INNOFRUTTA BIRNEN Top-Sorten braucht der Markt Was bei

INNOFRUTTA
BIRNEN
Top-Sorten
braucht
der Markt
Was bei Äpfeln so gut funktioniert, ist bei Birnen eine riesige Herausforderung:
Die alten durch ertragreiche, schmackhafte, lagerfähige und auf dem Markt auf
Gegenliebe stoßende neue Sorten zu ersetzen.
„Sie zählt mit ihrer Fülle edelster und feinster Geschmacksnuancen zu den
Kostbarkeiten dieser Erde“ – das Lob von Pyrus communis könnte
schwärmerischer nicht ausfallen. Der als bester Birnenkenner der letzten
Jahrzehnte geltende Herbert Petzold setzt noch eins drauf: „Feinschmecker
verkosten Birnen wie edlen Wein.“ Das müssen wir offenbar wieder lernen.
Aber was steht dem eigentlich entgegen? Es werden zu viele grasgrüne Birnen
vermarktet! Eine zu früh gepflückte „Alexander Lucas“ wird nie ihr volles
Aroma entwickeln, erfahren wir in der Lehr- und Forschungsstation für Obstbau,
Klein-Altendorf.
Die Ernte muss auf den Punkt stimmen, und die Nachlagerung optimal
terminiert sein. Auch beim Sortenspektrum gibt es Nachholbedarf, von der
marktnahen Bündelung großer Absatzmengen ganz zu schweigen. Die Birne aus
dem Schattendasein des Apfels zu holen und sie vollreif auf den Tisch zu
bekommen – das ist die Kunst bei dieser Frucht. Damit sind wir im Gespräch
mit dem Obstbauberater und Versuchsansteller Dipl.-Ing. (FH) Hans-Josef
Weber mitten im Thema.
Großer Nachholbedarf
2,6 kg pro Kopf und Jahr Birnenverzehr, und damit kaum mehr als Erdbeeren,
gerade einmal rund 2 000 ha Anbaufläche, knapp 7% des Kernobstes
deutschlandweit, das deutet auf ein kümmerliches Dasein. Und das, während die
holländischen und belgischen Berufskollegen im Anbau richtig Gas geben und
ihre Birnen flächig fast pari zu den Äpfeln rangieren. „Bessere Preise und hoher
Exportanteil“, begründet Hans-Josef Weber. Bei uns punktet die Birne vor allem
in der Direktvermarktung, da ist die englische Neuzüchtung Concorde der
Renner und sehen neue Sorten ihre Chance.
Birnen sind grasgrün und haben eine glatte Schale, werden nicht geschält,
sondern müssen bissfest sein. Dieses konservative Beharren macht die dringend
nötige Innovation besonders schwierig. Warum nicht einmal etwas Ähnliches
wagen wie mit dem Apfel Pinova an der Rheinschiene, wenn auch der Markt
seinen eigenen Strategien folgt und der Beratung wenig Einfluss einräumt?
Solch ein Kandidat wäre die „Novemberbirne“ alias „Nojabrskaja“ alias
„Xenia“, eine Kreuzung aus „Triumph von Vienne“ x „Decana N. Krier“ aus
Moldawien. „Die schmeckt fantastisch“, lobt Weber, „und hat eine tolle Form.
Mit ihr hätte man eine geschmackvolle Alexander Lucas.“
Pioniere für Newcomer gesucht
Alle europäischen Lizenzen hat ein niederländischer Baumschuler, in
Deutschland ist die Gefo involviert. Problemlos lässt sich „Xenia“ im Internet
ordern. Das ist solch ein positives Beispiel, mit dem sich das Kümmerdasein der
Birne in Deutschland verbessern ließe. Auch wenn immer die Obstbauern die
letzte Entscheidung treffen. Sie wissen aus Erfahrung, dass
die „Alexander Lucas“ relativ einfach zu behandeln und „Conference“ sowie
„Vereinsdechant“ in der Kulturführung anspruchsvoller sind. In Klein-Altendorf
hat man erst drei Jahre Erfahrungen mit der „Xenia“ und zögert deshalb noch
ein wenig, die ganz dicke Empfehlung auszusprechen. Aber genau da liegt der
Hase im Pfeffer: Jetzt ist die Stunde der wagemutigen Pioniere, die zumindest
mit einer kleinen Fläche anfangen könnten.
Mit dem Risiko leben müssen die Herren Ribbecks auf den Obsthöfen ohnehin.
Weil es in diesem Jahr Frost gab, hängt an vielen Bäumen nur Mostware, und
statt der erhofften 45 bis 50 Cent das Kilo gibt es lediglich 5 Cent. Weitgehend
frostgeschützt wäre, sollte es die Züchtung denn hinbekommen, auch ein
erwünschtes Markensiegel der Zukunftsbirne. Im Verbund mit dem „Händchen“
des Birnenbauers, die völlig anders gestrickt sind als die Apfel-Kollegen, könnte
es was werden. In gewisser Weise sind sie vergleichbar mit den unverdrossenen
„Cox Orange“- Anbauern, die diesen delikaten Apfel trotz aller Widrigkeiten
gut hinbekommen.
Birnen sind begehrtes Angriffsziel
Unterschiede, wohin man blickt. Birnenbäume werden anders erzogen als
Apfelbäume. Die Reihen sind überwiegend individuell gestaltet. „Wenn man so
zwischen zwei- und zweieinhalb Tausend Bäume pro Hektar pflanzt und sie als
Spindel erzieht“, gibt Weber eine ungefähre Richtung an, „dann ist man auf der
sicheren Seite“. Wer am Ende Geld verdient, macht es in jedem Fall richtig. Der
Schnitt ist beherrschbar, und beim Pflanzenschutz kann man auch nicht allzu
viel verkehrt machen. Birnenblattsauger, Orangenhäutigkeit und der speziell bei
„Williams“ und „Alexander Lucas“ ausgeprägte Vorerntefruchtfall sind zu
nennen. Den Schorf hat man gut im Griff, ebenso wie den Birnenblütenstecher,
Gitterrost und die Milben. „Wir haben wenige Schädlinge“, berichtet Hans-Josef
Weber, „aber die sind umso heftiger“. Richtig zuschlagen können
Birnenblattsauger und Feuerbrand. Die Kehrseite ist freilich, dass es nur wenig
Präparate gibt und Bewährtes wie die Gibellerine im kommenden Jahr die
Zulassung verlieren soll.
Wer dreht „das große Ding“?
Seeklima, darauf verweisen die Holländer gern, tut der Klasse der Birnen gut.
Weinklima, das rühmt man in Süddeutschland, bekommt ihnen auch. Und der
Klimawandel? „Ich habe den Eindruck, dass sich der Klimawandel in jedem
Jahr ändert“, will der Versuchsansteller sich nicht der grassierenden Hysterie
anschließen. Statt der 13. Apfelsorte auf dem Obsthof es mal mit einer Birne zu
versuchen, das könnte es bringen. Direktvermarkter kommen ohne diese
neuerdings zur Trendfrucht stilisierten Köstlichkeit sicher nicht aus. Um daraus
aber eine landesweite Bewegung zu machen, reichen fünf sich
zusammenschließende Obstbauern, die gemeinsam 10 Hektar Birnen
aufpflanzen, kaum So lässt sich keine neue Sorte kreieren.
Sondern vonnöten ist „das große Ding“, ein umfassendes Birnenprogramm wie
einst in den 90ern, als die Roisdorfer Genossenschaft die Devise ausgab,
mindestens zwei Drittel der Birnenflächen mit „Alexander Lucas“ zu bestreiten.
Und heute? Hans-Josef Weber kommt immer wieder auf „Xenia“ , bei der es
„nur“ noch das kleine Fragezeichen der Produktivität gibt. Allein wegen der
Befruchtung gehört auch „Concorde“ dazu und die triploide „Alexander Lucas“
sowie „Conference“. Nicht zu vergessen die vielseitige „Williams Christ“.
Einige Obstbauern pflanzen letztere speziell für die Schnapsbrenner an und
machen dabei einen guten Schnitt.
Am besten: die regionale Klasse-Birne
Das ist eine ganz handfeste Beratung, denn diese vier Sorten („Xenia“ noch
einmal ausgenommen), werden nacheinander reif. Wobei nur „Conference“ aus
der Reihe tanzt, weil ihre vom Streif-Index signalisierte Reife just mit der
„Elstar“-Ernte zusammenfällt. Auch wenn die Holländer mit ihrer „Conference“
auf dem deutschen Markt powern, haben die heimischen Obstbauern ihre
Chance in Weinanbaugebieten. Strikt Quittenunterlagen, Beregnung, wo immer
machbar und nötig, und Hagelnetze stützen die gelungene Erzeugung zusätzlich.
Sich nicht auf Utopien einlassen, rät der Berater inmitten einer besonders
gelungenen „Alexander Lucas“- Anlage. „34- 40 Tonnen Ernte sind drin, mit 30
– 40 Tonnen ist man im wirtschaftlichen Bereich, wenn – wie in den letzten
Jahren – zwischen 45 und 50 Cent fürs Kilo bezahlt werden.“
Die Birnen-Eigenschaften werden von dem diktiert, der sie kauft. Bei der großen
Vermarktungsschiene müssen große Mengen dahinter stehen, sonst läuft gar
nichts. Noch ist die „Alexander Lucas“ der große Umsatzgarant. Weber witzelt:
„Im vergangenen Jahrzehnt war das die beste Apfelsorte.“
Aber das wird sich ändern. Ganz sicher.
Zur Person
Dipl.-Ing, (FH) Hans-Josef Weber, 57, ist Obstbauberater und Versuchsansteller
in der Lehr- und Forschungsstation für Obstbau in Klein-Altendorf
Quotes
„Birnen vollreif auf den Tisch zu kriegen, ist eine Kunst“
„Direktvermarktung kommt nicht ohne Birnen aus“
„Wir müssen uns mit einem regionalen Produkt herausheben“
„Auch die neuen Apfelsorten sind durch die Selbstvermarktung eingeführt
worden“
„Bei Birnen wirken keine chemischen Ausdünnmittel“
„Die Lagertemperaturen können bis -0,5 runter gehen“
„Alle Birnen sind alte Sorten. Das ist 18. Jahrhundert“
„Der Standort muss stimmen: keine Frostlagen und nicht zuviel Kalk im Boden“
„Auch farbige Sorten, meist Forellen-Abkömmlinge, sind im Kommen“
„Die Birne ist nicht beratungsintensiver als der Apfel“
„Vier Kriterien: Menge, Arbeitsaufwand, Haltbarkeit, Preis“
„Der Apfelanbauer braucht keine neue Maschine, um einen Hektar Birnen zu
pflanzen“