PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Pastoralreferentin Stefanie Sehr, Darmstadt
Zuspruch am Morgen in hr2-kultur am Mittwoch, 10.08.2016
Lebensmotto
Immer mal wieder begegne ich Menschen, die wirken, als würden sie ein Lebensmotto vor
sich hertragen. „Das Leben ist ein Kampf“ oder „Man bekommt nichts geschenkt“ sind
solche Sätze. Gerade dieses „Das Leben ist ein Kampf“ entdecke ich bei älteren
Menschen oder habe es auch bei meiner Mutter erlebt: Da sind schon so viele schwere
Sachen im Leben passiert, dass man das Leben insgesamt als anstrengend erlebt. Bei
meiner Mutter war es z.B. so: Sie ist in einer Zeit aufgewachsen, in der es noch gar nicht
so selbstverständlich war, dass Mädchen Abitur machen durften. Ihr Lehrer musste bei
ihrem Vater darum betteln, dass sie weiter zur Schule gehen durfte. Oder später hat sie
meinen Bruder und mich alleine aufgezogen, damals waren Alleinerziehende in einem
Dorf nicht gerade gut angesehen. Da gab es viel zu kämpfen: um Anerkennung, um
Unterstützung. Manche beißen sich so durchs Leben durch und würden den Satz ohne
Zögern unterschreiben: Das Leben ist ein Kampf.
Mir geht es dann so: Ich kann das Anstrengende in solchen Leben sehen und auch, wie
viel Kraft manchmal im Alltag bleibt, wenn alles drumherum mühevoll und aufreibend ist.
Gleichzeitig merke ich aber auch: Ein solches Lebensmotto kann mich auch blockieren.
Ich sehe ja bei mir selbst sozusagen Geerbtes von meiner Mutter und ihren Eltern, die
nach diesem Motto gelebt haben. Das steckt auch tief in mir drin: Dass ich mir etwas
erkämpfen muss, mir nichts geschenkt wird, ich immer etwas tun muss. Und die Gefahr ist
dann, dass ich gar nicht mehr das im Leben sehe und wahrnehme, was ohne Kampf läuft,
was auch schön und einfach und leicht ist.
Eine ganze Weile habe ich das regelrecht geübt: Ich hab mir abends Zeit genommen und
mir drei schöne Dinge von diesem Tag nochmal in Erinnerung gerufen. Drei Dinge, für
dich ich nicht kämpfen musste, die mir einfach so geschenkt wurden. Irgendwann war es
gar nicht mehr so schwierig, und mir sind weitaus mehr als drei Dinge eingefallen: Dass
ich etwas Gutes geträumt habe, dass sich ein Freund überraschend gemeldet hat, dass
ich in einem ernsten Gespräch auch lachen konnte. Ja, das sind alles vielleicht nur
Kleinigkeiten, zeigen mir aber auch: Das Leben ist nicht nur ein Kampf. Eine Bekannte hat
da einen ganz passenden Ausdruck gefunden: Das Leben gleicht einem Hindernislauf.
Das klingt nicht ganz so negativ wie Kampf und kann ja auch bedeuten: Hindernisse gibt
es im Leben, vielleicht komme ich aber auch um sie herum, wenn ich mich nicht ständig
nur auf sie konzentriere.
Ich möchte damit nicht sagen, dass Positivdenken das Leben schön macht und sich damit
alle Hindernisse und alles Kämpferische alleine aus dem Weg räumen lassen. Ich denke
nur: Es macht bestimmt Sinn, bei mir selbst nach meinem vielleicht unbewussten
Lebensmotto zu forschen. Und es in Frage zu stellen, wenn es mein Leben negativ
beeinflusst. Denn es ist ja nur ein Lebensmotto und nicht das Leben selbst. Das kann ich
immer mit verschiedenen Perspektiven sehen.
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Und ich finde: Das Leben ist lebenswerter, wenn ich bei allem Schweren und Mühevollem
auch das bewusst wahrnehme, was mir geschenkt wird und mich dankbar sein lässt.
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