hier online... - Sandra Gatti

Liebi Altikerinnen
Liebi Altiker, liebi Gescht
Wonich im Früelig d Iladig vo Ihrem Gmeindspresidänt übercho han, bini
zerscht schochli verschrocke. Eigetli stönd doch a somene Alass immer
ganz wichtigi Politiker a dem Pültli. De Jörg Schöneberger hät mir aber
grad vo Afang a gseit, ich mösi kei politischi Red halte, es törfi au mit
em Mörderhölzli ztue ha. Für mich isch s Thema denn rasch klar gsi…
Mit de Entstehig vo mim Buech han ich persönlich nämlich ganz wichtigi
Erfahrige gmacht. Vo dene möchte ich Ihne prichte und dezue ane
verzell ich Ihnen na es paar idrücklichi Gschichte us mim bruefliche und
private Alltag.
Es gaht ums Rede, ums mitenand rede. Das hät nämli erscht de
Grundstei zu mim Buech gleit. Und das isch vermuetli de Grund gsi, also
s nid mitenand rede, dass d Polizei dozmal de Mörder nid gfunde hät.
Aber zerscht na für all die, wos Mörderhölzli nid gläse händ: Ich bin
Bürgerin vo Altike, da sind mini Wurzle. Min Grossvater, de Heiri Müller,
isch z Altike gebore worde, und au da gstorbe. Min Papi, de Heinz Müller
und sini Schwöschtere, sind da ufgwachse. Min Brüeder Roland wohnt
mit sinere Familie wieder z Altike. Mis Grosli, d Marie Müller-Bienz hät vili
Jahr uf de Chrüzstrass gwirtet, ihres Gschnätzlete seg schints bis uf
Winterthur berüemt gsi. Ich han mini erste paar Läbesjahr da verbracht
und au später regelmässig mini liebe Grosseltere bsuecht. Meh als eimal
bin ich bi ine undere gschloffe, wenn ich Liebeschummer gha han, oder
suscht echli Abstand zu all mine Sorge brucht han. Mis liebe Grosli hät
nie Nei gseit. So vill Güeti, wünscht ich, hett ich für mini Chind und mini
Nächschte, well uusgnutzt, hämmirs eigetli nie.
Sie ghöreds: Mit Altike verbind ich schöni Erinnerige und vill
Geborgeheit. Das alles hät mich motiviert, d Gschicht vo de arme Anna
Müller, minere Urgrosstante, ufzschaffe.
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Sovill zu mim Hindergrund. Aber jetzt zum Thema.
Rede, mitenand rede, kommuniziere.
Ich bin sit guet zwei Jahr z Dinert ide Chilepfläg. Det sitzed mir
regelmässig zäme. Ich ha mir vorher nie so richtig chöne vorstelle, was
genau a sonig Sitzige ablauft. Jetzt weiss ichs: Mer diskutiert und redt
mitenand. Alli Aläss, alli Neuerige und Veränderige händ ihren Ursprung
i sonige Gspröch. Gschäftsleitige sitzed zäme und planed. Ihren
Gmeindrat macht das au und selbst Erfinder und Künstler sind ufs
Feedback vo andere aagwise. Alles hät sin Ursprung irgendwie imene
Gspröch, imene Ustusch mit anderne.
Grad hüt erinnered mir eus ja a sone ganz bsundrigi „Sitzig“, anes Treffe
vor meh als 700 Jahr uf em Rütli, wo – so verzellts d Legende - de
Werner Stauffacher, der Walter Fürst und de Arnold von Melchtal sich
troffe und denn en Eid gschwore händ. - Mängisch entstaht us sonere
Zämekumft öpis ganz Grosses. Und damit s Grosse Bestand hät, simir
alli gforderet.
Sie wüssed ja sicher, dass mir au ohni Wort kommuniziered. Nid z
kommuniziere, seg schints unmöglich, wen en Wüsseschaftler
usegfunde hät. Eifach well mir au mit Tate und Geschte, sogar mit
eusem Schwige, Ussage mached gegenüber eusne Mitmänsche.
D Komplexität vo eusere Sprach isch eine vo de wichtigste Faktore
überhaupt, dass d Menschheit sich so wiit hät chöne entwickle.
Dur d Sprach hät sich de früeni Mensch plötzli besser chöne organisiere,
hät zum Bispil d Jagd oder au d Nahrigssuechi chöne gnäuer abspräche.
De Mensch isch ebe eigetli nie en Einzelgänger gsi. Und das gilt halt au
hüt na, i Zyte vo Singelhushält und grosser Autonomie. Mir alli sind uf
anderi agwise, au wänn mir das mängisch echli vergässed.
Min Papi seit immer: „Mer mues halt rede mitenand“.
bekannt vor?
Chunt ine das
Es isch bi eus e gängigs Sprichwort. Mängisch heisst denn sogar: Mer
mues halt rede mit de Lüt, mit em Vee ret mer ja au.
Und wenn ich ehrlich bin, isch das mit dem Mitenand Rede öpis, wonich
erst die letzte Jahr eso richtig begriffe han und au hüt na immer wieder
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es Stuck meh begriffe. Öpis, wonich immer na tagtäglich als Useforderig
gsehn, v.a. wenns mich ganz persönlich betrifft.
Es hät mich z.B. sehr vill Überwindig koscht, mit den eltischte Altiker
Kontakt ufznäh und nach dem Verbreche im Mörderhölzli z fröge. Aber
de Wunsch nach Gerechtigkeit für di armi Anna isch eifach stärcher gsi.
So han ich also muetig agfange Frage stelle. Ich bin bi den eltischte
Altiker vorstellig worde, und han au mini hochbetagte Grosstantene
agsproche, wo die Beteiligte im Mordfall „Anna Müller“ na kännt händ.
Und ich bin überrascht gsi, we offe mini Frage beantwortet worde sind.
Und v.a. au: We fescht die Antworte übereingstumme händ. Ich han also
ganz einfach entlich Antworte übercho uf die Frage, wo dozmal 1906 nid
gestellt worde sind. Es wär also doch alles rächt eifach gsi: D Polizei hett
eifach möse die richtige Lüt fröge. Und wells das nid gmacht händ, isch
denn zu allem Elend ane au na es Tabu drus worde. Mer hett halt au do
scho möse mitenand rede. - Ich vermuete halt, dass mer dozmal ehner
meh mit em Vee gret hät.
Im Alltag wett ich eigetli am liebschte ohni Hilf uscho. Mir fallts schwer,
Wildfremdi oder au mini Nöchste azspräche und um Hilfs zbitte. Au da
lehr ich immer wieder dezue: Ich bin im Juni mit mim Partner uf ere Reis
in Skandinavie gsi. Nacheme astrengende Tag z Stockholm hämir eigetli
nüme möge zum Hotel zrugg laufe. Es hett es Tram gha, für das hett
mer es Billet brucht. Aber am Automat hät mer nur chöne mit de
Kreditcharte zahle und das hämer nid wele, wäg de höche Gebühre für e
sonen chline Betrag inere Fremdwährig. Ich han scho fast wele in suure
Öpfel bisse und mich greizt zum Hotel zrugg schleppe, da spricht min
Partner en Kondiktör a, wo grad us somene Tram usgstige isch (es wär
also au sträng kontrolliert worde, öb all sones Billet händ, we Sie
gsehnd). Jedefalls: De Kondiktör hät eus en Kiosk i de Nöchi zeiget,
womer hät chöne mit Bargeld es Billet chaufe. Und so hämir foif Minute
später chöne is Tram istige und eusi müede Bei echli usruebe
Mir händ denn es Mietauto übercho, en nigelnagelneue Volvo mit allne
Schiggane. S Navi wär cool gsi und au die ville Sicherheitsfunktione.
Aber es isch natürli alles uf Schwedisch gsi und drum hämir die Azeig
nid verstande und au nüt chöne istelle. Es paar Täg spöter hämer en
anders Schwizer Pärli käneglehrt und sind mit dene is Gspröch cho. Mer
händ denn vo eusne Problem verzellt. Er isch en begeisterete VolvoFahrer gsi und hät eus grad uswändig chöne säge, wie mir bi dem
Bordcomputer d Sprach und au suscht na es paar Figine chöned istelle.
Ich chan nur säge: Die Dame vom Navigationssystem hät denn plötzli
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super Tütsch chöne und mir händ eusi Underkünft vo dänn a uf Ahieb
gfunde.
Au us mim bruefliche Alltag han ich es paar Gschichte, wo mir in
Erinnerig plibe sind. Ich schaffe sit 25 Jahr am Bezirksgricht. Und da
mänschelets au, das chönd Sie mir glaube. Ich befass mich
hauptsächlich mit Erbschaftssache. Eusi Chunde sind inere
Usnahmesituation, sie händ en Todesfall z verchrafte und en Erbschaft z
regle. Mir begleited Sie es Stückli und da chunt mer einiges mit über.
Mängisch chömed z.B. Telefon: Jä gopfridili! Jetzt wart ich scho e halbs
Jahr uf de Erbschii. Ich sött fürschi mache! - Denn chunt amig us, dass
die Lüt de Erbschi gar nie bstellt händ. De chunt nämli nid automatisch.
Guet händs aglüte. Sie hetted sich nid müese e halbs Jahr lang ärgere.
Für das hämir ja es Telefon.
En ganz en spezielle Fall hani vor mängem Jahr erläbt. Es isch e richi
Frau gstorbe. Im Familieregister isch gstande, si hegi kä Chind und i
ihrem Testament hät sie gschribe, sie heg kei Aghörigi und drum
vermachi sie alles anere Institution. Mir händ aber vagi Hiwis gha, dass
die Frau emal es unehelichs Chind übercho heg. Mir händ nid gwüsst
wänn und au nid wo s ufd Wält cho isch. Au vo den übrige Aghörige hät
eus niemert chöne witerhälfe. Ich han gueti Kontäkt zum Zivilstandsamt.
Eine vo dene Kollege hät wen ich s Detektive-Gen; au er git nid gern uf,
forscht und suecht, wenn nötig au na am Fyrabig. Mir händ mitenand
telefoniert, meh als eimal. Es hät sich es hin und her ergä. Irgendwänn
hät er mir wieder aglüte: Mir händ en gfunde! En Sohn, wo inzwüsche z
Amerika gwohnt hät. Und de hät dank eusem Zämeschaffe und
mitenand rede meh als ei Million Schwizerfranke geerbt. Hetted mir
Dienst nach Vorschrift gmacht, jede für sich, hett de Ma nie vo sinere
libliche Mueter erfahre und au kä Gält gerbt.
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Zimli trurig isch aber gsi, was mir e Grossmueter vor es paar Jahr emal
am Telefon verzellt hät. Sie isch grad am Schribe vo ihrem eigene
Testament gsi. Sie hät schints ungewollt sit villne Jahr kä Kontakt meh
gha zu ihrere Tochter und zu den Enkel. Und well die Tochter kä Kontakt
zu ihre hät wele, hät die au de Kontakt vo de Grossmueter zu den
Enkelchind verhinderet. Zerscht hät d Grossmueter dene Chind amig na
Gschenkli und Briefe gschickt zum Geburtstag oder uf d Wienacht. Aber
irgendwänn sind die Sache denn zrugg cho zu de Absenderin. Sie hät
die Funkstilli müese akzeptiert, hät aber als verzwiflete letschte Wunsch
wele sicherstelle, dass ihri Enkelchind nach ihrem Tod ihri Nachrichte
überchömed. Ich han ihre denn empfohle, all die Briefe zume Päckli z
schnüere und das Päckli als Vermächtnis a ihri Enkel im Testament
ufzfüere. Eso informiert s Gricht die Enkel und sie chömed die Sache
über. Was die denn demit mached, isch ihne überla. Die alt Frau isch
sehr erliechteret und dankbar gsi. Ich glaube, sie lebt immer na, i de
Gwüssheit, dass ihri Enkel eines Tages ihri Wort werded läse. Sie hät
eifach nur wele agloset wärde.
Das mit em agloset werde isch ja ebe au vor Gricht wichtig, es
Grundrächt übrigens, wänns drum gaht, wes imene Strit söll witer gah: S
rächtliche Ghör gewähre bedütet, dass mer beidi Site aloset. Sie chönd
mir glaube: Da tönt ein und dieselbi Gschicht, au wenn beidi d Wahrheit
säged, hüfig grundverschiede.
Mir alli käned sonig zutüfscht menschlichi Konflikt: Es chunt i de beschte
Familie vor, am Arbetsplatz mänschelets, und au im Dorf oder i de
Nachberschaft isch mer sich nid immer grüen. Und sobald mer denn
selber betroffe isch vo somene Strit, wird’s schwierig, mit dem „mitenand
rede“. Mer müest nämli nid nume mitenand rede, sondern denand au
zuelose. Dezu ane chunt, dass eim bi somene Gspräch denn au hüfig di
eigne Fehler under d Nase gribe werded. – Aber: wär das eso schlimm?
- Wer isch denn scho ohni Fehler?
Mängisch cha mer en Konflikt trotz allem nid us de Welt schaffe,
mängisch sind d Läbesumständ und d Asichte vo de beide Parteie eifach
z verschide. Aber trotzdem cha mer denand läbe la. Mer müest
versueche z akzeptiere, dass der ander halt etz andersch läbt. Mängisch
mues mer eifach regle, dass mer denand kä Brot abhaut. Drum min
Appell hüt zabig a Sie, a mich, a Eus alli: schwiged Sie nöd: Reded Sie
mitenand und losed Sie denand zue.
Für Friede bruchts nämli würkli zwei, für Chrieg langet eine.
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Jetzt aber zum Abschluss na e heiters Gschichtli usem Tierrich, e Fable,
wo Eus hoffentlich bi passender Glägeheit wieder in Sinn chunt:
Eines Tages isch im Wald under de Tier grossi Ufregig gsi. Es isch s
Grücht umeggange, de Bär heg sie alli uf sini Spischarte gschribe. D Tier
händ nüme i und us gwüsst und vor luter Ungwüssheit, chum me ihren
Alltag chöne bewältige. De Hirsch hät drumm als erste all sin Muet
zämegno und hät bim Bär vorgsproche: Du Bär, stimmts dass ich uf
dinere Spischarte stahn? – De Bär hät gseit: Ja, das isch eso. Voller
Panik isch de Hirsch devogrännt. Zwei Tag spöter sind sini sterbliche
Überreste gfunde worde. Au de Fuchs hät s nüme usghalte und isch zum
Bär go fröge. Ja Fuchs, du stahsch au uf minere Spischarte. Es hät em
Fuchs nid vill gnützt, dass er was gisch was häsch furtgrännt isch. Au er
isch vom Bär ufgfrässe worde. Uf das abe händ sich all verchroche. Nu
de Hase hät na Hoffnig gha. Er isch tapfer zum Bär ghopplet. Stimmts,
dass ich uf dinere Spischarte stahn? – Ja Hase, das stimmt. – Chöntsch
mi evt. striche? – Druff abe de Bär: …….. Ah! Ok… ja, chani mache.
Ich wünsch Ihne allne en fridliche und schöne 1. August.
Alle Rechte vorbehalten.
Sandra Gatti-Müller
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