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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Über Interessenkonflikte in der Medizin
Von Martina Keller
Wiederholung: Montag, 25. Juli 2016, 8.30 Uhr
Erstsendung: Montag, 2. Februar 2015
Redaktion: Detlef Clas
Regie: Andrea Leclerque
Produktion: SWR 2015
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MANUSKRIPT
Sprecherin:
Neuchâtel. Ein Workshop im Hotel Beaulac am See. Gesponsert von einer
Pharmafirma. Während die Teilnehmer im Restaurant auf Kosten des Sponsors ein
leckeres Mittagsessen verspeisen, beißt Professor David Klemperer in einen Apfel.
O-Ton David Klemperer:
Der Apfel gehörte dem Hotel, den hat mir das Hotel freundlicherweise gratis zur
Verfügung gestellt, und das Brötchen werde ich mir gleich noch leisten können – ich
esse nicht auf Kosten der Pharmaindustrie.
Sprecherin:
Nicht nur sein Essen zahlt der Professor selbst, sondern auch die Anreise aus dem
fernen Regensburg und die Übernachtung im Vier-Sterne-Hotel. Er ist für einen 60minütigen Vortrag hier, zu einem Thema, das ihm wichtig ist: Interessenkonflikte in
der Medizin. Sponsor Interpharma, der Verband der forschenden pharmazeutischen
Firmen der Schweiz, bezahlt ihm dafür ein Honorar von umgerechnet 1500 Euro.
Doch Klemperer will das Geld nicht für sich.
O-Ton David Klemperer:
Mir ist dieser Ausflug einen Teil meines Weihnachtsgeldes wert, ich habe auf jegliche
Zuwendung verzichtet und spende das Geld der Buko Pharmakampagne, einer
Initiative, die sich auf sehr fundierte Weise mit Vorgehensweisen der
pharmazeutischen Industrie in der dritten Welt, aber auch auf europäischer Ebene
befasst.
Sprecherin:
Klemperer schwimmt nicht im Geld, seine drei Kinder studieren im Ausland. Warum
also lässt er sich seit mehr als 20 Jahren nicht einmal ein Mittagessen von
Arzneimittelherstellern bezahlen?
O-Ton David Klemperer:
Ich würde zwangsläufig dankbar sein müssen, wenn ich das Essen annehmen
würde, und ich möchte jegliche Gefühle von Dankbarkeit vermeiden. Ob ich das will
oder nicht, wenn ich das Essen annehme, dann bin ich dankbar. Das ist ein Gefühl,
das ich gar nicht steuern kann, und das möchte ich vermeiden.
Ansage:
Über Interessenkonflikte in der Medizin
Von Martina Keller
Sprecher:
Was Sozialmediziner Klemperer scheut wie Papst Franziskus den Prunk nennt die
Wissenschaft einen Interessenkonflikt.
O-Ton David Klemperer:
Ein Interessenkonflikt ist ein Zustand, eine Situation, in der es einen begründeten
Anlass dafür gibt, dass die Neutralität einer Person beeinträchtigt ist, dass sie in ihrer
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Beurteilung einer Situation, in ihrer Wahrnehmung einer Situation beeinflusst ist und
dadurch ein verzerrtes Urteil entwickelt.
Sprecher:
Der amerikanische Politikwissenschaftler Dennis Thompson hatte bereits 1993 ein
Konzept von Interessenkonflikten verfasst, das heute international verbreitet ist.
[Entscheidend ist demnach nicht, ob sich eine Beeinflussung im Nachhinein
beweisen lässt. Es geht allein um das erhöhte Risiko, dass vorrangige berufliche
Interessen hintan gestellt werden, dass zum Beispiel die Sorge um das
Patientenwohl hinter finanziellen Wünschen zurücktritt.
O-Ton David Klemperer:
Im Medizinbereich … gibt es eine Reihe von Situationen, in denen es begründete
Zweifel gibt an der Unbefangenheit, und das ist eine Folge von dem, was man als
Interessenkonflikt bezeichnet.]
Sprecher:
Interessenkonflikte sind nicht gleichzusetzen mit professionellem Fehlverhalten.
Wenn etwa ein Klinikleiter Geld annimmt, um dann bewusst die vom Geldgeber
gewünschte Entscheidung zu treffen, handelt es sich um Korruption.
Interessenkonflikte wirken eher unterschwellig.
O-Ton David Klemperer:
Wenn jemand mir ein Geschenk macht, … habe ich den Drang, das zu erwidern. Ich
sagte, ich hab den Drang, das ist ein Gesetz, was weltweit in allen Kulturen bei allen
Menschen verankert ist. Wir alle haben den Drang, den Impuls, Wohltaten, die man
uns verschafft, zu erwidern. Das ist ein hochfunktionaler Mechanismus, das hält
Gesellschaften zusammen, das bringt die Menschen zu Kooperationen, das schafft
Vertrauen, das ist wirklich ein sehr schöner Mechanismus – ausgesprochen schön.
Er kann aber auch eingesetzt werden als Waffe der Einflussnahme, als Mittel um uns
zu beeinflussen. An der Stelle ist das unschön, und das einzige Mittel, um das zu
verhindern ist, ist sich keine Wohltaten zukommen zu lassen, sich nichts schenken
zu lassen von denen, die dies als Waffe einsetzen.
O-Ton Thomas Lempert:
Es geht um unsere Köpfe, wir haben Angst bekommen, um das, was in unsere Köpfe
hineinkommt.
Sprecherin:
Thomas Lempert ist Chefarzt der Abteilung Neurologie an der Berliner SchlossparkKlinik.
O-Ton Thomas Lempert:
Es war mehr so ein wachsendes Unbehagen. Man unterhält sich bei den Kongressen
mit vielen Kollegen, und immer mehr äußerten, das kann nicht gut sein, wir haben
Schlagseite in Richtung Pharmaindustrie. Man muss sich vorstellen, die großen
Kongresse der Fächer, die viel Arzneimittel verschreiben, werden heute überwiegend
von der Pharmaindustrie finanziert …
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Sprecherin:
… und das möchte Lempert ändern. Wie Klemperer engagiert er sich im
Fachausschuss für Transparenz und Unabhängigkeit der deutschen
Arzneimittelkommission. Die beschloss im Frühjahr 2014 strenge neue Regeln, um
die Interessenkonflikte ihrer Mitglieder zu mindern. Im Herbst 2012 bereits startete
Lempert die Initiative Neurology first.
O-Ton Thomas Lempert:
Wir haben vor zwei Jahren einen Appell ins Internet gesetzt und alle Mitglieder der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie angeschrieben, das waren damals etwa 7000,
und ihnen gesagt, wir wollen in unserer Fachgesellschaft darauf hinwirken, mehr
Unabhängigkeit zu erlangen und unabhängig von der Pharmaindustrie unseren
gesamten Fortbildungskongress, unseren Jahreskongress zu organisieren und auch
Leitlinien zunehmend unabhängig von der Industrie zu formulieren.
Sprecher:
440 der heute 7500 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
unterschrieben den Aufruf, darunter viele Chefärzte und Oberärzte. Die Initiative
meldet erste Erfolge: Im März 2014 organisierten die neurologischen Chefärzte ihr
jährliches Arbeitstreffen erstmals ohne Unterstützung der Pharmaindustrie. Wenig
später veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie Richtlinien zum
Umgang mit Interessenkonflikten. Die Regeln seien ein erster Schritt, aber nicht
ausreichend, findet Neurology first. Die Industrie darf zum Beispiel weiterhin das
Essen beim Jahreskongress bezahlen. Mancher Mediziner mag das Sponsoring
bislang nicht missen – oder hält es einfach für nötig, um die ärztliche Fortbildung zu
sichern.
O-Ton Volker Tronnier:
Ich glaube, es besteht keine Möglichkeit, Interessenkonflikte zu vermeiden.
Sprecherin:
Volker Tronnier ist Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum
Schleswig-Holstein Campus Lübeck.
O-Ton Volker Tronnier:
Die Interessenkonflikte müssen offengelegt sein, es muss transparent sein für alle,
aber zum Beispiel ein wissenschaftliches Symposium geht heute nicht ohne die
Unterstützung der Industrie, muss man ganz klar sagen. Die Kliniken haben das
Budget nicht mehr, die Zuweisungen der Universität werden immer geringer, das
heißt wenn wir hier eine Fortbildungsveranstaltung, selbst eine kleine machen, wir
reden jetzt nicht von deutschen oder internationalen Kongressen, dann braucht man
die Unterstützung der Industrie. Aber es muss eine Informationsveranstaltung bleiben
und keine Werbeveranstaltung für das Produkt.
Sprecherin:
Er habe durchaus finanzielle Bindungen zu Herstellern, sagt Tronnier, halte diese
aber lose. Einen Beratervertrag mit einer bestimmten Firma oder gar Aktien besitze
er nicht.
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O-Ton Volker Tronnier:
Generell habe ich die Sorge, das man beeinflusst sein kann, deshalb versuchen wir
bei klinischen Indikationen, wo Firmen ein Produkt anbieten, möglichst nicht nur mit
einer Firma zu verhandeln, sondern mehrere Firmen im Boot zu haben, um nicht
einseitig nur die Produkte dieser einen Firma zu implantieren.
Sprecherin:
Viele Mediziner argumentieren wie Tronnier: Wenn man finanzielle Bindungen an
mehrere Hersteller habe, mindere das den Interessenkonflikt.
O-Ton Thomas Lempert:
Das ist so, als würde ein Richter sagen, es ist ja nicht nur der Beklagte mein Bruder,
sondern auch die Klägerin meine Schwester, dadurch wird das nicht neutralisiert,
sondern der Konflikt wird nur unübersichtlicher. Alle Hersteller drücken natürlich neue
teure Produkte in den Vordergrund und was auf der Strecke bleibt, sind die offenen
Fragen, die alternativen Behandlungsmöglichkeiten, die Frage, wann behandelt man
nicht.
Sprecherin:
Nicht behandeln? Das ist nicht im Sinn der Pharmaindustrie. Die Hersteller kümmern
sich sogar um Probleme, bei denen unklar ist, ob sich Krankheit dahinter verbirgt.
TV-Spot:
Vorzeitiger Samengenuss betrifft jeden fünften Mann und ist behandelbar. Lassen
Sie sich von einem Arzt beraten. Nähere Informationen auf www.spaeterkommen.de,
damit Sie die Liebe länger genießen können.
Sprecherin:
Der Fernsehspot und die empfohlene Webseite sind ein Service der Berlin-Chemie
AG. Die Firma vertreibt ein Mittel gegen den vorzeitigen Samenerguss, Ejaculatio
praecox, wie das unter Medizinern heißt. Der Wirkstoff Dapoxetin wurde ursprünglich
als Antidepressivum entwickelt, doch mittlerweile kommt er wegen seiner
Nebenwirkungen zum Einsatz. Laut Studien zögert Dapoxetin den Samenerguss um
eine Minute hinaus. Diese Therapiemöglichkeit will Berlin-Chemie nicht nur
betroffenen Paaren näherbringen. Im Oktober 2013 sponserte die Firma gemeinsam
mit anderen Firmen eine Fortbildung für Hausärzte und Internisten in Berlin. Der
Allgemeinmediziner Niklas Schurig aus Rastatt erinnert sich an eine später korrigierte
Version des Einladungsflyers:
O-Ton Niklas Schurig:
Da steht dann direkt drunter: 9 Uhr 45 Ejaculatio praecox, eins, zwei, drei schon
vorbei, … ein Beitrag der Firma Berlin-Chemie AG.
Sprecherin:
Ärzte sind verpflichtet sich weiterzubilden, und die dafür zertifizierten
Veranstaltungen müssen frei von wirtschaftlichen Interessen sein. Der zitierte Flyer
allerdings klingt nach Marketing. Die Ärztekammer Berlin wird hellhörig und
entsendet einen Vertreter in das Seminar. Dem klingen die Ohren. Nur 38 Prozent
der Hausärzte gegenüber 97 Prozent der Urologen würden den Wirkstoff Dapoxetin
verschreiben, beklagt der Referent beim Thema vorzeitiger Samenerguss: „Ein
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Grund, warum wir uns hier treffen“. Später wertet die Ärztekammer die Vortragsfolien
der Veranstaltung aus. Ergebnis: Mehrere Vorträge entsprechen nicht den
Anforderungen.
O-Ton Niklas Schurig:
Die Ärztekammer Berlin hat in der Zertifizierung nachträglich schwerwiegende Fehler
festgestellt, sowohl inhaltlich als auch administrativ, und die Punkte nachträglich
aberkannt, Und das heißt, die Kollegen, die den Fortbildungsnachweis einreichen,
kriegen dafür keine Punkte.
Sprecherin:
Ein peinliches Ergebnis für Sponsoren und Veranstalter, ein Ärgernis für die 152
Teilnehmer des Seminars. Und das Berliner Beispiel ist wohl kein Einzelfall.
Allgemeinmediziner Schurig beobachtet den Fortbildungsmarkt für die Initiative
MEZIS – die Abkürzung steht für „Mein Essen Zahl Ich Selbst“.
O-Ton Niklas Schurig:
Wir schätzen, 80 Prozent, alo das sind die Zahlen aus den USA, 80 Prozent der
Fortbildungen werden direkt oder indirekt von Pharmafirmen gesponsert. Es gibt also
leider relativ wenig unabhängige Fortbildungen, obwohl die Ärztekammern und
Krankenkassen oder die Player ein Interesse haben sollten, dass man
Fortbildungspunkte produktneutral objektiv erwerben kann.
Sprecherin:
Eine simple Maßnahme könnte den Pharmaeinfluss zumindest zurückdrängen.
O-Ton Niklas Schurig:
Ein Gedanke wäre zum Beispiel: dass die Ärztekammern eine umgekehrte
Diskriminierung machen und sagen, wir zertifizieren pharmafreie Veranstaltungen
doppelt so hoch, wir geben denen doppelt so viele Punkte, wir fördern die, weil die
machen letztendlich ja einen guten Job … Da gibt es schon Ansätze, die diskutiert
werden, die aber endlich in den Gremien mal wahrgenommen werden müssen.
O-Ton Klaus-Peter Görlitzer:
Mein Name ist Klaus-Peter Görlitzer, ich bin Journalist und Redakteur der Zeitschrift
Bioskop.
Sprecherin:
Zu Besuch bei einer Initiative, die etwas Licht in das Dickicht des PharmaSponsorings zu bringen versucht. Seit April 2014 veröffentlicht der gemeinnützige
Verein Bioskop auf seiner Webseite einen sogenannten Transparenz-Kalender.
O-Ton Klaus-Peter Görlitzer:
Da listen wir auf Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte, Apotheker und andere
Heilberufler, und wir zeigen nicht nur, welche Veranstaltungen es jeden Tag in
Deutschland gibt, sondern unser Hauptaugenmerk liegt darauf, wie die Finanzierung
dieser Veranstaltungen aussieht, insbesondere welche Beiträge Pharmafirmen
leisten, und da haben wir festgestellt, dass sehr viel Geld von Pharmafirmen im Spiel
ist, viel mehr Geld als wir uns vorstellen konnten, obwohl wir diesen Bereich schon
seit Jahren beobachten.
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Sprecherin:
Ausgangspunkt der Bioskop-Recherche ist eine Selbstverpflichtung der forschenden
Arzneimittelhersteller. Gemäß dem Kodex für medizinische Fachkreise müssen
Hersteller seit mehreren Jahren offenlegen, welche Veranstaltungen sie mit welchen
Beträgen für welche Gegenleistungen unterstützen.
[O-Ton Klaus-Peter Görlitzer:
Das Problem ist … es gibt nicht eine Datenbank mit sämtlichen Veranstaltungen,
sondern man muss diese Angaben mühsam im Internet recherchieren, indem man
auf Websites der verschiedenen Veranstalter von Kongressen und Fortbildungen
surft. … Praktisch sind wir so vorgegangen, dass wir bestimmte Begriffe in
Suchmaschinen eingegeben haben, nämlich zum Beispiel Transparenz-Vorgabe
oder FSA-Kodex. FSA steht ja für Freiwillige Selbstkontrolle für die
Arzneimittelindustrie, und wenn man diese Begriffe in gängige Suchmaschinen
eingibt, bekommt man auf Klick Übersichten von Veranstaltungen, die von
Pharmaunternehmen gesponsert werden.]
Sprecherin:
Ein Highlight des Transparenzkalenders ist die Rubrik Bestseller 2014.
O-Ton Klaus Peter Görlitzer:
Mit Bestseller haben wir in unserem Bioskop-Kalender die Veranstaltungen
gekennzeichnet, die am meisten Sponsorgelder einnehmen von
Pharmaunternehmen. … Drei Ausrufezeichen stehen für
Fortbildungsveranstaltungen, die mit einer Million Euro oder mehr durch
Pharmaunternehmen finanziell unterstützt werden, zwei Ausrufezeichen besagen,
dass 500.000 Euro oder mehr gezahlt werden, ein Ausrufezeichen bedeuten 100.000
Euro oder mehr.
Sprecherin:
Besonders umworben sind die Neurologen. Die Neurowoche 2014 in München
kommt bei Bioskop auf drei Ausrufezeichen – und hätte locker vier verdient. Denn die
Industrie zahlte für das Forum von Neurologen, Neuropädiatern, Neurochirurgen und
Neuroradiologen rund zwei Millionen Euro.
O-Ton Thomas Lempert:
Ich glaube, dass die Industrie in der Fortbildung überhaupt keine Rolle spielen darf.
Sprecherin:
Thomas Lempert, der Neurologe aus Berlin
O-Ton Thomas Lempert:
Ärzte sind ohnehin verpflichtet sich fortzubilden und können das aus eigener Tasche
bezahlen, und haben dadurch eine wesentlich höhere wissenschaftliche Qualität der
Fortbildung, wenn da Firmeninteressen überhaupt keine Rolle spielen. Und es wird
so sein, dass die unabhängige Fortbildung erst dann auf die Beine kommt, wenn die
gesponserte Fortbildung verschwindet. Im Augenblick haben wir den Freibiereffekt,
alle gehen dahin, wo einem die Anreise und die Unterkunft und alles Mögliche noch
bezahlt wird.
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O-Ton Birgit Fischer:
Wenn man sagt, wir trennen das ganz strikt und arbeiten eigentlich nicht zusammen,
dann kappt man jedes kreative Potential, jede Möglichkeit der Zusammenarbeit und
verkennt, dass es einen Informationsaustausch geben muss.
Sprecherin:
Birgit Fischer ist Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender
Arzneimittelhersteller und damit die oberste Pharmalobbyistin im Land. Eine
erstaunliche Karriere für eine ehemalige SPD-Gesundheitsministerin und
Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK.
O-Ton Birgit Fischer:
Die Industrie ist darauf angewiesen, auch für die Forschung und Entwicklung,
Hinweise aus der Versorgung zu bekommen von der Ärzteschaft, und umgekehrt ist
der Arzt dringend darauf angewiesen, die Informationen aus der Industrie zu
bekommen, welches Wissen rund um das Arzneimittel gibt es denn.
O-Ton Thomas Lempert:
Wir brauchen das Firmengeld nicht, wir brauchen auch das Firmenwissen nicht. Es
geht um publizierte wissenschaftliche Daten. Die können wir viel besser bewerten
ohne die Hilfe der Industrie.
O-Ton Birgit Fischer:
Man kann nicht automatisch unterstellen, dass die Pharmaindustrie ja nur daran
interessiert ist, Geld zu verdienen. Die sind auch interessiert an Evidenz, sie sind
auch daran interessiert, die Erkenntnisse aus der Wissenschaft zu nutzen für ihre
Arbeit. Es gibt schon ein wechselseitiges Sachinteresse und nicht immer nur ein
unterstelltes Interesse, es gibt ein gemeinsames Sachinteresse.
Sprecherin:
Mit dem Sachinteresse ist es allerdings so eine Sache, wenn Interessenkonflikte im
Spiel sind. Britische Forscher haben kürzlich untersucht, wie sich finanzielle
Interessen auf Publikationen auswirken. Es ging um die Bewertung von
Medikamenten, die zur Vorbeugung oder Behandlung der Grippe eingesetzt werden.
26 systematische Überblicksarbeiten mit insgesamt 37 Bewertungen wurden in die
Untersuchung eingeschlossen. Ergebnis: Das Urteil der Autoren mit finanziellen
Interessenkonflikten fiel in sieben von acht Fällen positiv aus. Das der unabhängigen
Autoren nur in fünf von 29 Fällen.
O-Ton Birgit Fischer:
Wir erleben immer wieder, dass es Mutmaßungen gibt, Verdächtigungen gibt, und
dem kann man nur begegnen, indem man sagt, wir zeigen euch, ihr könnt
reinschauen und könnt sehen, was es hier an Beziehungen gibt, was es an
Zuwendungen gibt, welche Kosten erstattet werden, welche nicht.
Sprecher:
Transparenz-Initiative nennt die Pharmaindustrie ihren jüngsten Vorstoß, mit dem sie
wohl einem Gesetz nach Vorbild des amerikanischen Sunshine Act zuvorkommen
wollte. Gemäß Sunshine Act müssen Firmen Zuwendungen an Ärzte und bestimmte
Krankenhäuser seit 2014 einmal jährlich den US-Behörden berichten. Der in Europa
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beschlossene neue Transparenz-Kodex hat den Charakter einer Selbstverpflichtung
und soll erstmals 2016 umgesetzt werden. Allerdings gilt die Pflicht zur Transparenz
nicht uneingeschränkt. Zuwendungen an Ärzte werden nur dann öffentlich gemacht,
wenn diese einwilligen. Zudem werden Zahlungen für klinische Studien nur
zusammengefasst veröffentlicht, ohne Zuwendungen für einzelne Ärzte oder Kliniken
offenzulegen.
O-Ton Birgit Fischer:
Wenn man hier im Detail veröffentlichen würde und das ins Internet stellt, dann
wären das Informationen, die man an den Wettbewerber, an andere Unternehmen im
Grunde, preisgibt, und das ist der Grund, warum es hier einen besonderen Schutz
geben muss … man stellt es nicht ins Internet öffentlich zur Verfügung, weil es
einfach diesen Wettbewerbsschutz in dem Sinne gibt.
Sprecher:
Eine wichtige Gruppe mit Interessenkonflikten spielt weder im Sunshine Act noch im
europäischen Transparenz-Kodex eine Rolle. Dabei zielt das Marketing von
Pharmaunternehmen und Medizintechnikherstellern selbstverständlich auch auf
Journalisten.
O-Ton Volker Tronnier:
Ich möchte Sie auch ganz herzlich begrüßen, herzlichen Dank für die Einladung, ich
bin Neurochirurg.
Sprecherin:
Volker Tronnier, der Neurochirurg aus Lübeck, referiert bei einem Presse-Workshop
der Firma Medtronic. Es geht um Stimulationssysteme, die zum Beispiel bei
anhaltenden Schmerzen nach einer Rückenoperation eingesetzt werden.
O-Ton Volker Tronnier:
… und der zweite Teil des Vortrags, da möchte ich ihnen eine Neuentwicklung
vorstellen, nämlich die neuen, sogenannten MR-konditionalen
Rückenmarksstimulationssysteme, mit denen es möglich ist, Patienten in ein
Ganzkörper-MRT zu legen, was also bislang eben nicht möglich war.
Sprecherin:
Eine Mitarbeiterin von Medtronic lässt einen Prototypen durch die Reihen wandern.
Die Neuentwicklung besitzt ein Alleinstellungsmerkmal. Es handelt sich um den
ersten Rückenmarksstimulator, mit dem Patienten ohne Gefahr in einem
Magnetresonanztomographen untersucht werden können. Bislang war das nicht
möglich, weil man fürchtete, das Implantat könnte durch die großen Magnetfelder zu
stark erhitzt werden. Die Konkurrenz hat Vergleichbares zum Zeitpunkt des
Presseworkshops noch nicht im Angebot.
O-Ton Volker Tronnier:
Und jetzt gibt‘s eben dieses neue Elektrodensystem und das ist ganz clever... wie
einen Blitzableiter gibt es hier einen Wärmeableiter, der die Hitze aus der Spitze
nimmt, und über die gesamte Elektrode verteilt. … und dann sieht das eben so aus,
alles ist ein bisschen wärmer geworden, wie Sie sehen, aber erreicht nicht die
kritischen Temperaturen.
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Sprecherin:
Es ist der vierte halbstündige Vortrag an diesem Tag.
O-Ton Volker Tronnier:
Ja, und damit bin auch ich fertig. Dankeschön. (Atmo Klatschen hängt an)
Sprecherin:
Nach der anschließenden Diskussion ist der inhaltliche Teil des Workshops auch
schon beendet. Doch den Journalisten wird mehr geboten als nur medizinische
Information.
Führung
O-Ton Industriepark-Führer:
Erst mal herzlich willkommen im Park, ich bin der Jürgen Dreide. Knapp zwei
Stunden wird die ganze Sache dauern, bisschen Strapazen sind auch dabei, wir
gehen ja zum Hochofen ganz nach oben. Ich denke, gut gefrühstückt haben Sie alle,
dann kann ja nichts passieren …
Führung
Sprecherin:
Medtronic hat einen Shuttle gemietet, der die Teilnehmer vom Tagungshotel in
Düsseldorf zum Landschaftspark Duisburg Nord und wieder zurück bringt. Auf dem
Programm steht eine Besichtigung samt Führung und Hochofenbesteigung. Aber
damit noch nicht genug.
O-Ton Margrit Braszus:
Das war, ich denke, schon ein Zufall, dass dieses Wochenende auf den japanischen
Tag am Samstag in Düsseldorf fiel,… und weil es ein japanischer Tag war, gab es
abends ein japanisches Menü in dem Hotel.
Sprecherin:
Margrit Braszus ist Hörfunkjournalistin aus Süddeutschland, eine erfahrene Kollegin,
die auch schon investigativ gearbeitet hat.
O-Ton Margrit Braszus:
Es gab als Vorspeise Sushi Omakase, … also verschiedene rohe Fischsorten, mit
einer scharfen Yaki-Soße vom Aal mit Reisbällchen. Dann gab es einen ersten
Hauptgang, gegrilltes Schwarzfederhuhn, … das war sehr lecker, auch mit einer
scharfen Sauce, Teriyaki, und auch jungen Lauch dazu, … zweiter Hauptgang, das
war Wagyu-Beef, also bestes Rindfleisch vom Kobe-Rind, mit Eigelb und Trüffeln
und mit Weißkohl, also auch das wirklich sehr fein, hab ich nie vorher gegessen, nie
davon gehört, Kobe-Rind,... und zum Nachtisch bekamen wir dann Mango-Mousse
mit Litschis und Ingwer und Chili-Gewürz angerichtet. Das war alles sehr, sehr
lecker.
O-Ton Holger Storcks:
Warum betten wir die reine Infoveranstaltung in ein bisschen Rahmenprogramm ein?
Gut, letztendlich sind das auch Plattformen, wo man in ein bisschen
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ungezwungenerer Atmosphäre jenseits der Fachvorträge einen Diskurs pflegen
kann.
Sprecherin:
Medtronic Pressesprecher Holger Storcks.
O-Ton Holger Storcks:
Natürlich stellen solche Veranstaltungen auch für uns eine Plattform dar, uns als
Unternehmen im Bekanntheitsgrad und Reputation in der Medizintechnikszene und
in der Journalistenszene zu präsentieren. Das ist natürlich klar, vielleicht gehört das
so‘n bisschen zur Markenpflege, zum Beziehungsmanagement, …
Sprecherin:
… Beziehungsmanagement …
O-Ton Holger Storcks:
… dass man den Teilnehmern ein gutes Gefühl mit auf den Weg geben will, dass
insgesamt die Veranstaltung eine runde gelungene Veranstaltung war, dass man
gute Gespräche geführt hat, in einem positiven, angenehmen Rahmen.
O-Ton Margrit Braszus:
Angenehm war natürlich, dass alles vorbereitet und organisiert war, … Bahnfahrt
wurde bezahlt, keine Sache, kein Problem, die Unterkunft war Spitzenklasse,
einmalig, am Hafen in Düsseldorf, das Hotel war toll, der Service war toll, das war
schon so ein Rundumwohlfühl-Paket, das nimmt man gerne mit.
Sprecherin:
Die Autorin dieses Beitrags hat auf das Vier-Gänge-Menü diesmal verzichtet, Anreise
und Unterkunft bezahlte ihr Auftraggeber. Allerdings hat auch sie bei anderer
Gelegenheit schon auf Kosten der Pharmaindustrie gespeist und übernachtet und
sogar ein Honorar angenommen, für einen Vortrag über Interessenkonflikte im
Medizinjournalismus. Sind solche Zuwendungen von der Industrie ganz
unbedenklich? Das glaubt offenbar nicht mal Hersteller Medtronic. Im Juni 2012 hat
das Unternehmen weltweit gültige Regeln für die Bewirtung von Ärzten erlassen.
Demnach dürfen die Ausgaben einen Betrag von 60 Euro pro Person pro Tag nicht
überschreiten – Getränke eingeschlossen. Allein das Viergänge-Menü im FünfSterne-Hotel Hyatt Regency Düsseldorf hat aber bereits 75 Euro pro Person
gekostet, Getränke noch nicht mitgerechnet.
Wieso gelten die Medtronic-Regeln nicht für den Umgang mit Journalisten?
O-Ton Holger Storcks:
Die Handhabung von Aufwendungen wird bei uns, bei Medtronic über die Business
Conduct Standards BCS geregelt, Gegenstand sind aber in erster Linie
Aufwendungen, die rund um die Bewirtung von Ärzten und sonstigen Mitarbeitern
medizinischer Einrichtungen entstehen – sprich unserer originären Kunden. Dieser
BCS umfasst in seinem Anwendungsbereich eben nicht die Aufwendungen, die wir
rund um Presseveranstaltungen ansetzen.
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Sprecherin:
Zusammengefasst heißt das wohl: Die Regeln gelten nicht für Journalisten, weil sie
für Ärzte gelten, und nicht für Journalisten. Übrigens verbieten die Business Conduct
Standards auch Stadtrundfahrten oder Führungen im Zusammenhang mit
Kundenbewirtungen.
O-Ton Martina Keller:
Glauben Sie, dass so ein Wohlfühlpaket, hatten Sie gesagt, wie die Firma es
angeboten hat, möglicherweise Kollegen in der Berichterstattung beeinflussen
könnte? Zum Positiven hin?
O-Ton Margrit Braszus:
Das kann ich nicht einschätzen, das weiß ich nicht, ich kann da tatsächlich nur von
mir ausgehen. Ich habe da keinerlei Anlass gesehen, mich beeinflussen zu lassen,
… in einen Konflikt käme ich ja nur, wenn ich mich genötigt sehe, von einer Instanz,
so zu berichten, wie es ein Interessent möchte. Das ist aber für mich völlig außen
vor, weil mein Auftraggeber sind nicht Pharmaunternehmen oder MedizinprodukteHersteller, sondern eine Wissenschaftsredaktion, also für mich steht das gar nicht zur
Debatte.
Sprecherin:
Nur eine der befragten Kolleginnen sieht ein Risiko der Beeinflussung. Einladungen
generell abzulehnen, hält aber auch sie für eine schlechte Regel, man wolle ja
möglichst viele Informationen sammeln und Kontakte knüpfen. Eine andere
Journalistin antwortet, Reisekosten würden doch nicht nur bei Medizin-Seminaren
übernommen: „Vielleicht sollten Sie diesbezüglich bei der Auto-Industrie sowie im
Beauty-Sektor recherchieren.“ Ein Risiko der Beeinflussung sieht sie nicht.
O-Ton David Klemperer:
Das Gefühl ist trügerisch …
Sprecher:
… findet Sozialmediziner David Klemperer.
O-Ton David Klemperer:
… wir wissen sogar, dass diejenigen, die das Gefühl haben, nicht beeinflusst werden
zu können, besonders beeinflussbar sind, weil sie keine Schutzmechanismen gegen
die Beeinflussung aufbauen. Es gibt Schutzmechanismen, die allerdings nur bedingt
wirksam sind, aber wenn man nicht mal diese Schutzwälle aufbaut, dann droht eine
umso stärkere Beeinflussung.
Sprecher:
Journalisten dürften kaum immun sein gegen Mechanismen, deren Wirksamkeit bei
Ärzten durch zahlreiche Studien belegt ist: Schon kleine Geschenke an
Medizinstudenten führten zu einer positiveren Haltung gegenüber den beworbenen
Substanzen, dies belegte 2013 eine Befragung von mehr als 1.000 Studenten an
deutschen Universitäten. Ärzte, die hohe Verschreibungskosten verursachten,
empfingen öfter Vertreter von Pharmafirmen. Und wer enge Industriekontakte hatte,
neigte eher dazu, Medikamentenrisiken zu verharmlosen, zu Lasten der Patienten.
Was also tun? David Klemperer:
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O-Ton David Klemperer:
Ich denke, dass im Medizinbereich die Problemlösung einfach ist und darin besteht,
dass die Industrie kein Sponsoring gegenüber der Ärzteschaft betreibt und dass auf
der anderen Seite die Ärzte erklären, dass sie sich nicht unterstützen lassen von der
Industrie, in Bereichen wie Fortbildung, in der Ausrichtung von Kongresse und im
Verfassen von Leitlinien, in all diesen Bereichen. Interessenkonflikten beugt man vor,
indem man sie vermeidet.
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