Predigt - Kirche im WDR

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Predigt Hörfunkgottesdienst
am 20.12.2015
aus St. Martini-Stift, Nottuln
Domvikar Dr. Jochen Reidegeld
Liebe Schwestern und Brüder hier in der Kapelle des Martinistiftes und liebe Hörerinnen und Hörer,
wenn ich in der Katechese oder bei der Predigt die Mitfeiernden des Gottesdienstes frage, wer schon einmal
Gott begegnet ist, dann heben sich selten mehr als ein oder zwei Hände. Das hat nur mittelbar etwas mit
westfälischer Zurückhaltung zu tun, sondern damit, dass Viele zwar an die Gegenwart Gottes glauben, sich
es aber für sich selbst nur schwer vorstellen können, dass Gott ihnen so persönlich nahe kommt.
Anders dagegen die Begegnung im gerade gehörten Sonntagsevangelium. Geschildert wird die Begegnung
zwischen Elisabeth und Maria. Sie ist mehr als die Schilderung eines vorweihnachtlichen Ereignisses – sie
ist ein Urbild für das Wunder des Glaubens, dass – davon bin ich überzeugt – auch einem jeden von uns
verheißen ist.
Wenn ich nämlich auf die Geschichte meiner eigenen Glaubenserfahrungen schaue, dann ist die Hoffnung
dass Gott mir nahe ist / dass ich ihm begegnen kann, vor allem in Begegnung mit anderen Menschen, mir
geschenkt worden. Und genau davon möchte ich erzählen:
Im Januar dieses Jahres bin ich als Schirmherr einer gemeinsamen Initiative von Eziden, das ist eine kleine
kurdische Religionsgruppe, und Christen in das türkisch syrische Grenzgebiet bei der Stadt Kobane gereist,
um Lebensmittel und andere Hilfsgüter in die Flüchtlingslager zu bringen. Meine Reisebegleiter und ich
haben dort in viele menschliche Abgründe geschaut. Menschen berichteten uns von den Gräueltaten, die der
islamische Staat an ihren Familien begangen hat. Nie vergessen werde ich das Bild einer Frau mit ihrem
kleinen Kind auf dem Arm, die stammelte: „Mein Vater, mein Vater ist umgekommen“ und mit Blick auf ihr
Kind sagte sie: „Babys, sie töten sogar die Babys.“ Tiefe Trauer ergriff mich und Schmerz über dieses Elend.
Meine Begleiter führten mich weiter an die Grenze. „Sie können einer Gruppe von Menschen, die sich dort
aufhält ein großes Zeichen der Solidarität schenken“ sagten sie, um diesen Abstecher zu begründen. Wir
waren nicht ohne Furcht, einen Ort aufzusuchen, der ein oder zwei Kilometer von der Grenzstadt Suruc
entfernt lag, die noch zu einem Drittel von IS Truppen besetzt war. Und doch hatten wir uns entschlossen,
der Einladung zu folgen.
Dort trafen wir auf Männer und Jugendliche, die eine unbewaffnete Menschenkette gebildet haben. Sie
bewachten die Grenze, damit keine IS Kämpfer über die Grenze einsickern und keine Waffen zu den
Terroristen nach Kobane gelangen konnten. So schutzlos wie sie dastanden, riskierten sie ihr Leben – denn
sie wurden beschossen. Und doch hielten sie aus. Ein absolut mutiges Unterfangen. Und dann: die
Einladung an mich und meine Begleiter sich dazuzustellen, sich einzureihen – trotz aller Gefahr!
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich selten in meinem Leben so viel Angst hatte. – Aber in dem Moment, da
ich mit diesen mutigen Menschen in einer Reihe stand – Hand in Hand – da habe ich wie selten zuvor eine
derart innige Verbundenheit gespürt. Ich begriff ganz tief, dass ich dort nicht mehr mit Fremden, sondern mit
meinen Brüdern in einer Reihe stand – weil wir alle Geschöpfe aus Gottes Hand sind, weil Gott in jedem von
uns wohnt. Ja mehr noch: Gott teilt auch ihre Angst, ihre Not und ihre Sehnsucht nach einer Zukunft in
Frieden und Sicherheit. Für mich ist dieses öde Grenzland, diese Front eines unfassbar grausamen Krieges
zu einem Ort der Gottesbegegnung geworden.
Eine weitere Begegnung dieser Art wurde mir geschenkt, als wir dann den Bürgermeister der Stadt
Veranjava kennenlernen durften. Er ist erst wenige Wochen vor unserem Treffen aus dem Gefängnis
entlassen worden, in dem er vier Jahre ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren festgehalten wurde. Er hat
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erzählt, wie seine Frau mit ihren Kindern an jedem Abend in dieser schweren Zeit an die Gefängnismauer
kam, damit er durch das Zellenfenster einen Blick auf sie erhaschen konnte. Und dieser Mann, der allen
Grund hatte, verbittert oder wütend zu sein, sagte zu uns: „Ich wünsche keinem von denen, die mir das
angetan haben irgendwas Böses. Menschlichkeit und Versöhnung sind der einzige Weg, damit wir in dieser
Region in Frieden miteinander leben können.“ Dieses Wort war für mich auch ein Moment der
Gottesbegegnung: Aus diesem Menschen sprach Gottes Ruf der Versöhnung.
Zurück in Deutschland gehen mir diese Begegnungen nach. Gott kann mich anrühren, er will mir begegnen.
– Das gilt nicht nur für mich, das ist ein Herzstück des christlichen Glaubens. Die Erfahrungen in Syrien
haben mir die Augen geöffnet: In jedem Augenblick und vor allem in jedem Menschen kann ich mit dieser
Nähe Gottes rechnen. Und das gilt auch hier in Deutschland.
Wenn ich Gott begegnen will, dann treffe ich ihn bei den Menschen an, auf deren Seite er besonders steht:
bei denen, die am Rande stehen, bei denen, die in ihrer Not das Licht der Hoffnung und die Kraft der
menschlichen Zuwendung ersehnen.
Es macht mich froh zu sehen, an wie vielen Stellen dies in unseren Gemeinden schon geschieht. Menschen
stehen an der Seite der Sterbenden in unseren Hospizgruppen, an der Seite der Kranken bei den
Krankenhausbesuchsdiensten, an der Seite der Notleidenden in den Kleiderstuben und gemeindlichen
Tafeln und Sozialbüros, an der Seite der Flüchtlinge in den vielen Initiativen der Pfarrei für die Menschen, die
vor Krieg und Terror geflohen sind. Für all diese engagierten Christen kann dieser Ort zu einer Erfahrung der
besonderen Nähe Gottes werden – davon bin ich fest überzeugt; und sie werden selbst zu Christusträgern –
zu Menschen, die wie Maria in der Begegnung mit Elisabeth die Erfahrung der Nähe Gottes schenken.
Für mich ist gerade die Adventszeit im Besonderen Vorbereitungszeit für diese Begegnung mit Gott. Und das
gilt nicht nur für das soziale Engagement, es reicht viel weiter: Wenn ich eingeladen bin zum Gebet an jedem
Tag, wenn ich gerufen bin zur Heiligen Messe und zum Empfang der Sakramente, dann geht es nicht um
eine religiöse Pflichterfüllung. Es geht mir darum, eine innere Haltung jener Wachsamkeit auszuprägen, die
das Kind im Leib der Elisabeth hüpfen lässt. Der, der die Stimme in der Wüste sein wird, der den Weg des
Herrn bereiten soll, ist schon im Mutterleib sensibel für die Gegenwart Gottes. Und das möchte ich auch sein
– und das würde ich mir für alle Menschen wünschen: Sei wachsam, sei sensibel für die Begegnung mit
Gott, die dir immer wieder neu geschenkt wird. Werde ein Mensch wie Johannes, der den Ruf schon im
Bauch seiner Mutter hört, wie es das Evangelium heute deutlich machen will.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Hörerinnen und Hörer. Lassen sie uns bereit sein Hinzuhören auf den
Ruf Gottes. Mehr noch, lassen sie uns mutig sein zum Aufbruch, auf die Menschen hin, die am Rande
stehen unserer Gesellschaft. Ihnen und auch uns gilt doch die Verheißung Jesajas, die wie eine Losung
nicht nur die Adventszeit begleitet: „Über denen, die im Land der Finsternis wohnen geht ein helles Licht
auf“.
Ich vertraue fest darauf, dass wir dabei unter dem Segen Gottes stehen und zum Segen werden.
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