812 BGB Lösung Fall 3

Lösung Fall 3: Rokoko-Vermächtnis
1) Anspruch des L gegen E auf Herausgabe des Zimmers gemäß § 985 BGB
Voraussetzung für einen Anspruch des L gegen die E gemäß § 985 BGB auf Herausgabe
des Zimmers ist, dass L Eigentümer des Zimmers ist.
Mit dem Erbfall hat L gemäß § 1922 BGB das Eigentum von der A an dem Rokoko-Zimmer
durch Gesamtrechtsnachfolge erworben.
L könnte jedoch das Eigentum an die E durch Übereignung verloren haben.
Als L der E gestattete, das Zimmer abzuholen, brachte er zum Ausdruck, dass er der E zum
Zwecke der Erfüllung der Vermächtnisforderung aus § 2174 BGB die Zimmereinrichtung
übereignen wollte. Somit ist das Eigentum gemäß § 929 Abs. 1 Satz 1 BGB durch Einigung
und Übergabe von L auf die E übergegangen.
Dass der E wegen des Widerrufs des Testaments keine Vermächtnisforderung zustand,
berührt die Wirksamkeit der abstrakten Eigentumsübertragung nicht. Ein Anspruch des L
gegen die E aus § 985 BGB scheidet somit aus.
2) Anspruch des L gegen E auf Herausgabe des Zimmers sowie der gezogenen Nutzungen
gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall BGB
Voraussetzung für den vorgenannten Anspruch wäre, dass E etwas durch Leistung des L
ohne Rechtsgrund erlangt hat.
Die E hat das Eigentum und den Besitz an dem Rokoko-Zimmer durch Leistung des Erben L
erlangt, weil L mit der Übereignung die vermeintliche Verpflichtung aus dem Vermächtnis
erfüllen wollte.
Da die Verpflichtung aus dem Vermächtnis jedoch wegen des Widerrufs des Testaments
nicht vorlag, hat L ohne Rechtsgrund an die E geleistet.
Daher muss die E gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall BGB das Eigentum und den Besitz an
dem Rokoko-Zimmer (an den Möbeln) auf L zurück übertragen.
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Des Weiteren könnte die E verpflichtet sein, die gezogenen Nutzungen an L herauszugeben
(§ 818 Abs. 1 BGB).
Da die E die Möbel benutzt und somit Gebrauchsvorteile erlangt hat, sind die gezogenen
Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1 BGB herauszugeben. Da die Herausgabe der Nutzungen
tatsächlich nicht möglich ist, muss gemäß § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz geleistet werden.
Nach herrschender Meinung ist der objektive Wert zu ersetzen, d. h. es muss der Betrag
bezahlt werden, der üblicherweise für die Benutzung eines solchen Zimmers gezahlt wird
(fiktive Mietkosten; P: bei nicht marktgängigen Gütern kaum ermittelbar; im Falle des
Eigenerwerbs beim Kauf muss nur der so genannte Werteverzehr ersetzt werden, siehe
dazu Anmerkungen).
Die Verpflichtung der E zur Leistung von Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB könnte jedoch
gemäß § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sein, soweit sie als Empfängerin der Leistung
nicht mehr bereichert ist. Um den Wert der Gebrauchsvorteile ist die E nur noch bereichert,
wenn sie Aufwendungen erspart hat, d. h. wenn sie für den Fall, dass sie das Zimmer nicht
durch den Bereicherungsvorgang erworben hätte, ein anderes Zimmer gekauft oder
angemietet hätte. Den Umständen nach ist davon auszugehen, dass sie kein anderes
Zimmer angeschafft, also keine Aufwendungen gemacht hätte. Sie hat somit keinen Vorteil
mehr in ihrem Vermögen und ist nicht mehr bereichert.
L hat daher gegenüber der E nur einen Anspruch auf Rückübereignung des RokokoZimmers sowie Übertragung des Besitzes gemäß § 812 Abs. 1, Satz 1, 1. Fall BGB, nicht
aber auch auf Herausgabe der Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1 und 2 BGB.
Der E könnte jedoch ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber L zustehen.
Die E hat, um das Zimmer benutzen zu können, Transport und Instandhaltungs-kosten
gehabt. Sie hat also Aufwendungen im Hinblick auf die Übereignung der Sachen
(Vermächtniserfüllung) gehabt sowie Verwendungen auf die Sache getätigt. Diese Kosten
sind infolge der erforderlichen bereichungsrechtlichen Rückabwicklung nutzlos; sie hat also
infolge des Bereicherungsvorganges Nachteile erlitten.
Nach dem Wortlaut des § 818 Abs. 3 BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum
Ersatz des Wertes ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Die
Vorschrift enthält keine Regelung darüber, wer die übrigen, mit dem Bereicherungsvorgang
verbundenen Nachteile zu tragen hat. Es besteht somit eine Regelungslücke, die unter
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Berücksichtigung der Interessen der Parteien im Wege einer Wertung zu schließen ist. Es
fragt sich, wer das Risiko dafür tragen muss, dass die Aufwendungen, die zum Erwerb und
zur Instandhaltung des Bereicherungsgegenstandes gemacht wurden, nutzlos sind.
Nach Sinn und Zweck der Regelung in § 818 Abs. 3 BGB soll der Bereicherte, der für das
Erlangte keine Gegenleistung erbringen wollte, nur zur Herausgabe der Vorteile verpflichtet
sein, aber keine Schäden erleiden, so dass ihm alle Nachteile, die im Zusammenhang mit
dem Bereicherungsvorgang stehen, zu ersetzen sind. Damit ist gewährleistet, dass nicht der
Bereicherungsschuldner, sondern der Leistende das Risiko für die beim Bereicherten
eingetretenen Nachteile trägt und die Schäden des Bereicherten auszugleichen hat.
Die E kann daher im Wege der Einrede des Zurückbehaltungsrechts von L den Ersatz der
Kosten verlangen, die ihr im Vertrauen auf den Bestand des Erwerbs entstanden sind. Diese
kann sie als Wegfall der Bereicherung im Sinne des § 818 Abs. 3 BGB in Rechnung stellen.
Im Ergebnis ist die E daher nur verpflichtet, das Zimmer Zug um Zug gegen Zahlung von
€ 4.750,00 an L herauszugeben (= Ausgleich der Vertrags- und Verwendungskosten).
Anmerkungen:
1) Der E steht nach § 818 Abs. 3 BGB kein selbstständiger Anspruch auf Ersatz der ihr
entstandenen Nachteile – Verwendungen und Transportkosten – zu. Die Vorschrift des
§ 818 Abs. 3 BGB ist keine Anspruchsgrundlage, sondern sie gewährt dem Empfänger nur
das Recht, die Herausgabe so lange zu verweigern, bis ihm die Nachteile ersetzt sind.
Ein eigener Anspruch der E kommt nur dann in Betracht, wenn sie die Sachen an L
herausgegeben hat, ohne dass ihr die Aufwendungen ersetzt worden sind. Dies ergibt sich
aus einer entsprechenden Anwendung von § 1001 BGB (streitig).
Nimmt der L der E die Sache nicht ab, kann diese gemäß §§ 372 ff. BGB vorgehen und so
die Erfüllung ihrer Verpflichtung durch Hinterlegung bzw. Versteigerung erreichen.
Anschließend kann sie gemäß § 1001 BGB analog vorgehen (streitig).
Ein Anspruch gemäß §§ 987 ff. BGB scheidet aus, da E Eigentümerin war. GoA scheitert
ebenfalls am Eigentum der E; es fehlt am fremden Geschäft; § 812 BGB aus
Nichtleistungskoniktion bestünde frühestens ab Herausgabe und setzt zudem eine
Bereicherung des E (Wertsteigerung) im geltend gemachten Umfang voraus.
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2) Bei Nutzungen ist grundsätzlich der Betrag maßgeblich, für den die Nutzung auf dem so
genannten freien Markt erhältlich gewesen wäre. Dies ist regelmäßig der marktübliche
Mietzins.
Anders verhält es sich, wenn der Schuldner die Sache für sich zur Nutzung erworben hat, m.
a. W. der Bereicherungsschuldner hat also nicht nur ohne Rechtsgrund Nutzungen erlangt
(so z. B. beim rechtsunwirksamen Mietvertrag), sondern einen Gegenstand zur Nutzung
erworben. In diesem Fall berechnet der BGH die Nutzungen nach dem „Werteverzehr“ (BGH
NJW 1996, 250: Bsp. Vermindert sich der Wert einer Sache infolge der Nutzung der Sache
um € 2.000,00, betragen die Nutzungen ebenfalls € 2.000,00).
Da im obigen Fall ein Eigentumserwerb stattfindet, wenn auch nicht aufgrund eines (nicht
zustande
gekommenen)
Kaufvertrages,
sondern
aufgrund
einer
(vermeintlichen)
Vermächtniserfüllung, würde ich diesen Fall eher dem Fall BGH NJW 1996, 250, zuordnen,
weil nicht lediglich die Nutzungen kondiziert werden. Im konkreten Fall kommt es hierauf
nicht an, weil in jedem Fall eine Entreicherung vorliegt.
Dasselbe gilt entsprechend für die Nutzungen im Fall 1 (die herrschende Meinung würde
aber wohl eine fiktive Miete zugrunde legen; der BGH hat bislang die lineare Abschreibung
explizit nur bei der Rückabwicklung von unwirksamen Kaufverträgen zugelassen). Denkbar
wäre auch, danach zu differenzieren, wie sich der Bereicherungsschuldner ohne die
Bereicherung verhalten hätte, also ob er sich z. B eine Wohnung gekauft oder gemietet
hätte.
3) § 273 BGB kann auf das Zurückbehaltungsrecht der E nicht direkt angewendet werden,
weil Voraussetzung ein fälliger Gegenanspruch der E wäre. Hieran fehlt es jedoch gerade.
Eine analoge Anwendung ist aber denkbar, oder man leitet das Zurückbehaltungsrecht direkt
auch aus § 818 Abs. 3 BGB her.
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