Spezial Makro Research Emerging Markets Insight Montag, 25. Juli 2016 Türkei: Wie geht es weiter nach dem vereitelten Putsch? ‡ Die politische Unsicherheit bleibt in der zweiten Jahreshälfte hoch. Präsident Erdogan dürfte die Welle der Unterstützung ausnutzen und Neuwahlen oder ein Referendum anstreben. ‡ Wichtige Partner wie die USA und die Europäische Union erheben kritische ihre Stimmen. Noch wenden sie sich aber nicht von der Türkei ab. ‡ Die Unsicherheit lastet auf Tourismus, Konsum und Investitionen. Um eine stärkere Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität zu vermeiden, dürfte die Regierung jedoch den bestehenden fiskalischen Spielraum nutzen. ‡ Die Märkte haben auf den Putsch nur verhalten negativ reagiert. Deutlich negativer reagierten die Märkte auf die drakonischen Maßnahmen des Staatspräsidenten und der Regierung, die ganz offen auf Konfrontation setzen. ‡ Die Achillesferse der Türkei bleibt der hohe externe Finanzierungsbedarf. Vor allem Unternehmen und Banken sind auf Kapital aus dem Ausland angewiesen. ‡ Die Rating-Agenturen haben Ratings und Ausblicke gesenkt. Im Falle einer weiteren Stimmungseintrübung dürften sie nicht zögern, das Land weiter herabzustufen. Politische Unsicherheit bleibt für die gesamte zweite Jahreshälfte hoch. Der gescheiterte Putschversuch am 15. Juli und die Reaktion der Regierung, die Tausende Soldaten, Unteroffiziere und Offizieren verhaftete, Zehntausende Ministeriumsmitarbeiter, Justizbeamte, Lehrer und Hochschulbeamte entließ sowie einen dreimonatigen Ausnahmezustand ausrief, bilden bislang den Höhepunkt der politischen Unsicherheit in diesem Jahr. Dabei hatte sich das Jahr für die Türkei bereits in der ersten Jahreshälfte extrem schwierig gezeigt. Das Land musste bereits verschiedene Terroranschläge verkraften. Zudem kam es im Mai zu einer Regierungskrise nach einem Machtkampf innerhalb der regierenden AKP zwischen dem damaligen Premierminister Ahmet Davutoglu und Präsident Recep Tayyip Erdogan, der zum Rücktritt des ersteren führte. Auch außenpolitisch sorgten russische Sanktionen und das Tauziehen mit der Europäischen Union für Unruhe. Der Ausblick für den Rest des Jahres ist leider ernüchternd. Die erste Reaktion nach dem Putsch zeigte, dass Präsident Erdogan noch entschlossener die Machtkonsolidierung um seine Person verfolgen wird. Anstatt eine Versöhnung der verschiedenen Fraktionen zu verfolgen, betreibt er eine weitere Polarisierung der Gesellschaft. Diese Polarisierung dürfte eine anhaltende politische Unsicherheit mit sich bringen. Es gibt bisher keine Hinweise dafür, dass er seine erklärte Absicht der Einführung einer präsidialen Demokratie aufgeben sollte. Vielmehr dürfte er jetzt die Welle der Unterstützung nach dem Putschversuch dazu nutzen, Neuwahlen anzukündigen oder ein Referendum für die Änderung der Verfassung einzuberufen. Während sich die Regierung auf diese politische Ziele konzentriert, dürften andere Ziele unter den Tisch fallen. So ist davon auszugehen, dass die Staatsausgaben wieder angehoben werden und dass der Druck auf die Zentralbank hinsichtlich einer Lockerung der Geldpolitik steigen wird. Insgesamt dürfte die Glaubwürdigkeit der Geld- und Fiskalpolitik weiter leiden. Zudem dürfte die anhaltende politische Unsicherheit zu einem Anstieg der Finanzierungskosten für den türkischen Staat und für türkische Unternehmen führen, was sich negativ auf die Wirtschaft auswirken würde. Mittelfristig würde sich auch verstärkt die Frage nach den institutionellen Rahmenbedingungen des Landes stellen. Die zunehmende Einmischung der Regierung in der Justiz und anderen Institutionen wird nicht ohne Folgen bleiben. Insbesondere dieser Aspekt wird aktuell von den Rating-Agenturen mit großer Sorge verfolgt. Wichtige Partner sind kritisch, halten sich aber überwiegend zurück. Auch aus der Politik meldeten sich kritische Stimmen nach dem Putschversuch und den drakonischen Maßnahmen der türkischen Regierung. Nach dem Putschversuch forderte Erdogan von den USA die Auslieferung von Fethullah Gülen. Zudem sprach er sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. Dies führte zu kritischen Reaktionen aus den USA und der Europäischen Union (EU), die beide wichtige Partner der Türkei sind. Viele europäische Politiker mahnten zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Aber insgesamt blieben die Reaktionen von den Partnerländern bisher sehr zurückhaltend. Sollte sich der Kurs der türkischen Regierung noch weiter fortsetzen oder gar verschärfen, dann wird eine politische Antwort aus Europa und den USA kommen müssen. Sollten diese beiden wichtigen Partner auf Distanz gehen, dann hätte dies sicherlich weitere negative Auswirkungen auf die Finanzierungsfähig- 1 Spezial Makro Research Emerging Markets Insight Montag, 25. Juli 2016 keit, auf die wirtschaftliche Aussichten und auch die Bonität des Landes. Die Türkei ist nicht immun gegen eine solche Distanzierung. Auch im Falle der Streitigkeiten mit Russland hat Erdogan zuletzt eine Annäherung gesucht. Sollte der Druck aus dem Westen erhöht werden, besteht die Hoffnung, dass Erdogan letztendlich einlenkt. Aber noch scheint der Westen daran interessiert, den wichtigen NATO-Partner nicht unter Druck zu setzen. Die wirtschaftliche Aktivität wird über viele Kanäle beeinträchtigt. Die türkische Wirtschaft wird unter dem Putschversuch und den darauf folgenden Maßnahmen leiden. Wir haben unsere Wachstumsprognose für das türkische Bruttoinlandsprodukt für dieses Jahr von 3,3 % auf 3,1 % gesenkt, für das kommende Jahr sogar von 3,2 % auf 2,8 % (siehe Abb. 1). Die Risiken bleiben aus heutiger Sicht ganz klar nach unten gerichtet. Abb. 1 Türkei: BIP (% ggü. Vorjahr) 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016P 2017P Quellen: Nat. Statistikamt, DekaBank, Prognose: DekaBank Die türkische Wirtschaft hatte bereits zuvor mit großen Herausforderungen zu kämpfen. Am stärksten wird die wichtige Tourismusbranche beeinträchtigt. Die Verschlechterung der Sicherheitslage als Folge verschiedener Terroranschläge, das Ende des Friedensprozesses mit den Kurden wie auch die Wirtschaftssanktionen aus Russland sind wichtige Faktoren, die zu einem deutlichen Rückgang der Touristen geführt haben. Die Anzahl der ausländischen Besucher ist in der zuletzt veröffentlichten Statistik für den Mai bereits um fast 35 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen (siehe Abb. 2). Es ist davon auszugehen, dass die Verunsicherung im Hinblick auf den vereitelten Putsch noch weitere Touristen abschrecken sollte, was zu deutlicheren Einbußen für diese wichtige Branche führen wird. Abb. 2 Ausländische Besucher* (% ggü. Vorj.) 30 20 10 0 -10 -20 -30 -40 Jan 13 Jan 14 Jan 15 Jan 16 Quellen: Nat. Zentralbank, DekaBank *) Dienstliche und private Reisen Die Verunsicherung wird auch in anderen Wirtschaftssektoren deutliche Spuren hinterlassen. Während die Konjunktur im ersten Quartal von einer starken Konsumtätigkeit der privaten Haushalte profitierte, dürfte die gestiegene politische Unsicherheit nun zu einer stärkeren Konsumzurückhaltung führen. Der Staatskonsum war bereits im ersten Quartal stark angestiegen. Er dürfte in den kommenden Quartalen einen wichtigen Wachstumsbeitrag leisten, wenn die Regierung die Folgen der politischen Verunsicherung auszugleichen versucht. Die Investitionstätigkeit war bereits im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. Aufgrund der anhaltenden politischen Unsicherheit dürfte sie in den kommenden Quartalen weiter zurückgehen. Viele Unternehmen werden geplante Investitionen nach hinten verschieben. Die höheren Finanzierungskosten aufgrund der gestiegenen Risikoaversion werden sich zusätzlich negativ auf die Investitionsabsichten auswirken. Maßnahmen nach dem Putschversuch verunsichern Märkte mehr als Putschversuch selbst. Verfolgt man die Entwicklung der türkischen Lira, der Spreads für türkische Anleihen und der Börse, so stellt man fest, dass die negative Reaktion der Märkte nach dem Putschversuch recht verhalten blieb. Erst mit der Ausweitung des Durchgreifens auf die Justiz, die Ministerien, die Schulen und die Hochschulen sowie mit der konfrontativen Art gegenüber ausländischen Partnern und mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes kam es zu einer stärkeren Verunsicherung an den Märkten. Die türkische Lira hat eine Woche nach dem vereitelten Putsch 6 % gegenüber dem US-Dollar verloren. 2 Spezial Makro Research Emerging Markets Insight Montag, 25. Juli 2016 chen Botschaften der Stabilisierung sendet, denn dies könnte zu einer Entspannung bei den Finanzierungskonditionen führen. Sowohl der Staat als auch die Unternehmen und Banken des Landes sind in großem Umfang auf externe Kapitalgeber angewiesen. Abb. 3 Wechselkurs TRY/USD 3,1 3,0 2,9 2,8 2,7 01/16 02/16 03/16 04/16 05/16 06/16 07/16 Quellen: Bloomberg, DekaBank Auch die Spreads der türkischen Fremdwährungsanleihen haben sich in der Woche nach dem Putschversuch um etwa 70 Basispunkte (Bp) auf rund 350 Bp ausgeweitet. Abb. 4 Türkei: EMBIG-Spread 370 Hoher externer Finanzierungsbedarf bleibt die Achillesferse der Türkei. Die Türkei hat in den vergangenen Jahren den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten rege genutzt. Die Auslandsverschuldung ist in den vergangenen 15 Jahren von rund 100 Mrd. US-Dollar auf zuletzt über 400 Mrd. US-Dollar angestiegen (siehe Abb. 5). Dies entspricht rund 55% des Bruttoinlandsprodukts. Etwa ein Drittel der Verschuldung ist kurzfristige Verschuldung, die innerhalb von zwölf Monaten finanziert werden muss. Das Land verfügt lediglich über rund 140 Mrd. US-Dollar an Reserven. Die Türkei kann sich keine lange Durststrecke bei der externen Finanzierung leisten, ohne dass dies dramatische Folgen für die Wirtschaft hätte. Abb. 5 Auslandsverschuldung, in Mrd. USD 450 400 350 350 330 300 310 250 200 290 150 100 270 250 01/16 02/16 03/16 50 04/16 05/16 06/16 07/16 Quellen: J.P. Morgan, Bloomberg, DekaBank Zu einem Renditeanstieg kam es ebenfalls bei den türkischen Staatsanleihen in lokaler Währung. Die Rendite der 10-jährigen Anleihen ist um einen ganzen Prozentpunkt von 8,8 % auf zuletzt 9,8 % angestiegen. Allerdings sind die aktuellen Niveaus kein Zeichen einer extremen Verunsicherung, denn solche Niveaus waren bereits zu Jahresanfang zu beobachten – allerdings in einem deutlich schwierigeren Umfeld für die gesamte Anlageklasse der Emerging Markets – und auch zum Teil während der Regierungskrise in Mai, auch wenn nicht so ausgeprägt. 0 2002 2006 2010 2014 Quellen: EIU, DekaBank. Zudem leidet die Türkei unter einem chronischen Leistungsbilanzdefizit. Dies ist vor allem auf die niedrige Sparquote der türkischen Bevölkerung, aber auch auf die Abhängigkeit von importierten Energieträgern zurückzuführen. Zwar profitierte das Land in den vergangenen Jahren vom starken Rückgang der Ölpreise (siehe Abb. 6). So betrug das Leistungsbilanzdefizit im vergangenen Jahr „lediglich“ 4,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Nichtsdestotrotz muss die Türkei dieses Defizit decken. Für die Märkte ist es aus heutiger Sicht viel stärker von Bedeutung, ob die Regierung in den kommenden Wo- 3 Spezial Makro Research Emerging Markets Insight Montag, 25. Juli 2016 Abb. 6 Leistungsbilanzsaldo, in Mrd. USD 0 terne Finanzierung setzen. Moody’s bewertet aktuell die Bonität des Landes im investment grade-Bereich mit der Note Baa3. -1 -2 -3 -4 -5 -6 -7 2013 2014 2015 2016 Quellen: Nat. Zentralbank, DekaBank, 3MMA Rating-Agenturen bewerten die Lage kritisch Die erste Rating-Agentur, die auf den Putschversuch reagierte, war Moody’s. Am Montag setzte die RatingAgentur das Land auf „review for downgrade“. Moody’s wird in den kommenden Wochen die Auswirkungen des Putschversuchs und der darauf folgenden Reaktion der Regierung auf die politische Stabilität, auf den Reformausblick und den damit verbundenen Wachstumsausblick prüfen. Zudem wird die RatingAgentur einen weiteren Fokus auf die institutionellen Rahmenbedingungen und auf den Ausblick für die ex- Am Mittwoch folgte nun die Herabstufung durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s (S&P). Sie senkte ihre Bonitätseinschätzung für die Türkei von BB+ auf BB, und liegt somit zwei Stufen unterhalb der RatingEinschätzung von Moody’s und Fitch (BBB-) Auch hier lag der Fokus auf dem schwächeren Ausblick für die Institutionen und auf der Gefahr für die zukünftige Finanzierung, vor allem im Hinblick auf die Kapitalzuflüsse. S&P betonte auch die Beeinträchtigung durch die politische Polarisierung. Die Reaktion der Rating-Agenturen ist alles andere als überraschend, denn auch wenn die Türkei in den vergangenen Jahren sich besonders widerstandsfähig im Hinblick auf Krisen gezeigt hat, ist dieses Land aufgrund des großen externen Finanzierungsbedarfs sehr anfällig. Die Rating-Agenturen hatten schon gewarnt, dass sie die politische Entwicklung kritisch beäugen. Sollte die türkische Regierung weitere negative Botschaften senden, wäre es nicht verwunderlich, wenn die RatingAgenturen weitere Herabstufungen für den Emittenten Türkei melden würde Autor: Mauro Toldo, CFA, CIIA Tel.: (069) 7147-3556 [email protected] Impressum: https://deka.de/deka-gruppe/impressum Rechtliche Hinweise: Diese Darstellungen inklusive Einschätzungen wurden von der DekaBank nur zum Zwecke der Information des jeweiligen Empfängers erstellt. Die Informationen stellen weder ein Angebot, eine Einladung zur Zeichnung oder zum Erwerb von Finanzinstrumenten noch eine Empfehlung zum Erwerb dar. Die Informationen oder Dokumente sind nicht als Grundlage für irgendeine vertragliche oder anderweitige Verpflichtung gedacht, noch ersetzen sie eine (Rechts- und / oder Steuer) Beratung; auch die Übersendung dieser stellt keine derartige beschriebene Beratung dar. Die hier abgegebenen Einschätzungen wurden nach bestem Wissen und Gewissen getroffen und stammen (teilweise) aus von uns nicht überprüf-baren, allgemein zugänglichen Quellen. Eine Haftung für die Vollständigkeit, Aktualität und Richtigkeit der gemachten Angaben und Einschätzungen, einschließlich der rechtlichen Ausführungen, ist ausgeschlossen. Die Darstellungen inklusive Einschätzungen dürfen weder in Auszügen noch als Ganzes ohne schriftliche Genehmigung durch die DekaBank vervielfältigt oder an andere Personen weitergegeben werden. Jeder Empfänger sollte eine eigene unabhängige Beurteilung, eine eigene Einschätzung und Entscheidung vornehmen. Insbesondere wird jeder Empfänger aufgefordert, eine unabhängige Prüfung vorzunehmen und/oder sich unabhängig fachlich beraten zu lassen und seine eigenen Schlussfolgerungen im Hinblick auf wirtschaftliche Vorteile und Risiken unter Berücksichtigung der rechtlichen, regulatorischen, finanziellen, steuerlichen und bilanziellen Aspekte zu ziehen. Sollten Kurse / Preise genannt sein, sind diese freibleibend und dienen nicht als Indikation handelbarer Kurse / Preise. 4
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