52 Säure-Base-Gleichgewichte in wässriger Lösung 1 Säure-Base-Theorien Produkte wie Essig und ihre Eigenschaften sind schon von alters her bekannt, weil sie durch Vergärung von Naturprodukten erhalten werden können. „Wer einem bösen Herzen Lieder singt, das ist wie ein zerrissenes Kleid im Winter und Essig auf der Kreide.“ (Sprüche Salomos 25, 20). Essig entsteht durch Oxidation von Ethanol. 1.1 Historische Säure-Base-Theorien Robert BOYLE (1627–1691) führte im 17. Jahrhundert eine erste allgemein gültige Definition für Säuren ein. Sie gründete darauf, dass Säuren bei Pflanzenfarbstoffen Farbveränderungen hervorrufen können. Etwa gleichzeitig erkannte man, dass Säuren die Wirkung von alkalischen Lösungen aufheben. Antoine Laurent de L AVOISIER (1743 –1794), der als Begründer der wissenschaftlichen Chemie gilt, beobachtete im Jahr 1778, dass Nichtmetalloxide mit Wasser unter Bildung von Säuren reagieren. Nach L AVOISIERs Schlussfolgerungen sollten daher alle Säuren das Element Sauerstoff enthalten. Erst Ende des 18. Jahrhunderts erkannte man, dass dies nicht in allen Fällen zutrifft. Justus von LIEBIG (1803 –1873) stellte dann heraus, dass Säuren mit (unedlen) Metallen reagieren: Säuren sind Wasserstoffverbindungen, in denen der Wasserstoff durch ein Metall ersetzt werden kann. 1887 berücksichtigte Svante ARRHENIUS (1857–1927) die damals neuen Erkenntnisse über die Existenz von Ionen in wässrigen Lösungen und definierte: Säuren sind Stoffe, die in Wasser Wasserstoff-Ionen (H+-Ionen) bilden. Basen sind Stoffe, die in Wasser Hydroxid-Ionen (OH–-Ionen) bilden. Säure-Base-Theorien 53 1.2 Die Säure-Base-Definition nach BRÖNSTED Eine allgemeine und auch heute noch gebräuchliche Definition für Säuren und Basen geht auf Johannes N. BRÖNSTED (1879 –1947) und Thomas M. LOWRY (1874 –1936) zurück. 1923 leiteten sie unabhängig voneinander die Entwicklung eines umfassenderen Säurebegriffs ein. Säuren sind Protonendonatoren, also Verbindungen, die Protonen (H+-Ionen) abgeben können. Beispiele Diese Definition kann an zwei Experimenten erläutert werden: • Leitet man Chlorwasserstoffgas in Wasser ein, so lässt sich eine elektrische Leitfähigkeit der Lösung nachweisen. • Leitet man Chlorwasserstoffgas aber in Heptan ein, so ist keine elektrische Leitfähigkeit der Lösung zu beobachten. Die erste Beobachtung weist darauf hin, dass in der entstehenden Lösung bewegliche Ladungsträger, also Ionen enthalten sind. Chlorwasserstoff-Moleküle sind polar gebaut: δ+ H δ– Cl Die Polarität beruht auf dem Unterschied der Elektronegativitäten (EN) der beiden am Aufbau des Moleküls beteiligten Atome. Solche Moleküle können unter geeigneten Bedingungen ein Proton abspalten. In wässriger Lösung wird dieses an ein Wassermolekül gebunden, das ein freies Elektronenpaar zur Verfügung stellen kann: δ– Cl δ+ H+ δ– O H δ+ Cl + H O H H H δ+ Das Heptan-Molekül dagegen besitzt keine freien Elektronenpaare, eine vergleichbare Reaktion ist hier also nicht möglich. Das aus einem Wassermolekül und einem Proton entstandene H3O+-Ion nennt man Oxonium-Ion14. 14 Gebräuchlich ist auch die veraltete Bezeichnung „Hydronium-Ion“.
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