Länder Forum Politik Fortbildungen, Fachgespräche Deutscher Hausärzteverband Landesverband Westfalen-Lippe e. V. Fotos: Fotowerk Rund 100 geladene Gäste folgten der Einladung des Landesverbandes zum Gesellschaftsabend. Weitere Informationen unter www.hausaerzteverband-wl.de Der Hausarzt 07/2016 und festliche Momente Drei Tage volles Programm, volle Seminarräume und spannende Diskussionen: Der 9. Westfälisch-Lippische Hausärztetag, der vom 10. bis 12. März 2016 in Münster stattfand, war ein Erfolg. Der Vorstand des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe (HÄVWL) um die 1. Vorsitzende Anke Richter und das Organisationsteam konnten sich nicht nur über gut besuchte Fortbildungen freuen. Auch das Rahmenprogramm kam bei den zahlreichen Gästen an. So legte die Nachwuchsinitiative Allgemeinmedizin einen gelungenen Start hin: 50 Medizinstudierende sowie Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung nutzten die Gelegenheit, mit zwölf Experten über die „Zukunft Praxis“ zu diskutieren (siehe DER HAUSARZT 06/2016). „Ein toller Auftakt, der uns anspornt, an diesem Thema dranzubleiben“, so Anke Richter. Die Planungen für weitere Veranstaltungen laufen bereits. Ganz im Zeichen der HZV stand die Delegiertenversammlung, bei der Richter den neuen HZV-Beauftragten des HÄVWL vorstellte: Dr. Norbert Hartmann, ehemaliger Vorsitzender des Landesverbandes, wird sich auch in Zukunft mit ganzer Kraft diesem Thema widmen und den Vorstand bei der Weiterentwicklung und -verbreitung der HZV unterstützen. Festlicher Höhepunkt war der Gesellschaftsabend. Rund 100 geladene Gäste, darunter NRW-Landtagspräsidentin Carina Gödecke, h9. Westfälisc r e ch is p Lip g Hausärzteta feierten in stimmungsvoller Atmosphäre im „A2“, direkt am Münsteraner Aasee. Politisch ging es am nächsten Tag weiter: Bei der berufspolitischen Podiumsdiskussion stand die Förderung des hausärztlichen Nachwuchses und der Allgemeinmedizin im Fokus. Neben Anke Richter stellten sich Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender Deutscher Hausärzteverband, Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender AOK Nordwest, Thomas Müller, Geschäftsführer Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe, Prof. Dr. Andreas Sönnichsen, Leiter und Lehrstuhlinhaber Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der Universität Witten/Herdecke und CDU-Landtagsabgeordneter Oskar Burkert den Fragen der Moderatorin Dr. Monika von Berg und des Plenums. „Allgemeinmedizin ist ein tolles Fach. Es ist breit gefächert“, stellte Anke Richter gleich zu Beginn klar. Dass es trotzdem Nachwuchssorgen hat, liegt nach Ansicht von Prof. Dr. Andreas Sönnichsen unter anderem an einem Imageproblem. „Wir müssen erreichen, dass junge Leute sich schon im Studium so für dieses Fach begeistern, dass sie ganz automatisch eine Prüfung in Allgemeinmedizin machen wollen.“ Von Pflichtprüfungen halte er nichts. „Wir brauchen positive Botschaften“, forderte Ulrich Weigeldt. Etwa die, dass es keine bessere Geldanlage als eine eigene Hausarztpraxis gebe. Finanzielle Sicherheit sei ein entscheidender Faktor bei der Berufswahl. Seinen Abschluss fand der Hausärztetag mit einer Premiere: Bei der ersten Mitgliederversammlung des gesamten Landesverbandes stellte der im Dezember gewählte Vorstand sich und seine Aufgaben vor. Daniela Thamm 27 Aus den Forum Politik Ärzte und die Krux der Selbstdiagnose Ingrid Dänschel, Vorsitzende des Sächsischen Hausärzteverbandes, bedauert, dass das Thema Ärztegesundheit bislang weder in der Öffentlichkeit noch in der Hausärzteschaft ernsthaft diskutiert wird. Zur Frühjahrstagung ihres Verbandes hat sie daher Gensichen eingeladen, um dafür zu sensibilisieren: „Wir müssen sorgsamer mit uns selbst umgehen“, sagt Dänschel, „einige Kollegen belastet es sehr stark, dass es keine 28 Prof. Jochen Gensichen, Leiter des Instituts Allgemeinmedizin an der Uni Jena genaueren Regelungen für eine systematische Supervision gibt, geschweige denn eine Stelle, an die Ärzte sich wenden können, um sich im eigenen Krankheitsfall vertraulich behandeln zu lassen. Hier müssen wir dringend Angebote schaffen.“ Das Thema Ärztegesundheit kratzt am eigenen Rollenbild: Zum einen können sich Ärzte generell nur schwer mit der Patientenrolle identifizieren, zum anderen spielen auch Tab: Barrieren für Hausärzte, einen Hausarzt aufzusuchen BARRIERE ANTEILE IN % Viel selbst kurieren wollen/ können 62 Als Selbstständiger keinen Bedarf an AU-Bescheinigung 43 Fehlende Zeit 33 Kollegen nicht belasten wollen 15 Kollegen nicht in unange nehme Situation bringen 7 Andere 7 Fehlendes Vertrauen 5 Ergebnisse der Befragung thüringer und sächsischer Hausärzte Die Autoren der Studie haben aber noch ein zweites wichtiges Handlungsfeld erkannt: Dabei steht nicht der erkrankte Hausarzt im Mittelpunkt, sondern der, der ihn behandelt. Der Arzt-Behandler trifft auf einen ärztlich kompetenten, aber befangenen Patienten. Nicht selten herrscht daher auch auf Seiten der Behandelnden Verunsicherung: Einerseits brauchen Ärzte besonders zeitintensivere Erklärungen als andere, andererseits weiß der behandelnde Arzt nicht, welches Vorwissen vorausgesetzt werden kann. Bis hier Vertrauen aufgebaut ist, dauert es länger, als bei nicht-ärztlichen Patienten. „Die deutsche Ärzteschaft muss sich um dieses Thema mehr kümmern“, fordert Gensichen. In der Theorie fehlten tiefergehende, evidenzbasierte Untersuchungen. Für die Praxis verweist er auf Irland und Großbritannien, wo es spezielle Ärztezentren mit geschultem Fachpersonal für die Behandlung von Ärzten gibt. Auch dem Datenschutz müsse mehr Beachtung geschenkt werden: anonyme Patientenakten, die vermeiden, dass das gesamte medizinische Personal Kenntnis über den Gesundheitszustand eines Kollegen hat, wären aus Gensichens Sicht essenziell für das Vertrauensverhältnis und somit für die Bereitschaft, sich selbst in ärztliche Der Hausarzt 07/2016 Foto: Katalin Valeš Wie gehen Ärzte mit ihrer Gesundheit um? Dr. Sven Schulz, Mitautor der neuen Studie „Ärztegesundheit bei Hausärzten“ (s. Kasten), bricht es auf eine einfache Formel herunter: „Hausärzte reagieren oft zu spät, zu eigenmächtig und auf ungünstigen Wegen, wenn es um ihre eigene Gesundheit geht.“ 95 Prozent der befragten Hausärzte in Sachsen und Thüringen therapieren sich im Krankheitsfall selbst. 92 Prozent ergreifen Maßnahmen der Selbstdiagnostik und mehr als die Hälfte (56 Prozent) gaben an, die informelle Konsultation in Anspruch zu nehmen – also lieber kurz telefonisch mit einem Kollegen zu sprechen, statt zum Arzt zu gehen. Für die Autoren der Studie sind das alarmierende Zahlen: „Ärzte, die sich selbst behandeln, sind nicht objektiv gegenüber sich selbst“, warnt Prof. Jochen Gensichen vom Institut für Allgemeinmedizin des Uniklinikums Jena. Es fehle die professionelle Distanz eines Behandlers, der eine systematische Dokumentation und Zusammenschau macht und Einzelbefunde kontinuierlich überwacht. Krankheitssymptome drohen so übersehen zu werden. Scham, existenzielle Ängste und der Glaube, am Arbeitsplatz unverzichtbar zu sein, eine Rolle. Doch Ärzte sind nicht „unverwundbar“ und nicht nur die „Anderen“ werden krank. Unter Hausärzten sind somatische Krankheiten ebenso verbreitet, wie bei der restlichen Bevölkerung. Dennoch haben lediglich 19 Prozent der befragten Hausärzte selbst einen Hausarzt - von denen mit einer chronischen Erkrankung sind es gerade mal 24 Prozent. Ländern Forum Politik Dokumentation: Das rät der Richter Behandlung zu begeben. Zudem appelliert er an Hausärzte: „Informelle Konsultationen unbedingt vermeiden! Diese Haltung muss zum selbstverständlichen Teil des Berufsethos‘ werden“ – für beide Seiten: Der Arzt-Patient dürfe nicht um die informelle Konsultation bitten, der Arzt-Behandler müsse die informelle Auskunft verweigern oder in eine formelle Konsultation überführen. Katalin Valeš Foto: Katalin Valeš Ärztegesundheit bei Hausärzten Das Institut für Allgemeinmedizin der Uni Jena hat das Krankheitsverhalten von Hausärzten untersucht, unterstützt von der Stiftung Allgemeinmedizin. Es wurden Hausärzte in Thüringen und Sachsen im Mai und April 2014 schriftlich befragt. Von 1.000 Angeschriebenen haben knapp 30 Prozent den Fragebogen beantwortet. Im Schnitt waren die Teilnehmer ca. 53 Jahre alt, hatten 2,1 Kinder und waren 27,1 Jahre ärztlich tätig. Zwei Drittel waren weiblich. Knapp 58 Prozent gaben an, unter einer chronischen Erkrankung zu leiden (am häufigsten darunter Herzkreislauf-, Muskelskelett-, Stoffwechselsystem). Autoren der Studie: Sven Schulz, Franziska Einsle, Nico Schneider, Michel Wensing, Jochen Gensichen. Der Hausarzt 07/2016 Eine gute Dokumentation ist für Allein seine Aussage vor Gericht jeden Hausarzt unverzichtbar. wird dann nicht ohne weiteres ausreichen, den Beweis zu führen. „Doch es gibt viele Unsicherheiten, besonders bei der PfleGilbert Häfner, geheimdokumentation“, sagt InWie sollte dokumentiert Präsident des Landgerichts Dresden grid Dänschel, Vorsitzendes des werden? Sächsischen Hausärzteverbandes. Maßgeblich ist, dass ein Arzt-KolWünschenswert seien klare Richtlinien und lege die Formulierungen in der Dokumeneine Handreichung für Formulierungshiltation versteht. In der Verwendung von Abfen, etwa vom Medizinischen Dienst. Bei der kürzungen, Zahlen-Codes und Fremdworten Frühjahrstagung des Verbands hat Richter ist der Arzt relativ frei. Wichtig ist, dass zeitGilbert Häfner, Präsident des Landgerichts nah dokumentiert wird. Dresden, Dokumentations-Tipps gegeben. Haben Sie weitere praktische Tipps? In etwa der Hälfte der Arzthaftungsprozesse am Landgericht Dresden spielt die ärztliche Dokumentation eine Rolle. Was raten Sie als Richter zu dokumentieren? Gilbert Häfner: Auch wenn es lästig ist, sollte der Arzt die Dokumentation nicht vernachlässigen. Das Gesetz schreibt in Paragraf 630f Abs. 2 BGB vor, dass sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen sind, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Außerdem sind Arztbriefe zur Patientenakte zu nehmen. Was passiert, wenn der Arzt nicht ausreichend dokumentiert hat? Hat der Arzt eine medizinisch gebotene Maßnahme oder ihr Ergebnis nicht dokumentiert, so wird im Streitfall vermutet, dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat. Das führt zwar nicht unmittelbar zu einer Haftung, bringt ihn aber in eine schwierige Beweissituation. Während im Allgemeinen der Patient den Behandlungsfehler und seine Kausalität für einen Schaden beweisen muss, trifft bei gebotener aber fehlender Dokumentation den Arzt die Beweislast. Sicher würde in einigen Fällen die Foto-Dokumentation eines Befundes viel Schriftkram ersparen. Auch die Beschwerden zu dokumentieren, würde ich empfehlen – obwohl es so explizit nicht im Gesetz steht. Die Aufklärung über die Behandlungsschritte muss immer auch mündlich erfolgen. Es reicht nicht, dem Patienten einen Aufklärungsbogen unterschreiben zu lassen. In der Akte muss jedenfalls in Stichpunkten dokumentiert werden, dass und worüber aufgeklärt wurde. Das Gesetz sagt, dass Eintragungen in der Patientenakte nur dann nachträglich verändert werden dürfen, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, was ergänzt oder berichtigt wurde und von wem. Was bedeutet das in der Praxis? In der Papierform ist das kein großes Problem. Es gilt: Ich darf nicht radieren oder übermalen. In der elektronischen Form ist das ein größeres Thema: Ein Überschreiben oder Löschen darf mit der Software nicht möglich sein, das Datum von Ergänzungen muss feststellbar sein. Wer mit älterer Software arbeitet, die nachträgliche Änderungen von Einträgen ermöglicht, könnte Probleme bekommen. Im Gespräch mit Katalin Valeš Hinweis: Langfassung und zusätzliche Tipps im Onlineartikel unter www.derhausarzt.eu 29 Länder Forum Politik Deutsches Hausarztsystem – Die japanische Delegation zu Gast in der Hausarztpraxis von Dr. Thomas Heyer (re.) und Dr. Ingo Hrastnig (li.) in Stuttgart. Das japanische Gesundheitssystem kennt keine Hausärzte – und spürt jetzt die Folgen. Eine hochrangige Regierungsdelegation hat sich deshalb bei Hausärzten in Baden-Württemberg nach einer Lösung erkundigt. Japan und Deutschland stehen angesichts des demografischen Wandels vor ähnlichen Herausforderungen. Der Anteil der über 65jährigen, der in Japan 2014 bei 26,1 Prozent (Deutschland: 21,1 Prozent) lag, wird bis 2060 auf etwa 40 ProDer „Bierdeckel“ unzent (Deutschland 33 Prozent) seres AOK-Vertrages steigen. Die japanischen Männer fand sehr großes Inteund Frauen haben weltweit die resse. höchste Lebenserwartung, wähDr. Frank-Dieter Braun, 2. Vorsitzender des Hausärzteverbandes rend die Geburtenrate ähnlich Baden-Württemberg niedrig ist wie in Deutschland. Im Unterschied zu Deutschland gibt es in Japan keine Hausärzte und schon gar nicht eine Hausarztzentrierte Versorgung. „Die Patienten dort wenden sich ohne irgendwelche Zugangsregularien direkt an einen Spezialisten“, hat Dr. FrankDieter Braun, 2. Vorsitzender des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg, bei einem Besuch einer japanischen Regierungsdelegation in Stuttgart erfahren. Entsprechend hoch sind die Gesundheitsausgaben. Die japani- 30 sche Regierung denkt deshalb jetzt ernsthaft über den Aufbau einer hausärztlichen Versorgung nach. Bei einem anderthalbstündigen Besuch in der Hausarztpraxis von Dr. Thomas Heyer und Dr. Ingo Hrastnig in Stuttgart wollte die vierköpfige Delegation, die von einer Dolmetscherin begleitet wurde, vor allem auch erfahren, welche Rolle den Hausärzten in Deutschland angesichts einer alternden Bevölkerung zukommt. Das besondere Interesse der japanischen Experten galt dem in Baden-Württemberg zwischen Hausarztverband, MEDI und AOK seit 2008 erfolgreich laufenden ersten HZV-Vertrag gemäß § 73b SGB V. „Wir konnten deutlich machen, dass mit diesem Versorgungsmodell der Hausarzt gestärkt wird und alle notwendigen Leistungen vergütet werden“, erklärt Heyer, der auch Vorstandsmitglied des baden-württembergischen Landesverbands ist. Beim anschließenden Besuch in der Landesgeschäftsstelle informierten sich Dr. Takeshi Tsuchida, ehemaliger Präsident des „Chuuikyo“ (vergleichbar dem GBA), Dr. Shinji Tanak, Professor für Rechtswissenschaften und Soziale Sicherungssysteme an der Niigata Universität, der Präventivmediziner Shinichi Tomioka und der Gesundheitsattaché der japanischen Botschaft in Berlin, Hirotaka Furukawa über die Rolle des Hausärzteverbandes und unsere Hausarztverträge. „Der „Bierdeckel“ unseres AOK-Vertrages fand sehr großes Interesse. Unsere japanischen Gäste waren gut vorinformiert, sehr interessiert und haben fleißig mitgeschrieben“, berichtet Braun. „Wir haben ihnen zusätzliche Unterlagen zur Versorgungssituation mitgegeben und sind jetzt sehr gespannt, was die japanische Regierung für die Zukunft der Versorgung ihrer Bevölkerung plant“. Jürgen Stoschek Der Hausarzt 07/2016 Foto: Thomas Schlegel, Khvost - Fotolia Vorbild für Japan? Deutscher Hausärzteverband Landesverband Baden-Württemberg e. V.
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