Den Dichtern auf den Versen

Den Dichtern
auf den Versen
Der Regisseur Ralf Schmerberg
bringt in „Poem“ deutsche Lyrik
auf die Leinwand – und feiert
bildgewaltig das gesprochene Wort.
D
er Stoff, aus dem die Träume sind,
wird zu Asche. Ein paar Hochzeitskleider sind in einem kargen
Raum kunstvoll auf Gestelle drapiert, als
warteten sie auf eine Braut. Doch mit einem Mal entzünden sie sich von selbst und
gehen in Flammen auf.
„Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen“ – diese Worte von Heiner Müller
spricht in dem Kinofilm „Poem“ der
Schauspieler Richy Müller, während die
Kleider verbrennen. Das Gedicht ist eine
einzige Widerrede auf die ewig flammende Liebe. Doch während sich Wort für
Wort Ernüchterung breit macht, zeigen die
Bilder sinnlich züngelnde und heftig auflodernde Flammen – nicht abgeklärt wie in
Müllers Versen, sondern wild und gewaltsam werden hier Illusionen zerstört.
Der Regisseur Ralf Schmerberg, 38,
unternimmt in „Poem“ das Wagnis, deutscher Lyrik von Goethe bis Müller mit den
Mitteln des modernen Kinos beizukommen: Insgesamt 19 Gedichte, darunter
Friedrich Schillers Ode „An die Freude“,
Georg Trakls „Morgenlied“ oder Paul Celans „Tenebrae“, hat er verfilmt.
„Ich setzte den Fuß in die Luft – und sie
trug“ lautet der Beititel von Schmerbergs
Werk. Wer solche Sätze in den Mund
nimmt, kann leicht abstürzen. Zumal einer,
der bisher eher in der Welt von MüllerMilch als von Müller-Lyrik zu Hause war.
Schmerberg ist ein überaus erfolgreicher
Werbefilm- und Musikvideo-Regisseur, der
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STEPHAN VENS
KINO
R. SCHMERBERG
STEPHAN VENS
Bebilderung eines Heiner-Müller-Gedichts
Der Versuch, visuelle Gegenstücke zu
den Versen zu finden, ohne banal zu werden, glückt nicht immer: Wenn zu Selma
Meerbaum-Eisingers Gedicht „Der Sturm“
über die Angst um eine frische Rosenknospe auf der Leinwand Bilder eines im
Nu heranwachsenden Säuglings erscheinen, wirkt das fast, als wollten Schmerberg
und seine Drehbuchautorin Antonia Keinz
den etwas rührseligen Ton der Vorlage
noch herausstellen.
In mehreren Episoden nutzt Schmerberg
die Unschuld, die von Kindern und Behinderten ausgeht. Da blickt man dann umso
lieber in das gefurchte Antlitz von Klaus
Maria Brandauer, eine schwarzweiße Gesichtslandschaft, in der Heinrich Heines
„Der Schiffbrüchige“ strandet: Gefilmt in
einer Einstellung, vermittelt diese Episode
gerade in ihrer extremen Reduktion die
Macht des Wortes.
Überhaupt konnte Schmerberg viel
Schauspieler-Prominenz für sein Projekt
Bennent in der Georg-Trakl-Episode „Morgenlied“
gewinnen – von Hannelore Elsner bis Anna Thalbach, von David Bennent
bis Jürgen Vogel. Manche
von ihnen leihen dem
Film nur ihre Stimme.
Luise Rainer, 93, die in
den dreißiger Jahren
zweimal den Oscar gewann, ist dagegen prominent im Bild: Wenn
Schmerberg sie vor einem
isländischen Wasserfall
Goethes „Gesang der
Geister über den Wassern“ deklamieren lässt
und die Bilder genau das
Schmerberg (mit Hut) bei Dreharbeiten zur Schiller-Ode „An die Freude“
zeigen, was die Sätze sagen, kann man diese DopSzenen aus „Poem“: Hysterie in Bild und Ton
pelung für ein Zeichen
mit seinen Auszeichnungen Wände tape- von Einfallslosigkeit oder Chuzpe halten –
zieren kann. Von der HypoVereinsbank bis oder aber für die Hommage an eine bezu den Toten Hosen reichen seine Auf- wundernswerte Diva.
Das Pathos des Films, das sich wohl nicht
traggeber. Nun also Rilke statt Campino.
Er habe vom „MTV-Gelaber“, von in- ganz vermeiden ließ, lindert Schmerberg
flationär gebrauchten und deshalb gänz- durch Humor. So wirft er sich einmal
lich sinnentwerteten Wörtern wie „cool“ kopfüber in den Haushalt einer Großfamidie Nase voll gehabt, schildert Schmerberg lie, in der Jürgen Vogel lustvoll den Proll
seine Motivation, „Poem“ zu drehen. Das geben darf. Da blickt die Kamera zu eiBudget für seinen 1,5 Millionen Euro teu- nem Hinterteil hoch, das noch unvorteilren Film bestritt er zum Großteil aus seinen haft in Strumpfhosen steckt, da saust sie
Werbehonoraren: So machte jene Bran- in Bodenhöhe auf ein Kaninchen zu, das
che, die sonst schon mal die deutsche Spra- durch die Wohnung hüpft, da schlingert
sie plötzlich durch die Luft, wenn ein
che verhunzt, diesen Film möglich.
Fünf Jahre lang arbeitete Schmerberg schreiendes Kleinkind in die Höhe gean „Poem“ und drehte seine Episoden stemmt wird – es herrscht Hysterie in Bild
rund um den Erdball, von Nevada bis und Ton.
Ganz plötzlich gerät die Frau des HauNepal. Manchmal gelingt es ihm, das Universale der ausgewählten Gedichte, die von ses, gespielt von Anna Böttcher, mitten im
Liebe und Tod, vom Werden und Vergehen Trubel ins Innere eines riesigen Ballons:
(und etwas zu oft vom Himmel) erzählen, In dieser Blase spricht sie die Verse von Indurch die Schauplätze spürbar zu machen. geborg Bachmanns Gedicht „Nach grauen
Da tasten sich zu den Versen von Kurt Tagen“: „Eine einzige Stunde frei sein!
Tucholskys „Aus!“, die vom unvermeidli- Frei, fern!“ Lyrik dringt noch in den letzche Ende einer Zweisamkeit handeln, blin- ten Winkel: Nichts mehr und nichts weniger zeigt dieser Film.
de Zwillinge durch Vietnam.
Lars-Olav Beier
d e r
s p i e g e l
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