus des Spielfilms können dabei freilich auch andere Genres, vor allem aus dem Bereich des Comics, als Vorlage für das Bilddesign dienen. Der oftmals in Anschlag gebrachte Begriff des Photorealismus ist insofern unglücklich gewählt (wenn er nicht genau diesen Photorealismus bezeichnen soll). Günstiger scheint es, bei der Anlehnung an aus Film und Fernsehen bekannte Wahrnehmungsformen von der Adaption eines «mittelbaren Wahrnehmungskontinuums» zu sprechen (s. u.). In jedem Fall liegt es nahe, dass Computerspiele aus medientheoretischer Perspektive als Film und Fernsehen verwandt angesehen werden: Auch sie kommunizieren audiovisuell, wobei der visuelle Anteil der Kommunikation im Vordergrund steht und vorrangig durch Bilder geleistet wird, die keine Wirklichkeit mehr repräsentieren, sondern diese simulieren. So banal diese Überlegung im ersten Moment erscheinen mag – sie ist nichts weniger als das, doch dazu später. Für den Augenblick genügt es festzuhalten, dass bewegte simulierte Bilder bei der Kommunikation im Computerspiel eine zentrale Rolle spielen. Theorien der visuellen Kommunikation und der Massenmedialität stellen darum einerseits ein breites Set an Überlegungen für den medientheoretischen Umgang mit Computerspielen bereit, werden zugleich aber durch diese neue Form und die Vielfalt ihrer Genres sowie die Darstellungsweise der unterhaltenden virtuellen Realität vor neue Herausforderungen gestellt. Schließlich weisen Computerspiele durch ihre Interaktivität und durch die immer perfektere Simulation einer Umwelt, die zunehmend die Körperlichkeit des Mediennutzers einbezieht, bisher ungekannte Eigenschaften auf (vgl. Lahti 2003: 163). Es ist gerade die Interaktivität im Rahmen einer virtuellen Realität, die es überhaupt möglich macht, von Spielen zu sprechen, kann doch das Spiel definiert werden als «freiwillige 6 www.mediaculture-online.de Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‹Andersseins› als das ‹gewöhnliche Leben›.» (Huizinga: 1991, S. 37) Spielen ist also eine Form des Tätigseins, die ihren Ausdruck in der Interaktivität findet und außerhalb des gewöhnlichen Lebens in einer fiktiven Welt stattfindet. Das Computerspielen ermöglicht es insofern auch, diese Umwelt auszublenden. Diese Erfahrung wird oftmals verstärkt durch eine Plausibilität, die vor allem durch realistische Bilder geschaffen wird und mit zunehmender Detailtreue das tiefere Eintauchen in die virtuelle Realität ermöglicht. Speziell für Computerspiele kommen darum insgesamt zu der oben aufgeführten Forschungsagenda die folgenden Punkte hinzu: ––Welche Möglichkeiten der Interaktion gibt es in Computerspielen, und wie wirkt sich die Interaktion auf das Erleben der Kommunikation aus, vor allem im Unterschied zu anderen Massenmedien? ––Welche Möglichkeiten eröffnet dabei die virtuelle Realität der unterhaltenden Spielwelt für die Erprobung von sozialen Rollen und Identitäten und ––welche Rolle spielen im Kommunikationsprozess die simulierten und oftmals photorealistischen Bilder? [16] Simulation, Interaktion und Identitäten in der virtuellen Realität Visuelle Kommunikation und simulierte Bilder in der virtuellen Realität Beginnen wir bei der Beantwortung dieser Fragen mit dem letzten Aspekt. Im Rahmen dieses Aufsatzes können lediglich einige Aspekte herausgegriffen werden, zu deren Reflexion die Bildtheorie einlädt. Zunächst einmal: Bilder sind nicht gleich Bilder – und der Graben, der die Höhlenmalerei und das klassische Gemälde trennt, wird keinesfalls schmäler, wenn man von der Photographie zum Simulationsbild übergeht. Man muss den banalen Umstand festhalten, dass die Bilder, mit denen wir in Massenmedien konfrontiert sind, zumeist Darstellungen von etwas sind und auf diese Weise bereits über die bloße Funktion der Repräsentation hinaus auch die Wirklichkeit des Repräsentierten implizieren. Anders bei Simulationsbildern: Zwar kann es auch hier einen Bezug auf die Wirklichkeit geben, der durch das Zugrundelegen eines Modells vermittelt wird, das festlegt, was wirklichkeitsnah simuliert wird. Zugleich jedoch gibt es keinen Bezug zur Realität wie bei der Photographie, die als Botschaft ständig das So-gewesen-Sein mittransportiert (Barthes 1989: 12f). Angesichts der Vielfalt an Computerspiel-Genres lassen sich nun jedoch nicht ohne weiteres generalisierende Aussagen über die Bildkommunikation in Computerspielen treffen. Wolf unterscheidet 42 mögliche Genrezuordnungen, die sich zum Teil stark überschneiden (Wolf 2005: 195). Eine Unterscheidung liegt jedoch sogleich nahe: Einerseits gibt es Spiele, bei denen der Bildhaftigkeit der Kommunikation nur geringe 7 www.mediaculture-online.de Bedeutung zukommt, da ihre Graphik lediglich abstrakte Darstellungen generiert (Wolf 2005: 194; zu textbasierten Spielen vgl. den Beitrag von Kücklich im vorliegenden Band). Diese abstrakten Darstellungen haben offensichtlich eher Signalfunktion und sind nicht mit der Bedeutungsvielfalt ausgestattet, die Bildern sonst im engeren Sinne zukommt (Hofmann 2005: 15-18). Dementsprechend kann man sagen: Je ab strakter ein simuliertes Bild, um so geringer ist seine Vieldeutigkeit – bis es schließlich nur noch ein Signal ist, und dann vollzieht sich Kommunikation über Signale, deren Kennzeichen ist, dass sie nicht interpretiert, sondern lediglich decodiert werden müssen. Auf der anderen Seite – am anderen Ende der Skala – gibt es Spiele, die das Wahrnehmungskontinuum dessen, was wir als Realität bezeichnen, so gut wie möglich imitieren. Dass auch hier Abstraktion mit im Spiel ist, liegt auf der Hand (Wolf 2003: 62-64) – denn zum einen wäre die Simulation der Wirklichkeit ausgesprochen komplex (nicht alle Informationen des Wahrnehmungskontinuums können auch simuliert werden), zum anderen ermöglichen Abstraktionen stilistische Eingriffe in die Darstellung, die ein strikter Realismus nicht zulassen würde. Dennoch gibt es eine Tendenz, Computerspielbilder möglichst natürlich, plausibel und authentisch – eben wirklichkeitsnah – zu gestalten (Wolf 2003: 59). Das beginnt bei der Annäherung an photorealistische Darstellung und endet bei dem Versuch, die Immersion, also das Eintauchen in die virtuelle Realität, physisch durch das Hinzufügen weiterer Sinnes eindrücke zu perfektionieren. [17] Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass Bilder zwar prinzipiell vieldeutig sind, simulierte Bilder ihre Vieldeutigkeit jedoch größtenteils einbüßen. Das resultiert einerseits daraus, dass sie die Frage, wie sie sich zur Realität verhalten, als simulierte und nicht repräsentierende Bilder (Frasca 2003: 224) nicht zulassen; dann aber auch daraus, dass sie in erster Linie der Wiedergabe der für den Spielablauf wesentlichen Informationen dienen. Was außerhalb davon auftaucht, ist entweder Ornament oder augenzwinkernde, komplizenhafte Irritation – aber nie ein verstörender Aspekt, der seinen Schrecken in Photographie und Film aus dem Umstand erhält, dass er die Wirklichkeit abbildet oder zumindest vorgibt, es zu tun. Damit operiert die Bildkommunikation im Computerspiel in einem Modus, der die Rhetorik des Bildes instrumentalisiert, ohne ihren subtilen Nuancen Raum zu geben. Während Malerei und Photographie zur Interpretation einladen oder zum Schaudern Anlass geben, ist das simulierte Bild letztlich nur ein (Kommunikations-)Signal. Damit entpuppt sich die Unterscheidung zwischen abstrakten Computerspielen und solchen, die auf photo realistische Bilder zurückgreifen, als eine relativ oberflächliche Unterscheidung, die sich nicht deutlich im Kommunikationsmodus des Mediums niederschlägt. Das bedeutet aber auch, dass der latente Manipulationsverdacht, den z. B. Fernseh bilder in Nachrichtensendungen ständig wachhalten – nämlich möglicherweise nur einen Teil der Wirklichkeit abzubilden, da z. B. mächtige Interessen im Hintergrund stehen (Luhmann 2004: 80) –, keinen Platz in der Bildkommunikation des Computer spiels hat, selbst wenn hier mit photorealistischen Bildern gearbeitet wird. Die simulierten Bilder geben ja überhaupt nicht vor, das «So-gewesen-Sein» zu repräsentieren, 8 www.mediaculture-online.de im äußersten Fall drückt ihr Photorealismus lediglich aus: Es könnte vielleicht so ähnlich (gewesen) sein. Auf diese Weise wird der Rezipient von der Wahrheitsfrage völlig entlastet, was sicher auch einen Reiz des Mediums ausmacht. Wie im Roman geht es bei dieser Art «realistischer» Spiele um Mögliches, nicht um Wirkliches – und das wird durch alle dabei in Anschlag gebrachten Plausibilitäts- und Realitätseffekte keineswegs negiert, sondern unterstrichen. Dabei darf freilich nicht vergessen werden, dass die Fiktion unseren Blick auf die Wirklichkeit in nicht geringem Maße beeinflusst. Die extreme Karikatur dieses Zusammenhanges für den Bereich des Romans ist Don Quijote, der sich nach der Lektüre zu vieler Ritterromane schließlich selbst für einen Ritter hält; es bleibt zunächst der Phantasie des Einzelnen überlassen, wie diese extreme Karikatur analog im Bereich des Computerspiels aussehen könnte (vgl. Zapf 2007: 109). Es scheint jedenfalls zunehmend schwieriger zu sein, programmierte Simulationen von dem zu unterscheiden, was sich in der Realität abspielt – nicht etwa, weil einem nicht klar würde, dass die Simulation eben nicht wirklich ist, sondern weil die Zusammenhänge, die sie aufscheinen lässt, unhinterfragt auf die Realität übertragen werden können. So mag es einer Sim-City-Spielerin ganz plausibel erscheinen, dass hohe Steuern die Wahrscheinlichkeit von Unruhen durch unzufriedene Bürger erhöhen, und sie kann diese Aussage treffen, ohne zwischen spielerischer Simulation und sozialer Realität zu unterscheiden (Turkle 2005: 269). Aus diesem Grund schlägt Sherry Turkle interessanter Weise vor, dass es Simulationsspiele geben sollte, die den Spieler lehren, Simulationen von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Gewiss ist ein erzählerischer Perspektiv- [18] wechsel zwischen virtueller und aktueller Realität innerhalb eines Spieles denkbar, doch wie simuliert man das Tatsächliche? Die Grenzen des Mediums Computerspiel lassen sich nicht so ohne Weiteres auf die Wirklichkeit hin überschreiten. Die Frage nach der Wirklichkeitsnähe von Fiktion stellt sich eben nicht, solange die Fiktion erfolgreich der Unterhaltung dient. Dargestellte Zusammenhänge müssen dann nicht hinterfragt werden, sie müssen nur ausreichend durchschaubar sein, um zum Erfolg des Spielers (und also: zu seiner Unterhaltung) beizutragen. Immersion, «virtuelle» Realität und massenmediale Überkreuzungen Im Hinblick auf die anderen vorwiegend visuell kommunizierenden Massenmedien ist also vor allem von Bedeutung, dass die Bildkommunikation im Computerspiel kaum je die Frage nach der «Bedeutung» der Bilder, die zur Kommunikation benutzt werden, aufwirft. Diese steht meist schon fest oder aber das Kommunizierte verlangt überhaupt kein Verstehen (Turkle 2005: 270). Insofern liegt hier ein Kommunikationsmodus vor, der nur noch reaktives Antworten auf das Kommunizierte erlaubt, jedoch weder Interpretation noch Reflexion. Damit ist er genau komplementär zu dem, was massenmediale Bildkommunikation dem Rezipienten sonst zumeist zumutet, nämlich 9 www.mediaculture-online.de ständig Wirklichkeit prätendierende Bilder wachsam und kritisch beobachten zu müssen und zugleich mit Informationen bombardiert zu werden, die nur in seltenen Fällen Handlungsrelevanz haben und überhaupt keine Antwort zulassen (vgl. Zapf 2007: 102103). In Computerspielen wird dieses Verhältnis komplett umgedreht: Informationen werden übermittelt durch Bilder, die von der Wirklichkeit definitiv losgelöst und lediglich simuliert sind, und die Handlungsrelevanz dieser Information ist hochgradig gegeben, da ohne Reaktion das Spiel abbrechen würde. Selbst komplexe Simulationen bleiben so letztlich in jenem signalhaften Modus verhaftet, den abstrakte Spiele wie Tetris in Reinform verkörpern – nur dass es hier eine ganze Geschichte gibt, die durch die Reaktionen fortgesponnen wird (vgl. hierzu den Beitrag von Kücklich im vorliegenden Band). Durch die signalhafte Kommunikation durch zum Teil realistisch wirkende Bilder und das ständige Reagieren auf diese Signale wird es möglich, in die Spielwelt weitgehend einzutauchen. Dieses Eintauchen in die virtuelle Realität des Spiels wird als Immer sion bezeichnet. Indem die Interaktivität die Aufmerksamkeit bindet und dadurch die Kommunikation mit Hilfe simulierter Bilder, die von der Wirklichkeit abgeschnitten und somit interpretationsarm sind, ständig neue Reaktionsmöglichkeiten geschaffen werden, wird der Spieler mit zunehmender Intensität in die virtuelle Realität hineingezogen. Die Interaktivität verstärkt also die Immersion (Grodal 2003: 142). Obwohl die simulierten Bilder im Prinzip unendliche Möglichkeiten eröffnen, wird zumeist Bezug genommen auf Bekanntes, und diese Bezugnahme der simulierten Spielwelten auf die Realität ist gewissermaßen doppelt unterscheidbar: Einerseits kann sich der «Realismus» auf die Wahrnehmung beziehen – dann stellt er möglichst naturgetreu nach, was tatsächlich (materiell) zu sehen wäre, etwa durch 3D-Graphik (Lahti 2003: 159161). So wie es ein solches unmittelbares Wahrnehmungskontinuum gibt, [19] existiert auch ein mittelbares Wahrnehmungskontinuum, das uns vor allem durch Kino und Fernsehen vertraut ist. Hier sind die Sinne nicht auf die Umwelt, sondern auf ein Medium gerichtet. Dieses mittelbare Wahrnehmungskontinuum unterscheidet sich kaum von der Art und Weise, in der die reale Welt erfahren wird, insofern es ständig weiter nach vorne strebt und nicht – wie die Photographie – bei einem Zeitpunkt verweilt (Barther 1989: 100). Zugleich entnehmen wir ihm jedoch viele Informationen, die wir aus der unmittelbaren Lebenswelt nicht zur Verfügung hätten. Diesem mittelbaren Wahrnehmungskontinuum verdanken wir darum z. B. unser Wissen, wie es «realistisch» aussehen könnte, wenn jemand von einer Kugel getroffen wird usw. Manches ist uns also aus unmittelbarer Anschauung bekannt, anderes aber je nach lebensweltlichem Hintergrund eben doch nur aus den Medien. Andererseits kann diesem Aspekt des perzeptiven Realismus (perceptive realism) der social realism – der gesellschaftliche Realismus – gegenübergestellt werden (McMahan 2002: 75). Damit ist gemeint, dass im Spiel Ereignisse und Verhältnisse reproduziert werden, die aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit bekannt sind. Dabei kann wiederum ein Bezug auf Kenntnisse oder Vorstellungen, die aus den Medien herrühren, oder aber der un- 10 www.mediaculture-online.de mittelbaren Lebenswelt entstammen, vorliegen. In jedem Fall wird durch den gesellschaftlichen Realismus die Plausibilität des Spieles und seiner Erzählung erhöht. Je nach der Perspektive, die der Spieler bei der Beobachtung der jeweiligen Spielwelt und der in ihr dargestellten gesellschaftlichen Zusammenhänge einnehmen soll, wird das Wahrnehmungskontinuum simuliert. In Ego-Shootern z. B. kommt häufig die Simulation des unmittelbaren Wahrnehmungskontinuums zum Einsatz, zum Teil wird bei der Darstellung aber auch auf das mittelbare Wahrnehmungskontinuum, hier vor allem aus Film und Fernsehen, zurückgegriffen. Zunehmende Abstraktion bzw. zunehmende Detailarmut – etwa der Blick aus der Vogelperspektive – findet oftmals Verwendung bei der Darstellung weiträumiger und komplexer Welten. Je komplexer die aufzunehmende Information, je größer die Anzahl an Signalen, die abzurufen und für eine erfolgreiche Interaktion nötig ist, um so abstrakter ist tendenziell die Darstellung. Doch es werden nicht nur handlungsrelevante Signale visuell dargestellt. Obwohl es z. B. für den Spielverlauf in einem Ego-Shooter keine Rolle spielt, kann zum Teil gewählt werden, wie das Aussehen der gespielten Person sein soll, wodurch bereits das «ideological framework» visuell kommuniziert wird (Lahti 2003: 165). Die verwendeten Bilder sind dabei für verschiedene Interpretationen unter Umständen offen (vgl. Raessens 2005: 375-376), sofern bewusst von ihrem Signalcharakter (in diesem Fall: «Wähle, wer du sein willst!») abgesehen wird. Erst dann jedoch können sie reflexiv als visuelle Konstruktion evidenter Zusammenhänge und sozialer Identitäten angesehen und entsprechend hinterfragt werden. Das jedoch ist eine enorme Leistung, die ein hohes Maß an Medienkompetenz voraussetzt. Schließlich müsste einem hierfür im Ansatz klar sein, dass visuelle Kommunikation weitgehend präkognitiv, oberflächlich und unscharf abläuft und dass Bildern im Gegensatz zu sprachlichen Aussagen nicht ohne Weiteres widersprochen werden kann (Hofmann 2005: 13-16). Es ist zumindest unwahrscheinlich, dass auch nur eine diffuse Ahnung dieses nötigen Vorwissens im Rahmen eines durchschnittlichen Computerspiels mobilisiert wird. Damit bleibt der Modus visueller [20] Kommunikation in Computerspielen problematisch: Der Signal charakter der simulierten Bilder entlastet zwar von der Notwendigkeit hinterfragen der Interpretation, doch wird durch die visuelle Kommunikation der simulierten Zusammenhänge und die reaktive Interaktion zugleich ihre Akzeptanz vorausgesetzt. Computerspiele als interaktives Unterhaltungsmedium Der Aspekt der Interaktivität wurde oben schon mehrfach erwähnt, da er ein konstitutiver Bestandteil der Kommunikation im Computerspiel ist. Dabei war stets jene Art von Interaktivität gemeint, die als unmittelbar gekennzeichnet werden kann, insofern sie in einer ständigen Antwort auf die Signale des Spieles besteht (wir haben es hier freilich mit einem Definitionsproblem zu tun, das auch in der Forschung noch nicht gelöst ist, vgl. Mertens 2004: 272-287). Doch lassen sich auch noch andere Arten von Interaktivität ausmachen, die ebenfalls für Computerspiele typisch sind. Zunächst 11 www.mediaculture-online.de jedoch noch einmal zur «unmittelbaren Interaktivität»: Anders als bei klassischen Massenmedien ist bei Computerspielen die Abtrennung der Adressaten vom Kommunikationsprozess durch den Ausschluss von Antwortmöglichkeiten kein zentraler Aspekt. Im Gegenteil wird die Interaktivität als Spezifikum von Computerspielen verstanden. Freilich können auch bei den klassischen Massenmedien – wenn auch höchst selektive – Formen der Interaktion vorkommen, beispielsweise im Rahmen der Möglichkeit, telefonisch eine «Rückkopplung» herzustellen. Das ist im Computerspiel grundsätzlich gegeben, da es die Rückkopplung via Interaktivität zum Prinzip erhebt. Eine mögliche Definition der unmittelbaren Interaktivität sieht darum folgendermaßen aus: «Interaktivität bedeutet, dass der Benutzer/Spieler die Möglichkeit hat, durch motorische Eingaben über ein Interface das, was visuell auf dem Computerbildschirm erscheint (und/oder als Geräusch aus den Lautsprechern ausgegeben wird), verändern kann.« (Grodal 2003: 142, eigene Übersetzung). Über diese einfache Definition hinaus – sie soll hier der unmittelbaren Interaktivität im Spiel vorbehalten sein – gibt es andere Formen der Interaktivität, die sich in dieser Kombination nur im Unterhaltungsmedium Computerspiel finden lassen. Zum einen ist es möglich, dass in das vorgegebene Spiel und seine Regeln eingegriffen wird – durch den Aufbau eigener Spielwelten, durch einfaches Cheaten oder aber durch Eingriffe in die Programmierung (De Mul 2005: 258-259). Diese Art von regeländernder Interaktivität mit dem Medium ist ein Spezifikum von Computerspielen, das kaum ein Äquivalent in anderen Unterhaltungsmedien hat. Weiterhin hat Interaktivität in Multiplayer-Online-Games eine ganz andere Bedeutung als in Offline-Games. Während in den Offline-Spielen tatsächlich nur das Programm Adressat der Interaktion ist, setzen Online-Spiele die Interaktion mit einer Vielzahl von Nutzern voraus. Diese übernehmen dann Charaktere bzw. Funktionen, die ansonsten ein Programm (z. B. als NPCs – Non-Player-Characters) simulieren müsste, so dass sich die Interaktivität im Spiel auch auf Elemente bezieht, mit deren Protagonisten man tatsächlich kommunizieren kann. Deshalb gibt es über die durch ein Programm [21] prinzipiell simulierbare Interaktivität hinaus auch die Möglichkeit, mit den anderen Protagonisten z. B. über Ingame-mail oder Foren Kontakt aufzunehmen. Diese Form der Interaktion wird von vielen Spielern goutiert, kann jedoch auch als unecht und entfremdend erlebt werden, da ein Medium dazwischengeschaltet ist, das zumindest potentiell für völlige Anonymität und Unverbindlichkeit sorgt. Damit kommt zur Möglichkeit der Erprobung von Identitäten im Spiel die Möglichkeit, diese Erprobung auf unverbindliche, zugleich aber durch bestimmte Verhaltenserwartungen reglementierte Art und Weise auf die Kommunikation mit anderen Spielern auszudehnen (vgl. hierzu auch die Beiträge von Bevc und Weiß). Schließlich gibt es noch eine partizipative Form der Interaktivität, die darin besteht, dass Kommunikation zwischen Entwicklern und Spielern stattfindet. Diese Art der Rückkopplung lässt sich im Prinzip noch am ehesten in den klassischen Unterhaltungsmedien wiederfinden, insofern auch hier die Produzenten am Feed-back der Rezipien- 12 www.mediaculture-online.de ten interessiert sind. Qualitiativ jedoch besteht ein erheblicher Unterschied, insofern die Einflussnahme der Spieler deutlich ausgeprägter ist und oft mit dem Interesse der Produzenten zusammenfällt, die so zugleich auf ein reiches Ideenrepertoire zurückgreifen können. Zugleich lädt die offene Kommunikationsweise der Foren zur Meinungsäußerung ein und wird stark frequentiert (vgl. Huisman/Marckmann 2005: 394). Ein Rädchen im System oder Garant neuer Erfahrungen und Äußerungsmöglichkeiten? Wie allen modernen Medien, die den Gesetzen der Kulturindustrie unterliegen, wird auch Computerspielen aufgrund ihres spezifisch medialen Charakters entweder emanzipatorisches Potential zugeschrieben oder aber es wird auf ihre gleichsam perfekt narkotisierende Funktion in der Massenkultur verwiesen: Hinsichtlich Inhalt und Form solchen Medien wie Comics oder Filmen ähnlich, tragen sie in dieser Per spektive dazu bei, dass die harte Realität dem Nutzer entgleitet und – obwohl sich kein Unterhaltungsmedium rein passiv konsumieren lässt – den Spieler in eine Form der Passivität fallen lässt (vgl. Raessens 2005: 375). Insofern stellen Computerspiele einen letzten Eckstein im eskapistischen Programmangebot der Massenkultur zur Verfügung. Die Tatenlosigkeit des Medienrezipienten – also die Unfähigkeit zu revolutionärer oder zumindest emanzipatorischer Praxis – wird in dieser Sichtweise im Falle der Computerspiele noch durch den Umstand verschleiert und verstärkt, dass er sich im Rahmen des Spielens ständig als Handelnder erlebt, während er doch völlig von der Realität abgekoppelt ist. So wird das Medium selbst zu einer Metapher, die die Gesellschaft beschreibt. Der Gebrauch des Interface (auch außerhalb des Spielens) wird selbst zum «Metabild» (William Mitchell) für eine neue, durch und durch fragwürdige Art des Menschseins: Wie ein Cyborg ist der Mensch an ein Kommunikationssystem angeschlossen, dessen Operationsmodus auf eine signalhafte Übermittlung von Sinn begrenzt ist (vgl. zum Menschen als Cyborg Lahti 2003: 165). Die Antwort auf die Signale besteht in einer Reaktion, die selbst nur noch als Signal in den Computer eingegeben wird – aus der [22] Sicht der Kybernetik lässt sich darum auch fragen, wer hier eigentlich wen steuert: der Spieler das Spiel oder das Programm den angeschlossenen Cyborg? Dass der Modus signalhafter Bildkommunikation in zahlreichen Spielen geradezu idealtypisch ist (s. o.), macht den vernetzten Computerspieler zum neuen Medienmenschen par excellence, der beredt Zeugnis von der «Antiquiertheit des Menschen» (Günther Anders) ablegt: Seine Prothese ist über ihn hinausgewachsen und macht ihn selbst zu ihrem Vehikel, er reagiert nur noch auf ihre Signale und ist jeder freien Handlungsfähigkeit beraubt. Ihm wird in der Spielwelt vorgegaukelt, dass seine Aktionen Konsequenzen haben (ein Umstand, der von der Medienwirkungsforschung mit dem Begriff «Selbstwirksamkeitserleben» bezeichnet wird, wobei dieses Konzept die Spielmotivation mit erklären soll, vgl. Klimmt 2006: 77-79), und die betriebsame Interaktivität 13 www.mediaculture-online.de sorgt dafür, dass ihm nicht einmal mehr seine unerträgliche realweltliche Passivität zu Bewußtsein kommen kann, wie das noch beim Fernsehen der Fall sein konnte. Selbst die Interaktionen, die über Online-Spiele stattfinden, sind dann nur noch der Ausdruck realweltlich folgenloser und unverbindlicher Kommunikation: Ein gigantisches System, das sich in einem kompletten Leerlauf befindet und einzig die Funktion erfüllt, diese Tatsache durch das ständige Fortführen der Kommunikation zu verschleiern. Dies ist gewissermaßen das Szenario des schlimmsten Falles, welches eine kritische Medientheorie im Anschluss an frühere Überlegungen (vgl. Baudrillard 1978: 91-92) für den Computerspieler als Opfer der Massenkultur weiter entwickeln könnte. Im Anschluss an kritische Ansätze kann also durchaus das Argument vorgebracht werden, dass der Mediengebrauch durch den ihm innewohnenden Eskapismus, also durch Flucht vor der Realität, als Funktion eines den Menschen sich selbst entfremdenden Systems angesehen werden könnte. Doch das Argument von sich auf den Eskapismus berufenden kritischen Medientheorien bleibt ambivalent, da sich letztlich nicht entscheiden lässt, ob diese Flucht aus der Realität nicht doch auch zugleich eine Art von Subversion darstellt (Turkle 1998: 391-392). Auf der anderen Seite wäre darum zu überlegen, ob diese extreme Sichtweise nicht dazu Anlass geben sollte, die dann durch die Massenmedien angeblich unterlaufenen sozialen Emanzipations potentiale in einem ganz anderen Licht zu sehen: In dieser Perspektive kann man nicht mehr sagen, dass das Spielen von Computerspielen die Rezipienten von der Realität abkoppelt und in virtuelle Identitäten einsperrt. Vielmehr scheint es von hier aus so, als würde das Ausblenden der Realität im Spiel sowie das Hineinschlüpfen in andere Rollen Bedürfnisse erfüllen, die weniger emanzipatorischer als therapeutischer Natur sind – auch über gezielt therapeutische Einsätze hinaus (vgl. hierzu Griffiths 2005: 161-168). Weiter oben wurde bereits die Möglichkeit genannt, dass allein die Möglichkeit zur unmittelbaren Reaktion auf Information als Entlastung empfunden werden könnte, da andere Massenmedien für gewöhnlich hohe Informationsdichte ohne Antwort- bzw. Reaktionsmöglichkeit bereitstellen. Dass das Selbstwirksamkeitserleben überhaupt einen Reiz hat, mag also durchaus daran liegen, dass die unmittelbare Lebenswelt nicht ausreichend Möglichkeit hierzu gibt. In Computerspielen gilt jedoch, dass es genau unsere Handlungen sind, die den Unterschied machen (Grodal 2003: 142). Aus psychologischer Sicht scheint zudem zunehmend akzeptiert zu sein, dass die Psyche Platz für mehr als eine Identität bietet; aus [23] sozialwissenschaftlicher Sicht liegt auf der Hand, dass wir unsere «Bastelidentitäten» erst konstruieren müssen und dabei auf Massenmedien zurückgreifen (De Mul 2005: 260). Dann sind die Avatare nicht mehr Ausflüchte aus der Realität, sondern vollwertige Möglichkeiten, sich selbst zu entfalten – jenseits physischer Restriktionen (Filiciak 2003: 100). Dafür bietet sich die virtuelle Realität der Spielwelten an. Vermutlich ist es jedoch in Multi-User-Domains (MUDs) leichter als in den stärker regelgeleiteten Computer spielen, eine Identität zu entwerfen, auszutesten und über mögliche Implikationen für die Wirklichkeit zu reflektieren (Turkle 2005: 272). 14 www.mediaculture-online.de Entscheidet sich die Frage nach der subversiven, emanzipatorischen oder aber eben affirmativen Funktion von Computerspielen darum letztendlich an der Frage nach der Interaktivität als konstitutivem Element der Kommunikation in Computerspielen? Doch auch die Interaktivität der Spiele selbst bleibt ambivalent: Während die unmittelbare Interaktion mit dem Programm kognitiv zwar zum Teil sogar recht hohe Ansprüche stellt, bleibt sie schließlich doch auf das Austauschen von Signalen beschränkt. Dagegen besteht darüber hinaus auch die Möglichkeit zu regeländernder Interaktivität durch eine Manipulation der Inhalte, was das Aufbrechen von Strukturen und die Neueinschreibung von Sinn zur Folge haben kann (De Mul 2005: 259). Diese Art von Interaktion hat vermutlich den am stärksten subversiven Charakter. Die Interaktion in Online-Communities schließlich ist einerseits zwar in ihrer Anonymität und Unverbindlichkeit gegenüber klassischen sozialen Interaktionsformen ausgesprochen unpersönlich, erlaubt aber gerade durch diese Unpersönlichkeit auch ein relativ starkes, wenn auch nur virtuelles, Gemeinschaftsgefühl. Angesichts der Unpersönlichkeit setzt diese Art von Gemeinschaft jedoch auch ein hohes Maß an Regeltreue voraus, so dass Subversion in diesem Rahmen keine Veränderung der Gemeinschaft und ihrer Mitglieder, sondern meistens lediglich den Ausschluss des Aufwieglers zur Folge haben dürfte. Ein Ausblick Abschließend muss noch einmal hervorgehoben werden, dass eine sozialwissenschaftlich interessierte Medientheorie nicht durch pauschalisierende Aussagen glänzen kann. Es ist zwar vielfach ein Stilelement gerade in der Medientheorie, durch Radikalität und drastische Diagnosen die – wiederum massenmedialen Gesetzen unterliegende – Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch sollte man dieses Stilelement nicht überbewerten. Vielmehr sollten die Theorien als Hinweise darauf verstanden werden, wie Massenmedien und so auch Computerspiele erlebt werden, welche Rolle sie in der Massenkultur spielen und auf welche Art und Weise sie gesellschaftliche (und das heißt in unserem Zusammenhang: kommunikative) Bedeutung entfalten bzw. Funktionen erfüllen können. Gerade angesichts des Nebeneinanderbestehens verschiedenster Medien verbietet es sich, ausgehend von einem neuen potentiellen Leitmedium voreilig Rückschlüsse auf den Zustand der Gesellschaft und ihrer Kommunikationsweise zu ziehen. Eher scheint es sinnvoll, den Mediengebrauch mit – realweltlichen oder medialen – Erfahrungen in Beziehung zu setzen und zu hinterfragen, wie sie sich zueinander verhalten. Die Frage [24] lautet dann: Gibt es eine gewisse Art von Komplementarität, da das Medium Computerspiel (auch kommunikative) Bedürfnisse befriedigen kann, die anderswo geweckt wurden? Dass die Befriedigung dieser Bedürfnisse in einer virtuellen Realität stattfinden kann, sollte weniger erschrecken als zum Überdenken emanzipatorischer Ideologien anregen. Letztendlich jedoch gilt das Gleiche wie für alle Medien: Wer sie 15 www.mediaculture-online.de richtig anzuwenden weiß, wird von ihnen profitieren. So kann man Computerspiele nutzen, um sich von jener unerträglich gewordenen Bildberieselung zu erholen, die ständig einen Manipulationsverdacht mitkommuniziert und keine Handlungsrelevanz hat. Es ist unmöglich zu sagen, ob das affirmativ, subversiv oder emanzipatorisch wirken könnte – vor allem kommt es dem Bedürfnis entgegen, Informationen sinnvoll, mit sichtbarem Output, zu verarbeiten. Oder aber man nutzt sie, um spielerisch eine Identität zu erproben – was erst dann wirklich interessant wird, wenn eine Reflexion darüber stattfindet, ob man diese Identität auch in der Realität haben wollte. Diese Möglichkeit ist im Unterhaltungsmedium Computerspiel gegeben, wenn seine auf ununterbrochene reaktive Interaktion angelegte Funktionsweise es auch nicht einfach macht, sie umzusetzen. Es hängt von der Medien- und Sozialkompetenz des Einzelnen ab, sie zu nutzen. 16
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